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Liquide Forderungen als Exclave gewerbemietvertraglicher Abkopplungsklauseln<br />
Fraglich ist aber, ob ein solches Verständnis noch dem Zweck<br />
einer Abkopplungsklausel entspricht. Um der Intention der<br />
Klausel gerecht zu werden, dem Vermieter zügig zu seinen Mieteinnahmen<br />
zu verhelfen, kann es nahe liegen zu verlangen, dass<br />
sich durch die Untersuchung der geltend gemachten Gegenrechte<br />
des Mieters bis zur Entscheidungsreife der Prozess über<br />
die Zahlungsklage nicht verzögern darf. 22 Muss aber zum Beispiel<br />
erst eine Beweisaufnahme zu geltend gemachten Minderungsrechten<br />
durchgeführt werden, so verzögert sich dadurch<br />
die Zahlungsklage. Denn der Zahlungsanspruch des Vermieters<br />
selbst kann ohne Beweisaufnahme bereits aus der Urkunde<br />
heraus abgeleitet und entscheidungsreif festgestellt werden.<br />
Dann könnte eine weitere Sachprüfung im Hinblick auf die Gegenrechte<br />
des Mieters nicht mehr stattfinden. Der Mieter bliebe<br />
mit seinen Gegenrechten weiterhin ausgehebelt.<br />
Lässt man dagegen eine Sachprüfung der Gegenrechte des<br />
Mieters wie zum Beispiel seiner geltend gemachten Minderungsrechte<br />
bereits bei der Zahlungsklage des Vermieters zeitlich<br />
unbeschränkt bis zur Entscheidungsreife zu, so würde dadurch<br />
im Ergebnis die Abkopplungsklausel weitgehend gegenstandlos.<br />
Die Abkopplungsklausel, die entscheidungsreife Gegenforderungen<br />
ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich<br />
ausnehmen will, wäre praktisch kaum mehr anwendbar. Sie würde<br />
also mit diesem Verständnis schon mittels Auslegung ausgeschaltet.<br />
Deshalb erscheint eine vermittelnde Lösung angezeigt. Wie<br />
dargelegt, kann eine materiellrechtliche Vertragsklausel keine<br />
feststehenden prozessrechtlichen Verfahrensregeln außer Kraft<br />
setzen. Deshalb ist auch an der Möglichkeit einer Beweisaufnahme<br />
zur Herbeiführung der Entscheidungsreife der Gegenforderung<br />
festzuhalten. Denn die Entscheidungsreife der Gegenforderung<br />
ist unter Verwertung sämtlicher verfahrensrechtlicher<br />
Erkenntnismöglichkeiten festzustellen, um überhaupt beurteilen<br />
zu können, ob die Abkopplungsklausel greift. Schon<br />
auf Grund dieses Ausnahmetatbestandes der Klausel ist eine<br />
Prüfung der Gegenforderung bis zur Entscheidungsreife vom<br />
prozessualen Streitgegenstand mit umfasst. Dieser Teil wird<br />
durch die Abkopplungsklausel gerade in den Streitgegenstand<br />
eingeführt und nicht ausgeblendet.<br />
Auf der anderen Seite gebietet die Intention der Klausel, dem<br />
Vermieter zu einem zügig titulierten Zahlungsanspruch zu verhelfen,<br />
diese Beweisaufnahme zur Entscheidungsreife der Gegenforderung<br />
zügig durchzuführen, um das Zahlungsverfahren<br />
möglichst wenig zu verzögern. Dies wird am sichersten dadurch<br />
erreicht, dass man die Beweismittel beschränkt. Zunächst kommen<br />
als zuzulassende Beweismittel der Urkundsbeweis sowie<br />
gegebenenfalls die Parteivernehmung wie im Urkundenprozess<br />
