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Impulse zur Gestaltung der Armutssituation Jugendlicher in Burundi

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Partizipative Methoden kirchlicher Arbeit<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>zur</strong> <strong>Gestaltung</strong> und Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

<strong>Armutssituation</strong> benachteiligter K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

<strong>Jugendlicher</strong> <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong><br />

Masterthesis<br />

An <strong>der</strong> Hochschule Rhe<strong>in</strong>Ma<strong>in</strong>, Wiesbaden<br />

Fachbereich Sozialwesen<br />

Masterstudiengang: Sozialraumentwicklung und -organisation<br />

Verfasst von<br />

Stefan Hoffmann<br />

B.P. 6300<br />

Bujumbura<br />

<strong>Burundi</strong><br />

Matrikel Nummer: 655718<br />

Vorgelegt am: 15. Juli 2010<br />

Prüfer<br />

Erstprüfer: Prof. Dr. Michael May<br />

Zweitprüfer: Prof. Dr. Monika Alisch


Inhaltsverzeichnis 2<br />

Verzeichnis <strong>der</strong> Tabellen und Abbildungen 5<br />

E<strong>in</strong>leitung und Fragestellung 6<br />

TEIL 1 GRUNDLAGEN<br />

1. Armutsdef<strong>in</strong>itionen 8<br />

1.1. Der Armutsbegriff im westlichen Kontext 8<br />

1.2. Der Armutsbegriff im Kontext „Dritte Welt“ 9<br />

1.2.1. Chambers 9<br />

1.2.2. Friedmann 9<br />

1.2.3. Jayakaran 12<br />

2. Lösungen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Kirche 13<br />

2.1. Befreiungstheologie und Radikale Evangelikale 13<br />

2.2. Freire als e<strong>in</strong> Vertreter <strong>der</strong> Befreiungstheologie 15<br />

2.3. Afrikanische Theologie 16<br />

2.4. Situationsbeschreibung zum Verhältnis Kirche und Armut <strong>in</strong> Deutschland 19<br />

2.4.1. Grundlagen 19<br />

2.4.2. Grundlegendes Problem 20<br />

2.4.3. Gesellschaftsrelevanter Geme<strong>in</strong>debau 21<br />

3. Bewältigungsstrategien 22<br />

3.1. Individuelle Bewältigungsstrategien 22<br />

3.2. Geme<strong>in</strong>schaftliche Bewältigungsstrategien 23<br />

TEIL 2 ANWENDUNG<br />

1. Das Projekt BAHO 28<br />

1.1. Sozialpolitische Vorraussetzungen <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> 28<br />

1.2. Das Projekt 29<br />

2. Die Rolle <strong>der</strong> Kirche <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> 31<br />

2.1. Die Stellung <strong>der</strong> Diözese Bujumbura 31<br />

2.2. Die Rolle von Religion und Kirche <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> 31<br />

2


3. Dokumentation des Forschungsprozesses 33<br />

3.1. H<strong>in</strong>tergründe und empirische Basis 33<br />

3.2. Datenerhebung 1: Die Methode <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt 35<br />

3.2.1. Zukunftswerkstatt: Übertragung <strong>in</strong> den burundischen Kontext 36<br />

3.2.2. Ergebnisse <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt 38<br />

3.2.2.1. Inhaltsbereiche 39<br />

3.2.2.2. Antwortverhalten und Antwortstile 40<br />

3.3. Erster Anknüpfungspunkt für die künftige BAHO-Arbeit 43<br />

3.4. Datenerhebung 2: Die Methode <strong>der</strong> Gruppendiskussion 43<br />

3.4.1. Durchführung und Ergebnisse <strong>der</strong> Gruppendiskussion „Ehrenamtliche“ 44<br />

3.4.2. Durchführung und Ergebnisse <strong>der</strong> Gruppendiskussion „BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong>“ 46<br />

4. Retrospektive Reflexionen zum Forschungsprozess 48<br />

5. Diskussion <strong>der</strong> Ergebnisse: Konzeptionelle Ansätze <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung und<br />

Armutsbekämpfung <strong>in</strong> Bezug auf Gruppen 52<br />

5.1. Aneignung 52<br />

5.2. Aneignung <strong>Jugendlicher</strong> im Sozialraum 54<br />

5.3. Aneignende Bildungsarbeit <strong>in</strong> Bezug auf BAHO 56<br />

5.3.1. Situationsanalyse: Kirchliche Jugendarbeit <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> 56<br />

5.3.2. Geme<strong>in</strong>schaftliche Erziehungsarbeit – Spagat zwischen Individuum und<br />

Geme<strong>in</strong>wesen 57<br />

5.4. Theoretischer Bezug: aneignungsorientierte Befreiungspädagogik 63<br />

5.5. Praxis 68<br />

5.5.1. BAHO-Clubs 68<br />

5.5.2. Die Rolle des Lehrers 69<br />

6. Zusammenfassung: Armutsbekämpfung durch BAHO-Clubs 71<br />

6.1. Bewusstse<strong>in</strong> br<strong>in</strong>gt soziale Macht 71<br />

6.2. Die Rolle <strong>der</strong> Kirche 72<br />

6.3. Die Rolle des Empowernden 73<br />

7. Schlussbetrachtung und Ausblick 73<br />

3


Literaturverzeichnis 77<br />

Anhang 82<br />

Anhang 1: Beispiel e<strong>in</strong>er Auswertungstabelle <strong>der</strong> Antworten <strong>der</strong> 26 K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Musaga<br />

bezogen auf den Lebensbereich Familie. 82<br />

Anhang 2: Verdichtete Darstellung <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>in</strong> Musaga, die Grundlage <strong>der</strong><br />

Diskussionsrunden mit den Betreuern und K<strong>in</strong><strong>der</strong>n war. 84<br />

Erklärung <strong>der</strong> eigenständigen Erarbeitung 85<br />

4


Verzeichnis <strong>der</strong> Tabellen und Abbildungen<br />

Abbildung 1: Lebensraum e<strong>in</strong>es Haushalts und die vier Bereiche sozialer Praxis 9<br />

Tabelle 1: Aufschlüsselung <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt beteiligten BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong> nach<br />

Alter, Herkunft und Geschlecht. 33<br />

Tabelle 2: Verteilung <strong>der</strong> „erwachsenen“ Antwortstile während <strong>der</strong> Utopiephase <strong>in</strong> Bezug<br />

auf den Lebensbereich Schule. 39<br />

Tabelle 3: „Kirchlich-sozialisierte“ Antwortstile während <strong>der</strong> Utopiephase <strong>in</strong> Bezug auf<br />

Gruppenpräsentationen <strong>in</strong> allen Lebensbereichen. 40<br />

Tabelle 4: Teilnehmende BetreueInnen an <strong>der</strong> Gruppendiskussion aufgeschlüsselt nach<br />

Herkunft und Geschlecht. 43<br />

Abbildung 2: Reflexions-Zyklus Handlungsforschung 48<br />

Abbildung 3: Verhältnis „Reflexion – Aktion – Wort“ 65<br />

5


E<strong>in</strong>leitung und Fragestellung<br />

Ausgangslage für diese Masterarbeit war me<strong>in</strong> Arbeitsaufenthalt <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong>. Ich arbeitete<br />

seit 2008 im Auftrag <strong>der</strong> Liebenzeller Mission als Berater im BAHO-Projekt 1 , e<strong>in</strong>em<br />

Projekt für benachteiligte K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche <strong>der</strong> Anglikanischen Kirche <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong>.<br />

Durch Fragen <strong>der</strong> Entwicklungs- und Armenarbeit wurde ich <strong>in</strong> dieser Zeit immer wie<strong>der</strong><br />

herausgefor<strong>der</strong>t, me<strong>in</strong> praktisches Handeln theoretisch zu unterfüttern. Daher war es <strong>der</strong><br />

ideale Zeitpunkt, um den Masterstudiengang Geme<strong>in</strong>wesenarbeit zu belegen und sowohl<br />

Fragen <strong>der</strong> Praxis an die Theorie nachzugehen, als auch umgekehrt.<br />

Im Laufe me<strong>in</strong>er praktischen Arbeit konnte ich e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> zunehmendem Maße die<br />

immensen Herausfor<strong>der</strong>ungen erkennen, vor die sich die Kirche <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> gestellt sieht:<br />

Als größte flächendeckende soziale Organisation hat sie nicht nur den größten ethischmoralischen<br />

E<strong>in</strong>fluss auf die Bevölkerung des ostafrikanischen Landes, son<strong>der</strong>n im<br />

Gegenzug auch e<strong>in</strong>e hohe Verantwortung, ihren Gläubigen zu dienen und <strong>der</strong>en soziale<br />

Macht zu entwickeln o<strong>der</strong> zu vertreten.<br />

Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite begegneten mir viele benachteiligte K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche <strong>in</strong> dem<br />

Projekt, für das ich mitverantwortlich war, so dass ich immer wie<strong>der</strong> herausgefor<strong>der</strong>t<br />

wurde, mich zu fragen: „Wie kann ich helfen?“ „Wie kann ich Not l<strong>in</strong><strong>der</strong>n?“<br />

Schnell wurde mir klar, dass ich ke<strong>in</strong> „Entwicklungshilfe-Nikolaus“, also e<strong>in</strong> Helfer <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Rolle des immer Verteilenden, se<strong>in</strong> wollte – schon alle<strong>in</strong> aus Budgetgründen nicht,<br />

geschweige denn aus Gründen <strong>der</strong> Nachhaltigkeit o<strong>der</strong> pädagogischer Verantwortung.<br />

In me<strong>in</strong>er praktischen und theoretischen Arbeit befasste ich mich deshalb maßgeblich mit<br />

zwei Fragen: „Welche Rolle spielt die Kirche?“ und „Wie kann armen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen geholfen werden?“. Diese Fragen betrafen mich nicht nur als praktizierenden<br />

Christen, son<strong>der</strong>n auch als Mitverantwortlichen des BAHO-Projekts. Zu ihrer<br />

Beantwortung im Rahmen dieser Arbeit glie<strong>der</strong>t sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Grundlagenteil und e<strong>in</strong>en<br />

Anwendungsteil. Im ersten Teil beleuchte ich Armutstheorien sowohl für den westlichen<br />

als auch den Kontext „Dritte Welt“. Im Anschluss daran beschreibe ich Lösungen, wie sie<br />

die Kirche <strong>in</strong> verschiedenen Kontexten <strong>in</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Armut <strong>in</strong><br />

dieser Welt gefunden hat. Abschließende Überlegungen <strong>in</strong> diesem Kapitel beziehen sich<br />

auf Bewältigungsstrategien, also die Frage, wie Menschen mit Armut umgehen und welche<br />

Lösungen diskutiert werden, um Armut zu bekämpfen.<br />

Im zweiten Teil widme ich mich <strong>der</strong> Anwendung. Nach <strong>der</strong> Vorstellung des Projekts<br />

BAHO, e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> den sozialpolitischen Rahmen des Landes <strong>Burundi</strong>, beschreibe ich<br />

1 Baho ist Kirundi und bedeutet: „Leben ermöglichen“. Die Projektleitung hat entschieden, das Wort <strong>in</strong><br />

Majuskeln zu schreiben.<br />

6


die von mir beobachtete Rolle <strong>der</strong> Anglikanischen Kirche <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> und allgeme<strong>in</strong> die<br />

Rolle von Religion und Kirche <strong>in</strong> diesem Land. Daran anschließend folgt die Beschreibung<br />

des Forschungsdesigns und <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Forschungsschritte. Im darauf folgenden Kapitel<br />

beschreibe ich die Lösung, wie sie sich mir darstellt – e<strong>in</strong>e Lösung, die e<strong>in</strong><br />

aneignungsorientiertes Bildungskonzept vorsieht und die Implementierung e<strong>in</strong>es BAHO-<br />

Clubs be<strong>in</strong>haltet. Im vorletzten Kapitel stelle ich den Beitrag dieser BAHO-Clubs <strong>in</strong> Bezug<br />

auf die Armutsbekämpfung dar, bevor ich mit weiteren Ausblicken und<br />

Entwicklungspotentialen schließe.<br />

7


TEIL 1 GRUNDLAGEN<br />

1. Armutsdef<strong>in</strong>itionen<br />

Da die Arbeit sich wesentlich mit <strong>der</strong> Bekämpfung von Armut befasst, möchte ich mich im<br />

ersten Kapitel mit Armutstheorien ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen.<br />

1.1. Der Armutsbegriff im westlichen Kontext<br />

Wie Diez nachweist, ist Armut nicht die Abwesenheit von D<strong>in</strong>gen wie Essen, Kleidung<br />

o<strong>der</strong> Geld. Armut ist somit nicht nur materiell mess- und beseitigbar (Diez 1997: 83).<br />

Im Folgenden beziehe mich auf die Def<strong>in</strong>ition von Alisch, die schreibt: „Nachdem durch<br />

die ökonomische Entwicklung im westlich orientierten Europa und <strong>in</strong> Nordamerika das<br />

Ziel als dauerhaft gesichert erschien, e<strong>in</strong> physisches Existenzm<strong>in</strong>imum für alle<br />

E<strong>in</strong>wohnerInnen zu gewährleisten, g<strong>in</strong>g man <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wissenschaft von e<strong>in</strong>em absoluten zu<br />

e<strong>in</strong>em relativen Armutsbegriff über.“ (Alisch 2008: 86, Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al).<br />

Relative Ansätze ließen sich, so Alisch weiter, <strong>in</strong> Ressourcen- und Lebenslagenansätze<br />

aufteilen. Im Mittelpunkt steht bei jenen die Differenz zwischen Ressourcen unterhalb des<br />

Existenzm<strong>in</strong>imums gemessen am sozial-kulturellen Standard e<strong>in</strong>er konkreten Gesellschaft.<br />

Der Ressourcenansatz habe E<strong>in</strong>kommensarmut als Gegenstand: „Zur Bestimmung des<br />

Ausmaßes <strong>der</strong> Armutsbevölkerung wird e<strong>in</strong> nach <strong>der</strong> Haushaltsgröße und <strong>der</strong><br />

Zusammensetzung <strong>der</strong> Haushalte gewichtetes monatliches Haushalts-Netto-E<strong>in</strong>kommen -<br />

Äquivalenze<strong>in</strong>kommen - gebildet.“ (ebd., Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al)<br />

Demgegenüber sei <strong>der</strong> Lebenslagenansatz eher e<strong>in</strong> sozialwissenschaftlicher, da er auch<br />

soziale Armut messen und darstellen wolle. Dieser Ansatz leite sich nicht nur aus e<strong>in</strong>er<br />

Hierarchie sozialer Ungleichheit ab, son<strong>der</strong>n umfasse auch Systeme multipler sozialer<br />

Deprivation. „Neben den materiellen Dimensionen [Arbeit, E<strong>in</strong>kommen Vermögen, (Aus-)<br />

Bildung, Wohnen, Konsumniveau] umfasst dieses Konzept auch die Lebensbereiche<br />

Ernährung, Umwelt, Gesundheit und Erholung sowie immaterielle Aspekte wie soziale,<br />

kulturelle und politische Partizipation, Rechtsgleichheit und Integration.“ (a.a.O.: 87)<br />

Klocke deutet für den Lebenslagenansatz an, dass er die Begrenzung <strong>der</strong> Def<strong>in</strong>ition von<br />

Armut auf E<strong>in</strong>kommensarmut überw<strong>in</strong>de. Kritisch bemerkt er: „Ke<strong>in</strong>eswegs geklärt ist<br />

aber die Frage, welche Lebensbereiche <strong>in</strong> die Analyse e<strong>in</strong>bezogen werden sollen und wie<br />

die Schwellenwerte zu bestimmen s<strong>in</strong>d.“ (Klocke 2000: 317) Trotz dieser Kritik am<br />

Lebenslagenansatz würde, so wie<strong>der</strong>um Kronauer, durch diesen aber erst deutlich, „warum<br />

Armut für die von ihr Betroffenen nicht nur Mangel bedeutet, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> soziales<br />

Ausgrenzungsverhältnis begründen kann.“ (Kronauer 2002: 176)<br />

8


1.2. Der Armutsbegriff im Kontext „Dritte Welt“<br />

Wie Myers beschreibt, wurde auch die Entwicklungshilfe zu Beg<strong>in</strong>n vom Gedanken<br />

beherrscht, dass Armut die bloße Abwesenheit von Essen, Kleidung o<strong>der</strong> Bildung sei (vgl.<br />

Myers 2008: 65). Allerd<strong>in</strong>gs schreibt Myers weiter: „If poverty is the abscence of th<strong>in</strong>gs,<br />

then the solution is to provide them. This often leads to the outsi<strong>der</strong> becom<strong>in</strong>g the<br />

development „Santa Claus”, br<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g all the good th<strong>in</strong>gs […].” (a.a.O.: 66) Myers weist<br />

darauf h<strong>in</strong>, dass Arme dadurch aber zu bloßen Leistungsempfängern würden und erst durch<br />

die Hilfe <strong>der</strong> Geber komplette Menschen werden könnten. (ebd.) Bald jedoch setzte e<strong>in</strong><br />

Wandel im Armutsbegriff <strong>der</strong> Entwicklungshilfe e<strong>in</strong>, den ich im Folgenden nachzeichnen<br />

möchte:<br />

1.2.1. Chambers<br />

Ursprung des von mir verwendeten Armutsbegriffs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklungshilfe ist die Idee<br />

von Robert Chambers <strong>in</strong> den 1980er Jahren, <strong>der</strong> Armut auf e<strong>in</strong>en Haushalt bezog und<br />

diesen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Armutsfalle sah, die aus sechs Eckpunkten bestand:<br />

• materielle Armut (wenig Tiere, kaum Land, ke<strong>in</strong> Wasser etc.),<br />

• Verletzlichkeit (kaum Wahlmöglichkeiten, ke<strong>in</strong> Puffer bei Katastrophen etc.),<br />

• Machtlosigkeit (Systeme, <strong>in</strong> denen die Mitglie<strong>der</strong> des Haushalts leben, können von<br />

diesen nicht bee<strong>in</strong>flusst werden),<br />

• spirituelle Armut (ke<strong>in</strong>e gesunden Beziehungen zu Gott, den Nachbarn o<strong>der</strong> dem<br />

Sozialwesen, <strong>in</strong> dem die Haushaltsmitglie<strong>der</strong> leben),<br />

• Isolierung (weit weg von Zentren, wenig Zugang zu Informationen etc.),<br />

• physische Schwäche (Gesundheit, Ernährung etc.).<br />

Myers deutet darauf h<strong>in</strong>, dass diese Eckpunkte mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verwoben seien und <strong>der</strong><br />

Mangel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bereich e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en mit beträfe (vgl. a.a.O.: 66ff.). Beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong><br />

Eckpunkt „Machtlosigkeit“ sei bedeutsam, da er <strong>der</strong> Ausgangspunkt für Ausbeutung sei<br />

(ebd.).<br />

1.2.2. Friedmann<br />

Dieses Modell von Chambers wurde von Friedmann weiterentwickelt. Auch er stellt den<br />

Haushalt als die soziale E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Armen und als elementare E<strong>in</strong>heit von<br />

Zivilgesellschaft (Friedmann 1998: 32) <strong>in</strong> das Zentrum se<strong>in</strong>es Interesses und setzt ihn dann<br />

<strong>in</strong> Bezug zu vier sich überlappenden Bereichen. Friedmann beschreibt Armut als<br />

9


Machtlosigkeit und fehlenden Zugang zu sozialer Macht. Arme Haushalte s<strong>in</strong>d<br />

ausgeschlossen von Macht und bedürfen des Empowerment (vgl. Myers 2008: 69ff.).<br />

Laut Friedmann ist e<strong>in</strong> Haushalt von vier sozialen Praxen umgeben, die jeweils ihre eigene<br />

Macht haben und verleihen und die e<strong>in</strong>en zentralen Punkt haben, den ich <strong>in</strong> Klammern<br />

angebe (ebd.):<br />

• Soziale Macht (Zivilgesellschaft)<br />

• Ökonomische Macht (Genossenschaften, Zusammenschlüsse)<br />

• Politische Macht (politische Organisationen)<br />

• Staatliche Macht (Exekutive und Judikative)<br />

Lebensraum<br />

Staat<br />

Exekutive/Judikative<br />

Legislative,<br />

regulierende<br />

Behörden<br />

Kirchen,<br />

Freiwilligen -<br />

Organisationen<br />

Politik<br />

politische<br />

Organisationen<br />

Zivilgesellschaft<br />

Haushalt,<br />

Geme<strong>in</strong>wesen<br />

Protestbewegungen,<br />

Parteien<br />

<strong>in</strong>formeller<br />

Sektor<br />

Ökonomie<br />

F<strong>in</strong>anzielle Institutionen,<br />

Kooperationen<br />

Abbildung 1: Lebensraum e<strong>in</strong>es Haushalts und die vier Bereiche sozialer Praxis, nach Myers<br />

2008: 70<br />

Das wirtschaftliche Handeln e<strong>in</strong>es Haushalts setzt Friedmann (Friedmann 1998: 66f.) <strong>in</strong><br />

das Zentrum e<strong>in</strong>es Feldes sozialer Macht, das dieser Haushalt besitzt.<br />

Die (Zustands-)Beschreibung dieses Feldes führt zu Indikatoren sowohl h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong><br />

Haushaltsökonomie als auch im Blick auf Zugänge zu sozialer Macht, weshalb sich <strong>in</strong><br />

Konsequenz zugleich Entwicklungspotentiale aufzeigen lassen (a.a.O.: 70). Soziale Macht<br />

10


hat ihren Anknüpfungspunkt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zivilgesellschaft und wird von den an<strong>der</strong>en Mächten<br />

(staatlich, politisch und ökonomisch) begrenzt bzw. ergänzt.<br />

Friedmann beschreibt weiterh<strong>in</strong> acht sich gegenseitig bee<strong>in</strong>flussende Basispunkte, die<br />

zugleich die Grenzen e<strong>in</strong>es armen Haushalts darstellen. Um soziale Macht zu gew<strong>in</strong>nen,<br />

müsse mit den Haushalten gearbeitet werden. Ziel sei dabei, den Raum und E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> den<br />

folgenden Punkten zu vergrößern, denn wenn <strong>in</strong> all diesen Bereichen die Werte, um selbst<br />

aus <strong>der</strong> Armut zu kommen, zu ger<strong>in</strong>g seien, dann herrsche absolute Armut (a.a.O.: 67f.):<br />

• Soziale Netzwerke (horizontale und vertikale Netzwerke können dem Haushalt<br />

helfen, sich zu verbessern o<strong>der</strong> Abhängigkeiten zu schaffen [vgl. Kapitel 3.2.<br />

„Soziales Kapital“])<br />

• Informationen <strong>zur</strong> Entwicklung (jegliches Wissen, das dazu dient, se<strong>in</strong> Leben zu<br />

verbessern: Hygieneschulungen, K<strong>in</strong><strong>der</strong>erziehung, öffentliche Angebote etc.)<br />

• Übrige Zeit (jegliche Zeit, die nicht <strong>in</strong> die Sicherung des unmittelbaren Überlebens<br />

<strong>in</strong>vestiert wird)<br />

• Arbeits<strong>in</strong>strumente (alles, was <strong>der</strong> Produktivität des Haushalts dient: Wasser,<br />

Geräte, körperliche Gesundheit)<br />

• Soziale Organisationen (formelle und <strong>in</strong>formelle Organisationen wie Kirchen,<br />

Clubs, Sportvere<strong>in</strong>e etc. – sie helfen, relevante Informationen zu erhalten,<br />

geme<strong>in</strong>schaftliche Aktionen zu organisieren und sich gegenseitig zu unterstützen)<br />

• Wissen und Fertigkeiten (Ausbildungen und Gaben, die e<strong>in</strong>em Haushalt <strong>zur</strong><br />

Verfügung stehen, um sich ökonomisch zu entwickeln)<br />

• Verteidigbarer Lebensraum (unmittelbarer Raum, <strong>in</strong> dem sich das Leben abspielt –<br />

eigenes Heim und Nachbarschaft)<br />

• F<strong>in</strong>anzielle Ressourcen (Geldverleiher, E<strong>in</strong>kommen etc.)<br />

Pr<strong>in</strong>zipiell gilt laut Friedmann, dass soziale Netzwerke und soziale Organisationen <strong>der</strong><br />

Ausgangspunkt <strong>zur</strong> Bekämpfung von Armut s<strong>in</strong>d. Wenn jene sich entwickelten und<br />

gleichzeitig die Armen empowern, fände Entwicklung statt. Zu sozialen Organisationen<br />

zählt Friedmann Vere<strong>in</strong>igungen wie Kirchen, lokale Organisationen o<strong>der</strong><br />

Nachbarschafts<strong>in</strong>itiativen; oft sei <strong>zur</strong> Initiierung dieser Prozesse aber e<strong>in</strong> „Agent“, <strong>der</strong> von<br />

außen kommt, nötig (vgl. a.a.O.: 71). Sie s<strong>in</strong>d es, die soziale Macht mit den Armen<br />

zusammen schaffen können, und <strong>in</strong> zweiter L<strong>in</strong>ie kann sich dann politische Macht 2<br />

2 Politische Macht bei Friedmann heißt nicht nur das Recht zu wählen, son<strong>der</strong>n se<strong>in</strong>e Stimme zu erheben und<br />

kollektive Aktionen zu <strong>in</strong>itiieren. Das Stimme-Erheben wird laut Friedmann verstärkt, je mehr es an<br />

politische und soziale Organisationen angeknüpft ist (vgl. Friedmann 1998: 33f.).<br />

11


entwickeln. Weiterh<strong>in</strong> ist für Friedmann Empowerment <strong>der</strong> Schlüssel <strong>zur</strong> Än<strong>der</strong>ung<br />

bestehen<strong>der</strong> Verhältnisse. Er versteht unter Empowerment, dass die Armen lokale<br />

Entscheidungsgewalt suchen und erhalten und dass partizipatorische Demokratie durchund<br />

umgesetzt wird; des Weiteren ist soziales Lernen e<strong>in</strong> Teil dieses<br />

Empowermentprozesses (Myers 2008: 99f.). Wie oben schon erwähnt, ist Ziel dieses<br />

Prozesses, die Grenzen e<strong>in</strong>es Haushalts zu erweitern und somit Armut zu bekämpfen.<br />

Als H<strong>in</strong>tergrund se<strong>in</strong>er Theorie sieht Friedmann e<strong>in</strong>e weltweite Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Gesellschaft. Er stellt fest, dass die staatliche Macht <strong>in</strong>sgesamt <strong>zur</strong>ückgehe zu Gunsten<br />

e<strong>in</strong>er sich ausweitenden ökonomischen Macht, die <strong>in</strong> globale Wirtschaftsprozesse<br />

e<strong>in</strong>gebettet sei (a.a.O.: 100f). Im Zuge dieser Verän<strong>der</strong>ung würden politische und soziale<br />

Macht im Leben e<strong>in</strong>es jeden <strong>zur</strong>ückgedrängt. Friedmann sieht hier den Ansatz <strong>der</strong><br />

„alternativen Entwicklung“. Zivilgesellschaft und politische Gesellschaft müssten im<br />

Leben <strong>der</strong> Armen entwickelt und gestärkt werden, um ihnen mehr Lebensraum zu schaffen<br />

(a.a.O.: 101).<br />

Um diese zivilgesellschaftliche Teilhabe <strong>in</strong> Bezug auf staatliche Macht zu entwickeln, sei<br />

„expand<strong>in</strong>g household participation <strong>in</strong> democratic processes“ nötig (ebd.), woh<strong>in</strong>gegen es<br />

bei zivilgesellschaftlicher Teilhabe <strong>in</strong> Bezug auf die Wirtschaft darum gehe, durch<br />

„<strong>in</strong>creas<strong>in</strong>g household participation as productive citiziens with a stake <strong>in</strong> society“ (ebd.)<br />

die Haushalte zu entwickeln.<br />

Insgesamt glaubt Friedmann an e<strong>in</strong> bottom-up-System. Die Armen müssten ihre eigenen<br />

Bedürfnisse erkennen und politisch durchsetzen. Dazu sei es aber nötig, nicht nur auf<br />

lokaler Ebene zu handeln, son<strong>der</strong>n auch auf <strong>der</strong> Makroebene e<strong>in</strong>er Gesellschaft zu<br />

<strong>in</strong>tervenieren, <strong>in</strong>dem kle<strong>in</strong>e Projekte verl<strong>in</strong>kt und große Projekte mit verschiedenen<br />

Institutionen zusammen angegangen würden. Dies sei e<strong>in</strong> weiterer Weg, wie Arme soziale<br />

und politische Macht <strong>zur</strong>ückgew<strong>in</strong>nen könnten (a.a.O.: 99ff.).<br />

1.2.3. Jayakaran<br />

Dieses Konzept Friedmanns möchte ich um e<strong>in</strong>es ergänzen, das von dem In<strong>der</strong> Ravi<br />

Jayakaran Mitte <strong>der</strong> 1990er Jahre e<strong>in</strong>gebracht wurde. Er beschreibt Armut als die<br />

Abwesenheit <strong>der</strong> Freiheit zu Wachstum, die sich im Leben <strong>der</strong> Armen <strong>in</strong> den folgenden<br />

vier Wachstumsbereichen auswirke:<br />

• physisch<br />

• mental<br />

• sozial<br />

• spirituell<br />

12


Jayakaran sieht h<strong>in</strong>ter diesen Wachstumsbegrenzungen das Anliegen von Menschen, die<br />

von ihnen profitierten und somit e<strong>in</strong> Interesse daran hätten, dass Wachstum nicht stattf<strong>in</strong>de.<br />

Auf lokaler Ebene würden die Armen begrenzt durch Menschen wie:<br />

• Geldleiher<br />

• Polizei<br />

• Behörden<br />

• Priester, Schamanen<br />

Auf <strong>der</strong> Makroebene seien die Menschen, die dieses Interesse des Aufrechterhaltens <strong>der</strong><br />

Begrenzungen haben, schwerer zu identifizieren, aber oft kontrollierten sie die lokale<br />

Ebene und profitierten dadurch ihrerseits. Die Vorzüge dieses Konzepts s<strong>in</strong>d, dass<br />

Jayakaran Armut <strong>in</strong> Menschen verortet. Das heißt, Menschen machen an<strong>der</strong>e Menschen<br />

arm o<strong>der</strong> halten sie arm, weil sie e<strong>in</strong> Interesse daran haben. Weiterh<strong>in</strong> macht er deutlich,<br />

dass die, die lokale Entwicklung verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, oft selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em System stecken, das sie<br />

b<strong>in</strong>det und <strong>in</strong> ihre Rollen zwängt. Somit ist die Beteiligung an diesem System <strong>der</strong><br />

Unterdrückung bis <strong>in</strong> nationale und globale Ebenen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> zu verfolgen. Gleichzeitig wird<br />

deutlich, dass für e<strong>in</strong> Aufbrechen dieser Situation e<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Armen und <strong>der</strong><br />

Nicht-Armen nötig ist, anstatt sich auf die Bee<strong>in</strong>flussung von Systemen, Märkten o<strong>der</strong><br />

Korruption, die nicht direkt verän<strong>der</strong>t werden können, zu konzentrieren (vgl. dazu a.a.O.:<br />

80ff.).<br />

2. Lösungen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Kirche<br />

Nach diesen E<strong>in</strong>blicken <strong>in</strong> Konzepte aus <strong>der</strong> Entwicklungshilfepraxis sollen nachfolgend<br />

und unter unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung kirchlicher Strukturen Lösungsvorschläge<br />

und H<strong>in</strong>tergründe dargestellt werden, wie sie auf Seiten <strong>der</strong> Kirchen zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d.<br />

2.1. Befreiungstheologie und radikale Evangelikale<br />

E<strong>in</strong>e kirchlich orientierte Antwort auf Fragen <strong>der</strong> Armut im Kontext „Dritte Welt“ lieferte<br />

die Befreiungstheologie. Hervorgehend aus den sozialen Fragen <strong>in</strong> Late<strong>in</strong>amerika und den<br />

für die befreiungstheologischen Vertreter wenig befriedigenden Antworten seitens <strong>der</strong><br />

Kirche bezüglich ihrer sozialen Verantwortung, erarbeiteten sie e<strong>in</strong>e „Volkstheologie“<br />

(Beyerhaus 1986: 17), die die aktuellen Lebensbezüge <strong>der</strong> Armen berücksichtigt und<br />

zugleich „unerbittlich nach <strong>der</strong> sozial-ethischen Relevanz des christlichen Glaubens und<br />

damit auch <strong>der</strong> christlichen Theologie“ fragt (a.a.O.: 44).<br />

13


Dass diese Bewegung nicht e<strong>in</strong>heitlich ist, stellt Helfenste<strong>in</strong> deutlich heraus (vgl.<br />

Helfenste<strong>in</strong> 1991: 23), <strong>in</strong> dem er <strong>in</strong> Anlehnung an Friel<strong>in</strong>g drei befreiungstheologische<br />

Typen aufzählt:<br />

• <strong>der</strong> sozial-populistische<br />

• <strong>der</strong> marxistische<br />

• <strong>der</strong> evangelisatorische.<br />

Helfenste<strong>in</strong>, <strong>der</strong> das Thema theologisch diskutiert, stellt diesen drei Typen die Bewegung<br />

<strong>der</strong> „Fraternidad Teologica Lationamerica (FTL)“ gegenüber. Diese kirchliche Bewegung<br />

ist abhängig von <strong>der</strong> Befreiungstheologie, „will aber als befreiende Theologie bewusst<br />

evangelikal 3 bleiben“ (ebd.).<br />

Diese theologische Unterscheidung verschiedener Strömungen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

Befreiungsbewegung zu erwähnen ist an dieser Stelle wichtig, da e<strong>in</strong>e Quelle <strong>der</strong> so<br />

genannten radikalen Evangelikalen die Befreiungstheologie ist (vgl. Hardmeier 2006: 9).<br />

Das Wesen <strong>der</strong> radikalen Evangelikalen ist es, nicht nur kontextuelle Theologie, also e<strong>in</strong>e<br />

an den lokalen Lebensumständen orientierte Theologie zu betreiben, son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong>e<br />

transformatorische Theologie zu leben und zu for<strong>der</strong>n, die neben <strong>der</strong> persönlichen<br />

Transformation <strong>der</strong> Gläubigen e<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gesellschaft im Blick hat (a.a.O.:<br />

118). Allerd<strong>in</strong>gs sehen die radikalen Evangelikalen an den verschiedenen<br />

Befreiungstheologien kritisch, dass sie dem Marxismus e<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en Platz e<strong>in</strong>geräumt<br />

hätten, den sie <strong>der</strong> Bibel verweigerten (Costas <strong>in</strong> Hardmeier: 48). E<strong>in</strong> weiterer Kritikpunkt<br />

an <strong>der</strong> Befreiungstheologie ist, dass <strong>der</strong> biblische Text nur noch e<strong>in</strong>e vergleichende bzw.<br />

beschreibende Funktion habe, und somit verliere er se<strong>in</strong> normatives Element (ebd.). Wie<br />

ich später darstelle (vgl. Kapitel 3.2.2.), akzeptieren viele <strong>der</strong> von uns betreuten K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Jugendliche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anglikanischen Kirche <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> diese biblische Autorität und<br />

reflektieren ihre soziale Realität aber weitgehend unkritisch, daher dieser kle<strong>in</strong>e Exkurs <strong>in</strong><br />

die Theologie.<br />

3 Das Wort evangelikal wird von Hardmeier wie folgt beschrieben: „Der Begriff „evangelical“ taucht<br />

erstmals <strong>in</strong> England als Bezeichnung <strong>der</strong> Anhänger <strong>der</strong> Reformation sowohl lutherischer als auch<br />

calv<strong>in</strong>istischer Prägung auf. In den folgenden zweihun<strong>der</strong>t Jahren wurde er vom Ausdruck „protestant“<br />

<strong>zur</strong>ückgedrängt. Im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t trat <strong>der</strong> Begriff „evangelical“ <strong>in</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> englischen<br />

Erweckungsbewegung wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Gegen Ende des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts wurde mit dem Begriff<br />

