Hamburg - Kulturnews
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Theater<br />
Foto: Falk Schreiber<br />
Nach Europa<br />
Der Malersaal wird in Zukunft wieder vom Schauspiel genutzt. Die erste Premiere hier ist Marie Ndiayes „Nach Europa“<br />
in der Regie von Friederike Heller, auf der Bühne steht ein neues Ensemblemitglied: die Schweizerin Bettina Stucky.<br />
Frau Stucky, Frank Castorf sagte einmal, dass die Schweiz und die späte<br />
DDR für ihn gefühlsmäßig ganz ähnliche Gesellschaften gewesen seien,<br />
deswegen fühle er sich so wohl in der Schweiz.<br />
Bettina Stucky: Castorf ist nicht der einzige, der das behauptet. Ich weiß<br />
nicht, ob es mir auch so geht … Eine Gemeinsamkeit zwischen der DDR<br />
und der Schweiz ist eine gewisse Bürokratie. Außerdem ist der erste Ein -<br />
druck, wenn man am Bahnhof in die erste Straßenbahn steigt: „Ach, die Leute<br />
sind aber alle gut gekleidet!“ Das stimmt hinten und vorne nicht, aber es<br />
wirkt, als ob der Lebensstandard sehr viel höher wäre als in Deutschland.<br />
Schließlich haben wir auch in der Schweiz die Bespitzelung, die gegenseitige<br />
Kontrolle. „Wo reist der immer hin? Und warum hat der schon wieder ein<br />
neues Auto?“, das beschäftigt die Schweizer sehr. Und ich glaube, diese<br />
Mischung von Auf-sich-selbst-fixiert-sein, sehr auf dieses Landeswohl be -<br />
dacht, das macht die Ähnlichkeiten aus. Auch viele Ostler, die in der Schweiz<br />
anfangen, zu arbeiten, sagen: „Ach, ist ja so wie bei uns! Alles so gemütlich!“<br />
Im Gegensatz zu Westdeutschland musste sich die Schweiz auch nicht<br />
abgrenzen. Die Schweiz musste nicht spezifisch rausfinden: Was ist der<br />
Unterschied zwischen dir und mir?<br />
Zumindest bezüglich Gemütlichkeit und Abgeschlossenheit ist <strong>Hamburg</strong><br />
im Selbstverständnis ganz anders. Die Stadt, die sich stolz „Tor zur Welt“<br />
nennt, will definitiv nicht abgeschlossen sein.<br />
Stucky: Das kann ich zu wenig beurteilen, ich habe gar keinen Zugang zu<br />
den Kreisen, die hier alteingesessen sitzen. Ich finde aber schon: Wenn ich<br />
am Hafen die Containerschiffe sehe, dann – hoppla! Das finde ich toll, ich<br />
bin davon sehr berührbar! Ein Schiff, das wegfährt, ist ohnehin emotional,<br />
und wenn die Matrosen dann noch winken … Das ist immer eine Film szene,<br />
„E la nave va“, egal, ob das jetzt Container sind oder die Aida. Das ist ein<br />
Urbild, das einen berührt.<br />
Ihre erste <strong>Hamburg</strong>er Premiere ist „Nach Europa“ nach Marie Ndiaye, es<br />
geht um eine Senegalesin, die sich nach Europa durchkämpft. Zunächst<br />
dachte ich, der Stoff dreht sich um die Ankunft in Europa. Mittlerweile<br />
glaube ich aber, dass weniger das Ziel das Thema ist – es geht um eine<br />
ständige Bewegung.<br />
Stucky: Die Figur, die im Mittelpunkt des Stücks steht, hat schon ein Ziel,<br />
sie kennt es nur nicht konkret, und sie weiß auch nicht, wie man da hinkommt.<br />
Sie hat keine Ahnung, wo Europa liegt, und sie hat auch davon<br />
kein Bild vor Augen. Europa ist im Grunde ein abstrakter Begriff.<br />
ab 17. 11., Malersaal<br />
Interview: Falk Schreiber<br />
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