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UND LANDWIRTSCHAFT - Schweizer Fleisch

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TIERSCHUTZ<br />

<strong>UND</strong> <strong>LANDWIRTSCHAFT</strong><br />

TIERWOHL GEHT UNS ALLE AN<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Tierschutz und Landwirtschaft:<br />

Tierwohl geht uns alle an<br />

Die extrem ansteigende Nachfrage nach<br />

<strong>Fleisch</strong> und anderen tierischen Produkten,<br />

weit über den «reichen Westen»<br />

hinaus auch in vormals ärmeren Ländern,<br />

erfüllt viele Menschen mit Sorge.<br />

Denn hinter der weltweiten Demokratisierung<br />

des <strong>Fleisch</strong>-, Milchprodukte- und<br />

Eierkonsums verbergen sich zumeist eine<br />

intensive Tierproduktion mit Massentierhaltung<br />

in tierquälerischen Haltungsformen,<br />

überzüchtete Tiere, Qualtransporte,<br />

brutale Schlachtmethoden und<br />

ökologisch, ethisch und tiergesundheitlich<br />

fatale (Kraft-)Futterdiäten.<br />

Grundsätzliche Fragen nach der ethischen<br />

Berechtigung der Tiernutzung werden<br />

heute nicht nur von Ethikern und<br />

Tierrechtsaktivisten, sondern auch von<br />

breiten Kreisen der Bevölkerung gestellt,<br />

insbesondere auch von jungen Menschen,<br />

die sich vegetarisch oder gar vegan ernähren.<br />

Dieser tierethisch konsequenten Haltung<br />

entgegnen Kritiker, dass Tierhaltung<br />

nicht gleich Tierhaltung sei. Vielmehr sei<br />

eine bäuerliche, standortangepasste und<br />

artgerechte Tierhaltung im Unterschied<br />

zur Massentierhaltung eben gerade kein<br />

Problemverursacher, sondern könne einen<br />

nachhaltigen Beitrag zur zukünftigen<br />

Ernährung der Menschheit und zum<br />

Schutz der weltweiten Ressourcen leisten.<br />

Die vorliegende Broschüre soll interessierten<br />

Tierschützerinnen und Konsumenten<br />

Entwicklung, Bedeutung und<br />

Probleme der Nutztierhaltung aufzeigen<br />

und ihnen bei der Bildung einer eigenen<br />

Meinung behilflich sein. Denn die Nutztierhaltung<br />

geht uns alle an. Diese Dokumentation<br />

will aber auch Rechenschaft<br />

über den Nutztierschutz in den vergangenen<br />

Jahren ablegen und darlegen, wo<br />

heute beim Tierwohl in der Schweiz und<br />

international Handlungsbedarf besteht.<br />

Dr. Hansuli Huber, dipl. ing. agr. ETH<br />

Geschäftsführer Fachbereich<br />

<strong>Schweizer</strong> Tierschutz STS<br />

1. Nutztierhaltung im Spannungsfeld 3<br />

2. Landwirtschaft und Nutztierhaltung 7<br />

2.1 Domestikation 7<br />

2.2 Geschichtliches zur Nutztierhaltung 8<br />

2.3 Zum Mensch-Tier-Verhältnis 10<br />

2.4 Tiernutzung: ethisch gerechtfertigt? 12<br />

3. Nutztierhaltung in der Schweiz im 20. Jahrhundert 14<br />

3.1 Tierwohl trotz Notzeiten 14<br />

3.2 Verlorene Jahrzehnte 14<br />

4. Tierschutzgesetz 17<br />

4.1 Entwicklung Tierschutzgesetzgebung von 1981 bis 2011 17<br />

4.2 Bewertung des neuen Tierschutzgesetzes (TSchG) 20<br />

4.3 Bewertung der neuen Tierschutzverordnung (TSchV) 21<br />

4.4 Vollzug 22<br />

5. Agrarpolitik 23<br />

5.1 Entwicklungen von 1951 bis 2011 23<br />

5.2 Landwirtschaftsgesetz und Direktzahlungen 26<br />

5.3 Tierwohlförderung 27<br />

5.4 Stellenwert des Tierwohls bei Steuerzahlern und Konsumenten 28<br />

6. Information, Markt und Konsum29<br />

6.1 Entwicklung von 1972 bis 2011 29<br />

6.2 Information und Beratung 33<br />

6.3 Detailhandel setzt auf Produkte aus tierfreundlicher Haltung 33<br />

6.4 Zögerliche Gastronomie 34<br />

7. Tierschutzkonforme Importe 35<br />

7.1 Gesetzliche und privatwirtschaftliche Möglichkeiten 35<br />

7.2 Unterschiedliche Bedeutung des Tierwohls<br />

in der Schweiz und der EU 36<br />

8. Tierwohlhandlungsbedarf in der Schweiz39<br />

8.1 Allgemeines 39<br />

8.2 Tierschutzprobleme Rindergattung 39<br />

8.3 Tierschutzprobleme Schweinegattung 43<br />

8.4 Tierschutzprobleme Geflügel 45<br />

8.5 Tierschutzprobleme Schafe, Ziegen und Kaninchen 48<br />

8.6 Tierschutzprobleme Pferde 49<br />

8.7 Tierschutzprobleme Transporte 49<br />

8.8 Tierschutzprobleme Schlachthöfe 50<br />

8.9 Weitere Aspekte der Nutztierhaltung 50<br />

8.10 Ressourcenverschleuderung 54<br />

9. Massnahmen zur Verbesserung des Tierwohls56<br />

9.1 Allgemeines 56<br />

9.2 Eigenverantwortlichkeit 56<br />

9.3 Die Rolle des Konsumenten 57<br />

9.4 Die Rolle der Land- und Ernährungswirtschaft 57<br />

9.5 Die Rolle des Staates 59<br />

9.6 Die Rolle der internationalen Politik 62<br />

Glossar/Impressum63<br />

2<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


1. Nutztierhaltung im Spannungsfeld<br />

Im mit Nahrungsmitteln seit Jahrzehnten<br />

«gesättigten» Westen steht die heute<br />

weltweit praktizierte intensive Tierproduktion<br />

zunehmend in der Kritik. Grundsätzliche<br />

Fragen nach der ethischen Berechtigung<br />

der Tiernutzung werden nicht<br />

nur von Ethikern und Tierrechtsaktivisten,<br />

sondern auch von breiten Kreisen der<br />

Bevölkerung gestellt, insbesondere auch<br />

von jungen Menschen, die sich vegetarisch<br />

oder gar vegan ernähren.<br />

Das Mensch-Tier-Verhältnis verändert<br />

sich zusehends. Die einst scharf gezogene<br />

Trennlinie zwischen Heim- und<br />

Nutztieren verblasst, und das bei Stadtund<br />

Landbewohnern. Das Tier rückt näher<br />

an den Menschen heran, samt der Bereitschaft<br />

der Tierhalter, dafür den nötigen<br />

materiellen und emotionalen Aufwand zu<br />

leisten. Dabei geht es vielfach nicht um<br />

eine abzulehnende Vermenschlichung des<br />

Tieres, sondern um eine neue, bewusstere<br />

und verantwortungsvollere Form des Zusammenlebens<br />

von Mensch und Tier.<br />

Das Argument der günstigen und sicheren<br />

Lebensmittelversorgung sticht bei<br />

der Rechtfertigung von tierschutzwidrigen<br />

Zuständen in der Nutztierhaltung<br />

durch die Agrolobbyisten immer weniger.<br />

Der hohe und weltweit steigende Konsum<br />

tierischer Produkte wird von NGOs und<br />

Medien häufig als Ursache für viele ökologische<br />

und gesundheitliche Probleme<br />

sowie den Welthunger dargestellt, und<br />

die rein pflanzliche Ernährung als Lösung<br />

der Ernährungsprobleme einer wachsenden<br />

Menschheit propagiert.<br />

Platzsparende und reizarme Haltungsformen,<br />

zunehmender und länder-,<br />

ja Kontinente übergreifender Verkehr und<br />

Handel mit Zucht- und Schlachttieren<br />

sowie extreme Leistungsanforderungen,<br />

verbunden mit teilweise «tierartwidrigen»<br />

Futterkomponenten, beeinträchtigen<br />

das Tierwohl und die Tiergesundheit. Die<br />

enorme Ausdehnung der Tierproduktion<br />

weltweit, der routinemässige Einsatz von<br />

Hormonen und Antibiotika zur Leistungssteigerung<br />

in vielen Ländern ausserhalb<br />

Europas und die Qualität von Billiglebensmitteln<br />

aus Tierfabriken werden hierzulande<br />

von immer mehr Menschen hinterfragt.<br />

Die EU-Schlachttiertransporte<br />

und die Schafexporte von Australien und<br />

Neuseeland in arabische und südostasiatische<br />

Staaten wurden nachgerade zum<br />

Synonym für Tierquälerei. In der Kritik<br />

stehen aber auch negative Konsequenzen<br />

der Tierproduktion für Umwelt und Natur,<br />

so etwa der hohe regionale Anfall von<br />

Gülle, der zu übermässigem Eintrag von<br />

Stickstoff und Phosphor in die Böden führen<br />

kann, oder Ammoniak- und klimarelevante<br />

CO2- und Methanemissionen.<br />

Ebenfalls beanstandet werden die Art und<br />

Weise sowie der wachsende Umfang des<br />

Kraftfutteranbaus für das Vieh und der<br />

weltweite Kraftfutterhandel. Auch die in<br />

gewissen Ländern betriebene Überschussproduktion<br />

von <strong>Fleisch</strong> und anderen tierischen<br />

Produkten wird kritisiert: Durch<br />

die weltweite Absetzung der Überschüsse<br />

mittels (Dumping-)Export werden Bauern<br />

und Märkte in den Empfängerländern<br />

konkurrenziert und starke Abhängigkeiten<br />

geschaffen.<br />

Mit Ausnahme der Schweiz sowie einiger<br />

wenigen westeuropäischen Ländern<br />

nimmt der <strong>Fleisch</strong>-, Milch- und Eierkonsum<br />

und damit die Nutztierhaltung in<br />

praktisch allen Ländern seit Jahren stark<br />

zu – besonders in früher armen Zweit- und<br />

Drittweltstaaten. Weltweit soll eine Milliarde<br />

Bauern von der Tierhaltung leben, die<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

3


Weltweite Massenproduktion<br />

in<br />

Tierfabriken<br />

Hälfte davon in armen Ländern. Sie nutzen<br />

1,4 Milliarden Kühe und Rinder sowie<br />

eine Milliarde Schweine. Würde man<br />

all diese Tiere nebeneinander platzieren,<br />

ergäbe dies ein 60-facher Tiergürtel rund<br />

um die Erde! Dazu werden 68 Milliarden<br />

Hühner gehalten. China baut gegenwärtig<br />

die weltweit grösste Nutztierhaltung<br />

auf. Es hat den <strong>Fleisch</strong>konsum seit<br />

1970 auf heute 62 Kilogramm pro Kopf<br />

und Jahr vervierfacht. Von dem <strong>Fleisch</strong>,<br />

das in China in einem Jahr verzehrt wird,<br />

könnte die <strong>Schweizer</strong> <strong>Fleisch</strong>nachfrage<br />

rund zweihundert Jahre gedeckt werden!<br />

Bemerkenswert ist die boomende Nachfrage<br />

nach Milchprodukten in asiatischen<br />

Ländern und in Russland, welche zu einer<br />

starken Ausdehnung der Milchviehhaltung<br />

führt. Selbst in den «Entwicklungsländern»<br />

verdoppelte sich der <strong>Fleisch</strong>verbrauch<br />

seit 1970 auf heute 30 Kilogramm<br />

pro Kopf und Jahr.<br />

Dieser ausgeprägte Hunger nach tierischen<br />

Produkten wird hauptsächlich<br />

durch eine industrielle Tierproduktion in<br />

Massentierhaltung und faktisch ohne Berücksichtigung<br />

des Tierwohls befriedigt.<br />

Rund um die Metropolen in Asien, Indien,<br />

den arabischen Staaten und Brasilien<br />

werden Pouletmastställe aus dem Boden<br />

gestampft, die hunderttausende von<br />

Tieren nach westlichem Vorbild «beherbergen».<br />

Der Futtermittelanbau für die<br />

Intensivtierhaltung, etwa Mais, Soja und<br />

Getreide, soll mittlerweile rund 15 % der<br />

weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche<br />

beanspruchen. Zum Vergleich: Der<br />

Pflanzenbau für die direkte menschliche<br />

Ernährung (z. B. Getreide, Kartoffeln, Gemüse,<br />

Früchte, Obst) benötigt rund 20 %<br />

der verfügbaren Agrarfläche.<br />

Allerdings: Der überwiegende Teil des<br />

weltweit verfügbaren Landwirtschaftslandes<br />

ist wie in der Schweiz nicht ackerfähig,<br />

kann aber als Weideland für raufutterverzehrende<br />

Nutztiere gebraucht werden.<br />

Werden diese Böden trotzdem umgebrochen,<br />

setzen sich hohe CO2-Mengen<br />

frei und es besteht die Gefahr, dass die<br />

fruchtbaren Humusschichten in wenigen<br />

Jahren erodieren und die Flächen danach<br />

weder zum Ackerbau noch zur Viehhaltung<br />

mehr nutzbar sind. Die Weidenutzung<br />

ist ökologisch und für die menschliche<br />

Ernährung sinnvoll, da Rinder, Schafe<br />

und Ziegen das Wiesenfutter in Milch und<br />

<strong>Fleisch</strong> umwandeln können. Problematisch<br />

ist indessen die Übernutzung von<br />

Steppengebieten mit zu vielen Weidetieren<br />

in Asien und Teilen Afrikas, welche<br />

wie ein nicht nachhaltiger Ackerbau<br />

Fruchtbarkeit und Ertragsfähigkeit der<br />

Böden kaputt und die Steppen zu Wüsten<br />

macht.<br />

EU-Regionen mit intensiver Tierproduktion,<br />

etwa Nordwestdeutschland, die<br />

Niederlande, Belgien, Dänemark, die Bretagne<br />

und die Po-Ebene, sowie die USA<br />

und einige südamerikanische Staaten, allen<br />

voran Brasilien, produzieren im Unterschied<br />

zur <strong>Schweizer</strong> Landwirtschaft<br />

enorme Überschüsse. Sie forcieren deshalb<br />

den Export von Hühner-, Schweine- und<br />

Agrarland weltweit: 5 Mia. Hektar; davon<br />

3,5 Mia. Hektar Dauergrünland. Weltweit<br />

stehen 72 Aren landwirtschaftliche Nutzfläche<br />

pro Mensch zur Verfügung, davon<br />

sind aber nur 20 Aren ackerbaufähig.<br />

In der Schweiz stehen 14 Aren landwirtschaftliche<br />

Nutzfläche pro Mensch zur<br />

Verfügung, davon 6 Aren ackerbaufähig.<br />

Auf diesen 14 Aren werden 60 % der<br />

von der <strong>Schweizer</strong> Bevölkerung benötigten<br />

Nahrungskalorien erzeugt; zieht man<br />

importierte «Inputs» ab, z. B. Kunstdünger<br />

oder Kraftfutter, sind es noch 50 %.<br />

Rund 40 % der Nahrungskalorien muss<br />

die Schweiz importieren.<br />

Prognostiziertes Bevölkerungswachstum<br />

bis 2050: Von heute 7 auf 9 Milliarden.<br />

Heute ist 1 Milliarde Menschen mit<br />

Nahrungsmitteln unterversorgt, aber weltweit<br />

werden bis zu 50 % der geernteten<br />

Nahrungsmittel «verschleudert» (Lagerverluste,<br />

Qualitäts- und «Frischevorschriften»<br />

etc.), d. h. heute würde mehr als genug<br />

produziert, um alle Menschen satt zu<br />

machen.<br />

Das für Nahrungsmittelerzeugung<br />

und Tierhaltung verfügbare Landwirtschaftsland<br />

nimmt in Zukunft ab infolge<br />

nicht nachhaltiger Nutzungs- und Anbaumethoden<br />

(z. B. Erosion fruchtbarer Bodenschichten,<br />

Versalzung von Böden),<br />

des vermehrten Flächenbedarfs zur Produktion<br />

von Energiepflanzen sowie des<br />

Klimawandels. Die Nahrungsmittelversorgung<br />

der Weltbevölkerung wird aber auch<br />

gefährdet durch den zunehmenden Wassermangel<br />

in trockenen Regionen, das<br />

zur Neige Gehen der Weltphosphatvorräte<br />

(ein wichtiger Dünger) und den Aufkauf<br />

von Landwirtschaftsland insbesondere<br />

in Afrika, Südamerika, Südostasien<br />

und Australien durch private Investoren<br />

aus China, Indien, den Golfstaaten sowie<br />

den USA und Europa. Man vermutet, dass<br />

diese bereits mehr Land gekauft oder geleast<br />

haben als die gesamte Landwirtschaftsfläche<br />

Europas, um im grossen<br />

Stil am Weltmarkt (spekulativ) handelbare<br />

Monokulturen anzubauen. Im Zuge dieser<br />

Entwicklung werden die Weltmarktpreise<br />

für Nahrungs- und Futtermittel in Zukunft<br />

ansteigen.<br />

Zur Info: 1 Are = 100 m 2 ,<br />

1 Hektar = 100 Aren = 10 000 m 2<br />

4<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


In dreissig Jahren verfünffacht:<br />

Die Pouletproduktion<br />

steigt weltweit am stärksten<br />

Rindfleisch mit allen Mitteln. Am stärksten<br />

ausgedehnt und industrialisiert wurde<br />

die Pouletproduktion. Sie hat sich innert<br />

dreissig Jahren verfünffacht auf heute 93<br />

Millionen Tonnen pro Jahr, da im Unterschied<br />

zu Schwein und Rind der Verzehr<br />

von Hühnerfleisch weltweit auf keine religiösen<br />

Vorbehalte trifft, und das <strong>Fleisch</strong><br />

mittlerweile billiger als alle anderen <strong>Fleisch</strong>arten<br />

angeboten werden kann. Denn<br />

Masthühner wachsen heute unglaublich<br />

schnell – sie erreichen in der halben Zeit<br />

ihr Schlachtgewicht wie früher –, werden<br />

im Ausland in Hallen von bis zu 100 000<br />

Tieren gehalten, und eine moderne Turboschlachtanlage<br />

beendet pro Stunde das<br />

Leben von 10 000 und mehr Hühnern.<br />

Die Wachstumsmärkte in Lateinamerika,<br />

Asien und Osteuropa sorgen Experten<br />

zufolge dafür, dass bereits im Jahr 2020<br />

die Geflügelfleischproduktion die bislang<br />

weltweit führende Schweinefleischerzeugung<br />

überholt haben und auf 120 Millionen<br />

Jahrestonnen angestiegen sein wird.<br />

Dabei sind die Gewinnspannen der Intensivtierproduktion<br />

extrem tief. So verdient<br />

ein Geflügelmäster in Deutschland knapp<br />

zehn Rappen an einem Masthuhn.<br />

Neuseeland und Australien kurbelten<br />

insbesondere die Lammfleischerzeugung<br />

mit Exportmärkten in den arabischen<br />

Staaten und Südostasien, aber auch in<br />

Nordamerika und Europa an. Die Schweiz<br />

bezieht rund die Hälfte des Schaffleischkonsums<br />

aus diesen Ländern, und zwar<br />

samt und sonders Edelstücke.<br />

Die weltweite Tiermast, die Milch- sowie<br />

die Eierproduktion werden häufig von<br />

Agrarkonzernen und industriell-gewerblichen<br />

Betrieben dominiert. Ethik, Tierschutz,<br />

Ökologie und Klimaschutz spielen<br />

hier keine Rolle. Ziel ist einzig das Erzeugen<br />

von möglichst viel und möglichst<br />

billigem <strong>Fleisch</strong>, Milch und Eiern. Kleine<br />

und mittlere Bauernbetriebe mit ihren traditionellen<br />

Tierhaltungsformen und Weidewirtschaften<br />

werden wegrationalisiert.<br />

Billigexporte der EU, der USA oder von<br />

Brasilien gefährden heute auch die noch<br />

grösstenteils bäuerlich geprägte Tierhaltung<br />

in der Schweiz und bringen weltweit<br />

Millionen von Kleinbauern in Entwicklungs-<br />

und Schwellenländern um Arbeit<br />

und Verdienst. Als Folge davon werden<br />

diese Länder in der Nahrungsmittelversorgung<br />

immer abhängiger von den internationalen,<br />

teils spekulativ betriebenen<br />

Agrarmärkten.<br />

Ob der berechtigten Kritik an der massiven<br />

Ausdehnung der Tierhaltung und<br />

an der weltweit grassierenden intensiven<br />

Tierproduktion sowie deren klar<br />

ersichtlichen negativen Folgen für<br />

Mensch, Umwelt und Tier sollten drei<br />

Tatsachen nicht vergessen werden:<br />

1. Der «Hunger» nach Produkten tierischer<br />

Herkunft samt der teilweisen Übernahme<br />

westlicher Ernährungsmuster in<br />

Gesellschaften und Staaten, die wirtschaftlich<br />

aufschliessen, entspricht haargenau<br />

der Entwicklung in der Schweiz<br />

nach dem 2. Weltkrieg. <strong>Fleisch</strong> war damals<br />

ein Symbol für Wohlstand und<br />

wurde immer erschwinglicher. Eine zunehmend<br />

sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln<br />

und eine Demokratisierung<br />

des Konsums tierischer Produkte läuft<br />

heute weltweit ab und ist gekoppelt an die<br />

erfreuliche wirtschaftliche Verbesserung<br />

sehr vieler vormals armer Staaten.<br />

Das für Nutztiere bestimmte Futtergetreide<br />

und -eiweiss wird heute zum grössten<br />

Teil von den grossen Überschussexportproduzenten<br />

in der EU, den USA,<br />

China und Brasilien sowie aufstrebenden<br />

Drittweltstaaten beansprucht. Damit sind<br />

die aus den 1980er-Jahren stammenden,<br />

heute noch immer kolportierten ideologischen<br />

Aussagen, wonach die Schweiz mit<br />

dem Getreide der Armen dieser Welt ihr<br />

Vieh füttere, überholt. Heute massiert sich<br />

die Nutztierhaltung zudem zunehmend<br />

ausserhalb des Westens.<br />

Daraus gilt es, die richtigen Konsequenzen<br />

für unser Land und unsere Lebensmittelversorgung<br />

zu ziehen. Wie immer<br />

sich die Schweiz entscheiden wird –<br />

ob sie die Landwirtschaft und Nahrungsmittelerzeugung<br />

im Inland herunterfährt<br />

und zunehmend auf Billigimporte zum<br />

Beispiel aus Tierfabriken setzt, oder ob sie<br />

in eine eigene, naturnahe Landwirtschaft<br />

und tierfreundliche Tierhaltung mit etwas<br />

teureren Produkten investiert –, es ändert<br />

sich nichts am klaren Trend zur massiven<br />

Ausdehnung der intensiven Tierproduktion<br />

in der übrigen Welt. Die Schweiz<br />

könnte ihre Tierhaltung komplett stillle-<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

