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Titelthema<br />
www.linux-magazin.de Nokia 05/2011<br />
34<br />
punkt. Aus der zu Recht enttäuschten<br />
Maemo-Community werden Rufe laut<br />
nach einer eigenen Distribution für <strong>Linux</strong>-Smartphones.<br />
„Debian Mobile“ lautet<br />
das Stichwort, man wolle eine „ideologisch<br />
geprägte“, offene, freie Plattform<br />
bauen, die Usern, Programmierern und<br />
Herstellern alle Freiheiten lasse.<br />
Die Vorstellung klingt gut, doch für ihre<br />
Umsetzung braucht es vor allem eines:<br />
Hersteller, die bereit sind sich dauerhaft<br />
auf diese Vision einzulassen. Nokia ist<br />
dieser Hersteller nicht (mehr). n<br />
<strong>In</strong>fos<br />
[1] Canalys-Analyse: [http:// www. canalys.<br />
com/ pr/ 2011/ r2011013. html]<br />
[2] Heinz-M. Graesing, Oleksandr Shneyder,<br />
Markus Feilner, „Smarter than a phone“:<br />
<strong>Linux</strong>-<strong>Magazin</strong> 02/ 10, S. 82<br />
[3] Bohrinsel-Memo: [http:// www. engadget.<br />
com/ 2011/ 02/ 08/ nokia-ceo-stephen-elop<br />
-rallies-troops-in-brutally-honest-burnin/]<br />
[4] Elop in Barcelona: [http:// nokia-news.<br />
com/ stephen-elop-talks-to-the-press-at<br />
-mobile-world-congress-in-barcelona/]<br />
[5] Microsoft mobil: [http:// www. asymco.<br />
com/ 2011/ 02/ 11/ in-memoriam-microsofts<br />
-previous-strategic-mobile-partners/]<br />
[6] Meego works: [http://blog.mardy.<br />
it/2011/02/committed-to-linux.html]<br />
[7] Digias Gewinnwarnung:<br />
[http:// qfx. quartalflife. com/ Clients/<br />
fi/ digia/ rss/ newsentry. aspx?<br />
id=1002073605& culture=en-EN]<br />
[8] Nokias Jahresbericht bei der SEC: [http://<br />
www. sec. gov/ Archives/ edgar/ data/ 924613/<br />
000095012311024458/ u10545e20vf. htm]<br />
Kommentar: Finnland – ein Grenzfall<br />
Nils Torvalds ist schwedischfinnischer<br />
Journalist und<br />
sitzt seit 2008 für die<br />
Partei der schwedischen<br />
Minderheit im Stadtrat von<br />
Helsinki.<br />
Kommunikation und <strong>In</strong>teraktion. Wir Finnen<br />
sind – sanft ausgedrückt – nicht gerade eine<br />
sehr kommunikative Art. Schon Bert Brecht hat<br />
das am Bahnhof Helsinki bemerkt: „Die Finnen<br />
schweigen zweisprachig.“<br />
Ein Schaufenster voller Möglichkeiten<br />
Dieses Land preschte voran in die frühe IT-Revolution.<br />
Wie das passieren konnte, weiß heute<br />
keiner mehr so recht. Aber plötzlich schien der<br />
Himmel aufzureißen und der heilige Gral des<br />
Programmierens fiel in die Hände von ein paar<br />
unkommunikativen Jungs, denen die ohnehin<br />
völlig überbewertete Fähigkeit fehlte, zwischen<br />
Spielen und Lernen zu unterscheiden. Genauso<br />
egal war ihnen die Differenzierung zwischen<br />
proprietärem Code und intuitiven Befunden.<br />
Genau von diesem IT-Reich der Freiheit konnte<br />
Nokia am meisten profitieren.<br />
Online PLUS<br />
Den kompletten Kommentar von<br />
Nils Torvalds im englischen Original<br />
finden sie unter dieser URL: [http:// www.<br />
linux-magazin. de/ plus/ 2011/ 05]<br />
Historisch betrachtet liegt Finnland am Rande<br />
der so genannten zivilisierten Welt. Schon die<br />
Bibel erreichte das Land erst 1548 – zumindest<br />
in der finnischen Übersetzung. Bis 1808 waren<br />
wir ein Teil Schwedens, bis 1917 gehörten wir zu<br />
Russland. Das führte beispielsweise dazu, dass<br />
Finnisch erst Mitte des 19. Jahrhunderts eine<br />
Kultursprache wurde. Nationen in solchen Randlagen<br />
tendieren dazu, vermeintliche Abkürzungen<br />
zum Erfolg zu suchen, und in unserem Falle<br />
hat das auch seltsamerweise geklappt. Schon<br />
im russischen Reich war Finnland eine der technologisch<br />
führenden Regionen.<br />
