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Weiterentwicklung - Bauverlag

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O b j e k t e<br />

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A n b a u<br />

<strong>Weiterentwicklung</strong><br />

Erweiterung einer Holländerwindmühle in Cottbus-Sielow<br />

Für die romantische alte Holländerwindmühle im Cottbuser Stadtteil Sielow hatte es nach der Wende<br />

zahlreiche Interessenten gegeben. Keiner hatte es jedoch geschafft, seine Wohnträume in die Realität<br />

umzusetzen, was in diesem Falle hieß, die unversehrte, unter Denkmalschutz stehende Mühlentechnik<br />

zu erhalten. Erst im 2001 präsentierten die jungen Architekten Christian Keller und Uwe Wittig ein<br />

bis ins Detail stimmiges Erweiterungskonzept, das einen stilvollen Neubau scheinbar selbstverständlich<br />

mit den drei Backsteingebäuden zu einer neuen Einheit verwachsen ließ.<br />

Bilder oben: Unter Denkmalschutz<br />

– die originale,<br />

vollständig erhaltene Mühlentechnik<br />

macht das Ensemble<br />

zum wertvollen Technikdenkmal<br />

Großes Bild auf gegenüberliegender<br />

Seite: Das neue Mühlenensemble<br />

mit gerade fertig<br />

gestelltem Holzanbau (Foto:<br />

Erik-Jan Ouwerkerk)<br />

Schwierige Aufgabe: Die<br />

Erweiterung der Holländerwindmühle<br />

in Cottbus-Sielow<br />

– hier vor Beginn der Bauarbeiten<br />

– erwies sich für die<br />

zahlreichen Interessenten als<br />

viel zu komplex<br />

Collin Klostermeier,<br />

Münster/Westfalen<br />

Fotos (5): Keller + Wittig Architekten<br />

Die Holländerwindmühle<br />

am Rande des Dorfes Sielow,<br />

das erst seit kurzem zur Stadt<br />

Cottbus gehört, wurde 1848<br />

als viergeschossiger Mühlenturm<br />

aus Backstein errichtet.<br />

Mühlenflügel trieben seinerzeit<br />

das Mahlwerk im inneren<br />

des Gebäudes an, bis die<br />

Anlage 1914 auf Motorbetrieb<br />

umgerüstet wurde. Zu diesem<br />

Zweck entstand damals ein<br />

technischer Anbau mit Satteldach,<br />

ebenfalls aus Backstein,<br />

der fortan den Motorantrieb<br />

beherbergte. Die charakteristischen<br />

Flügel verschwanden.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

entstand – etwas abgesetzt –<br />

ein weiterer Backstein-Anbau<br />

mit Satteldach als Lagerhaus.<br />

Der letzte Müller stellte sein<br />

Gewerbe 1970 ein, pflegte insbesondere<br />

die Mühlentechnik<br />

aber auch nach der Stilllegung<br />

noch mit großer Sorgfalt – sicher<br />

einer der Gründe für den<br />

hervorragenden Erhaltungszustand<br />

der technischen Einbauten,<br />

was für den Eintrag<br />

als „Denkmal der Technik“<br />

in die Denkmalliste der Stadt<br />

Cottbus von entscheidender<br />

Bedeutung war. Bewohnt<br />

worden war das dreiteilige<br />

Ensemble zu keiner Zeit. Der<br />

Müller hatte seine Wohnung<br />

stets auf dem südlich gelegenen<br />

Müllerhof gehabt.<br />

Umnutzung?<br />

Nach der Wende gab es zahlreiche<br />

Interessenten, die in<br />

dem verwitterten Mühlenturm<br />

nur allzu gerne ihren<br />

romantischen Traum vom<br />

Wohnen in der Windmühle<br />

verwirklicht hätten. Sie scheiterten<br />

allesamt an der Tatsache,<br />

dass die Backsteinmühle<br />

aufgrund ihres unter Schutz<br />

stehenden Innenlebens eben<br />

nicht zu Wohnzwecken umgenutzt<br />

werden konnte. Die<br />

Möglichkeit, zu Wohnzwecken<br />

einen weiteren Anbau<br />

hinzuzufügen, wurde über<br />

die Errichtung eines handelsüblichen<br />

Einfamilienhauses<br />

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Fotos (2): Erik-Jan Ouwerkerk<br />