5


gen, ohne spürbaren Einfluss auf die Entwicklung<br />

des Klimas oder den Verbrauch<br />

an Futtermitteln.<br />

Da die verfügbare Landwirtschaftsfläche<br />

der Welt durch fehlerhafte Bewirtschaftung<br />

rückläufig ist (Erosion, Versalzung),<br />

Ackerflächen zur lukrativen Energieproduktion<br />

abgezweigt werden und die<br />

Nachfrage nach (tierischen) Nahrungsmitteln<br />

mit zunehmender Bevölkerungszahl<br />

und wirtschaftlicher Verbesserung steigt,<br />

wird die landwirtschaftlich nutzbare Fläche<br />

dieses Planeten zu einem kostbaren<br />

Gut. Lebensmittel dürften in Zukunft weltweit<br />

teurer werden. China, reiche arabische<br />

Staaten und westliche Investoren<br />

kaufen vorausschauenderweise rund um<br />

die Erde, vorwiegend in Afrika, Land im<br />

grossen Stil auf. Bei dieser Ausgangslage<br />

täte die Schweiz gut daran, auch in den<br />

nächsten fünfzig Jahren Sorge zur eigenen<br />

Landwirtschaft und damit zur sicheren<br />

Versorgung der Bevölkerung zu tragen.<br />

2. Wenn man heute die Nutztierhaltung<br />

grundsätzlich ethisch hinterfragt, sollte<br />

nicht vergessen werden, dass die Domestikation<br />

und die nachfolgende Haltung<br />

und Zucht von Nutztieren eine der grössten<br />

kulturellen Taten der Menschheit<br />

darstellt. Die planmässige Tierhaltung<br />

brachte mehr Versorgungssicherheit, kurbelte<br />

die landwirtschaftliche Produktivität<br />

an und ermöglichte es, Gegenden zu<br />

besiedeln und Böden zu nutzen, die für<br />

den Ackerbau suboptimal oder überhaupt<br />

nicht geeignet sind.<br />

Auch in der Schweiz begrenzen Klima<br />

und Witterung sowie Berg-, Hügel- und<br />

Steillagen die Möglichkeiten für den<br />

Ackerbau und damit den Anbau von Produkten<br />

direkt für die menschliche Ernährung.<br />

Was hier aber gut gedeiht sind Gräser,<br />

Klee und Kräuter auf Wiesen, Weiden<br />

und Alpen, die der Mensch nicht verwerten<br />

kann, aus denen aber Rinder, Ziegen,<br />

Schafe, Pferde und Kaninchen hochwertige<br />

Produkte für die menschliche Ernährung<br />

machen. Schweine sind Allesfresser:<br />

Sie können zwar junges Gras verwerten,<br />

ihre Stärke liegt aber in der Umwandlung<br />

von Rest- und Abfallprodukten aus<br />

der Futter- und Lebensmittelherstellung,<br />

ob nun pflanzlicher oder tierischer Herkunft.<br />

Hühner wiederum wandeln am effizientesten<br />

von allen Nutztieren Getreide<br />

in Eier und <strong>Fleisch</strong> um. Mit dem Mist<br />

und der Gülle der Tiere wird das Wachstum<br />

der Pflanzen und die Ertragssicherheit<br />

und Leistung der Böden stark verbessert,<br />

sodass pro Flächeneinheit deutlich<br />

mehr und sicherer geerntet und viel<br />

mehr Menschen ernährt werden können.<br />

Dieses abgestimmte, über Jahrtausende<br />

entwickelte und laufend verbesserte Zusammenwirken<br />

von Boden, Weidepflanzen<br />

und Nutztieren stellt eine der grössten<br />

Leistungen der Menschheit dar. Man kann<br />

– und soll – die Nutzung und Tötung von<br />

Tieren ethisch grundsätzlich hinterfragen.<br />

Fakt ist aber auch, dass die Tierhaltung,<br />

artgerecht und standortangepasst betrieben,<br />

einen Beitrag zur Lösung des Ernährungs-<br />

und Klimaproblems leisten kann<br />

und heute Milliarden von Menschen Nahrung<br />

und Auskommen bietet.<br />

3. Die <strong>Schweizer</strong> Agrarpolitik, die Landwirtschaftsberatung<br />

und -forschung sowie<br />

viele Bauern setzten in den 1960er-,<br />

1970er- und teilweise auch noch in den<br />

1980er-Jahren auf die intensive, ethisch<br />

und ökologisch fragwürdige Tierproduktion.<br />

Sie kehrten sich damit völlig ab<br />

von früher empfohlenen und praktizierten<br />

Tierhaltungsformen. Im Unterschied<br />

zu allen anderen Ländern setzte hierzulande<br />

indessen bereits Ende der 1970er-<br />

Jahre eine starke Gegenbewegung ein,<br />

die von Beginn weg auf mündige, verantwortungsbewusste<br />

Konsumenten und die<br />

Nachfrage nach naturnahen Produkten<br />

sowie solchen aus tierfreundlicher Haltung<br />

setzte. Ab den 1990er-Jahren drängten<br />

dann auch breite Kreise der Bevölkerung<br />

auf eine Kurskorrektur in der Agrarpolitik.<br />

So konnte zwischenzeitlich wieder<br />

einiges korrigiert und verbessert werden.<br />

China, reiche arabische Staaten und westliche<br />

Investoren kaufen rund um die Erde, vorwiegend<br />

in Afrika, Land im grossen Stil auf.<br />

6<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


2. Landwirtschaft und Nutztierhaltung<br />

2.1 Domestikation<br />

Tiere jagen und töten und ihr <strong>Fleisch</strong><br />

essen, ist dem Menschen seit hunderttausenden<br />

von Jahren vertraut. Doch<br />

erst nach der letzten Eiszeit begann die<br />

planmässige Haltung und Nutzung von<br />

Haustieren. Im Zeitrahmen von sechsbis<br />

zehntausend Jahren vor unserer Zeit<br />

wurden die allermeisten unserer heutigen<br />

Heim- und Nutztiere domestiziert. mit<br />

zwei Ausnahmen. Das Kaninchen erhielt<br />

erst im Mittelalter durch die züchterischen<br />

Bemühungen von Mönchen den Haustierstatus<br />

und neue Funde von Hundeskeletten<br />

in Höhlen der Dordogne und in Osteuropa<br />

deuten darauf hin, dass der Hund<br />

möglicherweise bereits schon vor zwanzig-<br />

bis dreissigtausend Jahren den Menschen<br />

ein treuer Gefährte war und ihm<br />

beim Jagen half. Es wird gar spekuliert,<br />

dass es diese erfolgreiche jagdliche Zusammenarbeit<br />

war, welche dem aus Süden<br />

eingewanderten Homo Sapiens schlussendlich<br />

die Herrschaft in Europa sicherte<br />

und die Neandertaler-Vormenschen aussterben<br />

liess. Bemerkenswerterweise wurden<br />

mehrere Tierarten an verschiedenen<br />

Orten der Welt unabhängig voneinander<br />

domestiziert; das Schwein etwa im Nahen<br />

Osten und in Europa sowie in China.<br />

Von abertausenden von Tierarten auf dieser<br />

Welt liessen sich lediglich etwas mehr<br />

als ein Dutzend domestizieren und weit<br />

über eine oberflächliche Zähmung hinaus<br />

zu Haustieren machen; neben Hund und<br />

Katze insbesondere Rind, Ziege, Schaf,<br />

Huhn und Trute, Schwein, Pferd und Esel.<br />

Die Affinität dieser Tierarten zum Menschen<br />

grenzt fast an ein Wunder, denn<br />

an unzähligen Versuchen, andere Arten<br />

zu zähmen, hat es über die Jahrtausende<br />

hinweg bis in die Neuzeit nicht gefehlt.<br />

Doch alle schlugen fehl. Selbst ein so naher<br />

Verwandter des Pferdes wie das Zebra<br />

liess und lässt sich nicht domestizieren.<br />

Trotz der jahrtausendelangen Haltung<br />

in der Obhut des Menschen und der<br />

teilweise extremen Zucht der Neuzeit haben<br />

Rind, Schwein und Huhn die biologischen<br />

und ethologischen Bedürfnisse<br />

ihrer wilden Urahnen erstaunlicherweise<br />

weitestgehend behalten. So wurden in den<br />

1980er-Jahren in Grossbritannien und<br />

Schweden hochgezüchtete Schweine und<br />

Hühner aus konventioneller Stallhaltung<br />

in ausgedehnte Wildgehege verbracht. Allen<br />

Erwartungen zum Trotz kamen sie mit<br />

dem Leben in freier Wildbahn absolut zurecht<br />

und pflanzten sich erfolgreich fort.<br />

Die Domestikation führte zu einer eigentlichen<br />

Symbiose zwischen Mensch<br />

und Tier. Durch das jahrtausendelange<br />

enge Zusammenleben tauschten sich<br />

selbst Bakterien und Viren aus und wurden<br />

zu ständigen Begleitern der Völker,<br />

die eng mit Haustieren zusammenlebten.<br />

Das mussten die hoch entwickelten Reiche<br />

der Inkas und Azteken, denen diese<br />

Keime und die dadurch im Organismus<br />

entwickelten Abwehrmöglichkeiten fehlten,<br />

im 15. und 16. Jahrhundert bitterlich<br />

erfahren. Wie die moderne Geschichtsforschung<br />

zeigt, wurden sie weder von den<br />

überlegenen Waffen noch der angeblichen<br />

Kriegskunst der spanischen Abenteurer<br />

und Militärs dahingerafft, sondern<br />

in erster Linie von deren mitgebrachten<br />

Keimen.<br />

Die Nutzung von Wiesen, Weiden<br />

und Äckern – bis ausgangs des Mittelalters<br />

auch Wäldern – für die Viehhaltung<br />

verbreiterte und bereicherte an den jeweiligen<br />

Standorten Flora und Fauna, indem<br />

neue Lebensräume und damit Nischen für<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

7


zusätzliche Baum-, Pflanzen- und Tierarten<br />

entstanden. Leider wirkt die intensive<br />

Landwirtschaft heute gerade in die gegenteilige<br />

Richtung. Auch die menschlichen<br />

Möglichkeiten und Lebensweisen vervielfachten<br />

sich durch die Viehhaltung; vom<br />

Jäger und Sammler zum Bauern, Hirten<br />

oder Nomaden, von der reinen Selbstversorgung<br />

zum Handel und zum Austausch<br />

von Gütern, mittels Lasttieren auch über<br />

weite Distanzen hinweg. Die Viehhaltung<br />

und der anfallende Hofdünger führten<br />

dazu, dass immer mehr Menschen ernährt<br />

und Überschüsse erzeugt werden konnten.<br />

So konnte Handel getrieben, Städte gegründet<br />

und die Arbeitsteilung unter den<br />

Menschen vorangetrieben, Verwaltung,<br />

Wissenschaft und Künste etabliert werden.<br />

Ohne Domestikation und planmässige<br />

Viehzucht hätte die Menschheit diese<br />

Entwicklung kaum machen können.<br />

2.2 Geschichtliches zur<br />

Nutztierhaltung<br />

Die alten römischen und griechischen<br />

Es gab eine Zeit, da kamen<br />

die Bauern mit ihren Produkten<br />

noch in die Stadt<br />

Kulturen schätzten kultiviertes Land mit<br />

Getreide, Obst, Oliven und Reben. An<br />

Nutztieren hatten lediglich Schafe eine<br />

übergeordnete Bedeutung. Demgegenüber<br />

bevorzugten die germanischen Völker<br />

im Norden eher die Natur, die Wälder<br />

und die Jagd und setzten weit stärker auf<br />

Tierhaltung und Weiden, als es der Süden<br />

tat. Mit dem Ende der Römerzeit nahm der<br />

Einfluss der nördlichen Gebräuche und<br />

damit auch die Bedeutung von <strong>Fleisch</strong><br />

europaweit zu. Frankenkönig Lothar ordnete<br />

im 9. Jahrhundert an, dass ein Krieger,<br />

der einen Bischof töte, nicht nur die<br />

Waffen niederlegen, sondern fortan auch<br />

ohne <strong>Fleisch</strong> leben müsse. Chronisten berichten<br />

im Mittelalter von enormen Verzehrsraten<br />

von bis zu 100 Kilogramm pro<br />

Kopf und Jahr in der Oberschicht – wegen<br />

der damals bis zu 150 fleischlosen<br />

kirchlichen Feiertage bedeutete dies sehr<br />

hohe tägliche Verzehrsmengen. Demgegenüber<br />

konnten die unteren Schichten<br />

von <strong>Fleisch</strong> und Fisch meist nur träumen.<br />

Nicht ohne Grund kam damals die Idee<br />

vom Schlaraffenland auf.<br />

Ausgangs des 15. Jahrhunderts beanspruchten<br />

Adel und Kommunen vielerorts<br />

die Nutzung der stark geschwundenen<br />

Wälder – und damit die Verfügbarkeit<br />

über den damaligen Hauptenergie- und<br />

-bauträger, das Holz. Damit gingen in Mitteleuropa<br />

grosse Weideflächen verloren,<br />

denn das Vieh hielt sich bis dahin ganz<br />

selbstverständlich auch in Waldbereichen<br />

auf. Damals entstand die heute selbstverständliche<br />

Trennung von Wald und Landwirtschaftsflächen.<br />

Als Kompensation erschlossen<br />

die Menschen neues Kulturland,<br />

etwa durch das Trockenlegen von Überschwemmungs-,<br />

Sumpf- und Moorgebieten,<br />

oder indem dem Meer Land abgerungen<br />

wurde. Eine weitere Folge des Weideflächenverlusts<br />

war, dass die Tierhaltung<br />

vermehrt in Ställe verlagert wurde. Medizinische<br />

Traktate rieten allerdings vom<br />

<strong>Fleisch</strong> derart eingekerkerter Tiere ab und<br />

empfahlen aus Qualitäts- und Gesundheitsgründen<br />

<strong>Fleisch</strong> von im Freien gehaltenen<br />

Tieren. Die Stallhaltung brachte<br />

aber Gülle und Mist, welche, auf die Felder<br />

ausgebracht, die Erträge der Ackerkulturen<br />

steigerten. Die Bauernbetriebe<br />

begannen sich nach und nach auf Obstbau,<br />

Ackerbau oder Viehhaltung zu spezialisieren<br />

und verlagerten sich von der<br />

reinen Selbstversorgung auf den Tausch<br />

und Verkauf von Produkten. Ohne Land<br />

keine Stadt: Noch bis 1900 wurden Ziegenherden<br />

von Fluntern ins Zürcher<br />

«Dörfli» getrieben, wo die Stadtfrauen<br />

gegen ein Entgelt Ziegen melken konnten.<br />

An den Markttagen brachten Bauern<br />

mit Fuhrwerken oder den «Seeschwalben»<br />

genannten Limmatschiffen Lebensmittel<br />

nach Zürich.<br />

Von der Römerzeit über das Mittelalter<br />

bis in die Neuzeit wurden im Zuge<br />

des Fernhandels zahlreiche neue Pflanzen<br />

und Tiere nach (Mittel-)Europa gebracht.<br />

Wer sich heute an Margeriten und Akelei<br />

in den Blumenwiesen erfreut, dürfte kaum<br />

wissen, dass diese erst im Mittelalter zu<br />

uns kamen. Im Zuge der spanischen und<br />

portugiesischen «Entdeckungen» wurden<br />

Perlhühner und Truten auch in Europa<br />

heimisch. Als die englischen Pilgerväter<br />

im 17. Jahrhundert mit der «Mayflower»<br />

nach Amerika segelten, hatten sie nebst<br />

anderen Nutztieren auch einige Truten<br />

an Bord. Drüben angekommen, staunten<br />

sie nicht schlecht, als sie bemerkten, dass<br />

Wildtruten den Kontinent zu Millionen<br />

bevölkerten.<br />

Der durchschnittliche <strong>Fleisch</strong>konsum<br />

8<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


eines westeuropäischen Landes lag anfangs<br />

des 19. Jahrhunderts bei 30 Kilogramm<br />

pro Kopf und Jahr. Ab Mitte des<br />

Jahrhunderts begann dieser dann stetig<br />

zu steigen. 1845 wurden die Dosenfleisch-Konservierungstechnologie<br />

und<br />

zwischen 1855 und 1860 die Milchpulver-<br />

und Kondensmilcherzeugung entwickelt,<br />

was Vorratshaltung und Versorgungssicherheit<br />

verbesserte und als Nebenwirkung<br />

– wegen der planbareren Verpflegung<br />

der Heere – die Kriegsführung<br />

veränderte. Grossbritannien, das im 19.<br />

Jahrhundert mächtigste sowie politisch,<br />

kulturell und technisch fortschrittlichste<br />

und einflussreichste Land der Welt, verabschiedete<br />

1822 das erste Tierschutzgesetz<br />

der Neuzeit. 1847 wurde in Manchester<br />

die erste vegetarische Gesellschaft gegründet.<br />

1860 setzte Grossbritannien wiederum<br />

als erstes Land der Welt ein Gesetz<br />

gegen Lebensmittelbetrug in Kraft. Daraus<br />

mag man ersehen, dass es auch in<br />

der «guten alten Zeit» um die Qualität der<br />

Nahrungsmittel nicht immer zum Besten<br />

gestanden hat.<br />

Um 1800 war die Viehhaltung in der<br />

Schweiz noch relativ unbedeutend. Grössere<br />

Bestände gab es nur bei Rindern und<br />

Schafen. Das änderte sich in der zweiten<br />

Hälfte des 19. Jahrhunderts vollständig.<br />

Wegen zunehmender Absatzmöglichkeiten<br />

im In- und Ausland sowie der für die<br />

Total Landwirtschaftsbetriebe<br />

CH 2012: 59 000<br />

35 000 in Tal- und Hügelzone<br />

24 000 im Berggebiet<br />

41 000 hauptberufliche Betriebe<br />

18 000 nebenberufliche Betriebe<br />

38 000 Betriebe sind auf Tierhaltung<br />

spezialisiert<br />

Durchschnittsgrösse rund 18 ha<br />

Anzahl Biobetriebe rund 6000<br />

Pro Tag verschwinden im Durchschnitt<br />

5 bis 6 Betriebe<br />

Landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz<br />

(Wiesen, Weiden, Ackerland und Dauerkulturen):1,1<br />

Mio. ha, dazu kommen 455 000 ha<br />

Alp- und Juraweiden<br />

Anzahl Nutztiere in der Schweiz (in tausend)<br />

Rindvieh<br />

Jahr Kühe total Schweine Pferde Schafe Ziegen Hühner<br />

1850 501 885 339 104 451 348 –<br />

1900 744 1354 542 123 259 382 –<br />

1950 858 1530 908 134 192 165 6300<br />

1960 940 1746 1351 100 227 90 5975<br />

1970 896 1907 1753 53 291 66 5919<br />

1980 875 2031 2205 45 354 80 6146<br />

1990 795 1855 1787 45 395 68 5822<br />

2000 714 1588 1498 50 421 62 6789<br />

2010 700 1591 1589 62 434 87 8944<br />

GVE* 76 % 13 % 3 % 3 % 1 % 4 %<br />

*Grossvieheinheiten<br />

Anzahl Halter von Nutztieren in der Schweiz<br />

Jahr Nutztiere Rindvieh Schweine Pferde Schafe Ziegen Hühner Kaninchen<br />

1985 88 600 71 800 36 000 12 600 14 000 9800 41 700 6000<br />

2000 60 000 50 800 15 300 10 700 12 600 7100 20 700 6000<br />

2005 54 400 45 400 11 800 10 300 11 200 6600 17 100 4500<br />

2010 50 000 41 100 8800 9600 9800 7000 13 500 3300<br />

Schlachtungen in der Schweiz<br />

Jahr Grossviehmast Kühe Kälber Schweine<br />

1950 65 000 111 000 470 000 740 000<br />

1960 100 000 142 000 522 000 1,4 Mio.<br />

1970 165 000 198 000 444 000 2,3 Mio.<br />

1980 231 000 237 000 408 000 3,4 Mio.<br />

1990 259 000 211 000 319 000 3,3 Mio.<br />

2000 185 000 169 000 300 000 2,6 Mio.<br />

2007 210 000 151 000 253 000 2,8 Mio.<br />

Dazu kommt die Schlachtung von rund 2 Millionen Legehennen und rund 40 Millionen Masthühnern<br />

und Truten jährlich.<br />

Tierhaltung günstigen klimatischen und<br />

topografischen Voraussetzungen wurde<br />

die Viehhaltung auf Kosten des Getreideanbaus<br />

stark ausgebaut. Wegen verbesserter<br />

Transportmöglichkeiten mittels<br />

Schiffen und Eisenbahn, besserer<br />

Fruchtfolgen und der weltweiten Verdoppelung<br />

der Ackerfläche bis zum 1. Weltkrieg<br />

konnte Getreide auf dem Weltmarkt<br />

extrem günstig angeboten werden, sodass<br />

der Inlandgetreidebau Ende des 19.<br />

Jahrhunderts praktisch zusammenbrach.<br />

Die Schweiz importierte damals sowie<br />

zwischen den Weltkriegen jährlich rund<br />

800 000 Tonnen Getreide, also ungefähr<br />

gleich viel wie heute, allerdings bei nur<br />

knapp halb so vielen Einwohnern und wesentlich<br />

weniger gehaltenen Nutztieren.<br />

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erlangte<br />

die Milchproduktion in der Schweiz<br />

die innerlandwirtschaftlich hohe wirtschaftliche<br />

Bedeutung, die sie bis heute<br />

innehat. Auslöser waren unter anderem<br />

die Erfindungen der Milchschokolade, der<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

9


Kondensmilch und der Käseherstellung<br />

mittels Lab, welche zu einer Vervielfachung<br />

der Käsesorten und der Verbreitung<br />

von Käsereien ausserhalb des Berggebietes<br />

führte. Käse, Milchschokolade und Kondensmilch<br />

wurden denn auch rasch zu erfolgreichen<br />

<strong>Schweizer</strong> Exportprodukten.<br />

Die <strong>Schweizer</strong> Rindviehzucht florierte.<br />

Zuchtvieh wurde in alle Länder Europas –<br />

teilweise mussten Mensch und Vieh diese<br />

Wege zu Fuss zurücklegen! – und nach<br />

Nordamerika verkauft. Man kann sich<br />

heute kaum mehr ausmalen, welche Strapazen<br />

den Tieren dabei zugemutet wurden.<br />

Ironie des Schicksals: Weniger als ein<br />

Jahrhundert später, ab den 1970er-Jahren,<br />

hatten die ausländischen Braun- und<br />

Fleckviehzüchter ihre <strong>Schweizer</strong> Kollegen<br />

überholt. In zeitgemässer Form von Samen<br />

ging die Genetik den Weg zurück in<br />

die Schweiz und liess dort die Milchleistung<br />

der Kühe explodieren.<br />

Nachdem Nestlé als grosser Abnehmer<br />

der Milchbauern in den 1930er-Jahren<br />

die Kondensmilchproduktion verstärkt<br />

ins Ausland verlegt hatte und Preiszusammenbrüche<br />

wegen wiederkehrender<br />

Milchüberproduktion Bauernexistenzen<br />

ruinierten, gerieten Milchviehbetriebe in<br />

der weltweiten Wirtschaftskrise in die<br />

Kritik. «Es ist wahr, diese reinen Graswirtschaften<br />

sind nicht mehr eigentliche<br />

Landwirtschaftsbetriebe. Ihre Tätigkeit erschöpft<br />

sich im Viehfüttern, Melken, Grasen,<br />

Düngen, Heuen und Mosten. Das ist<br />

selbstverständlich kein gesunder Landwirtschaftsbetrieb»,<br />

urteilte der damalige<br />

Bauernpolitiker und Nationalrat Roman<br />

Abt harsch und ideologisch-zeitgeistlich<br />

angehaucht. Fortan wurde hierzulande<br />

das Hohelied vom bäuerlichen Selbstversorger<br />

und Familienbetrieb gesungen. Der<br />

Ackerbau wurde forciert und ging später<br />

bei extrem schlechter Versorgungslage im<br />

2. Weltkrieg zum Wohl der Bevölkerung<br />

im «Plan Wahlen» auf.<br />

Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das<br />

Ende des jahrtausendealten Ochsen- und<br />

Pferdezuges in der Landwirtschaft eingeläutet,<br />

und Traktoren übernahmen die<br />

schwere Feld- und Zugarbeit. Um ein<br />

Ackerfeld von einer Juchart – das dazumal<br />

gebräuchliche landwirtschaftliche<br />

Flächenmass, je nach Gegend etwa 3500<br />

Quadratmeter – mit einem Tierzug zu<br />

pflügen, wurden zwei Personen und fast<br />

40 Arbeitsstunden benötigt. Heute erledigt<br />

dies ein Bauer mit Traktor und Dreischarpflug<br />

in weniger als einer Stunde!<br />

Die einsetzende Hochkonjunktur<br />

brachte der Schweiz ab den 1960er-Jahren<br />

Vollbeschäftigung sowie Arbeitskräftemangel<br />

und damit verbunden kräftig<br />

steigende Löhne. Entsprechend wuchs<br />

die Nachfrage nach tierischen Produkten.<br />

Gleichzeitig hielten Mechanisierung, Rationalisierung<br />

und wissenschaftlich-technisch-biologische<br />

Erkenntnisse auf breiter<br />

Front Einzug in Landwirtschaft und<br />

Tierhaltung. Das führte dazu, dass Lebensmittel<br />

immer kostengünstiger angeboten<br />

werden konnten. Obwohl die Familien<br />

mehr konsumierten, sanken die Haushaltausgaben<br />

für Lebensmittel infolge der<br />

extremen Produktivitätsfortschritte in der<br />

Landwirtschaft rapide von 30 % im Jahr<br />

1950 auf 14 % im Jahr 1975 und schliesslich<br />

auf nur noch 7 % heute!<br />

Ohne Tierhaltung und Intensivierung<br />

der Landwirtschaft wäre diese Entwicklung<br />

unvorstellbar. Von den positiven<br />

Konsequenzen, nämlich einer hohen Ernährungssicherheit<br />

sowie einem extrem<br />

breiten und kostengünstigen Lebensmittelangebot,<br />

profitieren wir heute tagtäglich.<br />

Was für die allermeisten Menschen<br />

auf diesem Planeten seit Urzeiten und bis<br />

vor hundert Jahren selbst in Westeuropa<br />

die grösste Sorge war – die sichere und<br />

ausreichende Versorgung mit Nahrung –,<br />

wurde und wird glücklicherweise für immer<br />

mehr Menschen auf dieser Welt zu<br />

einer Selbstverständlichkeit.<br />

Die alten Ägypter verehrten<br />

Katzen – im Gegensatz<br />

zu den Persern<br />

2.3 Zum Mensch-Tier-<br />

Verhältnis<br />

Dem verbreiteten kulturpessimistischen<br />

Urteil, wonach früher alles besser gewesen<br />

sei, kann man nicht nur bei Wohlstand<br />

und Nahrungsmittelversorgung der<br />

Menschen, sondern auch beim Mensch-<br />

Tier-Verhältnis konsequent mit Fakten<br />

entgegentreten. Der Umgang mit Tieren<br />

folgte stets dem «Recht» des Stärkeren<br />

und dem Machtgefälle zwischen Mensch<br />

und Tier. Er war und ist geprägt von Missbrauch,<br />

Ideologien und irrationalen Vorlieben<br />

und Vorgaben einzelner Kulturen.<br />

So verehrten die alten Ägypter Katzen<br />

und verabscheuten Hunde, während die<br />

10<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Perser Hunden Denkmäler setzten und sie<br />

wie Menschen beerdigten, Katzen hingegen<br />

als des Teufels erachteten und für vogelfrei<br />

erklärten. Die alten Griechen und<br />

Römer führten grausame Experimente an<br />

lebendigen Tieren durch. In den Arenen<br />

von Rom, der damals weltweit grössten<br />

Stadt, wurden nebst 200 000 Kriegsgefangenen,<br />

Verbrechern und Gladiatoren auch<br />

Millionen von Haus- und Wildtieren zur<br />

Belustigung hingemetzelt und aufeinandergehetzt.<br />

Im Mittelalter wurde in verschiedenen<br />

Regionen Europas lebenslange<br />

Dunkelhaltung für Kälber, Lämmer<br />

und Schafe betrieben. Kochbücher empfahlen,<br />

Gänse für rascheres Wachstum an<br />

den Schwimmhäuten festzunageln, oder<br />

Kälber und Ferkel für zarteres <strong>Fleisch</strong><br />

mit Seilen zu Tode zu prügeln. Seit jeher<br />

zeichnet sich der Mensch durch Herzlosigkeit<br />

gegenüber Tieren aus. Nicht erst<br />

der «moderne» Mensch der Neuzeit bedrängt<br />

durch seinen Lebensstil Tierarten<br />

und verurteilte viele zum Aussterben.<br />

Unsere Vorfahren rotteten viele Tierarten<br />

aus, im Mittelalter in der Schweiz beispielsweise<br />

den Wisent und im 19. Jahrhundert<br />

Biber und Bär.<br />

Auch der «edle Wilde» bleibt in puncto<br />

Mensch-Tier-Verhältnis lediglich eine<br />

westlich-romantische Vorstellung. Es ist<br />

überliefert, dass Indianer in Nordamerika<br />

sinnlose Büffelabschlachtungen durch<br />

Hinabstürzen in Schluchten praktizierten,<br />

oder ihren Kindern auftrugen, Vögel<br />

zu fangen, ihnen Beine oder Flügel zu<br />

brechen und mit ihnen zu spielen. Nomadenvölker<br />

entnahmen lebenden Rindern<br />

Blut, oder schnitten aus den Schwänzen<br />

ihrer Schafe Fettstücke als Leckerbissen<br />

heraus. Das etwa über die Inuit und<br />

andere «Naturvölker» kolportierte Beten<br />

oder «Um-Verzeihung-Bitten» vor dem<br />

Tiere Töten dürfte eher eine sentimentale<br />

und gegenüber einer möglichen höheren,<br />

strafenden Macht rückversichernde Geste<br />

darstellen als ein gelebter und bewusster<br />

Ausdruck von Fairness und Liebe gegenüber<br />

den Mitgeschöpfen – vergleichbar<br />

den Gebräuchen unserer Jäger nach dem<br />

Abschuss des Wildes. Ob nun sogenannte<br />

«Naturvölker» oder «zivilisierte» Kulturen:<br />

Bis ins 20. Jahrhundert hinein<br />

war das Pferd ein geschundenes<br />

Kriegs- und Arbeitsgerät<br />

Sie alle haben hemmungslos und ohne<br />

Einsicht in ökologische Zusammenhänge<br />

Tierarten ausgerottet und ohne Rücksicht<br />

auf Gewissen, Moral, Ethik oder religiöse<br />

Vorgaben Tiere gequält und ausgenützt.<br />

Besonders übel hat der Mensch dem<br />

Pferd mitgespielt. Bis ins 20. Jahrhundert<br />

hinein war es geschundenes Kriegs- und<br />

Arbeitsgerät: Lebenslang unter Tage in<br />

den Kohlegruben zur Arbeit gezwungen<br />

und dabei erblindet, um Mühlräder und<br />

Pumpen anzutreiben jahrelang tagsüber<br />

im Kreis gehend, auf dem harten Pflaster<br />

der Millionenstädte London, Paris, Berlin<br />

und New York Busse und Kutschen oder<br />

auf dem Land an Kanälen und Flüssen entlang<br />

Lastschiffe ziehend, schweisstriefend<br />

auf den Feldern vor dem Pflug gehend.<br />

Mit Recht empört man sich heute über<br />

überlange und unnötige EU-Schlachttiertransporte.<br />

Doch gab es hierzulande bereits<br />

ausgangs des Mittelalters vergleichbares,<br />

nämlich Schlachtviehtrecks, etwa<br />

von Rindern aus Ungarn in die reichen<br />

süddeutschen Kaufmannsstädte oder von<br />

Dänemark nach Holland. Zu Fuss mussten<br />

die Tiere hunderte, manchmal tausend<br />

und mehr Kilometer zurücklegen. Wie im<br />

Wilden Westen, wo die zumeist verwilderten<br />

Mastrinder von Texas nach Norden<br />

in die Verladestationen getrieben wurden,<br />

um dann in den Riesenschlachthöfen<br />

Chicagos getötet zu werden. Wer jetzt<br />

noch immer glaubt, dass es Tieren früher<br />

besser erging, soll daran denken, dass das<br />

Betäuben vor dem Töten eine junge, kaum<br />

hundert Jahre alte Tradition ist, welche<br />

bis heute in manchen Ländern und Kulturen<br />

unbekannt ist.<br />

Es gibt wenig Anlass zur Behauptung,<br />

Nutztiere hätten es früher besser gehabt.<br />

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das<br />

Mensch-Tier-Verhältnis heute zumindest<br />

in der Schweiz ein viel engeres ist, als es<br />

noch vor einem Vierteljahrhundert bei Inkrafttreten<br />

der Tierschutzgesetzgebung der<br />

Fall war. Im Bewusstsein sehr vieler Menschen<br />

wird keine scharfe Trennlinie mehr<br />

zwischen Heim- und Nutztieren gezogen.<br />

Die Nutzung von Rindern, Schweinen und<br />

Hühnern wird zwar zumeist nicht infrage<br />

gestellt, aber es herrscht heute ein breiter<br />

Konsens darüber, dass diese Tiere, wenn<br />

sie schon für unsere Zwecke planmässig<br />

gezüchtet, gehalten und geschlachtet werden,<br />

wenigstens Anrecht auf eine möglichst<br />

schonende Behandlung und eine<br />

artgemässe Haltung haben sollen.<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