„evangelical“ die Christen bezeichnet, die <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Kirche Englands die Erweckungsbewegung<br />

vertraten. Trotz denom<strong>in</strong>ationeller Zersplitterung nahmen die Evangelicals e<strong>in</strong>e Verbundenheit unter sich<br />

wahr, die sich vor allem im Bibelbekenntnis ausdrückte. […] Die evangelikale Bewegung ist e<strong>in</strong><br />

vielschichtiges Phänomen und entsprechend gibt es ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Def<strong>in</strong>ition <strong>der</strong> heutigen evangelikalen<br />

Typen.“ (Hardmeier 2006: 2). Es werde zwischen reformierter, pf<strong>in</strong>gstlicher und radikaler Frömmigkeit<br />

unterschieden, wobei letztere auf die angewandt würde, die sich sozial-politisch e<strong>in</strong>setzen (vgl. ebd.).<br />

14


2.2. Freire als e<strong>in</strong> Vertreter <strong>der</strong> Befreiungstheologie<br />

Da ich später (v.a. Kapitel 5.4.) auf die Ideen Freires <strong>zur</strong>ückkomme, möchte ich hier e<strong>in</strong>ige<br />

Grundl<strong>in</strong>ien se<strong>in</strong>es Arbeitens und Denkens skizzieren. Paolo Freire (1921 bis 1997) wurde<br />

<strong>in</strong> Brasilien geboren und verbrachte dort e<strong>in</strong>en großen Teil se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit. Frühe<br />

Hungererfahrungen brachten den Elfjährigen dazu, sich dem Kampf gegen Hunger zu<br />

verschreiben (vgl. Lange <strong>in</strong> Freire 1973: 10). Für Freire war Bildung <strong>der</strong> Schlüssel zu<br />

Entwicklung. Somit wandte er ab 1947 e<strong>in</strong> Alphabetisierungsverfahren an, wurde aber<br />

nach e<strong>in</strong>em Staatsstreich <strong>in</strong> Brasilien 1964 des Landes verwiesen und arbeitete fortan als<br />

Professor und Son<strong>der</strong>beauftragter des Ökumenischen Kirchenrates <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Län<strong>der</strong>n. Das Werk Freires zusammenzufassen fällt schwer, weshalb ich mich im<br />

Folgenden auf die für den Diskussionskontext vorliegen<strong>der</strong> Arbeit relevanten Punkte und<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen konzentriere.<br />

Für Freire war es zeitlebens e<strong>in</strong>e Frage, wie den Unterdrückten geholfen werden könnte.<br />

Freire geht davon aus, dass die Unterdrückten sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Netz von Lügen bef<strong>in</strong>den<br />

(Freire nennt <strong>in</strong> diesem Zusammenhang den Begriff „Mythos“), das zu ihrer Nichtigkeit<br />

und ihrem ger<strong>in</strong>gen Selbstwertgefühl beiträgt und das von den Herrschenden dazu benutzt<br />

wird, aktuelle Machtverhältnisse zu stabilisieren, <strong>in</strong>dem die Herrschenden behaupten, dass<br />

die Armen aufgrund ihrer Nichtigkeit von jenen geführt o<strong>der</strong> entwickelt werden müssen<br />

(a.a.O.: 10). Er sieht somit strukturelle Gründe für Armut, sie ist für ihn „als Folge<br />

jahrhun<strong>der</strong>telanger und gegenwärtiger sozio-ökonomischer Unterdrückung bzw.<br />

politischer, ökonomischer, kommunikativer und kultureller Abhängigkeit“<br />

(www.freire.de/theologie) zu sehen.<br />

Freire fand heraus, dass die Armen <strong>in</strong> Reaktion auf diese Strukturen e<strong>in</strong>e Kultur des<br />

Schweigens entwickeln, wobei die sie umgebenden Organisationen, wie zum Beispiel die<br />

Kirchen, über diesen Zustand des Hungers und des Elends ebenso <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Schweigen<br />

verfallen (vgl. Ndabiseruyie 2009: 255). „Die Armen können sich nicht wehren, weil ihnen<br />

die „Sprache: die Waffe <strong>der</strong> Freiheit“ geraubt wird.“ (a.a.O.: 255) Für Freire ist daher<br />

Bildung e<strong>in</strong>erseits <strong>der</strong> Weg <strong>zur</strong> Befreiung aus dieser Situation und an<strong>der</strong>erseits kann sie –<br />

sofern sie nicht fruchtbar genutzt wird und zu e<strong>in</strong>em eigenständigen und kritischen Denken<br />

befähigt – dazu dienen, bestehende Macht- und Unterdrückungsverhältnisse zu stützen.<br />

Freire führt hier den Begriff <strong>der</strong> Bankiersbildung e<strong>in</strong> (vgl. Freire 1973: 57ff.), <strong>in</strong> dem er<br />

deutlich macht, dass Wissen Macht ist. „Die Möglichkeit <strong>der</strong> Bankiers-Erziehung, die<br />

kreative Kraft <strong>der</strong> Schüler zu m<strong>in</strong>imalisieren o<strong>der</strong> zu vernichten und ihre Leichtgläubigkeit<br />

zu stimulieren, dient den Interessen <strong>der</strong> Unterdrücker, denen es darum geht, daß die Welt<br />

we<strong>der</strong> erkannt noch verän<strong>der</strong>t wird“ (a.a.O.: 59). Dieses Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n von Erkennen und<br />

15


Verän<strong>der</strong>n geschieht dadurch, dass <strong>der</strong> Lehrer se<strong>in</strong>en Schüler als Conta<strong>in</strong>er ansieht, <strong>in</strong> den<br />

er Wissen zu packen hat. Lernen wird als Stapeln dieses Wissens im Conta<strong>in</strong>er gesehen.<br />

Die Rollen s<strong>in</strong>d dabei klar verteilt: <strong>der</strong> Lehrende weiß, <strong>der</strong> Lernende hat zu reproduzieren<br />

(vgl. a.a.O.: 57ff.). Ergebnis e<strong>in</strong>es solchen Lernprozesses ist laut Freire: „<strong>der</strong> angepaßte<br />

Mensch, denn er paßt besser <strong>in</strong> die Welt“ (a.a.O.: 61) und sorgt dadurch für weniger<br />

Unruhe, was im Interesse des Unterdrückers liegt. Freire warnt aber davor, dass die die<br />

Freiheit zu ihrer Sache machen, <strong>in</strong> genau dieselbe Richtung gehen, <strong>in</strong>dem sie dieses<br />

„Deposit“ (a.a.O.: 64) <strong>in</strong> die zu Befreienden e<strong>in</strong>lagern: „Befreiung ist e<strong>in</strong> Vorgang <strong>der</strong><br />

Praxis: die Aktion und Reflexion von Menschen auf ihre Welt, um sie zu verwandeln“<br />

(ebd.).<br />

Freire sieht e<strong>in</strong>en bewusstse<strong>in</strong>sbildenden Befreiungsprozess als Mittel an, diese Zustände<br />

zu än<strong>der</strong>n. Dem Lehrer kommt hierbei e<strong>in</strong>e tragende Rolle zu. Denn dieser muss nicht nur<br />

anerkennen, dass Lehren ideologisch ist, son<strong>der</strong>n er muss sich gleichzeitig mit den<br />

Lernenden zusammen auf e<strong>in</strong>en Lernprozess e<strong>in</strong>lassen, bei dem beide Seiten lernen (vgl.<br />

dazu Freire 2008: 23ff bzw. 85ff). Neben dieser verän<strong>der</strong>ten Lehrerhaltung ist für Freire<br />

entscheidend, dass es e<strong>in</strong>en Dialog gibt, <strong>der</strong> die Unterdrückten e<strong>in</strong>schließt. Durch das<br />

Bankiers-Konzept und die Kultur des Schweigens werden <strong>der</strong> Dialog unterdrückt und die<br />

Passivität <strong>der</strong> Unterdrückten geför<strong>der</strong>t (vgl. Freire 1973: 78ff). Doch für Freire bedeutet<br />

menschlich existieren: „[…] die Welt benennen, sie verän<strong>der</strong>n. […]. Menschen wachsen<br />

nicht im Schweigen, son<strong>der</strong>n im Wort, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Aktion-Reflexion“ (a.a.O.: 71).<br />

Dieses Benennen-Können ist Grundlage für Dialog und somit für Befreiung. Für Freire ist<br />

Bildung, also Alphabetisierung und In-Dialog-treten-können, e<strong>in</strong>e „Praxis <strong>der</strong> Freiheit“,<br />

die im Gegensatz <strong>zur</strong> „Bankiers-Erziehung“ o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er „Praxis <strong>der</strong> Herrschaft“ steht.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ist abschließend anzumerken, dass dieses Bildungs- und Befreiungskonzept als<br />

Erwachsenenbildungskonzept entstanden ist. Es schließt jedoch nicht aus, dass diese<br />

Denkl<strong>in</strong>ien auf Jugendarbeit übertragen werden können (vgl. dazu Kapitel 5.4.).<br />

2.3. Afrikanische Theologie<br />

Nachdem ich jetzt e<strong>in</strong>iges über pr<strong>in</strong>zipielle Entwicklungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Theologie <strong>in</strong> Bezug auf<br />

Armut und den Umgang mit ihr geschrieben und mit dem Beispiel Fall Freires vertieft<br />

habe, möchte ich auf den theologischen Kontext zu sprechen kommen, <strong>in</strong> dem diese Arbeit<br />

verankert ist – dem afrikanischen. Welche Ansätze <strong>in</strong> <strong>der</strong> afrikanischen Theologie gibt es,<br />

und wie verhält sie sich gegenüber Armut?<br />

E<strong>in</strong>leitend sei geschrieben, dass <strong>der</strong> afrikanische Kont<strong>in</strong>ent nicht ohne Religion zu denken<br />

ist. Egal ob es animistische Religionen s<strong>in</strong>d, die das Denken und Handeln <strong>der</strong> Menschen<br />

16


estimmen, <strong>der</strong> Islam o<strong>der</strong> das durch Missionare importierte Christentum. Religion ist aus<br />

Afrika nicht weg zu denken. 4 Übrigens muss an dieser Stelle deutlich gesagt werden, dass<br />

es DAS Afrika 5 nicht gibt und somit schon <strong>der</strong> Versuch, EINE afrikanische Theologie zu<br />

benennen, schwer fällt. Daher beziehen sich alle weiteren Aussagen, die die afrikanische<br />

Theologie betreffen, erst e<strong>in</strong>mal auf das zentralafrikanische Umfeld, <strong>in</strong> dem <strong>Burundi</strong> liegt.<br />

Bezüglich christlich-afrikanische Theologie wird im Buch des kongolesischen Bischofs<br />

Bimwenyi-Kweshi deutlich, wie schwierig es für afrikanische Theologen war, e<strong>in</strong>e<br />

eigenständige Theologie zu f<strong>in</strong>den, die sich von kolonialistischen Zügen befreit und zu<br />

e<strong>in</strong>er genu<strong>in</strong> afrikanischen Anwendung gelangen kann (vgl. Bimwenyi- Kweshi 1982). Es<br />

fiel dieser Theologie schwer, wie Bimweny-Kweshi es schreibt, von diesen „kulturellen“<br />

Fragen des Ablösens wegzukommen und sich auf aktuelle sozio-ökonomische Fragen zu<br />

konzentrieren (a.a.O.:71).<br />

Der burundische Theologe Ndabiseruye macht dagegen deutlich, dass es schon <strong>in</strong> den<br />

1970er Jahren e<strong>in</strong>e von <strong>der</strong> late<strong>in</strong>amerikanischen Befreiungstheologie <strong>in</strong>spirierte Theologie<br />

<strong>in</strong> Afrika gab, die for<strong>der</strong>te, sich weniger an e<strong>in</strong>er, wie <strong>der</strong> Kameruner Metogo es nannte,<br />

„statischen Sicht von Kultur und Geschichte“ zu orientieren (Ndabiseruye 2009: 200).<br />

Ndabiseruye erklärt, dass es im Suchen nach e<strong>in</strong>er eigenständigen Theologie anfänglich<br />

e<strong>in</strong>e Art „black is beautiful“ Bewegung gab, die dann <strong>in</strong> den 1950er Jahren versuchte, e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong> den afrikanischen Traditionen verwurzelte, also <strong>in</strong>digene, Theologie zu entwerfen<br />

(a.a.O.: 195ff.). Nach e<strong>in</strong>er F<strong>in</strong>dungsphase <strong>in</strong> den 1960er Jahren entstanden <strong>in</strong> den 1970er<br />

Jahren Arbeiten, die versuchten, „die christliche Botschaft im H<strong>in</strong>blick auf die afrikanische<br />

Tradition und mit Hilfe von Humanwissenschaften fachgemäß und systematisch neu zu<br />

durchdenken“ (a.a.O.: 200). Daraus resultierend gab es dann erste Äußerungen, die<br />

vorsahen, dass Unterdrückung nicht nur im Kulturbereich stattfand, son<strong>der</strong>n es e<strong>in</strong>e<br />

Ausbeutung des Volkes auf verschiedenen Ebenen durch Medien o<strong>der</strong> mult<strong>in</strong>ationale<br />

Gesellschaften gab (a.a.O.: 201). Der Kameruner Soziologie- und Theologieprofessor<br />

Jean-Marc Ela setzt <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auf e<strong>in</strong>en umfassend befreienden Gott,<br />

macht aber gleichzeitig deutlich, dass es wichtig sei, „christliche Botschaft von ihrem<br />

4 Wie Ellis/Ter Haar schreiben, durchzieht Religion viele afrikanische Gesellschaften und oft ist<br />

demokratische und politische Macht nicht von Religion zu trennen. Sie beschreiben, wie politische Macht<br />

sich immer wie<strong>der</strong> charismatischer religiöser Führer bedient, um von <strong>der</strong>en Glanz zu profitieren (Ellis/Ter<br />

Haar 2004: 99ff.). Im Umkehrschluss kann man sagen, dass Religion somit zum Erhalt des Status quo<br />

beiträgt, wenn sie sich <strong>in</strong> dieser Weise <strong>in</strong>strumentalisieren lässt und somit, wie Freire sagen würde, <strong>zur</strong><br />

Unterdrückung beiträgt.<br />

5 „Il n‘y a pas une Afrique, mais bien des Afriques.“ (adpf: 35) Daraus kann man folgern, dass es auch nicht<br />

DIE afrikanische Gesellschaft gibt, o<strong>der</strong> DIE afrikanische Theologie, denn es ist notwendig „de reconnaître l‘<br />

enorme diversité de l‘ Afrique […] qui représente une extraord<strong>in</strong>aire varieté de peuples, de cultures,<br />

d‘économies, d’histoires et de géographies.“ (a.a.O.: 34f.)<br />

17


Eurozentrismus zu lösen, damit sie im afrikanischen Kontext wirksam wird“ (a.a.O.: 202).<br />

Für Ela ist klar, dass die christliche Botschaft auf die Strasse muss und sich an den<br />

Lebensumständen <strong>der</strong> Gläubigen reiben muss. 6 Allerd<strong>in</strong>gs bleibt es für die afrikanische<br />

Theologie e<strong>in</strong>e Spannung, wie Kultur, Mission und Befreiung mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> vere<strong>in</strong>bar s<strong>in</strong>d<br />

(a.a.O.: 203ff.). Deutlich wird, dass <strong>in</strong> <strong>der</strong> afrikanischen Theologie <strong>der</strong> Befreiung ke<strong>in</strong>e<br />

marxistischen Bezüge und Grundlagen vorhanden s<strong>in</strong>d, wie sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> late<strong>in</strong>amerikanischen<br />

Ausprägung zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d – und oft als Kritikpunkt verstanden wurden (vgl. Punkt 2 a).<br />

Ela macht <strong>in</strong> diesem Zusammenhang sehr deutlich: „How could one make the blanket<br />

assertion, with the n<strong>in</strong>eteenth century <strong>in</strong> full sw<strong>in</strong>g, that religion is the opium of the people,<br />

when <strong>in</strong> Africa, <strong>in</strong> the age of empires, the religious element was the locus of the combat for<br />

the liberation of the oppressed?” (Ela 1986: 46) Nachdem er die Wichtigkeit <strong>der</strong><br />

„religiösen Bewegungen“ im kulturellen, politischen und sozialen Zusammenhang deutlich<br />

gemacht hat, resümiert Ela: „When all is said and done, it is the sphere of the religious <strong>in</strong><br />

the history of mo<strong>der</strong>n Africa that appears as the locus par excellence of the cultural<br />

confrontation and political combat.“ (a.a.O.: 47) Im afrikanischen Kontext geht es also<br />

vielmehr um e<strong>in</strong>e „Befreiung von e<strong>in</strong>er Armut, die radikaler und schlimmer ist als die<br />

materielle Armut, nämlich <strong>der</strong> kulturellen und anthropologischen Armut.“ (Ndabiseruye<br />

2009: 206) Diese Armut ist die Folge <strong>der</strong> Kolonialisierung, die Identität und kulturelle<br />

Verwurzelung geraubt hat (vgl. ebd.). Ndabiseruye schreibt weiter: „Dar<strong>in</strong> liegt <strong>der</strong><br />

Unterschied <strong>zur</strong> late<strong>in</strong>amerikanischen Befreiungstheologie, die den Akzent v.a. auf die<br />

sozialökonomische Armut setzt.“ (ebd.) Dennoch möchte diese Theologie dafür kämpfen,<br />

„dass Männer und Frauen unserer Zeit zu den Architekten ihrer eigenen Zukunft werden“<br />

(a.a.O.: 207), <strong>in</strong>dem sie „das Volk auf <strong>der</strong> Suche nach Würde, Lebenss<strong>in</strong>n und erfülltem<br />

Menschse<strong>in</strong>“ (ebd.) begleiten. 7<br />

An dieser Stelle sei noch e<strong>in</strong> Wort zu den an<strong>der</strong>en „Schwarzen Theologien“ erlaubt. In<br />

Nordamerika und Südafrika hatte sich vor allem als Reaktion auf die Unterdrückung <strong>der</strong><br />

6 „One th<strong>in</strong>g is clear: We can no longer un<strong>der</strong>stand and live our faith apart from a context of liberation of the<br />

oppressed. It is here, that we must re<strong>in</strong>terpret the whole of the revealed message, here that we must reth<strong>in</strong>k<br />

the church and its mission, here that we must redef<strong>in</strong>e the lifestyle of our evangelical communities <strong>in</strong><br />

society.” (Ela 1986: 94)<br />

7 E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> den Jahren 2009 und 2010 vom Autor mündlich durchgeführte Befragung von rund 30 ehren- und<br />

hauptamtlichen Mitarbeitern verschiedener Kirchen <strong>Burundi</strong>s zeigt allerd<strong>in</strong>gs, dass diese Armut vollkommen<br />

an<strong>der</strong>s sehen. Auf die Fragen „Was ist Armut?“ und „Warum existiert sie?“ antwortete ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Richtung, die auf solch e<strong>in</strong>e strukturalistische Antwort wie den durch die Kolonialisierung herbeigeführten<br />

Identitätsverlust h<strong>in</strong>deutet. Alle Befragten verorteten das Wesen von Armut im sozio-ökonomischen Bereich.<br />

Die Frage nach <strong>der</strong> Herkunft wurde verschieden gesehen – neben Armut als Folge von Krieg werden<br />

Klimaän<strong>der</strong>ung und auch <strong>in</strong>dividuell-strukturelle Gründe wie zu niedrige Bildung und Mangel an mo<strong>der</strong>nen<br />

Arbeitstechniken genannt. Nichtsdestotrotz macht diese Aussage Ndabiseruyes deutlich, auf welcher Ebene<br />

afrikanische Theologen Befreiung konzeptionell denken und sehen.<br />

18


schwarzen Hautfarbe e<strong>in</strong>e „Black Theology“ herausgebildet. Diese „Schwarzen<br />

Theologien“ s<strong>in</strong>d somit auch kontextuelle Theologien, jedoch vor allem gegen<br />

Rassendiskrim<strong>in</strong>ierung ausgerichtet (Ndabiseruye 2009: 201).<br />

In Südafrika fand die gegen die Apartheid gerichtete Theologie 1985 ihren Höhepunkt <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Erstellung des „Kairos-Dokuments“, das <strong>in</strong> den Schwarzen Townships Südafrikas mit<br />

Freuden aufgenommen wurde: „They [ord<strong>in</strong>ary Christians <strong>in</strong> the Black Townships of<br />

South Africa, d.Verf.] are say<strong>in</strong>g that the Kairos document gives articulate expression to<br />

what they believe as Christians about the present struggle for liberation <strong>in</strong> South Africa.“<br />

(Kairos 1986: o. Seitenangabe). 152 Theologen aus verschiedensten Kirchen hatten dieses<br />

Dokument erarbeitet, um sich gegen e<strong>in</strong>e Kirche zu stellen, die Unterdrückung stützt und<br />

somit Machtverhältnisse stabilisiert.<br />

2.4. Situationsbeschreibung zum Verhältnis Kirche und Armut <strong>in</strong> Deutschland 8<br />

„Johannes Warmbrunn, Sprecher des Diözesanrats, warnte vor e<strong>in</strong>er Armutsspirale, die<br />

junge Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en „verhängnisvollen Sog <strong>in</strong>s soziale Abseits“ ziehe. Zur<br />

Gegenwehr brauche es bürgerschaftliches Engagement und neue Formen <strong>der</strong><br />

Solidarökonomie, beispielsweise <strong>in</strong> Genossenschaften, Tauschr<strong>in</strong>gen und<br />

Bürgerstiftungen.“ (epd 2009: 1308) Warmbrunn nannte diese Interventionsmöglichkeiten<br />

bei <strong>der</strong> Vorstellung e<strong>in</strong>er sozialwissenschaftlichen Studie über arme K<strong>in</strong><strong>der</strong> und ihre<br />

Familien <strong>in</strong> Baden-Württemberg. Kirche, <strong>in</strong> diesem Fall die katholische Kirche, sieht also<br />

nicht nur die Notwendigkeit von Interventionen bezüglich Armut, son<strong>der</strong>n nennt auch neue<br />

Organisationsformen. Auch die evangelische Kirche <strong>in</strong> Württemberg beschäftigt sich mit<br />

diesem Thema und stellt dabei nicht nur fest, dass oft eigene Mitglie<strong>der</strong> von Armut<br />

betroffen seien, son<strong>der</strong>n dass Initiativen wie die Tafeln nötig seien: „Ke<strong>in</strong>er kann sie<br />

wollen und doch s<strong>in</strong>d sie nötig“, so Landesbischof July (epd 2009: 1339).<br />

Welche Grundlagen und Probleme kann es <strong>in</strong> dieser kirchlichen Arbeit gegen Armut<br />

geben?<br />

2.4.1. Grundlagen<br />

„Da die verschiedenen Gruppen <strong>der</strong> Armenbevölkerung auch <strong>in</strong> Zukunft nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage<br />

se<strong>in</strong> werden, e<strong>in</strong>e wirksame Lobby zu entwickeln, brauchen sie Bündnispartner, die sie <strong>in</strong><br />

diesem Prozess aktiv unterstützen. Neben Selbsthilfe<strong>in</strong>itiativen <strong>der</strong> Betroffenen im engeren<br />

S<strong>in</strong>ne s<strong>in</strong>d daher nicht zuletzt die Verbände und Träger ebenso wie die Fachkräfte <strong>der</strong><br />

8 Diese Situationsbeschreibungen stammt auszugsweise aus e<strong>in</strong>er Modulabschlussarbeit des Autors „Kirche<br />

und geme<strong>in</strong>schaftliche Bewältigungsstrategien <strong>zur</strong> Bekämpfung von Armut“, Juli 2009.<br />

19


sozialen Arbeit gefor<strong>der</strong>t, als Partner und als Stimme <strong>der</strong> Armen sich öffentlich zu Wort zu<br />

melden und sich für e<strong>in</strong>e solidarische Bewältigung <strong>der</strong> aktuellen Strukturprobleme und für<br />

die Überw<strong>in</strong>dung von Armut e<strong>in</strong>zusetzen.“ (Hanesch 2001: 39). Die Notwendigkeit zu<br />

kirchlichem Engagement <strong>in</strong> Bezug auf Geme<strong>in</strong>wesen und Arme wird aber nicht nur<br />

sozialwissenschaftlich angemahnt, son<strong>der</strong>n ist auch theologisch gegeben. Die EKD<br />

argumentiert dazu negativ, <strong>in</strong> dem sie beschreibt: „E<strong>in</strong>e Kirche, die auf das E<strong>in</strong>for<strong>der</strong>n von<br />

Gerechtigkeit verzichtet, <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> ke<strong>in</strong>e Barmherzigkeit üben und die sich nicht<br />

mehr den Armen öffnet o<strong>der</strong> ihnen gar Teilhabemöglichkeiten verwehrt, ist […] nicht die<br />

Kirche Jesu Christi.“ (EKD 2006: 15) E<strong>in</strong>e tiefere biblisch-theologische Reflexion passt<br />

nicht <strong>in</strong> das Konzept dieser Arbeit, gleichwohl sei dem/<strong>der</strong> <strong>in</strong>teressierten Leser/<strong>in</strong> die eben<br />

zitierte Denkschrift empfohlen, hier vor allem ab Seite 46. Die Argumentation <strong>der</strong> EKD<br />

mündet <strong>in</strong> die Feststellung: „Die enge Verb<strong>in</strong>dung von sozialer Frage und Gottesfrage hat<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirche durch die Jahrhun<strong>der</strong>te h<strong>in</strong>durch bis heute immer zu e<strong>in</strong>em beson<strong>der</strong>en<br />

E<strong>in</strong>treten für die Armen geführt.“ (a.a.O.: 46) Der Auftrag <strong>zur</strong> Hilfe sche<strong>in</strong>t klar und von<br />

den Kirchen auch anerkannt zu se<strong>in</strong>, aber welches Problem gibt es bei <strong>der</strong> Umsetzung<br />

dieses Auftrages?<br />

2.4.2. Grundlegendes Problem<br />

Das wohl wichtigste und von vielen Seiten genannte Problem ist, dass Kirche ke<strong>in</strong>en<br />

Zugang zu Armen hat. Schulz, die an <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> Studie, die die Grundlage für die<br />

Gedenkschrift <strong>der</strong> EKD bildet, beteiligt war, schreibt dazu: „Jenseits des klassischen<br />

Bildes e<strong>in</strong>er helfenden Kirche mit Gratis-Mahlzeiten für Obdachlose und Almosen zeigt<br />

die Studie, dass die klassische Kirchengeme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> vielerlei H<strong>in</strong>sicht nicht auf von Armut<br />

betroffene Menschen e<strong>in</strong>gerichtet ist: In Gottesdienst und Bibelkreis bleibe die<br />

„bildungsbürgerliche Kerngeme<strong>in</strong>de“ unter sich – wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft, so auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Kirchengeme<strong>in</strong>de blieben Arme unsichtbar.“ (Schulz 2007, Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al)<br />

Die EKD nimmt dies auf und schreibt „Ärmere Menschen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> vielen christlichen<br />

Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Deutschland wenig o<strong>der</strong> gar nicht sichtbar“ (EKD 2006: 75).<br />

Das Diakonische Werk beschreibt es so: „Oft haben sie [die Kirchengeme<strong>in</strong>den, d. Verf.]<br />

längst e<strong>in</strong> Selbstverständnis <strong>der</strong> „Kirche für an<strong>der</strong>e“ (Proexistenz) entwickelt und s<strong>in</strong>d mit<br />

diakonischen Angeboten präsent (Hausaufgabenhilfe, Sprachkurse, Tafeln,<br />

Klei<strong>der</strong>kammern etc.). Geme<strong>in</strong>wesendiakonie 9 entwickelt dieses Verständnis weiter zu<br />

9 Geme<strong>in</strong>wesendiakonie bedeutet, dass lokale Kirchengeme<strong>in</strong>de und lokale diakonische E<strong>in</strong>richtung sich <strong>in</strong><br />

ihrem Engagement gegenseitig unterstützen, <strong>in</strong> dem „geme<strong>in</strong>sames Handeln von diakonischer Geme<strong>in</strong>de und<br />

geme<strong>in</strong>wesenorientierter Diakonie vor Ort sichtbar wird.“ (vgl. Diakonisches Werk 2007: 6)<br />

20


e<strong>in</strong>er „Kirche mit an<strong>der</strong>en“ (Konvivenz), <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Zielgruppen <strong>zur</strong> Hilfe zum eigenen<br />

Handeln ermutigt und bei <strong>der</strong> Organisation von Selbsthilfe unterstützt werden.“<br />

(Diakonisches Werk 2007: 26f.) Als Kritikpunkt wird deutlich: Kirche hat e<strong>in</strong>en<br />

Schwerpunkt auf das Kümmern um die Armen gelegt, aber diese weniger motiviert (o<strong>der</strong>:<br />

empowert), sich selbst zu organisieren und mit ihnen geme<strong>in</strong>sam Kirche zu bauen.<br />

2.4.3. Gesellschaftsrelevanter Geme<strong>in</strong>debau<br />

An dieser Stelle möchte ich auf die Haltung <strong>der</strong> radikalen Evangelikalen <strong>zur</strong>ückkommen.<br />

Ich beziehe mich dabei auf Johannes Reimer, <strong>der</strong> für die westliche Welt e<strong>in</strong>e Theologie des<br />

gesellschaftsrelevanten Geme<strong>in</strong>debaus entwickelt hat. Reimer hat, neben diesen<br />

Erfahrungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> westlichen Welt, Erfahrungen im gesellschaftsrelevanten Geme<strong>in</strong>debau<br />

<strong>in</strong> den Slums Amerikas und Afrikas sammeln können (vgl. Reimer 2009: 7f.). Für ihn ist es<br />

wichtig, dass Geme<strong>in</strong>den, da sie lokal verortet s<strong>in</strong>d 10 , sich um Menschen ihres Umfelds<br />

kümmern, sich für sie e<strong>in</strong>setzen und geme<strong>in</strong>sam Glauben leben. Um herauszuf<strong>in</strong>den,<br />

welche Fragen diese Menschen beschäftigt, sieht er unter an<strong>der</strong>em sozialwissenschaftliche<br />

Analysen als e<strong>in</strong>e Möglichkeit, kontextuelle Theologie auf lokaler Ebene zu betreiben<br />

(a.a.O.: 244f). Für ihn ist es wichtig, dass Geme<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>e Vision entwickelt, die sich am<br />

Konzept <strong>der</strong> <strong>in</strong>tegralen o<strong>der</strong> holistischen Mission 11 e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de o<strong>der</strong> Kirche orientiert<br />

(vgl. a.a.O.: 235f.). Reimer baut se<strong>in</strong> Konzept weniger auf e<strong>in</strong>e Befreiung <strong>der</strong> Armen o<strong>der</strong><br />

Unterdrückten auf, macht aber deutlich, dass je nach Kontext, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich die Geme<strong>in</strong>de<br />

bef<strong>in</strong>det, dies e<strong>in</strong> Auftrag für e<strong>in</strong>e lokale Geme<strong>in</strong>de sei. Für den westlichen Kontext kann<br />

dies bedeuten, Sprachkurse für Migranten anzubieten (ebd.), Häuser ärmerer Menschen zu<br />

renovieren (a.a.O.: 262) o<strong>der</strong> Kontaktbüros aufzubauen (a.a.O.: 264). Ausgangspunkt all<br />

dieser Initiativen ist, dass Geme<strong>in</strong>de sich den Bedürfnissen <strong>der</strong> Menschen an dem Ort, an<br />

dem sie sich bef<strong>in</strong>det, stellt (a.a.O.: 235). Somit wird e<strong>in</strong>e Kirche, die <strong>in</strong> ihrem sozialen<br />

Umfeld viele Arme hat, sich diesen auch widmen und mit ihnen geme<strong>in</strong>sam nach<br />

Lösungen suchen. Dieses Konzept kann theologisch und praktisch auch <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong><br />

angewandt werden, doch dazu später mehr (vgl. Kapitel 5.3.).<br />

10 Der late<strong>in</strong>ische Begriff Kirche ist „ecclesia“ und bedeutet im wörtlichen S<strong>in</strong>n „Versammlung“. Da<br />

Versammlungen von Menschen e<strong>in</strong>en Ort brauchen, hat Kirche im S<strong>in</strong>ne Reimers immer und zuerst e<strong>in</strong>en<br />

lokalen Aspekt (vgl. Reimer 2009: 36ff.).<br />

11 Holistische o<strong>der</strong> ganzheitliche o<strong>der</strong> <strong>in</strong>tegrale Mission bedeutet, dass Geme<strong>in</strong>de o<strong>der</strong> Kirche ihren<br />

diakonischen Auftrag mit ihrem wortverkündenden Auftrag verknüpft. Beide Aufträge müssen Hand <strong>in</strong> Hand<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Konzept e<strong>in</strong>fließen, damit Gesellschaft verän<strong>der</strong>t wird (vgl. Myers 2008: 134ff. o<strong>der</strong> Reimer 2009:<br />

171ff.).<br />

21


3. Bewältigungsstrategien<br />

3.1. Individuelle Bewältigungsstrategien<br />

Genauso unterschiedlich wie die Gründe für Armut s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong>dividuellen<br />

Bewältigungsstrategien, die Menschen f<strong>in</strong>den und anwenden, um mit ihrer Lebenslage<br />

<strong>zur</strong>echtzukommen. Hanesch nennt für den westlichen Kontext hierzu nicht nur fünf<br />

zeitliche Typen, <strong>in</strong> die kategorisiert werden kann, son<strong>der</strong>n er nennt auch Kategorien, die<br />

das <strong>in</strong>dividuelle Verhalten und Erleben wi<strong>der</strong>spiegeln. (vgl. Hanesch 2001: 31). Hierzu<br />

führt er verschiedene <strong>in</strong>dividuelle Bewältigungsstrategien an: „Sie reichen vom Typus des<br />

„ewigen Verlierers“ (passives Erleiden) über den „notgedrungenen Verwalter“ (mit<br />

neutraler Überbrückerhaltung), den „pragmatischen Gestalter“ (<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Misere das<br />

Beste zu machen versucht), den „strategischen Nutzer“ (mit übergreifen<strong>der</strong> subjektiver<br />

Perspektive) bis zum „aktiven Gestalter <strong>der</strong> aktuellen Lebenssituation“.“ (ebd.) Hanesch<br />

unterstreicht weiter, dass die Kenntnis dieser Bewältigungsstrategien wichtig sei, denn sie<br />

relativiere „das gängige Bild e<strong>in</strong>er quasi-automatisch verfestigten Armutskarriere mit<br />

begleitenden psycho-sozialen Deformationen“ (ebd.). Auch dürfe nicht gefolgert werden,<br />

dass Zufriedenheit mit Sozialhilfebezug e<strong>in</strong>e Lösung des Armutsproblems sei (ebd.).<br />

Die Untersuchungen von Meier et al., die allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Typologisierung zugrunde<br />

legen 12 , zeigen unter an<strong>der</strong>em, wie kreativ Lösungen se<strong>in</strong> können und wie sich die<br />

Menschen ke<strong>in</strong>eswegs mit ihrer Lage und den von den Ämtern vorgegebenen Lösungen<br />

abgeben, son<strong>der</strong>n mit starkem Willen und Kreativität ihr Leben selbst <strong>in</strong> die Hand nehmen<br />

und somit ihre Lage än<strong>der</strong>n können (vgl. dazu vor allem den Typ des vernetzten Aktiven <strong>in</strong><br />

Meier et al. 2003: 296ff.).<br />

Leibfried und Leiser<strong>in</strong>g, die wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong>e eigene Typologie entwickeln, 13 kommen zum<br />

Schluss, dass Sozialhilfe (o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Lebenssituation <strong>in</strong> Armut) von den Beziehern<br />

unterschiedlich genutzt würde und die Bezieher unterschiedlich handelten. „„Handeln“<br />

o<strong>der</strong> „Gestalten“ heißt nicht, daß sich die Betroffenen über e<strong>in</strong>engende äußere<br />

Bed<strong>in</strong>gungen o<strong>der</strong> über Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit schlicht h<strong>in</strong>wegsetzen könnten.<br />

Es bedeutet aber, daß Personen unter vergleichbaren Bed<strong>in</strong>gungen ganz unterschiedliche<br />

