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Begriffskarrieren: Subjekt und Geschlecht - Berliner Institut für ...

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938 Besprechungen<br />

inzwischen festgezogenen Machtnetzes, das durch die Wiederkehr der Moral in die<br />

Literatur ... einzureißen droht« (46). Ähnlich, jedoch mit Blick auf Autoren aus<br />

beiden Teilen Deutschlands, bewertet Jochen Vogt die Absichten vor allem Schirrmachers:<br />

»Vorgebeugt werden soll hier der Möglichkeit, daß einer gesamtdeutschen<br />

Literatur nach dieser zweiten 'St<strong>und</strong>e Null' eine ähnliche Rolle zufallen könnte, wie<br />

sie die kritisch-systemtreue Literatur in der DDR <strong>und</strong> die westdeutschen Nonkonformisten<br />

unter sehr verschiedenen Bedingungen, aber beide beim Ausfall bzw. der<br />

relativen Schwäche von politischer Opposition <strong>und</strong> kritischer Öffentlichkeit gespielt<br />

haben.« (62)<br />

Findet sich in den Argumentationen Bogdals <strong>und</strong> Vogts streckenweise noch jenes<br />

'krisensichere' linksintellektuelle Selbstverständnis, von dem aus schon während der<br />

Debatte des Jahres 1990 die Attacken westdeutscher Kritiker pariert wurden, so stellt<br />

sich der Aufsatz des in den USA lehrenden Germanisten Andreas Huyssen bewußt<br />

zwischen oder besser: neben die Fronten. »Den Versuch einer globalen Abwicklung<br />

der Literatur der DDR <strong>und</strong> der BRD« hält er »<strong>für</strong> ebenso hanebüchen wie die zumeist<br />

hysterischen Reaktionen seitens der Verteidiger von Christa Wolf, die die Notwendigkeit<br />

einer Debatte schlichtweg ableugneten« (79). Huyssen schätzt diese Debatte als<br />

eine weitere Etappe in jener »Krise der deutschen Intellektuellen« (ebd.) ein, deren<br />

bisherige Stationen die Auseinandersetzungen über die Historisierung des NS, die<br />

nationale Vereinigung <strong>und</strong> den Golfkrieg markierten <strong>und</strong> die sich in einer »Rhetorik<br />

der Selbstgerechtigkeit« <strong>und</strong> gegenseitigen »Schuldzuweisungen« (78) niederschlage.<br />

Ein »sozialliberaler, linker Konsensus« sei »ins Rutschen geraten« (ebd.). Die<br />

Schwierigkeiten aller beteiligten Intellektuellen, sich in einer heterogenen Gesellschaft<br />

zu verorten, habe eine politische Analyse verhindert (vgl. 79, 81). Selbst wo<br />

Bohrer eine solche anstrebt, um <strong>für</strong> eine strikte Trennung von Ästhetik <strong>und</strong> Politik<br />

einzutreten, erweist sich <strong>für</strong> Huyssen das Vorhaben als »Täuschungsmanöver« (92),<br />

das das eigentliche Programm »Ästhetik als Politik-Ersatz« (93) nur zu verdecken<br />

suche. Alles in allem habe der Literaturstreit in der Reflexion darüber, »wie die<br />

beiden deutschen Nachkriegsliteraturen die Problematik des Nationalen um- oder<br />

neu geschrieben haben« (94), endgültig die Unmöglichkeit bewußt gemacht, »nationale<br />

Identität nur mehr von einem Nationenbegriff des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts her zu denken«<br />

(ebd.). Die Debatte markiere »somit in der Tat das Ende eines literarischen <strong>und</strong><br />

kritischen Paradigmas, auch wenn es keinen radikal neuen literarischen Anfang<br />

geben wird. Das Nullpunktdenken ist verbraucht.« (Ebd.)<br />

Gemünzt auf die Verhältnisse in der DDR, hat der Satz »Fre<strong>und</strong>e, es spricht sich<br />

schlecht mit geb<strong>und</strong>ener Zunge« (U we Kolbe an Bärbel Bohley, 8.11.1989) unter veränderten<br />

politischen Vorzeichen <strong>für</strong> jene AutorInnen seine Gültigkeit behalten, die<br />

bislang nicht bereit waren, das kritische Potential einer gesellschaftlichen Utopie aus<br />

ihren Büchern zu entfernen. Für die Erschwernisse, auf die solche Vorstellungen<br />

innerhalb des kulturellen Kräftefeldes im wiedervereinigten Deutschland stoßen,<br />

können die Beiträge sensibilisieren, indem sie mögliche politische Strategien eines<br />

literarischen Diskurses zwischen Ästhetik <strong>und</strong> Moral thematisieren. Dabei nehmen<br />

die zumeist knapp <strong>und</strong> thesenhaft formulierten Texte allerdings allzu oft Einordnungen<br />

in einfache Rechts-Links-Schemata vor, die die weitaus komplexere Problematik<br />

der Debatte verfehlen müssen <strong>und</strong> denen sie höchstens sich selbst noch ausliefern.<br />

Michael Wedel (Berlin)<br />

DAS ARGUMENT 196/1992 ©

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