11


Bis heute schützen Menschen Tiere<br />

selektiv. Das weltweit erste Tierschutzgesetz,<br />

das anfangs des 19. Jahrhunderts in<br />

Grossbritannien in Kraft gesetzt wurde,<br />

galt allein für Pferde. Abgeordnete, die<br />

den Schutz auch auf Esel ausdehnen wollten,<br />

wurden ausgelacht und überstimmt.<br />

Man mag heute darüber schmunzeln.<br />

Doch der Speziesrassismus lebt noch immer.<br />

In Indien sind nicht die Kühe an und<br />

für sich geschützt und «heilig», sondern<br />

nur das reinrassige indische Buckelrind,<br />

teilweise auch «Mischlinge».<br />

<strong>Schweizer</strong> Behörden und Hochschulprofessoren<br />

betrachten den Ersatz<br />

von Hunden und Katzen im Tierversuch<br />

durch Mäuse und Ratten als Tierschutzmassnahme<br />

im Sinne des gesetzlich verankerten<br />

3R-Prinzips: replace (ersetzen),<br />

reduce (reduzieren), refine (verfeinern).<br />

Ehrlicher und auf einem zeitgemässeren<br />

Wissensstand sind da die Pharmafirmen,<br />

welche unumwunden zugeben, dass Ratten<br />

entwicklungsbiologisch und in Bezug<br />

auf Schmerz- und Leidensfähigkeit Hunden<br />

in nichts nachstehen. Vielmehr verwende<br />

man im Tierversuch aus Kostengründen<br />

lieber Nagetiere als Hunde oder<br />

Katzen, aber auch, weil die Gesellschaft<br />

Mit dem Image des<br />

Schädling als Versuchstier<br />

«ethisch» vertretbar?<br />

wegen des «Schädlingimages» dieser Tiere<br />

kaum gegen deren Einsatz im Tierversuch<br />

opponiere und die Tierpfleger weniger<br />

an den Nagern hingen. Auch der<br />

Nutztierschutz in der EU ist sehr selektiv:<br />

Bis heute existieren keine verbindlichen<br />

Tierschutzrichtlinien für die Haltung von<br />

Kühen, Rindern, Schafen, Ziegen, Pferden<br />

und Truten. Wenig konsequent ist<br />

auch die eidgenössische Tier- und Landwirtschaftsgesetzgebung,<br />

die zwar richtigerweise<br />

hierzulande den Tierhaltern aus<br />

ethisch-tierschützerischen Gründen Vorschriften<br />

macht, wegen des Geldes und<br />

der hohen Politik aber Importe von Qualprodukten<br />

wie Stopfleber und Froschschenkel<br />

sowie <strong>Fleisch</strong> von Tieren aus<br />

Tierfabriken und Qualtransporten zulässt.<br />

2.4 Tiernutzung: ethisch<br />

gerechtfertigt?<br />

Unbestreitbar handelt es sich beim Vegetarismus<br />

und noch mehr beim Veganismus<br />

um einen individuellen und ethischen<br />

Entscheid, der stets auch das Tierleid<br />

und dessen Minimierung vor Augen<br />

hat und Respekt verdient. Es stellt sich<br />

darüber hinaus aber die Frage, ob Vegetarismus/Veganismus<br />

die ethisch einzig<br />

mögliche Massnahme zur Verminderung<br />

des Tierleids darstellt, oder ob auch<br />

andere Tierschutzstrategien zielführend<br />

oder gar ergänzend notwendig sind.<br />

Ein Indiz für Letzteres stellt die Tatsache<br />

dar, dass Tierschutz und Vegetarismus<br />

verschiedene Wurzeln haben und<br />

traditionell zumeist in verschiedenen Organisationen<br />

mit nicht deckungsgleichen<br />

Zielsetzungen und Zwecken organisiert<br />

sind. Praktizierende Vegetarier und Veganer<br />

vermindern sozusagen die Gesamtsumme<br />

des mit der Nutzung der Tiere verbundenen<br />

Leids, indem weniger Tiere genutzt,<br />

artwidrig gehalten, brutal transportiert<br />

und getötet werden. Ein Mensch,<br />

der achtzig Jahre lang Vegetarier ist, verhindert<br />

durch seine konsequente Haltung<br />

beim gegenwärtigen <strong>Schweizer</strong> Durchschnittskonsum<br />

das Leben, den Tod und<br />

das wahrscheinliche Leid von gesamthaft<br />

gegen tausend Masthühnern, Rindern,<br />

Kälbern und Schweinen.<br />

Rein quantitativ liesse sich dieselbe<br />

Wirkung auch erzielen, wenn die Menschen<br />

weniger <strong>Fleisch</strong> essen würden.<br />

Wenn drei Millionen <strong>Schweizer</strong> auf zwei<br />

<strong>Fleisch</strong>mahlzeiten pro Woche verzichteten,<br />

ergäbe das betreffend Reduktion<br />

der gehaltenen und getöteten Nutztiere<br />

die gleiche Wirkung, wie wenn 900 000<br />

<strong>Schweizer</strong> Vegetarier würden. Beide Strategien,<br />

Vegetarismus oder Reduktion des<br />

<strong>Fleisch</strong>konsums, sind aus der Optik einer<br />

tierschützerischen Realpolitik also wirksam,<br />

wobei es erfahrungsgemäss einfacher<br />

und erfolgversprechender ist, Menschen<br />

zur Reduktion statt zum Verzicht<br />

zu bewegen. Der erhebliche Rückgang<br />

des <strong>Fleisch</strong>konsums in der Schweiz in<br />

den letzten 25 Jahren von 72 auf 53 Kilogramm<br />

pro Kopf dürfte denn auch stärker<br />

darauf beruhen, dass die Menschen<br />

weniger <strong>Fleisch</strong> essen, als dass sie gänzlich<br />

darauf verzichteten. Das heisst nicht,<br />

dass dieser Befund auch zukünftig gelten<br />

muss, scheint der Vegetarieranteil heute<br />

doch gerade unter jungen Menschen<br />

überdurchschnittlich zu sein, während<br />

die Kriegs- und Grosselterngeneration,<br />

bei welcher der <strong>Fleisch</strong>konsum mehrheitlich<br />

noch positiv gedeutet wurde, immer<br />

12<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


weniger zum Gesamtkonsum beiträgt.<br />

Doch auch wenn es Vegetariervereinigungen<br />

und Tierschutzorganisationen<br />

gelingen sollte, den Vegetarieranteil<br />

zu erhöhen, werden Schlachthöfe in der<br />

Schweiz nicht abgeschafft. Dies auch wegen<br />

der Vegetarier selbst, die zwar kein<br />

<strong>Fleisch</strong> essen, aber Eier und Milchprodukte<br />

konsumieren. Bei einem Durchschnittskonsum<br />

von rund 180 Eiern pro<br />

Kopf und Jahr wird ein Vegetarier nach<br />

80 Lebensjahren 50 Hochleistungslegehennen<br />

genutzt haben. Und wird damit,<br />

da stets ungefähr gleich viele Männchen<br />

und Weibchen geboren werden, zusätzlich<br />

für den Tod von 50 männlichen Küken<br />

Verantwortung tragen, die bekanntlich<br />

nach dem Schlupf aussortiert und getötet<br />

werden, da ihre Mast unrentabel ist.<br />

Da eine Kuh nur Milch gibt, wenn sie jedes<br />

Jahr wieder ein Kälbchen kriegt, und<br />

nur jedes zweite Baby ein Weibchen ist,<br />

das man zur Milchkuh heranziehen kann,<br />

zieht eine vegetarische Lebensweise nicht<br />

nur das Schlachten von Milchkühen, sondern<br />

auch die Mast und das Töten männlicher<br />

Kälber nach sich.<br />

Der Vegetarismus und der Veganismus<br />

liefern beide keine befriedigende<br />

Antwort auf die drängende Frage, was<br />

das Schicksal der Millionen von Nutztieren<br />

angeht, die jetzt und mit grösster<br />

Wahrscheinlichkeit auch noch in zwanzig<br />

oder dreissig Jahren geboren, aufgezogen<br />

und schlussendlich geschlachtet werden.<br />

Ethik und Fairness gebieten es, sich auch<br />

um die real existierenden Tiere zu kümmern.<br />

So notwendig es ist, sich als Tier-<br />

Anteil Vegetarier<br />

an Bevölkerung<br />

Proviande-Studie (2006): 5 % Vegetarier<br />

in der Schweiz<br />

Nationale Verzehrsstudie, Max Rubner Institut,<br />

Deutschland (2007): 1,6 % Vegetarier<br />

im Durchschnitt; Frauenanteil 2,2 %,<br />

lediglich 0,1 % Veganer<br />

Statistik Austria (2007): 1,4 % Vegetarier<br />

und 3.9 % Vegetarierinnen<br />

Vegetarierstudie Grossbritannien (1995)<br />

resp. USA (2009): 5 % resp. 3 % Vegetarier<br />

In der Schweiz verzehren Hunde<br />

und Katzen schätzungsweise<br />

60 000 Tonnen <strong>Fleisch</strong><br />

schützer mit möglichen Konzepten wie<br />

der Abschaffung der Nutztierhaltung zu<br />

beschäftigen – dazu sollte übrigens nicht<br />

nur die Haltung von Rind, Schwein und<br />

Huhn gezählt werden, sondern auch die<br />

(Aus-)Nutzung von Versuchs-, Wild- und<br />

leider auch Heimtieren – und sich gegen<br />

den übermässigen Konsum von tierischen<br />

Produkten zu stellen: Es wäre eine<br />

Sünde wider die Schöpfung, Tieren Hilfe<br />

und Schutz zu verweigern und zuzulassen,<br />

dass sie weltweit gesehen noch immer<br />

mit Käfigbatterien, Kastenständen,<br />

Qualtransporten sowie mit betäubungsloser<br />

Kastration und Tötung traktiert werden!<br />

Denn möglicherweise ist letztendlich<br />

für ein Tier weniger die Tatsache, dass es<br />

am Ende seines Lebens getötet wird das<br />

Schlimme – sofern dies rasch und schonend<br />

unter Betäubung geschieht –, sondern<br />

ein nicht artgerechtes Leben voller<br />

Schmerz, Leid und Frustration. Genau das<br />

aber wird Nutztieren in Massentierhaltungen<br />

weltweit und systematisch zugefügt.<br />

Ethisch überhaupt nicht thematisiert<br />

wird bislang der <strong>Fleisch</strong>bedarf für die zunehmende<br />

Haltung von fleischfressenden<br />

Heimtieren wie etwa Hunde und Katzen.<br />

Allein der <strong>Fleisch</strong>bedarf zur Fütterung der<br />

13 Millionen Heimtiere Deutschlands soll<br />

bei rund 900 000 Tonnen jährlich liegen<br />

und damit in etwa der Jahresfleischproduktion<br />

Österreichs entsprechen. In der<br />

EU leben gegen 200 Millionen Heimtiere.<br />

In der Schweiz verzehren Hund & Katz<br />

schätzungsweise 60 000 Tonnen <strong>Fleisch</strong><br />

jährlich. Allerdings essen Hunde und Katzen<br />

in allererster Linie <strong>Fleisch</strong>, das nicht<br />

verwertet werden kann, beispielsweise<br />

Schlachtnebenprodukte.<br />

Konsum tierischer Produkte<br />

Schweiz: Rund 170 kg/Kopf und Jahr<br />

(53 kg <strong>Fleisch</strong>; 180 Eier; 110 kg Milchprodukte)<br />

<strong>Fleisch</strong>konsum Schweiz: 53 kg/Kopf und<br />

Jahr; 50 % davon werden ausser Haus<br />

verzehrt (Gastronomie, Take-away); 13 kg<br />

sind Importe, oft aus Massentierhaltung;<br />

Labelanteil je nach <strong>Fleisch</strong>kategorie<br />

10–50 %, davon 4 % Biofleisch<br />

<strong>Fleisch</strong>verzehr international (je Kopf und<br />

Jahr): Weltdurchschnitt 40 kg, Entwicklungsländer<br />

rund 30 kg; Deutschland<br />

62 kg; Frankreich 72 kg; Spanien 80 kg;<br />

USA 110 kg<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

13


3. Nutztierhaltung<br />

in der Schweiz<br />

im 20. Jahrhundert<br />

3.1 Tierwohl trotz Notzeiten<br />

Ein Blick in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

zeigt, dass es in der Schweiz einmal<br />

eine (wenn auch nur kurze) Zeit gab,<br />

in der das Tierwohl ganz selbstverständlich<br />

zur landwirtschaftlichen Tierhaltung<br />

gehörte. Ja, es wurde von Bauernfunktionären<br />

vehement aus eigener Einsicht und<br />

Initiative eingefordert – statt wie heute<br />

eher zähneknirschend, als Reaktion auf<br />

den gesellschaftlichen Druck. Damals<br />

stand man auch in wirtschaftlich schwierigen<br />

Zeiten zur Verantwortung gegenüber<br />

den Nutztieren. Ernst Laur (1871–<br />

1964), Agronomieprofessor für Betriebswirtschaft<br />

an der ETH Zürich und erster<br />

Direktor des Bauernverbandes, stellte<br />

in den krisengeschüttelten 1920er- und<br />

30er-Jahren die Wichtigkeit von Auslauf<br />

und Weiden für Nutztiere heraus. Luft,<br />

Licht und Bewegung seien beispielsweise<br />

für eine wirtschaftliche Schweinehaltung<br />

unerlässlich. «Sind die Tiere einmal<br />

an den Aufenthalt im Freien gewöhnt, so<br />

scheut man sich nicht, sie auch im Winter<br />

ins Freie zu lassen, sorgt aber für warme<br />

Stallungen, in die sie sich jederzeit zurückziehen<br />

können», schrieb er den Bauern<br />

und Studenten ins Stammbuch.<br />

Selbst in den harten Kriegszeiten<br />

wollte man zum Tierwohl stehen. So hielt<br />

die <strong>Schweizer</strong>ische Landwirtschaftliche<br />

Zeitung am 8. 9. 1944 in einem Artikel<br />

über den Einfluss des Tierwohls auf die<br />

Milchleistung fest: «Eigentlich mutet es<br />

beinahe grotesk an, von Tierschutz zu<br />

sprechen in einer Zeit, wo tausende von<br />

wertvollen Menschenleben in den Deportierungslagern<br />

elend zu Grunde gehen.<br />

Auf alle Fälle werden solche Gräueltaten<br />

als ein unauslöschlicher Schandfleck<br />

für unsere heutige Kultur und Zivilisation<br />

in die Geschichte eingehen. Ja, die Hilfe<br />

für die notleidenden Flüchtlinge ist das<br />

dringendste Gebot der Stunde. Aber auch<br />

unsere Haustiere sind auf unseren guten<br />

Willen angewiesen. Der Mensch hat diese<br />

Tiere ihrer Freiheit beraubt, gezähmt und<br />

für seine Zwecke nutzbar gemacht. Sie<br />

sind ihm auf Gnade und Ungnade ausgeliefert.<br />

Er hat daher auch die Verpflichtung,<br />

nach bestem Willen für ihr Wohlergehen<br />

zu sorgen.»<br />

In den 1950er-Jahren waren Offenställe<br />

für Kühe Mode geworden. Zum<br />

Tränken kamen die meisten Rinder auch<br />

im Winter täglich zweimal aus den Ställen.<br />

Bereits damals existierten Betriebe,<br />

die tausende von Legehennen hielten.<br />

Diese verteilten sich auf kleinere Einheiten<br />

in mehreren Hühnerhäuschen auf der<br />

grünen Wiese. Zur Gesunderhaltung und<br />

als anerkanntes Gesundheitssanierungsverfahren<br />

von Zuchtsauenherden galt das<br />

sogenannte schwedische System mit Hüttenhaltung<br />

im Freiland. Auch die Mastschweine<br />

wurden zumeist mit Auslauf gehalten.<br />

Bezeichnenderweise kursierte damals<br />

unter Tierärzten und Agronomen der<br />

Spruch: «Wo die Sonne nicht hinkommt,<br />

kommt der Tierarzt hin.»<br />

3.2. Verlorene Jahrzehnte<br />

Mit dem Beginn der zweiten Jahrhunderthälfte<br />

setzten sich Forschung und Beratung<br />

und in deren Schlepptau die Bauern<br />

über diesen tierhalterischen Wissensund<br />

Erfahrungsschatz hinweg. Die zuvor<br />

als gesundheitsfördernd propagierte<br />

Freilandhaltung wurde jetzt verteufelt,<br />

die Ausläufe wurden verschlossen und<br />

die Nutztiere in Ställe auf immer weniger<br />

Raum gepfercht. Als Mittel der Wahl<br />

für die Sanierung von Schweinepopulati-<br />

14<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


onen kam anstelle der Freilandhüttenhaltung<br />

das SPF-Verfahren (specific pathogen<br />

free) in Mode: Hochträchtige Sauen<br />

wurden mittels Kaiserschnitt entbunden<br />

und die Ferkel in möglichst keimfreier<br />

Umgebung aufgezogen. Die Firma Ovomaltine<br />

führte für ihre Eierproduktion<br />

schon früh die in den USA entwickelten,<br />

als letzter Schrei geltenden Käfigbatterien<br />

ein. Diese begannen sich ab den 1960er-<br />

Jahren bei «modernen» Geflügelwirten<br />

immer mehr durchzusetzen, obwohl solche<br />

Ställe in der Anschaffung um ein<br />

Mehrfaches teurer waren als die früheren<br />

tierfreundlichen Freilandhaltungsformen.<br />

Dafür wurde Zeit gespart, und mit gleichem<br />

Arbeitsaufwand konnte ein Vielfaches<br />

von Hühnern «betreut» werden.<br />

Mit dem Aufkommen der Käfigbatterien<br />

etablierte sich auch die Hybridzucht<br />

bei Hühnern. Bislang wurden die Hennen<br />

zum Eierlegen genutzt, und die Männchen<br />

drei bis vier Monate lang gemästet. Das<br />

neue Zuchtverfahren beendete die rund<br />

achttausendjährige Zweinutzung des<br />

Huhns. Fortan setzte man auf spezifische<br />

Mastlinien und mästete deren Männchen<br />

und Weibchen, weil beide viel des begehrten<br />

Brust- und Schenkelfleisches ansetzten,<br />

bereits in sechs Wochen schlachtreif<br />

waren und weniger Futter pro Kilogramm<br />

Zuwachs verbrauchten. Die Legelinien<br />

zeichneten sich durch extrem hohe Legeleistung<br />

aus. Legte früher ein Zweinutzungshuhn<br />

150 bis 180 Eier, so liefert ein<br />

modernes Hybridhuhn 300 Eier jährlich<br />

ab. Da die Mast der schmächtigen männlichen<br />

Legetiere nicht rentabel ist, werden<br />

sie als Eintagsküken getötet. Allein in<br />

Europa betrifft dies 500 Millionen Küken.<br />

Diese krasse Entwicklung führte dazu,<br />

dass das früher sehr teure Geflügelfleisch<br />

heute das billigste <strong>Fleisch</strong> ist und auch die<br />

Eierpreise, mindestens, was die Entschädigung<br />

der Bauern betrifft, massiv gesunken<br />

sind. In den 1930er-Jahren konnte ein<br />

Landwirt in der Schweiz vom jährlichen<br />

Ertrag des Eierverkaufs von fünf bis sechs<br />

Hühnern eine Kuh kaufen, heute bräuchte<br />

er dazu gut hundertmal mehr Hühner.<br />

Auf den Feldern und in den Ställen<br />

wurden unglaubliche Leistungssteigerungen<br />

realisiert. Seit 1960 verdoppelten sich<br />

die Kartoffelerträge pro Hektar auf 400<br />

Tonnen, die Weizenerträge verdreifachten<br />

sich auf 7,6 Tonnen. Innert weniger Jahrzehnte<br />

stieg die durchschnittliche Leistung<br />

je Kuh von 4000 auf fast 8000 Liter<br />

je Jahr. Wie den Masthühnern und Truten,<br />

so wurde auch dem Schwein immer mehr<br />

<strong>Fleisch</strong> angezüchtet, sodass heute 57 %<br />

des Schlachtkörpers sogenannte «edle»,<br />

das heisst verwertbare <strong>Fleisch</strong>stücke sind<br />

und dieser zwei Rippen mehr aufweist.<br />

Zwischen 1950 und 1980 verzweieinhalbfachte<br />

sich der Schweinebestand in<br />

der Schweiz auf 2,2 Millionen Tiere, und<br />

der Kuh- und Rinderbestand stieg in diesem<br />

Zeitraum um einen Drittel auf über<br />

2 Millionen Tiere. Damit wurde bei den<br />

beiden bis heute wirtschaftlich wichtigsten<br />

Tierarten schweizweit zahlenmässig<br />

ein Allzeithoch erreicht. Entsprechend<br />

viel Gülle fiel aber auch an. Die ökologischen<br />

und wirtschaftlichen Folgen dieses<br />

übermässigen Wachstums liessen nicht<br />

lange auf sich warten. Durch damals weitgehend<br />

ungeregeltes und in viehdichten<br />

Regionen wie etwa der Zentralschweiz<br />

sehr konzentriertes Ausbringen der Hofdünger<br />

wurden einzelne Seen derart be-<br />

Mit der extremen genetischen<br />

Leistungssteigerung wurde Geflügel<br />

zum heute billigsten <strong>Fleisch</strong><br />

lastet, dass ihr Ökosystem praktisch zusammenbrach.<br />

Die notwendige Sanierung<br />

verschlang enorme Steuermittel, ebenso<br />

das Verwerten der Milchüberschussproduktion.<br />

Seither sind die Tierzahlen wieder<br />

gesunken auf heute 1,6 Millionen<br />

Tiere der Rinder- und 1,6 Millionen der<br />

Schweinegattung.<br />

Agrowissenschaft, Beratung und Bauern<br />

waren und sind extrem erfolgreich bei<br />

der Bereitstellung von Nahrungsmitteln.<br />

Durch Rationalisierung (z. B. Spezialisierung<br />

auf einen Betriebszweig wie etwa<br />

Rindermast, Milchvieh oder Legehennen;<br />

Einführung von platz- und arbeitssparenden<br />

Haltungsformen), Mechanisierung<br />

und Intensivierung (z. B. Fortschritte<br />

in der Futtererzeugung und Fütterung sowie<br />

Einführung der einseitigen Leistungszucht)<br />

konnten die Erzeugungskosten für<br />

tierische Produkte extrem gesenkt werden.<br />

Dank des technisch-wissenschaftlichen<br />

Fortschritts in der Landwirtschaft<br />

können heute pro Hektar Ackerfläche 4,5<br />

Menschen ernährt werden. 1975, als der<br />

«Club of Rome»-Bericht Kultstatus hatte,<br />

waren es noch 2,8, und 1950 gar nur<br />

1,8 Menschen. Sollte die Weltbevölkerung<br />

weiterhin zunehmen, rechnet man, dass<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

