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30 Jahre - Gour-med

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Kulinaria der Welt<br />

Drei bis vier <strong>Jahre</strong> dauert es, bis eine<br />

Auster auf dem Teller eines Fischrestaurants<br />

landet. Zuvor haben die Austernfarmer<br />

in Blainville-sur-Mer an der<br />

Westküste sowie in Asnelles und Isignysur-Mer<br />

bei Bayeux und Saint Vaast la<br />

Hougue im Norden sie bis zu 20 Mal aus<br />

dem Wasser geholt, gereinigt und sortiert<br />

und zurück auf die Austernbänke vor<br />

der Küste gebracht.<br />

Die vier berühmten Austerndörfer sind<br />

ideale Eckpfeiler einer Reise durch die<br />

Normandie. Doch Cidre und Calvados,<br />

Miesmuscheln und Meeresfrüchte sind<br />

nicht ihre einzigen Attraktionen. Die<br />

Geschichte der Kanalküste ist reich, ihre<br />

Zeugnisse haben ungezählte Stürme<br />

überdauert. Und obwohl sich hier immer<br />

mal wieder das Schicksal Europas entschied,<br />

verströmen Fischerdörfer und Hafenstädtchen<br />

mit ihren kargen Bars und<br />

dem vom Meer bestimmten Tagesablauf<br />

angenehm provinziellen Charme. Paris ist<br />

weit, die Welt sowieso, und beides nicht<br />

sonderlich wichtig. Das teilt sich auch Besuchern<br />

mit, und das Reisetempo wird<br />

hier ganz von selbst gemächlich.<br />

Bayeux besitzt eine Kathedrale aus dem<br />

11. Jahrhundert, Adelspaläste, die heute<br />

Bed & Breakfasts sind, und einen gestickten<br />

Wandteppich. Er erzählt auf 70<br />

Metern die Geschichte der Eroberung<br />

Englands durch den Normannen William<br />

– anschaulich wie ein Comic. Die Franzosen<br />

verehren die bald nach den Geschehnissen<br />

des <strong>Jahre</strong>s 1066 entstandene<br />

Handarbeit wie ein Heiligtum, englische<br />

Besucher untersuchen jeden Quadratmeter<br />

einer Niederlage, die manche noch<br />

1000 <strong>Jahre</strong> später als Indiz dafür auffassen,<br />

dass jenseits des Kanals in erster Linie<br />

mit Barbarei zu rechnen sei.<br />

Auch Amerikaner sind in den Straßen<br />

von Bayeux unterwegs. Das liegt an<br />

den nahen Invasionsstränden. Sie wohnen<br />

gerne im familiären Hotel Lion d’Or,<br />

wo schon Spencer Tracy und später Tom<br />

Hanks anlässlich filmischer Aufarbeitung<br />

des Weltkriegs logierten, und schwärmen<br />

von dort aus. In Port-en-Bessin türmen<br />

sich auf dem Fischmarkt Schalentiere und<br />

Jakobsmuscheln, Boote liegen im ebbetrockenen<br />

Hafen. Ein Pfad führt die 60<br />

Meter hohe Steilküste hinauf. Von den<br />

Fensterbänken kleiner Häuser aus Feldstein<br />

ergießen sich Blumenfluten.<br />

Arromanches-les-Bains liegt am „Gold<br />

Beach“. Touristen schlendern vom Musée<br />

de Débarquement am Hafen zu den Geschäften<br />

gegenüber, wo Spielzeugpanzer<br />

verkauft werden und „D-Day-Wein“. In<br />

der Landschaft haben die Schlachten keine<br />

Schatten hinterlassen. Nur bei Ebbe,<br />

wenn das Meer riesige Sandstrände frei<br />

gibt, werden die Reste der Landungshäfen<br />

sichtbar.<br />

Auf dem Weg nach Saint Vaast la Hougue,<br />

dem ersten Hafen, den die Alliierten 1944<br />

eroberten, geht das schöne Wetter verloren.<br />

Unversöhnlich prasselt der Regen<br />

an die Fenster des Café au Port, wo an<br />

diesem trüben Sonntagmittag Berge von<br />

frischen Miesmuscheln aufgetragen werden.<br />

Hafen, Austernbänke und die bei<br />

Ebbe in Fußweite vor der Küste liegende<br />

Insel Tatihou versinken hinter Regenschleiern.<br />

Das kann den ganzen Tag so<br />

gehen, sagt die Kellnerin, oder die ganze<br />

Woche. Der Einzelhandel stellt rasch<br />

Ständer mit Regenjacken vor die Türen.<br />

Die Menschen beschäftigen sich mit<br />

Einkäufen und unzeitigem Weinkonsum.<br />

Dann reißt der Himmel auf, und am Ende<br />

des Hafenbeckens erscheint ein graues<br />

Kapellchen.<br />

Üppiges Angebot von Meeresfrüchte auf dem Fischmarkt in Port-en-Bessin<br />

our-<strong>med</strong> G l www.gour-<strong>med</strong>.de l 7/8-2013<br />

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