Junge Spätaussiedler/-innen im Spannungsfeld zwischen ... - IDA
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2. Theoretische Grundlagen der Auseinandersetzung mit Rassismus 42<br />
ben. In Verbindung mit dem gerade aufkommenden Sozialdarwinismus wurde mehr<br />
und mehr die Reinhaltung der ‚Rasse’ zu einem entscheidenden Faktor, da sonst angeblich<br />
Degeneration und Untergang der überlegenen ‚Rasse’ drohten (vgl. Memmi<br />
1987, 153 f.). Parallel dazu entwickelte sich ein neuer pseudowissenschaftlicher Diskurs<br />
um Antisemitismus.<br />
Als <strong>im</strong> 19. Jahrhundert Industrialisierung und Nationalismus zu best<strong>im</strong>menden Merkmalen<br />
der europäischen Gesellschaften wurden, wurde Rassismus nicht nur zur Legit<strong>im</strong>ation<br />
des Kolonialismus genutzt, sondern auch als Unterstützung für das Funktionieren<br />
kapitalistischer Produktionsweisen herangezogen, indem best<strong>im</strong>mten Gruppen <strong>im</strong><br />
ökonomischen System best<strong>im</strong>mte Positionen zugewiesen, sowie ‚Rasse’ und Nation in<br />
Zusammenhang gebracht und als zu verteidigende Einheit (Nationalstaat) deklariert<br />
wurden (vgl. Miles 1991, 147ff., Balibar & Wallerstein 1990, 114ff.). Im Nationalsozialismus<br />
fand der Rassismus in Verknüpfung mit dem Antisemitismus <strong>im</strong> Holocaust seinen<br />
entsetzlichen Höhepunkt.<br />
Häufig endet die Geschichte des Rassismus <strong>im</strong> Alltagsverständnis mit dem Ende des<br />
Zweiten Weltkrieges; das Nachkriegsdeutschland wird als entnazifizierter Neuanfang<br />
gedacht. Die jahrhundertealten Rassismen durchziehen und prägen jedoch weiterhin in<br />
vielfältiger Weise den Alltag in Deutschland. Während nach dem Untergang des ‚Dritten<br />
Reichs’ <strong>im</strong>merhin der Versuch einer Entnazifizierung innerhalb Deutschlands stattfand,<br />
gab es niemals auch nur den Ansatz einer Entkolonialisierung. So werden denn heutige<br />
(weltweite) Strukturen wie z.B. das Nord-Süd-Gefälle <strong>im</strong> Alltagsdenken nicht mit Rassismus<br />
in Verbindung gebracht. Ohne dies ausdrücklich rassistisch zu begründen, wird<br />
weiterhin (meist) ohne Bedenken von den Folgen der Kolonialisierung profitiert, ungeachtet<br />
der Tatsache, dass damit rassistische Strukturen fortgesetzt und reproduziert<br />
werden.<br />
Auch in den Begrifflichkeiten fand kein radikaler Bruch mit der Vergangenheit statt.<br />
Obwohl sich die UNESCO-Expertenkommission bereits 1950 in ihrem „Statement on<br />
Race“ vom Begriff der menschlichen ‚Rassen’ verabschiedete 44 , ihm jegliche wissenschaftliche<br />
Qualität absprach und empfahl, ihn nicht mehr zu verwenden (vgl. Leiprecht<br />
2001, 29 und Terkessidis 2004, 73 ff.), hat „die lange Geschichte rassistischer Theorien<br />
[…] ihre Spuren <strong>im</strong> Alltagsbewusstsein hinterlassen.“ (DGB-Bildungswerk Thüringen<br />
e.V. 2004, 195). Der ‚Rasse’-Begriff bleibt weiterhin <strong>im</strong> Alltags- und Wissenschaftsdiskurs<br />
verbreitet (z.B. in Formulierungen wie ‚Rassenunruhen’ oder ‚Mischling’),<br />
genauso wie rassistische Strukturen sowohl in den Köpfen und <strong>im</strong> Handeln von Individuen<br />
als auch in gesellschaftlich institutionalisierten Rassismen fortbestehen. Allerdings<br />
wird, anders als beispielsweise <strong>im</strong> englischsprachigen Raum, Rassismus häufig nicht als<br />
solcher benannt, sondern hinter Begriffen wie ‚Ausländerfeindlichkeit’ versteckt. Rassistische<br />
Theorien und Praxen, die nicht direkt biologische Argumentationen verwenden,<br />
44 „[…] ‚race’ is not so much a biological phenomenon as a social myth” (United Nations Educational, Scientific<br />
and Cultural Organisation 1950, 3).