15


im Jahr 2050 ein Hektar Ackerfläche 5,5<br />

bis 6 Menschen ernähren muss.<br />

Von der Übernahme ausländischer<br />

Ideen zur Nutztierhaltung und der in die<br />

Wege geleiteten Ablösung der bäuerlichen<br />

Tierhaltung durch industrielle Tierproduktionsformen<br />

profitierten in der<br />

Schweiz zwischen 1965 und 1985 primär<br />

Metzger, Detailhandel und Konsumenten.<br />

Was früher wenigen Reichen vorbehalten<br />

war, wurde in kurzer Zeit – weil<br />

nun für jedermann erschwinglich – zu<br />

einer Selbstverständlichkeit: unser täglich<br />

<strong>Fleisch</strong>. Doch während die Tierhaltung<br />

boomte und Milchprodukte, <strong>Fleisch</strong><br />

und Eier immer billiger wurden, bezahlten<br />

die Nutztiere die Zeche. Denn die von<br />

Wissenschaft und Beratung propagierten<br />

platz- und arbeitssparenden Haltungsformen<br />

sowie die einseitige Leistungszucht<br />

blendeten das Wesen und die Biologie der<br />

Tiere fast vollkommen aus. Deren Bedürfnisse<br />

wurden auf Nahrung und Wasser<br />

reduziert, also weniger, als jeder Pflanze<br />

zugestanden werden muss. Selbst das Tageslicht<br />

wurde den Schweinen und Hühnern<br />

damals gestrichen!<br />

Besonders hart traf es die Schweine.<br />

Durften sich Muttersauen in der ersten<br />

Hälfte des 20. Jahrhunderts noch zusammen<br />

auf den Weiden tummeln und erhielten<br />

Mastschweine regelmässigen Auslauf<br />

ins Freie, wurden sie ab den 1960er-Jahren<br />

komplett eingesperrt. An einem eng<br />

gezurrten Riemen um die Brust angebunden<br />

oder lebenslänglich in einen Käfig<br />

aus Eisenrohren gesteckt, dem sogenannten<br />

Kastenstadn, in dem sich das<br />

Tier nicht einmal drehen konnte, so stellte<br />

sich die brutale Realität für Generationen<br />

von Muttersauen dar! Ihren Kindern, den<br />

Mastschweinen, erging es nicht besser.<br />

Kurz nach der Geburt wurden ihnen routinemässig<br />

die Eckzähnchen herausgebrochen<br />

und der Schwanz abgeschnitten,<br />

die männlichen Tiere wurden kastriert<br />

– alles ohne Schmerzausschaltung! In<br />

Zehnergruppen vegetierten sie in dunklen<br />

Ställen ohne Einstreu, auf vollperforierten<br />

Betonböden und in Kot und Harn<br />

liegend der Schlachtung entgegen. Wenigstens<br />

war man damals noch ehrlich:<br />

Vertreter der Mastleistungsprüfungsanstalt<br />

Sempach bezeichneten in den<br />

1970er-Jahren diese Vollspaltenbodenhaltung<br />

Besuchern gegenüber als «hart»;<br />

man wusste also, was man den Tieren antat.<br />

Erst zehn Jahre später, als diese Tierquälerei<br />

verstärkt in die öffentliche Kritik<br />

geriet, behaupteten die Branchenfunktio-<br />

In den Kastenständen<br />

konnten sich die Sauen<br />

nicht mehr bewegen<br />

näre zynisch, den Schweinen würde es an<br />

nichts fehlen, schliesslich wüchsen sie ja<br />

und setzten fleissig <strong>Fleisch</strong> an.<br />

Die einst mit Recht stolzen <strong>Schweizer</strong><br />

Viehzüchter verloren ihre Verbundenheit<br />

mit den Kühen und liessen sich in<br />

jener Zeit von den angeblichen Vorzügen<br />

der dauernden Anbinde- und Stallhaltung,<br />

extrem kurzen Lägern und dem<br />

elektrischen Kuhtrainer überzeugen. Sie<br />

beerdigten ihre eigenen Vorstellungen<br />

von Tierzucht und deren Zielen und begannen,<br />

mehr und mehr Genetik zu importieren.<br />

Das ursprüngliche Freiburger<br />

Schwarzfleckvieh verschwand vollständig.<br />

Die auf Zweinutzung gezüchteten<br />

«Original»-Simmentaler- und Braunviehkühe<br />

stellen heute kleine Minderheiten<br />

dar; durchgesetzt haben sich milchbetonte<br />

US-Holstein- (rot und schwarz) und<br />

Brownswiss-Herkünfte. Wie Schweine<br />

wurden auch Mastrinder und -munis in<br />

Vollspaltenbodenbuchten platzsparend<br />

gemästet. Auf der Fläche eines durchschnittlichen<br />

Wohnzimmers von 30 Quadratmetern<br />

quetschte man bis zu fünfzehn<br />

der 500 Kilogramm schweren Mastmunis<br />

zusammen. Kälbchen zog man Maulkörbe<br />

an, damit sie ja kein Hälmchen Heu fressen<br />

konnten und ihr <strong>Fleisch</strong> blendend<br />

weiss wurde. Einzeln vegetierten sie in<br />

kleinen Holzverschlägen, aus denen sie<br />

erst zur Schlachtung herauskamen.<br />

Ein Grossteil der <strong>Schweizer</strong> Bauern<br />

brach in den Jahrzehnten zwischen 1960<br />

und 1980 fast vollständig mit den in der<br />

ersten Jahrhunderthälfte fleissig praktizierten<br />

Weide-, Freiland- und Auslaufhaltung.<br />

Das Tier wurde vielerorts zum reinen<br />

Produktionsfaktor, die Mensch-Tier-<br />

Beziehung auf ein Minimum heruntergefahren.<br />

Gleichzeitig weigerten sich die<br />

meisten Landwirtschaftsverbandsfunktionäre<br />

jahrzehntelang, die sich seit Ende<br />

der 1970er-Jahre häufenden praktischen<br />

und wissenschaftlichen Erkenntnisse über<br />

die für Tierwohl und -gesundheit negativen<br />

Folgen der intensiven Tierproduktion<br />

zur Kenntnis zu nehmen und verleugneten<br />

das tierschützerische Gedankengut ihres<br />

ersten Bauernsekretärs völlig.<br />

16<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


4. Tierschutzgesetz<br />

4.1 Entwicklung<br />

Tierschutzgesetzgebung von<br />

1981 bis 2011<br />

Anders als im Ausland, wo selbst in der<br />

EU die intensive Tierproduktion bis heute<br />

politisch nicht ernsthaft in Frage gestellt<br />

wird und der Nutztierschutz einen extrem<br />

schweren Stand hat, rief der tierquälerische<br />

Umgang mit Nutztieren in<br />

der Schweiz bereits früh starke und wirkungsvolle<br />

Gegenkräfte auf den Plan.<br />

Tierschützer wehrten sich zusammen mit<br />

verantwortungsbewussten Bauern und<br />

Konsumenten für einen umfassenden gesetzlichen<br />

Schutz der Nutztiere.<br />

1981 Die eidgenössische Tierschutzgesetzgebung<br />

tritt in Kraft. Wegen des Käfigbatterieverbots<br />

für Hühner und der<br />

umfassenden Haltungsregelung (Nutz-,<br />

Heim-, Wild- und Versuchstiere) sorgt sie<br />

für internationale Aufmerksamkeit und<br />

stellt auch heute noch – nach einer umfassenden<br />

Überarbeitung 2008 – das weltweit<br />

fortschrittlichste Tierschutzgesetzeswerk<br />

dar. Um die wirtschaftlichen Konsequenzen<br />

abzufedern, wird bestehenden<br />

nonkonformen Tierhaltungen eine zehnjährige<br />

Anpassungsfrist gewährt.<br />

1985 Die Tierschutzorganisationen thematisieren<br />

zunehmend die tierschützerischen<br />

Defizite der Tierschutzverordnung.<br />

Mittels Petitionen und parlamentarischen<br />

Vorstössen wird der Bund zum Handeln<br />

aufgefordert. Bemängelt werden Lücken,<br />

unbestimmte Rechtsbegriffe und ungenügende<br />

qualitative Vorgaben zur Tierhaltung.<br />

Ein weiteres Dauerthema stellt der<br />

Vollzug dar. Stark kritisiert werden lasche<br />

oder gar inexistente Kontrollen in gewissen<br />

Kantonen, die mangelhafte Oberaufsicht<br />

des BVET sowie die Überbetonung<br />

des «Zentimetertierschutzes» der Behörden<br />

auf Kosten des qualitativen Tierschutzes<br />

wie etwa Beleuchtung, Bewegung<br />

oder Beschäftigung von Tieren.<br />

1988 Eine STS-Postkartenaktion an den<br />

Bundesrat führt zu einem Verbot von<br />

Schildkrötenprodukten in der Schweiz.<br />

1989 Der STS veranstaltet in Basel ersten<br />

internationalen Kongress gegen Gentechnik<br />

an Tieren. Er fordert, dass die Tierzucht<br />

die Würde der Kreatur zu gewährleisten<br />

habe. 1992 wird die STS-Forderung nach<br />

der Würde der Kreatur in die Bundesverfassung<br />

aufgenommen. Seit 2008 findet<br />

sich diese auch im Tierschutzgesetz.<br />

1990 Der Bundesrat ergänzt die Tierschutzverordnung<br />

um Vorschriften zum<br />

Schutz von Kaninchen.<br />

1991 Die zehnjährige Übergangsfrist für<br />

die Umsetzung der Tierschutzvorschriften<br />

läuft ab. Mit Abstand am konsequentesten<br />

haben die Legehennenhalter die neuen<br />

Vorschriften umgesetzt. Sämtliche Käfigbatterien<br />

sind vor Ablauf der Frist verschrottet<br />

worden. Als tierfreundliche und<br />

wirtschaftliche neue Haltungsform setzt<br />

sich die an der ETH Zürich entwickelte<br />

Volierenhaltung durch. Diese gilt heute<br />

europaweit als die Alternative zur Käfighaltung,<br />

indem sie den Hühnern Einstreu<br />

zum Picken, Scharren und Staubbaden,<br />

geschützte Nester zum Eierlegen und erhöhte<br />

Ruhe- und Rückzugsorte anbietet.<br />

1993/1994 Als Konsequenz der permanenten<br />

Kritik am Tierschutzvollzug befassen<br />

sich die Geschäftsprüfungskommissi-<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

17


onen von National- und Ständerat vertieft<br />

mit der Tierschutzgesetzgebung und<br />

hören dabei auch Vertreter des STS an.<br />

Die sachlichen Vorwürfe des Tierschutzes<br />

werden zu erheblichen Teilen bestätigt<br />

und die GPK mahnt eine Revision von<br />

Gesetz und Verordnung an.<br />

1996 Der STS lanciert eine Petition für<br />

konkrete Tierschutzvorschriften auch für<br />

Pferde, Ziegen und Schafe, welche bislang<br />

nicht in der Tierschutzverordnung<br />

erwähnt sind («Vergessene Tiere»). Danach<br />

folgen zwei weitere Petitionen zur Regelung<br />

von Extremzuchten sowie für ein<br />

Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration.<br />

Diese Forderungen werden im Rahmen<br />

der Revision der Tierschutzgesetzgebung<br />

von 2003 bis 2008 vom Bund erfüllt.<br />

1997 Nachdem der Vorschlag für ein<br />

überarbeitetes Tierschutzgesetz in der<br />

Vernehmlassung vonseiten der Tierhalter<br />

und des Tierschutzes stark kritisiert<br />

wurde, stoppt der Bundesrat das Revisionsprojekt<br />

und setzt stattdessen eine<br />

überarbeitete Tierschutzverordnung in<br />

Kraft. Diese bringt insbesondere für die<br />

Nutztiere Verbesserungen, so etwa die<br />

Gruppenhaltung für Kälber (Ausnahme:<br />

Einzeligluhaltung) sowie ein Verbot der<br />

Vollspaltenböden und der Anbinde- und<br />

Kastenstandhaltung für Sauen. Die Übergangsfrist<br />

für bestehende Stallungen beträgt<br />

zwischen fünf und zehn Jahre.<br />

1999 Das veränderte Mensch-Tier-Verhältnis<br />

führt zur Lancierung der Volksinitiative<br />

«Tier keine Sache» von STS,<br />

<strong>Schweizer</strong>ischer Kynologischer Gesellschaft<br />

(SKG) und <strong>Schweizer</strong> Tierärzteschaft<br />

(GST). Nachdem das Parlament die Gesetzgebung<br />

aufgrund einer parlamentarischen<br />

Initiative von Ständerat Dick Marty entsprechend<br />

angepasst hat, kann die Initiative<br />

im Jahr 2000 zurückgezogen werden.<br />

2000 Neue Erkenntnisse der Veterinärmedizin,<br />

Ethologie und Rechtswissen-<br />

Der Weg zum<br />

Tierschutzgesetz<br />

1961 Der STS startet eine Petition für ein<br />

eidgenössisches Tierschutzgesetz und<br />

sucht im Parlament nach Verbündeten.<br />

1963 Der Bundesrat nimmt die Petition<br />

samt einem von STS und beigezogenen<br />

Fachleuten ausformulierten Gesetzesentwurf<br />

entgegen. Nationalrat Walter Degen,<br />

Kantonstierarzt Baselland, doppelt mit einer<br />

von 41 Räten unterzeichneten Motion für die<br />

Schaffung eines Tierschutzgesetzes nach.<br />

1965 Das Buch «Animal Machines» der<br />

Engländerin Ruth Harrison erscheint unter<br />

dem Titel «Tiermaschinen» auf Deutsch<br />

und befeuert die Forderung nach einem<br />

Tierschutzgesetz. Es zeigt eindrücklich und<br />

schonungslos die Fehlentwicklung der<br />

landwirtschaftlichen Nutztierhaltung auf.<br />

1967 Der STS legt den Bericht «Nutztierhaltung<br />

ohne Gesetz» vor, in dem er die<br />

tierschutzwidrigen Zustände in <strong>Schweizer</strong><br />

Ställen aufzeigt und Druck macht für ein<br />

Tierschutzgesetz.<br />

1971 Eine Kommission unter der Leitung<br />

des Direktors des Bundesamtes für Veterinärwesen,<br />

Prof. Andreas Nabholz, nimmt<br />

die Arbeit für die Ausarbeitung eines Tierschutzverfassungsartikels<br />

auf.<br />

1973 Der Durchbruch: Volk und Stände<br />

heissen den neuen Tierschutzartikel in<br />

der Bundesverfassung mit überragender<br />

Mehrheit gut: 1 041 282 Ja zu 198 866<br />

Nein.<br />

1974 Bundesrat Ernst Brugger setzt eine<br />

ausserparlamentarische Kommission zur<br />

Ausarbeitung eines Tierschutzgesetzes<br />

ein, erneut unter der Leitung von Prof. Andreas<br />

Nabholz. Mitglied dieser Kommission<br />

ist auch STS-Geschäftsführer Hans-<br />

Peter Haering. Nabholz und Haering machen<br />

Druck für eine fortschrittliche und<br />

umfassende Tierschutzgesetzgebung.<br />

Aus diesem gemeinsamen Kampf für einen<br />

gesetzlichen Schutz der Tiere wird<br />

sich eine lebenslange enge Freundschaft<br />

entwickeln.<br />

Die zwei treibenden Personen hinter dem<br />

Tierschutzgesetz: Prof. Dr. Andreas Nabholz<br />

und Hans-Peter Haering<br />

1975 Der junge Auslandschweizer Mark<br />

M. Rissi dreht mit Schaggi Streuli, Ines Torelli,<br />

Jörg Schneider und Walo Lüönd den<br />

Spielfilm «De Grotzepuur». Dieser wird<br />

vom STS mitfinanziert und zeigt erstmals<br />

einem breiten und geschockten Kinopublikum<br />

Hühnerbatterien, angebunde Mastkälber<br />

mit Maulkorb und Ferkelkäfige. Damit<br />

war das Thema Tierfabriken schweizweit<br />

in der Öffentlichkeit lanciert und die<br />

Notwendigkeit eines Tierschutzgesetzes<br />

in breiten Kreisen erkannt.<br />

1977 Prominente Persönlichkeiten wie<br />

beispielsweise Nobelpreisträger Konrad<br />

Lorenz, Zoodirektor Prof. Heini Hediger<br />

und Publizist und Tierforscher Bernhard<br />

Grzimek unterstützen den STS in seinem<br />

Kampf für ein fortschrittliches Tierschutzgesetz.<br />

1978 Das Parlament beschliesst das erste<br />

eidgenössische Tierschutzgesetz. Die<br />

«Ligue contre la vivisection» ergreift dagegen<br />

das Referendum, während der STS<br />

und die Tierärzteschaft trotz gewissen<br />

Vorbehalten für das neue Gesetz kämpfen.<br />

Volk und Stände nehmen dieses im<br />

Dezember mit 78 % Jastimmen an.<br />

1979 Die eidgenössischen Behörden beginnen<br />

mit der Arbeit zur Tierschutzverordnung.<br />

In dieser sollen die konkreten<br />

Ausführungsbestimmungen zum Tierschutzgesetz<br />

niedergelegt werden.<br />

18<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


schaften sowie das veränderte Mensch-<br />

Tier-Verhältnis zeigen immer deutlicher,<br />

dass bezüglich des Tierschutzgesetzes<br />

Handlungsbedarf besteht und es mit Verordnungsänderungen<br />

allein nicht mehr<br />

getan ist. Klare Lücken bestehen etwa<br />

bei Heimtieren und der Gentechnologie<br />

an Tieren, ebenso bei Extremzuchten, wo<br />

zwar grundsätzlich ein Konsens für ein<br />

Verbot besteht, den Behörden dazu aber<br />

die Abstützung auf einen entsprechenden<br />

Passus im Tierschutzgesetz fehlt. Auch die<br />

vom Parlament beschlossene veränderte<br />

Rechtsstellung der Tiere wirkt in diese<br />

Richtung.<br />

2001 Nachdem eine vom Bundesrat eingesetzte<br />

ausserparlamentarische Kommission,<br />

in der auch Vertreter des Tierschutzes<br />

und der Tierärzteschaft Einsitz haben,<br />

eine umfassende Revision des mittlerweile<br />

zwanzigjährigen Tierschutzgesetzes<br />

gefordert hat, schickt der Bundesrat eine<br />

Botschaft für ein neues Tierschutzgesetz<br />

in die Vernehmlassung. Der STS kritisiert<br />

den Vorschlag stark, da der Fokus primär<br />

auf der Bildung der Tierhalter liegt und<br />

kaum materielle Besserstellungen für die<br />

Tiere zugestanden werden. Zudem will der<br />

Bundesrat die geltende Betäubungsvorschrift<br />

für Säugetiere teilweise aufheben.<br />

Diese Vorschrift geht auf eine STS-Volksinitiative<br />

zurück, welche 1893 von Volk<br />

und Ständen angenommen worden war.<br />

Jetzt ist Zeit für<br />

mehr Tierschutz!<br />

Unterstützen Sie die Volksinitiative<br />

«Für einen zeitgemässen Tierschutz (Tierschutz – JA!)»<br />

<strong>Schweizer</strong> TierSchuTz STS<br />

Ein stetiger Kampf für Verbesserungen<br />

beim Tierschutzgesetz<br />

– für alle Tiere!<br />

2002 Der STS lanciert die Volksinitiative<br />

«Tierschutz – Ja!». Diese enthält einen<br />

umfangreichen und detaillierten<br />

Tierschutzforderungskatalog. Aufgrund<br />

dieser Initiative und massiver Proteste<br />

zieht der Bundesrat den Vorschlag nach<br />

Aufhebung der generellen Betäubungspflicht<br />

beim Schlachten zurück. Damit ist<br />

die Wiedereinführung des betäubungslosen<br />

Schlachtverfahrens, des sogenannten<br />

Schächtens, vom Tisch. Das Parlament<br />

beschliesst, die Beratungen für ein neues<br />

Tierschutzgesetz um ein Jahr zu verschieben,<br />

damit dieses Geschäft parallel zur<br />

STS-Initiative behandelt werden kann.<br />

2003 Der STS reicht die Volksinitiative<br />

«Tierschutz – Ja!» mit rund 120 000 Unterschriften<br />

ein. Das Parlament beginnt<br />

mit den Beratungen für ein neues Tierschutzgesetz.<br />

Die Tierschutzorganisationen<br />

werden dabei mehrmals gehört und<br />

begleiten den Gesetzgebungsprozess intensiv.<br />

2005 Der STS kann die Volksinitiative<br />

«Tierschutz – Ja!» zurückziehen, da<br />

Stände- und Nationalrat das Tierschutzgesetz<br />

gegen den Willen des Bundesrats<br />

in Teilbereichen nachbesserten. Zudem<br />

verspricht der Bundesrat den Tierschutzorganisationen,<br />

bei der Revision<br />

der Tierschutzverordnung Lücken zu füllen<br />

(Schafe, Ziegen, Pferde, Fische) und<br />

materielle Verbesserungen zugunsten der<br />

Tiere durchzusetzen.<br />

2006 Der STS lanciert die Volksinitiative<br />

«Tierschutzanwalt JA!». Mit rund 140 000<br />

beglaubigten Unterschriften reicht er<br />

diese im Sommer 2007 ein.<br />

2008 Eine komplett überarbeitete neue<br />

Tierschutzgesetzgebung tritt in Kraft.<br />

Diese sieht unter anderem eine Beschränkung<br />

der Tiertransportdauer auf sechs<br />

Stunden, ein Verbot von Extremzuchten<br />

und des Ferkelkastrierens ohne Schmerzausschaltung<br />

sowie konkrete Vorschrif-<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

19


4.2 Bewertung des neuen<br />

Tierschutzgesetzes (TSchG)<br />

Das neue TSchG bringt eine ganze Reihe<br />

von Verbesserungen zugunsten der Tiere,<br />

beispielsweise:<br />

ten zum Schutz von Ziegen, Schafen und<br />

Pferden vor. Diese Nutztiere waren bislang<br />

von der Tierschutzgesetzgebung<br />

nicht geschützt. Neu ist auch eine verstärkte<br />

Aus- und Weiterbildung sowie Information<br />

der Tierhalter festgeschrieben.<br />

2010 Volk und Stände lehnen die Tierschutzanwalt-Initiative<br />

mit 77 % Neinstimmen<br />

ab.<br />

Vier Jahre lang haben Tierschützer,<br />

Bauern und Veterinäre gegen den Wankelmut<br />

des Bundesrats gekämpft, auf Druck<br />

der EU Schlachttiertransits durch die<br />

Schweiz führen zu wollen. Jetzt schreibt<br />

der Bundesrat ein umfassendes Schlachttiertransitverbot<br />

in der Tierschutzverordnung<br />

fest. Nachdem der STS die völlig<br />

veralteten Tierschutzvorschriften zur<br />

Schlachtung jahrelang kritisiert hat, setzt<br />

der Bundesrat eine Departementsverordnung<br />

mit substanziellen tierschutzrelevanten<br />

Vorschriften für Schlachttiere in<br />

Kraft.<br />

Seit 2010 verboten: Ferkelkastration<br />

ohne Schmerzausschaltung<br />

Vorstoss mit dem Ziel, den Viehexport zu<br />

subventionieren.<br />

Der Bundesrat legt dem Parlament<br />

eine Minirevision des Tierschutzgesetzes<br />

vor. So sollen Tierversuche transparenter<br />

deklariert, der Handel mit Katzen- und<br />

Hundefellen gänzlich verboten, der Einsatz<br />

von «Hilfsmitteln» im Umgang mit<br />

Tieren geregelt und vorsätzliche wie fahrlässige<br />

Verstösse gegen das Tierschutzgesetz<br />

angezeigt werden. 2012 nimmt das<br />

Parlament diese tierschützerischen Nachbesserungen<br />

an. Zudem beschliesst es ein<br />

Verbot der Delfinhaltung und hebt das<br />

Schlachttiertransitverbot auf Gesetzesstufe.<br />

Verboten wird auch der Hausiererhandel<br />

mit Hunden.<br />

• Verbot der Ferkelkastration ohne<br />

Schmerzausschaltung ab 2010<br />

• Beschränkung von Tiertransporten auf<br />

maximal sechs Stunden<br />

• Importverbot für Hunde- und Katzenfelle<br />

• Vorschriften zur Tierzucht und ein Verbot<br />

von Extremzuchten<br />

• Förderung der Tierschutzforschung<br />

• Schutz der «Tierwürde», inklusive Verbot<br />

Sodomie<br />

• Neue Vollzugsinstrumente: verbesserte<br />

Ausbildung und Information von Tierhaltern,<br />

Tiertransporteuren und<br />

Schlachthofpersonal; kantonale Tierschutzfachstellen;<br />

gesamtschweizerisch<br />

gültiges Tierhalteverbot; Zielvereinbarung<br />

und Leistungsaufträge; Verlängerung<br />

Verjährungsfristen.<br />

Insgesamt ist die Revision aus Sicht des<br />

Tierschutzes aber wegen der mutlosen<br />

Haltung des Bundesrats und den Tierschutzbremsern<br />

im Parlament ungenügend<br />

ausgefallen. Die Tiere hätten ein<br />

besseres Gesetz verdient. Nicht verankert<br />

werden konnten beispielsweise:<br />

• Verbot schwerbelastender Tierversuche<br />

und ethisch fragwürdiger Versuchszwecke<br />

(Kosmetika, Putzmittel, Luxusgüter,<br />

Tabak)<br />

• Periodischer Auslauf für alle Nutztiere<br />

• Artgerechte Haltung von Wild- und<br />

Versuchstieren<br />

• Verbot von tierschutzwidrigen Importen<br />

respektive Deklaration nach Art der<br />

Tierhaltung<br />

2011 Das Parlament lehnt eine Motion<br />

ab, welche das Stacheldrahtverbot für<br />

Pferdeweiden in der Tierschutzverordnung<br />

abschaffen will, und ebenso einen<br />

20<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


4.3 Bewertung der neuen<br />

Tierschutzverordnung<br />

(TSchV)<br />

Der Wille des Bundesrats, dem vom Parlament<br />

beschlossenen höheren Schutzniveau<br />

des Gesetzes, aber auch Erkenntnissen<br />

zum Tierwohl aus Wissenschaft und<br />

Praxis Rechnung zu tragen, ist in der<br />

neuen TSchV sichtbar. Davon können im<br />

Vergleich zur Situation vor 2008 gleich<br />

mehrere Tierarten profitieren. Beispielsweise<br />

die rund sieben Millionen Heimtiere<br />

sowie Pferde, Ziegen, Schafe, Truten und<br />

Fische. Diese bisher von der TSchV «vergessenen»<br />

Tierarten erhalten nun konkrete<br />

Schutzbestimmungen.<br />

Trotzdem: Die neue Tierschutzgesetzgebung<br />

ist nicht der grosse Wurf zugunsten<br />

der Nutztiere geworden, wie es<br />

etwa seinerzeit das Käfigbatterieverbot<br />

für Hühner darstellte. Nachdem Nutztiere<br />

jahrzehntelang ohne Rücksicht auf ihre<br />

Bedürfnisse ausgebeutet wurden, hätte<br />

unserer Gesellschaft ein konsequenterer<br />

Schritt zur Wiedergutmachung sehr wohl<br />

angestanden. Doch einmal mehr walzte<br />

die Agrarlobby mit einer Antitierschutzkampagne<br />

solche Überlegungen nieder.<br />

Wasser für alle Nutztiere<br />

Die neue TSchV ist strenger als die bisherige<br />

und bringt mit vielen Detailverbesserungen<br />

den allermeisten Nutztieren wenigstens<br />

etwas Erleichterung. Beispielsweise<br />

das Recht auf Wasser für alle. Bislang<br />

wurde nämlich jenen Mastschweinen<br />

und -kälbern, die mit flüssigen, salzreichen<br />

Abfällen aus der Käseerzeugung gefüttert<br />

wurden, Wasser vorenthalten – mit<br />

gerade bei Kälbern verheerenden Folgen<br />

für die Gesundheit und deutlich erhöhter<br />

Mortalitätsrate.<br />

Weniger Schmerz<br />

Zu begrüssen sind auch die geltend gemachte<br />

spezifischere Ausbildung und Information<br />

von Tierhaltern, der verbesserte<br />

Schutz von im Freien gehaltenen<br />

Tieren, die Forderung nach Sozialkontakt<br />

und Gruppenhaltung sowie der Schutz<br />

vor übermässigem Lärm. Endlich wurde<br />

auch eine tierschonende Regelung der allermeisten,<br />

teilweise extrem schmerzhaften<br />

Eingriffe getroffen wie beispielsweise<br />

für das Zähneabklemmen und Schwanzcoupieren<br />

bei Ferkeln, das Einsetzen von<br />

Nasenringen/-klammern bei Schweinen,<br />

das Kastrieren von Jungtieren oder das<br />

Schnabel- und Flügelcoupieren beim Geflügel.<br />

Punkto schmerzhafter Eingriffe<br />

sind <strong>Schweizer</strong> Nutztiere damit weltweit<br />

am besten geschützt.<br />

Lücken geschlossen<br />

Zu den Glückspilzen der Verordnungsrevision<br />

zählen Schafe, Ziegen, Truten<br />

und Pferde. Für sie gab es bislang keine<br />

konkreten und verbindlichen Schutzvorschriften,<br />

nun hat der Bundesrat welche<br />

erlassen. Seit 2010 dürfen die 76 000 Ziegen<br />

und 450 000 Schafe in der Schweiz<br />

weich auf Einstreu liegen. Dieses wissenschaftlich<br />

belegte Grundbedürfnis aller<br />

Bauernhoftiere – eine Ausnahme bildet<br />

das Geflügel, welches Einstreu zwar zum<br />

Picken, Scharren und Staubbaden benötigt,<br />

aber seiner Natur gemäss auf erhöhten<br />

Sitzstangen zu ruhen pflegt – gesteht<br />

der Bundesrat unseren Nutztieren allerdings<br />

nur selektiv zu. Zwei der drei Pechvögel<br />

der Revision, die Mastschweine und<br />

Bis 2008 gab es in der Tierschutzverordnung<br />

für Schafe<br />

gar keine Vorschriften<br />

Mastrinder, müssen weiterhin in kahlen,<br />

engen Buchten ohne Einstreu und ohne<br />

Auslauf ins Freie leben. Auch für die Kühe<br />

gab es keine relevanten Verbesserungen.<br />

Sie dürfen weiterhin den grössten Teil ihres<br />

Lebens angekettet im Stall gehalten<br />

werden, und auch der Kuhtrainer bleibt<br />

in bestehenden Ställen legal.<br />

Schluss mit fehlernährten<br />

Kälbern?<br />

Bessere Zeiten sollen für Mastkälber und<br />

Kalbfleischfreunde anbrechen. Der oft<br />

mangelnden Gesundheit von Mastkälbern<br />

aufgrund ihrer widernatürlichen<br />

Fütterung muss bislang mit häufigen Antibiotikagaben<br />

nachgeholfen werden. Ab<br />

Herbst 2013 sollen die natürlichen Abwehrkräfte<br />

von Kälbern gestärkt werden<br />

durch eine artgerechte, rohfaserreichere<br />

Zufütterung mit Heu, Silage oder Gras, die<br />

auch die Eisenversorgung verbessert. Die<br />

Konsumenten müssen deshalb endgültig<br />

Abschied nehmen vom hellen Kalbfleisch,<br />

haben aber dafür Gewähr, dass das in Zukunft<br />

rosa-rötliche Kalbfleisch von gesunden<br />

Kälbern stammt und der Antibiotikaeinsatz<br />

in der Kälbermast zurückgeht.<br />

Schweine können jetzt wenigstens<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

