GENERATIONplus

06 REGION GENERATIONplus+
DAS STRASSENCAFÉ HILFT
MIR GEGEN RENTENFRUST
❜❜ ❛❛
[Gp-stm]. Es ist für meinen Bekannten Karl
ein völlig neuer Lebensabschnitt. Ein Le -
bens abschnitt, der ihm unerwartet schwer
fällt. „Seit fast einem Jahr bin ich in Rente“,
sagt der 64-jährige Göttinger, „aber ich habe
mich in meinem neuen Leben eingerichtet.“
Eigentlich hatte Karl einen reibungslosen
Ab schied aus der Ar beitswelt erwartet. Er
arbeitete gern, hatte nette Kollegen.
„Aber irgendwann hatte ich genug von meiner
Arbeit und wollte mehr Freizeit.“ Dann
sei er in den Vorruhestand gegangen. Wie
Karl geht es den meisten Arbeitnehmern:
Ein Viertel aller Deutschen freut sich darauf,
nach dem Renteneintritt allgemein mehr
Zeit zu haben, 13 Prozent gefällt die Aussicht
auf mehr Zeit für Reisen. Auch wer schließlich
pensioniert ist, genießt den Zeitvorteil.
Jeder zweite Rentner findet es etwa gut,
mehr Zeit für Hobbys oder die Kinder zu
haben.
Das erste Vierteljahr des Pensionärslebens
sei auch ganz schön gewesen, sagt Karl. Er
habe die Zeit gefunden, lange aufgeschobene
Dinge zu erledigen. Aber dann war die
Wohnung fertig renoviert, seine Kellerwerk -
statt generalüberholt, und er hatte auch die
Urlaubsbilder aus den vergangenen Jahr -
zehnten sortiert. Langeweile begann in sein
Leben zu schleichen, der Fernseher machte
ihn zusehends aggressiv. „Meine Frau fand
mich immer schwerer zu ertragen.“
Womit Karl am wenigsten gerechnet hatte,
war, wie sehr er seine früheren Kollegen vermissen
würde. „Meine alten Arbeitskontakte
haben mir plötzlich gefehlt“, sagt er. Und
damit auch der regelmäßige Austausch mit
anderen Menschen. „Wir waren in unserer
Abteilung zu viert, einer war immer an -
sprechbar.“ Nachdem die Kommunikation
mit den Kollegen nicht mehr möglich war,
habe er sich von der Welt abgeschnitten
gefühlt.
Der Frankfurter Geriatrieprofessor Christian
Zippel kennt solche Notlagen, die nach der
Pensionierung auftreten. Die frisch gebackenen
Rentner würden sich isoliert fühlen.
„Antriebsschwäche und Depressionen sind
dann ein großes Problem“, beschreibt Zippel
die Folgen. Das Ausscheiden aus dem Job
kann zum Beginn einer großen Lebenskrise
werden. Die Betroffenen fühlen sich überflüssig,
ihnen fehlt der tagtägliche Kontakt