kein Platz für Handwerker - Nord-Handwerk
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Titel<br />
Über kurz oder lang<br />
schlägt das Pendel um<br />
Wem gehören die Städte? Darf man sie dem Markt überlassen?<br />
Benötigen wir die Städtebauförderung? Warum tut sich die Politik<br />
mit der Stadtentwicklung so schwer? Wir haben jemanden gefragt,<br />
der sich auskennt. Ein Gespräch mit Jörg Knieling, Professor<br />
<strong>für</strong> Stadtplanung und Regionalentwicklung an der HCU Hamburg.<br />
Herr Professor Knieling, wodurch zeichnet sich<br />
eine lebenswerte, zukunftsfähige Stadt aus?<br />
Jörg Knieling Ganz grundsätzlich<br />
dadurch, dass sie sozial ausgerichtet ist.<br />
Wo<strong>für</strong> sind denn Städte letztlich da? Für<br />
ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Diese<br />
Überzeugung bildet im Grunde auch den<br />
Kern der Stadtentwicklung.<br />
Also so etwas wie die „Stadt der kurzen<br />
Wege“; multifunktional, verdichtet, sozial<br />
durchmischt.<br />
Knieling Unter anderem. In Hamburg<br />
etwa wird auf Bezirks- und Quartiers ebene<br />
vielerorts versucht, durchmischte Strukturen<br />
zu schaffen, die wesentliche von den<br />
Menschen gestellte Anforderungen erfüllen.<br />
Das sind vor allem Arbeit, Wohnen,<br />
Versorgung und Naherholung. Ich halte<br />
das <strong>für</strong> ein gutes Konzept, zumal es in seiner<br />
Idealform weniger Verkehr produziert.<br />
Der zunehmende Straßenverkehr wird<br />
immer mehr zu einem der Hauptprobleme.<br />
Gibt es denn überhaupt noch Menschen <strong>für</strong><br />
eine solche Konzeption? Wir alle lieben Kinder,<br />
aber eine Kita nebenan hat es schwer.<br />
Ganz zu schweigen vom Tischler, dessen Betrieb<br />
die möblierte Behaglichkeit stört.<br />
Knieling So grundsätzlich würde ich das<br />
nicht behaupten. In der 1960er und 70er<br />
Jahren hat man größere Siedlungen am<br />
Stadtrand geplant und gebaut. Die negativen<br />
Folgen waren zusätzliche Verkehrsströme<br />
und der Verlust jeder Form von Durchmischung.<br />
Sie aber ist ein ganz wichtiges<br />
Qualitätsmerkmal funktionsfähiger Städte.<br />
Doch unbestreitbar entsteht bei solchen<br />
Konzepten ein hoher Koordinierungsaufwand.<br />
Das muss planerisch gründlich<br />
durchdacht sein. Und Durchmischung<br />
heißt ja nicht unbedingt, dass im Vorderhaus<br />
gewohnt wird, während im Hinterhof<br />
der Tischler seine Arbeit macht. Da lassen<br />
sich andere Modelle vorstellen, um das Gewerbe<br />
in den Stadtteilen zu konzentrieren.<br />
Gute Ansätze da<strong>für</strong> gibt es.<br />
Den Gewerbehof zum Beispiel.<br />
Knieling Genau.<br />
:: ZUR PERSON<br />
Professor Dr. Jörg Knieling ist Leiter des<br />
Fachgebiets Stadtplanung und Regionalentwicklung<br />
an der HafenCity Universität<br />
Hamburg (HCU) und Mitglied des Beirats<br />
<strong>für</strong> Raumentwicklung beim Bundesministerium<br />
<strong>für</strong> Verkehr, Bauen und<br />
Stadtentwicklung. Zu seinen Forschungsschwerpunkten<br />
gehören Strategien nachhaltiger<br />
Stadt- und Regionalentwicklung,<br />
Organisation von Metropolregionen und<br />
Planungskulturen in Europa.<br />
Von der lebenswerten Stadt scheinen wir weit<br />
entfernt zu sein. Die öffentlichen Debatten<br />
kreisen um Gentrifizierung, schrumpfende<br />
Städte, verödende Innenstädte. Sind das<br />
die Schwerpunkte der Stadtentwicklung?<br />
Knieling Das sind sicherlich nicht die<br />
einzigen Themen, aber wichtige. Das Phänomen<br />
des Bevölkerungsrückgangs ist im<br />
südlichen Niedersachsen unübersehbar, in<br />
Teilen Ostdeutschlands auch. Gentrifizierung<br />
betrifft die Wachstumsstädte: Berlin,<br />
München, Hamburg, Düsseldorf, um nur<br />
einige zu nennen.<br />
Andere Themen sind der Trend der Städte<br />
zur Internationalität und die Fragen, die<br />
die Wissensgesellschaft stellt. Die Stadt der<br />
Zukunft – die Metropole wie die Mittelstadt<br />
– ist bestrebt, ihre Qualitäten auf<br />
diesen Feldern zu stärken und sichtbarer<br />
zu machen. Das sind wichtige Standortfaktoren<br />
zum Beispiel bei der Ansiedlung von<br />
Unternehmen, oder – aus betrieblicher<br />