21


im Sommer etwas aufatmen. Da sie nicht<br />

schwitzen und sich in den Ställen nicht<br />

wie in der freien Natur suhlen können,<br />

litten sie bislang an warmen Tagen unter<br />

Überhitzung. Neu muss der Tierhalter<br />

für Abkühlungsmöglichkeiten sorgen. Ein<br />

probates Mittel dazu ist etwa die Schweinedusche,<br />

welche ein hitzegestresstes Tier<br />

selber mit einem Druck der Rüsselscheibe<br />

auslösen kann.<br />

Tiertransporte und<br />

Schlachten<br />

Der Transport von Nutztieren wird mit<br />

der neuen TSchV verbessert, insbesondere<br />

durch die weltweit einzigartige Beschränkung<br />

der Transportzeiten auf maximal<br />

sechs Stunden. Allerdings sind auch hier<br />

noch ungeklärte Fragen zu lösen. Beispielsweise<br />

fehlt eine klare und verbindliche<br />

Definition darüber, ab wann Tiere<br />

nicht mehr als transportfähig gelten und<br />

daher vor Ort oder im nächstgelegenen<br />

Schlachthof zu erlösen wären, statt vorher<br />

noch durch die halbe Schweiz gekarrt<br />

zu werden. Auch die Frage des Transports<br />

hochträchtiger Muttertiere ist bislang unbefriedigend<br />

gelöst. Solche Transporte<br />

sind hierzulande leider zulässig, während<br />

die EU in den letzten 10 % der Trächtigkeit<br />

Ferntransporte verbietet.<br />

Ein grosser Erfolg für die Tiere konnte<br />

im Bereich des Schlachtens erzielt werden.<br />

Die völlig veralteten Vorschriften<br />

wurden im Herbst 2010 endlich dem aktuellen<br />

Wissensstand angepasst<br />

4.4. Vollzug<br />

Der STS spürt trotz klarer Ablehnung der<br />

Tierschutzanwalt-Initiative durch Volk<br />

und Stände im Jahr 2010 den Willen vieler<br />

kantonaler Veterinärämter, den Vollzug<br />

zu verbessern. Offensichtlich scheinen<br />

die neuen Vollzugsinstrumente zu<br />

wirken. Aber auch der politische Wille<br />

für adäquate Kontrollen und Sanktionen<br />

scheint stärker geworden zu sein. Positiv<br />

vermerken die Tierschützer auch die<br />

ersten Versuche zu periodischen nationalen<br />

Tierschutzberichten, die sich im Gang<br />

befindenden Arbeiten zu einer Regelung<br />

von tierschutzrelevanten Extremzuchten<br />

sowie das im Auftrag des BVET erstellte<br />

erste Audit zum Tierschutzvollzug, das<br />

im Sommer 2011 publiziert wurde – auch<br />

wenn der STS darin gravierende Untersuchungslücken<br />

feststellen musste.<br />

Weltweit einzigartig: die<br />

Transportzeit ist auf maximal<br />

sechs Stunden beschränkt<br />

22<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


5. Agrarpolitik<br />

5.1 Entwicklungen von<br />

1951 bis 2011<br />

1951 Das Parlament verabschiedet ein<br />

neues Landwirtschaftsgesetz. Dessen nach<br />

den bitteren Erfahrungen in den Weltkriegsjahren<br />

nachvollziehbaren Ziele: Die<br />

Förderung eines gesunden Bauernstandes<br />

und der Nahrungsmittelproduktion, um<br />

die Versorgung der Bevölkerung auch in<br />

Krisenzeiten gewährleisten zu können.<br />

1970 Der wissenschaftlich-technische<br />

Fortschritt, die enormen Kraftfutterimporte,<br />

die Einkreuzung mit ausländischen<br />

Milchrassen und die daraus resultierenden<br />

Leistungssteigerungen von Kühen sowie<br />

die staatlich festgelegten Preise und Übernahmegarantien<br />

für Milch, <strong>Fleisch</strong> und<br />

pflanzliche Erzeugnisse führen Jahr für<br />

Jahr zu Überproduktionen («Milchschwemme»,<br />

«Butterberge») und teuren<br />

Überschussverwertungsmassnahmen. Dies<br />

und die Entstehung von gewerblichen<br />

Tiermastbetrieben, die im grossen Stil<br />

Vieh mästen («Tierfabriken», «Bahnhofbauern»),<br />

ohne Land und Futter zu besitzen,<br />

ruft Opposition in Bauern-, Konsumenten-<br />

und Tierschutzkreisen hervor.<br />

1979 Die Milchkontingentierung wird<br />

eingeführt, um den Milchüberschüssen<br />

Einhalt zu gebieten.<br />

1980 Gründung der Kleinbauernvereinigung<br />

(VKMB). Mit ihr arbeitet der STS<br />

in den kommenden Jahrzehnten immer<br />

wieder zusammen: Für eine bäuerlich geprägte,<br />

artgemässe Tierhaltung, gegen<br />

Tierfabriken und gegen den forcierten<br />

Strukturwandel («Bauernsterben»), nahm<br />

doch zwischen 1951 und 2011 die Zahl<br />

an Landwirtschaftsbetrieben von 200 000<br />

auf 60 000 ab.<br />

1981 Die Tierschutzgesetzgebung wird in<br />

Kraft gesetzt und in der Tiermast werden<br />

Höchstbestände festgelegt. So darf ein<br />

Landwirt nun beispielsweise nicht mehr<br />

als 1000 Schweine oder 12 000 Poulets<br />

mästen, und Stallneubauten werden nur<br />

mehr bodenbewirtschaftenden Betrieben<br />

bewilligt. Grossbestände und bodenunabängige<br />

Gewebebetriebe müssten abgebaut<br />

werden. Damit versucht die Schweiz frühzeitig,<br />

der Massentierhaltung einen Riegel<br />

zu schieben.<br />

1985 Die negativen ökologischen Folgen<br />

der intensiven Tier- und Pflanzenproduktion<br />

treten immer stärker hervor<br />

und werden zunehmend öffentlich kritisiert.<br />

Als Folge davon lanciert die VKMB<br />

die «Kleinbauerninitiative».<br />

1989 Die Kleinbauerninitiative wird nur<br />

ganz knapp mit 51 % Neinstimmen abgelehnt.<br />

Dieser unerwartete Achtungserfolg<br />

rüttelt Bundesrat und Behörden auf und<br />

hilft mit, die Weichen für eine neue Agrarpolitik<br />

zu stellen.<br />

1990 Der STS wendet sich gegen die Gentechnik<br />

an Nutztieren, insbesondere gegen<br />

die Erzeugung von transgenen Tieren<br />

und den Einsatz des gentechnisch veränderten<br />

Wachstumshormons rBST (Rekombinantes<br />

bovines Somatotropin) zur Leistungssteigerung<br />

bei Kühen, welches ab<br />

1993 in der US-Milchproduktion in grossem<br />

Stil eingesetzt, in der Schweiz und<br />

den europäischen Staaten aber nicht zugelassen<br />

wird. Er bringt seine Forderung<br />

nach einem Verbot von Gentech-Tieren<br />

sowie die Idee, tierfreundliche Formen der<br />

Nutztierhaltung mittels Direktzahlungen<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

23


zu fördern, in die von NGOs wie WWF,<br />

Pro Natura, VKMB und KAGfreiland sowie<br />

den politischen Parteien SP und LdU<br />

lancierte «Bauern- und Konsumenten-Initiative»<br />

ein.<br />

1992 Einreichung der «Bauern- und Konsumenten-Initiative».<br />

Sie verlangt eine<br />

neue Agrarpolitik mit der Einführung von<br />

allgemeinen und ökologischen Direktzahlungen.<br />

1993 Der STS erstellt einen Hintergrundbericht<br />

zur verbreiteten Verabreichung<br />

von jährlich zehntausenden von<br />

Tonnen antimikrobieller Leistungsförderer<br />

(AML), vornehmlich in der Aufzucht<br />

sowie der Mast von Rindern und Schweinen.<br />

Die Hauptkritik: Schlechte Haltungsbedingungen<br />

können mit diesen «Fütterungsantibiotika»<br />

übertüncht und Resistenzen<br />

gefördert werden. Nachdem die<br />

relevanten Labelprogramme den Einsatz<br />

von AML bereits ausschliessen, fordert<br />

der STS nun ein landesweites Verbot,<br />

analog dem in den 1980er-Jahren in der<br />

Schweiz und später auch in der EU erlassenen<br />

Verbot zum Einsatz von Hormonen<br />

in der Tiermast.<br />

Höhere Investitionskredite<br />

gibt es für besonders tierfreundliche<br />

Stallbauten<br />

1995 Volk und Stände nehmen einen<br />

neuen Landwirtschaftsartikel in der Bundesverfassung<br />

an, der das heutige Direktzahlungssystem<br />

festschreibt und mehr<br />

ökologische und tierschützerische Leistungen<br />

fordert. Mit diesem grossen Erfolg<br />

können STS, Umweltschutzorganisationen<br />

und Kleinbauernvereinigung<br />

die Bauern- und Konsumenten-Initiative<br />

zurückziehen.<br />

Damit hat die alte Agrarpolitik ausgedient.<br />

Die Preise für Milch, <strong>Fleisch</strong>,<br />

Eier und pflanzliche Erzeugnisse werden<br />

in Zukunft nicht mehr vom Staat<br />

garantiert, sondern dem Markt überlassen.<br />

Die Marktkräfte Angebot und Nachfrage<br />

sowie die Marktmacht spielen nun<br />

und lassen die Produzentenpreise schon<br />

bald teilweise empfindlich zurückgehen.<br />

So erhielt ein Bauer 1993 für einen Liter<br />

Milch noch 1,08 Franken, heute, nach<br />

Aufhebung der Milchkontingentierung,<br />

nur noch knapp 60 Rappen!<br />

Im Gegenzug werden die früheren<br />

riesigen Marktagrarsubventionen im Inland<br />

und beim Export schrittweise abgebaut,<br />

um mit einem Teil der so frei werdenden<br />

Gelder die Bauern in Form von<br />

allgemeinen Direktzahlungen zu unterstützen.<br />

Daneben erhalten die Bauern die<br />

Möglichkeit, sich freiwillige Mehrleistungen<br />

für Ökologie und Tierwohl (Biolandbau;<br />

Ökoflächen wie Hecken, Hochstämme<br />

oder extensive Wiesen; Freilandhaltung<br />

von Nutztieren) über ökologische<br />

Direktzahlungen abgelten zu lassen. Sowohl<br />

allgemeine als auch ökologische Direktzahlungen<br />

sind an den ökologischen<br />

Leistungsnachweis (ÖLN) gebunden, das<br />

heisst jeder Bauer, der solche Gelder bezieht,<br />

verpflichtet sich zu:<br />

• tiergerechter Haltung der Nutztiere<br />

• ausgeglichener Düngerbilanz<br />

• angemessenem Anteil an ökologischen<br />

Ausgleichsflächen<br />

• geregelter Fruchtfolge<br />

• geeignetem Bodenschutz<br />

• Auswahl und gezielter Anwendung von<br />

Pflanzenbehandlungsmitteln<br />

Bei der Ausarbeitung des Direktzahlungssystems<br />

bringt der STS, unterstützt auch<br />

vom <strong>Schweizer</strong>ischen Bauernverband,<br />

das Anliegen ein, besonders tierfreundliche<br />

Ställe (BTS) und den regelmässigen<br />

Auslauf (RAUS) speziell zu fördern. Diese<br />

Förderprogramme führen in der Folge<br />

zusammen mit der Nachfrage der Konsumenten<br />

nach tierfreundlichen Produkten<br />

(Labelprogramme) dazu, dass immer<br />

mehr Nutztiere Auslauf und Weidegang<br />

erhalten.<br />

1998 Der Bundesrat beschliesst im Rahmen<br />

der Strukturverbesserungsmassnahmen<br />

für die Landwirtschaft, an besonders<br />

tierfreundliche Stallneubauten 20 % höhere<br />

Investitionskredite als für konventionelle<br />

auszurichten. Er kommt damit der<br />

STS-Forderung, Investitionskredite nur<br />

mehr für BTS/RAUS-konforme Stallbauten<br />

zu sprechen, ein Stück weit entgegen.<br />

Die Strukturverbesserungsverordnung<br />

wird auf 1999 in Kraft gesetzt. Von den<br />

unterstützten Stallplätzen werden in den<br />

letzten Jahren über 90 % als BTS-Ställe<br />

gebaut.<br />

1999 Die Agrarpolitik stellt nebst der<br />

Multifunktionalität der Landwirtschaft<br />

(naturnahe, tierfreundliche Lebensmit-<br />

24<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


telerzeugung; Sorge um die natürlichen<br />

Lebensgrundlagen wie Luft, Böden und<br />

Wasser) neu die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit<br />

(Abbau des früheren<br />

Grenzschutzes und vermehrte Importkonkurrenz)<br />

ins Zentrum. Diese Zusatzaufgabe<br />

wird in der Folge die notwendige<br />

Ökologisierung der Landwirtschaft stark<br />

behindern.<br />

Der Bundesrat erlässt ein AML-Verbot.<br />

Damit ist die Schweiz nach Schweden,<br />

welches bereits zehn Jahre zuvor den<br />

Einsatz von Fütterungsantibiotika verboten<br />

hat, weltweit das zweite Land, welches<br />

dem AML-Einsatz einen Riegel schiebt.<br />

Die EU wird erst 2009 mit einem Verbot<br />

nachziehen.<br />

Gegen neue Tierhöchstbestände:<br />

Abgabe der Petition<br />

– und Ziel erreicht<br />

2001 Der STS erreicht, dass Direktzahlungen<br />

zur Förderung des regelmässigen<br />

Auslaufs von Nutztieren (RAUS-Beiträge)<br />

inskünftig nicht mehr für Turbomasthühnerrassen<br />

ausgerichtet, sondern an eine<br />

Mindestmastdauer gebunden werden; zudem<br />

wird die Beitragshöhe für Freilandmasthühnerhaltungen<br />

erhöht.<br />

2003 Der Bundesrat setzt die Verordnung<br />

über die Deklaration für landwirtschaftliche<br />

Erzeugnisse aus in der Schweiz verbotener<br />

Produktion in Kraft. Deklariert werden<br />

müssen unter anderem importierte<br />

Käfigbatterieeier oder <strong>Fleisch</strong> von Tieren,<br />

die AML oder Hormone zur Leistungssteigerung<br />

erhalten, seit 2012 auch Importfleisch<br />

von Kaninchen in Käfigbatterien.<br />

Das Gentechnikgesetz tritt in Kraft<br />

und verbietet den Einsatz gentechnisch<br />

veränderter Nutztiere in der Landwirtschaft.<br />

Gentechnisch veränderte Wirbeltiere<br />

dürfen nur für Zwecke der Forschung,<br />

Therapie und Diagnostik an Menschen<br />

oder Tieren erzeugt und in Verkehr<br />

gebracht werden.<br />

2005 Zusammen mit der Kleinbauernvereinigung<br />

reicht der STS eine Petition<br />

gegen Tierfabriken mit 90 000 Unterschriften<br />

ein. Als Konsequenz hält das<br />

Parlament an den Höchsttierbestandesvorschriften<br />

fest.<br />

Volk und Stände nehmen die Gentechfrei-Initiative<br />

der <strong>Schweizer</strong>ischen<br />

Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) an,<br />

deren Mitträger der STS ist. Die Landwirtschaft<br />

wird auf ein Gentech-Moratorium<br />

verpflichtet (Anbau, Futtermittel).<br />

2006 Der STS deckt das Ansinnen des<br />

Bundesrats auf, anlässlich der Revision<br />

der eidgenössischen Verordnung über<br />

die Ein-, Durch- und Ausfuhr von Tieren<br />

und Tierprodukten (EDAV) neu Schlachttiertransits<br />

zuzulassen. In der Folge werden<br />

sieben Standes- und eine parlamentarische<br />

Initiative eingereicht, sodass der<br />

Bundesrat nicht umhinkommt, 2010 ein<br />

Transitverbot für alle Schlachttiere in der<br />

Tierschutzverordnung festzuschreiben.<br />

2008 Der STS startet die Kampagne «Weg<br />

mit dem Stacheldraht». Alle grossen Zaunanbieter<br />

verpflichten sich, auf den Verkauf<br />

dieses Produkts für Weidezäune zu<br />

verzichten. Eine STS-Weidezaunbroschüre<br />

wird breit an Tierhalter verteilt. In<br />

der Folge verbieten viele <strong>Schweizer</strong> Gemeinden<br />

dieses tierschutzwidrige Zaunsystem,<br />

und der STS unterstützt Aktionen<br />

zum Ersatz von Stacheldraht auf Weiden.<br />

2009 Die Milchkontingentierung wird<br />

aufgehoben. Der STS hat im Vorfeld vehement<br />

davor gewarnt mit dem Argument,<br />

dass die Kühe nun zu noch mehr Leistung<br />

gezwungen würden und der Kraftfuttereinsatz<br />

anstiege. In der Folge fällt<br />

der bäuerliche Milchpreis auf knapp 60<br />

Rappen. Es wird viel zu viel konventionelle<br />

Milch produziert und immer mehr<br />

importiertes Kraftfutter eingesetzt.<br />

Der STS erreicht eine Erhöhung der<br />

Beiträge zur Förderung von besonders<br />

tierfreundlichen Gruppenkaninchenhaltungen.<br />

2010 Das Ansinnen des Bundesrats, im<br />

Agrarbereich ein umfassendes Freihandelsabkommen<br />

mit der EU abzuschliessen,<br />

wird unterschiedlich aufgenommen.<br />

Das Spektrum reicht von vorbehaltloser<br />

Zustimmung seitens des Handels und der<br />

Importeure über ein «Ja, aber» der Agrarallianz<br />

bis zur Ablehnung durch die meisten<br />

bäuerlichen Organisationen. Um sich<br />

eine eigene Meinung bilden zu können,<br />

recherchiert der STS die Tierhaltungsbedingungen<br />

in der EU und stellt sie den<br />

schweizerischen Gegebenheiten gegenüber.<br />

Er kommt dabei zum Schluss, dass<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