Wege e<strong>in</strong>schlagen können.“ (Leibfried/Leiser<strong>in</strong>g 1995: 185f., Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al)<br />

Für den afrikanischen Kontext s<strong>in</strong>d diese Aussagen sicher nicht <strong>in</strong> gänzlicher Analogie<br />

übertragbar. Dennoch wird deutlich, dass es auch <strong>in</strong> diesem Umfeld e<strong>in</strong> unterschiedliches<br />

Erleben von und e<strong>in</strong>en unterschiedlichen Umgang mit Armut gibt. Dieses Phänomen wäre<br />

12 Typ 1: Die verwalteten Armen, Typ 2: Die erschöpften E<strong>in</strong>zelkämpferInnen, Typ 3: Die ambivalenten<br />

JongleurInnen, Typ 4: Die vernetzten Aktiven (vgl. Meier et al. 2003: 296).<br />

13 Sie unterscheiden: „Opfer“, „Problemverwalter“, „pragmatische Gestalter“ und „aktive Gestalter“ sowie<br />

„strategische Nutzer“. (Leibfried/Leiser<strong>in</strong>g 1995: 178).<br />

22


sicher e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehen<strong>der</strong>e Untersuchung wert, helfen solche Typologisierungen doch nicht<br />

nur Außenstehenden und Helfern, differenziert zu sehen, son<strong>der</strong>n auch den Betroffenen<br />

selbst, zu erkennen, dass es unterschiedliche Qualitäten und Umgangsweisen mit e<strong>in</strong>er<br />

solchen Lebenssituation gibt. Kann diese E<strong>in</strong>sicht doch bewirken, dass das Netz <strong>der</strong><br />

Lügen, das die Armen umgibt und durch das ihre Nichtigkeit und Abhängigkeit<br />

unterstrichen wird (vgl. dazu Freire 1973: 59ff.), durch praktische Beispiele aus dem<br />

eigenen Lebensumfeld zerrissen wird. 14<br />

Cremer-Schäfer macht deutlich, dass hierzu Ressourcen nötig s<strong>in</strong>d, wenn sie unter Bezug<br />

auf den Wohlfahrtsstaat schreibt: „„Wohlfahrt“ heißt danach auf <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Ebene e<strong>in</strong>fach das Bereitstellen von Ressourcen, mit denen soziale Akteure schwierige<br />

Situationen bewerkstelligen können.“ (Cremer-Schäfer 2005: 20f.) Da diese staatliche<br />

Intervention <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> nicht existiert, bleibt die Frage: Wer ist <strong>der</strong>jenige (<strong>in</strong> Friedmanns<br />

Term<strong>in</strong>ologie: wo s<strong>in</strong>d die sozialen Organisationen), <strong>der</strong> diese Ressourcen bereitstellt? In<br />

unserem Fall wird aus dem bisher Dargestellten deutlich, dass die Kirche e<strong>in</strong>e solche<br />

Institution se<strong>in</strong> kann und muss.<br />

3.2. Geme<strong>in</strong>schaftliche Bewältigungsstrategien<br />

Neben den <strong>in</strong>dividuellen Bewältigungsstrategien gibt es im westlichen Kontext auch<br />

geme<strong>in</strong>schaftliche Bewältigungsstrategien. Ich möchte betonen, dass die Lösung<br />

<strong>in</strong>dividueller Armut – neben dem Angehen und Anmahnen <strong>der</strong> strukturellen Ursachen<br />

durch sozialpolitische Maßnahmen – auch durch sozialpädagogische Intervention im<br />

<strong>in</strong>dividuellen Bereich liegen müssen. Diese <strong>in</strong>dividuellen Lösungen und Bewältigungen zu<br />

bündeln und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>schaftliche Bewältigungsstrategie zu führen, kann e<strong>in</strong>e weitere<br />

Aufgabe Sozialer Arbeit se<strong>in</strong>. Ich teile die Auffassung Kunstreichs, dass<br />

Geme<strong>in</strong>wesenarbeit bei <strong>der</strong> Mobilisierung und Begleitung <strong>der</strong> Betroffenen e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Rolle spielt, <strong>in</strong>dem Geme<strong>in</strong>wesenarbeit def<strong>in</strong>iert wird „als Arbeitspr<strong>in</strong>zip, das Partizipation<br />

<strong>der</strong> Akteure an ihren eigenen Angelegenheiten unterstützt und so <strong>zur</strong> Praxis <strong>der</strong> Aneignung<br />

des Sozialen wird“ (Kunstreich 2005: 106). Kunstreich for<strong>der</strong>t dann „die Vermittlung von<br />

analytischer Perspektive mit <strong>der</strong> des kooperativen Handelns“ (ebd.) und benennt als<br />

mögliche kooperative Maßnahme <strong>zur</strong> Bekämpfung von Armut Sozialgenossenschaften.<br />

Weitere geme<strong>in</strong>schaftliche Maßnahmen, die gegenwärtig <strong>in</strong> <strong>der</strong> westlichen Welt diskutiert<br />

14 E<strong>in</strong> aktuelles Armutskonzept baut auf diesem Gedanken des Lügennetzes auf. Der In<strong>der</strong> Jayakumar<br />

Chritsian schrieb <strong>in</strong> den 90er Jahren, dass e<strong>in</strong>e Vorraussetzung für Empowerment sei, dass dieses Lügennetz<br />

durchrissen würde (vgl. dazu Myers 2008: 76f.f).<br />

23


und praktiziert werden, s<strong>in</strong>d unter an<strong>der</strong>em das System <strong>der</strong> Tauschr<strong>in</strong>ge 15 und <strong>der</strong> Tafeln.<br />

Letzteres ist me<strong>in</strong>es Erachtens für die Betroffenen selbst allerd<strong>in</strong>gs nur selten e<strong>in</strong><br />

partizipatives System, son<strong>der</strong>n eher e<strong>in</strong>e gesellschaftlich-kooperativ organisierte<br />

„Zusatzversorgung“ Armer, da <strong>in</strong> dieser achtenswerten Initiative gerade das Moment <strong>der</strong><br />

Selbstorganisation <strong>der</strong> Betroffenen oft fehlt. Die Zugangsvoraussetzung zu e<strong>in</strong>er Tafel ist<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong>e Hartz IV-Besche<strong>in</strong>igung, also e<strong>in</strong> Element aus dem Ressourcen-Ansatz<br />

<strong>der</strong> Armutstheorien. Ziel geme<strong>in</strong>schaftlicher Maßnahmen ist es h<strong>in</strong>gegen, den Betroffenen<br />

zu helfen, sich zusammenzuschließen und mit ihren Kräften und Gaben e<strong>in</strong>e Lösung ihrer<br />

aktuellen Lage zu suchen – sei es entwe<strong>der</strong> auf ökonomischer o<strong>der</strong> auf sozialer Ebene.<br />

Wichtig ist, dass <strong>in</strong> diesen geme<strong>in</strong>schaftlichen Bewältigungsstrategien deutlich wird, „dass<br />

es immer <strong>der</strong> aktuelle Zusammenhang von Not und Selbstorganisation ist, <strong>der</strong> Inhalt und<br />

Ausprägung solidarischer Aktionen erklärt, dass es jeweils die aktuellen sozialen Konflikte<br />

s<strong>in</strong>d, die Selbstorganisationen <strong>der</strong> Machtunterworfenen o<strong>der</strong> Ohnmächtigen hervorbr<strong>in</strong>gen<br />

– wenn sie Hoffnung auf Verän<strong>der</strong>ung haben. Hunger alle<strong>in</strong> führt zum Verhungern, nicht<br />

<strong>zur</strong> Selbstorganisation. Es s<strong>in</strong>d vielmehr existenziell wichtige, bewegende Fragen, die<br />

Menschen dann dazu br<strong>in</strong>gen sich zusammenzuschließen, wenn sie e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />

Option haben.“ (a.a.O.: 108)<br />

Für den Dritte-Welt-Kontext nennt Myers e<strong>in</strong>ige Methoden, die dazu dienen, community<br />

zu entwickeln (vgl. Myers 2008: 168-182). 16 Für Myers ist klar: Da <strong>der</strong> Bezugspunkt <strong>der</strong><br />

Armutstheorie e<strong>in</strong> Haushalt ist, müssen Bewältigungsstrategien auch auf dieser Ebene<br />

ansetzen (a.a.O.: 58f.). Der E<strong>in</strong>zelne ist bei existentieller Armut zu schwach, sie zu<br />

bekämpfen, vor allem, wenn sie eben <strong>in</strong> Bezug <strong>zur</strong> Deprivation von Rechten gesetzt wird.<br />

Auch Anthropologisch sche<strong>in</strong>t es e<strong>in</strong>facher zu se<strong>in</strong>, für geme<strong>in</strong>schaftliche<br />

Bewältigungsstrategien zu plädieren, da <strong>der</strong> Begriff des Geme<strong>in</strong>wesens und <strong>der</strong> erweiterten<br />

15 Zur Vertiefung <strong>der</strong> Maßnahmen vgl. Kunstreich zu Sozialgenossenschaften, H<strong>in</strong>z/Wagner zu Tauschr<strong>in</strong>gen<br />

und www.tafel.de zu den Tafeln. Interessant ist, dass 2009 rund 25% aller Tafeln sich <strong>in</strong> kirchlicher<br />

Trägerschaft befanden auch unter Namen wie Vesperkirche bekannt.<br />

16 Für e<strong>in</strong>e detaillierte Darstellung <strong>der</strong> entsprechenden Techniken sei auf das genannte Kapitel <strong>in</strong> Myers Buch<br />

verwiesen.<br />

24


sozialen Umgangsform <strong>in</strong> den Kulturen 17 <strong>der</strong> Dritten Welt ganz an<strong>der</strong>s verankert ist, als <strong>in</strong><br />

unserem <strong>in</strong>dividualisierten westlichen Kontext. 18<br />

E<strong>in</strong> weiteres, sowohl für den westlichen als auch für den Kontext <strong>der</strong> Dritten Welt<br />

fruchtbar gemachtes System, ist die Theorie des sozialen Kapitals. Vere<strong>in</strong>facht gesagt, ist<br />

soziales Kapital das Netzwerk, das je<strong>der</strong> Mensch hat. E<strong>in</strong> Netzwerk, das ihm dann hilft,<br />

wenn es Schwierigkeiten und Situationen gibt, mit denen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelne nicht <strong>zur</strong>echtkommt<br />

und alle<strong>in</strong>e nicht fertig wird (vgl. Koob 2007: 15). Kapital ist unter dieser Prämisse <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie nicht monetär zu sehen (wie es zum Beispiel <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samen Kapitalformen<br />

wie Genossenschaften gemacht wird), son<strong>der</strong>n es äußert sich <strong>in</strong> den Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />

Vertrauen, Normen, Beziehungen und Nimmkraft nie<strong>der</strong> (vgl. dazu Früchtel et al. 2007:<br />

88f.). Dass es bei <strong>der</strong> Bewältigung von persönlichen ökonomischen Krisen sich aber auch<br />

f<strong>in</strong>anziell bemerkbar machen kann, ist hier unbelassen. E<strong>in</strong> weiterer Effekt sozialen<br />

Kapitals zeigt sich dort, wo es dazu beiträgt, kollektive Probleme zu lösen o<strong>der</strong><br />

Zusammenhang und Integration zu schaffen (ebd.).<br />

E<strong>in</strong> Phänomen, das <strong>in</strong> diesem Zusammenhang zu nennen ist, ist die Beziehungsqualität, die<br />

e<strong>in</strong> Individuum hat. Es werden zwei Typen unterschieden: starke Beziehungen (bond<strong>in</strong>g =<br />

tragende Beziehungen) und schwache Beziehungen (bridg<strong>in</strong>g = Brücken bauende). Starke<br />

Beziehungen entstehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel im engsten sozialen Umfeld mit Menschen, die e<strong>in</strong>en<br />

ähnlichen sozialen Status haben o<strong>der</strong> <strong>zur</strong> Verwandtschaft gehören. Schwache Beziehungen<br />

s<strong>in</strong>d die, die man über an<strong>der</strong>e Bekannte hat o<strong>der</strong> die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe o<strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft<br />

entstehen und deshalb Brücken <strong>in</strong> an<strong>der</strong>e soziale Schichten bauen (vgl. Vervisch 2008:<br />

45f.). Kirchen können unter an<strong>der</strong>em auch e<strong>in</strong> Ort se<strong>in</strong>, an dem sich e<strong>in</strong> solches Brücken<br />

bauendes soziales Kapital bilden kann, da sich <strong>in</strong> ihr normalerweise Menschen mit<br />

unterschiedlichem sozialem Status und mit e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Basis (Glauben zu leben)<br />

versammeln.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich des Zwecks von sozialem Kapital gibt es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Soziologie unterschiedliche<br />

Auffassungen. Während James Coleman soziales Kapital eher als ausgleichendes<br />

Instrument für Fehler des Markts (kapitalistischen Systems) und als Erklärung für<br />

17 Wenn ich <strong>in</strong> dieser Arbeit den Begriff Kultur verwende, dann gehe ich vom Kulturbegriff Käsers aus:<br />

„Kulturen s<strong>in</strong>d Strategien des Menschen, se<strong>in</strong> Dase<strong>in</strong> zu gestalten und zu bewältigen.“ (vgl. Käser 2005: 9)<br />

Ohne <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Diskussion des Begriffs e<strong>in</strong>zusteigen, möchte ich diese Wahl begründen: Diese Def<strong>in</strong>ition<br />

erlaubt dem Menschen e<strong>in</strong>e je nach geographischer, geschichtlicher und <strong>in</strong>dividueller Situation eigene<br />

Lösung zu f<strong>in</strong>den, die nicht statisch ist.<br />

18 Der Ethnologe Käser argumentiert, dass Gruppen das Überleben des E<strong>in</strong>zelnen sichern und ihnen daher<br />

e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Rolle zukommt (vgl. Käser 2007: 87f.); <strong>der</strong> Anthropologe Hiebert beschreibt, wie <strong>der</strong><br />

westliche Individualismus im Kontrast zu vielen geme<strong>in</strong>schaftlichen Lebensentwürfen steht und welche<br />

Auswirkungen das etwa auf Eigentum o<strong>der</strong> Selbst-Wahrnehmung hat (Hiebert 2005: 124-127).<br />

25


Handlungen e<strong>in</strong>es Individuums <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft sieht, betrachtet Pierre<br />

Bourdieu soziales Kapital unter dem Blickw<strong>in</strong>kel, wie e<strong>in</strong> sozialer Kontext menschliches<br />

Verhalten reproduziert. Soziales Kapital ist somit als Emanzipation zu verstehen und<br />

for<strong>der</strong>t zugleich bestehende soziale Strukturen heraus. Robert Putnam als wohl<br />

bekanntester Vertreter dieser Theorie sieht soziales Kapital als Mediz<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft<br />

o<strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft und somit auch als ausgleichendes Instrument für Fehler des (Sozial-<br />

)Staates (a.a.O.: 37ff.).<br />

Für e<strong>in</strong>e tiefgehende Synopse <strong>der</strong> zitierten Vertreter sei die Lektüre von Koob empfohlen,<br />

<strong>der</strong> sich neben e<strong>in</strong>er begrifflichen auch e<strong>in</strong>er ontologischen Herleitung und Begründung<br />

dieses Ansatzes kritisch widmet, mit dem Ziel dem se<strong>in</strong>es Erachtens nach heterogen<br />

verwandten Begriff e<strong>in</strong>e Basis zu geben, um „e<strong>in</strong>e mögliche – unter<br />

wissenschaftstheoretischen Aspekten betrachtet – s<strong>in</strong>nvolle und haltbare <strong>in</strong>tegrative<br />

Begriffs- und Theoriebildung vorzunehmen.“ (Koob 2007: 205)<br />

Positiv an dieser Theorie und ihrer Anwendung ist, dass sie die Ressourcen e<strong>in</strong>es<br />

betroffenen Menschen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe <strong>in</strong> den Mittelpunkt stellt. Ressourcen werden<br />

dabie als verwertbares Kapital gesehen, das für die Entwicklung und För<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>es<br />

Menschen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe genutzt werden kann (vgl. dazu Früchtel et al. 96 ff.).<br />

Vervisch weist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang für den burundischen Kontext kritisch nach, dass<br />

die Menschen <strong>in</strong> diesem ostafrikanischen Land viel <strong>in</strong> bond<strong>in</strong>g Kapital o<strong>der</strong> <strong>in</strong> erste<br />

Beziehungen <strong>in</strong>vestieren (also zum Beispiel Familie) und wenig <strong>in</strong> soziales Kapital, das<br />

e<strong>in</strong>e bridg<strong>in</strong>g Funktion hat (Vervisch 2009: 140ff.). Der negative Effekt jener bond<strong>in</strong>g<br />

Beziehungen <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> ist, dass sie unter e<strong>in</strong>er Kultur des „ukuterera“ 19 stattf<strong>in</strong>den. Dies<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge relativ hohe f<strong>in</strong>anzielle Investitionen für den E<strong>in</strong>zelnen, vor allem im<br />

ländlichen Raum, die laut Vervisch wenig Effekt auf Entwicklung haben, da sie traditionell<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie o<strong>der</strong> Nachbarschaft stattf<strong>in</strong>den, während auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite doch vor<br />

allem bridg<strong>in</strong>g Kapital zum Überw<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>er Krisensituation führt (ebd.). Bond<strong>in</strong>g<br />

Beziehungen können also auch negative Auswirkungen haben.<br />

Kritisch führt Vervisch weiter an, dass im Nachkriegs-<strong>Burundi</strong> die typischen bond<strong>in</strong>g<br />

Beziehungen geschwächt waren und dies negativen E<strong>in</strong>fluss auf die Bevölkerung hatte:<br />

„result<strong>in</strong>g <strong>in</strong> a generalized (and not group-based) level of distrust“ (a.a.O.: 211). Ferner<br />

stellt er <strong>in</strong> Frage, dass das Investieren <strong>in</strong> bridg<strong>in</strong>g Kapital zum erhofften Erfolg führt, vor<br />

allem wenn damit die Hoffnung auf Versöhnung verbunden ist (a.a.O.: 215). Vervisch<br />

19 Ukuterera (Kirundi) für Geschenke bei e<strong>in</strong>er Zeremonie geben – oft Bier, Getränke o<strong>der</strong> Nahrungsmittel.<br />

Jedoch wird bei dieser Praxis erwartet, dass <strong>der</strong> Beschenkte <strong>in</strong> gleichem Maß bei nächster Gelegenheit an den<br />

Schenker <strong>zur</strong>ück schenkt.<br />

26


weist dann auf – und ich zitiere ausführlicher, da es me<strong>in</strong>e Überleitung zu e<strong>in</strong>em<br />

sozialräumlicheren Herangehen ist – „that the communitarian notion 20 of social capital is<br />

an erroneous theoretical po<strong>in</strong>t of departure to <strong>in</strong>crease participation and empowerment <strong>in</strong><br />

communities. It starts from a romanticized idea of the community […]. Local governance<br />

policies that are grounded <strong>in</strong> this naïve concept do more harm than good: they fail to „see”<br />

and deal with exist<strong>in</strong>g power relations and <strong>in</strong>equality” (ebd.).<br />

Schließlich möchte ich als ergänzenden Kritikpunkt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Debatte Koob zitieren:<br />

„Dennoch ist die Problemrelevanz des hier vorgeschlagenen Sozialkapitalbegriffs vor<br />

allem auf <strong>der</strong> mikrotheoretischen Ebene enorm hoch. Wenn man so will, handelt es sich<br />

um e<strong>in</strong>e anspruchsvolle wissenschaftliche Formulierung dessen, was umgangssprachlich<br />

als „Vitam<strong>in</strong> B“ bekannt ist“ (Koob 2007: 358). Des Weiteren ist auch die<br />

Quantifizierbarkeit von sozialem Kapital e<strong>in</strong> umstrittener Punkt (ebd.).<br />

Erwähnenswert f<strong>in</strong>de ich <strong>in</strong> diesem Zusammenhang die Debatte um religiöses Kapital, wie<br />

sie von Fre<strong>der</strong>ik Elwert beschrieben wird: „Der Ansatz, nicht-materielle Güter als Kapital<br />

aufzufassen, lässt sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Religionswissenschaft anwenden. Religiöse<br />

Geme<strong>in</strong>schaften zeichnen sich häufig durch e<strong>in</strong>e starke Gruppenidentität aus. Auch<br />

Normen – <strong>in</strong> Form von Ethik und religiösem Recht – als Quelle sozialen Kapitals s<strong>in</strong>d<br />

fester Bestandteil nahezu aller religiösen Lehren“ (Elwert 2007: 41). Zu diskutieren sei, ob<br />

religiöses Kapital humanes, soziales o<strong>der</strong> kulturelles sei o<strong>der</strong> ob es als eigenständig<br />

betrachtet werden könne (vgl. ebd.). Ohne die Diskussion hier allzu sehr zu vertiefen,<br />

möchte ich abschließend zitieren: „Gerade Fragen religiöser Vergeme<strong>in</strong>schaftung und ihrer<br />

Auswirkung auf ihre gesellschaftliche Umwelt lassen sich gut <strong>in</strong> den Blick bekommen,<br />

wenn man die Güter e<strong>in</strong>bezieht, die <strong>in</strong> religiösen Geme<strong>in</strong>schaften produziert werden, und<br />

den Austausch von Gütern, <strong>der</strong> zwischen religiöser Geme<strong>in</strong>schaft und ihrer Umwelt<br />

vollzogen wird. Aber auch Fragen <strong>der</strong> Konversionsforschung beispielsweise lassen sich <strong>in</strong><br />

Modellen von Investition und Gew<strong>in</strong>n darstellen“ (a.a.O.: 49). Dies ist e<strong>in</strong> wichtiger<br />

Aspekt, vor allem dann, wenn sich e<strong>in</strong>e religiöse Geme<strong>in</strong>schaft o<strong>der</strong> Kirche <strong>der</strong><br />

Gesellschaftsrelevanz verschrieben hat und überlegt, dieses Kapital <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft <strong>zur</strong><br />

Verfügung zu stellen. Erkenntnisse <strong>der</strong> Forschung <strong>in</strong> diesem Bereich können sicher dazu<br />

beitragen, Werte, Normen und weitere Kapitalgegenstände, die im Kampf gegen Armut<br />

angeführt werden können, mess- und somit operationalisierbar zu machen.<br />

In Weiterführung <strong>der</strong> oben angeführten Kritik sozialen Kapitals möchte ich <strong>in</strong> den nächsten<br />

Kapiteln e<strong>in</strong>en sozialräumlichen Armutsbekämpfungsansatz vorschlagen, <strong>der</strong><br />

geme<strong>in</strong>schaftlich orientiert ist, <strong>in</strong>dem er e<strong>in</strong>e Gruppe <strong>in</strong> den Mittelpunkt stellt.<br />

20 Dieser Ansatz wird durch Putnam geprägt.<br />

27


Bevor jedoch die Darstellung <strong>der</strong> praktischen Ergebnisse und die Verknüpfung mit den<br />

theoretischen Grundlagen erfolgt, soll zunächst das Projekt BAHO als dessen Bezugspunkt<br />

vorgestellt und <strong>der</strong> historisch-kulturelle Kontext <strong>Burundi</strong>s beschrieben werden.<br />

TEIL 2 ANWENDUNG<br />

1. Das Projekt BAHO<br />

1.1. Sozialpolitische Vorraussetzungen <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong><br />

<strong>Burundi</strong> ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> westlichen Welt, wenn überhaupt, durch se<strong>in</strong>e ethnischen<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen bekannt. Seit 1993 kamen bei blutigen Kämpfen im Land rund<br />

300.000 Menschen ums Leben, mehr als 50% <strong>der</strong> Bevölkerung mussten seitdem ihre<br />

Wohnungen m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal verlassen und Schutz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Landesteil o<strong>der</strong><br />

außerhalb des Landes suchen (Vervisch 2009: 91). Wie im Nachbarland Ruanda besteht<br />

<strong>der</strong> ethnische Konflikt hauptsächlich <strong>in</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen um Macht und<br />

Führungspositionen im Land zwischen den Hutu und Tutsi. Es gibt ke<strong>in</strong>e Untersuchungen<br />

neueren Datums, wie die Ethnien im Land verteilt s<strong>in</strong>d. Schätzungen gehen davon aus,<br />

dass 85% Hutu s<strong>in</strong>d, 14% Tutsi und 1% Twa (vgl. Watt 2008: 24). Vere<strong>in</strong>facht gesagt<br />

beruht <strong>der</strong> Konflikt darauf, dass die Tutsi als Viehhirten schon immer reicher waren als die<br />

Landwirtschaft betreibenden Hutu weshalb sie eher Zugang zu politischen Ämtern<br />

hatten. 21 Dies verursachte Spannungen und löste entsprechende Konflikte aus, die sich<br />

wechselseitig <strong>in</strong>itiiert über Jahrzehnte h<strong>in</strong>weg immer wie<strong>der</strong> entluden und von<br />

unterschiedlichsten Stellen mit unterschiedlichen Interessen geschürt wurden. Die Anfänge<br />

dieser Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen gehen aber schon <strong>in</strong> die Zeit <strong>der</strong> Unabhängigkeit von <strong>der</strong><br />

belgischen Kolonialmacht im Jahr 1961 <strong>zur</strong>ück, als <strong>der</strong> erste Hutu-Präsident drei Wochen<br />

nach se<strong>in</strong>er Wahl umgebracht wurde. 1972 folgte e<strong>in</strong> großes Massaker, das von Tutsi-<br />

Militärs an Hutus durchgeführt wurde und rund 200.000 Hutu das Leben kostete. Der<br />

Konflikt sitzt also tief, es gibt fast ke<strong>in</strong>en <strong>Burundi</strong>er, <strong>der</strong> nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Familie Tote auf<br />

Grund von politisch-ethnischen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen zu beklagen hätte. Das Land mit<br />

se<strong>in</strong>en Menschen ist traumatisiert und kriegsmüde. Die <strong>Burundi</strong>er sprechen von „la crise“<br />

– die Krise – wenn sie von diesen Ereignissen erzählen. Vorläufiges Ende dieser<br />

gewaltsamen Konflikte war als die letzte Hutu-Rebellenbewegung (FNL) im Jahr 2008<br />

ihre Waffen ablegte und als politische Partei anerkannt wurde. Im Jahr 2005 gab es zuvor<br />

21 Für e<strong>in</strong>e ausführliche Beschreibung des Konflikts vgl. Watt 2008: 23-107 sowie Ndabisseruye 2009: 29-<br />

110. Die wohl <strong>der</strong>zeit umfangreichste Arbeit über die beiden Ethnien wurde vom Franzosen Jean Pierre<br />

Chrétien geschrieben: „The Great Lakes of Africa: Two Thousand Years of History”.<br />

28


die letzten demokratischen Wahlen, bei denen es wenige blutige Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen<br />

gab. 22 Der Präsident, <strong>der</strong> aus diesen Wahlen hervorg<strong>in</strong>g, ist ehemaliger Hutu-Rebell und<br />

beansprucht bei den Wahlen 2010 das Amt wie<strong>der</strong> für sich.<br />

<strong>Burundi</strong> ist e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Land, es hat e<strong>in</strong>e Größe von 27.830 qkm und e<strong>in</strong>e geschätzte<br />

Bevölkerung von 9,8 Millionen E<strong>in</strong>wohnern <strong>in</strong> 2010 (www.cia.gov). Es zählt zu den<br />

ärmsten Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Erde, Vervisch geht von 87% <strong>der</strong> Bevölkerung aus, die von weniger<br />

als 2 US-Dollar/ Tag leben und mehr als 50%, die weniger als e<strong>in</strong>en US-Dollar pro Tag <strong>zur</strong><br />

Verfügung haben (Vervisch 2009: 91). Die Hälfte <strong>der</strong> Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt<br />

(ebd.) und rund 95% (www.ruralpovertyportal.org) leben auf dem Land und von<br />

subsistenzieller Landwirtschaft (Vervisch 2009: 107).<br />

Durch diesen enorm hohen jungen Bevölkerungsanteil s<strong>in</strong>d die Schulen und Universitäten<br />

vollkommen überlastet. Es wird im Zweischichtbetrieb (vor- und nachmittags) unterrichtet<br />

mit Klassenstärken von 50 bis zu 150 K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Die Analphabetenrate ist zwar am S<strong>in</strong>ken,<br />

dennoch lag sie bei 59,3% im Jahr 2000 (www.ruralpovertyportal.org). Durch schnelles<br />

Bevölkerungswachstum und Erbteilung wird Landteilung e<strong>in</strong> zunehmendes Problem,<br />

genauso wie die Abhängigkeit <strong>der</strong> burundischen Wirtschaft vom Ausland: rund 80% des<br />

Landese<strong>in</strong>kommens kommt durch ausländische Geldgeber <strong>in</strong>s Land (CENAP 2008: 31).<br />

Zunehmend wirken sich Klimaverän<strong>der</strong>ungen aus, so dass zum Beispiel die e<strong>in</strong>stige<br />

Kornkammer im Norden des Landes von Trockenheit heimgesucht wird und im Jahr 2010<br />

geschätzte 17.000 Menschen das Land verlassen haben, um <strong>in</strong> Nachbarlän<strong>der</strong>n zu leben.<br />

Landessprache ist neben <strong>der</strong> Amtssprache Französisch Kirundi.<br />

1.2. Das Projekt<br />

Das Projekt BAHO wurde im Oktober 2001 <strong>in</strong>s Leben gerufen, weil es zu diesem<br />

Zeitpunkt als Folge <strong>der</strong> langjährigen kriegerischen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen viele<br />

Straßenk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Bujumbura, <strong>der</strong> Hauptstadt <strong>Burundi</strong>s, gab. Die Arbeit wurde von <strong>der</strong><br />

Anglikanischen Kirche <strong>in</strong>itiiert, weil viele dieser hungernden K<strong>in</strong><strong>der</strong> nach dem<br />

Gottesdienst auf Gottesdienstbesucher warteten und um Essen baten. E<strong>in</strong>e daraufh<strong>in</strong><br />

durchgeführte Untersuchung <strong>zur</strong> Herkunft <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> ergab, dass sie aus vier Stadtvierteln<br />

Bujumburas kommen. Mit den jeweiligen Anglikanischen Kirchengeme<strong>in</strong>den wurde dann<br />

vere<strong>in</strong>bart, dass sie sich um diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> kümmern. Es wurden Gastfamilien gesucht,<br />

ehrenamtliche Betreuer ernannt, die sich um sie kümmern und sie <strong>in</strong> den Familien und<br />

Schulen begleiten sollten. Die Gastfamilien wurden zuerst im näheren Familienkreis<br />

22 Die Wahlen im Jahr 2010 waren bei <strong>der</strong> Erstellung dieser Arbeit <strong>in</strong> vollem Gang und fanden deshalb<br />

ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> diese Arbeit. Der letzte Wahlgang ist für September 2010 vorgesehen.<br />

29


gesucht, manchmal war es <strong>der</strong> ältere Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> auf se<strong>in</strong>e jüngeren Geschwister aufpasste<br />

o<strong>der</strong> sie konnten bei <strong>der</strong> Großmutter unterkommen. Es wurden aber auch Adoptivfamilien<br />

gefunden, die also zusätzlich zu den eigenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n noch e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> zwei weitere (oft<br />

traumatisierte) K<strong>in</strong><strong>der</strong> aufnahmen.<br />

Inzwischen hat sich die Arbeit ausgeweitet: es s<strong>in</strong>d rund 200 K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Bujumbura und<br />

rund 200 K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Landes<strong>in</strong>neren <strong>in</strong> Muramvya, die <strong>in</strong> das Projekt BAHO aufgenommen<br />

werden konnten. Hauptsächlicher Bestandteil <strong>der</strong> Arbeit ist es, den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n Zugang zu<br />

Bildung, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e zu e<strong>in</strong>er Schulausbildung zu verschaffen, während die Nothilfe, die<br />

zu Anfang des Projekts noch im Vor<strong>der</strong>grund stand, reduziert wurde. 23 Die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, also<br />

ehemalige Straßenk<strong>in</strong><strong>der</strong>, Voll- und Halbwaisen, die durch die Mitarbeiter <strong>der</strong> lokalen<br />

Kirche als bedürftig identifiziert wurden, bekommen Schulmaterial wie Hefte o<strong>der</strong><br />

Kugelschreiber, ebenso Schuluniformen und Schulgeld bezahlt. Dies wird als Zuschuss für<br />

das Engagement <strong>der</strong> Gastfamilien betrachtet, die die BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong> zwar aufgenommen<br />

haben, ihnen dieses aber nicht hätten ermöglichen können.<br />

Von Seiten <strong>der</strong> lokalen Kirchen wurden ehrenamtliche Mitarbeiter e<strong>in</strong>gesetzt, die zwischen<br />

fünf und zehn BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu betreuen. Ihre Aufgabe ist es, Hausbesuche zu machen,<br />

Schulprobleme zu besprechen und die Gastfamilien <strong>in</strong> Erziehungsfragen zu unterstützen.<br />

Bei den rund 25 ehrenamtlichen MitarbeiterInnen ist festzuhalten, dass sich die E<strong>in</strong>zelnen<br />

unterschiedlich stark e<strong>in</strong>setzen, zudem über verschiedene Interessen und Begabungen<br />

verfügen und diese wie<strong>der</strong>um jeweils mehr o<strong>der</strong> weniger <strong>in</strong>tensiv <strong>in</strong> die Arbeit e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen.<br />

Als Anerkennung des Engagements <strong>der</strong> Mitarbeitenden können bis zu zwei ihrer eigenen<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> jeweils am Schul-För<strong>der</strong>programm teilnehmen. Daneben gibt es zusammen mit <strong>der</strong><br />

Projektleitung Fortbildungstage o<strong>der</strong> als beson<strong>der</strong>es highlight Freizeiten mit den BAHO-<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, an denen sie beteiligt s<strong>in</strong>d. Der Autor kam im Auftrag <strong>der</strong> Liebenzeller Mission<br />

im Juni 2008 nach <strong>Burundi</strong>, um <strong>in</strong> diesem Projekt beratend mitzuarbeiten und es<br />

zusammen mit <strong>der</strong> Kirche und dem e<strong>in</strong>heimischen Projektverantwortlichen<br />

weiterzuentwickeln. Die Liebenzeller Mission und die Anglikanischen Kirche <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong><br />

haben seit 1992 e<strong>in</strong>e Partnerschaft, <strong>der</strong>en Schwerpunkt es ist, sowohl personelle als auch<br />

f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung bei theologischer Ausbildung und Geme<strong>in</strong>dearbeit, sowie bei<br />

sozialen Projekten zu leisten.<br />

23 UNICEF berichtet von e<strong>in</strong>em Rückgang <strong>der</strong> Straßenk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> von 1998 zu 2003 von 17% und<br />

schätzt, dass es <strong>der</strong>zeit rund 5000 Straßenk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> gibt (UNICEF 2008: 145).<br />

30


2. Die Rolle <strong>der</strong> Kirche <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong><br />

2.1. Die Stellung <strong>der</strong> Diözese Bujumbura<br />

<strong>Burundi</strong> ist e<strong>in</strong> christliches Land. Es gibt ke<strong>in</strong>e genauen aktuellen Statistiken, aber man<br />

geht von rund 80% Christen, 15% Muslimen 24 und 5% Animisten aus. Innerhalb <strong>der</strong><br />

Christen s<strong>in</strong>d die Katholiken mit rund 65% am stärksten vertreten, dann folgt die<br />

Anglikanische Kirche mit rund 15%. Die weiteren 20% bilden kle<strong>in</strong>ere und größere<br />

Freikirchen (unter denen die Pf<strong>in</strong>gstbewegung sich am stärksten vertreten ist) sowie<br />

Sekten.<br />

Die Anglikanische Kirche, Prov<strong>in</strong>z <strong>Burundi</strong>, besteht <strong>der</strong>zeit aus 6 Diözesen mit <strong>in</strong>sgesamt<br />

rund 400-800.000 Mitglie<strong>der</strong>n und rund 1000 bezahlten Mitarbeitern, worunter die<br />

