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merker-1988-Heft-1 - HTL Ottakring

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Zeitsumpf<br />

Es scheint uns demnach gar nicht so<br />

wichtig, wessen wir gedenken,<br />

Hauptsache, wirtun's, und die übrige<br />

Welt ist zufrieden. Unser Geschichtsbewußtsein<br />

währt dann gerade<br />

solange, als das Radio oder der<br />

Fernsehapparat laufen und wird mit<br />

denselben auch wieder abgeschaltet.<br />

Aber unsere Gesellschaft neigt ja<br />

von Grund auf zu solcher Art von<br />

Heuchelei. Gedenktage, Gedenkjahre<br />

sowie Gedenksendungen und Gedenkstunden<br />

schleichen quer durch<br />

den Kalender, erinnern uns ein- oder<br />

mehrmalig an Vergangenes, welches<br />

entweder wert wäre, öfter als nur zum<br />

Jubliäum gefeiert zu werden oder<br />

ohnehin in Ruhe gelassen werden soll-<br />

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- -<br />

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1<br />

J<br />

ch bin weder ein alter Nazi<br />

noch mißachte ich die Bedeutung<br />

der Geschehnisse im 38er<br />

Jahr. Aber die ewige Gedenk-<br />

Heuchelei finde ich<br />

- Pardon<br />

zum Erbrechen.<br />

Das<br />

-<br />

schlechte Gewissen nagte an<br />

der Seele des österreichischen Volkes<br />

und die braune Suppe kochte auch<br />

schon wieder, als endlich (?) das Jahr<br />

<strong>1988</strong> n. Chr. begann, ein besonderes<br />

Jahr, nämlich das 50. Jahr nach dem<br />

Anschluß Österreichs an das Deutsche<br />

Reich.<br />

Endlich bot sich die Gelegenheit,<br />

mit Hilfe eines reumütigen Gedenkjahres<br />

das Gewissen reinzuwaschen<br />

und die Bevölkerung vor der neobraunen<br />

Gefahr zu warnen. Tatsächlich<br />

wäre es viel wirkungsvoller<br />

gewesen, wenn es all die Jahre (wenn<br />

auch nicht so pompös) hindurch getan<br />

worden wäre, anstatt nur einmal<br />

und im politisch richtigen Moment<br />

wie eine Neujahrsrakete in den<br />

Himmel zu steigen.<br />

Kampf<br />

der ewigen<br />

Ge.<br />

denk-<br />

Heuchelei.<br />

I<br />

Aber was hift es uns, wenn wir<br />

jetzt wieder und alle 50 oder 100 Jahre<br />

danach immer wieder denselben<br />

braunen Brei aufwärmen? Soll das<br />

ein Schuldbekenntnis sein? Oder ein<br />

Mahnjahr? Wird jetzt jeder von uns<br />

ein ganzes Jahr lang versuchen, über<br />

die Vorgänge im 38er Jahr nachzudenken?<br />

Uber welche Vorgänge?<br />

Sind wir doch ehrlich: Was hat<br />

das Jahr 1938 schon groß damit zu<br />

tun?<br />

Der Beschluß zum Anschluß fiel<br />

doch schon viel früher. Die Hitler-<br />

Deutschland-Propaganda hatte<br />

schon jahrelang das österreichische<br />

Volk verseucht. Der Anschluß war<br />

keine Sache des Jahres 1938 allein.<br />

Das zu behaupten, ließe auf mangelnde<br />

Geschichtskenntnisse oder<br />

-beachtung schließen. Der ganze Sinn<br />

dieses Gedenkens geht dadurch verloren,<br />

daß man sich aus der Geschichte<br />

die Zeilen Jänner 1938 bis<br />

Dezember 1938 herausschneidet und<br />

den Abfall in den Papierkorb wirft.<br />

te. Sie tauchen für kurze Zeit aufaus<br />

dem Zeitsumpf, um dann nach Gebrauch<br />

wieder in den Schlick des<br />

Vergessens zu sinken.<br />

Nach diesem Muster soll eine Ilnzahl<br />

von Gedenkmomenten wie das<br />

Jahr des Kindes, das Haydn-Jahr,<br />

zahlreiche Feiertage, deren einziger<br />

Nutzen aus einem freien Tag mehr<br />

besteht, In-Memoriam-Sendungen,<br />

Heuchelansprachen und ähnliches<br />

wieder gutmachen und,/oder verdecken,<br />

was vor langer Zeit getan<br />

oder unterlassen wurde. Sie erinnern<br />

uns an große Künstler oder berühmte<br />

Persönlichkeiten, wie zum Beispiel<br />

Mozart, der sich sicher gefreut hätte,<br />

hätten ihn seine ,,Bewunderer" nicht<br />

nach einem kärglichen Leben in irgendeinem<br />

Massengrab enden lassen.<br />

Nein, Freunde. Mich braucht ihr<br />

nicht zu ehren. Wenn ich einmal den<br />

Löffel abgegeben habe, streut meine<br />

Asche in alle Winde und vergeßt<br />

mich<br />

I<br />

Tom<br />

<strong>merker</strong> 15

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