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Vivaldi in - Rondo

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Das e<strong>in</strong>sätzige 1. Streichquartett,<br />

das Ligeti mit „Métamorphoses<br />

nocturnes“ untertitelt<br />

hat, besitzt mit se<strong>in</strong>en expressionistischen<br />

Schraffuren e<strong>in</strong>en beklemmenden<br />

Drive. Das fünfsätzige<br />

Zweite ist e<strong>in</strong> Ausbund an<br />

flirrenden Klangeffekten und regelrecht<br />

chorisch anmutenden<br />

Slow-Motion-Achterbahnen, an<br />

tickenden Pizzicati und m<strong>in</strong>imalistisch<br />

dah<strong>in</strong>gleitenden Momenten.<br />

Und ob sich hier wie da zudem<br />

grotesk Spöttisches und fe<strong>in</strong>gliedrig<br />

Traumhaftes im Gewebe<br />

festsetzt – das ungarische Keller<br />

Quartett kann mit bestmöglichem<br />

Gespür all diese Ausdruckszonen<br />

mit e<strong>in</strong>er ungeheuren Spannung<br />

aufladen und genauso wieder mikrofaserfe<strong>in</strong><br />

entladen. Zwischen<br />

diesen beiden Seiten e<strong>in</strong>er Ligeti-Medaille<br />

hat man das berühmte<br />

„Adagio“ aus dem Streichquartett<br />

des Amerikaners Samuel Barber<br />

gestellt. Und wenngleich das<br />

Keller Quartett dieses Stück mit<br />

se<strong>in</strong>em hymnischen Fluss wie aus<br />

e<strong>in</strong>er ganz anderen Zeit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>schweben<br />