Pastoren und Diakone den Hauptanteil stellen. Die Diözese Bujumbura, e<strong>in</strong>heimische<br />

Partnerkirche <strong>der</strong> Liebenzeller Mission, ist die bedeutendste, da sie ihren Sitz <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

burundischen Hauptstadt hat. Auch ist <strong>der</strong> Bischof dieser Diözese – nach dem Erzbischof –<br />

<strong>der</strong> e<strong>in</strong>flussreichste, da sie am meisten Geld hat und <strong>in</strong>ternationale Kontakte pflegen kann.<br />

Die Diözese arbeitet mit rund 40 Mitarbeitern; sie betreibt e<strong>in</strong>e kirchliche<br />

Nichtregierungsorganisation (NGO) und e<strong>in</strong> Gästehaus als Zweckbetrieb. Die<br />

Kirchenprogramme reichen von Witwenarbeit über Pastorenausbildung bis h<strong>in</strong> zu<br />

Alphabetisierungskursen. Das Projekt BAHO ist <strong>der</strong> Abteilung Jugendarbeit zugeordnet.<br />

2.2. Die Rolle von Religion und Kirche <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong><br />

Auf Grund ihres Verbreitungsgrades haben die Kirchen <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> e<strong>in</strong>e wichtige<br />

gesellschaftliche Stellung und entsprechenden E<strong>in</strong>fluss, vor allem die großen etablierten<br />

Kirchen wie die Katholische und Anglikanische Kirche. Wie <strong>in</strong> vielen afrikanischen<br />

Län<strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d die Gottesdienste sehr gut besucht, viele Kirchen bieten an Sonntagen<br />

mehrere an, da ihre Kirchengebäude zu kle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d.<br />

Dass mit diesem E<strong>in</strong>fluss aber große Verantwortung verbunden ist, beschreibt Ndabiseruye<br />

folgen<strong>der</strong>maßen: „Zwar ist „Religiosität“ <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> verbreitet, es geht aber bei vielen<br />

hauptsächlich um e<strong>in</strong>e Sonntagsreligion, die „ruhige Gewissen und zufriedene Herzen“<br />

gibt. Trotz dieser Religiosität gehen manche Barundi mit ihren Mitbürgern bestialisch um<br />

(Hervorhebungen im Orig<strong>in</strong>al)“ (Ndabiseruye 2009: 323). Ndabiseruye folgert weiter, dass<br />

es e<strong>in</strong> Anliegen <strong>der</strong> Kirche se<strong>in</strong> müsste, Umstände, die <strong>zur</strong> Zementierung von<br />

Unterentwicklung führen, wie die Ausplün<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ressourcen des Landes o<strong>der</strong> die<br />

24 Interessanterweise haben die burundischen Muslime sich 1993 <strong>in</strong> die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen zwischen<br />

Hutu und Tutsi nicht e<strong>in</strong>gemischt und sich zu ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Ethnien zugehörig gezeigt. Sie beteiligten sich nicht<br />

an Morden und sie waren es, die Schutz geboten haben und direkte Hilfe angeboten haben (vgl. Watt 2008:<br />

21).<br />

31


Manipulierung e<strong>in</strong>er schlecht o<strong>der</strong> gar nicht gebildeten Bevölkerung zu bekämpfen. Als<br />

Mittel sieht er unter an<strong>der</strong>em <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Kirche e<strong>in</strong>e politisch befreiende<br />

Erwachsenenbildung im S<strong>in</strong>ne Freires. Sie kann zu e<strong>in</strong>em Abbau von Vorurteilen und zu<br />

e<strong>in</strong>er aktiven solidarischen Beteiligung an <strong>der</strong> wirtschaftlichen Entwicklung des Landes<br />

beitragen (ebd.).<br />

Groß, <strong>der</strong> im Senegal mit Jugendlichen Forschungsprogramme durchgeführt hat, führt <strong>zur</strong><br />

Rolle von Religion an, dass die Abwesenheit e<strong>in</strong>es dialogischen Lehrens und Lernens im<br />

S<strong>in</strong>ne Freires die Gefahr <strong>in</strong> sich birgt, dass sich „<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Religion lehrt, leicht und schnell<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> autokratisch agierendes Verhalten h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>stilisiert und se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Haltung <strong>in</strong><br />

Dom<strong>in</strong>anz, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tendenz, immer Recht zu haben. Er blickt – gleichsam als Vertreter<br />

Gottes – von oben auf die Lernenden.“ (Groß 2008: 66) Diese Tendenz <strong>zur</strong> Wissensmacht<br />

seitens des Klerus kann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Kirchen <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> beobachtet werden. Alle<strong>in</strong> schon die<br />

Tatsache, dass e<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> Kirchgänger ke<strong>in</strong>e Bibel besitzt o<strong>der</strong> es sehr wenige<br />

Gruppen und Kreise gibt, <strong>in</strong> denen das Gehörte reflektiert und alltags-ethisch angewendet<br />

werden kann, könnte als e<strong>in</strong> Beleg für diesen Befund gewertet werden. 25 Denn, wie<br />

Ndabiseruye schreibt, gehören Evangelium und Bildung zusammen, „da die<br />

Evangelisierung u.a. Informationen bietet, zu sozialen Bewusstse<strong>in</strong>s- und<br />

Verhaltensän<strong>der</strong>ungen beiträgt und emanzipatorische Prozesse e<strong>in</strong>leitet und begleitet.<br />

Demnach ist die Verkündigung des Evangeliums als e<strong>in</strong>e Form sozialpolitischer<br />

Erwachsenenbildung zu verstehen, denn dort, wo die Kirche als spirituelle und<br />

gesellschaftliche Größe redet und handelt, wirkt sie gleichzeitig bildend“ (Ndabiseruye<br />

2009: 218). Ndabiseruye unterstützt demzufolge die These, dass erwachsenenbildendes<br />

Handeln immer auch politisches Handeln ist. Vernachlässigt die Kirche diesen Auftrag,<br />

kann man im Umkehrschluss sagen, dass sie <strong>zur</strong> Zementierung aktuell bestehen<strong>der</strong><br />

politischer wie gesellschaftlicher Verhältnisse und Umstände beiträgt, weshalb das Volk –<br />

mit Freire formuliert – <strong>in</strong> Konsequenz unfrei bleibt. Bereits angedeutete Lösungen liegen<br />

aus Sicht des Autors sowohl im Fokus e<strong>in</strong>es stärker gesellschaftsrelevanten Geme<strong>in</strong>debaus<br />

im S<strong>in</strong>ne Reimers als auch im Erarbeiten von bildungsorientierten Konzepten wie sie<br />

Freire vorschlägt und wie sie von Ndabiseruye für den burundischen Kontext angedacht<br />

werden (vgl. dazu a.a.O.: 367-386).<br />

25 Die Liebenzeller Mission erarbeitet deshalb nun zusammen mit <strong>der</strong> Anglikanischen Kirche e<strong>in</strong> Programm,<br />

das dazu dient, burundischen Christen Anleitung zum Eigen-Bibelstudium zu geben, ohne dass e<strong>in</strong> Pastor<br />

anwesend se<strong>in</strong> muss.<br />

32


Mit dem Ziel, auf <strong>der</strong> Basis empirisch fundierter Daten konkrete Ansatzpunkte <strong>zur</strong><br />

Entwicklung partizipativer Methoden zu gew<strong>in</strong>nen, wurde im BAHO-Projekt e<strong>in</strong>e<br />

qualitative Untersuchung durchgeführt. Diese wird <strong>in</strong> den nächsten Kapiteln <strong>in</strong> ihrer<br />

Anlage erklärt und im Blick auf die Schritte <strong>der</strong> Datenerhebung und -analyse dargestellt<br />

(Kapitel 3). Da es sich dabei um e<strong>in</strong>e Form <strong>der</strong> handlungsleitenden Forschung handelt, die<br />

durch zirkuläre Prozesse und die Parallelität von Datenerhebung und Datenanalyse<br />

gekennzeichnet ist, erfolgt die Reflexion des Forschungsdesigns daran anschließend<br />

(Kapitel 4).<br />

3. Dokumentation des Forschungsprozesses<br />

3.1. H<strong>in</strong>tergründe und empirische Basis<br />

Zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Untersuchung war das BAHO-Projekt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Konsolidierungsphase<br />

getreten. Nachdem die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Familien untergebracht waren und <strong>in</strong> die Schule gehen<br />

konnten, sollten die Angebote, die vor allem <strong>in</strong> den jeweiligen Geme<strong>in</strong>den gemacht<br />

wurden, nun gezielter auf die Wünsche und Bedürfnisse <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> h<strong>in</strong> ausgerichtet<br />

werden. Die Projektleitung hatte festgestellt, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong> frühzeitig die Schule abbrachen,<br />

ungewollt schwanger wurden o<strong>der</strong> zu BAHO-Programmen nicht erschienen. Vor dem<br />

H<strong>in</strong>tergrund dieser Problemanzeige sollte festgestellt werden, wie es den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n geht und<br />

wo sie selbst Probleme sehen. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollten an diesem Prozess beteiligt werden,<br />

damit die Angebote des Projekts sich an ihren Bedürfnissen orientieren. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

war es <strong>der</strong> Wunsch <strong>der</strong> Projektleitung, ebenso die Geme<strong>in</strong>den und ihre Verantwortlichen<br />

an diesem Prozess zu beteiligen. Auch sie sollten erfahren, wo die K<strong>in</strong><strong>der</strong> stehen und wie<br />

es ihnen geht.<br />

Gewählt wurde dabei – neben <strong>der</strong> Methode <strong>der</strong> Gruppendiskussion (vgl. Kapitel 3.4.) – die<br />

Methode <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt 26 mit dem Interessensschwerpunkt, mehr über das Leben <strong>in</strong><br />

Familie, Schule und Freizeit zu erfahren. Ausgangspunkt waren dabei weniger<br />

kirchenbezogene Interessen und Fragestellungen, son<strong>der</strong>n die Frage, wie die K<strong>in</strong><strong>der</strong> ihr<br />

Leben als Voll- o<strong>der</strong> Halbwaisen meistern und wo sie Probleme sehen. Zur Durchführung<br />

dieser Methode wurden <strong>in</strong> den vier Stadtteilen Bujumburas im Dezember 2008 bis Februar<br />

2009 alle BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong> ab dem siebten Lebensjahr (also die, die schon schreiben<br />

konnten) gebeten, zusammen zu kommen. Aus unterschiedlichen Gründen (Marathon <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Stadt, Prüfungen, etc.) folgten nicht alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> dieser E<strong>in</strong>ladung. Tabelle 1 nennt unter<br />

26 Die Methode wird <strong>in</strong> kurzen Zügen im nächsten Kapitel erklärt.<br />

33


Erwähnung des jeweiligen Datums und <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> beteiligen BetreuerInnn die<br />

genauere Aufschlüsselung <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt anwesenden K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />

Stadtteil Stadtteil Stadtteil Stadtteil Gesamt<br />

Ruziba Kaniosha Cibitoke Musaga<br />

Anzahl K<strong>in</strong><strong>der</strong> 37 44 42 26 149<br />

Geschlecht 25<br />

Mädchen/<br />

12 Jungen<br />

24 Mädchen/<br />

20 Jungen<br />

25<br />

Mädchen/<br />

17 Jungen<br />

12<br />

Mädchen/<br />

14 Jungen<br />

86<br />

Mädchen/<br />

63 Jungen<br />

Alter 11- 18 Jahre 10-19 Jahre 7- 20 Jahre 9-22 Jahre<br />

Altersverteilung<br />

5-10 Jahre<br />

0 7 5 1 13<br />

(8,73%)<br />

11-15 Jahre<br />

16-20 Jahre<br />

22<br />

15<br />

24<br />

13<br />

29<br />

8<br />

19<br />

6<br />

94<br />

(63,09%)<br />

42<br />

(28,19%)<br />

Beteiligte 6 5 5 4 20<br />

BetreuerInnen<br />

Datum <strong>der</strong> 17.1.2009 22.11.2008 7.2.2009 6.12.2008<br />

Durchführung<br />

Tabelle 1: Aufschlüsselung <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt beteiligten BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong> nach<br />

Alter, Herkunft und Geschlecht.<br />

Ebenso wurden die BetreuerInnen gebeten, an <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt teilzunehmen und den<br />

Verlauf, wo von <strong>der</strong> Projektleitung vorgeschlagen, zu unterstützen.<br />

An dieser Stelle noch e<strong>in</strong> Wort zu den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> Muramvya. Sie s<strong>in</strong>d nicht Gegenstand<br />

dieser Arbeit. Ihre ländliche Lebenssituation unterscheidet sich wesentlich von <strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Hauptstadt Wohnenden. Für sie wird e<strong>in</strong> Ausbildungszentrum <strong>in</strong> Muramvya aufgebaut,<br />

<strong>in</strong> dem es neben weiterführenden Ausbildungsmöglichkeiten im Sekretariatsbereich um<br />

landwirtschaftliche Anbaumethoden geht. Die Gasteltern <strong>der</strong> BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong> im<br />

Landes<strong>in</strong>neren sollen durch höheren Ernte-Ertrag von <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziellen Hilfe des BAHO-<br />

Projekts unabhängig werden. Solche Projekte s<strong>in</strong>d im landwirtschaftlich geprägten<br />

Landes<strong>in</strong>neren möglich, sie s<strong>in</strong>d aber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauptstadt schwer durchzuführen, da die<br />

meisten Gasteltern <strong>der</strong> BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong> dort nicht genug Land haben, um e<strong>in</strong>en Ertrag<br />

34


steigern zu können. Die hier gemachten Untersuchungen beziehen sich also nur auf die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Bujumbura.<br />

3.2. Datenerhebung 1: Die Methode <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt<br />

Ich beschreibe zunächst <strong>in</strong> kurzen Zügen die Methode, wie sie für den E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong><br />

Deutschland gedacht ist und werde im nächsten Kapitel die Umsetzungsarbeit für den<br />

afrikanischen Kontext erläutern.<br />

„In e<strong>in</strong>er Zukunftswerkstatt erarbeitet e<strong>in</strong>e Gruppe von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n o<strong>der</strong> Jugendlichen<br />

Lösungsvorschläge o<strong>der</strong> Umsetzungsstrategien zu e<strong>in</strong>em Thema o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Problem.“<br />

(www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>politik.de). Die Methode besteht aus mehreren Phasen, die die Gruppe<br />

durchläuft und die <strong>in</strong>haltlich und chronologisch aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> aufgebaut s<strong>in</strong>d: sie glie<strong>der</strong>t<br />

sich „<strong>in</strong> drei Hauptphasen sowie e<strong>in</strong>e vorbereitende und nachbereitende Phase.“<br />

(www.sowionl<strong>in</strong>e.de).<br />

Die Methode <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt erschien als geeignet, da sie nicht nur e<strong>in</strong>e Analyse <strong>der</strong><br />

Gegenwart und ihrer Probleme ist, son<strong>der</strong>n auch die Ressourcen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und ihre<br />

Umsetzung mit e<strong>in</strong>bezieht. Sie ist e<strong>in</strong>e Methode <strong>der</strong> qualitativen Sozialforschung 27 und<br />

verb<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e Bestandsanalyse mit den Träumen <strong>der</strong> Zukunft <strong>der</strong> Befragten und <strong>in</strong><br />

Ansätzen ihre Umsetzung unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Ideen <strong>der</strong> Beteiligten. Das von uns<br />

angewandte und abgeleitete Material haben wir hauptsächlich den Internetseiten<br />

www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>politik.de und www.sowionl<strong>in</strong>e.de entnommen.<br />

E<strong>in</strong>e Übertragung <strong>der</strong> Methode <strong>in</strong> den afrikanischen Kontext war unerlässlich, da die<br />

Ausgangsbed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> am Projekt teilnehmenden K<strong>in</strong><strong>der</strong> sich von denen deutscher<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> komplett unterscheiden. Für die verschiedenen Phasen werden im Internet kreative<br />

Methoden vorgeschlagen, die <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>fach zu gestalten, aber <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> so<br />

kaum durchführbar s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>es unserer Unterziele bei <strong>der</strong> Durchführung dieser Methode<br />

lag auch dar<strong>in</strong>, den anwesenden ehrenamtlichen Betreuern des Projekts e<strong>in</strong>e Methode an<br />

die Hand zu geben, die sie ohne großen technischen Aufwand <strong>in</strong> ihrem Umfeld, ihren<br />

Dörfern und <strong>in</strong> ihrer Geme<strong>in</strong>de wie<strong>der</strong>holen können. Dazu s<strong>in</strong>d Vorschläge wie zum<br />

Beispiel bei <strong>der</strong> Willkommensphase (vgl. www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>politik.de), e<strong>in</strong>e Fotowand <strong>der</strong><br />

Teilnehmer zu gestalten, gut, aber hier nicht umsetzbar, weil es zu teuer wäre und die<br />

Betreuer ke<strong>in</strong>en Fotoapparat besitzen. E<strong>in</strong> weiterer nicht durchführbarer Vorschlag war:<br />

„Jedes K<strong>in</strong>d malt se<strong>in</strong>en eigenen wichtigsten Kritikpunkt“. (www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>politik.de). K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> Afrika malen sehr selten, weil Buntstifte und Papier für viele e<strong>in</strong> Luxus ist; sie wären<br />

völlig überfor<strong>der</strong>t gewesen, ihre Kritik auf diese Weise auszudrücken. Es war also nötig,<br />

27 Zur Begründung Methoden qualitativer Sozailforschung vgl. Kapitel 3.4.<br />

35


e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache, f<strong>in</strong>anziell wenig aufwändige und kulturell adaptierte Umsetzung zu f<strong>in</strong>den.<br />

Daher wurden die für jede Phase beschriebenen Ziele bearbeitet und an den Kontext <strong>in</strong><br />

<strong>Burundi</strong> angepasst. Die nachfolgende Zusammenstellung beschreibt die jeweilige<br />

Übertragung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Phasen.<br />

3.2.1. Zukunftswerkstatt: Übertragung <strong>in</strong> den burundischen Kontext<br />

Willkommensphase<br />

Die Willkommensphase bestand aus e<strong>in</strong>er Kurzvorstellung <strong>der</strong> Teilnehmer (K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Team) und geme<strong>in</strong>samem S<strong>in</strong>gen und Tanzen. Die Verantwortlichen 28 haben hierbei –<br />

unter Berücksichtigung <strong>der</strong> burundischen Kultur – weniger das Individuum als vielmehr<br />

die Gruppe betont. Geme<strong>in</strong>sames S<strong>in</strong>gen und Tanzen ist Bestandteil nahezu aller<br />

Geme<strong>in</strong>deveranstaltungen, und da das BAHO-Projekt Teil <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Kirchengeme<strong>in</strong>de ist, haben wir die für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> gewohnte Art und Weise <strong>der</strong> Eröffnung<br />

gewählt. Danach hat <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ator das Team vorgestellt und <strong>in</strong> den Tag e<strong>in</strong>geführt.<br />

Mo<strong>der</strong>ator war bei allen Veranstaltung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>heimische Projektverantwortliche. Alle Teile<br />

<strong>der</strong> Zukunftswerkstatt wurden anonym gestaltet und Anonymität den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> dieser<br />

Phase zugesichert. Lediglich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Willkommensphase wurde Geschlecht und Alter<br />

notiert, um empirische Belege zu haben.<br />

Kritikphase<br />

Diese Phase wurde „Was-ich-nicht-mag-Phase“ genannt. Kritik wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> burundischen<br />

Kultur nicht öffentlich geübt und wird als solche auch nicht benannt 29 . Daher konnte das<br />

Team schnell auf diesen Namen e<strong>in</strong>igen und diese Phase so nennen. Es wurde e<strong>in</strong>e<br />

symbolische Klagemauer als methodischer Aufhänger gewählt: Jedes K<strong>in</strong>d erhielt Papier<br />

und Kugelschreiber und konnte für die fokussierten Lebensbereiche aufschreiben, was es<br />

<strong>in</strong> diesen nicht mag. Danach wurden die Zettel e<strong>in</strong>gesammelt, vermischt und vom<br />

Mo<strong>der</strong>ator mit Wäscheklammern an e<strong>in</strong>er Le<strong>in</strong>e aufgehängt. Anschließend wurden nach<br />

dem Zufallspr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>ige Zettel ausgewählt und die darauf genannten Punkte den<br />

anwesenden K<strong>in</strong><strong>der</strong>n vorgelesen.<br />

28 Das Forschungs- und Durchführungsteam bestand <strong>in</strong> diesem Fall aus dem e<strong>in</strong>heimischen Projektleiter und<br />

dem Autor. Bei <strong>der</strong> Konzeptionierung haben e<strong>in</strong>e weitere ausländische Mitarbeiter<strong>in</strong> und e<strong>in</strong> Pastor beratend<br />

mitgewirkt.<br />

29 Das Kirundi Wort „kunegura“, das man am ehesten mit Kritik über übersetzten kann, drückt aus, dass man<br />

etwas sehr negatives über jemanden sagen will.<br />

36


Utopiephase<br />

Auch diese Phase wurde umbenannt: sie erhielt den Titel „ma meilleure vie“ – „me<strong>in</strong><br />

besseres Leben“. Es wurde lange überlegt, wie diese Phase zu gestalten ist und wie die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> motiviert werden können, kreativ zu denken. Es wurde vom Team festgelegt, die<br />

Begriffe „träumen“, „besseres Leben“, „schöneres Leben“ zu verwenden. Bei <strong>der</strong><br />

Durchführung wurden die Anwesenden <strong>in</strong> Gruppen zu je 5-8 K<strong>in</strong><strong>der</strong>n e<strong>in</strong>geteilt (Methode<br />

des Abzählens, dadurch wurden die K<strong>in</strong><strong>der</strong> auch altersmäßig gemischt) und diesen<br />

Gruppen dann e<strong>in</strong>e Aufgabe gestellt. Sie sollten sich zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> von uns fokussierten<br />

Lebensbereiche (Schule, Familie, Freizeit) überlegen, wie das Leben <strong>in</strong> diesem jeweils<br />

besser se<strong>in</strong> kann. Jede Gruppe bekam e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> ehrenamtlichen Betreuer <strong>zur</strong> Seite gestellt,<br />

<strong>der</strong> motivierend und mo<strong>der</strong>ierend e<strong>in</strong>greifen, den <strong>in</strong>haltlichen Gruppenprozess aber nicht<br />

mitbestimmen sollte. Ziel war, dass jede Gruppe das Ergebnis ihrer Gruppenarbeit auf<br />

kreative Weise im Plenum darstellt: Als Lied, als Theaterstück o<strong>der</strong> als Gedicht/Text.<br />

Diese Darstellungs- und Präsentationsform passt <strong>zur</strong> burundischen Kultur. Die Menschen<br />

bewegen sich freier, sie s<strong>in</strong>d spontaner und, was öffentliches S<strong>in</strong>gen und Theaterspielen<br />

anbelangt, viel weniger scheu als westliche Menschen. Dies gilt <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e, wenn es <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Gruppe dargestellt werden kann, denn Stammeskulturen s<strong>in</strong>d gruppenorientierte<br />

Kulturen. „Most mo<strong>der</strong>nists take it for granted, that all people see themselves as<br />

autonomous, <strong>in</strong>dividual humans.” (Hiebert 2008: 110). Aber gruppenorientierte Menschen<br />

“need unity, blend<strong>in</strong>g, fuzz<strong>in</strong>ess and mystery. They need to be surrounded, not to be<br />

alone.” (ebd.) Dies erklärt auch, warum Gruppenprozesse <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> zunächst natürlicher<br />

und e<strong>in</strong>facher als <strong>in</strong> westlichen Kulturen s<strong>in</strong>d.<br />

Realisierungsphase<br />

Das Ziel dieser Phase ist zu sehen „welche Ideen, Wünsche weiterbearbeitet werden sollen<br />

und für die Gruppe am wichtigsten s<strong>in</strong>d. Danach steht die Frage im Vor<strong>der</strong>grund, wie die<br />

Umsetzung dieser Ideen angegangen werden kann. Diese Phase soll laut Konzeption <strong>der</strong><br />

Methode mit e<strong>in</strong>em Handlungsplan („Was müssen wir erledigen?“ und „Wer macht was?“)<br />

enden. Ziel ist es, die Teilnehmenden auch über die Zukunftswerkstatt h<strong>in</strong>aus zum aktiven<br />

Handeln zu motivieren.“ (www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>politik.de) Für die Durchführung <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> wurde<br />

e<strong>in</strong>e mo<strong>der</strong>ierte Gruppendiskussion vorgesehen. Jede Gruppe sollte wie<strong>der</strong> für sich über<br />

ihren jeweiligen Bereich diskutieren, was nun anzugehen ist und was am wichtigsten zu<br />

tun ist. Hierbei galt die Maßgabe, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong> sich überlegen sollen, wie sie als Gruppe<br />

sich gegenseitig dabei helfen können, geäußerte Träume und Wünsche umzusetzen. Die<br />

Ideen sollten auf e<strong>in</strong>em Papier notiert werden und je nach Phasenverlauf auch vom<br />

37


Gruppensprecher im Plenum bekannt gegeben werden. Es wurde vere<strong>in</strong>bart, den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

ke<strong>in</strong>e Versprechungen zu machen, was die Umsetzung <strong>der</strong> Ergebnisse anbelangt und die<br />

Betreuer <strong>der</strong> Gruppen wurden darauf aufmerksam gemacht, e<strong>in</strong>fache Lösungen mit den<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zu suchen und anzustreben.<br />

Diese Phase konnte allerd<strong>in</strong>gs aus Zeitgründen nicht durchgeführt werden 30 .<br />

Abschiedsphase<br />

Hier wurde wie<strong>der</strong> gesungen und getanzt und e<strong>in</strong> Abschlussgebet durch den anwesenden<br />

Pastor <strong>der</strong> jeweiligen Geme<strong>in</strong>de gesprochen.<br />

Zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Phasen waren Pausen und Bewegungsspiele e<strong>in</strong>geplant. Es gab<br />

e<strong>in</strong>e warme Mahlzeit für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> und kostenlose Getränke. Die kreativen Ergebnisse<br />

<strong>der</strong> Utopiephase wurden vom Autor teilweise gefilmt, dazu wurden die Notizen <strong>der</strong><br />

Betreuer und <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> als Dokumentation an den Autor übergeben. Die<br />

Zukunftswerkstatt fand auf Kirundi statt. Die Dokumente wurden zusammen mit dem<br />

e<strong>in</strong>heimischen Projektverantwortlichen und e<strong>in</strong>em Pastor übersetzt und ausgewertet.<br />

3.2.2. Analyseweg und Ergebnisse <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt<br />

Die Analyse <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt gewonnenen Daten eröffnete Befunde <strong>in</strong><br />

zweierlei H<strong>in</strong>sicht: zum e<strong>in</strong>en ließen sich anhand <strong>der</strong> von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n genannten Themen<br />

bestimmte Schwerpunkte bzw. Inhaltsbereiche ausmachen, die sich auch quantitativ<br />

e<strong>in</strong>ordnen ließen (vgl. Kapitel 3.2.2.1.) zum an<strong>der</strong>en traten unterschiedliche Antwortstile<br />

zutage (vgl. Kapitel 3.2.2.2.).<br />

Die vorliegenden quantitativen Ergebnisse wurden durch Auswertung <strong>der</strong> Notizen <strong>der</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> gewonnen. Wie <strong>in</strong> Kapitel 3.2.1. beschrieben, wurden den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Kritikphase Zettel ausgeteilt, die sie anonym ausfüllten und dann an e<strong>in</strong>e symbolische<br />

Klagemauer hefteten. Diese Zettel wurden am Schluss <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt<br />

e<strong>in</strong>gesammelt. Nach <strong>der</strong> Übersetzung jedes e<strong>in</strong>zelnen Zettels von Kirundi <strong>in</strong>s Französische<br />

zusammen mit e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>heimischen Pastor und übersetzte <strong>der</strong> Autor dies <strong>in</strong>s Deutsche.<br />

Die vorgefundenen Notizen wurden dann <strong>in</strong> den jeweiligen Lebensbereichen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Liste<br />

(s. Anhang 1) aufgeführt und danach zu Themenbereichen geordnet, <strong>in</strong> die sich die<br />

Nennungen sortieren ließen. Diese Themenbereiche ergaben sich aus den Vorgaben <strong>der</strong><br />

30 Den vielfältigen Gründen ist e<strong>in</strong> ganzes Kapitel <strong>in</strong> „Wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong>n träumen schwerfällt – e<strong>in</strong>e<br />

Untersuchung <strong>der</strong> Lebensbereiche Familie, Schule, und Freizeit von Waisenk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong>“ (Hoffmann<br />

2008) gewidmet.<br />

38


K<strong>in</strong><strong>der</strong>, waren also im Vorfeld nicht schon erarbeitet. Allerd<strong>in</strong>gs bildeten sie nach <strong>der</strong><br />

Auswertung e<strong>in</strong>es Stadtteils Grundlage für die Auswertung <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en<br />

Stadtteilen. Anschließend wurden die Nennungen und Themenbereich nach <strong>der</strong> Häufigkeit<br />

ihrer Nennungen sortiert. Bezüglich <strong>der</strong> Utopiephasen wurden Filmmitschnitte und<br />

Protokolle wo nötig vom Kirundi <strong>in</strong>s Deutsche übersetzt und dann nach Lebensbereichen<br />

aufgelistet und ausgewertet.<br />

3.2.2.1. Inhaltsbereiche<br />

Die Analyse <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt gewonnenen Daten ergab folgende quantitative<br />

Befunde, die sich <strong>in</strong> vier Inhaltsbereiche aufteilen lassen:<br />

(1) Gewalt<br />

Verblüffend für das Team war, wie hoch die Zahl <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> ist, die sich mit Gewalt<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen müssen – egal <strong>in</strong> welchem Lebensbereich (Familie, Schule, Freizeit), es<br />

wurde immer wie<strong>der</strong> erwähnt. Über Gewalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie (sich schlagen) berichteten<br />

36,06% 31 <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> Von Gewalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule berichteten 16,34%, wobei 4,75%<br />

körperliche Gewalt durch Lehrer angaben. (In <strong>Burundi</strong> ist die Prügelstrafe aber offiziell<br />

seit 1993 abgeschafft und seit 2005 wird das Verbot durchgesetzt). 17,76% erwähnten dass<br />

sie <strong>in</strong> ihrer Freizeit Gewalt ausgesetzt s<strong>in</strong>d und das <strong>in</strong> ihrem Leben nicht mögen.<br />

(2) Diebstahl<br />

Über Diebstahl <strong>in</strong> und durch die eigene Familie berichteten 21,32%. Von Diebstählen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Schule berichten 13,2% (hier wurde oft genannt: Hefte und Kugelschreiber) und<br />

32,75% gaben an, dass sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Freizeit unter Diebstählen leiden.<br />

31 Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Gesamtheit <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> (also 149, vgl. Tabelle 1). Denn <strong>der</strong><br />

räumliche Bezug, das heißt wo die K<strong>in</strong><strong>der</strong> wohnten, spielt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> Ergebnissen <strong>der</strong><br />

verschiedenen Zukunftswerkstätten ke<strong>in</strong>e Rolle. Die vorherrschenden Themen waren <strong>in</strong> allen Vierteln<br />

dieselben, bis auf folgende Ausnahmen, wo es <strong>in</strong> manchen Bereichen höhere Nennungen gab, als <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en:<br />

im Stadtteil Kaniosha klagten rund 25% <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, dass sie Hunger haben und nicht genug zu essen<br />

bekommen. Im Stadtteil Musaga, wo es harte Kriegsause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen gab, erklärten 15,5% <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>,<br />

dass sie Krieg und Tod nicht mögen. Insgesamt überraschend war, wie selten <strong>der</strong> Tod beziehungsweise die<br />

Abwesenheit <strong>der</strong> Eltern als Mangel thematisiert wurde. Das Thema „komplette Familie“ wurde <strong>in</strong> den<br />

Theaterstücken <strong>der</strong> Utopiephase allerd<strong>in</strong>gs häufig bearbeitet – es war „verpackt“ als Wunsch nach e<strong>in</strong>er<br />

idealen christlichen Familie, <strong>in</strong> <strong>der</strong> immer Mama und Papa anwesend waren. Bezogen auf die Prozentzahlen<br />

wurde also die Gesamtheit <strong>der</strong> Nennungen <strong>in</strong> Bezug <strong>zur</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> anwesenden K<strong>in</strong><strong>der</strong> gesetzt.<br />

39


(3) Beleidigen<br />

Das nächste große Problem, mit dem sich die K<strong>in</strong><strong>der</strong> offensichtlich ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen<br />

müssen, s<strong>in</strong>d Beleidigungen. In ihren Familien mögen 44,68% Beleidigungen nicht und <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Freizeit s<strong>in</strong>d es 29,65% <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die darüber klagen. Im Lebensbereich Schule<br />

waren es 22,4%, die zum Thema „Beleidigen“ Angaben machten.<br />

(4) Sexuelle Erfahrungen<br />

In ihrer Freizeit mögen 33,8% <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht, dass sie sexuelle Erfahrungen machen. E<strong>in</strong><br />

K<strong>in</strong>d benannte dabei direkt Missbrauch, die an<strong>der</strong>en nannten oft das Verb „gusambana“<br />

(Kirundi für: sexuell aktiv außerhalb <strong>der</strong> Ehe se<strong>in</strong>). Ob sie zu solchen Handlungen<br />

gezwungen wurden, es sich auf an<strong>der</strong>e Menschen <strong>in</strong> ihrem Umfeld bezieht o<strong>der</strong> ob es sich<br />

um eigene, aktiv gesuchte Erfahrungen handelt (was laut den e<strong>in</strong>heimischen Mitarbeitern<br />

die plausibelste Erklärung ist), g<strong>in</strong>g aus dem vorhandenen Material nicht hervor.<br />

3.2.2.2. Antwortverhalten und Antwortstile<br />

E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehende Textanalyse zeigte schließlich, dass <strong>in</strong> den Antworten <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

bestimmte, sich wie<strong>der</strong>holende Stile auszumachen waren, die sich als sehr „erwachsen“<br />

und als „kirchlich-sozialisiert“ zusammenfassen lassen.<br />

(1) „erwachsene“ Antwortstile<br />

Der Projektleitung fiel beim Auswerten <strong>der</strong> Ergebnisse auf, wie hoch die Zahl <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

war, die sehr erwachsene und unerwartete Antworten gaben. Bei <strong>der</strong> Präsentation im<br />

Ortsteil Kaniosha äußerte sich e<strong>in</strong>e Gruppe während <strong>der</strong> Utopiephase <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Liedes<br />

<strong>in</strong> Bezug auf das Leben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

„E<strong>in</strong>e gute Zukunft gibt es nicht auf <strong>der</strong> Straße.<br />

E<strong>in</strong>e gute Zukunft gibt’s nicht im Vagabundieren.<br />

E<strong>in</strong>e gute Zukunft f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> den Schulheften.<br />

Junger Mann, junge Frau, sei umsichtig.<br />

Schüler, sei wachsam, was Betrügen anbelangt!<br />

Du, Schüler, lieb lernen!<br />

Du, Schüler, respektier die Lehrer!<br />

Und gehorch’ De<strong>in</strong>en Eltern!“<br />

40


Die Verteilung <strong>der</strong> „erwachsenen“ Antworten <strong>in</strong> Bezug auf die Schule <strong>in</strong> <strong>der</strong> Utopiephase<br />

gestaltete sich folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

Stadtteil Stadtteil Stadtteil Stadtteil Gesamt<br />

Ruziba Kaniosha Musaga Cibitoke<br />

Anteil<br />

<strong>der</strong><br />

Gruppen<br />

2 von 2<br />

Präsentationen<br />

3 von 3<br />

Präsentationen<br />

1 von 1<br />

Präsentationen<br />

1 von 2<br />

Präsentationen<br />

7 von 8<br />

Präsentationen<br />

Tabelle 2: Verteilung <strong>der</strong> „erwachsenen“ Antwortstile während <strong>der</strong> Utopiephase <strong>in</strong> Bezug<br />

auf den Lebensbereich Schule.<br />

Als Durchführende hätten wir <strong>in</strong> dieser Phase erwartet, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong> davon träumen, die<br />

widrigen Lern- o<strong>der</strong> Lebensumstände än<strong>der</strong>n zu wollen (Klassengröße, Lernbed<strong>in</strong>gungen,<br />

sanitäre Verhältnisse etc.), aber stattdessen wurden <strong>in</strong> dieser Phase auffallend oft<br />