1880 begründeten erst Nokias Papierfabrik,<br />
wenig später die legendären Gummistiefel aus<br />
dem gleichen Hause den Ruhm der Marke (Abbildung<br />
3). Die wasserfesten Stiefel entwickelten<br />
sich zum nationalen Symbol: Wer aus einer<br />
Firma rausfliegt, „erhält den Nokia-Abdruck“.<br />
Mit dem Bemühen jedoch, eine Weltfirma zu<br />
werden, hat sich die Nokia meiner Jugend, die<br />
für Gummistiefel, Toilettenpapier und Kabel<br />
stand, von ihrer glorreichen Vergangenheit<br />
„weginvestiert“.<br />
Woher kam der Erfolg?<br />
Der kometenhafte internationale Aufstieg hat<br />
verschiedene Gründe. Gute Führungsarbeit war<br />
einer davon, Nokias Mobilfunkstandard NMT ein<br />
anderer. Das meiste war allerdings purer Zufall.<br />
Über Jahrhunderte hatte Finnland einen<br />
kulturhistorisch hochinteressanten Mix aus<br />
Vor- und Nachteilen unter einen Hut gebracht.<br />
Ganz vorne findet sich da ein Bildungssystem<br />
als Basis für hervorragende soziale Aufstiegsmöglichkeiten.<br />
Dem gegenüber steht ein weites, dünn besiedeltes<br />
Land mit wenig Gelegenheit für direkte<br />
Die Fenster schließen sich<br />
© Ralf Roletschek, Wikipedia, CC<br />
Abbildung 3: Nokias Produkte, darunter auch Reifen<br />
und Gummistiefel, sind eine finnische <strong>In</strong>stitution.<br />
Aber wer dereinst im Jahr 2050 auf die dümmsten<br />
Vorgänge des späten 20. und frühen 21.<br />
Jahrhunderts zurückblickt, wird sicher die habgierige<br />
Erweiterung des Copyrights als einen<br />
solchen erkennen: Diese Entscheidungen hatten<br />
überhaupt nichts mit Erfindungen, kulturellen<br />
Prozessen oder <strong>In</strong>novationen zu tun.<br />
Im Falle der USA war das Hauptanliegen des<br />
Copyright Term Extension Act von 1995 vielmehr,<br />
die „ökonomischen Erträge (…) aus der<br />
Ausbeutung geschützter Werke“ zu maximieren.<br />
Der freie Fluss der <strong>In</strong>formationen wurde so<br />
Schritt für Schritt eingedämmt, es entstanden<br />
Programmierplattformen als <strong>In</strong>seln im digitalen<br />
Ozean. Für Mobiltelefone sind da jetzt nur noch<br />
vier übrig: Symbian, Android, Windows Phone/<br />
Mobile und Apples I-OS.<br />
Nokia musste – nicht ohne Grund – sich immer<br />
wieder vorwerfen lassen, eine Firma von und für<br />
<strong>In</strong>genieure zu sein. Die Produkte, Programme<br />
und Lösungen, die der Konzern schuf, waren<br />
meist von einem technologischen Standpunkt<br />
aus unschlagbar. Doch die Gerüchte in Helsinki<br />
wurden immer lauter: „Nokia hat die Vorzeichen<br />
des kulturellen Wandels nicht gesehen.“ Als<br />
Erster hatte man den Touchscreen im Produktportfolio,<br />
aber die <strong>In</strong>genieure hielten ihn wohl<br />
nicht für so bahnbrechend, als dass sie bereit<br />
gewesen wären, damit den eigenen Markt zu<br />
untergraben. Doch damit erzeugten sie erst den<br />
Tsunami, der jetzt die eigene, lange erfolgreich<br />
den Fluten trotzende Symbian-<strong>In</strong>sel wegspült.<br />
Die Konsequenzen für Finnland<br />
<strong>In</strong> der angenehmen Phase der Nokia-Ära blühte<br />
in Finnland eine reichliche Anzahl von Softwarefirmen.<br />
All die Nerds von den 80er Jahren<br />
bis heute konnten ihrer Kreativität freien Lauf<br />
lassen, und Nokia fand Anwendungsfälle dafür.<br />
Die exakte Zahl der direkt oder indirekt für<br />
Nokia Beschäftigten zu ermitteln, ist nicht so<br />
einfach, aber allein der Anteil des Konzerns an<br />
Finnlands Forschung und Entwicklung liegt bei<br />
etwa 20 Prozent. Diese Quote zu halten scheint<br />
unmöglich. Zwar sind drei <strong>In</strong>seln übrig, doch die<br />
Android-Landmasse scheint mit der jüngsten<br />
Entscheidung für lange Zeit hinter dem finnischen<br />
Horizont verschwunden.