Alt und neu: Die Qualität des<br />

Anbaus definiert sich in der<br />

Kombination von Eingliederung<br />

und Eigenständigkeit.<br />

Respekt wird der denkmalgeschützten<br />

Mühle auch durch<br />

die Anordnung der Fenster<br />

erwiesen: Der Neubau inszeniert<br />

sein Gegenüber mit fantastischen<br />

Ausblicken auf das<br />

alte Backsteingemäuer<br />

auf dem Mühlengelände hinaus<br />

nicht konsequent weiterentwickelt<br />

und erhielt ebenso<br />

konsequent auch keine Genehmigung<br />

durch die Bauund<br />

Denkmalbehörden.<br />

<strong>Weiterentwicklung</strong><br />

Es bedurfte schon einer intensiven<br />

Auseinandersetzung mit<br />

dem Bestand und zugleich ein<br />

tieferes Verständnis für den<br />

Stellenwert eines Denkmals<br />

und die Verschmelzung von<br />

alter und neuer Bausubstanz,<br />

um für die Sielower<br />

Windmühle eine genehmigungsfähige,<br />

vor allem aber<br />

auch wirklich qualitätvolle<br />

Erweiterungsmöglichkeit zu<br />

finden. Ein Bauherr, der diese<br />

Anforderungen erfüllte, fand<br />

sich in Leo Schmidt, dem<br />

Vorsitzenden des Landesdenkmalamtes<br />

und zugleich<br />

Professor für Denkmalpflege.<br />

Dieser beauftragte Christian<br />

Keller und Uwe Wittig mit<br />

der Erweiterungsplanung.<br />

Diese hatten das Mühlenensemble<br />

zuvor bereits aufgemessen.<br />

Zudem waren sie<br />

maßgeblich an einem studentischen<br />

Ideenwettbewerb<br />

zur baulichen Ergänzung<br />

der Mühle beteiligt, der seinerzeit<br />

die ganze Bandbreite<br />

möglicher und unmöglicher<br />

Lösungsansätze zum Ergebnis<br />

gehabt hatte.<br />

Mit diesen „Vorkenntnissen“<br />

im Hinterkopf machten sich<br />

die Architekten an den endgültigen<br />

Entwurf – übrigens<br />

das erste gemeinsame Haus<br />

und zudem die Inspiration<br />

zur Gründung des Büros Keller<br />

+ Wittig Architekten.<br />

Am Ende langer Überlegungen,<br />

die der Bauherr im<br />

Sinne eines erstklassigen Ergebnisses<br />

nicht durch ambitionierte<br />

Zeitpläne erschwerte,<br />

stand ein neuer Anbau, der<br />

die Grundform seiner beiden<br />

Vorgänger samt Satteldach<br />

und fehlendem Dachüberstand<br />

aufnimmt. Gleichzeitig<br />

grenzt sich der „Neuling“<br />

jedoch durch die frei gesetzten,<br />

scheinbar in die Fassade<br />

gestanzten Fenster und die<br />

senkrechte Schalung aus gehobelten<br />

Lärchenholzlatten,<br />

die wie aus einem Guss Dach<br />

und Fassade überspannen,<br />

ebenso souverän wie unaufdringlich<br />

vom Bestand ab.<br />

Die Verbindung zwischen<br />

Alt und Neu übernimmt eine<br />

eingeschossige, rundum verglaste<br />

Erschließungshalle mit<br />

Flachdach, die über schmale,<br />

blechverkleidete Schleusen<br />

mit den beiden Backstein-Anbauten<br />

der Mühle verbunden<br />

wurde. Eine sensible Erweiterung,<br />

die das Mühlenensemble<br />

mit großer Souveränität<br />

fortschreibt und bereichert,<br />

ästhetisch wie funktional:<br />

Der Neubau übernimmt die<br />

frühere Funktion des Müllerhofes<br />

und dient zu Wohnzwecken,<br />

während im ehemaligen<br />

Lagerhaus Arbeits- und<br />

Schlafräume und im Technikhaus<br />

eine Bibliothek entstanden<br />

ist. Der Mühlenturm<br />

selbst blieb – für die Denkmalpflege<br />

obligatorisch, für den<br />

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Fotos (4): Keller + Wittig Architekten<br />

