Vivaldi in - Rondo
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Woche im Vatikan. Die Schule, auf die ich<br />
g<strong>in</strong>g, gehörte zum Vatikanstaat. Wir sangen<br />
sonntags die Messe <strong>in</strong> der Sixt<strong>in</strong>ischen<br />
Kapelle. Es kam vor, dass ich dem Papst vorsang,<br />
während ihm der Kaffee gereicht wurde.<br />
Damals fühlte ich mich seltsam. In dem Aufzug,<br />
den wir tragen mussten, wurden wir von<br />
den Touristen angestarrt. Aber wir kamen<br />
uns auch irgendwie wichtig vor. Das g<strong>in</strong>g<br />
zehn Jahre so, von vier bis 14. Aber verstehen<br />
Sie mich nicht falsch, ich will hier nicht den<br />
‚Vittorio-Code’ entschlüsseln! Es ist nur e<strong>in</strong>fach<br />
Teil me<strong>in</strong>er Geschichte. Ich möchte mehr se<strong>in</strong><br />
als nur e<strong>in</strong> Operntenor.<br />
E<strong>in</strong>igen Hörern <strong>in</strong> Deutschland könnte diese<br />
Musik kitschig vorkommen, oder?<br />
Ich kann nur sagen, dass diese Musik soft<br />
kl<strong>in</strong>gen muss. Und dass wir im Leben schon<br />
oft genug hart und unnachgiebig s<strong>in</strong>d. Auch <strong>in</strong><br />
der Oper muss ich immer den starken Mann<br />
mimen. Hier nicht. Das „Ingemisco“ aus<br />
Verdis „Requiem“ würde ich nie<br />
allzu stählern s<strong>in</strong>gen wollen.<br />
Sondern im S<strong>in</strong>ne von: „Gott,<br />
hilf mir!“<br />
S<strong>in</strong>d diese Lieder Ausdruck<br />
Ihrer echten religiösen Gefühle?<br />
Absolut. Als K<strong>in</strong>d habe ich<br />
zur Jungfrau gebetet – und<br />
auch zu ihr gesungen. Sie<br />
hat geantwortet. Dabei b<strong>in</strong> ich<br />
geblieben. Wir s<strong>in</strong>d alle Sünder,<br />
oder? Beim Essen fängt es an.<br />
Und fordern Sie mich nicht auf<br />
zu sagen, wo es endet. Die Welt ist<br />
unsicher und ungewiss. Dass wir an<br />
irgendwas glauben müssen, sche<strong>in</strong>t<br />
mir klar.<br />
Warum kehren Sie so früh zu Ihren biografischen<br />
Wurzeln zurück?<br />
Weil ich nicht weiß, was morgen ist. Me<strong>in</strong><br />
Körper, me<strong>in</strong>e Seele und me<strong>in</strong>e Stimme s<strong>in</strong>d<br />
reif wie e<strong>in</strong> Apfel, der vom Baum fällt. Und wer<br />
sagt mir, dass ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong> paar Jahren noch so<br />
geduldig b<strong>in</strong>, mit den m<strong>in</strong>derjährigen Jungs<br />
zusammenzuarbeiten, die auf der CD mitwirken<br />
und so schwer wie e<strong>in</strong> Sack Flöhe zusammenzuhalten<br />
waren? Hat sich gelohnt. Die<br />
Jungs s<strong>in</strong>d super!<br />
Da Sie den Vatikan von <strong>in</strong>nen kennen: Ist<br />
Ihnen die sogenannte „schwule Mafia“ begegnet,<br />
von welcher der neue Papst sprach?<br />
Mir nicht. Auf me<strong>in</strong>er Jungs-Schule waren die<br />
Priester, die uns betreuten, bereits um die 70.<br />
Sie blieben sehr für sich. Ich kann mir all das,<br />
ehrlich gesagt, nicht recht vorstellen. Aber<br />
wenn Sie darüber nachdenken: Eigentlich ist<br />
es doch so, wie wenn man e<strong>in</strong>e Angel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Karpfenteich auswirft. Ich danke Gott, dass<br />
mir das erspart geblieben ist.<br />
In früheren Zeiten kamen zahllose große<br />
Tenöre aus Italien: Carlo Bergonzi, Franco<br />
Corelli, Mario del Monaco oder Luciano<br />
Pavarotti. Heute gibt es nur Sie, Massimo<br />
Giordano und wenige andere. Warum?<br />
Und Enrico Caruso nicht zu vergessen! Der<br />
Grund für die heutige Flaute: ke<strong>in</strong> Geld. Und<br />
zu viel Ärger <strong>in</strong> Italien. In der Zeit, von der wir<br />
sprechen, war die italienische Oper e<strong>in</strong> musikalisches<br />
Zentrum. Beniam<strong>in</strong>o Gigli war e<strong>in</strong>e<br />
Ave, Vittorio!<br />