lässt, steht es dem Ausspitzen<br />

der Nachkriegsavantgarde<br />

bereits die radikale Durchrationalisierung<br />

von Musik. 15 Jahre<br />

später – Ligeti war längst <strong>in</strong> den<br />

Westen geflüchtet – entstand se<strong>in</strong><br />

2. Streichquartett <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit,<br />

<strong>in</strong> der die e<strong>in</strong>stigen Hohepriester<br />

des Serialismus sich mittlerweile<br />

im politischen Kampf (Luigi<br />

Nono) oder esoterischen Ideengebäuden<br />

(Karlhe<strong>in</strong>z Stockhausen)<br />

befanden. So konträr Ligetis Beschäftigung<br />

mit der kammermusikalischen<br />

Königsgattung ausgefallen<br />

ist, was Form und Ausdruck<br />

angeht, so spiegeln beide Quartette<br />

doch se<strong>in</strong>e gedankliche Unabhängigkeit<br />

von Dogmen jedweder<br />

Art wider. Von se<strong>in</strong>en Kollegen<br />

wäre er daher <strong>in</strong> den 1950ern für<br />

se<strong>in</strong>e Rückbezüge auf Béla Bartók<br />

geteert und gefedert worden. Und<br />

wenngleich das 2. Quartett zum<strong>in</strong>dest<br />

an die Chromatik se<strong>in</strong>es<br />

Erstl<strong>in</strong>gswerks anknüpft, pulverisierte<br />

Ligeti erneut das konturierte<br />

Stimmengeflecht und erkundete<br />

die Bewegungsstrukturen von<br />

Musik auf ganz unterschiedliche<br />

Weise.<br />

Satzes sollte aufgeweicht werden<br />

zugunsten e<strong>in</strong>er authentischeren<br />

musikalischen Umsetzung<br />

der im Text reichlich ausgebreiteten<br />

Emotionen; dem Ausnahmezustand<br />

des Gemüts sollte mit<br />

e<strong>in</strong>em ebensolchen auf der Ebene<br />

der musikalischen Struktur entsprochen<br />

werden.<br />

Freilich: Luca Marenzio ließ<br />

1580 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em „Primo libro“<br />

noch nicht e<strong>in</strong>mal erahnen, was<br />

Gesualdo <strong>in</strong> puncto bewusst gesetzte<br />

„Satzfehler“ zwanzig, dreißig<br />

Jahre später skandalöser Weise<br />

(und als Adliger ganz ohne<br />

Rücksicht auf se<strong>in</strong>e Musiker-Reputation)<br />

wagen sollte. Aber die<br />

nervöse Erregtheit, ja bisweilen<br />

die Sprunghaftigkeit der Musik<br />

überträgt sich auch hier schon direkt<br />

auf den Hörer.<br />

Die erfahrenen italienischen<br />

Sänger der „Compagnia del Madrigale“<br />

br<strong>in</strong>gen es als „native<br />

speaker“ allerd<strong>in</strong>gs auch zu e<strong>in</strong>er<br />

Unmittelbarkeit, die ihresgleichen<br />

sucht. Nicht immer und allerorten<br />

bewegt sich die Intonation auf allerhöchstem<br />

Niveau (diesbezügdrucksmusiker<br />

Ligeti näher als<br />

man vermutet hätte.<br />

<br />

Guido Fischer<br />

Luca Marenzio<br />

Primo libro di madrigali<br />

●●●●○<br />

La Compagnia del<br />

Madrigale<br />

Glossa/Note 1 GCD<br />

922802<br />

(67 M<strong>in</strong>., 9/2010 & 8/2011)<br />

Die Gattung Madrigal war um die<br />

Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert<br />

e<strong>in</strong>e fasz<strong>in</strong>ierende poetischmusikalische<br />

Hexenküche. Man<br />

experimentierte auf der Basis affektgetränkter,<br />

hochexpressiver<br />

Gedichte mit musikalischen Mitteln,<br />

die <strong>in</strong> der von den Theoretikern<br />

der Zeit strenger „bewachten“<br />

Kirchenmusik nicht denkbar<br />

gewesen wären. E<strong>in</strong> Paradigmenwechsel<br />

bereitete sich vor: Die bisweilen<br />

zur Sterilität tendierende<br />

Makellosigkeit des musikalischen<br />

Horowitz-Box<br />

Diverse<br />

Vladimir Horowitz Live At Carnegie<br />

Hall<br />

(41 CDs + Bonus-DVD,<br />

1943-1978), RCA/Sony<br />

Als der alte Vladimir<br />

Horowitz 1986 nach<br />

Deutschland zurückkehrte,<br />

brach Begeisterung<br />

über e<strong>in</strong> Musizieren<br />

aus, das schon damals nicht mehr ganz von<br />

dieser Welt war, galten doch längst Pianisten<br />

wie Poll<strong>in</strong>i oder Zimerman als Stil-Ikonen der<br />

Klavierstudenten. In e<strong>in</strong>er werktreu-objektiven<br />

Welt löste Horowitz’ romantische Besitznahme<br />

des Notentextes noch e<strong>in</strong>mal ungläubiges Staunen<br />

aus. Doch das ist lange her, und Horowitz´<br />

Stern sche<strong>in</strong>t seitdem tief unter den Horizont<br />

gesunken zu se<strong>in</strong>.<br />

Ganz ohne Jubiläumsdruck hat die Sony<br />

nun e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>drucksvollen „Ziegelste<strong>in</strong>“ herausgebracht,<br />

der neben allen autorisiert mitgeschnittenen<br />

Konzerten aus der Carnegie Hall<br />

zwischen 1949 und 1978 auch e<strong>in</strong>e Reihe von<br />

Privataufzeichnungen aus der heiligen Halle<br />

enthält. Wir s<strong>in</strong>d zur Besichtigung e<strong>in</strong>es erstaunlichen<br />

