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Ausgabe 4 | 2013 (PDF 7.5 MB) - LCH

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BILDUNG SCHWEIZ 4 I <strong>2013</strong> .....................................................<br />

QUERBEET<br />

25<br />

Frühe Wurzeln,<br />

späte Triebe<br />

Jürg Brühlmann, Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle<br />

<strong>LCH</strong>, riecht, hört, fühlt und schmeckt für uns im<br />

Garten der Bildung – querbeet.<br />

Empfindliche Pflanzen warten<br />

oft lange unter dem Boden,<br />

bis keine Fröste mehr drohen.<br />

Gute Gärtner halten diesen<br />

Spättreibern den Platz frei, weil<br />

sich da sonst allerhand anderes<br />

Grünzeug schon breitmacht.<br />

Der Lehrplan 21 ist eine dieser<br />

Pflanzen. Das Coming­out ist<br />

auf Ende Juni geplant. Da ist<br />

der längste Tag bereits vorbei.<br />

In den letzten Monaten häufen<br />

sich Einladungen von Lobbyisten,<br />

die Programmieren als<br />

Fach im Lehrplan 21 wollen.<br />

«Individuell! Fast<br />

jedes Kind hochbegabt!<br />

Heterogen!<br />

In noch grösseren<br />

Klassen! Mit noch<br />

tieferen Steuern! Mit<br />

nachhaltig stabilem<br />

Lohn! Mit 100% Lehrstellenerfolg<br />

& maximaler<br />

employability!<br />

Voll kompetitiv mit<br />

den Chinesen und<br />

Finnen!»<br />

Das Who is who der Promotoren<br />

geht querbeet von der<br />

Hasler Stiftung, economiesuisse<br />

und Avenir Suisse bis zum<br />

Gewerbeverband. Dieses wohlriechende<br />

PepperMINT treibt<br />

unterirdische Wurzeln so früh<br />

und überraschende Triebe so<br />

kräftig, dass PH­Rektoren, D­<br />

EDK, Volksschulämter, Informatikkoryphäen<br />

und auch der<br />

<strong>LCH</strong> in die ehrwürdigen Hallen<br />

der ETH am Zürichberg gepilgert<br />

sind. Zu sehen und hören<br />

gab es internationale Informatik­Prominenz<br />

aus den USA,<br />

England, Russland und der<br />

Schweiz. Nach dem Furioso eines<br />

englischen Reformturbos<br />

las ein staubtrockener exkommunistischer<br />

Moskauer<br />

Computeringenieur seine Botschaften<br />

vom Blatt ab. Der<br />

Amerikaner bedauerte ausserordentlich,<br />

dass in den Schulen<br />

immer weniger handwerklich<br />

gearbeitet werde. Sie haben<br />

richtig gelesen! Für den Roboterbau<br />

bauche es handwerkliches<br />

Können. Dann kam das<br />

Mantra für die frühe Auslese<br />

der besten Talente, auch wenn<br />

es gar nicht so viele Talente<br />

gibt und braucht, wie ETH­Bildungsprofessorin<br />

Elsbeth Stern<br />

richtigerweise bemerkte. Und<br />

sie ergänzte: Wenn wir viele<br />

Kinder für MINT gewinnen<br />

wollten, müsse ein Primarschulkind<br />

zum Beispiel überlegen<br />

dürfen, warum ein schweres<br />

Stahlschiff im Wasser nicht<br />

versinke. Später könne es dann<br />

auf diesem Wissen weiter aufbauen.<br />

«Ohne Informatik sind wir<br />

weg vom Fenster.» – «Mit Programmieren<br />

lernen wir denken.»<br />

Gut hört kein Lateinlehrer<br />

zu, denke ich und drifte<br />

dann ab, stelle mir innerlich<br />

bereits die Historiker und Freikirchen<br />

vor, welche als Nächste<br />

im 10­Minuten­Rhythmus ihre<br />

Anliegen vortragen könnten.<br />

