PDF-Download - Bayerische Staatsoper
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10 TAKt 7+8<br />
Interview:<br />
Nicolas Brieger<br />
Fridemann Leipold ist Musikredakteur<br />
bei Bayern 4 Klassik.<br />
Wilfried Hösl<br />
„Eine Realität, die von der Fantasie,<br />
nicht von der Straße bestimmt wird.“<br />
Vom Teufel<br />
geritten<br />
Regisseur Nicolas Brieger über Crashs beim Surfen,<br />
neugierige Sänger und die Albträume des Doktor Faust<br />
Er begann als Schauspieler, inszenierte dann fürs Sprechtheater und zählt<br />
heute zu den international gefragtesten Opernregisseuren. An der <strong>Bayerische</strong>n<br />
<strong>Staatsoper</strong> debütiert Nicolas Brieger nun mit einer Münchner Erstaufführung,<br />
mit Ferruccio Busonis eigenwilliger Faust-Version, die auf dem<br />
alten Puppenspiel vom Doktor Faust beruht und unvollendet geblieben ist.<br />
Herr Brieger, was hat Sie bei der ersten Begegnung mit Busonis „Doktor<br />
Faust“ an dem Stück fasziniert?<br />
Dass es so unzeitgemäß ist. Man hat das Gefühl: Wo bin ich denn jetzt eigentlich?<br />
Weil wir heute ja so einen Hang haben, alles auf unsere Zeit zu<br />
beziehen. Alles muss seine Entsprechung im Fernsehen haben – Irak ist<br />
überall, selbst in der kleinsten Hütte. Da kommt dann plötzlich so ein Stück<br />
daher, das von „Ego“ und „Ich“ handelt, von solchen Individualitätsbegriffen,<br />
die heute fast verschwunden sind. Also dass jemand zurückgeworfen wird<br />
auf sich selbst – da gibt es kein globales Dorf, nicht mal ein Häuschen, auch<br />
das ist schon besetzt; Faust ist einfach unbehaust, sich selbst überlassen<br />
in seinem eigenen Gebäude. Dieses extreme Mit-sich-selbst-Befaßtsein<br />
scheint mir, gerade weil es so unzeitgemäß ist, heute wieder von Bedeutung<br />
zu sein. Wir sind ja allerorten mit dieser Sinnfrage konfrontiert, weil es<br />
beim Surfen auf der Datenautobahn dauernd zum Crash kommt – und wir<br />
nicht wissen, warum. Das führt dann dazu, dass man nirgends ankommt …<br />
Ihre Inszenierung wird also nicht auf vordergründige Aktualisierung<br />
hinauslaufen?<br />
Nein, ich bemühe mich darum, das nicht zu tun – wenngleich ich natürlich<br />
ein Kind meiner Zeit bin; das, was auf der Bühne zu sehen sein wird, hat<br />
hoffentlich nichts mit Mottenkiste zu tun. Ich habe solche Aktualisierungen<br />
ja auch gemacht – aber ich finde inzwischen, dass man das Fremde suchen<br />
muss, das, was einem nicht sofort zugänglich ist. Dass gerade dies Orte sind,<br />
wo der Zuschauer auch die Chance hat, sich mit etwas anderem zu konfrontieren<br />
– statt immer nur die Bilder, die er sowieso schon im Kopf hat, nochmal<br />
zu sehen. Das Theater muss auch die Möglichkeit haben, einen irgendwo<br />
anders hin- und mitzunehmen. Und ich glaube, Busoni wollte das auch.<br />
Darin liegt seine eigentliche Bedeutung – meiner Meinung nach wird er sonst<br />
nämlich zum Spätromantiker. Und das ist er nicht. Er benutzt vieles von diesen<br />
Klängen, aber er gehört auf eine ganz unverwechselbare Weise dem 20.<br />
Jahrhundert an. Wenn man das jedoch einfach ins Heute holt, wirkt es fast<br />
schon wieder altertümlich.<br />
Sie plädieren für das Fremde, Unerwartete. Am Hof zu Parma begrüßt die<br />
Festgesellschaft Faust mit den Worten: „Er naht, mit ihm das Wunderbare“.<br />
Welche Rolle spielt das Wunderbare in Ihrer Inszenierung?<br />
Ich halte das für die Kernfrage, wie man als Regisseur mit Busoni umgeht:<br />
Ob man ihn gegen seinen Willen auf die Ebene von Küchen-Realismus herunterzieht<br />
und banalisiert, indem man auf der Bühne nur Alltagsleben zeigt.<br />
Oder ob man stattdessen versucht, eine artifizielle Ebene zu erreichen, auf<br />
der eine andere Realität herrscht – nämlich eine, die von der Fantasie und<br />
nicht von der Straße diktiert wird. Wenn ich das Fantastische an „Doktor<br />
Faust“ hervorhebe, meine ich damit aber nicht, dass das Ganze in einem<br />
Kaleidoskop greller Effekte versinkt. Die Ebene, auf der Faust agiert, ist vielmehr<br />
die eines Wachtraums.<br />
Das heißt, Sie haben mit Ihrem Ausstattungsteam ein Konzept entwickelt, in<br />
dem das Surreale, die Traumwelt betont wird?<br />
So ist es. Wir unterstreichen dies zum Beispiel dadurch, dass von vornherein<br />
Puppen zum Einsatz kommen – aber nicht als Spielersatz, sondern als Dialog<br />
von Faust mit sich selbst. Es kommt zur Interaktion mit den Sängern,<br />
wobei sich die Welt der Puppen mit der Ebene geisterhafter Erscheinungen<br />
kreuzt und verschränkt: So sind die drei Studenten aus Krakau ja auch keine<br />
realen Gestalten, sondern Traumfiguren. Als Individuen bleiben nur noch<br />
Faust und die Herzogin übrig.<br />
Das Stück hat nicht nur dramaturgisch, sondern auch musikalisch eine offene<br />
Struktur: Es gibt darin viel autonome Musik, etwa die einleitende Symphonia,<br />
die höfische Cortège, die Sarabande – über weite Strecken wird in<br />
dieser Oper nicht gesungen. Wie gehen Sie als Regisseur mit diesen symphonischen<br />
Passagen um, werden Sie die visualisieren?<br />
(Lacht) Mich reitet immer der Teufel in solchen Bühnensituationen! Ich kann<br />
doch, wenn ich im Theater sitze, nicht plötzlich sagen: Ich schalte jetzt um<br />
von Auge und Ohr auf nur Ohr – und schließe die Augen. Das funktioniert