Begriffskarrieren: Subjekt und Geschlecht - Berliner Institut für ...
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Philosophie 929<br />
Bolz, Norbert, <strong>und</strong> Willem van Reijen: Walter Benjamin. (Reihe Campus Einführungen<br />
Bd.1042). Campus Verlag, Frankfurt/M. 1991 (148 S., br., 17,80 DM)<br />
Angesichts einer nicht mehr überschaubaren Literatur über Benjamin interessiert<br />
der vorliegende Versuch, in »die wichtigsten Themenkomplexe« (12) seines Denken<br />
einzuführen. Es sind dies Theologie, Sprachphilosophie, Geschichtsdenken, Analyse<br />
der Phantasmagorien der »bürgerlichen Welt« (konzentriert um den Allegorie<br />
Begriff) , anthropologischer Materialismus, Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Medientheorie,<br />
eingerahmt durch je ein Kapitel zu Benjamins Darstellungsformen (insbesondere<br />
Kritik <strong>und</strong> Kommentar) <strong>und</strong> zu seiner Sprachphilosophie im »aktuellen Kontext« von<br />
Habermas, Rorty <strong>und</strong> Lyotard. Ein bei einer Einführung zu erwartender bio-bibliographischer<br />
Abriß fehlt.<br />
Bolz/van Reijen bezeichnen Benjamins »historischen Materialismus« als »inverse<br />
Theologie« (Kap. 2, 3Iff.). Der jugendbewegte Benjamin kann seine »metaphysischen<br />
Intentionen« noch »ungeschützt« aussprechen (32), doch »Aug' in Aug' mit<br />
dem Faschismus wird Theologie zur Inversion gezwungen« (35), nicht um sie zu<br />
»überwinden«, sondern um »ihrer Rettung willen« (31). Denn »unverhüllt« ist sie<br />
nicht am Leben zu erhalten. Ihr »weltliches Inkognito« (ebd.) findet sie bei Benjamin<br />
im Marxismus. Aus der Umkehrung wird also umstandslos Verhüllung. Diese läßt<br />
das Verhüllte unversehrt. Der »Umschmelzungsprozeß«, den Benjamins metaphysisches<br />
Denken im Laufe der Passagen-Arbeit nach seiner eigenen Einschätzung hat<br />
durchmachen müssen (Briefe 659 u. 664; zit. 34), wird rückgängig gemacht. Die<br />
behauptete Inversion wird zur Reversion: »(D)ie Erfahrungen des Historikers in<br />
Metaphysik umzuprägen«, das sei die »Aufgabe der Theologie« bei Benjamin (36).<br />
Warum sollte dies angesichts des Faschismus nötig gewesen sein? Noch dazu in<br />
marxistischer Verhüllung? Erwies sich nicht gerade die ganz unverhüllte »Negative<br />
Theologie«, von der die Autoren Benjamin andeutungsweise abgrenzen (31), gegen<br />
den NS als resistent? Die Idee der Inversion theologischer Begriffe, ihrer Umfunktionierung<br />
im historisch-materialistischen Kontext ist <strong>für</strong> das Verständnis Benjamins<br />
durchaus fruchtbar, wenn man sie ernst nimmt. Bolz/van Reijen tendieren aber<br />
dazu, sie ins unmittelbar Theologische zurückzuübersetzen, z.B.: »Es geht im Eingedenken<br />
um historische Erfahrungen, deren Maßstab nicht das Gedächtnis des einzelnen,<br />
sondern "ein Gedenken Gottes' (GS IV 10) ist.« (39) Wollte Benjamin die<br />
»destruktiven Kräfte entbinden, welche im Erlösungsgedanken liegen« (GS I 1246)<br />
- ihn also <strong>für</strong> eine Politik der Befreiung theoretisch fruchtbar machen -, so spielen<br />
Bolz/van Reijen »Befreiung« <strong>und</strong> »Erlösung« gegeneinander aus (38).<br />
Damit korrespondiert ein verbaler Revolutionarismus. Die Häufigkeit der Rede<br />
vom »Kollektiv« ist proportional zum Desinteresse an ihm, was insbesondere die folgenden<br />
Passagen zu Benjamins Begriff der »Masse« (95ff.) deutlich machen: »Die<br />
vom Fetisch individueller Freiheit verhexte Masse muß untergehen, um das Menschengesicht<br />
des Kollektivs erscheinen zu lassen. Die Masse heute kann nur diszipliniert<br />
die individuelle Freiheit negieren, um der wahren Freiheit Platz zu schaffen.«<br />
(97) Ganz anders Benjamin, dessen kritische Differenzierung von Masse <strong>und</strong> Klasse<br />
(»kompakte« vs. »aufgelockerte Masse«) von einem emphatischen Begriff des Individuums<br />
(vs. atomisiertes bürgerliches <strong>Subjekt</strong>) her erfolgt (vgl. VII 370).<br />
Die Metaphysik-These hätte von den Autoren diskutabel gemacht werden können,<br />
wenn eine Klärung des Regriff