Oder die Lobbyisten für Zahnprophylaxe,<br />

Social Media, bewegte<br />

Schule, Skilager, Griechisch<br />

(sorry, Altgriechisch),<br />

Frühchinesisch,<br />

Gewerbedeutsch,<br />

Geschichte, Technik &<br />

Design,<br />

Instrumentalunterricht<br />

oder financial literacy.<br />

Dann würde ich wie bei «Voice<br />

of Switzerland» den Knopf drücken<br />

und meine Sprüche dazugeben:<br />

«Geil, Sie haben noch<br />

Potential» oder «wow, mich<br />

Foto: Claudia Baumberger<br />

schudderet’s richtig» oder «o.k.,<br />

das wäre doch eine tolle Aufgabe<br />

für die Eltern».<br />

Unvermittelt werde ich wieder<br />

hellwach. Der Redner beginnt<br />

zu rechnen: 40000 CHF<br />

kostet ein Student an der ETH<br />

pro Jahr. Ein ECTS­Punkt =<br />

CHF 660.–. Wenn nun 5 Kreditpunkte<br />

freigeschaufelt und dieser<br />

Kompetenzerwerb an die<br />

Sek II und in die Volksschule<br />

delegiert werden könnte,<br />

brächte das der ETH CHF 100<br />

Mio.! Es sollen nur Bildungsinhalte<br />

verschoben werden, kein<br />

Geld, alles kostenneutral gespart.<br />

Kapiert? Auch nicht?<br />

Ich beginne nachzudenken:<br />

Warum fehlen denn der Industrie<br />

die Ingenieure? Warum<br />

konstruieren viele Mathematiker,<br />

Ingenieure und Physiker<br />

lieber spekulative Finanzprodukte<br />

bei Banken und Versicherungen<br />

als Maschinen und<br />

Steuerungen in der Industrie?<br />

Warum bieten so wenige Firmen<br />

Informatik­Lehrstellen<br />

an? Was war da in den 90ern<br />

nach der geplatzten Dotcom­<br />

Blase? Warum soll die Schweiz<br />

mehr MINT­Leute ausbilden<br />

als die EU? Wie werden in den<br />

nächsten zehn Jahren 30000<br />

Lehrpersonen durch gut ausgebildete<br />

neue Kolleginnen<br />

und Kollegen ersetzt?<br />

Hey Mann! Mit deinen MINT­<br />

Kenntnissen wärst du auch bei<br />

uns gefragt. Du kannst in unseren<br />

Schulen vielseitigste und<br />

maximale Erwartungen von<br />

unterschiedlichsten Auftraggebern<br />

erfüllen, die Latte liegt<br />

wirklich hoch, der Kick ist ultimativ,<br />

das Adrenalin kann<br />

fliessen: Individuell! Fast jedes<br />

Kind hochbegabt! Heterogen!<br />

Voll multikulti & alles inklusive!<br />

In noch grösseren Klassen!<br />

Mit noch tieferen Steuern!<br />

Mit nachhaltig stabilem Lohn!<br />

Mit 100% Lehrstellenerfolg &<br />

maximaler employability! Voll<br />

kompetitiv mit den Chinesen<br />

und Finnen! Gesicherte Qualität<br />

durch Tests! MAB & Leistungslohn!<br />

Und Mann ;­) Bei<br />

uns kannst Du überdurchschnittlich<br />

viele nette Kolleginnen<br />

kennen lernen. Sorry Frau,<br />

ich weiss...<br />

PS @Freaks: Roboter werden ab<br />

2030 Wörtli abfragen, mathematische<br />

Zusammenhänge erklären,<br />

Geschichten vorlesen,<br />

Texte korrigieren und vielleicht<br />

sogar Kinder trösten.<br />

Auch das habe ich von einem<br />

ETH­Wissenschaftler gelernt.<br />

PPS @Männer: Im Staat South<br />

Dakota, Midwest­USA, werden<br />

Hauswarte und Lehrpersonen<br />

mit Schusswaffen ausgerüstet.<br />

Wir hier bleiben auch in heissen<br />

Situationen cool!<br />

Weiter im Netz<br />

www.educ.ethz.ch/mint, www.abz.inf.ethz.ch<br />

Jürg Brühlmann

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