Zum religiösen Schlager, vulgo: zum ‚Sakro-Kitsch‘ gehört<br />
mehr Mut als man denkt. Wer von den großen Sängern<br />
hätte schon gewagt, den Vatikan sozusagen durchs<br />
Kirchen-Fenster zu entern?! Mario Lanza komb<strong>in</strong>ierte<br />
se<strong>in</strong> „Ave Maria“ mit sizilianischen Volks-Schmankerln.<br />
Jessye Norman verbrämte ihre „Geistlichen Lieder“ politisch<br />
korrekt mit Gospels und Spirituals. Und José Carreras<br />
aktivierte eigens die Wiener Sängerknaben, um<br />
keusch mit dem Tüchle<strong>in</strong> zu wedeln. Luciano Pavarotti<br />
„and Friends“ trauten sich nur im Star-Vere<strong>in</strong> an die<br />
tropfheiße Ware. So gesehen zeigt sich Vittorio Grigòlo,<br />
<strong>in</strong>dem er die weiche Tour ganz direkt fährt, erneut als<br />
der Beherztere. (rfr)<br />
Art Robbie Williams se<strong>in</strong>er Zeit. Mir sche<strong>in</strong>t es<br />
klar, dass jene Zeit mehr Talente hervorbr<strong>in</strong>gen<br />
konnte. Die Oper heute ist total unwichtig<br />
geworden. Freilich gibt es sie noch. Aber<br />
e<strong>in</strong> Star zu werden, ist sehr schwierig. Man<br />
braucht das Aussehen, das Charisma, die<br />
Stimme und gewisse Verb<strong>in</strong>dungen. Nicht nur<br />
e<strong>in</strong>en schönen Tenor.<br />
Das Aussehen und die Stimme des lat<strong>in</strong><br />
lovers haben Sie. Genießen Sie es?<br />
Glauben Sie wirklich, dass man ernst genommen<br />
wird <strong>in</strong> unserem Beruf ? Alles bloß<br />
Oberfläche! Ich b<strong>in</strong> gerade mitten <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er<br />
Scheidung. Da fühlt man sich nicht als lat<strong>in</strong><br />
lover. Außerdem glaube ich, dass es nicht so<br />
sehr auf Äußerlichkeiten ankommt als auf die<br />
Signale, die man aussendet. Auf das Flirten.<br />
Und auf die Botschaft, dass man die anderen<br />
mag.<br />
Woher können Sie flirten?<br />
Das kann e<strong>in</strong>em niemand beibr<strong>in</strong>gen. Ich<br />
habe schon als Schüler Gedichte an me<strong>in</strong>e<br />
Klassen-Nachbarn geschrieben. Ich war nie<br />
der hard guy. Immer der soft guy. Ich fühle<br />
mich bis heute <strong>in</strong> der Rolle e<strong>in</strong>es romantisch<br />
dekadenten Poeten, der e<strong>in</strong> bisschen aus der<br />
Zeit gefallen ist.<br />
Als Sie <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> den Echo überreicht bekamen,<br />
widmeten Sie ihn mit Tränen <strong>in</strong><br />
den Augen Ihrem verstorbenen Kollegen<br />
Salvatore Licitra. Hatten Sie das geplant?<br />
Ne<strong>in</strong>, es geschah spontan – und war authentisch.<br />
Ich hatte zuvor <strong>in</strong> der Garderobe e<strong>in</strong>em<br />
Freund über das Licitra-Konzert <strong>in</strong> Tel Aviv berichtet,<br />
bei dem ich lange mit ihm zusammen<br />
war. Wir waren geme<strong>in</strong>sam Hubschrauber geflogen<br />
und hatten wirklich Spaß.<br />
Ich neige sonst nicht zu Tränen.<br />
Aber auch Lucio Dalla war gestorben,<br />
mit dem ich gut befreundet<br />
war. Es hat mich halt überwältigt.<br />
Woher kommt neuerd<strong>in</strong>gs der<br />
Akzent auf dem „o“ <strong>in</strong> „Grigòlo“?<br />
Er war immer da. Me<strong>in</strong> Vater hat<br />
ihn draufgesetzt, damit der Name<br />
auf dem „o“ akzentuiert wird – und<br />
nicht auf dem i. Denn er kommt<br />
aus dem Deutschen: von Gregorius.<br />
Muss also, wie Sie wissen, h<strong>in</strong>ten<br />
betont werden. Nicht vorne.<br />
Neu erschienen: Ave Maria<br />
(Arien von Cacc<strong>in</strong>i, Franck, Verdi,<br />
Schubert, Bartolucci u. a.), Sony<br />
Abonnenten-CD: Track 9<br />
Vittorio Grigòlo auf Tournee:<br />
7.11. Hannover, Kuppelsaal<br />
9.11. Essen, Philharmonie<br />
11.11. Dortmund, Konzerthaus<br />
4./7./11.12. Wien, Staatsoper (Rodolfo, „La<br />
Bohème“)<br />
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