Sicht – beim Wettbewerb um Fachkräfte.<br />
Foto: HCU<br />
Wissensgesellschaft und Internationalität öffnen<br />
den Stadtentwicklern Gestaltungsräume.<br />
Die Gentrifizierung dagegen wirkt beinahe<br />
naturhaft zwangsläufig. Ist sie das auch?<br />
Knieling Zwangsläufig ist sie nur, wenn<br />
die Entwicklung dem Markt überlassen<br />
wird. Der Markt reagiert auf Nachfrage,<br />
und die Nachfrage nach Wohnraum in<br />
den Innenstädten steigt. Grundsätzlich ist<br />
das ja auch positiv. Oft werden Quartiere<br />
tatsächlich aufgewertet.<br />
Aber über kurz oder lang schlägt das<br />
Pendel um. Mieten und Grundstückspreise<br />
steigen, Mischgebiete werden zu Wohngebieten<br />
umgewidmet und so weiter. In der<br />
Folge wird die alteingesessene Bevölkerung<br />
verdrängt, genauso <strong>Handwerk</strong>, Kleingewerbe<br />
und Handel. Die Durchmischung<br />
weicht einem hochpreisigen Wohnquartier.<br />
Doch das ist <strong>kein</strong> Automatismus. Die<br />
Politik ist gefordert. Eine Stadt ist <strong>kein</strong><br />
freier Markt. Die Politik muss die sozialen<br />
Belange und die Belange kleingewerblicher<br />
Betriebe berücksichtigen.<br />
Sie muss Hilfestellung geben.<br />
Warum tut sie dann so wenig?<br />
Knieling Sie tut durchaus einiges gegen<br />
diese Fehlentwicklungen. Möglich sind<br />
soziale Erhaltungssatzungen und Vorgaben<br />
<strong>für</strong> den Neubau. Sie schreiben etwa vor,<br />
dass beim Wohnungsbau 30 Prozent der<br />
neuen Wohnungen eine Sozialbindung<br />
haben müssen. Solche Ansätze sind meines<br />
Erachtens planerisch sinnvoll.<br />
Die Politik also ist gefragt. Aber sie ist<br />
in einer schwierigen Position, weil sie in<br />
Marktprozesse eingreifen soll. Zudem<br />
betreffen diese Eingriffe häufig Eigentumsfragen.<br />
Das ist rechtlich kompliziert.<br />
Verödende Innenstädte sind ein anderes Problemfeld<br />
<strong>für</strong> die Stadtentwicklung. Betroffen sind<br />
kleine und mittlere Städte. Was läuft da schief?<br />
Knieling Geraume Zeit war es die „grüne<br />
Wiese“, die die Menschen zum Einkaufen<br />
aus den Innenstädten an die Peripherie<br />
gelockt hat. In den letzten Jahren gab es eher<br />
ein Aufatmen. Die großen Einzelhändler<br />
sind wieder in die Innenstädte zurückgekehrt.<br />
Allerdings erwies sich das auch nicht<br />
nur als vorteilhaft. Denn die Ketten haben<br />
kleinen Anbietern <strong>kein</strong>en Raum gelassen.<br />
Die Folgen sieht man in dem gleichförmigen<br />
Sortiment der Einkaufszentren.<br />
„Eine Stadt ist <strong>kein</strong> freier<br />
Markt. Die Politik muss die<br />
sozialen Belange und die<br />
Belange kleingewerblicher<br />
Betriebe berücksichtigen.<br />
Aber sie ist in einer<br />
schwierigen Position.“<br />
Auch hier ist es Aufgabe der Politik, ein<br />
offensives Innenstadtmarketing, ein Qualitätsmanagement<br />
anzustoßen. Die etablierten<br />
Strukturen sollten neu organisiert werden,<br />
um die Stadtzentren attraktiver zu machen.<br />
Viele Bundesländer haben Initiativen in<br />
diese Richtung entwickelt. Sie aufzugrei-<br />
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fen ist vor allem Sache der Akteure in den<br />
Kommunen – Politik, Verwaltung, Handel,<br />
Gewerbe, Bewohnerinnen und Bewohner.<br />
Der Bund hat die Städtebauförderung zurückgefahren.<br />
Ist sie verzichtbar?<br />
Knieling Absolut nicht. Sie ist ein<br />
wichtiges Instrument. Fatal ist die deutliche<br />
Kürzung im Bereich der Förderung<br />
„Soziale Stadt“.<br />
Benachteiligte Quartiere benötigen aber<br />
staatliche Förderung. Der Bund ist nicht<br />
bereit, weiterhin Mittel <strong>für</strong> „weiche“ Maßnahmen<br />
bereitzustellen, sondern konzentriert<br />
die Förderung auf Investitionen. Das<br />
ist <strong>für</strong> die soziale Quartiersentwicklung zu<br />
wenig. Nötig ist zum Beispiel, die Bewohner<br />
zu beteiligen, mit Schulen und sozialen<br />
Einrichtungen zusammenzuarbeiten. die<br />
Kultur als Partner zu gewinnen. Das alles<br />
fällt in die Stadtentwicklung hinein. Dadurch<br />
ist sie so komplex und manchmal<br />
sicherlich auch schwierig.