25


aus Tierschutzsicht ein Freihandelsabkommen<br />

mit der EU abzulehnen ist, weil<br />

dadurch unter anderem zunehmend Produkte<br />

aus Tierfabriken importiert und die<br />

einheimischen Tierwohlanstrengungen<br />

konkurrenziert würden.<br />

Die Agrarallianz und der STS setzen<br />

sich für eine konsequente Qualitätsstrategie<br />

ein, sowohl in der Agrarpolitik bei der<br />

Neuausrichtung der Direktzahlungen als<br />

auch am Markt. Die <strong>Schweizer</strong> Landwirtschaft<br />

hat langfristig nur eine Chance mit<br />

einer Qualitätsproduktion, welche sich klar<br />

von der weltweit verfolgten Intensiv(tier)<br />

produktion abhebt. Mit der zwar noch ungenügend<br />

unterstützten, aber doch eingeführten<br />

Ökologisierung und Tierwohlförderung<br />

sowie einer ständig steigenden<br />

Anzahl sensibilisierter Konsumenten<br />

verfügt die Schweiz dafür über gute Ausgangsbedingungen.<br />

2011 In der Vernehmlassung zur Agrarpolitik<br />

2014–2017 (AP 2014–17) bringt der<br />

Bundesrat einen Vorschlag für eine komplette<br />

Neugestaltung des Direktzahlungssystems.<br />

Die allgemeinen tierhaltungsbezogenen<br />

Direktzahlungen sollen komplett gestrichen<br />

werden. Der STS fordert eine konsequentere<br />

und verstärkte Förderung des<br />

Tierwohls, eine bessere Deklaration von<br />

Produkten aus verbotenen Produktionsmethoden,<br />

die Beibehaltung der Höchsttierbestandesregelung,<br />

die Abschaffung von<br />

Subventionen für öffentliche Viehmärkte<br />

und die Auflage, dass Investitionskredite<br />

und andere Strukturverbesserungsmassnahmen<br />

nur mehr für tierfreundliche Stallbauprojekte<br />

gesprochen werden sollen. Das<br />

Parlament wird ab Herbst 2012 das neue<br />

Landwirtschaftsgesetz und die Neuausrichtung<br />

des Direktzahlungssystems beraten<br />

und beschliessen.<br />

5.2 Landwirtschaftsgesetz<br />

und Direktzahlungen<br />

Mit Einführung der Direktzahlungen in<br />

den 1990er-Jahren änderte sich die Agrarpolitik<br />

drastisch. Der Systemwechsel war<br />

notwendig und richtig. Die Direktzahlungen<br />

haben die Abkehr von der Planwirtschaft<br />

hin zur Marktwirtschaft mit ermöglicht<br />

und für erste messbare Resultate bei<br />

der notwendigen Ökologisierung und Tierwohlförderung<br />

gesorgt. Der ÖLN als Bedingung<br />

zur Erhaltung von Direktzahlungen<br />

war und ist sinnvoll.<br />

Das Vertrauen in die Direktzahlungen<br />

Unangemeldete Kontrollen<br />

wären wichtig für glaubwürdige<br />

Direktzahlungen<br />

litt indessen durch bekannt gewordene<br />

Mängel bei den Kontrollen und Sanktionen.<br />

Ein erheblicher Teil der Tierhaltungskontrollen<br />

wird angemeldet durchgeführt,<br />

sodass der qualitative Tierschutz oft nicht<br />

korrekt beurteilt werden kann und tierschutzwidrige<br />

Bauern bevorteilt werden.<br />

Dies, obwohl der ÖLN klipp und klar eine<br />

tiergerechte Haltung als Bedingung für<br />

den Bezug der Direktzahlungen festlegt.<br />

Ein Entscheid des Bundesgerichts im Sommer<br />

2011 ermunterte Tierquäler geradezu<br />

und machte die Steuerzahler zu Betrogenen.<br />

Denn das Bundesgerichtsurteil würde<br />

in der Praxis dazu führen, dass ein Landwirt<br />

mit legaler Vollspaltenboden-Schweinemast,<br />

der die Schweine derart vernachlässigt,<br />

dass sie verenden, keinerlei Abzüge<br />

bei den Direktzahlungen zu fürchten hätte.<br />

Mit Recht sehen breite Kreise der Bevölkerung<br />

darin eine Verschleuderung von Steuergeldern.<br />

Das Direktzahlungssystem wurde wegen<br />

der extremen Dominanz der allgemeinen<br />

Direktzahlungen von 80 % der Gesamtsumme<br />

von breiten Kreisen ausserhalb<br />

der Landwirtschaft hinterfragt. Die<br />

gewandelten Bedürfnisse und Erwartungen<br />

der Steuerzahler und Konsumenten,<br />

die gemachten Erfahrungen mit dem bisherigen<br />

System und neue Erkenntnisse legen<br />

nahe, die allgemeinen Direktzahlungen<br />

in Zukunft weniger und die ökologischen<br />

(Mehr-)Leistungen in Zukunft stärker<br />

zu gewichten. Auch die OECD hat im<br />

Herbst 2007 kritisiert, dass nur ein relativ<br />

kleiner Teil der über 2,5 Milliarden Franken<br />

jährlich ausgeschütteten Direktzahlungen<br />

für Konsumenteninteressen wie<br />

den Tier- und Umweltschutz und den Biolandbau<br />

eingesetzt würden. Die Untersuchungen<br />

der Agrarplattform in den Jahren<br />

2005 bis 2007 erbrachten zudem Indizien<br />

dafür, dass diverse ökologische Direktzahlungen,<br />

insbesondere auch bei den BTS/<br />

RAUS-Förderprogrammen, den Mehraufwand<br />

der beteiligten Landwirte nicht annähernd<br />

abdecken.<br />

Als Konsequenz nach 15 Jahren sollen<br />

mit AP 2014–17 die Direktzahlungen<br />

zwar weitergeführt, aber leistungsbezogener<br />

ausgeschüttet werden.<br />

26<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


5.3 Tierwohlförderung<br />

Die Agrarpolitik versucht, das Tierwohl<br />

primär durch zwei Anreizmassnahmen zu<br />

fördern: Bei Stallneubauten über 20 %<br />

höhere Investitionskredite für besonders<br />

tierfreundliche Ställe (BTS), beispielsweise<br />

Freilaufställe für Kühe, sowie<br />

jährliche Direktzahlungen für Bauern, die<br />

sich verpflichten, die Vorschriften der<br />

Tierwohlprogramme Regelmässiger Auslauf<br />

ins Freie (RAUS) und Besonders tierfreundliche<br />

Stallhaltung (BTS) einzuhalten.<br />

Die Grundidee der ökologischen und<br />

der Tierwohldirektzahlungen – Förderung<br />

konkreter und gesellschaftlich erwünschter<br />

Leistungen mittels Beiträgen – hat sich<br />

auch bei BTS und RAUS als richtig erwiesen.<br />

Hier wurde tatsächlich bei mehreren<br />

der geförderten Tierkategorien etwas ausgelöst<br />

und somit Gesundheit und Wohlbefinden<br />

der Tiere verbessert.<br />

Das Tierwohl stellt nur teilweise eine<br />

marktfähige Leistung dar, die über das<br />

Schaffen von Labels und entsprechender<br />

Konsumentennachfrage abgegolten<br />

werden kann. Für viele der in der Landwirtschaft<br />

genutzten rund 25 Tierkategorien<br />

gibt es denn auch keine, respektive<br />

Entwicklung Tierwohl-Förderprogramme<br />

BTS und RAUS 1996 bis 2009<br />

CHF 180<br />

CHF 160<br />

CHF 140<br />

CHF 120<br />

CHF 100<br />

CHF 80<br />

CHF 60<br />

CHF 40<br />

CHF 29<br />

CHF 0<br />

144<br />

47<br />

lassen sich überhaupt keine Tierwohllabels<br />

schaffen, mit denen sich eine bessere<br />

Tierhaltung via Markt und Konsumentennachfrage<br />

fördern liesse. Das gilt etwa<br />

für alle Jung- und Aufzuchttiere, Muttersauen,<br />

Ziegen, Schafe und Pferde.<br />

Deshalb führte der Bund mit dem Direktzahlungssystem<br />

Mitte der 1990er-<br />

Jahre Förderprogramme für besonders<br />

tierfreundliche Haltungsformen ein. In<br />

Ergänzung zu den beschränkten Möglichkeiten<br />

des Marktes sollten sich Landwirte<br />

auf freiwilliger Basis an staatlichen Programmen<br />

zur Tierwohlförderung beteiligen.<br />

Nach übereinstimmender Meinung<br />

von Behörden, Bauern und Tierschützern<br />

wirken BTS und RAUS zielgenau durch<br />

konkrete und nachweisbare Tierwohlmehrleistungen,<br />

spezifiziert für jede der<br />

rund zwei Dutzend auf <strong>Schweizer</strong> Bauernhöfen<br />

gehaltenen Tierkategorien. Tierfreundliche<br />

Haltungsformen kosten mehr<br />

als lediglich gesetzeskonforme. Sie verursachen<br />

Mehrarbeit, erfordern zusätzliche<br />

Infrastruktur (Ausläufe, verhaltensgerechte<br />

Einrichtungen) und Unterhaltskosten<br />

(Einstreu zum Liegen statt kahle,<br />

harte Betonböden). Gleichzeitig werden<br />

wie etwa bei Freilandpoulets durch<br />

153<br />

50<br />

161 163<br />

RAUS Gesamte Beitragssumme/Jahr<br />

BTS Gesamte Beitragssumme/Jahr<br />

1996 2004 2006 2008 2009<br />

56<br />

60<br />

die Wahl entsprechender Rassen, welche<br />

langsamer wachsen und weniger <strong>Fleisch</strong><br />

ansetzen, die Einnahmen vermindert.<br />

BTS/RAUS haben zu nachweislichen<br />

Verbesserungen des Tierwohls und der<br />

Tiergesundheit geführt, wie dies beispielsweise<br />

Untersuchungen von BVET und<br />

BLW an Milchkühen oder Mastschweinen<br />

zeigen. Die grössten Effekte bezüglich<br />

Tierwohl und Tiergesundheit wurden<br />

stets auf jenen Betrieben gemessen, welche<br />

BTS und RAUS kombinieren. Die qualitativen<br />

Vorgaben der BTS- und RAUS-<br />

Vorschriften haben sich grösstenteils bewährt<br />

und gewährleisten ein akzeptables<br />

Tierwohl.<br />

Die Vorgaben verbessern in Teilbereichen<br />

auch die Produktequalität, die Lebensmittelsicherheit<br />

(BTS/RAUS-Mastschweinehaltungen<br />

weisen deutlich weniger<br />

antibiotikaresistente Keime auf)<br />

und die Tiergesundheit (z. B. weniger<br />

Hautschäden bei BTS/RAUS-Kühen und<br />

-Schweinen; tiefere Mortalitätsrate bei<br />

Freilandpoulets). Die mit RAUS geförderte<br />

Weidehaltung von Rindern, Kühen, Ziegen<br />

und Schafen verringert die Ammoniakemissionen<br />

und den CO2-Ausstoss.<br />

Indem sie einen Teil dieses Mehraufwands<br />

abdecken, bieten BTS- und RAUS-<br />

Beiträge den Bauern einen gewissen Anreiz,<br />

die gesellschaftlich erwünschte<br />

Mehrleistung für das Tierwohl zu erbringen.<br />

Ideale Voraussetzungen sind dabei<br />

motivierte Tierhalter, deren Betriebe<br />

gute bauliche Voraussetzungen für BTS/<br />

RAUS aufweisen (Stallsystem erfordert<br />

nur leichte Anpassungen, oder es ist ein<br />

Neu-/Umbau geplant) und die eine Tierkategorie,<br />

für deren Produkte ein Label im<br />

Detailhandel oder im Gastrokanal existiert,<br />

auf BTS/RAUS umstellen wollen. Die<br />

allermeisten Betriebe, die sich heute an<br />

BTS/RAUS beteiligen, dürften zwei oder<br />

gar alle drei dieser Voraussetzungen mitbringen.<br />

Für rund die Hälfte der Tierkategorien<br />

lassen sich aber keine Tierwohllabels und<br />

entsprechende marktgängige Produkte<br />

schaffen, sodass hier keine Synergien<br />

zwischen Markt und BTS/RAUS/Agrarpolitik<br />

spielen können. Der Umstellungsan-<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

27


Beteiligung an Tierwohl-Förderprogrammen BTS und RAUS<br />

Tierkategorie BTS (% aller GVE) RAUS (% aller GVE)<br />

2004 2006 2008 2009 2004 2006 2008 2009<br />

Milchkühe 23 27 32 34 73 77 79 79<br />

Rinder > 1 Jahr 29 33 36 39 69 73 75 74<br />

Stiere > 1 Jahr 30 36 38 51 56 57<br />

Weibl. Jungvieh 4-12 Monate 29 32 35 60 63 66<br />

Männl. Jungvieh 4-12 Monate 11 13 15 * 28 31 33 *<br />

Mutterkühe 80 84 85 93 94 95<br />

Mast (älter als 4 Monate) 59 60 61 46 48 50<br />

Total Rindvieh 30 35 39 40 70 73 76 76<br />

Ziegen 27 30 32 33 69 72 73 75<br />

Kaninchen 16 45 41 30 4 3 4 3<br />

Sauen 55 58 66 64 53 59 66 66<br />

Mastschweine 64 64 64 64 57 60 63 50<br />

Total Schweine 61 62 65 64 57 60 63 50<br />

Legehennen 78 81 86 86 62 65 69 69<br />

Poulets 85 88 88 88 10 9 10 11<br />

Pferde 13** 83 84 84 84<br />

Schafe *** 80 82 84 84<br />

* 2009: Änderung der Kategorien ** BTS-Pferde 2009 eingeführt *** Es existiert kein BTS-Programm für Schafe<br />

reiz hängt damit ausschliesslich von der<br />

Höhe der BTS/RAUS-Beiträge ab. Kommen<br />

dann noch ungünstige betriebliche<br />

Voraussetzungen hinzu, sind die allermeisten<br />

der heutigen BTS/RAUS-Ansätze<br />

viel zu tief, um in betriebswirtschaftlicher<br />

Hinsicht einen echten Anreiz darzustellen.<br />

Die seit 2006 feststellbare Stagnation<br />

bei der BTS/RAUS-Beteiligung hat ihre<br />

Ursache in diesen Gegebenheiten.<br />

5.4 Stellenwert des Tierwohls<br />

bei Steuerzahlern und Konsumenten<br />

Bei der Frage nach der Förderung des Tierwohls<br />

sind nebst den fachlichen Grundlagen<br />

der Tierhaltung und den wirtschaftlichen<br />

Gegebenheiten die Erwartungen der<br />

Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Die<br />

Bevölkerung kauft nicht nur die von der<br />

Landwirtschaft und den nachfolgenden<br />

Stufen erzeugten Produkte, über die Steuern<br />

kommt sie überdies für die Direktzahlungen<br />

auf. Ohne Konsumenten und Steuerzahler<br />

keine Landwirtschaft!<br />

Coop Isopublic-Umfrage (2009): Für<br />

87 % der Befragten ist der Nutztierschutz<br />

wichtig bis sehr wichtig. 73 % achten beim<br />

Einkaufen auf Labelfleisch. 65 % finden,<br />

dass Labelfleisch qualitativ besser sei.<br />

Univox-Umfragereihe zum Thema<br />

«Landwirtschaft» der ETH (seit 2009 ist<br />

das BLW Auftraggeber): Seit 1995 ist das<br />

Tierwohl stets das wichtigste Anliegen der<br />

Befragten. Umfrageergebnis 2009: Betreffend<br />

Einsatz öffentlicher Gelder in der<br />

Landwirtschaft wird an erster Stelle die<br />

Unterstützung/Förderung der tierfreundlichen<br />

Haltung genannt. Der Wunsch<br />

nach Förderung der tierfreundlichen Haltung<br />

mittels spezifischer Direktzahlungen<br />

hat in den vergangenen Jahren zugenommen.<br />

In den Augen der Bevölkerung stellt<br />

die artgerechte Tierhaltung die wichtigste<br />

Aufgabe der Landwirtschaft dar. Weniger<br />

stark gewichtet werden Landschaftspflege,<br />

gesicherte Ernährung in Krisenzeiten,<br />

Pflege der bäuerlichen Lebensweise<br />

und die Besiedelung abgelegener Gebiete.<br />

Steuerzahler ernst nehmen<br />

Will die Agrarpolitik die Anliegen der<br />

Konsumenten und Steuerzahler ernst nehmen,<br />

muss sie dem Tierwohl in Zukunft<br />

einen weit höheren Stellenwert einräumen.<br />

Die Anliegen der Befragten haben<br />

einen realen Hintergrund: Millionen von<br />

Nutztieren können noch nicht von BTS/<br />

RAUS-Haltungen profitieren und werden<br />

lediglich gemäss den Mindestvorschriften<br />

der Tierschutzverordnung gehalten. Diese<br />

garantieren keine tierfreundliche Haltung,<br />

sondern legen lediglich die Grenze<br />

zur Tierquälerei fest.<br />

Den Konsumenten und Steuerzahlern<br />

geht es zweifellos in erster Linie um die<br />

Ethik der Tiernutzung. Darüber hinaus<br />

spielen aber auch eigennützige Motive<br />

eine Rolle. Dazu gehören insbesondere<br />

der wissenschaftlich erhärtete Zusammenhang<br />

zwischen dem Tierwohl einerseits<br />

und der Tiergesundheit (Krankheiten/Seuchen;<br />

Medikamenteneinsatz) sowie<br />

der Produktequalität und -sicherheit<br />

andererseits. Als weiteres gewichtiges Argument<br />

für mehr Tierwohl ist die positive<br />

Wirkung eines geregelten und gepflegten<br />

Weidegangs auf den Klimaschutz und die<br />

Verminderung von Ammoniakemissionen<br />

zu nennen.<br />

28<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


6. Information, Markt und Konsum<br />

6.1 Entwicklung von<br />

1972 bis 2011<br />

1972 KAGfreiland wird unter dem Namen<br />

«Konsumenten-Arbeitsgruppe zur<br />

Förderung tierfreundlicher und umweltgerechter<br />

Nutzung von Haustieren» gegründet<br />

und vermarktet ab 1973 <strong>Schweizer</strong><br />

Freilandeier. 1974 kommt das erste<br />

KAG-<strong>Fleisch</strong> auf den Markt. Das ist die<br />

Geburtsstunde von Produkten aus tierfreundlicher<br />

Haltung. Der STS arbeitet in<br />

den folgenden Jahrzehnten eng mit KAGfreiland<br />

zusammen.<br />

1976 Aus der Einsicht heraus, dass der<br />

Tierschutz nicht nur eine Frage von Vorschriften<br />

und Gesetzen ist, sondern viel<br />

mit dem Verhalten der Konsumenten zu<br />

tun hat, starten STS und die Zeitschrift<br />

«Annabelle» die Aktion «Herz statt Portemonnaie».<br />

Eier aus Boden- und Freilandhaltung<br />

werden speziell gekennzeichnet<br />

und vermarktet, die Betriebe vom STS<br />

kontrolliert.<br />

1980 Der STS und der Zürcher Tierschutz<br />

unterstützen über die von ihnen gegründete<br />

MUT-Stiftung (MUT = mensch-, umwelt-<br />

und tiergerecht) in den folgenden<br />

Jahren Dutzende von tierschützerisch beispielhaften,<br />

tierfreundlichen Stallbauvorhaben<br />

mittels zinsloser Darlehen.<br />

1984 Als tierfreundliche Alternative zur<br />

tierschutzwidrigen Produktion von weissem<br />

Kalbfleisch unterstützt der STS die<br />

1980 gegründete Vereinigung der Ammen-<br />

und Mutterkuhhalter und hilft mit,<br />

deren Label «Naturabeef» bekannt zu machen.<br />

Bäuerliche Organisationen und<br />

Vertreter des BLW fürchten, dass die aufkommende<br />

Labeltierhaltung die konventionelle<br />

Produktion diskreditieren könnte<br />

und wechseln scharfe Worte mit den Mutterkuhpionieren<br />

und dem STS. Die ablehnende<br />

Haltung verschiedener Bauernorganisationen<br />

und -funktionäre gegenüber<br />

Produkten aus tierfreundlicher Haltung<br />

und entsprechender Aktivitäten bleibt bis<br />

über das Jahr 2000 hinaus erhalten.<br />

1985 Der <strong>Fleisch</strong>verzehr erreicht mit über<br />

70 Kilogramm pro Kopf in der Schweiz ein<br />

Allzeithoch. Der STS publiziert die Schrift<br />

«Unser täglich <strong>Fleisch</strong>», in der er für weniger<br />

<strong>Fleisch</strong>konsum und den Abbau von<br />

Tierfabriken zugunsten tierfreundlicher<br />

bäuerlicher Betriebe plädiert. Seither ist<br />

der <strong>Fleisch</strong>konsum auf 53 Kilogramm gesunken,<br />

wovon 12 Kilogramm importiert<br />

werden.<br />

Der STS schafft eine Beratungsstelle<br />

für artgerechte Nutztierhaltung, die für<br />

mehr Tierwohl in der Landwirtschaft werben<br />

soll.<br />

1986 Der STS startet zusammen mit der<br />

landwirtschaftlichen Schule Bäregg und<br />

einem Dutzend Emmentaler Bauern ein<br />

Praxisprojekt zur Erprobung der Gruppenhaltung<br />

von Zucht- und Mastkaninchen.<br />

Bislang wurden Kaninchen in der<br />

Regel einzeln in engen Verschlägen oder<br />

Käfigen gehalten. Das Emmentaler Projekt<br />

hat Signalwirkung: Heute leben rund<br />

ein Drittel aller Kaninchen in der Schweiz<br />

in solchen Gruppenhaltungsställen.<br />

1987 Der STS und die MUT-Stiftung wollen<br />

sich im Detailhandel verstärkt für den<br />

Absatz von Produkten von Tieren aus artgerechter<br />

Haltung engagieren. Sie gewinnen<br />

den Konsumverein Zürich (K3000)<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

29


und die landwirtschaftlichen Genossenschaftsverbände<br />

fenaco zur Zusammenarbeit<br />

unter dem Label «Gourmet mit<br />

Herz/Agri-Natura». Dass ausgerechnet<br />

die grösste bäuerliche Genossenschaft mit<br />

dem STS zusammenarbeitet und die Zeichen<br />

der Zeit erkennt, bringt der fenaco<br />

anfänglich landwirtschaftsintern harsche<br />

Kritik ein. Doch fortschrittliche Kreise haben<br />

längst realisiert, dass eine wachsende<br />

Schicht von Konsumenten nicht mehr bereit<br />

ist, nur das zu essen, was ihr die Landwirtschaft<br />

vorlegt, sondern vielmehr eigene<br />

Wünsche hat, insbesondere, was den<br />

Natur-, Umwelt- und Tierschutz bei der<br />

Erzeugung von <strong>Fleisch</strong>, Milch und Eiern<br />

anbelangt.<br />

Alle siebzig K3000-Filialen werden<br />

umgestellt und bieten eine breite Palette<br />

von Eiern aus tierfreundlicher Haltung<br />

und Labelfleisch an. Der STS übernimmt<br />

die Kontrolle der rund tausend Herkunftsbetriebe.<br />

Das Label «Gourmet mit Herz/<br />

Agri-Natura» setzt wie die Nachfolgerprogramme<br />

bei Coop, Migros und den anderen<br />

Detaillisten auf drei Schwerpunkte:<br />

Die tiergerechte Haltung mit mehr Platz,<br />

verhaltensgerechten Strukturen und möglichst<br />

Auslauf ins Freie, den schonenden<br />

Umgang mit den Tieren (Transporte,<br />

Schlachtung) und ein Verbot des Einsatzes<br />

von Fütterungsantibiotika. Aus pragmatischen<br />

Gründen galten und gelten die<br />

Anforderungen für die jeweilige Tierkategorie.<br />

Ein Teil dieser privatwirtschaftlichen<br />

Tierschutzforderungen fanden später<br />

Eingang in die Landwirtschaftsgesetzgebung,<br />

etwa bei den BTS/RAUS-Förderprogrammen<br />

1995 oder dem AML-Verbot<br />

1999.<br />

1988 Der STS startet zusammen mit<br />

dem Künstler Tomi Ungerer die Kampagne<br />

«Delikatessen aus der Folterkammer».<br />

Es geht um Qualprodukte wie Stopfleber,<br />

Froschschenkel, Schildkrötenprodukte,<br />

Haifischflossen oder Hummer. Eine Postkartenaktion<br />

an den Bundesrat führt zu<br />

einem Verbot von Schildkrötenprodukten.<br />

1989 Der STS veranstaltet in Basel den<br />

schweizweit ersten Kongress gegen Gentechnik<br />

an Tieren, an dem der amerikanische<br />

Autor und Konsumentenschützer<br />

Jeremy Rifkin ein flammendes Plädoyer<br />

für die tierliche Integrität hält. Der STS<br />

fordert, dass die Tierzucht die Würde der<br />

Kreatur zu gewährleisten habe. 1992 wird<br />

diese Forderung in die Bundesverfassung<br />

aufgenommen und findet sich heute auch<br />

im Tierschutzgesetz.<br />

1991 Die Hühnerhalter haben das Käfigverbot<br />

konsequent umgesetzt. Mit der<br />

Abschaffung der Käfighaltung greifen<br />

<strong>Schweizer</strong> Konsumenten vermehrt zum<br />

tierfreundlichen <strong>Schweizer</strong> Ei.<br />

1992 Der STS beginnt, regelmässig Informationsmaterial<br />

für Nutztierhalter zu<br />

publizieren. Er startet die Veranstaltungsreihe<br />

«Nutztiertagung», die sich an Tierschützer,<br />

Bauern, Berater, Konsumenten,<br />

Behörden und Wissenschaftler richtet und<br />

in der Folge jährlich mit Themen wie Freilandhaltung,<br />

behornte Kühe, Ferkelkastration,<br />

Tiertransporte, Schlachten und<br />

Konsum in Erscheinung tritt.<br />

1993 Der STS recherchiert Tiertransporte<br />

und Schlachtbedingungen und stösst auf<br />

erhebliche Missstände. Nach intensiven<br />

Diskussionen gründet er zusammen mit<br />

engagierten Branchenvertretern, Wissenschaftlern<br />

und Behörden die Interessengemeinschaft<br />

für tierschutzkonforme<br />

Tiertransporte und Schlachthöfe (IGTTS).<br />

Diese bildet in den kommenden fünfzehn<br />

Jahren über 2000 Chauffeure und<br />

Schlachthofmitarbeiter in massgeschneiderten<br />

Tierschutzkursen aus.<br />

1994 Coop zieht bei der Ausarbeitung<br />

seines Labelprogramms «Naturaplan<br />

Porc» den STS bei und überträgt ihm<br />

die Kontrolle der Vertragsbetriebe. Später<br />

wird das Label in «Coop Naturafarm»<br />

umbenannt. Heute sind Naturafarm/Naturaplan<br />

die schweizweit bekanntesten<br />

Labels. Dem STS wird die Kontrolle der<br />

Programme Naturaplan Porc, Naturaplan<br />

Poulet und Naturaplan Kalb übergeben,<br />

ebenso die Überwachung der Tiertransporte<br />

und Schlachthöfe.<br />

Tomi Ungerer unterstützte die<br />

Kampagne gegen «Delikatessen<br />

aus der Folterkammer»<br />

1995 Der STS-Kontrolldienst für artgerechte<br />

Nutztierhaltung wird schweizweit<br />

als erste Tierschutzüberwachungsstelle<br />

vom Bund akkreditiert. Rund zehn Kontrolleure,<br />

Landwirte, Agronomen und Veterinäre<br />

sind mittlerweile hier angestellt<br />

und kontrollieren über tausend Labelbetriebe,<br />

wöchentlich mehrere Tiertransporte<br />

und über ein Dutzend Schlachthöfe<br />

in der Schweiz.<br />

30<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Der STS und die Stiftung für Konsumentenschutz<br />

führen unter dem Titel<br />

«Boykottlets» einen einwöchigen <strong>Fleisch</strong>boykott<br />

durch. Die breite Presseberichterstattung<br />

lässt die <strong>Fleisch</strong>verkäufe spürbar<br />

sinken. Die <strong>Fleisch</strong>branche zeigt sich<br />

danach offener für tierschützerische Verbesserungen.<br />

Der STS erhält Gelegenheit, seine Anliegen<br />

sowohl an Vorstandssitzungen als<br />

auch an der Delegiertenversammlung des<br />

<strong>Schweizer</strong> Metzgermeisterverbandes vorzustellen.<br />

In der Folge unterstützt der Verband<br />

die STS-Forderungen bei der Revision<br />

der Tierschutzgesetzgebung.<br />

1996 Migros und Coop verpflichten sich,<br />

keine Importkäfigeier mehr anzubieten.<br />

Coop nimmt Froschschenkel und Stopfleber<br />

aus dem Sortiment.<br />

1998 Drei Jahre lang, von 1995 bis 1998,<br />

strahlt das <strong>Schweizer</strong> Fernsehen die von<br />

Mark M. Rissi produzierte und von Erich<br />

Gysling moderierte Tierschutzsendereihe<br />

«Tierreport» aus, die Millionen von Zuschauern<br />

erreicht und mehrfach ausgezeichnet<br />

wird. In 18 Sendungen steht der<br />

Tierschutz im Mittelpunkt. Nebst Tierschutzproblemen<br />

werden stets auch Positivbeispiele<br />

gezeigt, und es wird auf den<br />

Zusammenhang zwischen Konsumverhalten<br />

und Tierwohl hingewiesen. Wenig<br />

andere Sendungen lösten ein derartiges<br />

Echo unter den Zuschauern aus.<br />

1999 Der STS prangert zusammen mit<br />

der Stiftung für Konsumentenschutz in<br />

einer «Kalbfleischwoche» die Fehlernährung<br />

von Mastkälbern zur hellen Kalbfleischerzeugung<br />

an. Als Konsequenz gibt die<br />

Metzgerbranche bekannt, die Abzüge für<br />

rosa Kalbfleisch fallen zu lassen.<br />

2003 Der STS startet die Aktion «Essen<br />

mit Herz». Ziel ist es, Konsumenten, Detailhandel<br />

und die Gastrobranche von den<br />

Vorteilen von Produkten aus tierfreundlicher<br />

Haltung zu überzeugen. Herzstück<br />

der Kampagne sind die Homepages<br />

www.essenmitherz.ch und www.manger<br />

avecducoeur.ch, welche ein breites Wissen<br />

Mark Rissi und Eric Gysling produzierten<br />

die Sendung TIERREPORT, die viel<br />

zur Konsumenaufklärung beitrug<br />

zum Konsum tierischer Produkte anbieten<br />

und Listen von empfehlenswerten Labels,<br />

Restaurants und Bäckereien führen.<br />

2005 Erstes Detaillisten-Tierschutzrating.<br />

Mit einer Umfrage will sich der<br />

STS ein Bild machen von den erbrachten<br />

«Tierschutzleistungen» der grossen Detaillisten.<br />

Untersucht und bewertet werden<br />

der Inlandanteil <strong>Fleisch</strong>, Eier und<br />

Käse, der Label-/Bioanteil und das Angebot<br />

an «Delikatessen» wie Stopfleber<br />

oder Froschschenkel, welche die Detaillisten<br />

führen. Den ersten Platz im Rating<br />

nimmt Coop ein.<br />

2007 Migros und die IP-Suisse-Bauern<br />

erteilen dem STS-Kontrolldienst ein<br />

Mandat zur Überwachung ihrer Labeltiertransporte.<br />

Der STS gründet ein Kompetenzzentrum<br />

für tierschutzkonforme Tiertransporte<br />

und Schlachthöfe (KTTS). Dieses soll<br />

auf wissenschaftlicher Basis tierschutzrelevante<br />

Probleme aufzeigen und zusammen<br />

mit interessierten Kreisen aus Wirtschaft,<br />

Detailhandel, Branchenorganisationen<br />

und Behörden Lösungen für tierschutzkonformes,<br />

schonendes Transportieren<br />

und Schlachten finden sowie umsetzen.<br />

Das zweite Detaillisten-Tierschutzrating<br />

wird durchgeführt. Trotz aufkommender<br />

«Geiz ist geil»-Stimmung, Billigimporten<br />

und dem Aufkommen von<br />

«Budgetlinien» im Detailhandel haben<br />

Produkte aus tierfreundlicher Haltung bei<br />

den beiden Grossverteilern in den vergangenen<br />

zwei Jahren zugelegt. Der STS kann<br />

den Konsumentinnen und Konsumenten<br />

ein gutes Zeugnis ausstellen. Für sehr<br />

viele von ihnen ist das Tierwohl offensichtlich<br />

kein vorübergehender Modegag.<br />

Freilandeier und Labelfleisch sind damit<br />

dem Nischendasein entwachsen. Bei einzelnen<br />

Detaillisten erreichen sie Marktanteile<br />

von teilweise 50 bis 75 %. Der<br />

schweizweite Umsatz wird auf über 1,5<br />

Millarden Franken geschätzt. Coop wird<br />

erneut «Tierschutz-<strong>Schweizer</strong>meister»,<br />

nun aber dicht gefolgt von Migros, die<br />

durch eine Kooperation mit IP-Suisse und<br />

die Übernahme des Labels «Terra Suisse»<br />

bei Produkten aus tierfreundlicher Haltung<br />

stark aufgeholt hat.<br />

2008 Ein beträchtlicher Teil der Importeier<br />

und Importeierprodukte (Flüssigei),<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