Antworten gegeben, die sehr „erwachsen“ klangen (Lern besser, hör auf de<strong>in</strong>e Eltern,<br />

mach ke<strong>in</strong>en Quatsch <strong>in</strong> de<strong>in</strong>er Freizeit) und nicht die träumerische Komponente von<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

(2) „kirchlich-sozialisierte“ Antwortstile<br />

Dazu kam noch <strong>der</strong> Teil <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die tief religiöse Antworten und Erklärungen gaben.<br />

Die Anteile <strong>der</strong> Antworten, <strong>in</strong> denen vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Utopie-Phase deutlich „kirchlichsozialisierte“<br />

Antworten gegeben wurde, schlüsselt sich wie folgt auf:<br />

Stadtteil Stadtteil Stadtteil Stadtteil Gesamt<br />

Ruziba Kaniosha Musaga Cibitoke<br />

Anteil <strong>der</strong><br />

Gruppen<br />

4 von 6<br />

Präsentationen<br />

3 von 6<br />

Präsentationen<br />

1 von 4<br />

Präsentationen<br />

3 von 5<br />

Präsentationen<br />

11 von 21<br />

Präsentationen<br />

Tabelle 3: „Kirchlich-sozialisierte“ Antwortstile während <strong>der</strong> Utopiephase <strong>in</strong> Bezug auf<br />

Gruppenpräsentationen <strong>in</strong> allen Lebensbereichen.<br />

Für e<strong>in</strong> kirchliches Projekt ist es natürlich von großem Interesse, wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong> auch<br />

Lösungen im Beten o<strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen Bibellesen sehen bzw. benennen, dennoch<br />

gestaltete sich e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>ordnung gerade dieser Befunde zu diesem Zeitpunkt als sehr<br />

schwierig, weil angesichts <strong>der</strong> Datenlage offen bleiben musste, wie diese letztlich zu<br />

41


werten s<strong>in</strong>d (hierzu weiterführend 3.4.2.). Hier e<strong>in</strong> Beispiel für e<strong>in</strong>en kirchlichsozialisierten<br />

Antwortstil.<br />

Antwort e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des aus dem Stadtteil Ruziba auf die Frage, was es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben<br />

nicht mag:<br />

„Familie<br />

Ich mag nicht, dass me<strong>in</strong> Papa stirbt und dass es jemand gibt, <strong>der</strong> sich um uns kümmert und wenn<br />

ich nichts zu essen habe, fühl ich mich nicht wohl. Aber da ich weiß, dass ich ke<strong>in</strong>e Eltern habe,<br />

muss ich mich gedulden, denn Jesus sagt: Denn Gott hat so sehr die Welt geliebt, dass er se<strong>in</strong>en<br />

e<strong>in</strong>zigen Sohn dah<strong>in</strong>gab, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.<br />

Schule<br />

Ich lerne Vor- und Nachmittag und wenn ich nach Hause komme und wenn ich merke, dass Mama<br />

noch nicht das Essen gemacht hat, gehe ich <strong>in</strong> die Schule, und ich lern nicht gut, da ich Hunger<br />

hab. Und wenn ich ohne Schuhe <strong>in</strong> die Schule komme, lachen mich die an<strong>der</strong>en Schüler aus, und<br />

ich weiß nicht, was ich machen soll, um Schuhe zu haben. Auch wenn ich ke<strong>in</strong>e Schuhe habe, werde<br />

ich me<strong>in</strong>en Herrn Jesus nicht aufgeben.<br />

Freizeit<br />

In <strong>der</strong> Freizeit zu Hause freue ich mich an Jesus, und da er mir Gutes getan hat, b<strong>in</strong> ich sehr<br />

zufrieden. […].“<br />

Solche Haltungen und Aussagen waren zwar nicht die Regel, dennoch haben auffallend<br />

viele K<strong>in</strong><strong>der</strong> Antworten <strong>in</strong> diese Richtung gegeben. Dazu noch zwei weitere<br />

Gruppenbeispiele: Gruppe 5 <strong>in</strong> Ruziba antwortete <strong>in</strong> <strong>der</strong> Utopiephase auf die Frage, was<br />

sie tun würden, wenn sie zwei Stunden Freizeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche hätten:<br />

„Du hast Spaß wenn Du betest, wenn Du dich mit an<strong>der</strong>en triffst.<br />

Ich würde <strong>in</strong> die Kirche gehen und Gott loben.<br />

Ich würde e<strong>in</strong>en Freund suchen und mit ihm beten.<br />

Ich würde zu me<strong>in</strong>en Freunden gehen.<br />

Ich würde e<strong>in</strong>e Familie besuchen.<br />

Ich würde beten.“<br />

Gruppe 4 <strong>in</strong> Kaniosha antwortete <strong>in</strong> <strong>der</strong> Utopiephase auf die selbe Frage:<br />

- Um den an<strong>der</strong>en besser zu helfen, müssen me<strong>in</strong>e Freunde mir helfen.<br />

- Dann gründe ich e<strong>in</strong>e Gruppe, um an<strong>der</strong>en zu helfen.<br />

- Wir würden Gott bitten, uns zu helfen.<br />

42


3.3. Erster Anknüpfungspunkt für die künftige BAHO-Arbeit<br />

Als Zwischenfazit können an dieser Stelle folgendes Ergebnis aus <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt<br />

für die weitere Arbeit im BAHO-Projekt festgehalten werden:<br />

Regelmäßige Treffen anbieten<br />

In den feed-back-Runden mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n im Anschluss an die Zukunftswerkstatt wurde<br />

deutlich, dass ihnen <strong>der</strong> Tag Spaß gemacht hat und sie sich öfter solche Treffen wünschen.<br />

Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Betreuer treffen sich zwar regelmäßig an den Sonntagen im Gottesdienst,<br />

aber es werden selten Extraprogramme angeboten. Dies sahen die K<strong>in</strong><strong>der</strong> als<br />

verbesserungswürdig: „Wir sollten so was jeden Monat haben.“ me<strong>in</strong>te e<strong>in</strong> Teilnehmer;<br />

e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e me<strong>in</strong>te: „Das müssen wir wie<strong>der</strong>holen.“ Dieser hier angeführte Wunsch, sich<br />

öfter zu treffen (<strong>der</strong> wie im nächsten Kapitel dargestellt wird sowohl von den Betreuern,<br />

als auch von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n geäußert wurde), deckt sich voll und ganz mit Freires Ideen für<br />

e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Lernprozess: „Sie [die Befreiungstheologen, d. Verf.] stellen fest, daß<br />

richtige, erfolgversprechende Hilfe nur nach langem Kontakt mit den Unterdrückten<br />

möglich ist.“ (www.freire.de/theologie). Die Projektverantwortlichen möchte dies för<strong>der</strong>n<br />

und erhofft sich, <strong>in</strong> diesem Prozess präsent und an diesem Lernprozess beteiligt zu se<strong>in</strong><br />

und dadurch an Qualität im Projekt zu gew<strong>in</strong>nen.<br />

Zusammenfassend kann gesagt werden: die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen s<strong>in</strong>d vielen negativen<br />

Lebense<strong>in</strong>flüssen wie Gewalt o<strong>der</strong> Diebstahl ausgesetzt. Sie wünschen sich und erwarten<br />

auch Hilfe von ihrer Religion/Kirche. Sie wollen sich regelmäßig als Gruppe treffen.<br />

3.4. Datenerhebung 2: Die Methode <strong>der</strong> Gruppendiskussion<br />

Nach <strong>der</strong> Methode <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt wurde mit <strong>der</strong> Gruppendiskussion erneut bewusst<br />

auf e<strong>in</strong>e Methode qualitativer Sozialforschung <strong>zur</strong>ückgegriffen: „Qualitative<br />

Sozialforschung bemüht sich um e<strong>in</strong>e möglichst gegenstandsnahe und kontextgebundene<br />

Erfassung ihres Untersuchungsgegenstandes mit dem Ziel, diesen zu beschreiben, zu<br />

rekonstruieren und zu erklären“ (Friebertshäuser 2006a: 5). E<strong>in</strong> weiteres Argument für e<strong>in</strong>e<br />

qualitative Methode war, „daß es <strong>in</strong> <strong>der</strong> qualitativen Forschung wichtig ist zu untersuchen,<br />

wie die Subjekte ihre Umwelt, ihre sozialen Beziehungen, Ereignisse und Erfahrungen<br />

<strong>in</strong>terpretieren und damit diesen Bedeutungen und S<strong>in</strong>n verleihen.“ (Friebertshäuser 2006b:<br />

2) Es galt also, die Wahrnehmung <strong>der</strong> Projektverantwortlichen <strong>der</strong>er <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Jugendlichen und <strong>der</strong>er <strong>der</strong> ehrenamtlichen Mitarbeiter gegenüberzustellen und sie<br />

43


herauszufor<strong>der</strong>n, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Prozess geme<strong>in</strong>sam Lösungen zu suchen und<br />

Umsetzungsmöglichkeiten zu benennen.<br />

Die Methode <strong>der</strong> Gruppendiskussion wurde gewählt, weil <strong>in</strong> dieser Phase e<strong>in</strong> Austausch<br />

über Ergebnisse <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt im Zentrum des Interesses stand. Ziel war, dass die<br />

Ergebnisse bewertet, h<strong>in</strong>terfragt und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Schritt auch ausgewertet wurden –<br />

sowohl von den Betroffenen als auch von ihnen nahe stehenden Personen.<br />

3.4.1. Durchführung und Ergebnisse <strong>der</strong> Gruppendiskussion „Ehrenamtliche“<br />

Um die E<strong>in</strong>drücke und Erkenntnisse mit den ehrenamtlichen Mitarbeitern auszutauschen,<br />

schloss sich an die Zukunftswerkstatt e<strong>in</strong>e feed-back-Phase an. Die Projektleitung sah <strong>in</strong><br />

diesem Fall die ehrenamtlichen Mitarbeiter als Experten für das Leben <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> an und<br />

suchte ihr feed-back. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter kennen, da sie <strong>in</strong> den gleichen<br />

Stadtvierteln wohnen und dieselben Kirchen besuchen, die Lebensverhältnisse <strong>der</strong> BAHO-<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> sehr gut. Ziel war durch e<strong>in</strong>e als Gruppendiskussion angelegte Befragung zu<br />

erfahren, ob sie die Ergebnisse für realistisch halten, und welche Lösungsmöglichkeiten sie<br />

als Betreuer sehen.<br />

Da die Übersetzung <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt aus dem Kirundi <strong>in</strong>s<br />

Französische, viel Zeit <strong>in</strong> Anspruch genommen hatte konnten die Gruppendiskussion mit<br />

den Ehrenamtlichen erst im September und Oktober 2009 stattf<strong>in</strong>den. Es wurde mit<br />

folgen<strong>der</strong> Anzahl an BetreuerInnen gearbeitet:<br />

Stadtteil Stadtteil Stadtteil Stadtteil Gesamt<br />

Kaniosha Musaga Ruziba Cibitoke<br />

Anzahl 4 4 4 6 18<br />

Geschlecht 4 Männer 2 Männer<br />

und 2 Frauen<br />

3 Männer<br />

und 1 Frau<br />

1 Mann und<br />

5 Frauen<br />

10<br />

Männer<br />

und 8<br />

Frauen<br />

Tabelle 4: Teilnehmende BetreueInnen an <strong>der</strong> Gruppendiskussion aufgeschlüsselt nach<br />

Herkunft und Geschlecht.<br />

Als E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> die Diskussion wurden die Ergebnisse <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt <strong>in</strong><br />

spielerischer Form präsentiert. Den Ehrenamtlichen wurden die von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n aus ihrem<br />

Stadtteil die fünf meist angeführten Punkte <strong>der</strong> Kritikphase ohne die jeweilige<br />

Prozentzahlen genannt (s. Anhang 2). Danach wurden sie gebeten, diese Punkte nach <strong>der</strong><br />

44


Häufigkeit ihrer Nennungen zu ordnen. Dies erfolgte spielerisch nach dem Motto „wer<br />

kennt die Situation am besten?“ Dabei wurde viel gelacht und die Mitarbeiter waren für<br />

das Thema sensibilisiert.<br />

Im Anschluss wurden die Mitarbeiter über ihre E<strong>in</strong>drücke zu den oben beschriebenen<br />

Inhaltsbereichen befragt. Weiterh<strong>in</strong> wurde geme<strong>in</strong>sam erörtert, ob sie die Ergebnisse so<br />

erwartet hätten und für glaubhaft hielten.<br />

Am Schluss stand die geme<strong>in</strong>same Suche nach Lösungsmöglichkeiten und <strong>der</strong>en<br />

Umsetzung. Dazu wurde je<strong>der</strong> Mitarbeiter gebeten, Lösungen zu suchen und sie <strong>der</strong><br />

Gruppe zu präsentieren. Diese Antworten wurden dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe diskutiert und nach<br />

ihrer Durchführbarkeit geordnet. Hier die zentralen Ergebnisse:<br />

Verblüffende Offenheit und Kreativität<br />

Nahezu alle Betreuer zeigten sich überrascht darüber, wie kreativ die K<strong>in</strong><strong>der</strong> waren und<br />

wie offen sie ihre Lebenssituationen geschil<strong>der</strong>t hatten. Dies kam hauptsächlich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

ersten Phase (Kritikphase, s.o.) deutlich zum Ausdruck. Aber auch die K<strong>in</strong><strong>der</strong> selbst<br />

erwähnten dies: „Ich habe zum ersten Mal gemerkt, dass an<strong>der</strong>e gleiche Probleme haben<br />

wie ich.“ äußerte e<strong>in</strong> Mädchen. E<strong>in</strong> Ergebnis ist also, dass die Betreuer neue Seiten an den<br />

von ihnen betreuten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n entdeckt haben. Sie erkannten <strong>in</strong> dieser Offenheit und<br />

Kreativität e<strong>in</strong>e Ressource, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> künftigen Arbeit fruchtbar genutzt werden will.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus konnten sowohl die Beziehungen zwischen Betreuern und K<strong>in</strong><strong>der</strong>n als die<br />

Beziehungen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gestärkt werden.<br />

Ermutigung<br />

In allen Stadtvierteln äußerten sich die ehrenamtlichen Betreuer sehr positiv <strong>zur</strong><br />

Zukunftswerkstatt. Oft fielen die Worte „ermutigt“ und „neu motiviert“. Dies bestätigte<br />

den Ansatz, die Zukunftswerkstatt mit den Betreuern geme<strong>in</strong>sam durchzuführen, wenn sie<br />

auch während <strong>der</strong> Vormittage eher e<strong>in</strong>e Beobachterrolle spielten und selten aktiv waren.<br />

Diese Rolle war aber beabsichtigt, um die Prozesse und Ergebnisse <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> von Seiten<br />

<strong>der</strong> Betreuer nicht zu bee<strong>in</strong>flussen.<br />

Regelmäßige Treffen anbieten<br />

In jedem <strong>der</strong> Stadtviertel zeigten sich die Mitarbeiter bestürzt über die negativen E<strong>in</strong>flüsse,<br />

denen sich die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> so hohem Maße – betrachtet man die entsprechenden<br />

Prozentwerte – ausgesetzt sehen. Die Themen als solche wurden <strong>in</strong>des von den<br />

45


Mitarbeitern bestätigt; auch sie nehmen die von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n geschil<strong>der</strong>te Lebenswelt<br />

<strong>der</strong>gestalt wahr.<br />

60% <strong>der</strong> MitarbeiterInnen äußerten das Bestreben, dass man den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n helfen müsse, <strong>in</strong><br />

diesen Lebensumständen zu bestehen. Sie sahen die Möglichkeit, verstärkt Treffen<br />

anzubieten. Ihr Wunsch war es, neben e<strong>in</strong>er Art „moralischen Unterweisung“ im H<strong>in</strong>blick<br />

auf die hohe Rate <strong>der</strong> sexuellen Erfahrungen auch Sem<strong>in</strong>are für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> beispielsweise<br />

<strong>zur</strong> HIV-Prävention anzubieten. 32 Als allererste Reaktion wurde aber überall<br />

übere<strong>in</strong>stimmend genannt: „Wir müssen für sie beten.“ 33<br />

Zusammenfassend kann aus dieser Erhebungsrunde gesagt werden: die Ergebnisse <strong>der</strong><br />

Zukunftswerkstatt wurden von den ehrenamtlichen Betreuern bestätigt. E<strong>in</strong> Großteil von<br />

ihnen sieht als e<strong>in</strong>en Lösungsweg, regelmäßige Gruppentreffen für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> anzubieten<br />

und sie dabei zu unterrichten.<br />

3.4.2. Durchführung und Ergebnisse <strong>der</strong> Gruppendiskussion „BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong>“<br />

Weil wie<strong>der</strong>um auch die Auswertung <strong>der</strong> Erhebungsrunde mit den ehrenamtlichen<br />

Mitarbeitern e<strong>in</strong>ige Zeit <strong>in</strong> Anspruch genommen hatte, wurde erst im Dezember 2009 und<br />

Januar 2010 e<strong>in</strong>e weitere Fragerunde mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n durchgeführt.<br />

Die Fragestellung bezog sich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auf die von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Zukunftswerkstatt genannten Antworten. Angesichts <strong>der</strong> unbefriedigenden Datenlage (vgl.<br />

Kapitel 3.2.2.2.) war weitergehend zu untersuchen, <strong>in</strong>wiefern „kirchlich-sozialisierte“<br />

Antworten gegeben wurden, weil die Projektleitung bei <strong>der</strong> Durchführung dabei war und<br />

die K<strong>in</strong><strong>der</strong> zeigen wollten, wie „christlich“ sie s<strong>in</strong>d? Außerdem war das Ziel zu erfahren,<br />

wie die K<strong>in</strong><strong>der</strong> den Gedanken, sich regelmäßigen zu treffen, bewerten.<br />

Konkret lautete die Forschungsfrage: „Wie beurteilen die K<strong>in</strong><strong>der</strong> des BAHO-Projekts die<br />

Ergebnisse <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt, und wie können Ergebnisse daraus umgesetzt werden?“<br />

Dazu wurden <strong>in</strong> jedem Stadtviertel, die fünf ältesten BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong> (16-22 Jahre) gebeten,<br />

an e<strong>in</strong>em Nachmittag <strong>zur</strong> Kirche zu kommen. 34 Nach e<strong>in</strong>er Begrüßung und kurzen<br />

Erläuterung des Ziel des Treffens wurden ihnen die – laut Ergebnis <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt<br />

32 Als weitere Freizeitangebote wurden gesehen: Filme mit erzieherischem Wert zeigen, Theater spielen und<br />

sportliche Aktivitäten anbieten.<br />

33 In Kaniosha, dem Ort, wo die K<strong>in</strong><strong>der</strong> über Hunger klagten, wurde die Ohnmacht <strong>der</strong> Betreuer stark<br />

deutlich. E<strong>in</strong>er sagte: „Wenn ich bei den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n b<strong>in</strong> und sehe die schlimmen Verhältnisse, dann gehe ich<br />

danach heim und weiß, ich kann <strong>der</strong> Familie nicht helfen. Ich will nicht mit leeren Händen dastehen, ich<br />

kenne die Situation <strong>der</strong> Familien zu genau. Es ist nicht e<strong>in</strong>fach für uns: es s<strong>in</strong>d viele K<strong>in</strong><strong>der</strong>, wenn ich aber<br />

die Familienbesuche aufhöre, dann werfen mir die Familien vor, ich hätte sie vergessen. Ich kann nur beten.“<br />

34 In diesem Zusammenhang ist deshalb von „Jugendlichen“ die Rede.<br />

46


– fünf häufigsten Punkte genannt, die sie und die an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> ihrem Leben nicht<br />

mögen. In Analogie <strong>zur</strong> Methode <strong>der</strong> Ehrenamtlichen (bei dieser Befragung war nur<br />

jeweils e<strong>in</strong>er anwesend) wurden die K<strong>in</strong><strong>der</strong> gebeten, spielerisch e<strong>in</strong>zuordnen, was von <strong>der</strong><br />

Gruppe (jeweils alle 50 K<strong>in</strong><strong>der</strong>) damals am meisten genannt wurde und diese E<strong>in</strong>schätzung<br />

dann zu begründen. Damit haben wurde auf e<strong>in</strong>fache Weise nochmals „geprüft“, ob die<br />

Ergebnisse (also Diebstahl, Gewalt etc., vgl. Kapitel 3.2.2.1.) stimmen und wirklich zu<br />

ihrem Leben gehören. Nach dieser spielerischen Eröffnung wurden die Anwesenden<br />

gebeten, ihre eigene Lebenswirklichkeit damit zu spiegeln, <strong>in</strong>dem sie erklären sollten, wo<br />

sie selbst betroffen s<strong>in</strong>d. Als Abschluss wurden Fragen gestellt und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe<br />

diskutiert, die Bezug nahmen auf die religiösen Inhalte und die Lösungsmöglichkeiten, die<br />

die Jugendlichen jeweils für ihre spezielle Situation <strong>in</strong> ihrem Viertel sahen.<br />

Hier die Ergebnisse dieser Diskussionsrunden:<br />

Religion gehört dazu<br />

In allen Vierteln bestätigten die Jugendlichen, dass Religion zu ihrem Leben gehört. Beten<br />

und das bewusste Rechnen mit Gottes Hilfe <strong>in</strong> ihrem Alltag ist für sie laut ihren Angaben<br />

selbstverständlich. Dies wurde als Beobachter wie<strong>der</strong>um auch aus ihren Antworten<br />

ersichtlich. Als erste „Maßnahmen“, wie sie sich gegenseitig helfen könnten war „Beten“<br />

mit e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> häufigsten Antworten (12 von 19 K<strong>in</strong><strong>der</strong>n führte dies als Antwort an). Die<br />

Antworten wurden also nicht gegeben, weil wir als Leitungsteam dabei waren.<br />

Ergebnisse bestätigt<br />

In jedem Viertel waren die Jugendlichen, ähnlich wie ihre Betreuer, zwar überrascht, wie<br />

hoch manche Prozentangaben waren, dennoch wurde <strong>in</strong> ihren Aussagen deutlich, dass die<br />

Ergebnisse ihr Lebensumfeld wi<strong>der</strong>spiegeln.<br />

Gruppen gesucht<br />

In drei von vier Vierteln wurde deutlich, dass sich die befragten Jugendlichen e<strong>in</strong>e<br />

regelmäßige BAHO-Jugendgruppe wünschen. Auch <strong>der</strong> Name wurde dabei geboren:<br />

BAHO-Club. In den verschiedenen Vierteln kamen auch Wünsche auf, wie diese Clubs<br />

gestaltet werden sollen. Neben Zeit für Gebete und E<strong>in</strong>heiten mit biblischen Imhalten 35<br />

wünschten sich die Jugendlichen Sem<strong>in</strong>are und Hilfen bei <strong>der</strong> Suche nach<br />

Ausbildungsmöglichkeiten o<strong>der</strong> Qualifizierungsangeboten wie beispielsweise<br />

35 E<strong>in</strong> Mädchen aus Cibitoke sagte: „Wir hören so oft, dass wir als Christen leben sollen. Aber ke<strong>in</strong>er zeigt<br />

uns, was das genau heißt. Für mich wäre es wichtig, darüber was zu erfahren.“<br />

47


Englischkurse. Auch kulturelle Angebote wie traditionelle Tänze o<strong>der</strong> Trommelgruppen<br />

wurden genannt, dies vor allem weil sie dazu dienen können, durch Auftritte bei Festen<br />

und Feierlichkeiten e<strong>in</strong> wenig Geld zu verdienen. Das von den Jugendlichen geäußerte Ziel<br />

war aber <strong>in</strong> jedem Viertel, dass genügend Zeit zu Begegnung, Zum Austausch über die<br />

verschiedenen Lebenssituationen und gegenseitiger Stärkung <strong>in</strong> diesen Gruppen vorhanden<br />

ist. Außerdem wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Viertel genannt, dass es e<strong>in</strong> altersspezifisches, also e<strong>in</strong> für<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche getrenntes Angebot se<strong>in</strong> sollte. Weiterh<strong>in</strong> äußerten die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

jedem Viertel den Wunsch, <strong>in</strong> den Ferien „etwas machen wollen“: von Bibelcamps über<br />

Ferienarbeitszeit bis zu Kursen mit verschiedenen Inhalten reichten die Ideen.<br />

Zusammenfassend kann gesagt werden: die Ergebnisse <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt wurden als<br />

gültig für das Leben <strong>der</strong> BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong> empfunden. Religion ist e<strong>in</strong> wichtiger Bestandteil<br />

<strong>in</strong> ihrem Leben. Die Jugendlichen äußerten und bestätigten die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es<br />

regelmäßigen Gruppentreffens und wünschen sich bei diesen Treffen unter an<strong>der</strong>em auch<br />

religiöse Angebote.<br />

4. Retrospektive Reflexionen zum Forschungsprozess<br />

Die Begründung für die Wahl qualitativer Forschungsmethoden wurde bereits im Punkt<br />

3.4.2. angeschnitten. Weil <strong>der</strong> gesamte Prozess im S<strong>in</strong>ne handlungsleiten<strong>der</strong> Forschung<br />

aber als e<strong>in</strong> offener Prozess angelegt war, entwickelten sich die verschiedenen<br />

Forschungsschritte erst im und mit Verlauf <strong>der</strong> Forschung. Sie ergaben sich also als<br />

Konsequenz aus den jeweils vorhergehenden Schritten und Ergebnissen. Es war sozusagen<br />

e<strong>in</strong>e Reise, auf die wir uns machten und die mit <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schrift <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>in</strong> dieser<br />

Arbeit e<strong>in</strong>en ersten Höhepunkt fand. Ferner ist jenes Forschungsdesign e<strong>in</strong>er<br />

handlungsleitenden Forschung zugleich Prämisse und Konsequenz, <strong>in</strong>sofern es sich beim<br />

Forschungsprozess „um e<strong>in</strong>en „komplexe[n] Lernprozeß […] <strong>der</strong> Lösung gesellschaftlicher<br />

bzw. praktisch-pädagogischer Probleme [handelt, d. Verf.]“, bei dem „bewußt und gezielt<br />

die Scheidung zwischen Forschern auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en und Praktikern […] auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

[…] zugunsten e<strong>in</strong>es möglichst direkten Zusammenwirkens aufzuheben versucht wird“<br />

(May 2008: 213 unter Rekurs auf Klafki.). Seippel sieht laut May „nur durch die<br />

Initiierung „kollektive[r] Lernprozesse, die nicht durch Informationen von oben gesteuert<br />

werden, son<strong>der</strong>n sich an elementaren Bedürfnissen des Nahbereichs orientieren, also<br />

selbsterlebte Konflikte, Leidensdruck und Befreiungserfahrungen von Ohnmacht und<br />

Fremdbestimmung e<strong>in</strong>schließen, […] die Chance, dass dabei <strong>der</strong> „subjektiv verme<strong>in</strong>te<br />

48


S<strong>in</strong>n“ […] aufgebrochen und überholt wird“ (Seippel 1976: 163).“ (Seippel <strong>in</strong> May 2008:<br />

212) Die für die Handlungsforschung gefor<strong>der</strong>te Subjekt-Subjekt Beziehung (vgl. a.a.O.:<br />

214) wurde auch im vorliegenden Fall immer wie<strong>der</strong> durchbrochen, <strong>in</strong>dem mit<br />

verschiedenen Methoden untersucht wurde und somit die Zielgruppe zum Objekt wurde.<br />

Gleichzeitig wurde aber immer wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> feed-back <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bezugsgruppe,<br />

beziehungsweise bei Menschen, die sie begleitet gesucht und sie wurden somit wie<strong>der</strong> zum<br />

Subjekt dieses Prozesses gemacht.<br />

Um die <strong>der</strong> Situation angemessenste Lösung geme<strong>in</strong>sam mit den Jugendlichen zu f<strong>in</strong>den,<br />

wurde immer wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Dialog gesucht und feed-back-Phasen e<strong>in</strong>geführt, die es<br />

erlaubten, die hervorstechendste und bisher noch nicht erprobte Strategie, nämlich die<br />

e<strong>in</strong>es BAHO-Clubs, herauszufiltern (vgl. Abbildung 2). Deutlich wurde dabei, wie wichtig<br />

es ist, „sich von sozialwissenschaftlicher Seite her wie<strong>der</strong> stärker <strong>in</strong> den Lebens- und<br />

Handlungszusammenhang se<strong>in</strong>er AdressatInnen zu begeben“ (a.a.O.: 230), e<strong>in</strong>e For<strong>der</strong>ung,<br />

die auch von Befreiungstheologen so gesehen wird (vgl. Boff 1988: 33f.). Denn es geht<br />

sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Handlungsforschung als auch bei den Befreiungstheologen (vgl. Kapitel 2.1.<br />

und 5.4.)darum, „unermüdlich selbstreflexiv zu arbeiten, alle S<strong>in</strong>ne zu schärfen, die<br />

Fähigkeit wahrzunehmen, wie<strong>der</strong> zu entdecken […] und vor allem die Fähigkeit“ (ebd.:<br />

71) durch „bewusste Verän<strong>der</strong>ung gewohnter Ordnung“ (ebd.: 65) tradierte Erfahrungen<br />

„<strong>in</strong> die Krise“ (ebd.) zu führen (vgl. auch May 2005: 209 ff.), um „die Möglichkeit zu<br />

eröffnen, alte Gewohnheiten, die Koexistenz mit Unerkanntem, auch die Harmonie des<br />

Sich-E<strong>in</strong>richtens und des Verzichts auf Erkenntnis zu durchbrechen“ (ebd.)“ (a.a.O.: 231).<br />

Dieses Reflexions-feed-back Verhältnis wird <strong>in</strong> Abbildung 2 auf <strong>der</strong> nächsten Seite sehr<br />

deutlich.<br />

49


Hypothese:<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

wünschen, sich<br />

öfter zu tref-fen.<br />

Religiosität<br />

spielt wichtige<br />

Rolle <strong>in</strong> ihrem<br />

Leben<br />

Hypothese:<br />

BAHO-Gruppe<br />

kann K<strong>in</strong><strong>der</strong>n im<br />

Leben helfen<br />

vorläufige Arbeitstheorie:<br />

E<strong>in</strong> BAHO-Club kann den<br />

BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und -Jugendlichen<br />

bei <strong>der</strong> Bewältigung<br />

ihres Alltags und im<br />

E<strong>in</strong>üben von gelebtem<br />

Glauben helfen.<br />

Reflexion<br />

feed-back<br />

Reflexion<br />

feed-back<br />

Reflexion<br />

Zukunftswerkstatt<br />

mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen:<br />

Ziel:<br />

Lebenswelt<br />

erforschen<br />

Gruppendiskussion<br />

mit Ehrenamtlichen<br />

Ziel:<br />

Resultate <strong>der</strong><br />

Zukunfts-werkstatt<br />

überprüfen<br />

Idee:<br />

BAHO-Gruppengedanke<br />

als Lösung<br />

Gruppendiskussion<br />

mit Jugendlichen<br />

Ziel:<br />

Resultate <strong>der</strong><br />

Zukunfts-werkstatt<br />

und Reli-giosität<br />

überprüfen, Lösungen<br />

suchen<br />

Idee:<br />

BAHO-Gruppengedanke<br />

als Lösung<br />

Abbildung 2: Reflexions-Zyklus Handlungsforschung, eigene Abbildung<br />

Die hier angewandte Forschung erhebt nicht den Anspruch e<strong>in</strong>er „handlungsleitenden<br />

Wissenschaft“, also e<strong>in</strong>er Forschung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es „nicht unmittelbar um die Rechtfertigung<br />

von praktischen Aktionen geht, son<strong>der</strong>n zunächst um die Gew<strong>in</strong>nung von Ergebnissen, die<br />

praktisches Handeln (<strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Situationen) gerechtfertigt zu leiten vermögen“ (König <strong>in</strong><br />

May 2008: 216). Unsere Forschung und Arbeit ist vielmehr darum bemüht, „als Form<br />

diskursiv legitimierten praktischen Handelns […] präziser und plausibler [zu]<br />

rekonstruieren“ (a.a.O.: 215, Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al). Der Diskurs als Verfahren <strong>der</strong><br />

Entscheidungsf<strong>in</strong>dung steht daher im Mittelpunkt und wurde im Projekt immer wie<strong>der</strong><br />

genutzt, um herauszuf<strong>in</strong>den, wie weiter vorgegangen werden sollte (vgl. ebd.).<br />

Was die Verallgeme<strong>in</strong>erung <strong>der</strong> Ergebnisse, also im S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er „handlungsleitenden<br />

Wissenschaft“, anbelangt, können nach <strong>der</strong> Implementierung <strong>der</strong> BAHO-Clubs – die, wie<br />

später noch zu zeigen ist, <strong>zur</strong> Armutsreduzierung <strong>der</strong> Betroffenen beitragen können – <strong>der</strong><br />

Wirkungsgrad und <strong>der</strong> Effekt für die e<strong>in</strong>zelnen Mitglie<strong>der</strong> untersucht werden. Dieser<br />

Wirkungsgrad könnte dann auf ähnliche Situationen übertragen werden o<strong>der</strong> als<br />

Vergleichshorizont dienen (beispielsweise für an<strong>der</strong>e Kirchen <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> o<strong>der</strong> für<br />

50


Geme<strong>in</strong>den <strong>der</strong> anglikanischen Kirche <strong>in</strong> Ruanda etc.), womit wie<strong>der</strong>um Schlüsse über die<br />

Effizienz und Wirkung e<strong>in</strong>es solchen Konzeptes gezogen werden könnten.<br />

Von daher könnten solche „Aktionsprojekte […] nur dann Bestandteil handlungsleiten<strong>der</strong><br />

Forschung se<strong>in</strong>, wenn die dort gemachten Erfahrungen im blick auf ihre Übertragbarkeit<br />

auf an<strong>der</strong>e Situationen diskutiert werden“ (ebd.).“ (a.a.O.: 217). Dies ist aber für den<br />

Rahmen dieser Arbeit nicht vorgesehen, zumal die Clubs noch nicht e<strong>in</strong>geführt s<strong>in</strong>d.<br />

Zu erwähnen ist noch das Konzept <strong>der</strong> strategischen Hypothesen Lefèbvres, wie May es<br />

ausführt. Ich zitiere May ausführlicher, da es für „praktisch e<strong>in</strong>hakende Sozialforschung“<br />

e<strong>in</strong>e theoretische und praktische Basis bieten kann, „den Betreffenden durch e<strong>in</strong>e<br />

bewusstere Teilhabe am gesellschaftlichen Entwicklungsprozess e<strong>in</strong>en verstärkten E<strong>in</strong>fluss<br />

auf die eigenen sozialräumlichen Lebensbed<strong>in</strong>gungen zu eröffnen. Wie <strong>in</strong> dem <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em<br />

Beitrag <strong>zur</strong> partizipativen Projektentwicklung im Sozialraum angesprochenen Konzept <strong>der</strong><br />

„strategischen Hypothese“ (vgl. Lefèbvre 1977: Bd II, 129) g<strong>in</strong>ge es somit um e<strong>in</strong>e<br />

gleichsam „doppelte“ aktionsforscherische Verb<strong>in</strong>dung: So kann sich e<strong>in</strong> Projekt, das<br />

beansprucht, „praktisch e<strong>in</strong>hakende kritische Sozialforschung“ zu betreiben, ja nicht auf<br />

e<strong>in</strong>e mit Hilfe „rekonstruktiver Dimensionen“ angestrebte Vermittlung zwischen Begriffen<br />

(wie dem „raumbezogener Interessenorientierung“) und Wirklichkeit beschränken. Denn<br />

die Behauptung, mit den „rekonstruktiven“ Auffächerungen dieses antizipatorischen<br />

