Pressemappe Barbara Klemm. Fotografien 1968–2013 - Berliner ...
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dem Lauf der Zeit Charaktere herauszudestillieren: Mitterrand als Genießer, Honecker als<br />
Biedermann, Schröder als Sieger (S. 156), Scharping als Verlierer, Kohl als Machtmensch,<br />
Joschka Fischer als gewitztes Kerlchen – eine Enzyklopädie möglicher Rollen und<br />
Befindlichkeiten. <strong>Barbara</strong> <strong>Klemm</strong>s Werk, hat Wilfried Wiegand unterstrichen, sei «so vielfältig<br />
und so umfangreich, daß es schwerfällt, eine Formel dafür zu finden.» 40 Natürlich steht der<br />
Mensch im Mittelpunkt, der politische wie private, der blasse wie der charismatische, der<br />
handelnde wie der, der einfach nur dasitzt, wartet, schaut und so seinerseits einen<br />
Aggregatzustand menschlichen Seins illustriert. Aber es gibt eben auch Landschaften bei<br />
<strong>Klemm</strong>, Stadtlandschaften, Interieurs. Werke der Kunst, Skulpturen, Installationen können<br />
sie ebenso zu staunenswerten Bildfindungen animieren, wie – sozusagen in Reinform –<br />
jener Stoff aus dem strenggenommen alle Fotos sind: das Licht. Und doch gibt es eine<br />
Gattung, der sich <strong>Klemm</strong> in besonderer Weise verpflichtet fühlt: Das Porträt, speziell das<br />
Künstlerporträt – nicht im Sinne eines im Vorbeigehen erhaschten (möglichst prominenten)<br />
Gesichts, sondern als Ernte einer sehr bewußten Begegnung. Zurückführen könnte man<br />
dieses ausgeprägte Interesse am Bildnis vorderhand auf <strong>Klemm</strong>s Ausbildung in einem<br />
Porträtatelier, auch wenn es gravierende Unterschiede gibt. Was <strong>Klemm</strong> heute pflegt, ist das<br />
– der Begriff wurde einmal mit Blick auf Arnold New man geprägt – «Environmental Portrait».<br />
Also kein neutraler Hintergrund, kein gesetztes Licht, keine gesuchten Posen, sondern der<br />
Mensch, der Künstler, der Kreative in seinem natürlichen Umfeld, wie aufgeräumt (Golo<br />
Mann), überbordend (Friederike Mayröcker, S. 348), asketisch (Botho Strauß), nichtssagend<br />
(Peter Handke), bürgerlich (Ernst Jünger) oder praktisch (Hans Magnus Enzensberger) es<br />
auch immer sein mag. Was beide Disziplinen – das Studioporträt wie das vor Ort – verbindet,<br />
ist das Zusammensein, die Interaktion. So gesehen spiegelt sich im Porträt immer auch der<br />
Fotografierende selbst, mal mehr, mal weniger mit seiner Gabe, den anderen zu öffnen, zu<br />
gewinnen, für sich einzunehmen. «Jedes gelungene Porträt ist das Dokument einer<br />
gelungenen Begegnung», hat Wilfried Wiegand einmal konstatiert. 41 Und Andrzej<br />
Szczypiorski bringt es auf die Formel: «Die Fotografie erzählt nicht nur von dem, was sie<br />
festhielt, sondern auch von dem Menschen, der sie machte.» 42<br />
Das gilt bei <strong>Barbara</strong> <strong>Klemm</strong> besonders für ihre Porträts, die ein schier unglaubliches ABC<br />
bedeutender Maler, Dichter, Wissenschaftler formen. <strong>Klemm</strong> sieht sie nicht als<br />
ausdrucksstarke Physiognomien, sondern fast immer als ganze Menschen: Dazu zählen<br />
dann William Gaddis’ eitle Schläppchen ebenso wie die farblich abgestimmten Sneakers von<br />
Patricia Highsmith, die grauen Socken eines Peter Handke oder die weißen eines Jürgen<br />
Habermas. Und wenn es doch einmal auf ein Kniestück oder Brustbild hinausläuft, dann<br />
dürfen die Hände etwas über den Menschen erzählen, Raucherhände, nüchterne Hände,<br />
gefaltete Hände, einladende Hände, die Hände eines zutiefst Verunsicherten wie bei «Andy<br />
Warhol, Frankfurt am Main 1981» (S. 320) – «Kein Götterliebling. Ein desillusionierter<br />
Künstler, der mit der Welt abgeschlossen hat.» 43 Mit ihren Bildern macht <strong>Klemm</strong> das zutiefst<br />
Private öffentlich. Mit ihr blicken wir in die Laboratorien der Kunst, die ihrerseits Charakter<br />
spiegeln. <strong>Barbara</strong> <strong>Klemm</strong> wartet nicht auf mit einer ausgeklügelten Theorie des Porträts.<br />
Jedenfalls mit keiner, die man nachlesen könnte. Aber sie hat genaue Vorstellungen von<br />
dem, was ein gutes journalistisches Bildnis leisten sollte. Vorstellungen, die sie immer wieder<br />
auch mit ihrem Mann, dem Psychoanalytiker Leo Hilbert, erörtert haben dürfte. Im Übrigen<br />
bereitet sich <strong>Barbara</strong> <strong>Klemm</strong> intensiv auf ihre Porträttermine vor, liest sich ein, konsultiert das<br />
Archiv der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das gehört für sie ebenso zum Handwerk wie<br />
die Zeit, die sie sich nimmt oder die Freundlichkeit, mit der sie auftritt. Eine selten gewordene<br />
Höflichkeit, hinter der sich freilich ein kompromißloses Suchen und Streben nach dem<br />
gültigen Bild verbirgt.<br />
Fotografieren heißt nicht zuletzt, einen Standpunkt einnehmen – buchstäblich wie im<br />
übertragenen Sinne. <strong>Barbara</strong> <strong>Klemm</strong> weiß in ihrer Porträtarbeit genau, was sie will, ohne<br />
aber einem wie auch immer gearteten Konzept sklavisch zu folgen. Also keine<br />
mitgebrachten, die Umgebung kaschierenden Tücher, keine Requisiten, kein zusätzliches<br />
Licht. <strong>Klemm</strong> läßt ihre Protagonisten sich selbst inszenieren, wobei sie sich geschmeidig,<br />
unerhört präsent, geistig wie physisch höchst beweglich zeigt. Fotografie ist auch Sport, ist<br />
<strong>Pressemappe</strong>: <strong>Barbara</strong> <strong>Klemm</strong>. <strong>Fotografien</strong> 1968 – 2013 Seite 22