31


darunter auch Käfigbatterie-Herkünfte,<br />

werden von Bäckereien und Konditoreien<br />

nachgefragt. Der STS zeichnet deshalb<br />

Geschäfte, die ausschliesslich auf tierfreundliche<br />

<strong>Schweizer</strong> Eier setzen, mit einer<br />

Urkunde aus und bewirbt sie auf der<br />

Homepage www.essenmitherz.ch.<br />

Während bei den beiden führenden<br />

Grossverteilern der Schweiz Labelfleisch<br />

immer mehr an Bedeutung gewinnt,<br />

kneift die Gastrobranche weitgehend. Nur<br />

wenige Restaurants nehmen auf das Tierwohl<br />

Rücksicht und kochen mit Produkten<br />

aus tierfreundlicher Haltung. Zu diesem<br />

Schluss kommt eine STS-Umfrage bei<br />

Restaurants aus der ganzen Schweiz.<br />

2009 Der STS startet eine Petition für<br />

eine tierfreundliche Beschaffungspolitik<br />

bei McDonald’s Schweiz. McDonald’s<br />

setzt als Folge davon auf <strong>Schweizer</strong> Freilandeier<br />

und beim Hamburgerfleisch auf<br />

Kühe mit Auslauf- und Weidehaltung.<br />

Damit geht das umsatzmässig grösste<br />

Gastrounternehmen des Landes in puncto<br />

Tierschutz mit gutem Beispiel voran.<br />

Nachdem KAGfreiland tierschutzwidrige<br />

Kaninchenfleischimporte aufgedeckt<br />

und eine Deklaration für Importfleisch<br />

Der STS fordert und fördert<br />

die tierfreundliche<br />

Kaninchenhaltung<br />

aus Kaninchenkäfighaltung realisiert hat,<br />

setzt sich der STS für eine Ausdehnung<br />

der tierfreundlichen Kaninchengruppen<br />

haltung im Inland ein.<br />

2010 Coop fällt den Entscheid, nur mehr<br />

inländisches Kaninchenfleisch aus Gruppenhaltung<br />

anzubieten und erteilt dem<br />

STS-Kontrolldienst die Aufträge, diese<br />

BTS-Kaninchenhaltungen sowie die<br />

Transporte und das Schlachten zu überwachen.<br />

Der STS lanciert einen Wettbewerb<br />

unter Kochlehrlingen. Nebst Fragen rund<br />

um Tierschutz und Nahrungsmittel müssen<br />

die Kandidaten ein Menü mit Produkten<br />

aus tierfreundlicher Haltung und ein<br />

vegetarisches Menü einreichen. Diese Rezepte<br />

stellen die Basis dar für das tierfreundliche<br />

Kochbuch «Essen mit Herz»,<br />

welches der STS 2012 publiziert.<br />

Zusammen mit dem WWF und der<br />

Stiftung für Konsumentenschutz nimmt<br />

der STS die Labels unter die Lupe und beteiligt<br />

sich am WWF-Labelführer.<br />

2011 Zum dritten Mal nach 2005 und<br />

2007 publiziert der STS ein Detaillisten-<br />

Tierschutzrating. Dieses Mal werden Coop<br />

und Migros mit den Neuen, Lidl und Aldi,<br />

verglichen. Während Coop und Migros<br />

weitere Fortschritte bezüglich tierfreundlichen<br />

Sortiments aufzeigen können, sind<br />

bei Aldi und Lidl mit Ausnahme des Eiersortiments<br />

kaum nennenswerte Anstrengungen<br />

zu finden. In der Folge sucht der<br />

STS mit allen Detaillisten in der Schweiz<br />

– darunter Spar, Volg, Aldi und Lidl – das<br />

Gespräch, um die Nachfrage nach Produkten<br />

aus tierfreundlicher Haltung zu<br />

fördern.<br />

Coop erteilt dem STS-Kontrolldienst<br />

ein Mandat zur Überwachung der Naturafarm-Freilandlegehennenhalter<br />

sowie<br />

für stichprobenweise Kontrollen der<br />

Mutterkuhhalter (Label «Naturabeef»). Im<br />

Auftrag von Migros und IP-Suisse startet<br />

der STS mit der Kontrolle von Schlachthöfen,<br />

in denen IP-Tiere mit dem Label<br />

«TerraSuisse» aufgeführt werden.<br />

Selbst in Gourmetrestaurants kommt<br />

oft immer noch <strong>Fleisch</strong> aus Massentierhaltung<br />

auf den Teller. Das zeigt eine aktuelle<br />

STS-Umfrage in der Gastrobranche.<br />

Deren Labelfleischumsatz liegt im<br />

Vergleich zum Detailhandel tief, je nach<br />

<strong>Fleisch</strong>art zwischen 35 und 50 %.<br />

Alle nennenswerten Eierimporteure<br />

verpflichten sich gegenüber dem STS, auf<br />

Käfigeierimporte zu verzichten. Der STS<br />

legt grossen Wert auf diese Vereinbarung,<br />

da das EU-Käfigbatterieverbot auf 2012<br />

nicht umgesetzt ist, und die EU auch tierschutzwidrige<br />

Alternativen zulässt, welche<br />

in der Schweiz verboten sind, wie<br />

etwa die Kleingruppenhaltung von Hühnern.<br />

Der STS lädt die Branche zu einem<br />

Kälbergipfel, mit den Zielen, die Kälberhaltung<br />

und -fütterung zu verbessern und<br />

das seiner Meinung nach kontraproduktive<br />

«Qualitätskriterium» der Kalbfleischfarbe<br />

abzuschaffen.<br />

Der STS zieht eine für 2012 geplante<br />

Geflügelkampagne vor, nachdem problematische<br />

Zustände bei deutschen Hühnerund<br />

Trutenmästern auffliegen und nachgewiesen<br />

wird, dass diese ihre tierschutzrelevante<br />

Billigware auch in die Schweiz<br />

liefern.<br />

32<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


6.2 Information und Beratung<br />

Schon früh wurde dem Tierschutz klar:<br />

Eine tierfreundliche Haltung fällt nicht<br />

vom Himmel, und auch sie kann Mensch<br />

und Tier Probleme bereiten – einfach andere<br />

als eine konventionelle Tierhaltung.<br />

Seit anfangs der 1990er-Jahre publiziert<br />

der STS deshalb Broschüren, unter anderem<br />

zur Hühner- und Schweinehaltung,<br />

zur Tierzucht, zur Vermeidung von Unfällen<br />

mit Nutztieren oder zum Tierkomfort,<br />

Merkblattserien zu kostengünstigen<br />

und tierfreundlichen Aufstallungsformen<br />

und Flyer zur Gestaltung von Ausläufen<br />

und Weiden. Rund 500 000 Exemplare<br />

konnten seither an Interessierte abgegeben<br />

werden.<br />

Der STS scheute sich nicht, zur Erarbeitung<br />

von Richtlinien zur tierfreundlichen<br />

Haltung sowie zum Transport und<br />

zur schonenden Schlachtung von Rindern,<br />

Schweinen oder Hühnern auch auf<br />

externe Fachleute – Bauern, Tierärzte und<br />

Wissenschaftler – zurückzugreifen. Darüber<br />

hinaus schuf er eine Beratungsstelle<br />

für artgerechte Nutztierhaltung. Diese<br />

hatte die Aufgabe, Landwirte über tierfreundliche<br />

Haltungsformen zu informieren<br />

und Konsumenten den Zusammenhang<br />

zwischen Einkaufsverhalten und<br />

Art der Tierhaltung näherzubringen. Aufgrund<br />

der Erfahrungen mit dieser Stelle<br />

führte der STS später weitere Fachstellen<br />

für Heim-, Wild- und Versuchstiere sowie<br />

für die tierärztliche Beratung ein und<br />

gründete einen Kontrolldienst für artgerechte<br />

Nutztierhaltung.<br />

Die Labeltierhaltung erforderte teilweise<br />

völlig neue Aufstallungs- und Betriebsformen.<br />

So entwickelte der STS<br />

Mitte der 1980er-Jahre zusammen mit interessierten<br />

Hühnerhaltern den sogenannten<br />

Aussenklimabereich zur Bereicherung<br />

der Geflügelfreilandhaltung.<br />

Diese Einrichtung bietet Hühnern die<br />

Möglichkeit, auch bei schlechtem Wetter<br />

oder im Winter einen geschützten Auslauf<br />

aufsuchen zu können, um frische<br />

Luft, natürliches Licht und Klima zu geniessen.<br />

Dieser «Schlechtwetterauslauf»<br />

ist in der Legehennen- und Mastgeflügelhaltung<br />

der Schweiz heute Standard und<br />

fasst mittlerweile auch im Ausland Fuss.<br />

Nach einer gemeinsamen Studienreise<br />

mit Geflügelfachleuten in Frankreich<br />

Ende der 1980er-Jahre beteiligte sich der<br />

STS am Aufbau der zuvor in der Schweiz<br />

unbekannten Freilandhühnermast mit<br />

speziellen, langsamer wachsenden Rassetieren.<br />

Für viele Praxisprobleme der Labeltierhaltung<br />

konnte man vor 25 Jahren<br />

nicht auf Resultate der Wissenschaft zurückgreifen,<br />

sodass es galt, mit Bauern<br />

und Beratern in der Praxis Lösungen zu<br />

entwickeln, sei dies zur Gestaltung von<br />

Hühnerweiden, zur Freilandhaltung von<br />

Schweinen oder zur Unterbringen von<br />

Jungtieren in Kaltställen. Der STS liess<br />

verschiedene Nutztierthemen wissenschaftlich<br />

abklären, zum Beispiel die Freilandhaltung<br />

von Schweinen, das Auslaufverhalten<br />

von Truten und Masthühnern<br />

oder die Tierschutzrelevanz von Vollspaltenbodenhaltung<br />

für Mastschweine und<br />

-munis. Im Rahmen der Labelprogramme<br />

konnte dieses Wissen umgesetzt werden.<br />

Die Labeltierhaltung war auch der<br />

Auslöser für die Suche nach praktikablen<br />

Betäubungsmethoden zur Ferkelkastration<br />

sowie für Verbesserungen im Tiertransport<br />

und in Schlachthöfen. Der STS<br />

STS-MERKBLATT<br />

TT<br />

TiergerechTe und kosTengünsTige sTälle Tks 1.1<br />

Anbau eines Fressplatzes an<br />

bestehenden Milchviehstall<br />

Kühe im Freien füttern<br />

Bestehende Anbindeställe mit einer guten Bausubstanz muss man nicht abbrechen. Manchmal<br />

lassen sich auch ein Fressplatz im Freien und ein Melkhaus angliedern. Es entsteht ein tierfreund<br />

licher und arbeitswirtschaftlich günstiger Freilaufstall.<br />

Der Hof von Osten. Links die Scheune, rechts der separate Fressplatz.<br />

Roland Werner auf dem Waldhof in Wäldi TG war einer der ersten, der den Mut hatte, seine Kühe<br />

das ganze Jahr über im Freien zu füttern. «Ich bin überzeugt, dass es in unseren Breitengraden<br />

mindestens bis zu einer Höhe von 1000 m ü.M. kein Problem ist», sagt der Landwirt. Er hat im<br />

Jahr 1995 seinen Anbindestall zu einem Laufstall mit Laufhof und Fressplatz umgebaut.<br />

Separate Fressachse bauen<br />

Bei der Planung hatte der Landwirt zwei Ziele<br />

im Auge. Der Stall sollte kostengünstig sein, und<br />

die Tiere sollten sich wohl fühlen. «Damals ha<br />

ben die landwirtschaftlichen Architekten noch<br />

andere Ställe gebaut», stellt Roland Werner fest.<br />

Er meint damit geschlossene Ställe, bei welchen<br />

alles unter einem Dach ist. Landwirt Werner<br />

wollte jedoch eine separate Fressachse parallel<br />

zum bestehenden Stall bauen. Der Baufach<br />

mann Ludo van Caenegem von der damaligen<br />

FAT (heute ART) sowie der Architekt Cyrill Bi<br />

schof bestärkten ihn in seiner Idee.<br />

STS-MERKBLATT<br />

TiergerechTe und kosTengünsTige sTälle Tks 1.10<br />

Tierfreundliche Ställe für<br />

die Rindermast<br />

Als Beispiel für tierfreundliche und praktische Lösungen in der Rindermast zeigt das Merkblatt<br />

Ställe von drei Landwirten im Raum Sempachersee. Diese haben ihre ehemaligen Anbindeställe<br />

für Milchkühe in Laufställe für Mastrinder umgebaut; jeder hat eine eigene Lösung gefunden.<br />

Alle drei Landwirte halten ihre Tiere gemäss den Richtlinien von Weide-Beef, einem Label der<br />

Migros für die Ochsen- und Rindermast. Der Name kommt daher, dass die Tiere während der Vegetationszeit<br />

täglich während mindestens acht Stunden auf die Weide dürfen. Weitere gen des Labels sind auf der letzten Seite<br />

Anforderunaufgeführt.<br />

Anstelle der Anbindevorrichtung befindet sich jetzt ein Fressgitter.<br />

Viele der STS-Merkblätter kann<br />

man auf www.tierschutz.com<br />

downloaden<br />

Boxen zum Liegen<br />

Der deckenlastige Anbindestall von Thomas Bühlmann in Ballwil LU stammt aus dem Jahre 1979<br />

und weist eine sehr gute Bausubstanz auf. Im Jahre 2003 richtete der Landwirt seinen Betrieb neu<br />

aus. Er wollte mehr Zeit haben, um einer Arbeit ausserhalb der Landwirtschaft nachzugehen. Rinder-,<br />

Schweine- und Pouletmast standen als Alternativen zur Auswahl. Thomas Bühlmann schloss sich für die Rindermast, da auf dem Betrieb die Raufutterbasis vorhanden ist.<br />

ent-<br />

Beim Umbau entfernte der Landwirt den Schwemmkanal und das Läger und ersetzte beide durch<br />

einen 2,5 m breiten Kanal mit Spaltenboden. Ein Fangfressgitter ersetzte die alte Anbindevorrichtung,<br />

während die Hochkrippe belassen wurde. Auf der einen Seite des zweireihigen Anbindestalles<br />

brachte er eine Gruppe von 20 jüngeren, auf der anderen Seite von 18 älteren Tieren unter.<br />

beteiligt sich seit der Gründung der «Interessengemeinschaft<br />

für tierschutzkonforme<br />

Tiertransporte und Schlachthöfe»<br />

im Jahr 1993 mit eigenen Fachleuten an<br />

der Tierschutzausbildung von Chauffeuren<br />

und Schlachthofmitarbeitern.<br />

6.3 Detailhandel setzt auf<br />

Produkte aus tierfreundlicher<br />

Haltung<br />

Als KAGfreiland und <strong>Schweizer</strong> Tierschutz<br />

STS in den 1970er-Jahren begannen,<br />

<strong>Schweizer</strong> Boden- und Freilandeier<br />

speziell zu bewerben und zu vermarkten,<br />

hätte niemand Produkten aus tierfreundlicher<br />

Haltung eine derartige Entwicklung<br />

prophezeit. Anfangs der 1990er-Jahre<br />

sagten «Experten» diesen Produkten nicht<br />

mehr als 2 bis 5 % Umsatz voraus, und<br />

die meisten Landwirtschaftsfunktionäre<br />

waren extrem skeptisch eingestellt. Manche<br />

landwirtschaftlichen Verbände diffamierten<br />

die Tierschutzlabelprogramme,<br />

obwohl diese tausenden von Landwirten<br />

eine Existenz bieten, das Image der<br />

<strong>Schweizer</strong> Bauern und deren Umgang mit<br />

den Tieren generell stark verbessert haben,<br />

Millionen von Konsumenten ansprechen<br />

und mittlerweile über 2,5 Milliarden<br />

Franken Umsatz jährlich generieren.<br />

1<br />

STS-MERKBLATT<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS PFLEGE <strong>UND</strong> UMGANG MIT TIEREN / MERKBLATT B<br />

Suhlen und Duschen von Schweinen<br />

Schweine schwitzen nicht – darum suhlen sie<br />

STS-MERKBLATT<br />

TiergerechTe und kosTengünsTige sTälle Tks 7.2<br />

Mastkaninchen in Gruppen halten<br />

Schweine können nicht schwitzen. Sie sind deswegen auf schattige Plätze und andere Abkühlungsmöglichkeiten<br />

angewiesen. Die Tierschutzverordnung aus dem Jahre 2008 verlangt in Art.<br />

46, dass in neu eingerichteten Ställen bei Hitze Schweinen ab 25 kg in Gruppenhaltung sowie<br />

Zuchtebern Abkühlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen müssen. Die Nutztier- und Haustierverordnung<br />

des Bundesamtes für Veterinärwesen BVET konkretisiert dies und verlangt in Artikel<br />

28 die Abkühlung ab Temperaturen von 25 °C. Zur Abkühlung können Suhlen und Duschen dienen.<br />

Mit Vorliebe suchen Schweine Schlammbäder auf. Nicht nur das Baden kühlt, sondern auch die<br />

Schlammschicht, mit welcher sich die Tiere überziehen; sie speichert nämlich die Feuchtigkeit<br />

und kühlt die Tiere über eine längere Zeit. Die Suhle ist ein wesentlicher und notwendiger<br />

Bestandteil der Freilandhaltung im Sommer ebenso wie Schattenplätze und ein sauberer, zugfreier<br />

Liegeplatz. Schweine können sich selbst eine Suhle anlegen, doch muss der Tierhalter in durchlässigen<br />

Böden für das Wasser besorgt sein. Zu beachten ist, dass die Schweine regelmässig entwurmt<br />

werden.<br />

Einige Auszüge aus den Untersuchungen des Münchener Veterinärprofessors Hans Hinrich Sambraus<br />

sollen die Bedeutung des Suhlens für das Schwein illustrieren: «Die Sauen suchten bei<br />

durchschnittlichen Tages-Temperaturen zwischen 19 und 28 °C die Suhle im Mittel zweimal pro<br />

Tag auf. Im Tagesablauf gab es zwei Höhepunkte, einer morgens nach dem Füttern und der zweite<br />

zwischen 12 und 15 Uhr.»<br />

Kaninchen wollen herumtollen und ausruhen können.<br />

Anstatt Kaninchen in Käfigen zu halten, kann man ihren Stall wie ein Haus mit mehreren Etagen<br />

und Zimmern einrichten. Auch so ist eine wirtschaftliche Mast möglich, wie <strong>Schweizer</strong> Kaninchenpioniere<br />

zeigen.<br />

«Das Kaninchen ist ein anspruchsvolles Tier. Je mehr wir von ihm wissen, desto stärker werden wir<br />

uns bewusst, wie wenig wir eigentlich wissen», erklärt Felix Näf, was ihn an den wolligen Hoppeltieren<br />

so fasziniert. Schon als Kind hat er auf dem Bauernhof um die 200 «Chüngel» gehalten.<br />

Mittlerweile hat er aus dem früheren Hobby einen landwirtschaftlichen Betriebszweig mit guten<br />

Zukunfts chancen aufgebaut und arbeitet dabei mit Bauern in der Region zusammen.<br />

Schlechte Haltungsbedingungen im Ausland<br />

Der Grossverteiler Coop setzt bereits seit 1999 auf <strong>Fleisch</strong> von Kaninchen aus tierfreundlicher<br />

Haltung. Die Nachfrage verstärkte sich, als die <strong>Schweizer</strong> Grossverteiler sich Ende 2008 eine freiwillige<br />

Importsperre von Kaninchenfleisch auferlegten. Grund waren die schlechten Haltungsbedingungen<br />

bei den Produzenten in Frankreich und den Oststaaten. Den Grossverteilern genügend<br />

<strong>Fleisch</strong> aus tierfreundlicher Haltung zu liefern, ist eine Chance und eine Herausforderung für die<br />

landwirtschaftliche Kaninchenhaltung in der Schweiz.<br />

Felix und seine Frau Rosmarie Näf haben die Firma Kani-Swiss GmbH gegründet, welche Kaninchen<br />

kauft, schlachtet und an die Bell AG, an Coop und an Spitäler liefert. Doch Näfs schlachten und<br />

vermarkten nicht nur, sondern sie halten auch selbst Kaninchen in mehreren Ställen.<br />

1<br />

Foto: C. Sciarra<br />

1<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

33


Die Nachfrage von Konsumenten und<br />

Detaillisten nach Produkten von Tieren<br />

aus artgerechter Haltung bestimmt nebst<br />

der Tierschutzgesetzgebung und der Agrarpolitik<br />

– insbesondere der Förderung<br />

besonders tierfreundlicher Haltungsformen<br />

durch spezifische Direktzahlungen<br />

– massgeblich das Tierwohl in <strong>Schweizer</strong><br />

Ställen. Für ein glaubhaftes tierfreundliches<br />

Label wird seitens des STS heute<br />

vorausgesetzt, dass mindestens die Vorschriften<br />

der Bundesprogramme BTS (Besonders<br />

tierfreundliche Stallhaltung) und<br />

RAUS (Regelmässiger Auslauf ins Freie)<br />

erfüllt werden.<br />

Bei der Labelentwicklung wirkten die<br />

beiden Grossverteiler Coop und Migros<br />

als Entwicklungsmotoren. Dank ihrem<br />

Einsatz schafften Freilandeier und Labelfleisch<br />

nach der Jahrtausendwende den<br />

Sprung von Nischen- zu Standardprodukten.<br />

Mit «Naturaplan» (bio) und «Naturafarm»<br />

(tierfreundliche Haltung) platzierte<br />

Coop in den 1990er-Jahren die konsequentesten<br />

und bis heute bestbekannten<br />

Labels. Migros änderte die Labelnamen<br />

und -anforderungen mehrmals, hat<br />

sich nun aber mit «TerraSuisse» und der<br />

Zusammenarbeit mit den IP-Bauern Konstanz<br />

und Glaubwürdigkeit verordnet.<br />

Coop setzt beim Labelkalbfleisch (Naturafarm)<br />

die Haltungsanforderungen klar<br />

höher als die Migros (TerraSuisse): Coop<br />

verlangt hier Auslauf- oder Mutterkuhhaltung,<br />

die Migros hingegen verkauft<br />

bislang Labelkalbfleisch ohne zwingenden<br />

Auslauf und fordert damit bei der<br />

Haltung nur unwesentlich mehr, als dies<br />

die <strong>Schweizer</strong> Tierschutzvorschriften verlangen.<br />

Coop setzt beim Labelrindfleisch<br />

auf die vorbildliche Mutterkuhhaltung<br />

(Naturabeef). Die Migros will mit dem<br />

2010 neu eingeführten Weide-Beef-Programm<br />

ähnliche Massstäbe setzen. Migros<br />

weist bei Rind- und Schweinefleisch<br />

noch etwas höhere Labelanteile auf als<br />

Coop. Coop weist beim Eiersortiment<br />

klar die höchsten Labelanteile (<strong>Schweizer</strong><br />

Bio- und Auslauf-/Freilandeier zusammen<br />

57 %) und mit 10 % den geringsten<br />

Importanteil auf. Bei Migros beträgt der<br />

Labelanteil von <strong>Schweizer</strong> Bio- und Auslauf-/Freilandeiern<br />

41 %. Der Importanteil<br />

liegt bei 22 %.<br />

Das Beispiel der Grossverteiler und<br />

die zunehmende Nachfrage nach Produkten<br />

aus tierfreundlicher Haltung haben<br />

verschiedene andere Detaillisten be-<br />

Mutterkuhhaltung:<br />

Vorläuferin der Labelprogramme<br />

wogen, in den vergangenen Jahren verstärkt<br />

auf Labelprodukte zu setzen. Dies<br />

betrifft etwa Manor, Volg und Spar. Selbst<br />

die Newcomer aus Deutschland, Aldi und<br />

Lidl, scheinen mittlerweile um eine entsprechende<br />

Sortimentsausweitung nicht<br />

mehr herumzukommen.<br />

6.4 Zögerliche Gastronomie<br />

Das Gros der weit über 20 000 Restaurants,<br />

Personalrestaurants und Schnellimbisse<br />

in der Schweiz verwendet eher<br />

wenige Produkte aus tierfreundlicher<br />

Haltung, und bietet den Gästen stattdessen<br />

entweder konventionelles <strong>Schweizer</strong><br />

<strong>Fleisch</strong> oder noch häufiger Importfleisch<br />

und -eier an. Häufig sind die Wirte über<br />

die Tierhaltungsbedingungen im In- und<br />

Ausland und die verschiedenen Tierwohllabels<br />

gar nicht richtig informiert. Dies die<br />

ernüchternde Bilanz einer Umfrage des<br />

<strong>Schweizer</strong> Tierschutz STS aus dem Jahr<br />

2008.<br />

2011 schrieb der STS rund dreihundert<br />

gehobene sowie Gourmetrestaurants<br />

in der ganzen Schweiz an und bat<br />

um Informationen zur Verwendung von<br />

<strong>Schweizer</strong> Labelfleisch und Freilandeiern.<br />

Bei der Frage nach der Beschaffung<br />

von <strong>Fleisch</strong>, Eiern und Käse steht bei diesen<br />

Restaurants gemäss Selbstdeklaration<br />

die Qualität an erster Stelle, gefolgt von<br />

Herkunft (Schweiz) und Tierwohl. Positiv<br />

aus Tierschutzsicht stimmt das Resultat,<br />

dass in Zukunft immerhin 38 % mehr Labelfleisch,<br />

26 % mehr Biokäse und 24 %<br />

mehr Freilandeier verwenden wollen. Labelfleisch<br />

würde von den Gastronomen<br />

vermehrt verwendet, wenn es besser verfügbar<br />

wäre (29 %), eine bessere Qualität<br />

als konventionelles <strong>Fleisch</strong> aufwiese<br />

(28 %), preislich günstiger wäre (24%)<br />

und die Gäste es verstärkt nachfragen<br />

würden (19 %). Der Anteil Gäste, welcher<br />

bei einem entsprechenden Angebot tierfreundlichere<br />

und teurere Menüs bestellen<br />

würde, wird auf durchschnittlich 52 %<br />

geschätzt. Nach Ansicht dieser Gastronomen<br />

besteht also ein erhebliches Potenzial<br />

unter den Gästen in Bezug auf tierfreundliche<br />

Produkte; ein Potenzial, das aber erstaunlicherweise<br />

nicht ausgenützt wird.<br />

34<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


7. Tierschutzkonforme Importe<br />

Der STS teilt die Meinung, dass historisch<br />

gesehen der Abbau von Zöllen und die<br />

Ausdehnung des freien Verkehrs von Gütern,<br />

Waren und Dienstleistungen meist<br />

zu wirtschaftlichem Fortschritt, Neuentwicklung<br />

und steigendem Wohlstand geführt<br />

haben. Die Schweiz als kleines und<br />

rohstoffarmes Land hat diese Entwicklungen<br />

denn auch stets gefördert und davon<br />

profitiert. Der STS ist aber dezidiert<br />

der Meinung, dass diese positiven Konsequenzen<br />

des Freihandels primär für Güter<br />

und Waren des 2. und des 3. Sektors gelten<br />

und – wenn überhaupt – nur eingeschränkt<br />

und mit aller Vorsicht auf einen<br />

weltweiten Handel mit Nahrungsmitteln<br />

respektive entsprechenden Rohstoffen zu<br />

übertragen sind. Denn der unbeschränkte<br />

Freihandel hat sich hier bislang stets als<br />

jene Option herausgestellt, die am meisten<br />

Verlierer und unerwünschte Abhängigkeiten<br />

zurücklässt und der Spekulation<br />

mit Lebensmitteln Tür und Tor öffnet.<br />

Das ergibt sich nicht zuletzt aus den<br />

grundsätzlichen Unterschieden in Bezug<br />

auf die Produktionsgrundlagen und<br />

-standorte der Landwirtschaft und des 2.<br />

und 3. Sektors. Im Unterschied zu einer<br />

Fabrik oder einem Dienstleistungsbetrieb<br />

kann man stillgelegte Äcker und Tierhaltungen<br />

nicht innert Jahresfrist aus dem<br />

Boden stampfen, und vom Menschenwillen<br />

nicht oder wenig beeinflussbare Faktoren<br />

(Klima, Wetter, Bodenqualität, Entstehung<br />

von Seuchen und Krankheiten<br />

bei Tieren etc.) spielen eine grosse Rolle<br />

bei der Lebensmittelerzeugung. Ein Bauer<br />

ist standortgebunden, während ein Firmeninhaber<br />

seinen Betrieb (fast) überall<br />

aufstellen kann.<br />

7.1 Gesetzliche und<br />

privatwirtschaftliche<br />

Möglichkeiten<br />

Die brutale Kehrseite des Freihandels mit<br />

Nahrungsmitteln zeigt sich im Fehlen sozialer,<br />

ökologischer und tierschützerischer<br />

Leitplanken. Als Konsequenz drängen<br />

immer mehr tierschutzwidrige Importprodukte<br />

auf den <strong>Schweizer</strong> Markt.<br />

110 000 Tonnen <strong>Fleisch</strong> importiert unser<br />

Land jährlich – fast ein Viertel des Gesamtbedarfs<br />

–, darunter beispielsweise<br />

45 000 Tonnen Poulet- und Trutenfleisch,<br />

zumeist aus bei uns verbotener Haltung.<br />

Der Gesetzgeber hat zwar ein Instrumentarium<br />

zur Bekämpfung solcher Missstände<br />

geschaffen, doch der Bundesrat<br />

wendet es aus Furcht vor Retorsionsmassnahmen<br />

des Auslands kaum an:<br />

«Unter der Voraussetzung, dass internationale<br />

Verpflichtungen nicht verletzt<br />

werden, erlässt der Bundesrat für Erzeugnisse,<br />

die nach Methoden produziert<br />

werden, die in der Schweiz verboten<br />

sind, Vorschriften über die Deklaration;<br />

er erhöht die Einfuhrzölle oder verbietet<br />

den Import. Als verboten im Sinne von<br />

Absatz 1 gelten Produktionsmethoden,<br />

die nicht zulässig sind aus Gründen des<br />

Schutzes des Lebens oder der Gesundheit<br />

von Personen, Tieren oder Pflanzen; oder<br />

der Umwelt.»<br />

(Art. 18 Landwirtschaftsgesetz)<br />

Nach Meinung des STS soll jedes Land die<br />

Möglichkeit haben, unter Beachtung von<br />

Ökologie und Tierschutz einen möglichst<br />

hohen Beitrag zur Ernährung der eigenen<br />

Bevölkerung sicherzustellen. Importe sollen<br />

primär das Inlandangebot ergänzen,<br />

beispielsweise dort, wo aus klimatischen<br />

oder anderen Gründen eine Versorgungs-<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