Denkmals e<strong>in</strong>geladen.<br />

Die Horowitz-Diskografie ist e<strong>in</strong> teuflisch<br />

komplizierter Gegenstand, so oft wanderten<br />

e<strong>in</strong>zelne Tracks von e<strong>in</strong>er Kompilation zur anderen,<br />

von den Labelfusionen ganz zu schweigen.<br />

Vielfach riss man die gelungensten live-Mitschnitte<br />

aus ihrem Kontext; hier s<strong>in</strong>d<br />

endlich e<strong>in</strong>mal die vollständigen Konzerte beisammen,<br />

angeblich unretuschiert, und dar<strong>in</strong><br />

f<strong>in</strong>det sich erstaunlich viel an bisher unveröffentlichter<br />

Musik, grob geschätzt zehn<br />

der 41 CDs. Aber diese Edition ist nicht nur für<br />

die Sammler da. Sie überwölbt Horowitz’ ganze<br />

Karriere, enthält eigentlich alle Repertoire-<br />

Leuchttürme und erlaubt regelrechte Versuchsreihen.<br />

E<strong>in</strong>e Komposition wie Chop<strong>in</strong>s h-Moll-<br />

Scherzo (5x vorhanden, dreimal „neu“) spiegelt<br />

<strong>in</strong> ihren Verwandlungen die fiebrige Unrast<br />

e<strong>in</strong>er nicht endenden Suche. Nur die krachenden<br />

Doppeloktaven am Ende s<strong>in</strong>d sich immer<br />

gleich, und das Gebrüll des Publikums, das<br />

nicht weiß, wie viel schwerer die Skalen gewesen<br />

wären ... Diese Episoden krachender Zuspitzung,<br />

wie sie aus unserem Konzertleben<br />

völlig verschwunden s<strong>in</strong>d, s<strong>in</strong>d nicht die e<strong>in</strong>zige<br />

„Stilrichtung“, auch wenn das Mäkeln über<br />

se<strong>in</strong>e Manierismen e<strong>in</strong> Topos der Horowitz-Kritik<br />

ist. Beethovens D-Dur-Sonate (op. 10/3), die<br />

im Studio unausgewogen und bemüht wirkte,<br />

geriet im Saal wie aus e<strong>in</strong>em Guss, und – um,<br />

noch e<strong>in</strong>mal Horowitz’ „Problemkomponisten“<br />

zu bemühen – die Variationen c-Moll, 1934 mit<br />

blendender Rasanz e<strong>in</strong>gespielt, s<strong>in</strong>d 30 Jahre<br />

später und zwei M<strong>in</strong>uten länger <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vollendeten<br />

Balance aus Klangtüftelei und Vorwärtsdrang.<br />

H<strong>in</strong>reißend auch die „Kreisleriana“,<br />

1968 <strong>in</strong> der Nähe der glorreichen Studiofassung<br />

e<strong>in</strong>gefangen. Horowitz kam nicht mit<br />

e<strong>in</strong>gemeißelt festen Interpretationsvorsätzen<br />

auf die Bühne, das Konzept war offen für Spontaneität,<br />

Stimmung, Laune. Das barg Chancen<br />

und ebenso große Risiken. Auch bei Schumann<br />

g<strong>in</strong>g vieles daneben, aber das Fasz<strong>in</strong>osum ist,<br />

wie es <strong>in</strong> ihm arbeitet. Dieses ewige Gestalten<br />

und Umgestalten konnte Episoden geradezu<br />

ungeheuerlicher E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichkeit hervorbr<strong>in</strong>gen,<br />

und es entwertet diese Kunst nicht, dass er<br />

die zweite „Kreisleriana“, musikalisch die Heikelste,<br />

im Studio nicht <strong>in</strong> dieser narkotisierenden<br />

Schönheit reproduzieren konnte. Dass da<br />

e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong> Repertoire nicht <strong>in</strong> olympischer Gelassenheit<br />

verwaltete, sondern öffentlich dem<br />

Glanz und dem Zerfall aussetzte, das macht die<br />

ungebrochene Anziehungskraft dieses alten<br />

Zauberers aus. Matthias Kornemann<br />

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