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GENERATIONplus

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<strong>GENERATIONplus</strong>+ VERANSTALTUNGEN 45<br />

Der Logenplatz<br />

Der Autor ist weder Germanist, noch gelernter Schauspieler<br />

oder gar Theaterkritiker, sondern einfach Jurist. Seine Überlegungen<br />

zu den Göttinger Theateraufführungen, die wir<br />

an dieser Stelle regelmäßig veröffentlichen, verstehen sich<br />

daher nicht als Expertise. Es handelt sich vielmehr um die<br />

persönlichen Eindrücke eines „ganz normalen Zuschauers“.<br />

❜❜<br />

WAS IST EIN MENSCH WERT?<br />

❛❛<br />

Nach einer wahren Begebenheit: Mark Zurmühle bringt Carl Zuckmayers<br />

„Hauptmann von Köpenick“ in rasanter Rotation auf die Bühne<br />

Fotos: Isabel Winarsch<br />

Andreas Daniel Müller, Meinolf Steiner, Lutz Gebhardt, Gerd Zinck,<br />

Andreas Jeßing, Florian Eppinger<br />

Benjamin Krüger, Lutz Gebhardt, Andreas Jeßing,<br />

Marie-Kristien Heger, Florian Eppinger, Meinolf Steiner<br />

Zu monotonen Rhythmen, exakt und robotergleich,<br />

greift ein menschlicher Arm in den<br />

anderen, der Einzelne wird Bauteil einer sich<br />

bewegenden Menschmaschine, die sich<br />

ihrerseits wiederum auf einer sich stetig drehenden<br />

Plattform befindet. Mit dieser eindringlichen<br />

Choreografie setzt Mark Zur -<br />

mühle in seiner Inszenierung des „Haupt -<br />

mann von Köpenick“ gleich zu Beginn ein<br />

Ausrufungszeichen.<br />

„Mensch bist du, wenn du dich unterordnest,<br />

erst dann bist du Teil der menschlichen<br />

Ordnung.“ Nach diesem Credo funktioniert<br />

die wilhelminische Gesellschaft um die<br />

Jahrhundertwende, in der sich Wilhelm<br />

Voigt nach seinem 15-jährigen Gefängnis -<br />

aufenthalt wiederfindet. Für Voigt ist jedoch<br />

kein Platz in dieser Tretmühle.<br />

Ohne Papiere findet er keine Arbeit und<br />

ohne Arbeit bekommt er keine Papiere. So<br />

verfängt sich der eigentlich gutwillige<br />

Schustergeselle im Dschungel der Büro -<br />

kratie und muss erfahren, dass ein Indivi -<br />

duum nur als Teil der Masse von Wert ist.<br />

Zurmühle trägt diesem Aspekt der Gesichts -<br />

losigkeit dadurch Rech nung, dass er die<br />

Schauspieler mehrere, teilweise bis zu zehn<br />

Rollen übernehmen lässt. Eine Zuordnung<br />

findet so nicht statt, die Handelnden bleiben<br />

rein funktional. Auf diese Weise wird<br />

Wilhelm Voigt im Irrgarten der Amtsstuben<br />

von einem Beamten zum anderen, alle identisch<br />

in Uniform und mit Schnauzbart, den<br />

gleichen Habitus an den Tag legend durchgereicht.<br />

Analog zum persönlichen Dilem -<br />

ma des Wilhelm Voigt findet der Niedergang<br />

des Hauptmann von Schlettow statt, der,<br />

wegen einer Lappalie seiner identitätsstiftenden<br />

Uniform beraubt, den Freitod sucht.<br />

Nach der Pause wandelt sich das Bild. Die<br />

beiden Gegenstücke, nämlich der seiner<br />

Menschlichkeit entblößte Voigt sowie die<br />

ihres menschlichen Trägers beraubte Uni -<br />

form, haben das Hamsterrad verlassen. Jetzt<br />

sind sie außerhalb der nun in die andere<br />

Richtung rotierenden Drehscheibe platziert.<br />

Voigt bemächtigt sich bei einem Kostüm -<br />

verleih der verwaisten Uniform und befehligt,<br />

damit eigenhändig zum Hauptmann<br />

befördert, nunmehr genau die Maschinerie,<br />

der er zuvor noch nicht einmal als Rädchen<br />

zugehörig sein durfte.<br />

Am Ende wird die entwürdigende Schein -<br />

gesellschaft mit den eigenen Waffen von<br />

einer ihrer Randexistenzen geschlagen. Wie<br />

bitterer Hohn klingt dann auch das Lachen<br />

des Wilhelm Voigt, mit dem dieser Theater -<br />

abend schließt.<br />

In Erinnerung bleibt eine Inszenierung, die<br />

bewusst und wohltuend auf aktuelle Bezüge<br />

verzichtet. Mark Zurmühle belässt die Hand -<br />

lung in ihrer Zeit. Seine Knalleffekte basieren<br />

auf einem turbulenten Wechsel der Dar stel -<br />

ler, allesamt meisterhaft eingekleidet sowie<br />

auf dem gleichermaßen glänzend umgesetzten<br />

Bühnenbild, welches ein ums andere<br />

Mal neue Räumlichkeiten präsentiert.<br />

Aus dem Ensemble ragt Lutz Gebhardt hervor.<br />

Er verkörpert seinen Wilhelm Voigt mit<br />

Berliner Schnauze als einen zwischen Resig -<br />

nation und Aufbegehren schwankenden, je -<br />

doch durchaus witzigen und vor allen<br />

Dingen tatkräftigen Mann. Gleichermaßen<br />

sehenswert ist Benjamin Krügers Dar stel -<br />

lung des preußisch zackigen, am Ende<br />

jedoch verzweifelt entleerten Hauptmann<br />

von Schlettow.<br />

Zu Recht spendet das Premierenpublikum<br />

auch dem Bühnenbild, der Technik und der<br />

Requisite laut und ausdauernd Applaus.

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