Dank vorgefertigter, großformatiger<br />

Dickholzelemente<br />

war der Rohbau schnell<br />

aufgestellt. Die Verkleidung<br />

der Fassade mit senkrecht angeordneten<br />

Lärchenholzlatten<br />

erledigte – wie alle anderen<br />

Arbeiten – ein Betrieb aus der<br />

Region<br />

Hochwertig: Die teilweise<br />

sehr anspruchsvollen Blecharbeiten<br />

für den Anschluss<br />

der Dachfenster erforderten<br />

versierte Handwerker<br />

Bauherrn und die Architekten<br />

hingegen selbstverständlich –<br />

unangetastet und dient heute<br />

mit seiner hervorragend erhaltenen<br />

Technikausstattung<br />

als Mühlenmuseum. Eine<br />

Umnutzung im klassischen<br />

Sinne fand hier nicht statt.<br />

Neuer Anbau aus<br />

„neuen“ Materialien<br />

Durften die Handwerker die<br />

Sohlplatte wegen des hohen<br />

Foto: Velux<br />

Grundwasserspiegels noch<br />

– wie in der Region üblich<br />

– schwimmend auf den märkischen<br />

Sand betonieren, so<br />

begann schon beim Rohbau<br />

die Arbeit mit neuen, hier<br />

bislang nahezu völlig unbekannten<br />

Baustoffen: Die gesamte<br />

Tragkonstruktion des<br />

Hauses, also Wände, Decken<br />

und Dachplatten, bestehen<br />

aus so genannten Dickholzelementen.<br />

Diese massiven<br />

Holzplatten werden im Herstellerwerk<br />

maßgenau vorgefertigt,<br />

erfüllen für die frei<br />

gesetzten Fensterausschnitte<br />

die statischen Anforderungen<br />

und bieten zudem eine große<br />

Speichermasse für die geplante<br />

Wandflächenheizung.<br />

„Mit den Massivholzplatten<br />

und der Wandflächenheizung<br />

haben wir die lokalen<br />

Handwerker richtig gefordert“,<br />

erinnert sich Bauleiter<br />

Uwe Wittig, der bei diesem<br />

Projekt ausschließlich mit<br />

Handwerkern aus der Region<br />

arbeitete. Trotz anfänglicher<br />

Skepsis setzten diese sich engagiert<br />

mit den für sie neuen<br />

Materialien und Entwurfsideen<br />

auseinander und lieferten<br />

prompt alle gute Arbeit ab.<br />

So war der Rohbau in nur drei<br />

Tagen komplett aufgerichtet,<br />

und auch die Dämmung von<br />

Fassade und Dach (12 cm bzw.<br />

16 cm Mineralwolle) ging<br />

schnell von der Hand.<br />

Abdichtung und Verkleidung<br />

Fassade und Dach des Hauses<br />

wurden von den Architekten<br />

gestalterisch wie konstruktiv<br />

als Einheit betrachtet. Dies<br />

galt nicht nur für den Rohbau,<br />

sondern auch für die folgende<br />

Abdichtung: Der Dachdecker<br />

musste also nicht nur die<br />

Dachflächen, sondern auch<br />

sämtliche Fassaden mit einer<br />

PVC-P-Kunststoffdachbahn<br />

versehen. Damit war das Haus<br />

dicht – die Pflicht war erledigt,<br />

die Kür konnte beginnen: Die<br />

Tischler montierten nun 4,8<br />

km gehobelte Lärchenholzlatten,<br />

die sie als senkrechte<br />

Verkleidung auf Abstand auf<br />

die zuvor angebrachte Lattung<br />

schraubten. Dieses „Lattenkleid“<br />

wurde wiederum über<br />

das gesamte Haus – Fassade<br />

und Dach – gestülpt. Der<br />

Effekt: Das Haus wird zur<br />

Skulptur – ein Eindruck, den<br />

die tief in der Fassade liegenden,<br />

frei gesetzten Fenster<br />

noch unterstützen. Die Lärchenverkleidung<br />

hat zudem<br />

auch bauphysikalische Vorteile:<br />

„Die Latten bieten Hinterlüftung<br />

und Verschattung“,<br />

erklärt Uwe Wittig, „wodurch<br />

der bei vorgehängten Fassaden<br />

sonst übliche Wärmestau<br />

vermieden wurde.“ Weiterhin<br />

wird das Lärchenholz in wenigen<br />

Jahren die typische graue<br />

Patina aufweisen und sich so<br />

auch farblich in das bestehende<br />