in Frage. Denn der Vermieter könnte seinen Zahlungsanspruch<br />
gleich im Wege des Urkundenprozesses geltend machen. 23 Auch<br />
die Abkopplungsklausel könnte er als Teil des Gewerbemietvertrages<br />
in das Urkundsverfahren einführen. Deshalb sind zumindest<br />
diese Beweismittel zuzulassen. Fraglich kann sein, welche<br />
weiteren prozessualen Beweismittel gleichfalls ohne Verzögerungseffekt<br />
zugelassen werden können. Zunächst ist der<br />
Zeugenbeweis zu nennen. Denn wenn in einem Beweisaufnahmetermin<br />
eine Parteivernehmung stattfinden kann, dann können<br />
in diesem Termin auch die Aussagen in Betracht kommender<br />
präsenter Zeugen ohne Verzögerung mit eingeführt werden.<br />
Denn der Beweisaufnahmetermin ist dann ohnehin anzuberaumen.<br />
Vor allem kann dadurch eine Vergleichsbasis geschaffen<br />
und die Vergleichsbereitschaft der Prozessparteien erhöht<br />
werden. Dadurch ergibt sich die Chance, den Rechtsstreit<br />
schneller durch Vergleich und ohne Urteil zu beenden. Das Prozessgericht<br />
wird entlastet. Dagegen sind zeitlich langwierige<br />
sachverständige Begutachtungen oder der richterliche Augenschein,<br />
für den ein eigener Ortstermin notwendig ist, unter<br />
Berücksichtigung der ratio der Abkopplungsklausel als zulässige<br />
Beweismittel auszusondern.<br />
Grundsätzlich ist also ein Termin zur Beweisaufnahme zuzulassen.<br />
Zumindest mit diesen Beweismitteln ist die Entscheidungsreife<br />
der Gegenforderung festzustellen. Verzögert<br />
sich der Rechtsstreit dadurch ausnahmsweise nicht, bestehen<br />
auch keine Bedenken, alle zivilprozessualen Beweismittel zuzulassen.<br />
Wie dargelegt, müssen die Beweisergebnisse darüber<br />
hinaus auch im Hinblick auf die Begründetheit der Gegenforderung<br />
selbst verwertet werden. 24 Dieser Schluss ist bereits aus<br />
sachlogischen Erwägungen geboten. Denn wenn mit der Entscheidungsreife<br />
der Gegenforderung die Abkopplungsklausel<br />
nicht greift, dann ist über die geltend gemachte Gegenforderung<br />
selbst bereits im Rechtsstreit über die Zahlungsklage des Vermieters<br />
zu entscheiden. Die von den Abkopplungsklauseln angestrebte<br />
Zügigkeit ist dadurch zu realisieren, dass es auf die<br />
Entscheidungsreife im ersten Termin ankommt. Ein solches<br />
Klauselverständnis ist prozessökonomisch wünschenswert und<br />
entspricht auch der im Rahmen der ZPO-Reform 2002 noch<br />
stärker betonten Konzentrationsmaxime. Danach haben die Prozessparteien<br />
möglichst umgehend und vollständig den gesamten<br />
Streitstoff darzustellen.<br />
Wenn aber die Entscheidungsreife der Gegenforderung des<br />
Gewerbemieters nicht bereits vor Prozessbeginn feststehen<br />
muss, sondern erst im ersten Termin des Erkenntnisverfahrens<br />
zur Zahlungsklage des Vermieters herbeigeführt werden kann,<br />
dann kann sich entgegen der bisher geübten Praxis der beklagte<br />
Gewerbemieter gegenüber dem Zahlungsanspruch des Vermieters<br />
auch mit einem Tatsachenvortrag verteidigen, aus dem<br />
seine Gegenforderungen als Grundlage seiner Gegenrechte resultieren.<br />