Begriffes könnten die lebenspraktischen Vermittlungsversuche <strong>der</strong> Betroffenen zwischen<br />

den faktischen Gegebenheiten des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses und ihren<br />

dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gelassenen Problemen <strong>in</strong>dividueller Reproduktion (vgl. May 2005: 234f.) erfasst<br />

werden, lässt sich nur praktisch, und auch nicht im Rahmen e<strong>in</strong>es dialogischen<br />

Wahrheitsmodells bewahrheiten.<br />

Indem diese Probleme von den Forschenden im Dialog mit den Betroffenen als solche <strong>zur</strong><br />

Sprache gebracht werden, die e<strong>in</strong>e Lösung auf <strong>der</strong> Ebene von Handeln verlangen, es aber<br />

nicht nur e<strong>in</strong>e Strategie gibt, geht es um die Dimension <strong>der</strong> Möglichkeit. Zu thematisieren<br />

ist dabei, welche Möglichkeiten bisher wie erprobt wurden, aber auch welche bisher<br />

aufgrund beschränkter Perspektiven überhaupt nicht gesehen, geschweige denn zu<br />

verwirklichen versucht wurden. D.h., dass auch von Seiten <strong>der</strong> Forschenden entsprechende<br />

(„Lösungs“-)Vorschläge durchaus e<strong>in</strong>gebracht werden. In <strong>der</strong> kritischen Diskussion <strong>der</strong><br />

Vor- und Nachteile aller gesammelten Vorschläge seitens <strong>der</strong> Betroffenen, […] lassen sich<br />

dann mit Blick auf die von den Betroffenen alle<strong>in</strong> getroffenen Entscheidungen weitere<br />

Erkenntnisse im H<strong>in</strong>blick auf <strong>der</strong>en (sozial-räumliche) Interessenlage gew<strong>in</strong>nen und<br />

umgekehrt auch die eigene Interessenlage als Forschende selbstkritisch analysieren.“<br />

(a.a.O.: 232f.)<br />

51


Welche Ergebnisse im dieser Dialog und dieses Reflexions-feed-back Verhältnis (vgl.<br />

Abbildung 2) konkret br<strong>in</strong>gen kann und wie das für das Projekt BAHO aussehen könnte,<br />

möchte ich im folgenden Kapitel schil<strong>der</strong>n.<br />

5. Diskussion <strong>der</strong> Ergebnisse: Konzeptionelle Ansätze <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung und<br />

Armutsbekämpfung <strong>in</strong> Bezug auf Gruppen<br />

Da die BAHO-Clubs bisher noch nicht <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Kirchen existieren, s<strong>in</strong>d die<br />

nachfolgenden Überlegungen theoretischer Natur. Das heißt, die aus <strong>der</strong> Forschung bisher<br />

gewonnen Ergebnisse werden mit den aus dem ersten Teil bekannten Theorien reflektiert,<br />

sozialräumlich e<strong>in</strong>gebettet und <strong>in</strong> Beziehung zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gesetzt. Daraus soll deutlich<br />

werden, wie diese Gruppenbildung beziehungsweise das Implementieren von BAHO-<br />

Clubs theoretisch dazu beitragen kann, Armut zu verr<strong>in</strong>gern. E<strong>in</strong>leitend dazu sche<strong>in</strong>t mir<br />

das E<strong>in</strong>führen des Begriffes <strong>der</strong> Aneignung sehr passend zu se<strong>in</strong>.<br />

5.1. Aneignung<br />

In den Aussagen <strong>der</strong> Jugendlichen zum Wunsch e<strong>in</strong>es BAHO-Clubs wird deutlich, dass sie<br />

sich e<strong>in</strong>e Plattform wünschen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> begegnen können, sich beraten können<br />

und geme<strong>in</strong>sam ihren Glauben leben können. Ich möchte diesen Wunsch mit dem von<br />

W<strong>in</strong>kler verwendeten Begriff <strong>der</strong> Aneignung verb<strong>in</strong>den. Aneignung, ohne zu tief <strong>in</strong> die<br />

Herleitung des Begriffs e<strong>in</strong>steigen zu wollen, bedeutet „e<strong>in</strong>e lebendige Praxis […], <strong>in</strong>dem<br />

e<strong>in</strong> sich verän<strong>der</strong>n<strong>der</strong> Organismus mit dem sich verän<strong>der</strong>nden „Organismus“ <strong>der</strong> Kultur so<br />

vermittelt, dass hier wie dort neue Strukturen entstehen.“ (Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al,<br />

W<strong>in</strong>kler 2004: 81) W<strong>in</strong>kler verwendet hierbei e<strong>in</strong>en weiten, ungeklärten Kulturbegriff, <strong>in</strong><br />

dem er ihn e<strong>in</strong>erseits kulturanthropologisch und an<strong>der</strong>erseits als konkreten Verweis auf<br />

e<strong>in</strong>e bestimmte Lebensweise sieht (vgl. ebd.). Aus diesem Begriff leitet W<strong>in</strong>kler ab: „Es<br />

geht um Selbstkonstitution im Medium gesellschaftlicher und kultureller Möglichkeiten,<br />

<strong>in</strong>sofern um e<strong>in</strong>e Form <strong>der</strong> Vergesellschaftung und Kultivierung als eigener Leistung des<br />

Subjekts. Sie gel<strong>in</strong>gt nur dort, wo sich das Subjekt mit se<strong>in</strong>er Anpassungsleistung, d.h. <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Eigenheit und Eignung präsentieren und wirksam werden kann. (Selbst-<br />

)Wirksamkeit stellt mith<strong>in</strong> den Abschluss und <strong>in</strong>sofern den Indikator für gelungene<br />

Aneignung dar.“ (a.a.O.: 82) Aus <strong>der</strong> Beobachtung <strong>der</strong> BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong> und aus ihren<br />

Äußerungen lässt sich schließen, dass sie genau diese Leistungen <strong>der</strong> Vergesellschaftung<br />

und <strong>der</strong> Kultivierung suchen, aber <strong>in</strong>nerhalb ihrer gesellschaftlichen und kulturellen<br />

Position nicht erbr<strong>in</strong>gen können, da sie sich oft nicht <strong>in</strong> ihrer Eigenheit und Eignung<br />

52


präsentieren können: We<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule und Familie, wo sie viel verbaler und<br />

körperlicher Gewalt ausgesetzt s<strong>in</strong>d, noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirche, wo sie es als Mangel empf<strong>in</strong>gen,<br />

nicht zu erfahren, was gelebter Glaube bedeutet.<br />

In Bezug auf die Verantwortung <strong>der</strong> Sozialpädagogik schreibt W<strong>in</strong>kler, dass sie solche<br />

Räume schaffen muss. Zuvor muss Sozialpädagogik aber prüfen, ob e<strong>in</strong>e Gesellschaft<br />

überhaupt diese Möglichkeit ihrer Aneignung und als Konsequenz ihre Verän<strong>der</strong>ung durch<br />

ihre Mitglie<strong>der</strong> zulässt (vgl. a.a.O.: 85). W<strong>in</strong>kler benennt dann zwei Gründe, warum e<strong>in</strong>e<br />

Gesellschaft Aneignungsprozesse verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n könnte: zum e<strong>in</strong>en kont<strong>in</strong>gent, also durch<br />

gegebene Umstände, zum an<strong>der</strong>en, weil Aneignung strukturell verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t wird. Letzteres<br />

ist für Sozialpädagogik bedeutsamer, da zum Beispiel „ganze Gruppen von den<br />

Möglichkeiten e<strong>in</strong>er Gesellschaft ausgeschlossen s<strong>in</strong>d. Die systematische Erzeugung von<br />

Armut, die Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung von Bildungschancen, Marg<strong>in</strong>alisierung und Ausschließung von<br />

Bevölkerungsgruppen, die Produktion des „Elends <strong>der</strong> Welt“ gehören zu solchen<br />

Mechanismen, die zugleich auch sozialpolitische Konsequenzen for<strong>der</strong>n.“ (a.a.O.: 86)<br />

W<strong>in</strong>kler bezieht se<strong>in</strong>e Aussagen auf den Kontext <strong>der</strong> westlichen Welt und versteht sie als<br />

Kritik an mo<strong>der</strong>nen neoliberalen Staaten (vgl. ebd.); dennoch s<strong>in</strong>d Übertragungen <strong>in</strong> den<br />

burundischen Kontext und auf das BAHO-Projekt möglich – <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e, weil W<strong>in</strong>kler<br />

bei e<strong>in</strong>em Verweigern dieses Aneignungsprozesses die Gefahr sieht, dass Gesellschaften<br />

„sich ihr eigenes Grab schaufeln“ (a.a.O.: 87). 36 Die Übertragung wäre, dass die BAHO-<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Ort suchen, um diesen Aneignungsprozess zu gestalten. Das Objekt <strong>der</strong><br />

Aneignung ist <strong>in</strong> diesem Fall, wie von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n gewünscht, sowohl christlichen<br />

Glauben zu lernen und zu leben als auch gegenseitige Begleitung und Entwicklungshilfen<br />

<strong>in</strong> ihren Alltagssituationen zu erfahren. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass Kirche,<br />

<strong>in</strong> dem Kontext dieser Arbeit die Anglikanische Kirche <strong>Burundi</strong>, dazu folgenden Beitrag<br />

leisten kann: Sie sollte ihren Geme<strong>in</strong>deglie<strong>der</strong>n, seien es Erwachsene o<strong>der</strong> Jugendliche,<br />

diese Aneignungsprozesse sowohl im spirituellen, als auch <strong>in</strong> Bezug zum<br />

gesellschaftsrelevanten Geme<strong>in</strong>debau gesetzt, im gesellschaftlichen Bereich ermöglichen<br />

und sie zu solchen Prozessen animieren. Sollte sie dies strukturell verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, verantwortet<br />

sie, wie oben bereits W<strong>in</strong>kler zitiert, Armut, Marg<strong>in</strong>alisierung und Ausschluss von<br />

Bevölkerungsgruppen und trägt dazu bei, dass für Individuen o<strong>der</strong> ganze Gruppen<br />

Entwicklung sowohl im geistlichen als auch im sozialen Bereich nicht stattf<strong>in</strong>den kann.<br />

36 Wenn W<strong>in</strong>kler <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auch von „heißen“, d.h. „<strong>in</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung begriffenen<br />

Gesellschaften“ redet, kann dies auf den burundischen Kontext übertragen werden. Wie bereits beschrieben,<br />

bef<strong>in</strong>det sich das Land nach Jahren des Kriegs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Konsolidierungsphase, die es gerade im<br />

Zusammenhang mit <strong>der</strong> Aufnahme <strong>in</strong> die „East African Community“ erlaubt, <strong>Burundi</strong> als „heiß“ zu sehen.<br />

53


Für W<strong>in</strong>kler ist es zentral, dass Sozialpädagogik sich <strong>in</strong> Abhängigkeit des Subjektbegriffs<br />

Gedanken über den Ort machen muss, an dem Aneignung stattf<strong>in</strong>den kann.<br />

Sozialpädagogisches Denken beg<strong>in</strong>nt demnach mit den Überlegungen, „wie e<strong>in</strong> Ort<br />

beschaffen se<strong>in</strong> muß, damit e<strong>in</strong> Subjekt an ihm leben und sich entwickeln kann, damit er<br />

auch als Lebensbed<strong>in</strong>gung vom Subjekt kontrolliert wird" (W<strong>in</strong>kler zitiert nach May o.J.:<br />

46). Dieser entsprechende Aneignungsort könnte <strong>in</strong> unserem Fall e<strong>in</strong> BAHO-Club se<strong>in</strong>.<br />

Bevor ich nun <strong>zur</strong> Verortung dieses Ortsbegriffes im Sozialraum komme, möchte ich noch<br />

auf e<strong>in</strong>en weiteren Aspekt <strong>der</strong> Aneignung h<strong>in</strong>weisen. Chassé erklärt auf Grund se<strong>in</strong>er<br />

Erfahrungen und Forschungen mit benachteiligten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen – allerd<strong>in</strong>gs<br />

auch auf den westlichen Kontext bezogen: „Benachteiligung <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Gesellschaft<br />

ist als Verwehren <strong>der</strong> Zugänge zu bildenden Aspekten von sozialräumlicher<br />

Weltaneignung zu sehen.“ (Chassé 2004: 158). Daraus ist abzuleiten, dass das<br />

Ermöglichen und Aneignen dieser Bildungsräume (hierbei möchte ich den Bildungsbegriff<br />

Freires nennen, dazu später mehr) als Kampf gegen Benachteiligung anzusehen ist –<br />

me<strong>in</strong>es Erachtens e<strong>in</strong>e auch für den burundischen Kontext gültige Wahrheit, vor allem da<br />

<strong>in</strong> unserem Fall sich die K<strong>in</strong><strong>der</strong> dies selbst wünschen. Chassé sieht den Vorteil e<strong>in</strong>er solch<br />

gearteten För<strong>der</strong>ung dar<strong>in</strong>, dass diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> die Fähigkeit besitzen, sich soziale und<br />

reflexive Kompetenzen anzueignen und sich <strong>in</strong> unterschiedlichen und vielfältigen<br />

Sozialräumen zu bewegen. Als zentralen Faktor dieser För<strong>der</strong>ung sieht er dabei die<br />

Anerkennung, die die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen <strong>in</strong> diesem För<strong>der</strong>ungsprozess erfahren (vgl.<br />

ebd.). Soziale Netzwerke s<strong>in</strong>d im Kontext Chassés nicht nur Gegenstand <strong>der</strong> Aneignung,<br />

son<strong>der</strong>n auch Vermittler <strong>der</strong> Aneignung von Welt (vgl. a.a.O.: 154).<br />

5.2. Aneignung <strong>Jugendlicher</strong> im Sozialraum<br />

Wie schon W<strong>in</strong>kler sieht auch De<strong>in</strong>et Aneignung als wichtigen Aspekt im pädagogischen<br />

Handeln. De<strong>in</strong>et setzt hierbei den Aneignungsbegriff <strong>in</strong> Bezug zu Jugendarbeit und stellt<br />

dabei fest: „Die K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendarbeit kann ihren Bildungsbegriff sehr fruchtbar an das<br />

Aneignungskonzept anlegen und ihre gesellschaftliche Funktion gerade im Bereich des<br />

sozialen <strong>in</strong>formellen Lernens entwickeln […].“ (De<strong>in</strong>et 2004: 178) Er bezieht sich dabei<br />

auf e<strong>in</strong>en Bildungsbegriff, <strong>der</strong> sich vom schulischen Bildungsauftrag abgrenzt und<br />

soziales, <strong>in</strong>formelles Lernen <strong>in</strong> den Mittelpunkt stellt. Ziel dieser <strong>in</strong>formellen Bildung ist<br />

unter an<strong>der</strong>em die Entwicklung sozialer Kompetenz o<strong>der</strong> die Erweiterung des<br />

Handlungsraums und des Verhaltensrepertoires seitens <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen (vgl.<br />

a.a.O.: 177). Für ihn ist allerd<strong>in</strong>gs, wie auch bereits für W<strong>in</strong>kler, <strong>der</strong> Ort <strong>der</strong> Aneignung<br />

zentral. Nach De<strong>in</strong>et bee<strong>in</strong>flussen die soziostrukturellen Bed<strong>in</strong>gungen von Dörfern,<br />

54


Städten o<strong>der</strong> Regionen wesentlich den Aneignungsprozess (vgl. ebd.). Für De<strong>in</strong>et ist das<br />

tätigkeitstheoretische Entwicklungskonzept <strong>der</strong> im subjektwissenschaftlichen Konzept <strong>der</strong><br />

Kulturhistorischen Theorie e<strong>in</strong>gebetteten Aneignungskonzepte gut geeignet, „den<br />

Zusammenhang zwischen <strong>der</strong> Entwicklung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen und den<br />

Räumen, <strong>in</strong> denen sie leben, zu fassen“ (a.a.O.: 180). Ich folge weiterh<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Argumentation De<strong>in</strong>ets, dass beim Nachdenken über Aneignungsprozesse neue<br />

Erkenntnisse aus <strong>der</strong> Raumsoziologie, wie Mart<strong>in</strong>a Löw sie beschreibt, e<strong>in</strong>bezogen werden<br />

sollten: Löw/Sturm sehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Raumdebatte zwei konkurrierende Konzepte: den des<br />

Behälterraums und den des Beziehungsraums. Während das Konzept des Behälterraums<br />

von e<strong>in</strong>em leeren Conta<strong>in</strong>er ausgeht, den man mit Menschen, Tieren o<strong>der</strong> Gegenständen<br />

etc. füllen kann, geht das Konzept des Beziehungsraums von Menschen, Tieren o<strong>der</strong><br />

D<strong>in</strong>gen etc. aus, die da s<strong>in</strong>d und es beschreibt Raum als <strong>der</strong>en Beziehung untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

(vgl. dazu Löw/Sturm 2005: 42ff.). Als Merkmal e<strong>in</strong>es Beziehungsraumes sehen sie:<br />

„Räume s<strong>in</strong>d, da sie im Handeln entstehen und auf Konstruktionsleistungen basieren, stets<br />

sozial“ (a.a.O.: 44).<br />

De<strong>in</strong>et führt <strong>in</strong> Anlehnung an Löws historischer Entwicklung des Raumbegriffes aus, wie<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> früherer Generationen Raum als homogenen, immer größer werdenden Raum<br />

erlebten. Dieser homogene Raum wurde im Zonenmodells Baackes vom Zentrum <strong>zur</strong><br />

Peripherie h<strong>in</strong> im Laufe <strong>der</strong> Entwicklung des K<strong>in</strong>des und mit zunehmendem<br />

Handlungsraum erweitert (De<strong>in</strong>et 2004: 181). Zeiher führte das Inselmodell e<strong>in</strong>, auf das<br />

sich Löw bezieht, wenn sie schreibt: „Heute wandelt sich die räumliche Sozialisation<br />

folgen<strong>der</strong>maßen: Es entsteht e<strong>in</strong>e ver<strong>in</strong>selte Vergesellschaftung, die Raum als e<strong>in</strong>zelne<br />

funktionsgebundene Inseln erfahrbar macht, die über schnelle Bewegungen (Auto fahren,<br />

öffentliche Verkehrsmittel) verbunden s<strong>in</strong>d und durch Syntheseleistungen zu Räumen<br />

verknüpft werden. Die Konstitution des k<strong>in</strong>dlichen Raums geschah idealtypisch <strong>in</strong><br />

konzentrischen immer größer werdenden Kreisen. Diese Allianz existiert nun nicht länger,<br />

da sich neben die Ver<strong>in</strong>selungserfahrungen auch Kommunikationsformen än<strong>der</strong>n“ (Löw <strong>in</strong><br />

ebd.). Löw schließt laut De<strong>in</strong>et dann, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche ke<strong>in</strong> homogenes<br />

Raumbild mehr haben, son<strong>der</strong>n Raum auf Grund von Mediene<strong>in</strong>flüssen als <strong>in</strong>konsistent<br />

erfahren wird (vgl. ebd.).<br />

Die Relevanz dieser für den westlichen Kontext anwendbaren Gedanken ist für den<br />

burundischen Kontext zu belegen. Denn viele <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen haben ke<strong>in</strong>en<br />

Zugang zu Computern o<strong>der</strong> Computerspielen, haben selten e<strong>in</strong> Mobiltelefon und müssen<br />

größtenteils viele ihrer alltäglichen Wegstrecken zu Fuß <strong>zur</strong>ücklegen. Ver<strong>in</strong>selung hat<br />

allenthalben für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> Oberschicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt Bedeutung, für die ärmeren K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

55


ist sie nicht relevant, da das Leben stark lokal verortet ist und geteilt wird. Auch was<br />

Reisen anbelangt, war e<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht <strong>in</strong> mehr als e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en<br />

Prov<strong>in</strong>z <strong>in</strong>nerhalb <strong>Burundi</strong>s, geschweige denn im Ausland. Selbst für viele Erwachsene <strong>in</strong><br />

<strong>Burundi</strong> (trotz <strong>der</strong> <strong>in</strong> unseren Augen ger<strong>in</strong>gen Größe des Landes) s<strong>in</strong>d Reisen <strong>in</strong>nerhalb des<br />

Landes <strong>der</strong> Oberschicht o<strong>der</strong> den e<strong>in</strong>heimischen Mitarbeitern ausländischer NGOs 37 <strong>der</strong><br />

Hauptstadt überlassen. Me<strong>in</strong>er Ansicht nach muss für den burundischen Kontext vom<br />

Raumverständnis <strong>der</strong> konzentrischen Kreise Baackes ausgegangen werden.<br />

Bevor wir zu e<strong>in</strong>er Verknüpfung mit Freires Bildungskonzept kommen, möchte ich noch<br />

das Phänomen <strong>der</strong> „gegenkulturellen Räume“ erwähnen, da es weiter auf den nächsten<br />

Punkt vorbereitet. De<strong>in</strong>et beschreibt weiter, wie Löw die Notwendigkeit „gegenkultureller<br />

Räume“ als Mittel <strong>zur</strong> Erhaltung <strong>der</strong> Handlungsfähigkeit von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

sieht (a.a.O.: 185). Jugendliche müssten sich die Funktionen und Bedeutungen<br />

<strong>in</strong>stitutionalisierter Räume aneignen und an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong>en Begrenztheit überw<strong>in</strong>den und<br />

sich <strong>der</strong> <strong>in</strong> den Räumen abgebildeten Struktur nicht anpassen (vgl. ebd.). „Die Analyse<br />

dieses Prozesses – also eben nicht des starren Raumes, <strong>der</strong> […] zu Handlungen zw<strong>in</strong>gt,<br />

son<strong>der</strong>n des bewegten Spac<strong>in</strong>gs – ermöglicht es, neu über bildungspolitische und<br />

pädagogische Aspekte <strong>der</strong> Kämpfe um Raum nachzudenken.“ (Löw <strong>in</strong> a.a.O.: 185f.).<br />

Gegenkultureller Raum kann laut De<strong>in</strong>et nicht nur als Rückzugs- und Reflexionsraum 38<br />

verstanden werden, son<strong>der</strong>n er birgt die „Chancen e<strong>in</strong>er sozialräumlich, aneignungs- und<br />

bildungsorientierten Jugendarbeit, sich für die Revitalisierung öffentlicher Räume und die<br />

Schaffung jugendkultureller Räume e<strong>in</strong>zusetzen“ (a.a.O.: 186).<br />

Beziehen wir diese Ideen nun auf Freires Befreiungstheologie.<br />

5.3. Aneignende Bildungsarbeit <strong>in</strong> Bezug auf BAHO<br />

5.3.1. Situationsanalyse: Kirchliche Jugendarbeit <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong><br />

Wie sieht kirchliche Jugendarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anglikanischen Kirche <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> aus? Das<br />

Geme<strong>in</strong>deleben besteht zum größten Teil aus dem Gottesdienst am Sonntagvormittag, <strong>der</strong><br />

zwischen zwei und drei Stunden dauert. Zur Liturgie dieser Gottesdienste gehört, dass von<br />

verschiedenen Chören Lie<strong>der</strong> präsentiert werden, <strong>der</strong>en Texte und Melodien oft selbst<br />

kreiert s<strong>in</strong>d. Während <strong>der</strong> Woche trifft sich üblicherweise je<strong>der</strong> Chor e<strong>in</strong>mal zum E<strong>in</strong>üben<br />

<strong>der</strong> Lie<strong>der</strong>. In den meisten Geme<strong>in</strong>den existiert e<strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>chor, bei dem auch Jugendliche<br />

mits<strong>in</strong>gen, bzw. existiert e<strong>in</strong> eigener Jugendchor. Rund 35% <strong>der</strong> BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Jugendlichen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesen Chören beteiligt, <strong>der</strong> Rest stammt aus an<strong>der</strong>en Geme<strong>in</strong>den, ist<br />

37 Non Government Organisation = NGO (zu deutsch: Nicht-Regieungs-Organisation)<br />

38 Hierbei bezieht er sich auf den Begriff des Rückzugsraums von Albert Scherr.<br />

56


islamisch, br<strong>in</strong>gt sich nicht <strong>in</strong> den Chor e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> beteiligt sich überhaupt nicht am<br />

Kirchenleben. Im Gottesdienst s<strong>in</strong>d alle Altersgruppen vertreten: von den Kle<strong>in</strong>sten bis zu<br />

den Alten s<strong>in</strong>d alle im Gottesdienst, K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche hören also oft schon seit ihrer<br />

K<strong>in</strong>dheit Predigten und s<strong>in</strong>d auch im Vergleich zu westlichen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n viel geduldiger im<br />

Umgang mit e<strong>in</strong>em dreistündigen Gottesdienst. In vielen Geme<strong>in</strong>den bilden die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Jugendlichen (<strong>in</strong> Analogie <strong>zur</strong> Altersverteilung <strong>der</strong> burundischen Bevölkerung, vgl.<br />

Kapitel 1.1. <strong>in</strong> diesem Teil <strong>der</strong> Arbeit) den größten Besucheranteil. Meistens vor dem<br />

Gottesdienst für Erwachsene gibt es <strong>in</strong> manchen Geme<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>kirche o<strong>der</strong><br />

Sonntagsschule, an <strong>der</strong> von Geme<strong>in</strong>de zu Geme<strong>in</strong>de unterschiedlich viele K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

teilnehmen. Dieser Gottesdienst ist ähnlich wie e<strong>in</strong> Erwachsenengottesdienst aufgebaut:<br />

S<strong>in</strong>gen und biblische Geschichte hören, es werden selten Spiele gespielt.<br />

Auf dem Land wird <strong>der</strong> Gottesdienstgang traditionell mit e<strong>in</strong>em Gang zum Markt<br />

verknüpft – meist sonntags und mittwochs f<strong>in</strong>den Märkte <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> statt. In <strong>der</strong> Stadt ist<br />

diese Tradition des Verknüpfens <strong>der</strong> beiden sozialen und kulturellen Ereignisse nicht mehr<br />

vorhanden. Dies ist verkürzt ausgeführt das kirchliche Geme<strong>in</strong>deleben <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong>, wie es<br />

sich dem Autor darstellt. In manchen Geme<strong>in</strong>den gibt es noch Witwengruppen, Bibelkreise<br />

o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e kirchlich-biblisch orientierte Programme. Relativ oft werden an Samstagen<br />

noch zusätzlich Gottesdienste mit Gastpredigern o<strong>der</strong> Bibelstudien (études bibliques)<br />

angeboten. Die kirchliche Jugendarbeit auf Diözesenebene (Anglikanische Kirche <strong>in</strong><br />

Bujumbura) besteht vorrangig aus Studentenarbeit und politisch-ökologisch motivierter<br />

Jugendarbeit, wobei auch hier die Zielgruppe eher <strong>der</strong> <strong>der</strong> jungen Erwachsenen entspricht.<br />

Die Orientierung zu altersbezogener K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendarbeit ist nicht gegeben. E<strong>in</strong>e<br />

Erklärung könnte se<strong>in</strong>, dass Arbeit mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> nicht viel zählt, da K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

wenig geachtet s<strong>in</strong>d. Die Erziehung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> ist bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Alter dem<br />

Geme<strong>in</strong>wesen überlassen – K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> „allgeme<strong>in</strong>es Gut“ (vgl. Ndabiseruye 2009:<br />

327).<br />

5.3.2. Geme<strong>in</strong>schaftliche Erziehungsarbeit – Spagat zwischen Individuum und<br />

Geme<strong>in</strong>wesen<br />

Da die Erziehung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, wie bereits erwähnt, <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> dem Geme<strong>in</strong>wesen<br />

überlassen wurde, lohnt es sich, über die Vorzüge und Kritikpunkte dieser<br />

Erziehungsauffassung zu schreiben.<br />

Traditionell för<strong>der</strong>te diese allgeme<strong>in</strong>e, <strong>in</strong>formelle Erziehung „hauptsächlich die<br />

Sittlichkeit, das Ehrgefühl sowie die Fähigkeit <strong>zur</strong> Selbsthilfe. Unter Sittlichkeit ist die<br />

Sensibilisierung für die moralischen Grundsätze zu verstehen“ (a.a.O.: 324). Ndabiseruye<br />

57


eschreibt, dass e<strong>in</strong> <strong>Burundi</strong>er sich soziale Anerkennung durch Höflichkeit und<br />

persönliches Verhalten erwerben kann, aber auch durch das, was er durch se<strong>in</strong>en<br />

Unternehmergeist und se<strong>in</strong>e Arbeit leistet, daher wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erziehung auch e<strong>in</strong><br />

Schwerpunkt auf das Element <strong>der</strong> Selbsthilfe gelegt (vgl. a.a.O.: 325).<br />

Neben diesen personalen Erziehungszielen gibt es laut Ndabiseruye auch soziale Ziele, die<br />

sich auf das Zusammenleben beziehen. Ndabiseruye argumentiert anthropologisch, <strong>in</strong>dem<br />

er sagt: „In <strong>Burundi</strong> wie <strong>in</strong> Afrika allgeme<strong>in</strong> betrachtet sich das Individuum <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Freiheit bzw. Autonomie als unvollendetes Wesen, das grundsätzlich auf an<strong>der</strong>e Wesen<br />

angewiesen ist“ (a.a.O: 326). Ndabiseruye erklärt weiter: „Das soziale Zusammenleben<br />

wird als konkretes, lebendiges „Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>“ und nicht als „totes Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong>“ (wie e<strong>in</strong><br />

Ste<strong>in</strong>haufen o<strong>der</strong> anonyme Mieter <strong>in</strong> mo<strong>der</strong>nen Hochhäusern) erlebt“ (ebd.). Soziale<br />

Begriffe haben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erziehung daher große Relevanz: „Es s<strong>in</strong>d z.B. das Angewiesense<strong>in</strong><br />

auf an<strong>der</strong>e Menschen, <strong>der</strong> Dialog, die Solidarität, das Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>teilen […], die<br />

geme<strong>in</strong>same nicht belohnte Arbeit […], die Freigiebigkeit und Gastfreundschaft auch<br />

gegenüber Fremden […]“ (ebd.). Diese Solidarität bezieht sich nicht nur auf die Familie,<br />

son<strong>der</strong>n auch auf Freunde und Nachbarn. Und gerade diese Gruppensolidarität erweist sich<br />

als tragend für die afrikanische Geme<strong>in</strong>schaft. Ndabiseruye zitiert <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang Bujo: „Trotz e<strong>in</strong>er so krassen sozialpolitischen und wirtschaftlichen<br />

Misere können Menschen nur Dank ihrer traditionsbed<strong>in</strong>gten Solidarität überleben“<br />

(a.a.O.: 327).<br />

Als zentrale Erziehungsmittel nennt Ndabiseruye sowohl den Dialog und das<br />

Zurechtweisen und Züchtigen als auch das Vorbild <strong>der</strong> Erzieher und eigene Erfahrung.<br />

Strenge und Verwöhnen hätten aber ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> die Erziehung gefunden (vgl. ebd.).<br />

Zentral ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> burundischen Kultur <strong>der</strong> Dialog o<strong>der</strong> die Diskussion, Worte haben e<strong>in</strong>e<br />

enorm wichtige Bedeutung. Erziehung stellt sich als e<strong>in</strong>en „<strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebenswelt des<br />

Lernenden verankerter Lernprozess dar. Es geht hautsächlich um e<strong>in</strong>e pragmatische<br />

Wertevermittlung, bei <strong>der</strong> konkrete Erlebnisse aus dem privaten und sozialen Leben als<br />

Ausgangspunkt des pädagogischen Denkens und Handelns dienen“ (a.a.O.: 329).<br />

Ndabiseruye benennt aber fünf Kritikpunkte an dieser Erziehung (vgl. a.a.O.: 329-335), die<br />

ich als wegbereitend für e<strong>in</strong>e Pädagogik Freires vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Aneignung, wie<br />

sie <strong>in</strong> den Kapiteln 5.1. und 5.2. beschrieben wurde, sehe:<br />

58


• Die traditionelle mündliche Alphabetisierung 39 vermittelt e<strong>in</strong>e statische und<br />

fatalistisch geprägte Weltsicht.<br />

• Der traditionellen mündlichen Alphabetisierung liegt e<strong>in</strong>e Anthropologie <strong>der</strong><br />

Unterwerfung zugrunde.<br />

• Die traditionelle mündliche Erziehung und Erwachsenenbildung basiert auf<br />

geschlechtsspezifisch festen Rollenmustern.<br />

• Die traditionelle mündliche Alphabetisierung zieht das Wort <strong>der</strong> Aktion vor.<br />

• Die traditionelle mündliche Erziehung und Erwachsenenbildung kennt gewisse<br />

Abgrenzungen <strong>in</strong> den zwischenmenschlichen Beziehungen.<br />

Ohne <strong>der</strong> kompletten Argumentation Ndabiseruyes zu folgen und sie hier im Ganzen<br />

wie<strong>der</strong>zugeben, möchte ich wesentliche Punkte se<strong>in</strong>er Kritik vertiefen, da sie Alltags- und<br />

Arbeitserfahrungen mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen wi<strong>der</strong>spiegeln. Wo möglich und<br />

nötig, setze ich die Äußerungen Ndabiseruyes <strong>in</strong> Bezug <strong>zur</strong> Anglikanischen Kirche und <strong>zur</strong><br />

Situation im BAHO-Projekt.<br />

Konformismus<br />

Die von Ndabiseruye erwähnte fatalistische Weltsicht lässt <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> wenig Platz für<br />

Verän<strong>der</strong>ung: Menschen begnügen sich mit e<strong>in</strong>er passiven Haltung gegenüber dem<br />

Gegebenen, ohne dieses für sich fruchtbar zu machen. Erschwerend kommt h<strong>in</strong>zu, dass e<strong>in</strong><br />

sozial nivellieren<strong>der</strong> Konformismus Unternehmergeist erschwert – wer e<strong>in</strong>en neuen Weg<br />

e<strong>in</strong>schlägt, wird nicht gut angesehen, Erfolg wird zum Gegenstand des Neids 40 (vgl. a.a.O.:<br />

329f.).<br />

Autoritätsglaube<br />

Was den Gedanken <strong>der</strong> Unterwerfung anbelangt, sieht Ndabiseruye, dass Anpassung die<br />

Grundlage <strong>der</strong> Verwirklichung <strong>in</strong> den Augen <strong>der</strong> <strong>Burundi</strong>er ist. Diese Anpassung wird<br />

durch e<strong>in</strong> System aus (religiösen) Legenden legitimiert, von dem Regierende ihre Macht<br />

39 Ndabiseruye verwendet den Begriff Alphabetisierung im S<strong>in</strong>ne Freires, also als e<strong>in</strong>e Alphabetisierung, die,<br />

neben dem Vermitteln <strong>der</strong> Lese- und Schreibtechniken die Befreiung und Entfaltung des Menschen <strong>in</strong> den<br />

Mittelpunkt stellt (vgl. Ndabiseruye 2009: 22).<br />

40 E<strong>in</strong> burundischer katholischer Priester verdeutlichte diese negativen Folgen mit folgenden Worten: „Wenn<br />

es bei uns e<strong>in</strong>er geschafft hat, auf e<strong>in</strong>en Baum zu klettern, fragen die Leute nicht: „Wie hast du das<br />

gemacht?“, son<strong>der</strong>n hauen den Baum e<strong>in</strong>fach um.“<br />

59


ableiten. „Die Untertanen betrachten die bestehende Sozialordnung eben als e<strong>in</strong>e von Gott<br />

gegebene und nicht-reformierbare Tatsache: Manche s<strong>in</strong>d zum Regieren, an<strong>der</strong>e zum<br />

Dienen geboren!“ (a.a.O.: 331) Hier<strong>in</strong> sieht Ndabiseruye auch Aspekte <strong>der</strong> Kultur des<br />

Schweigens verankert, <strong>in</strong>dem er e<strong>in</strong> burundisches Sprichwort nach Rodegem zitiert: „Was<br />

die höchste Autorität sagt bzw. befiehlt, dem darf nicht wi<strong>der</strong>sprochen werden 41 “ (ebd.).<br />

