Begriffskarrieren: Subjekt und Geschlecht - Berliner Institut für ...
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894 Hans-Heinrich Nolte<br />
DDR, zu inneren Peripherien Westdeutschlands zu werden, augenfällig. Nach<br />
Mitteilung des Statistischen B<strong>und</strong>esamtes lag das Bruttoinlandsprodukt in Ostdeutschland<br />
im zweiten Halbjahr 1991 um 1l,4 Prozent unter dem des vergleichbaren<br />
Vorjahreszeitraums, die Zahl der Erwerbstätigen sank um 18,7 Prozent. Je<br />
Beschäftigten erreichte das Bruttoninlandsprodukt knapp ein Drittel von dem der<br />
alten B<strong>und</strong>esländer, die Arbeitsproduktivität lag also weit unter der des Westens,<br />
was weitere Arbeitsplatzverluste wahrscheinlich sein läßt. Ein großer Teil der<br />
Beschäftigten pendelt schon heute in den Westen, andere ziehen um - insbesondere<br />
wieder aus Gebieten wie Mecklenburg. Die durchschnittlichen monatlichen<br />
Bruttobezüge der Arbeiter <strong>und</strong> Angestellten liegen mit 2080 DM etwa bei der<br />
Hälfte des Westniveaus. Die Industrieproduktion ist gesunken, in einigen Bereichen<br />
wie Bergbau um ein Drittel, in den Investitionsgüterindustrie um 17 Prozent<br />
- insgesamt um 3,5 Prozent. Nach einem Bericht der Wirtschaftswoche (3.7.<br />
1992) verschärft sich das Problem <strong>für</strong> bestimmte Branchen wie die Textilindustrie.<br />
Von den 300000 Arbeitsplätzen aus DDR-Zeiten sind knapp 55000 übriggeblieben.<br />
Traditionelle Textilregionen wie das Gebiet um Chemnitz, die Oberlausitz<br />
oder das Vogtland drohen mit über 50 Prozent Arbeitslosen zu Armenhäusern<br />
zu werden, durchaus ähnlich dem Schicksal der südfranzösischen<br />
Textilgebiete nach der Öffnung ihres Marktes <strong>für</strong> die nordfranzösische Konkurrenz.<br />
Was an Produktion erhalten wird, gehört großenteils nicht den Bewohnern<br />
der Region, sondern Firmen in Radolfzell oder Berlin - was <strong>für</strong> die Zukunft<br />
bedeuten dürfte, daß Management <strong>und</strong> Styling, also die blueprintjobs, welche<br />
die höheren Einkommen versprechen <strong>und</strong> langfristig wirtschaftliche Entscheidungsmacht<br />
sichern, nicht in die Region verlegt werden. Eine Besonderheit bietet<br />
die Übernahme einiger Firmen durch indisches Kapital; hier ist vermutlich<br />
geplant, die arbeitsintensiven Produktionen in Indien zu belassen, aber die deutschen<br />
Firmen als Türen zum europäischen Markt zu benutzen.<br />
Das volle Ausmaß der Deindustrialisierung der ehemaligen DDR wird jedoch<br />
nicht im Vergleich zu den Produktionsdaten der zweiten Jahreshälfte 1990, sondern<br />
zu denen des l. Januar 1990 deutlich. Nach der Zeit (3.7.1992) sank der<br />
Index der Nettoproduktion <strong>für</strong> das Verarbeitende Gewerbe in Ostdeutschland<br />
vom l. Januar 1990 bis Januar 1992 auf ein Drittel, <strong>und</strong> die Zahl der Beschäftigten<br />
in der Industrie fiel ebenfalls von drei auf eine Million.<br />
Was wirkt einer »Entwicklung« der fünf neuen Länder zur inneren Peripherie<br />
entgegen, was fordert sie?<br />
Gleichheit der Chancen im Rahmen der Nation?<br />
Die Moderne ist nicht nur durch die Fortführung alter Ungleichheiten <strong>und</strong> die<br />
Entwicklung neuer gekennzeichnet, sondern auch durch die Steigerung altchristlicher<br />
Konzepte der Gleichheit aller Gläubigen zur Gleichheit aller Menschen,<br />
zumindest der Gleichheit der Chancen, der Bildungsmöglichkcitcn u.a. Dic<br />
damit bezeichnete Spannung ist nicht zufällig, sondern konstitutiv <strong>für</strong> das ganze<br />
System. Die Spannung wird in der realen Politik durch das Konzept des Nationalstaats<br />
gegliedert: Wenn aus vielerlei Gründen die Gleichheit der Chancen<br />
weltweit nicht realisierbar scheint, dann soll sie doch wenigstens im Rahmen der<br />
DAS ARGUMENT 196/1992 ©