Mit einem solchen Tatsachenvortrag ist er nicht ausgeschlossen,<br />
auch wenn grundsätzlich der materiellrechtliche<br />
Gehalt der Abkopplungsklausel im Prozess gerichtlich zu beachten<br />
ist. Am Schluss der mündlichen Verhandlung hat das Gericht<br />
festzustellen, ob die Klausel greift und Gegenrechte des<br />
Gewerbemieters ausschließt, oder ob es dem Gewerbemieter<br />
gelungen ist, seine Gegenrechte mit liquiden Forderungen zu<br />
unterlegen und die Sperrwirkung der Abkopplungsklausel damit<br />
zu umgehen. 25<br />
2. Gleichstellung unbestrittener mit unbestreitbaren<br />
Gegenforderungen?<br />
Bereits die vorangegangenen Darlegungen haben gezeigt,<br />
dass die unbestrittene Gegenforderung des Gewerbemieters einen<br />
Unterfall der entscheidungsreifen und damit der liquiden<br />
Gegenforderung darstellt. Zu untersuchen bleibt, ob eine Gleichstellung<br />
unbestrittener Gegenforderungen mit unbestreitbaren<br />
Gegenforderungen geboten ist. Damit sind Forderungen gemeint,<br />
deren Grundtatsachen allgemein oder gerichtsbekannt<br />
sind oder offenkundig „auf der Hand liegen“. Über offenkundige<br />
Forderungen muss gemäß § 291 ZPO ebenfalls kein Beweis<br />
erhoben werden. Dies spricht bereits für eine Gleichbehandlung.<br />
Die Beachtlichkeit auch unbestreitbarer Gegenforderungen<br />
wird teilweise als notwendige Ausnahme zu Aufrechnungsbeschränkungen<br />
anerkannt. 26 Denn die unbestreitbare Gegenfor-<br />
22) In diese Richtung auch: BGH, Urteil vom 9. 2.1960 – VIII ZR 53/59, NJW<br />
1960, S. 859 (859).<br />
23) Vgl. dazu im Einzelnen BGH, Beschluss vom 10. 3.1999 – XII ZR 321/97,<br />
WuM 1999, S. 345; jetzt auch: BGH, Urteil vom 1. 6. 2005 – VIII ZR<br />
216/04, WuM 2005, S. 526 (527) für die Wohnraummiete; Musielak-Voit,<br />
§ 592 ZPO Rn. 5; Wolf/Eckert/Ball, Rn. 464, S.153; Fritz, Gewerberaummietrecht,<br />
S. 314 Rn. 590; Blank/Börstinghaus, § 536 BGB Rn. 96;<br />
Fischer, in: Bub/Treier, Teil VIII, Rn. 41, S.1594; Junker, in: Lützenkirchen<br />
(Hrsg.), Anwaltshandbuch Mietrecht, 2. Auflage 2003, Teil D Rn.<br />
232, S. 530 und Schneider, ebenda, Teil M, Rn. 211, S.1867; OLG Oldenburg,<br />
Urteil vom 10. 2.1999 – 3 U 121/98, WuM 1999, S. 225 (226)<br />
m.w. N.<br />
24) BGH, Urteil vom 9. 2.1960 – VIII ZR 53/59, NJW 1960, S. 859 (859).<br />
25) Eine ältere Rechtsprechung des BGB aus der Zeit vor Erlass AGB-rechtlicher<br />
Vorschriften bewertete die Berufung auf eine Abkopplungsklausel<br />
in der Zahlungsklage bei in diesem Verfahren festgestellter Entscheidungsreife<br />
von Gegenforderungen sogar als treuwidrig (BGH, Urteil vom<br />
15. 2.1978 – VIII ZR 242/76, WPM 1978, S. 620 zum vertraglichen Aufrechnungsverbot;<br />
BGH, Urteil vom 9. 2.1960 – VIII ZR 53/59, NJW 1960,<br />
S. 859 (859); BGH, Urteil vom 27. 3.1969 – VII ZR 2/67, VersR 1969,<br />
S. 733 (734).<br />
26) Graf von Westphalen, in Graf von Westphalen, „Aufrechnungsklausel“,<br />
Rn. 7, S. 27; Hensen, in Ulmer/Brandner/Hensen, §11 Nr. 3 AGBG Rn.<br />
4 m.w. N.; Schneider, MDR 1986, S.181 (183).<br />
Gewerbemiete und Teileigentum · Heft 27 · 2–3/06 · Februar/März 2006 61