Anthropologisch unterstützt Hiebert diese Beobachtung, wenn er schreibt: „This emphasis<br />

on equality [<strong>in</strong> the western world, d. Verf.] seems absurd to the majority of the world’s<br />

cultures, <strong>in</strong> which hierarchy is seen as the reality and the norm of all forms of life. Just as<br />

humans are higher than animals and some k<strong>in</strong>ds of animals higher than others, so some<br />

k<strong>in</strong>ds of humans are higher than other k<strong>in</strong>ds of humans.” (Hiebert 2005: 128) Hiebert lässt<br />

die Frage, warum es diese Unterschiede gibt und ob sie eventuell durch Kolonialisten<br />

geför<strong>der</strong>t wurden, offen. Der Ethnologe Käser weißt darauf h<strong>in</strong>, dass <strong>der</strong> Big Man <strong>in</strong><br />

solchen Kulturen neben se<strong>in</strong>er Unterdrückungs- durchaus auch e<strong>in</strong>e Schutzfunktion hat,<br />

die ihm auf Grund <strong>der</strong> Schamorientierung <strong>in</strong> dieser Gesellschaft zugestanden wird (vgl.<br />

Käser 2005: 148).<br />

Für die Praxis <strong>der</strong> Kirche <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> bedeutet diese Hierarchie- und Autoritätsorientierung,<br />

dass das Wort des Bischofs Gesetz ist. 42 Auf lokaler Ebene s<strong>in</strong>d Pastoren e<strong>in</strong>e natürliche<br />

Autorität, <strong>der</strong>en Wort anerkannt und befolgt wird, sehr oft ohne es von Seiten <strong>der</strong><br />

Geme<strong>in</strong>deglie<strong>der</strong> zu h<strong>in</strong>terfragen o<strong>der</strong> zu diskutieren.<br />

Mädchen s<strong>in</strong>d weniger wert<br />

Diese Haltung, dass Jungen wertvoller s<strong>in</strong>d als Mädchen, wurde von unseren BAHO-<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n im Rahmen <strong>der</strong> Zukunftswerkstatt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Anspiel thematisiert und kritisiert.<br />

Dabei sprachen sie sich dafür aus, dass auch Mädchen genauso wie Jungen e<strong>in</strong> Anrecht<br />

hätten, die Schule besuchen zu dürfen, denn vor allem auf dem Land herrscht die Me<strong>in</strong>ung,<br />

dass dies nicht nötig sei. Ndabiseruye führt dazu aus, dass Söhne meist als Träger und<br />

Symbol <strong>der</strong> Beständigkeit angesehen werden, da die Tochter, sobald sie heiratet <strong>in</strong> die<br />

Familie des Bräutigams aufgenommen wird und damit „verloren“ geht (vgl. a.a.O.: 332f.).<br />

Dieser „Verlust“ wird auch heute noch mit dem Brautpreis ausgeglichen – je nach „Wert“<br />

41 Kirundi: „Irivuzwe n’<strong>in</strong>goma nturirenga“<br />

42 Interessant ist, dass sich diese Haltung auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Teilen <strong>der</strong> Welt wie<strong>der</strong>f<strong>in</strong>det. So beschreibt Shaw,<br />

wie er Ähnliches <strong>in</strong> <strong>der</strong> Diözese <strong>in</strong> Malaysia erlebt hat: “In the meet<strong>in</strong>gs he (<strong>der</strong> Bischof, Anm. d. Verf.)<br />

explicitly laid out that he had authority <strong>in</strong> all matters to do with faith and or<strong>der</strong> and expected complete<br />

obedience from others.” (Shaw 2007: 5) O<strong>der</strong> “The PCC meet<strong>in</strong>g ran similarly to those I had experienced <strong>in</strong><br />

the UK where issues were brought before the elected church lea<strong>der</strong>ship who would then vote on any<br />

outcome. However, <strong>in</strong> practice the Bishop placed his own suggestions before the PCC and expected them to<br />

be rubber-stamped. […] He said that he did not want people to question his choices, but rather to accept<br />

them and move forward. He rem<strong>in</strong>ded them that he could move people at will […]. He called this the<br />

‘Anglican system of obey<strong>in</strong>g authority’“ (a.a.O.: 6).<br />

60


<strong>der</strong> Frau bezahlt <strong>der</strong> Bräutigam zwischen e<strong>in</strong>er und mehreren Kühen, was sehr oft späte<br />

Hochzeiten <strong>zur</strong> Folge hat, da dies vor allem auf dem Land mehr als dem Gegenwert e<strong>in</strong>es<br />

Jahresgehalts e<strong>in</strong>er Familie entspricht.<br />

Mehr reden als handeln<br />

Über den Wert des Dialogs im burundischen Lernprozess wurde schon gesprochen.<br />

Ndabiseruye sieht jedoch auch Nachteile bei dieser afrikanischen Liebe zum Wort:<br />

Problematisch wird es, „wenn das rhetorisch bee<strong>in</strong>druckende Reden überhaupt ke<strong>in</strong>en<br />

Bezug <strong>zur</strong> Realität hat, wenn das Wort zum doppeldeutigen Wortspiel <strong>zur</strong> Beibehaltung<br />

des Status quo wird, wenn man beim Palaver <strong>in</strong>haltslos spricht und so das Wort zum leeren<br />

Geschwätz macht, wenn das Wort die konkrete Aktion ersetzt o<strong>der</strong> wenn dem Wort ke<strong>in</strong>e<br />

Taten folgen.“ (a.a.O.: 334)<br />

Auch diese Beobachtung teile ich im Blick auf die Kirche. Viele biblische Inhalte, die<br />

wortreich gepredigt werden, f<strong>in</strong>den lei<strong>der</strong> zu oft ke<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>hall <strong>in</strong> <strong>der</strong> ethischen Haltung<br />

und Aktion <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>demitglie<strong>der</strong>. Hier verweise ich noch mal auf das Anliegen e<strong>in</strong>es<br />

BAHO-Mädchens <strong>in</strong> Cibitoke: „Wir hören so oft, dass wir als Christen leben sollen. Aber<br />

ke<strong>in</strong>er zeigt uns, was das genau heißt. Für mich wäre es wichtig, darüber was zu erfahren.“<br />

Diese Kritik des „Mehr reden als handeln“ sche<strong>in</strong>t schon oft und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong><br />

Zusammenhang mit <strong>der</strong> Dritten Welt gelesen und geschrieben worden zu se<strong>in</strong>. Vor allem<br />

kann man kritisch anmerken, dass sie von e<strong>in</strong>em <strong>Burundi</strong>er als Bestandsanalyse im<br />

H<strong>in</strong>blick auf e<strong>in</strong>en befreiungspädagogischen Ansatz geschrieben wurde, dass also e<strong>in</strong><br />

ähnliches Ziel verfolgt wird, wie <strong>in</strong> dieser Arbeit. Dennoch sehe ich diese Kritik nicht nur<br />

wissenschaftlich verortet, son<strong>der</strong>n sie wird von mir ebenso wie von e<strong>in</strong>heimischen und<br />

ausländischen Kollegen im Alltag bestätigt.<br />

Als Verfechter e<strong>in</strong>er Gegenposition dieser oben genannten kulturkritischen Punkte möchte<br />

ich e<strong>in</strong>en burundischen Anthropologieprofessor erwähnen. Denis Bukuru kritisiert solche<br />

Beobachtungen, <strong>in</strong>dem er schreibt, dass sie aus e<strong>in</strong>er oberflächlichen Analyse <strong>der</strong><br />

burundischen Kultur resultieren. Es gebe e<strong>in</strong>e populäre Kultur (sichtbar) und e<strong>in</strong>e wissende<br />

Kultur (weniger sichtbar), die aber nur wenigen bekannt sei, da diese das <strong>in</strong>tellektuelle<br />

Denken <strong>der</strong> „königlichen Geheimnisträger“ <strong>in</strong> sich berge. 43 In letzterer seien aber die<br />

43<br />

„Ces deux idées résultent d'une analyse superficielle de la culture du <strong>Burundi</strong>. Celle-ci est toujours vue<br />

comme une culture populaire. Or, la culture du <strong>Burundi</strong> ancien se présente sous deux formes, à savoir, la<br />

culture populaire (culture plus visible) et la culture savante (culture mo<strong>in</strong>s visible). La culture populaire<br />

véhicule la pensée commune des gens du peuple, tandis que la culture savante véhicule les idées<br />

<strong>in</strong>tellectuelles des „détenteurs des secrets/mystères du royaume“ (Abanyamabanga b'Ingoma) à partir<br />

61


Menschenrechte, wie Gleichstellung <strong>der</strong> Geschlechter o<strong>der</strong> die Me<strong>in</strong>ungsfreiheit, deutlich<br />

verankert und könnten traditionell belegt und hergeleitet werden (Bukuru 2009: 43f.). Aus<br />

persönlichen Gesprächen wurde deutlich, dass für Bukuru diese kulturellen Wurzeln aber<br />

durch Mission und Mo<strong>der</strong>ne verloren gegangen seien und wie<strong>der</strong>entdeckt und im täglichen<br />

Leben umgesetzt werden müssten (ohne zu e<strong>in</strong>em Königreich <strong>zur</strong>ückkehren o<strong>der</strong> das<br />

vorkoloniale <strong>Burundi</strong> wie<strong>der</strong> beleben zu wollen).<br />

Um aber nicht dem Vorwurf <strong>der</strong> Ethnisierung zu unterliegen, möchte ich Ndabiseruye zu<br />

den H<strong>in</strong>tergründen dieser Tatsachen und <strong>der</strong> aktuellen Situation <strong>der</strong> Unterentwicklung <strong>in</strong><br />

<strong>Burundi</strong> zitieren: „Die Ursachen hierfür s<strong>in</strong>d nicht nur Folgen <strong>der</strong> Kolonialisierung,<br />

son<strong>der</strong>n liegen auch <strong>in</strong> selbst gemachten Zuständen […]. Es s<strong>in</strong>d z.B. die e<strong>in</strong>heimischen<br />

Diktaturregime, die Ausplün<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ressourcen des Landes durch e<strong>in</strong>e<br />

verantwortungslose Elite, die Manipulierung e<strong>in</strong>er schlecht o<strong>der</strong> gar nicht gebildeten<br />

Bevölkerung, die ethnischen Bürgerkriege“ (a.a.O.: 323). E<strong>in</strong> wesentlicher Kritikpunkt<br />

Ndasiberuyes, was Bildungsarbeit anbelangt, ist, dass das burundische Schulsystem sich<br />

bis heute an das Bildungssystem <strong>der</strong> Kolonialzeit anlehnt (a.a.O.: 337ff.) und somit auch<br />

<strong>zur</strong> Stützung <strong>der</strong> Kultur des Schweigens beiträgt: Diktieren, Auswendiglernen und<br />

Reproduzieren gelten demnach immer noch als Ideale dieses Bildungssystems, das wenig<br />

„Innovation und Unternehmergeist“ (a.a.O.: 340) anregt. Des weiteren stellt Ndabiseruye<br />

kritisch fest, dass hohe E<strong>in</strong>schulungsraten sich zwar gut <strong>in</strong> Berichten, vor allem für<br />

<strong>in</strong>ternationale Geldgeber, lesen und dem Machterhalt <strong>der</strong> Regierenden dienen, aber ke<strong>in</strong>en<br />

positiven E<strong>in</strong>fluss auf die Qualität <strong>der</strong> Schulbildung haben: es ist ausgeschlossen, „<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em übervollen Klassenzimmer [100 Schüler pro Klasse s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Seltenheit,<br />

Anmerkung d. Verf.] von „Alphabetisierung“ zu sprechen“ (a.a.O.: 345, Hervorhebung im<br />

Orig<strong>in</strong>al). Neben diesen Punkten führt Ndabiseruye noch weitere Kritikpunkte am<br />

Schulsystem an (vgl. a.a.aO.: 338-350):<br />

• e<strong>in</strong>e an Verwaltung und Bürokratie orientierte Schulbildung<br />

• e<strong>in</strong>e eher theoretische als praktische Schulbildung<br />

• e<strong>in</strong>es, das eher an E<strong>in</strong>schulung als Alphabetisierung <strong>in</strong>teressiert ist<br />

• e<strong>in</strong> durch Diskrim<strong>in</strong>ierung gekennzeichnetes Schulsystem<br />

• Problem <strong>der</strong> Dom<strong>in</strong>anz frem<strong>der</strong> Sprachen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulbildung<br />

desquelles étaient organisées les <strong>in</strong>stitutions sociales, politiques et rituelles de la royauté sacrée. “ (Bukuru<br />

2009: 43)<br />

62


Die Gesamtheit <strong>der</strong> oben angeführten Kritikpunkte bilden die situationsanalytische Basis<br />

für das folgende Kapitel <strong>der</strong> Begründung e<strong>in</strong>er aneignungsorientierten<br />

Befreiungspädagogik <strong>in</strong> Anlehnung an Paolo Freire.<br />

5.4. Theoretischer Bezug: aneignungsorientierte Befreiungspädagogik<br />

Wie <strong>in</strong> den vorhergehenden Kapiteln deutlich wird, plädiere ich für Jugendarbeit, die<br />

sozialräumlich ausgerichtete Aneignungsprozesse <strong>zur</strong> Grundlage hat und ihrem<br />

<strong>in</strong>formellen Bildungsauftrag gerecht wird. Wie soll e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige auf den kirchlichen<br />

Kontext bezogene Jugendarbeit <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> aussehen?<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> theoretischen Reflexionen (vgl. bes. 5.3.2.) e<strong>in</strong>erseits und den als<br />

Ergebnisse <strong>der</strong> Handlungsforschung vorliegenden Erkenntnisse an<strong>der</strong>erseits geht es me<strong>in</strong>es<br />

Erachtens darum, den oben genannten Kritikpunkten, die ja zugleich die „Stützmauern“<br />

e<strong>in</strong>er Kultur des Schweigens markieren“ zu begegnen. Zu fragen ist, wie sich diese Mauern<br />

im Rahmen e<strong>in</strong>er kirchlichen Projektarbeit und geme<strong>in</strong>sam mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen vor Ort durchbrechen lassen zugunsten neuer Wege gelebten und gelehrten<br />

Christse<strong>in</strong>s.<br />

Der außerschulische und somit <strong>in</strong>formelle Bildungscharakter ist mir sehr wichtig, da<br />

formelle, schulische Bildung, wie oben beschrieben, nicht dazu beiträgt, den Jugendlichen<br />

lebensweltorientiertes Lernen zu ermöglichen. Deshalb lehne ich mich an das<br />

Bildungskonzept Freires an, da es mir <strong>in</strong> diesem Zusammenhang am Schlüssigsten sche<strong>in</strong>t:<br />

Bildung als Befreiung<br />

Freires Bildungskonzept setzt sich von an<strong>der</strong>en diskutierten Bildungskonzepten dadurch<br />

ab, dass es den sich Bilden-Wollenden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Unterdrückungssituation wahrnimmt. E<strong>in</strong><br />

aktuelles Bildungskonzept <strong>der</strong> Jugendarbeit <strong>in</strong> Deutschland, <strong>in</strong> dem diese Komponente<br />

mitschw<strong>in</strong>gt, ist das von Scherr: Bildungsprozesse s<strong>in</strong>d somit die, „<strong>in</strong> denen sich das<br />

<strong>in</strong>dividuelle Selbst- und Weltverständnis verän<strong>der</strong>t, d.h. <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>gespielte<br />

Wahrnehmungs-, Deutungs-, Bewertungs-, und Handlungsoptionen dadurch ihre<br />

selbstverständliche Gültigkeit und Alternativlosigkeit verlieren, dass an<strong>der</strong>e Sichtweisen<br />

und Handlungsmöglichkeiten zugänglich werden. Das gebildete Individuum ist demnach<br />

nicht daran erkennbar, dass es e<strong>in</strong>en bestimmten Wissenskanon aus dem Gedächtnis<br />

abrufen kann, son<strong>der</strong>n daran, dass es sich Wahrnehmungs-, Deutungs-, Bewertungs- und<br />

Handlungsoptionen angeeignet hat, die über das natürliche <strong>in</strong> Sozialisationsprozessen<br />

erworbene Alltagswissen h<strong>in</strong>ausreicht, womit dieses zum Gegenstand <strong>der</strong> bewussten und<br />

kritischen Überprüfung, also <strong>der</strong> Reflexion werden kann. E<strong>in</strong> Resultat von<br />

63


Bildungsprozessen s<strong>in</strong>d Steigerungen <strong>der</strong> Möglichkeiten, Distanz zu den eigenen<br />

alltäglichen Gewissheiten und Rout<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zunehmen.“ (Scherr 2004: 168f., Hervorhebung<br />

im Orig<strong>in</strong>al)<br />

Ich sehe die Möglichkeit, <strong>in</strong> diesem Bildungskonzept wie<strong>der</strong>um das Konzept Freires zu<br />

verankern, weil es um das Verän<strong>der</strong>n von selbstverständlicher Gültigkeit und<br />

Alternativlosigkeit geht. Menschen, <strong>in</strong> unserem Fall Jugendliche, sollen und dürfen sich<br />

neue Wahrnehmungs-, Deutungs-, Bewertungs- und Handlungsoptionen aneignen und<br />

können dadurch den sie umgebenden Mythen (im S<strong>in</strong>ne Freires) kritisch und reflektiert<br />

begegnen. Auch das Durchbrechen <strong>der</strong> Bankiers-Methode, also jener „Anhäufung von<br />

Wissen im leeren Conta<strong>in</strong>er Schüler“ und dadurch <strong>der</strong> Zementierung aktueller<br />

Verhältnisse, ist <strong>in</strong> diesem Konzept klar dargestellt. Wenn Lehren und Lernen das Ziel hat,<br />

Neues zu entdecken und umzusetzen, hat die <strong>zur</strong> Unterdrückung beitragende Bankiers-<br />

Methode ausgedient (vgl. <strong>zur</strong> Bankiers-Methode Kapitel 2.2. im ersten Teil dieser Arbeit).<br />

Scherr bezieht se<strong>in</strong> Konzept nun sozialräumlich und nennt dabei vier Raumkonstellationen,<br />

<strong>in</strong> denen er dieses Konzept verankert sieht (unter an<strong>der</strong>em den Rückzugsraum o<strong>der</strong><br />

gegenkulturellen Raum, vgl. a.a.O.: 169-172). Ich würde <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />

folgende beiden Räume als für die BAHO-Jugendlichen neu zu entdeckende sehen –<br />

organisatorische Grundlage kann <strong>der</strong> schon oben angeführte BAHO-Club se<strong>in</strong> (vgl. dazu<br />

Kapitel 5.5.1.):<br />

(1) Glaubensräume<br />

In dem S<strong>in</strong>n, wie Freire Unterdrückung beschreibt, muss konstatiert werden, dass die<br />

Anglikanische Kirche <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> <strong>in</strong> diesem Bereich e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielt, wenn<br />

me<strong>in</strong>es Erachtens auch e<strong>in</strong>e negative, da sie die Ressourcen (wie politischgesellschaftlicher<br />

E<strong>in</strong>fluss, flächendeckende Präsenz o<strong>der</strong> das Zugestehen e<strong>in</strong>er Rolle als<br />

Moral<strong>in</strong>stanz) <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>n nicht nutzt. Denn <strong>in</strong> vielen Worten und Verlautbarungen<br />

werden zwar Missstände, sowohl gesellschaftliche als auch politische, angemahnt und <strong>in</strong><br />

vere<strong>in</strong>zelten Aktionen und Projekten werden sie sozial-aktiv bekämpft, aber von e<strong>in</strong>er<br />

pr<strong>in</strong>zipiellen Haltung <strong>der</strong> Befreiung ist wenig zu spüren. We<strong>der</strong> <strong>in</strong> den von <strong>der</strong><br />

Anglikanischen Kirche gegründeten und unterhaltenen Schulen, noch <strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>den<br />

im Allgeme<strong>in</strong>en. Armut und die vorherrschenden Lebensumstände werden als übermächtig<br />

empfunden und viele <strong>der</strong> Pastoren, Lehrer o<strong>der</strong> Bischöfe, die <strong>in</strong> besten Absichten handeln,<br />

sehen nicht, „daß sie nur <strong>zur</strong> Enthumanisierung beitragen“ (Freire 1973: 60). Sie<br />

unterstützen die Kultur des Schweigens, <strong>in</strong> dem sie zum Beispiel nicht för<strong>der</strong>n, dass<br />

Gläubige die „Sprache des Glaubens“ <strong>in</strong> dialogischer Weise erlernen. In <strong>der</strong><br />

64


Anglikanischen Kirche geschieht Glaubensvermittlung (alle<strong>in</strong> schon dieses Wort zeigt,<br />

worum es geht) bei Predigten o<strong>der</strong> <strong>in</strong> so genannten Bibelreihen am Samstagnachmittag –<br />

sie geschieht also im Monolog. Dialogisches Lehren und Lernen dagegen steht im<br />

extremen Kontrast zu diesen Monologen, <strong>in</strong> denen jemand (sehr oft <strong>der</strong> Pastor) sagt, wie<br />

die Welt (o<strong>der</strong> <strong>in</strong> diesem Fall: die Bibel) funktioniert (vgl. dazu a.a.O.: 72f.). Dialogische<br />

Bildung ist aber existentielle Notwendigkeit, da sie die Weise ist, „durch die Menschen<br />

ihrem S<strong>in</strong>n als Menschen gerecht werden“ (ebd.).<br />

Des Weiteren wird durch e<strong>in</strong>e stark ausgeprägte Pastoren- und Hierarchiehörigkeit (vgl.<br />

dazu Kapitel 5.3.2.) verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t, dass Menschen e<strong>in</strong>en eigenständig reflektierten Glauben<br />

entwickeln. Da Kirche politisch nie neutral ist (vgl. Freire 1977: 125), versäumt es die<br />

Anglikanische Kirche, ihre Autorität zu nutzen, um Menschen im S<strong>in</strong>ne Freires zu<br />

befreien. Stattdessen zementiert sie ihre Stellung und ihre Strukturen. Flache,<br />

basisdemokratische Strukturen, die es erlauben, partizipatives (Freire: dialogisches) und<br />

ke<strong>in</strong> rezeptives Geme<strong>in</strong>de- und Glaubensleben zu gestalten, s<strong>in</strong>d selten zu f<strong>in</strong>den. 44<br />

Befreiende Dialoge, die zu e<strong>in</strong>er eigenständigen, handlungsorientierten Theologie, wie sie<br />

Padilla beschreibt, führen, s<strong>in</strong>d selten zu f<strong>in</strong>den. Diese Handlungsorientierung von<br />

Geme<strong>in</strong>de und Theologie sieht Padilla, <strong>der</strong> Mitglied <strong>der</strong> „Fraternidad Teologica<br />

Lat<strong>in</strong>oamericana“ (FTL, vgl. Kapitel 2.1. <strong>in</strong> TEIL 1) ist, als e<strong>in</strong>e wesentliche<br />

Errungenschaft <strong>der</strong> Befreiungstheologie, <strong>in</strong>dem er schreibt: „Die Wahrheit des<br />

Evangeliums ist nicht nur Wahrheit, die re<strong>in</strong> <strong>in</strong>tellektuell gewußt wird, son<strong>der</strong>n Wahrheit,<br />

die gelebt werden muß“ (Padilla 1986: 108). Kirche ist <strong>in</strong> diesem Fall mit dem Modell <strong>der</strong><br />

herrschaftsstützenden „traditionellen Kirche“ zu vergleichen, wie sie Freire beschreibt<br />

(vgl. Freire 1977: 127f.).<br />

Um zu e<strong>in</strong>er prophetischen Kirche zu werden (also zu e<strong>in</strong>er, die sich den Realitäten <strong>der</strong><br />

Gegenwart zusammen mit ihren Anhängern stellt, vgl. a.a.O.: 135f.) könnte ich mir<br />

vorstellen, dass die Anglikanische Kirche ihren Anhängern Glaubensräume ermöglicht, die<br />

dazu dienen, Glauben im Dialog zu erlernen und ihn <strong>in</strong> Aktionsräumen e<strong>in</strong>zuüben und zu<br />

leben. Ich sehe das Konzept <strong>der</strong> Aneignung als die Grundlage dieses Prozesses, denn wie<br />

Scherr es beschreibt (vgl. Scherr 2004: 168f.), sollten das Ziel dieser Aneignung neue<br />

Erkenntnisse und ihr E<strong>in</strong>üben se<strong>in</strong>. Die eben genannten Glaubensräume können durchaus<br />

als gegenkulturelle Räume verstanden werden, denn sie ermöglichen die nötige Freiheit,<br />

44 Ich gehe <strong>in</strong> diesem Fall von e<strong>in</strong>em Menschenbild aus, das pädagogisch <strong>in</strong> Freires dialogischem Denken<br />

Ausdruck f<strong>in</strong>det („Menschlich existieren heißt, die Welt benennen, sie zu verän<strong>der</strong>n“, Freire 1973: 71) und<br />

theologisch auf e<strong>in</strong>em holistischen Menschenbild basiert, also e<strong>in</strong>em, das den ganzen Menschen wahrnimmt:<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en geistlich-religiösen, <strong>in</strong>tellektuellen und sozialen Bedürfnissen, was wie<strong>der</strong>um Grundlage für<br />

Reimers „Theologie des gesellschaftsrelevanten Geme<strong>in</strong>debaus“ ist (vgl. Reimer 2009: 169ff.).<br />

65


wie sie <strong>in</strong> Bezug auf den Versuch selbstverwalteter Jugendhäuser <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendarbeit so<br />

beschrieben wurde: „Die mögliche Bildungsrelevanz solcher Versuche ist offenkundig:<br />

hier wird Selbstbestimmung erprobt und werden Erfahrungen mit dem Gel<strong>in</strong>gen und<br />

Scheitern eigenständiger Regelsetzung und Durchsetzung gemacht, die Reflexionsprozesse<br />

umfassen bzw. motivieren können“ (a.a.O.: 170).<br />

Zu betonen ist die Rolle des Lehrers 45 , <strong>der</strong> sich mit se<strong>in</strong>en Schülern zusammen auf e<strong>in</strong>en<br />

geme<strong>in</strong>samen Lernprozess macht und dabei gemachte Erfahrungen (vgl. dazu<br />

nachfolgenden Unterpunkt Aktionsräume) reflektiert.<br />

(2) Aktionsräume<br />

Um den Entwicklung h<strong>in</strong><strong>der</strong>nden Konformismus (vgl. 5.3.2.) zu durchbrechen, sehe ich<br />

neben den eben genannten Glaubensräumen (<strong>in</strong>dividuell erkannte und gelebte Wahrheit<br />

führt zu Non-Konformismus 46 ) Aktionsräume als Instrument an. Wie Freire es beschreibt,<br />

gehört neben <strong>der</strong> Reflexion auch die Aktion, die zum Wort und somit zu e<strong>in</strong>er gelebten<br />

Praxis führen:<br />

Reflexion<br />

Aktion<br />

}<br />

Wort<br />

= Handeln = Praxis<br />

Verzicht auf Aktion = Verbalismus<br />

Verzicht auf Reflexion = Aktionismus<br />

Abbildung 3: Verhältnis „Reflexion – Aktion – Wort“ (Quelle: Freire 1973: 71)<br />

In diesen Aktionsräumen soll es darum gehen, zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, dass das Wort sich „<strong>in</strong> leeres<br />

Geschwätz verkehrt, <strong>in</strong> Verbalismus, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> entfremdetes und entfremdendes „Blabla“.“<br />

45 Vgl. die Rolle des Lehrers im BAHO-Projekt unter Kapitel 5.5.2.<br />

46 Luthers angeblicher Ausspruch <strong>in</strong> Worms 1521 „Hier steh ich und kann nicht an<strong>der</strong>s“ ist e<strong>in</strong>es <strong>der</strong><br />

berühmten Beispiele protestantischer Umsetzung dieser Aussage (wenn auch umstritten ist, ob Luther es <strong>in</strong><br />

dieser Form gesagt hat, drückt se<strong>in</strong>e ganze Rede doch genau diese Haltung aus). Das Buch „Die wahren<br />

Jesus Freaks“ (dc Talk: Die wahren Jesus Freaks. Asslar 2008.) erzählt Beispiele von Märtyrern aus aller<br />

Welt zu allen Zeiten, die diesen Non-Konformismus, <strong>der</strong> sich oft gegen Regime und Unterdrückung gerichtet<br />

hat, mit dem Leben bezahlt haben. Ich möchte hier nicht so verstanden werden, dass je<strong>der</strong> Gläubige e<strong>in</strong><br />

„Luther“ o<strong>der</strong> Märtyrer werden soll, aber dass <strong>in</strong>dividuell erkannte Wahrheiten im Glauben nicht nur <strong>zur</strong><br />

Rezeption son<strong>der</strong>n zu Handlungen führen, wie auch von Padilla und Befreiungstheologen gefor<strong>der</strong>t wird:<br />

„Sie [Theologie <strong>der</strong> Befreiung, d. Verf.] geht vom Handeln aus und führt zum Handeln h<strong>in</strong>, und dieser<br />

Rundgang ist ganz getränkt und e<strong>in</strong>gehüllt von <strong>der</strong> Atmosphäre des Glaubens“ (Boff 1988: 51).<br />

66


(Freire 1973: 71, Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al) Wie Ndabiseruye schon festgestellt hat, ist<br />

e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Tatsachen <strong>in</strong> <strong>der</strong> burundischen Kultur, dass es e<strong>in</strong>en Hang zum Verbalismus gibt<br />

(vgl. 5.3.2.). Um aber e<strong>in</strong>en handlungsorientierten Glauben zu leben, wie es im<br />

gesellschaftsrelevanten Geme<strong>in</strong>debau von Reimers o<strong>der</strong> von Padilla vorgeschlagen wird,<br />

ist es unverzichtbar, über solche Aktionsräume nachzudenken und sie <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Anglikanischen Kirche <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> e<strong>in</strong>zuführen. Das Ziel dieser Räume ist, dass Kenntnis<br />

<strong>der</strong> Wahrheit und Tun <strong>der</strong> Wahrheit, wie Padilla es schreibt (vgl. Padilla 1986: 108),<br />

zusammenkommen. Auf diese Weise kann Kirche den Auftrag ihrer ganzheitlichen<br />

Mission (vgl. Kapitel 2.4.3. <strong>in</strong> TEIL 1), nämlich Menschen <strong>in</strong> allen Bereichen ihres Lebens<br />

<strong>zur</strong> Seite zu stehen, umsetzen (vgl. Padilla 2007: 146ff.).<br />

Um <strong>der</strong> Angst e<strong>in</strong>er „Revolution“ <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Anglikanischen Kirche vorzubeugen und<br />

diese Prozesse <strong>in</strong> ihrem Keim zu ersticken, s<strong>in</strong>d die Pastoren <strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>den<br />

Schlüsselfiguren. Sie s<strong>in</strong>d die Lehrer, die e<strong>in</strong> neues Lehrverständnis erlernen dürfen und<br />

müssen. Für sie ist elementar zu verstehen, dass Lehre eben nicht bedeutet, Conta<strong>in</strong>er zu<br />

füllen, son<strong>der</strong>n sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Lernprozess zu bef<strong>in</strong>den, dessen Ergebnis aber<br />

offen ist. Die Furcht vor e<strong>in</strong>er Revolution an sich ist aber unbegründet, da es laut Freire<br />

eben nicht um Aktionismus geht, son<strong>der</strong>n: „Menschen werden im echten S<strong>in</strong>n kritisch,<br />

wenn sie die Fülle <strong>der</strong> Praxis ausleben, das heißt, wenn ihr Handeln kritische Reflexion<br />

e<strong>in</strong>schließt, die ihr Denken <strong>in</strong> zunehmen<strong>der</strong> Weise organisiert und sie schließlich dazu<br />

br<strong>in</strong>gt, sich von e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong> naiven Kenntnis <strong>der</strong> Wirklichkeit auf e<strong>in</strong>e höhere Ebene zu<br />

begeben, wo sie im Stande s<strong>in</strong>d, die Ursachen ihrer Wirklichkeit zu begreifen.“ (Freire<br />

1973: 110) Dies verh<strong>in</strong><strong>der</strong>e, dass revolutionäre Führer für das Volk denken o<strong>der</strong> etwas für<br />

das Volk tun. Jedoch könnten die herrschenden Eliten ohne das Volk denken, wobei sie das<br />

Nachdenken über das Volk aber nicht versäumten, um an ihrer Herrschaft festzuhalten<br />

(vgl. ebd.). Und wie Bourdieu es sieht, könnten zwischen dem politischen Drang, Macht zu<br />

erhalten und dem von Religion und religiösen Führen durchaus Parallelen gezogen<br />

werden. 47<br />

Um im Rahmen <strong>der</strong> kontextuellen Theologie zu bleiben, müssen diese Aktionsräume <strong>in</strong><br />

den Lebenswelten, also im jeweiligen Umfeld <strong>der</strong> jeweiligen Geme<strong>in</strong>de verwurzelt se<strong>in</strong>. Es<br />

macht nicht unbed<strong>in</strong>gt S<strong>in</strong>n, e<strong>in</strong>e Umwelt<strong>in</strong>itiative zu starten und se<strong>in</strong>en Glauben<br />

umweltverantwortlich leben zu wollen, wenn dies nicht das Thema <strong>der</strong> jeweiligen Situation<br />

und Region, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich die Geme<strong>in</strong>de bef<strong>in</strong>det, ist. E<strong>in</strong> Aktionsraum muss e<strong>in</strong> den<br />

47 Zum Verhältnis von politischer und religiöser Macht möchte ich auf den Aufsatz von Bourdieu „Genese<br />

und Struktur des religiösen Feldes“ verweisen. Bourdieu weist dar<strong>in</strong> auf, wie sehr religiöse/kirchliche Macht<br />

dazu beitragen kann, politische Macht zu stützen und wie sie sich <strong>in</strong> ihrem Hierarchiedenken an politischsäkulare<br />

Strukturen anlehnen kann (vgl. Bourdieu 2009: 82).<br />

67


Realitäten und Problemen <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>deglie<strong>der</strong> entsprechen<strong>der</strong> Raum se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem<br />

geistlich gefundene Antworten erprobt und e<strong>in</strong>geübt werden können. Kirche kommt somit<br />

dem territorialen und kontextualisierten Anspruch, wie ihn Reimer erhebt, nach (vgl.<br />

Reimer 2009: 247).<br />

Zusammenfassend kann gesagt werden: Glaubens- und Aktionsräume können als geeignete<br />

Räume angesehen werden, <strong>in</strong> denen Kirchenmitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> traditionelle Elemente<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> burundischen Kultur, die e<strong>in</strong>er befreienden Bildung im Wege stehen, überw<strong>in</strong>den<br />

können. Diese Räume s<strong>in</strong>d aneignungsorientiert und können als gegenkulturelle Räume<br />

verstanden werden.<br />

5.5. Praxis<br />

5.5.1. BAHO-Clubs<br />

Für das BAHO-Projekt sehe ich die angestrebten BAHO-Clubs als e<strong>in</strong>e Möglichkeit,<br />

solche Räume zu se<strong>in</strong> und sie von den Jugendlichen als solche gestalten zu lassen. Ziel<br />

dieser Räume muss, wie oben schon erwähnt, se<strong>in</strong>, dass Jugendliche nicht nur (ihren)<br />

Glauben lernen können, son<strong>der</strong>n dass zugleich auch Platz für die Reflexion ihrer eigenen<br />

sozialen Wirklichkeit im Licht des Glaubens ist und diese Reflexion wie<strong>der</strong>um durch<br />

Handeln <strong>zur</strong> Praxis ihres Lebens werden kann. Wie Freire schon ausführt, ist dabei das<br />

Wort wichtig, zumal die burundische Kultur e<strong>in</strong>e Kultur des Wortes ist (s.o.). Deshalb<br />

möchte ich das Zitat e<strong>in</strong>es muslimischen Jungen aus dem Senegal, <strong>der</strong> nicht lesen und<br />

schreiben kann, anführen: „Religiöses ist etwas Heiliges, und etwas Heiliges ist etwas, dass<br />

se<strong>in</strong>en Ursprung <strong>in</strong> sich selbst hat und auf das man großen Wert legt. Dazu zählt für mich:<br />

se<strong>in</strong>e Stimme erheben können. Das stellt für mich etwas Heiliges dar, denn das macht es<br />

möglich, se<strong>in</strong>e eigene Situation erklären zu können.“ (Groß 2008: 137)<br />