Mühlenensemble einordnen.<br />

Die Verschattung der<br />

Öffnungen erreichten die Architekten<br />

mit weißen Schiebeund<br />

Hebeläden aus Holz, die<br />

bei Bedarf in Taschen in der<br />

Dämmebene verschwinden<br />

können. Eine minimalistische<br />

Lösung und zugleich eine<br />

erstklassige Tischlerarbeit, die<br />

der schlichten Lärchenhülle<br />

ebenbürtig ist.<br />

Innenräume<br />

Im Inneren erhielt das Haus<br />

einen flexiblen Grundriss und<br />

wurde mit edlen Materialien<br />

und individuellen Lösungen<br />

ausgebaut. Der Tischler fertigte<br />

die Innentüren ebenso<br />

auf Maß und nach Wunsch<br />

der Bauherren an wie der<br />

Schlosser die Fenster- und<br />

Türbeschläge.<br />

Im Obergeschoss, wo Bad<br />

und Schlafräume angeordnet<br />

sind, sorgen flexible Trockenbauwände<br />

für problemlose<br />

Grundrissänderungen in der<br />

Zukunft – ein Konzept, das<br />

Foto: Erik-Jan Ouwerkerk<br />

Eingehüllt: Sämtliche Bauteile,<br />

welche die homogene<br />

Lärchenholzhülle gestört hätten,<br />

verschwanden hinter den<br />

Latten – so auch die Dachrinnen<br />

und die Fallrohre<br />

Die Fassadenöffnungen<br />

werden bei Bedarf mit individuell<br />

gefertigten Hebe- oder<br />

Schiebeläden geschlossen<br />

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Fotos (4): Keller + Wittig Architekten<br />

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Foto: Eric-Jan Ouwerkerk<br />

Die in tiefen Leibungen positionierten<br />

Fenster lassen den<br />

neuen Anbau im Zusammenspiel<br />

mit der Lärchenholzhülle<br />

wie eine Skulptur<br />

erscheinen<br />

sich schon jetzt als überaus<br />

funktional herausgestellt hat,<br />

da das Bauherrenehepaar<br />

mittlerweile zwei Kinder hat.<br />

Da trifft es sich gut, dass mittlerweile<br />

auch die Räume im<br />

ehemaligen Lagerhaus ausgebaut<br />

sind und für Nutzungserweiterungen<br />

zur Verfügung<br />

stehen.<br />

Fazit<br />

Die Erweiterung der Sielower<br />

Mühle hat sich längst als Bereicherung<br />

erwiesen, die das<br />

denkmalgeschützte Ensemble<br />

aufwertet, anstatt es – wie vielleicht<br />

befürchtet – zu belasten.<br />

Die Entscheidung der Architekten,<br />

formal und konstruktiv<br />

neue Wege zu beschreiten, hat<br />

der Anlage zu eine <strong>Weiterentwicklung</strong><br />

verholfen, oder wie<br />

die Architekten es ausdrücken:<br />

„Ein Bauwerk zu pflegen bedeutet<br />

gleichsam, einer überlieferten<br />

Geschichte einige<br />

Zeilen hinzuzufügen.“<br />

Baubeteiligte<br />

Planung und Bauleitung:<br />

Keller + Wittig Architekten,<br />

Cottbus<br />

Mitarbeit: Isabel Mayer<br />

Tragwerksplanung:<br />

Professor Pfeifer und Partner,<br />

Ingenieurbüro für Tragwerksplanung,<br />

Cottbus<br />

Zimmerarbeiten (Rohbau),<br />

Fensterbau- und Treppenbauarbeiten:<br />

Tischlerei und Zimmerei<br />

John Thomas Gray, Burg<br />

Lärchenholzverkleidung:<br />

Tischlerei Kobelt GbR,<br />

Cottbus-Sielow<br />

Dach- und Fassadenabdichtung,<br />

Klempnerarbeiten:<br />

Dachdecker Axel Bielagk,<br />

Vetschau<br />

Stahlbauarbeiten:<br />

Klaus-Peter Jakubik – Metallbau<br />

und Sandstrahlen, Burg<br />

Gerüstbauarbeiten:<br />

Brasausky Industrieservice<br />

und Gerüstbau GmbH,<br />

Krieschow<br />

Innentüren:<br />

Bautischlerei Kai Kossatz,<br />

Schadow<br />

Herstellerindex (Auswahl)<br />

Dickholzelemente:<br />

Merk-Dickholz, Aichach,<br />

www.finnforest.com<br />

Dachflächenfenster:<br />

Velux Deutschland,<br />

Hamburg, www.velux.de<br />

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