Begriffskarrieren: Subjekt und Geschlecht - Berliner Institut für ...
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892 Hans-Heinrich Nolte<br />
umgewandelt, der Midi wurde »zu einem einzigen Weingarten«. Weinkonsum<br />
<strong>und</strong> Weinproduktion in Frankreich stiegen kontinuierlich an, 1875 waren in vielen<br />
Departements mehr als die Hälfte des Ackerlandes mit Wein bestellt. 1875 war<br />
allerdings auch das Jahr der Reblaus - im Arrondissement Nimes z.B. wurden<br />
die Weinberge von 58866 Hektar vor 1875 auf 3 786 im Jahr 1880 dezimiert. Die<br />
Monokultur hatte ihre Anfälligkeit <strong>für</strong> Seuchen gezeigt; durchaus ähnlich der<br />
Wirkung des Mehltaus in Irland.<br />
Von der Reblauskatastrophe erholten sich die Produzenten des Südens nie<br />
mehr vollständig, weil ab 1900 die Konkurrenz des algerischen <strong>und</strong> im Rahmen<br />
der EG dann anderer europäischer Weine anstieg. Es fand sich aber auch kein<br />
anderes Produkt, mit dem der Süden konkurrieren konnte, so daß auch heute die<br />
landwirtschaftlichen Flächen Südfrankreichs weithin als Weinmonokulturen bewirtschaftet<br />
werden, selbstverständlich mit einem höheren <strong>und</strong> regelmäßigeren<br />
Einsatz von Pestiziden gegen die der Monokultur inhärente Gefahr der Seuche.<br />
Der Entindustrialisierungsprozeß des Südens konnte bisher nicht rückgängig<br />
gemacht werden, obgleich im Tourismus eine neue »Industrie« im Sinn eines<br />
Dienstleistungsgewerbes entstand, durch welches das Departement Nice im<br />
Rahmen des Südens eine Sonderkonjunktur erlebte. 1975 betrugen die Pro-Kopf<br />
Einkommen in (1) 14 Departements Westfrankreichs 11402 Francs; (2) 11 Departements<br />
Südfrankreichs 12566 Francs <strong>und</strong> (3) 26 Departements Nordostfrankreichs<br />
16347 Francs. Das Pro-Kopf-Einkommen der Region Paris lag 1975<br />
mit 20611 Franc deutlich über dem französischen Mittelwert von 14759 Francs.<br />
Die regionale Arbeitsteilung in Frankreich geht also mit einer deutlichen Differenz<br />
in den Durchschnittseinkommen zusammen: Wer im ökonomischen Zentrum<br />
wohnt, verdient auch mehr. Diese Arbeitsteilung hat sicher zum Teil sehr<br />
alte Gründe - der Westen (z.B. die Bretagne oder die Vendee) war schon im<br />
Mittelalter ein relativ altertümliches Gebiet. Für den Süden aber kann man eine<br />
solche Feststellung nicht oder jedenfalls nicht eindeutig treffen. Lange Zeit hindurch<br />
war der Süden wirtschaftlich, aber auch politisch nicht hinter Paris<br />
»zurück« - auch wenn er schon früh weniger Macht besaß als das Zentrum. Erst<br />
im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert wurde der Süden zur wirtschaftlichen Peripherie mit einem<br />
geringen Grad an Industrie <strong>und</strong> mit landwirtschaftlicher Monokultur. Die Industrie<br />
des Nordwestens war in der entscheidenden Phase überlegen - an Zugang<br />
zum Kapital, zu Regierungsentscheidungen, zu wichtigen Rohstoffen. Auch Regierungsinvestitionen<br />
im Süden haben bisher die Lücke nicht schließen können.<br />
Deutschland<br />
Die regionalen Differenzen in Deutschland haben ebenfalls eine sehr alte<br />
Geschichte. Nach vielen Indikatoren - Verstädterungsgrad, Bevölkerungsdichte,<br />
Verkehrsanbindung, persönliche Freiheiten z.B. - war der Westen dem Osten in<br />
den meisten Perioden kontinuierlich überlegen. Eine der wichtigen sozialökonomischen<br />
Grenzen des frühneuzeitlichen Weltsystems, die zwischen Schollenpflichtigkeit<br />
<strong>und</strong> freier Bauernschaft, verlief quer durch Deutschland, ungefähr<br />
entlang der EIbe. Aber auch westlich der EIbe zählte Nordwestdeutschland als<br />
Exporteur von Rohstoffen - Getreide <strong>und</strong> Holz - sowie von billiger Wanderarbeit<br />
DAS ARGUMENT 196/1992 ©