Methodisch gesehen ist es wichtig, dass <strong>in</strong> diesem Prozess Aktion und Reflexion <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

Gleichgewicht kommen, also Glaubens- und Aktionsräume zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> f<strong>in</strong>den und dies<br />

strukturiert umgesetzt wird. Im Zentrum <strong>der</strong> burundischen Wort-Kultur stehen Reden,<br />

Worte und Austausch. Diesen Austausch zu <strong>in</strong>itiieren und danach die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Jugendlichen zu motivieren, sich geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>er Aufgabe zu stellen und erkannte<br />

Wahrheiten geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong> die Praxis umzusetzen, ist methodisch und konzeptionell<br />

wichtig. In Anlehnung an W<strong>in</strong>klers Aneignungsdef<strong>in</strong>ition 48 verstehe ich die methodische<br />

48 „Es geht um Selbstkonstitution im Medium gesellschaftlicher und kultureller Möglichkeiten, <strong>in</strong>sofern um<br />

e<strong>in</strong>e Form <strong>der</strong> Vergesellschaftung und Kultivierung als eigener Leistung des Subjekts. Sie gel<strong>in</strong>gt nur dort,<br />

wo sich das Subjekt mit se<strong>in</strong>er Anpassungsleistung, d.h. <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eigenheit und Eignung präsentieren und<br />

68


Umsetzung im BAHO-Club folgen<strong>der</strong>maßen: mit partizipativen 49 (Freire: dialogischen)<br />

Methoden <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendarbeit K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche herauszufor<strong>der</strong>n, Neues<br />

im Glauben zu entdecken und dann zu wagen, es <strong>in</strong> ihrem Leben und Umfeld anzuwenden,<br />

um zu eigenständigen und <strong>in</strong>dividuellen Lebenspraxen zu gelangen.<br />

Generell gilt es bei all den Methoden, folgende Pr<strong>in</strong>zipien Freires (vgl. Ndabiseruye 2009:<br />

295) zu beachten und an die jeweilige Situation anzupassen:<br />

• Problemformulierung statt Bankiers-Bildung<br />

• Entmystifizierung (Infragestellung) statt Mystifizierung<br />

• Transformation statt Erhaltung des status quo<br />

Als anzustrebendes Ergebnis dieses Prozesses können folgende Charakteristika gelten (vgl.<br />

ebd.):<br />

• kritisch statt naiv<br />

• authentisch statt fatalistisch<br />

• Solidarität statt Isolation<br />

5.5.2. Die Rolle des Lehrers<br />

Entscheidend ist die Funktion des Lehrers <strong>in</strong> dieser Konstellation, denn er hat e<strong>in</strong>e zentrale<br />

Rolle <strong>in</strong> diesem Prozess. Um die Welt <strong>der</strong> Unterdrückten zu verstehen, schlägt Freire e<strong>in</strong>e<br />

Kodier-Dekodier Methode vor (vgl. Freire 1973: 92ff.), die darauf beruht, sich lange mit<br />

den Lebensweltdetails <strong>der</strong> Menschen ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen und ihr Leben zu verstehen.<br />

Dies ermöglicht den Lehrern Beispiele und Situationen aus dieser Lebenswelt zu benennen<br />

und generative Themen zu erfassen, also solche, die „dank ihrem bewusstmachenden<br />

Gehalt die Grundlage und den H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Diskussion über e<strong>in</strong>e existentielle<br />

bedeutungsvolle Situation“ (Ndabiseruye 2009: 381) zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen.<br />

Verkürzt dargestellt, wird dieses Thema dann kodiert, <strong>in</strong> dem es durch Bil<strong>der</strong> o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>fache<br />

Texte verdeutlicht wird; <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Diskussionsprozess mit e<strong>in</strong>er Gruppe Betroffener wird<br />

das Bild dann dekodiert – es soll e<strong>in</strong> Dialog entstehen, „bei dem die Lerngruppe e<strong>in</strong><br />

wirksam werden kann. (Selbst-)Wirksamkeit stellt mith<strong>in</strong> den Abschluss und <strong>in</strong>sofern den Indikator für<br />

gelungene Aneignung dar.“ (W<strong>in</strong>kler 2004: 82)<br />

49 Ich zähle diese Methoden nicht auf, sie s<strong>in</strong>d zum Beispiel bei www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>politik.de zu f<strong>in</strong>den. Für den<br />

Dritte-Welt-Kontext hat die christliche Organisation TEARFUND Material herausgegeben, das sich mit <strong>der</strong><br />

Mobilisierung <strong>der</strong> Kirche für gesellschaftsrelevanten Geme<strong>in</strong>debau und dem Aufbau von<br />

gesellschaftsverän<strong>der</strong>nden Gruppen beschäftigt: Pillars „Mobilis<strong>in</strong>g the Church“, „Mobilis<strong>in</strong>g the<br />

community“ o<strong>der</strong> „Build<strong>in</strong>g capacity of local groups“. E<strong>in</strong> auf Freires Ideen basieren<strong>der</strong> Kurs für<br />

Geme<strong>in</strong>wesenarbeiter ist „Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g for Transformation“ von Anne Hope und Sally Timmel, das viele<br />

anschauliche und praktische Beispiele enthält.<br />

69


kritisches Bewusstse<strong>in</strong> erlangt und die kodierte Wirklichkeit h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> eigenen<br />

(Problem)-Situation begreift“ (a.a.O.: 383, Klammer im Orig<strong>in</strong>al). Wichtig bei <strong>der</strong> Arbeit<br />

des Kodierens ist nicht zu über- o<strong>der</strong> zu unterfor<strong>der</strong>n; auch sollte sie viele<br />

Dekodiermöglichkeiten enthalten, um nicht dem Vorwurf <strong>der</strong> Propaganda o<strong>der</strong><br />

Gehirnwäsche zu unterliegen (vgl. Freire 1973: 96).<br />

Angewandt auf das BAHO-Projekt schlage ich vor, die durch die Zukunftswerkstatt<br />

generierten Themen (<strong>in</strong> Klammern s<strong>in</strong>d sie nachfolgend als dialogorientierte Titel<br />

vorgeschlagen) wie Gewalt (Schlagen und sich nicht entwickeln können – die selbe<br />

Gewalt?), Lüge (Worte = leere Hülsen o<strong>der</strong> gelebte Wahrheit?) o<strong>der</strong> Diebstahl (Eigentum<br />

– wo höre ich auf und fängt <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e an?) zu verwenden. Die Phase <strong>der</strong> Kodierung kann<br />

und muss mit den ehrenamtlichen Betreuern gemacht werden, genauso wie die<br />

Dekodierung. Ziel hierbei ist zu prüfen, ob Ansprüche afrikanischer Theologie wie sie<br />

oben genannt wurden (vgl. Kapitel 2.3. im ersten Teil), nämlich Befreiung von<br />

Identitätsverlust und mangeln<strong>der</strong> kultureller Verwurzelung, weitere solcher generativen<br />

Themen s<strong>in</strong>d.<br />

Diese oben genannten Methoden des problemorientierten Lernens sollen und müssen mit<br />

spielerisch-pädagogischen Elementen angereichert werden. Es handelt sich eben nicht um<br />

Erwachsene, son<strong>der</strong>n um Jugendliche und K<strong>in</strong><strong>der</strong>. Geeignete Spiele können sie dabei<br />

unterstützen, sich diesen Erfahrungen zu öffnen und sie non-verbal zu verarbeiten und zu<br />

vertiefen. Als weitere Kodierungsmethoden schlage ich Theaterstücke o<strong>der</strong> Lie<strong>der</strong> vor, da<br />

diese hervorragend <strong>in</strong> den afrikanischen Kontext passen und schon <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Zukunftswerkstatt von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n sehr begrüßt wurden und effektiv waren.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs müsste – bevor die ehrenamtlichen Betreuer <strong>in</strong> diesem Kontext und mit dieser<br />

Methode arbeiten – mit ihnen selbst solch e<strong>in</strong> Bildungsprozess <strong>in</strong>itiiert werden, um ihnen<br />

zunächst die E<strong>in</strong>genentdeckung problem- und dialogorientierten Lehrens und Lernens zu<br />

ermöglichen. Ich sehe sie allerd<strong>in</strong>gs als sehr geeignet an, diese Prozesse zu begleiten, da<br />

sie das Leben mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen teilen und oft unter denselben<br />

Lebensumständen im gleichen Viertel wohnen. Ob ihr ger<strong>in</strong>ger Bildungsgrad e<strong>in</strong><br />

Argument wäre, sie nicht zu solchen Lehrern zu machen, bleibt bei Freire offen; e<strong>in</strong><br />

Qualitätsmerkmal von Erziehern ist, dass für diese „die Wirklichkeit, die von ihnen mit<br />

an<strong>der</strong>en Menschen zusammen verwandelt werden muß, Gegenstand des Handelns, nicht<br />

aber <strong>der</strong> Mensch selbst“ ist (a.a.O.: 77).<br />

Freire macht deutlich, dass Lehrer-se<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en hohen Anspruch <strong>in</strong> sich birgt. Wie schon<br />

deutlich wurde, beziehe ich dieses Lehrer-se<strong>in</strong> aber nicht nur auf die klassische<br />

Schulsituation, son<strong>der</strong>n es s<strong>in</strong>d Ansprüche, die <strong>in</strong> jeglicher Art von Vermittlungssituation<br />

70


ihre Gültigkeit entfalten können – sei es als ehrenamtlicher Jugendleiter, Pastor o<strong>der</strong><br />

Schwimmlehrer. Freire macht deutlich, dass Lehren neben hohen ethischen Ansprüchen<br />

(vgl. Freire 2008: 20) Professionalität und Dialogbereitschaft be<strong>in</strong>haltet. Es würde den<br />

Rahmen sprengen, Freires Anfor<strong>der</strong>ungen an e<strong>in</strong>en Lehrer hier im Gesamten<br />

wie<strong>der</strong>zugeben. Wichtig ersche<strong>in</strong>t mir, um es zusammenfassend auf den Punkt zu br<strong>in</strong>gen<br />

und für die BAHO-Clubs fruchtbar zu machen, dass die „Lehrenden-Lernenden-<br />

Beziehung“ e<strong>in</strong>e dialogische und von Seiten des Lehrers <strong>in</strong> höchstem Maße<br />

selbstreflektierte ist. Dies wäre e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> ersten Themen, über das die ehrenamtlichen<br />

Mitarbeiter zusammen mit <strong>der</strong> Projektleitung nachdenken könnten.<br />

6. Zusammenfassung: Armutsbekämpfung durch BAHO-Clubs<br />

Wie im Grundlagenteil dieser Arbeit schon erwähnt, sehe ich Armut als relativ an und<br />

lehne mich an das Konzept Friedmanns an, das von „disempowerment“ ausgeht.<br />

Friedmann macht Armut an acht unterentwickelten Faktoren <strong>in</strong> Bezug auf e<strong>in</strong>en Haushalt<br />

fest und sieht hauptsächlich die Notwendigkeit, im Bereich <strong>der</strong> sozialen Macht<br />

anzuknüpfen und den Haushalt zu entwickeln (vgl. 1.2.2. o<strong>der</strong> Friedmann 1998: 26ff.).<br />

6.1. Bewusstse<strong>in</strong> br<strong>in</strong>gt soziale Macht<br />

Im abschließenden Kapitel geht es mir nun darum aufzuzeigen, dass e<strong>in</strong> an Freire<br />

orientiertes Aneignungskonzept <strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> <strong>der</strong> Armutsbekämpfung dienen kann. Hierbei<br />

orientiere ich mich hauptsächlich am disempowerment <strong>in</strong> <strong>der</strong> sozialen Machtsphäre, sehe<br />

aber durchaus Gültigkeit und Anwendbarkeit auf die an<strong>der</strong>en Machtsphären. Denn<br />

Friedmann sieht, dass soziale Macht, wenn sie sich entfalten will, immer e<strong>in</strong>e politische<br />

Dimension hat (vgl. a.a.O.: 12f.). Ich beziehe me<strong>in</strong>e Aussagen aber nicht auf e<strong>in</strong>en<br />

Haushalt, son<strong>der</strong>n auf die Individuen. Wenn ich mich also an Friedmanns Modell anlehne,<br />

geschieht dies <strong>in</strong>sofern, als ich zuerst das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> das Zentrum me<strong>in</strong>es Interesses stelle und<br />

<strong>in</strong> zweiter L<strong>in</strong>ie den Haushalt, dem es angehört. Dies ist <strong>in</strong>sofern legitim, als die acht<br />

Faktoren sich ohne weiteres auf Individuen anwenden lassen. Weiterh<strong>in</strong> sehe ich diesen<br />

Prozess weniger unter ökonomischen Aspekten, wie Friedmann es tut, <strong>in</strong> dem er die<br />

Haushaltsökonomie <strong>in</strong> das Zentrum stellt, son<strong>der</strong>n unter dem Blickw<strong>in</strong>kel sozialer<br />

Faktoren, die es zu entwickeln gilt. Das Verständnis von sozialer und politischer Macht <strong>in</strong><br />

Bezug auf den Haushalt, wie Friedmann es beschreibt, bleibt für e<strong>in</strong> Individuum dasselbe.<br />

In unserem Fall ist das BAHO-Projekt e<strong>in</strong>e soziale Organisation, die im Friedmannschen<br />

71


Begriff „empowert“ – und zwar me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach zuerst das Individuum, also das<br />

K<strong>in</strong>d beziehungsweise den Jugendlichen und <strong>in</strong> zweiter L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong>en Haushalt o<strong>der</strong> Familie.<br />

In Bezug auf den Gegenstand dieser Arbeit, das BAHO-Projekt, bedeutet das folgendes:<br />

Wie oben beschrieben, wäre e<strong>in</strong> Ziel <strong>der</strong> BAHO-Clubs, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen<br />

ihre eigenen Bedürfnisse äußern und sich gegenseitig <strong>in</strong> ihrer Lebenssituation unterstützen<br />

könnten. Ich stütze mich dazu auf e<strong>in</strong> Lern- und Aktionsraummodell, das ihnen helfen<br />

könnte, ihre Erfahrungen und For<strong>der</strong>ungen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Horizonterweiterung praktisch<br />

werden zu lassen. Der Bezugspunkt ist hierbei nicht nur das soziale Lernen, son<strong>der</strong>n auch<br />

religiös-ethische Erfahrungen, die die Jugendlichen machen und alltagspraktisch e<strong>in</strong>üben<br />

wollen. Diese Prozesse werden <strong>in</strong> den Clubs von den jeweiligen ehrenamtlichen<br />

Mitarbeitern unterstützt.<br />

Ziel ist es, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dialogisch-aneignungsorientierten Lernprozess die eigene Lage zu<br />

erkennen (Freire) und dadurch soziale Macht so zu erweitern (Friedmann), dass sie es<br />

erlaubt, die eigene Situation positiv zu gestalten, se<strong>in</strong>e Stimme zu erheben und se<strong>in</strong>e<br />

Lebenswelt zu verän<strong>der</strong>n – also politisch aktiv zu werden (Freire und Friedmann).<br />

Friedmann genauso wie Freire sehen e<strong>in</strong> gewisses Unterdrückungspotential <strong>der</strong> Armen:<br />

Friedmann schreibt, dass <strong>in</strong> vielen armen Län<strong>der</strong>n Partizipation an Entscheidungsprozessen<br />

als Ritual gesehen wird, woh<strong>in</strong>gegen Bewegungen, die ihre soziale Macht <strong>in</strong> politische<br />

Macht e<strong>in</strong>fließen lassen wollen, unterdrückt werden (vgl. Friedmann 1998: 76). Auch für<br />

Freire ist, wie e<strong>in</strong>gangs erwähnt, Unterdrückung durch die Herrschenden e<strong>in</strong> bestimmendes<br />

Element. Welche Rolle spielen nun die Kirche und die, die empowern, um Unterdrückung<br />

zu beseitigen und Armut zu reduzieren?<br />

6.2. Die Rolle <strong>der</strong> Kirche<br />

In diesem Prozess <strong>der</strong> Armutsbekämpfung spielt die Kirche nicht nur die Rolle des<br />

Aktivisten, also <strong>der</strong> sozialen Organisation, die empowert, wie Friedmann es sieht, son<strong>der</strong>n<br />

ich sehe ihre Rolle auch im S<strong>in</strong>ne Freires, nämlich als die e<strong>in</strong>er prophetischen Kirche, e<strong>in</strong>er<br />

Kirche also, die nicht „Wirklichkeit von Transzendenz und Heil von Befreiung“ (Freire<br />

1977: 134) trennt. Sie ist ebenso Kirche im S<strong>in</strong>n Reimers, also e<strong>in</strong>e, die ihre Effektivität<br />

daran misst, „ob sich die Lebenswelt <strong>der</strong> Menschen […] im S<strong>in</strong>ne des Reiches Gottes<br />

transformiert.“ (Reimer 2009: 237) Wie Reimer weiter ausführt, geht es nicht nur um e<strong>in</strong>e<br />

soziale Transformation, son<strong>der</strong>n auch um e<strong>in</strong>e spirituelle Transformation, <strong>der</strong> sich diese<br />

Kirche verpflichtet fühlen sollte (a.a.O.: 236.ff.). In dieser Rolle trägt die Kirche <strong>zur</strong><br />

Reduzierung von Armut bei – <strong>in</strong> unserem Fall fällt diese Rolle <strong>der</strong> Anglikanischen Kirche<br />

<strong>Burundi</strong>, Diözese Bujumbura, zu.<br />

72


6.3. Die Rolle des Empowernden<br />

Wie Friedmann schreibt, sieht er die Rolle <strong>der</strong> Aktivisten (also, <strong>der</strong>er die empowern)<br />

ähnlich wie Freire: „the role of external agents is to provide support <strong>in</strong> ways that encourage<br />

the disempowered to free themselves of traditional dependency“ (Friedmann 1998: 77).<br />

Friedmann geht dabei aber von e<strong>in</strong>em eher aktivierenden und aktiven E<strong>in</strong>greifen seitens<br />

<strong>der</strong> Aktivisten aus (ebd.) und setzt stark auf Lernen durch kollektive Aktionen. Freires<br />

Ansatz <strong>der</strong> Bewusstse<strong>in</strong>sbildung und -erweiterung –<br />

begleitet <strong>in</strong> mäeutischer Form durch den Lehrer und <strong>der</strong> anschließenden Aktion – sche<strong>in</strong>t<br />

mir <strong>in</strong> diesem Rahmen schlüssiger und anwendbarer zu se<strong>in</strong>. Nichtsdestotrotz soll aber <strong>der</strong><br />

von mir vorgeschlagene Aktionsraum genau diese gewünschte soziale und anschließend<br />

politische Funktion Friedmanns be<strong>in</strong>halten. In diesem S<strong>in</strong>n trägt <strong>der</strong> Lehrer/Aktivist <strong>zur</strong><br />

Reduktion von Armut bei – <strong>in</strong> unserem Fall <strong>der</strong> ehrenamtliche Mitarbeiter und die<br />

Projektleitung.<br />

Dies wäre also <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong> Beitrag <strong>zur</strong> Armutsbekämpfung, als dass die von Armut<br />

Betroffenen sich nicht nur ihrer Lage bewusst werden und sie än<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n auch diese<br />

so gewonnene Macht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Aktionsraum <strong>in</strong> politische, ökonomische o<strong>der</strong> staatliche<br />

Macht <strong>in</strong>vestieren können. E<strong>in</strong> BAHO-Club böte <strong>in</strong> diesem Fall e<strong>in</strong>e hervorragende<br />

Plattform, um diese Macht e<strong>in</strong>- und auszuüben, da er nicht nur regelmäßige Treffen <strong>der</strong><br />

Betroffenen bietet, son<strong>der</strong>n sie ihre Interessen kennenlernen, e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen und steuern<br />

können (generative Themen) und sie somit soziale und <strong>in</strong> zweiter L<strong>in</strong>ie politische Macht<br />

erlangen können.<br />

7. Schlussbetrachtung und Ausblick<br />

Da die BAHO-Clubs bis <strong>zur</strong> Fertigstellung dieser Arbeit noch nicht e<strong>in</strong>geführt wurden,<br />

kann noch ke<strong>in</strong> Ausblick o<strong>der</strong> erste E<strong>in</strong>schätzung <strong>in</strong> diesem Bereich geschehen. Eventuelle<br />

Schwierigkeiten <strong>in</strong> diesem Prozess könnten se<strong>in</strong>:<br />

• Gel<strong>in</strong>gendes E<strong>in</strong>führen <strong>der</strong> ehrenamtlichen Mitarbeiter <strong>in</strong> dieses System <strong>der</strong><br />

Bewusstse<strong>in</strong>sbildung<br />

• E<strong>in</strong>beziehen <strong>der</strong> lokalen Kirchengeme<strong>in</strong>de, hier beson<strong>der</strong>s: Pastoren<br />

• Altersgerechte Arbeit: da die Altersspanne <strong>in</strong> den Gruppen enorm ist,<br />

müsste überlegt werden, wie man die Gruppen s<strong>in</strong>nvoll aufteilt<br />

• Mangeln<strong>der</strong> Wille <strong>zur</strong> Verän<strong>der</strong>ung seitens <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen<br />

und ihrer Familien<br />

73


• Spannung halten zwischen Spaß <strong>in</strong> den Clubs und nötiger Arbeit zu den<br />

generativen Themen<br />

Geplant ist, dass im Laufe des Spätsommers 2010 die BAHO-Clubs e<strong>in</strong>geführt werden.<br />

Daher könnte e<strong>in</strong>e erste tiefergehende Evaluation dieser Clubs im Sommer 2011 geschehen<br />

und erste Erkenntnisse im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er weiterführenden Handlungsforschung erfasst und<br />

verarbeitet werden. Gegenstand e<strong>in</strong>er Befragung könnten folgende Punkte se<strong>in</strong>:<br />

• Wie hat sich die Lebenssituation <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>/Jugendlichen <strong>in</strong> diesem<br />

Zeitraum verän<strong>der</strong>t?<br />

• Welchen Anteil hat <strong>der</strong> BAHO-Club daran?<br />

• Was fehlt den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n?<br />

• Welche Erwartungen s<strong>in</strong>d erfüllt?<br />

• Hat <strong>der</strong> Club E<strong>in</strong>fluss auf das Leben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>?<br />

Ausblick 1 – genossenschaftliches Modell<br />

Um ökonomischen Ansprüchen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> gerecht zu werden, testet die BAHO-<br />

Projektleitung e<strong>in</strong> kooperatives Sparsystem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Viertel. Die Idee ist <strong>der</strong><br />

burundischen christlichen Organisation Dutabarane nachempfunden. In diesem System<br />

treffen sich kurz gesagt Gruppenmitglie<strong>der</strong> wöchentlich, um e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Beitrag<br />

(zwischen 10 Cent und 4 Euro) regelmäßig zu sparen. Nach e<strong>in</strong>er gewissen Zeit erhalten<br />

die Gruppenmitglie<strong>der</strong> die Möglichkeit, e<strong>in</strong>en günstigen Kredit zu erhalten (<strong>in</strong> <strong>Burundi</strong><br />

beträgt <strong>der</strong> Z<strong>in</strong>s für e<strong>in</strong>en Kredit bei <strong>der</strong> Bank zwischen 20 und 30%). Dieser Kredit<br />

ermöglicht es den Mitglie<strong>der</strong>n, kle<strong>in</strong>e Geschäfte aufzubauen, die zum Lebensunterhalt<br />

beitragen können.<br />

Zu testen wäre, ob so e<strong>in</strong> System auch für Jugendliche funktionieren kann und es dann als<br />

ökonomische Säule im Projekt für die Jugendlichen und/o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Familien<br />

implementierbar ist und sie dadurch mehr ökonomische Macht erlangen können.<br />

Ausblick 2 – Ländlicher Raum<br />

Da rund die Hälfte <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, also weitere 200, im Landes<strong>in</strong>neren wohnen, prüft die<br />

Projektleitung <strong>der</strong>zeit, welche Hilfen <strong>zur</strong> Armutsreduzierung <strong>in</strong> Form von Erlangung<br />

sozialer Macht dort angeboten werden können. Clubs e<strong>in</strong>zuführen wird dort nicht ganz so<br />

e<strong>in</strong>fach se<strong>in</strong>, da es wenige Kirchen (hier: Kirchenräume) gibt und die BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong> viel<br />

weiter vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> entfernt wohnen, als <strong>in</strong> Bujumbura. E<strong>in</strong>e Möglichkeit für diese Region<br />

74


wäre jedoch, e<strong>in</strong>en solchen Club an e<strong>in</strong>e Schule anzukoppeln und die Schule neben <strong>der</strong><br />

Kirche mit <strong>in</strong> dieses System e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den.<br />

E<strong>in</strong> weiterer Ansatz könnte dort se<strong>in</strong>, verstärkt mit den Familien, <strong>in</strong> denen die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

wohnen, zu arbeiten und ihre Ressourcen zu entwickeln und Machtsphären zu empowern.<br />

Ausblick 3 – weitere Forschung<br />

E<strong>in</strong> Gegenstand weiterer Forschung könnte se<strong>in</strong> zu untersuchen, wie es K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen geht, die sich <strong>in</strong> ähnlichen Programmen bef<strong>in</strong>den. In <strong>Burundi</strong> wäre dies <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Baptistischen Kirche möglich, die mit ihrem Programm für benachteiligte K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Jugendliche weit über 1000 Betroffene erreicht.<br />

Untersuchungsgegenstand könnte se<strong>in</strong>:<br />

• welche Methodik dort e<strong>in</strong>geführt wurde, um Armut zu reduzieren (im S<strong>in</strong>ne<br />

von sozialer Macht zugänglich zu machen),<br />

• wie <strong>in</strong> diesem Projekt mit aneignungsorientierten Bildungsprozessen<br />

verfahren wird,<br />

• wie K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die <strong>in</strong> diesem Programm s<strong>in</strong>d, ihre Lebenssituation auf den von<br />

uns untersuchten drei Ebenen wahrnehmen,<br />

• welche Rolle die kirchliche K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendarbeit <strong>in</strong> ihrem Leben spielt<br />

und welche Auswirkungen das hat,<br />

• welche Lösungen ehrenamtliche Mitarbeiter dort sehen.<br />

Erkenntnisziel wäre hierbei, mehr empirisches Material <strong>zur</strong> Verfügung zu bekommen, was<br />

die Lebenssituation benachteiligter K<strong>in</strong><strong>der</strong> und <strong>Jugendlicher</strong> anbelangt, die <strong>in</strong> kirchlichen<br />

Programmen geför<strong>der</strong>t werden und das gleichzeitig die Bedürfnisse <strong>der</strong> BAHO-K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

bestätigt o<strong>der</strong> erweitert.<br />

E<strong>in</strong> weiterer Forschungsgegenstand könnte se<strong>in</strong>, benachteiligte K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche zu<br />

untersuchen, die schon <strong>in</strong> Programmen s<strong>in</strong>d, die das Konzept e<strong>in</strong>es BAHO-Clubs verfolgen<br />

(auch <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationalem afrikanischem Kontext). Hier könnte <strong>in</strong>teressant se<strong>in</strong> zu<br />

untersuchen:<br />

• Stellen diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Unterschied <strong>in</strong> ihrem Leben fest vor und nach<br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es Clubs?<br />

• Wie nehmen sie Armut war?<br />

• Welche Fortschritte <strong>in</strong> ihrem persönlichen und spirituellen Leben stellen sie<br />

fest?<br />

75


• Welche Auswirkungen hat es auf ihr Umfeld (Stichwort Haushalt/ Familie<br />

und weiteres Umfeld)?<br />

• Wie sehen sie ihre soziale Macht umgesetzt?<br />

• Gibt es <strong>in</strong> den Clubs e<strong>in</strong> Konzept des Lern- und Aktionsraums? Wäre es<br />

nötig, e<strong>in</strong> solches Konzept e<strong>in</strong>zuführen?<br />

• Wie haben die Kirchen, die solch e<strong>in</strong> Programm haben, von diesem<br />

profitiert?<br />

• Aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Jugendlichen/Betreuer: Wo gab es Ängste (Machtverlust,<br />

vgl. Jayakaran) und wie wurden Aneignungsprozesse<br />

verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t/blockiert/geför<strong>der</strong>t?<br />

Die oben genannten Punkte s<strong>in</strong>d natürlich nur Anstöße, die e<strong>in</strong>e gewisse Richtung<br />

vorgeben können und s<strong>in</strong>d sicher ergänzungswürdig.<br />

In diesem S<strong>in</strong>ne verstehe ich auch diese Arbeit: Sie soll e<strong>in</strong> Anstoß se<strong>in</strong>, Jugendarbeit neu<br />

zu gestalten und sie ist mit dem Anspruch verknüpft, dass Unvollkommenheit <strong>der</strong><br />

Ergänzung und des Diskurses bedarf. Es ist me<strong>in</strong>e Hoffnung, dass sie verantwortlichen<br />

Mitarbeitern hilft, ihre eigene Rolle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendarbeit zu überdenken, dass Kirchen sich<br />

ihrer Verantwortung im Bereich <strong>der</strong> Armutsbekämpfung bewusst werden und letztendlich,<br />

dass die Ergebnisse dieser Arbeit ke<strong>in</strong>e theoretischen bleiben, son<strong>der</strong>n konkret <strong>zur</strong><br />

Bewusstse<strong>in</strong>sbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirche und bei den benachteiligten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

<strong>in</strong> <strong>Burundi</strong> beiträgt.<br />

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81


Anhang<br />

Anhang 1: Beispiel e<strong>in</strong>er Auswertungstabelle <strong>der</strong> Antworten <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> 26 K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

Musaga bezogen auf den Lebensbereich Familie.<br />

Bereich Nennung Häufigkeit<br />

Was ich nicht<br />

mag - Familie<br />

Stehlen<br />

Stehlen<br />

ii<br />

Stehlen 5x/ 19,2% Mama beklauen ii<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> die Geld stehlen<br />

Gewalt Schlagen iiii<br />

Mit me<strong>in</strong>en Geschwistern streiten<br />

Körperliche<br />

Gewalt 8x/ 30,8%<br />

Mich mit me<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Geschwistern schlagen<br />

Mich mit an<strong>der</strong>en schlagen<br />

Eltern, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> schlagen<br />

Streit 4x<br />

Konflikte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie säen<br />

Bei Nachbarn Streit stiften<br />

Ich will, dass man sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie nicht streitet<br />

Ich möchte, dass wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie gut zusammen leben<br />

Leute zu sehen, die sich schlagen und sich hassen, tut mir<br />

nicht gut<br />

Verhalten Faul se<strong>in</strong> Ii<br />

Nachts zu spät kommen<br />

Nachts<br />

heimkommen 3x<br />

Nachts heimkommen<br />

Iii<br />

Mich aufregen 3x Mich aufregen Iii<br />

Sachen machen, die me<strong>in</strong>e Eltern aufregen<br />

Eltern, dir mir Befehle geben<br />

Ungehorsam 8x/<br />

30,8%<br />

Respekt 2x<br />

Ohne Erlaubnis<br />

weggehen 3x<br />

Ich mag nicht ungehorsam se<strong>in</strong><br />

Me<strong>in</strong>en Eltern ungehorsam se<strong>in</strong><br />

Jemanden nicht respektieren, <strong>der</strong> im Alter de<strong>in</strong>er Eltern ist<br />

Ich will dass man sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie respektiert<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die ohne Erlaubnis rausgehen<br />

Ohne zu sagen, wo ich h<strong>in</strong>gehe, gehen<br />

ii<br />

Ii ii ii<br />

ii<br />

beleidigen<br />

82


Beleidigen 5x /<br />

19,2%<br />

Me<strong>in</strong>e Eltern beleidigen<br />

iiii<br />

Lügen 4x Lügen iiii<br />

Schlecht reden<br />

Tod <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Familie<br />

Ich mag es nicht, sie oft zu treffen, weil sie nicht bei mir<br />

waren, als ich me<strong>in</strong>e Eltern und me<strong>in</strong>e Geschwister verloren<br />

habe<br />

Se<strong>in</strong> Elternteil und e<strong>in</strong> Geschwister zu verlieren<br />

Liebe<br />

In e<strong>in</strong>er Familie leben, wo sich die Eltern nicht verstehen<br />

Ich mag es nicht, wenn ich Eltern sehe, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht<br />

mögen<br />

Ich mag jemand nicht, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Familie nicht mag<br />

Recht/ Unrecht<br />

Nicht me<strong>in</strong>e Rechte bekommen, ungerecht behandelt werden<br />

K<strong>in</strong>d, das mir ungerechterweise weh tut<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die ke<strong>in</strong>en Respekt haben<br />

Eltern<br />

In e<strong>in</strong>er Familie, wo es ke<strong>in</strong>en gibt, <strong>der</strong> sich verantwortlich<br />

fühlt<br />

Eltern, die ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>zur</strong>ückweisen<br />

In e<strong>in</strong>er Familie leben, die dir nicht erlaubt, das zu tun, was<br />

de<strong>in</strong> Herz will und weil du siehst, dass es e<strong>in</strong>e wichtige Sache<br />

ist<br />

E<strong>in</strong> Elternteil, das mich vom beten abhält<br />

Eltern und an<strong>der</strong>e zuhause nicht respektieren<br />

ii<br />

Übriges<br />

Ärgern 3x<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die Passanten nach Geld fragen<br />

Mama verärgern<br />

Me<strong>in</strong>e Eltern ärgern<br />

Autoritäten/ große Geschwister ärgern<br />

In e<strong>in</strong>er nicht christlichen Familie zu se<strong>in</strong><br />

In e<strong>in</strong>er armen Familie leben, die die Schule nicht bezahlen<br />

kann<br />

Zu hause helfen<br />

83


Anhang 2: Verdichtete Darstellung <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>in</strong> Musaga, die Grundlage <strong>der</strong><br />

Diskussionsrunden mit den Betreuern und K<strong>in</strong><strong>der</strong>n war.<br />

In <strong>der</strong> Familie<br />

Stehlen 5x/ 19,2% 2<br />

Körperliche Gewalt 8x/ 30,8% 1<br />

Streit 4x/ 15% 3<br />

Nachts heimkommen 3x/ 11,5% 4<br />

Ungehorsam 8x/ 30,8% 1<br />

Ohne Erlaubnis weggehen 3x/ 11,5% 4<br />

Beleidigen 5x/ 19,2% 2<br />

Lügen 4x/ 15% 3<br />

In <strong>der</strong> Schule<br />

Betrügen 10x/ 37% 1<br />

Reden im unterricht 10x 37% 1<br />

Unterricht stören 8x/ 30,8% 2<br />

Diebstahl 7x/ 26,9% 3<br />

Schlagen/ Gewalt 6x/ 23,1%<br />

4<br />

7,7 % Gewalt durch Lehrer<br />

Respekt 2x/ 7,7% 5<br />

Freizeit/<br />

Erziehung<br />

Ungehorsam 6x/ 23,1%<br />

Arm se<strong>in</strong> 2x/ 7,7%<br />

Stehlen 12x/ 46,15% 5<br />

Verhalten<br />

Lügen 16x/ 61,53% 2<br />

Beleidigen 18x/ 69,23% 1<br />

Alkohol 6x/23,07%<br />

Gewalt<br />

Schlagen 14x/ 53,84% 3<br />

Weh tun 5x/ 19,2%<br />

Töten 4x/ 15,38%<br />

Krieg 2x/ 7,7%<br />

Ste<strong>in</strong>e werfen 2x/ 7,7%<br />

Sexualität<br />

Sexuelle Vergehen 13x/ 50% 4<br />

84


Erklärung<br />

Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig erstellt und außer den<br />

angegebenen Hilfsmitteln und Quellen ke<strong>in</strong>e weiteren Hilfsmittel und Quellen benutzt<br />

habe. Stellen, die wörtlich o<strong>der</strong> s<strong>in</strong>ngemäß aus an<strong>der</strong>en Werken entnommen wurden, habe<br />

ich als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit hat noch ke<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Prüfungsbehörde<br />

vorgelegen.<br />

.................................................... ......................................................<br />

(Ort, Datum)<br />

(Unterschrift)<br />

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