35


lücke besteht, und mithelfen, die Inlandversorgung<br />

sicherzustellen. Weil Tierschutz<br />

nicht an der Grenze aufhört, setzt<br />

sich der STS für tierschutzkonforme Importe<br />

ein. Denn sonst unterstützt und fördert<br />

die Schweiz Tierschutzwidrigkeiten,<br />

Massentierhaltung und Qualtransporte im<br />

Ausland und konkurrenziert gleichzeitig<br />

die tierschützerischen Anstrengungen im<br />

Inland.<br />

Der STS will den Menschen weder den<br />

Speisezettel vorschreiben noch den moderaten<br />

Konsum von <strong>Fleisch</strong> verbieten. Er<br />

setzt sich aber dafür ein, dass Tiere artgemäss<br />

gehalten und schonend transportiert<br />

und geschlachtet werden, wenn sie schon<br />

für Nahrungszwecke genutzt werden und<br />

dafür ihr Leben lassen müssen. Das gilt<br />

für Tiere im In- und Ausland. Von ökologischen<br />

und tierschützerischen Standards<br />

im internationalen Handel würden aber<br />

auch die Konsumenten profitieren, die<br />

heute mit schöner Regelmässigkeit mit der<br />

unerfreulichen Tatsache konfrontiert werden,<br />

dass Importprodukte aus Massentierhaltungen<br />

bezüglich Sicherheit und Qualität<br />

oftmals problematisch sind. Profitieren<br />

und gestärkt würde aber auch die bäuerliche<br />

Tierhaltung in den Exportländern.<br />

Wie es gehen könnte, hat der STS am<br />

Beispiel der Eier gezeigt. Während in der<br />

Schweiz seit 1991 nur noch Eier aus Boden-<br />

oder Freilandhaltung erhältlich sind,<br />

ist der Import von Käfigbatterieeiern unverständlicherweise<br />

bis heute legal. Bereits<br />

Mitte der 1990er-Jahre konnte der<br />

Tierschutz die Grossverteiler Migros und<br />

Coop überzeugen, auf den Verkauf von<br />

Importkäfigeiern zu verzichten. Später<br />

folgten alle Detaillisten diesem Beispiel.<br />

Käfigbatterieeier wurden indessen nach<br />

wie vor im grossen Stil als Eiprodukte<br />

eingeführt, so etwa Flüssigei für verarbeitende<br />

Industrie und Gewerbe. Es kann<br />

davon ausgegangen werden, dass noch<br />

bis 2010 jährlich 40 bis 80 Millionen Käfigeier<br />

in die Schweiz importiert wurden.<br />

Der <strong>Schweizer</strong> Tierschutz STS hat 2011<br />

mit 26 Unternehmen, darunter alle grossen<br />

Importeure und der Branchenriese<br />

Lüchinger + Schmid AG, eine Vereinbarung<br />

geschlossen. Darin verpflichten sich<br />

die Firmen, in Zukunft keine Eier und Eiprodukte<br />

aus dem Ausland zu importieren,<br />

die von Hühnern aus Käfighaltungen<br />

stammen.<br />

Die überwiegende Mehrheit der Konsumentinnen<br />

und Konsumenten greift im<br />

Laden erfreulicherweise zu <strong>Schweizer</strong> Eiern.<br />

Trotzdem beträgt der Eierimport rund<br />

770 Millionen Eier jährlich. Die Gründe<br />

für diesen Anstieg liegen bei der Gastronomie,<br />

den Bäckereien und den Herstellern<br />

von eierhaltigen Produkten und Fertiggerichten,<br />

wo leider noch allzu oft nur<br />

der Preis und nicht die <strong>Schweizer</strong> Qualität<br />

und das Tierwohl zählen.<br />

Der STS legt grossen Wert auf diese<br />

Vereinbarung, da das EU-Käfigbatterieverbot<br />

auf 2012 nicht umgesetzt sein wird<br />

und rund 60 bis 80 Millionen Legehennen,<br />

etwa 20 % des gesamten EU-Bestandes,<br />

weiterhin in diesem tierquälerischen<br />

Haltungssystem vegetieren müssen. Länder<br />

wie Spanien, Portugal, Griechenland,<br />

Tschechien oder Polen hinken bei der Umsetzung<br />

des Verbots stark hinterher. Noch<br />

wichtiger ist indessen die Tatsache, dass<br />

die EU auch tierschutzwidrige Alternativen<br />

zulässt, wie etwa die Kleingruppenhaltung<br />

von Hühnern. Diese Haltungsform<br />

entspricht mit einigen Tierschutz-<br />

Alibikorrekturen weitgehend der traditionellen<br />

Käfigbatterie (Foto). Die Schweiz<br />

hatte diese Systeme in den 1990er-Jahren<br />

auf Praktikabilität und Tierschutzkonformität<br />

hin untersucht und sie anschliessend<br />

richtigerweise verboten.<br />

7.2 Unterschiedliche<br />

Bedeutung des Tierwohls in<br />

der Schweiz und der EU<br />

Von besonderem tierschützerischem Interesse<br />

sind drei Unterschiede:<br />

1. Während die <strong>Schweizer</strong> Gesetzgebung<br />

zu allen Nutztieren detaillierte Vorschriften<br />

und Mindestmasse vorgibt, fehlen EU-<br />

Richtlinien unter anderem zur Haltung<br />

von Kühen, Mastvieh, Truten, Straussen<br />

und anderen Geflügelarten (ausser Hühnern),<br />

Schafen, Ziegen und Pferden. Damit<br />

sind Millionen von Nutztieren in der<br />

EU ohne gesetzlichen Schutz.<br />

In der EU ist die Käfighaltung<br />

immer noch weit<br />

verbreitet<br />

2. Die EU schreibt keine Tierschutzprüfung<br />

vor. In der Schweiz hingegen müssen<br />

serienmässig hergestellte und verkaufte<br />

Haltungssysteme und Stalleinrichtungen<br />

auf Tierschutzkonformität und Praxist-<br />

36<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


auglichkeit geprüft und bewilligt werden.<br />

Davon profitieren Bauern, die solche Systeme<br />

kaufen, und natürlich die darin gehaltenen<br />

Tiere.<br />

3. In der Schweiz sind die allermeisten<br />

schmerzhaften Eingriffe verboten, in der<br />

EU dürfen hingegen beispielsweise junge<br />

männliche Kälber, Zicklein, Ferkel etc.<br />

ohne Schmerzausschaltung kastriert werden.<br />

Unter Einschränkungen sind auch<br />

das in der Schweiz verbotene Schnabelund<br />

Schwanzcoupieren oder das Herausbrechen<br />

von Zähnen bei Ferkeln zulässig.<br />

Sowohl die fünf EU-Nutztierschutzrichtlinien<br />

(Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere;<br />

Kälber-, Schweine-, Legehennen-,<br />

Masthühnerhaltung) als auch die neue<br />

<strong>Schweizer</strong> Tierschutzgesetzgebung legen<br />

keine optimalen Tierschutzstandards fest,<br />

sondern bezeichnen mit konkreten Vorschriften<br />

und Detailmassen lediglich die<br />

Grenze zur Tierquälerei. Wer diese Anforderungen<br />

nicht einhält, macht sich<br />

strafbar, wer sie erfüllt, bietet seinen Tieren<br />

aber noch lange keine tierfreundliche<br />

Haltung. Generell ist zu sagen, dass diese<br />

Grenze zur Tierquälerei in der Schweiz<br />

restriktiver festgelegt ist, das heisst die<br />

<strong>Schweizer</strong> Mindestvorschriften bringen<br />

den Tieren insgesamt mehr.<br />

Kälber: In der CH müssen Kälber bereits<br />

ab der 2. Lebenswoche in Gruppen gehalten<br />

werden, in der EU erst ab der 8. Woche.<br />

Die Gruppenhaltung gilt in der EU nur<br />

für grössere Haltungen, Kleinbetriebe mit<br />

6 und weniger Kälbern dürfen diese weiterhin<br />

einzeln halten, wobei in der CH Einzeliglus<br />

mit Auslauf zulässig sind. Eingestreute<br />

Liegeflächen sind nur in der CH<br />

vorgeschrieben. In der EU dürfen Kälber<br />

in Vollspaltenbodenbuchten eingestallt<br />

werden.<br />

Schweine: In der EU sind mehrstöckige<br />

Ferkelkäfige zulässig, in der CH verboten.<br />

Gleiches gilt für das Ferkelkastrieren<br />

ohne Schmerzausschaltung. Mastschweine<br />

werden in der CH ab 2018 mehr<br />

Platz haben: 0,9 m 2 statt 0,65 m 2 wie in<br />

der EU. Doch Einstreu zum Liegen ist weder<br />

in der CH noch in der EU vorgeschrieben.<br />

Deutlich besser geht es den Sauen in<br />

der CH. In der EU dürfen säugende und<br />

tragende Sauen bis 4 Wochen nach dem<br />

Decken in Kastenstände gesperrt werden.<br />

In der CH dürfen sich säugende Sauen frei<br />

bewegen, und tragende Sauen nach dem<br />

Decken an maximal 10 Tagen eingesperrt<br />

werden. Schwanzcoupieren und Zähneabklemmen<br />

sind in der CH verboten, in<br />

der EU darf dies zwar nicht routinemässig,<br />

aber in begründeten Fällen durchgeführt<br />

werden.<br />

Legehennen: In der EU wird zum Scharren,<br />

Picken und Staubbaden keine Einstreu<br />

vorgeschrieben, in der CH ist dies<br />

Pflicht. Das Schnabelcoupieren ist in der<br />

CH verboten, in der EU zulässig. Ausgestaltete<br />

Käfige und Grosskäfige sind in der<br />

EU trotz Käfigbatterieverbot ab 2012 weiterhin<br />

zulässig, die Eier müssen allerdings<br />

als «Käfigeier» deklariert werden. In der<br />

CH wurden diese Haltungsformen geprüft<br />

und weil tierschutzwidrig verboten.<br />

Masthühner: Tageslicht und mindestens<br />

8 Stunden Dunkelphase sind in der CH<br />

Pflicht, in der EU sind reine Kunstlichtbeleuchtungen<br />

und alternierende Lichtprogramme<br />

zulässig. In der CH sind erhöhte<br />

Flächen als Rückzugs- und Ruhebereich<br />

festgeschrieben, in der EU müssen<br />

die Masthühner auf dem verkoteten Stallboden<br />

ruhen. Die maximale Besatzdichte<br />

beträgt in der CH 30 kg/m2, in der EU 42<br />

kg/m 2 ; dürfte also ein <strong>Schweizer</strong> Hühnermäster<br />

nach EU-Vorschriften produzieren,<br />

könnte er die Hälfte mehr Tiere in seinen<br />

Stall pferchen.<br />

Fazit: Obwohl die <strong>Schweizer</strong> Tierschutzgesetzgebung<br />

lediglich Mindestmasse und<br />

Vorschriften enthält, welche die Grenze<br />

zur Tierquälerei definieren und damit<br />

Nachstehend sind die tierschützerisch<br />

wichtigsten Unterschiede zwischen den<br />

Tierschutzvorschriften der Schweiz und<br />

der EU aufgelistet:<br />

Kühe, Mastvieh, Truten, Strausse und<br />

andere Geflügelarten (ausser Hühner),<br />

Schafe, Ziegen und Pferde: Konkrete<br />

und detaillierte Vorschriften in der<br />

CH, demgegenüber fehlen hierzu in der EU<br />

verbindliche Richtlinien.<br />

Schweinen geht es in der<br />

EU vielfach «dreckig»<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

37


keine optimale, tierfreundliche Haltung<br />

garantieren, sind <strong>Schweizer</strong> Nutztiere von<br />

Gesetzes wegen – mit mehreren bedeutsamen<br />

Ausnahmen – besser geschützt als<br />

ihre Kollegen in der EU. Einerseits liegen<br />

in der Schweiz für alle Nutztiere konkrete<br />

und detaillierte Vorschriften vor, andererseits<br />

sind bei jenen vier Tierkategorien,<br />

für die EU-Richtlinien existieren (Kälber,<br />

Schweine, Legehennen, Masthühner), die<br />

<strong>Schweizer</strong> Vorschriften strenger.<br />

Die Schweiz ist europaweit<br />

Spitze bezüglich tierfreundlicher<br />

Haltungsformen<br />

Der Nutztierschutzstandard eines Landes<br />

definiert sich zwar in erster Linie durch<br />

die Tierschutzgesetzgebung. Das Beispiel<br />

Schweiz zeigt aber, dass die Nachfrage<br />

am Markt (Labelfleisch, Freilandeier) und<br />

staatliche Tierschutzförderprogramme die<br />

Tierhaltungspraxis wesentlich mitbestimmen<br />

und zugunsten eines höheren, über<br />

die Mindestvorschriften der Tierschutzgesetzgebung<br />

hinausgehenden Haltungsstandards<br />

beeinflussen können.<br />

Der STS hat deshalb 2009 eine Umfrage<br />

in EU-Ländern zur Verbreitung von<br />

besonders tierfreundlichen Haltungsformen<br />

(Weide; Auslauf- und Freilandhaltung;<br />

Biotierhaltungen) durchgeführt.<br />

Angeschrieben wurden nationale<br />

Bio- und Labelorganisationen, Landwirtschaftsbehörden,<br />

Wissenschaftler<br />

und Tierschutzorganisationen. Sie wurden<br />

gebeten, die Verbreitung von Weidegang<br />

und Auslauf für Rinder, Schweine<br />

und Hühner zu schätzen. Auch das Forschungsinstitut<br />

für biologischen Landbau<br />

(FiBL) hat dankenswerterweise wichtige<br />

Informationen zur Biotierhaltung in<br />

den EU-Ländern geliefert. Die insgesamt<br />

20 auswertbaren Resultate aus 9 EU-Ländern<br />

wurden danach mit der Verbreitung<br />

von BTS- und RAUS-Haltungsformen in<br />

der Schweiz verglichen, ebenso die Auskünfte<br />

des FiBL und jene von zehn nationalen<br />

Bioorganisationen zum Umfang<br />

der Biotierhaltung in der EU respektive in<br />

einzelnen EU-Ländern.<br />

Es zeigt sich, dass die Schweiz punkto<br />

tierfreundlicher Haltung bei praktisch allen<br />

abgefragten Tierarten entweder mit<br />

oder alleine an der Spitze steht. Über alle<br />

Tierarten gesehen weist die Schweiz europaweit<br />

mit Abstand die höchsten Anteile<br />

an besonders tierfreundlichen Haltungsformen<br />

auf.<br />

Verbreitung besonders tierfreundlicher Haltungsformen<br />

CH A NL F S D FIN GB DK B IRL PL EST<br />

Weidegang Milchkühe 80 20-40 60-80 10 80* 20-40 60-80* 80 40-60 80 60-80 60-80 20-40<br />

Auslauf Mastvieh 50 5-10 80 10 80* 5-10 60-80* 60-80 80 10-20 60-80 40-60 60-80<br />

Auslauf tragende Sauen 66


8. Tierwohl: Handlungsbedarf in der CH<br />

8.1 Allgemeines<br />

Die Tierschutzgesetzgebung von 2008<br />

brachte im Vergleich zu den früheren Vorschriften<br />

für Nutztiere Verbesserungen.<br />

Damit gewährleistet die Schweiz prinzipiell<br />

ein höheres Tierschutzniveau als dies<br />

etwa im EU-Raum der Fall ist. Allerdings<br />

gilt es zu berücksichtigen, dass die Vorschriften<br />

inklusive Mindestmasse etwa<br />

für den Platzbedarf keine optimale tierfreundliche<br />

Haltung garantieren, sondern<br />

nur die Grenze zur amtlich verfolgten und<br />

bestraften Tierquälerei festlegen.<br />

Wesentlich mehr für das Tierwohl als<br />

die von Bauern und Tierschützern stets<br />

hart umkämpften Vorschriften der Tierschutzgesetzgebung<br />

brachten im Rückblick<br />

die Kombination der Labelprogramme<br />

und der spezifischen Direktzahlungen<br />

zur Förderung von besonders tierfreundlichen<br />

Haltungsformen. Die Tierwohlverbesserungen,<br />

insbesondere die<br />

Tatsache, dass heute Kühe, Schweine und<br />

Hühner wieder vermehrt ins Freie dürfen,<br />

was bis Ende der 1980er-Jahre noch<br />

völlig undenkbar war, gehen klar auf das<br />

Konto des Marktes und der erwähnten agrarpolitischen<br />

Massnahme.<br />

Die <strong>Schweizer</strong> Bauern und die nachgelagerten<br />

Stufen bis zu den Gastronomen<br />

und zum Detailhandel profitieren<br />

von den Tierschutzverbesserungen. Das<br />

Image der Bauern sowie die von ihnen<br />

verkauften <strong>Schweizer</strong> Produkte tierischer<br />

Herkunft gewannen stark in der Gunst der<br />

Konsumenten und Steuerzahler, und das<br />

Qualitätsargument «Tierwohl» war und ist<br />

mitbestimmend für die Preisakzeptanz der<br />

teureren <strong>Schweizer</strong> Produkte im Laden.<br />

Ein Grossteil der Menschen glaubt<br />

mittlerweile irrtümlicherweise, dass Labeltierhaltungen<br />

Standard seien in der<br />

Schweiz und dass Kuhtrainer, dauernde<br />

Anbindehaltung von Kühen oder das Einsperren<br />

von Mastschweinen und -rindern<br />

in engen Buchten, ohne Stroh zum Liegen<br />

und ohne Auslauf ins Freie, längst<br />

verboten seien. Eine Umfrage des STS aus<br />

dem Jahr 2008 zeigt, dass über 90 % der<br />

Befragten finden, dass es verboten sein<br />

sollte, 100 Kilogramm schwere Mastschweine<br />

auf einer Fläche von weniger<br />

als einem Quadratmeter, ohne Stroh zum<br />

Liegen und ohne Auslauf zu halten. Bei<br />

der Frage, ob in der Rindermast die Haltung<br />

von 500 Kilogramm schweren Tieren<br />

auf einer Fläche von weniger als vier Quadratmetern,<br />

ohne Stroh zum Liegen und<br />

ohne Auslauf verboten werden sollte, antworteten<br />

86 % mit Ja. 90 % der Befragten<br />

möchten eine Haltung verbieten, in<br />

der das Milchvieh an 270 Tagen im Jahr<br />

im Stall angebunden ist. 89 % sprachen<br />

sich für ein Verbot des elektrischen Kuhtrainers<br />

in Milchviehanbindeställen aus.<br />

Tatsache ist aber: Die erwähnten, von<br />

der Bevölkerung stark abgelehnten Haltungsformen<br />

sind in der Schweiz legal.<br />

Noch immer müssen Millionen Nutztiere<br />

in der Schweiz ohne regelmässigen Auslauf<br />

ins Freie oder tierfreundliche Stallungen<br />

auskommen!<br />

8.2 Tierschutzprobleme<br />

Rindergattung<br />

Kälber<br />

Kein Auslauf und praktisch keine<br />

Weide: Der Grossteil der Kälber – in der<br />

Mast gar 9 von 10 Tieren – erhält keinen<br />

Auslauf ins Freie, obwohl freie Bewegung,<br />

frische Luft und Sonne gerade Jungtieren<br />

gut tun, und Kälber mit Auslauf ins<br />

Freie erwiesenermassen gesünder sind<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

39


und weniger mediziniert werden müssen.<br />

Mit Ausnahme bei der Mutterkuhhaltung<br />

ist die für Rinder natürlichste Haltung,<br />

die Weidehaltung, bei Kälbern praktisch<br />

überhaupt nicht mehr anzutreffen.<br />

Kein Sozialkontakt: Die Einzelhaltung<br />

von Kälbern in engen Iglus auf knapp<br />

3 Quadratmeter Fläche ist als Ausnahme<br />

zur ansonsten geforderten Gruppenhaltung<br />

legal. Sie bringt den Kälbern im<br />

Vergleich zur dauernden Stallhaltung gesundheitliche<br />

Vorteile mit frischer Luft,<br />

Sonne und weniger Staub-, Schadgasund<br />

Keimgehalt der Luft. Allerdings werden<br />

das angeborene Sozial- und Bewegungsverhalten<br />

verunmöglicht. Ein erheblicher<br />

Teil der Aufzuchtkälber in der<br />

Schweiz lebt in dieser tierschutzwidrigen<br />

Haltungsform.<br />

Weder Spielen noch Springen: Die<br />

grundsätzlich tiergerechte Gruppenhaltung<br />

von Kälbern bietet den bis zu 160 Kilogramm<br />

schweren Kälbern lediglich eine<br />

äusserst knapp bemessene Fläche von 1,5<br />

Quadratmeter je Tier an. Die spiel- und<br />

bewegungsfreudigen Jungtiere wachsen<br />

platzmässig extrem beschränkt auf.<br />

Mutterlose Aufzucht: Seit über hundert<br />

Jahren und überall, wo professionell Rinder<br />

gezüchtet werden – ob in der Schweiz,<br />

der EU, in Nord- und Südamerika oder<br />

Asien (Ausnahme: Mutterkuhhaltung) –,<br />

werden Kälber den Müttern nach der Geburt<br />

weggenommen. Das natürliche Mutter-Kind-Verhältnis<br />

wird vollständig unterbunden.<br />

Dies zu einem Zeitpunkt, wo<br />

die individuelle Bindung von Kuh und<br />

Kalb noch relativ schwach ist, da beide<br />

für ein zweifelsfreies geruchliches, optisches<br />

und stimmliches Erkennen des anderen<br />

mehrere Tage benötigen. Wird das<br />

Kalb der Mutter erst nach einer Woche<br />

weggenommen, zeigen beide Tiere denn<br />

auch viel stärkere Trennungssymptome<br />

wie Unruhe, Suchen oder Rufen.<br />

Fehlernährung bei der Mast: Zwar<br />

schob die Tierschutzgesetzgebung der<br />

weissen Kalbfleischerzeugung schon<br />

1981 mit der Forderung nach Raufutter<br />

und genügend Eisen sowie dem Verbot<br />

von anämisch/krank machenden Futterrationen<br />

theoretisch einen Riegel. Doch<br />

noch immer werden Kälber für möglichst<br />

helles <strong>Fleisch</strong> fehlernährt, mit negativen<br />

Folgen für die Tiergesundheit.<br />

Problematischer Handelszeitpunkt:<br />

Händler kaufen für die Mast bestimmte<br />

Kälber zu einem Zeitpunkt auf, wo im<br />

Kalb der mit der Muttermilch aufgenommene<br />

Schutz gegen Erkrankungen am<br />

Versiegen, das eigene Immunsystem aber<br />

noch unterentwickelt ist («Immunloch»).<br />

Dies trägt nebst der grossen Durchmischung<br />

aus verschiedensten Herkunftsbetrieben,<br />

der teilweise beengten Haltung<br />

ohne Auslauf ins Freie und der vorkommenden<br />

Fehlernährung mit dazu bei, dass<br />

in der Kälbermast überproportional häufig<br />

Antibiotika eingesetzt werden muss.<br />

Tötung nach der Geburt: Die für die<br />

Weiterzucht ungeeigneten Kälber aus extremer<br />

Milchleistungszucht sind für die<br />

Grossvieh- und selbst für die Kälbermast<br />

zunehmend ungeeignet, da sie viel weniger<br />

<strong>Fleisch</strong> ansetzen. Es ist nur eine<br />

Frage der Zeit, bis auch in der Schweiz<br />

ein Teil der Nachkommen von Hochleistungsmilchkühen,<br />

insbesondere männliche<br />

Tiere, gleich nach der Geburt getötet<br />

werden. So, wie dies bereits in Neuseeland<br />

und teilweise in Irland und Italien<br />

geschieht, und bei einer anderen Tierart,<br />

nämlich den männlichen Küken der<br />

Hochleistungslegehühner, seit Jahrzehnten<br />

weltweit Usus ist.<br />

Aufzucht- und Mastvieh<br />

Mangelnde Liegequalität: Anstelle von<br />

Einstreu, Sand oder anderen geeigneten<br />

Liegematerialien sind auch harte Gummimatten<br />

zulässig, welche den Ansprüchen<br />

von Rindern an einen Liegeplatz<br />

nicht entsprechen, rasch verschmutzen<br />

und glitschig werden. In Wahlversuchen<br />

werden diese von den Tieren denn auch<br />

gemieden und es wird stets die Einstreu<br />

vorgezogen.<br />

Kaum verbreitet:<br />

Das Weiden von<br />

Kälbern<br />

Kaum freie Bewegung: Für die bis zu<br />

500 Kilogramm schweren Tiere sind lediglich<br />

3 Quadratmeter Fläche vorgeschrieben,<br />

das heisst in einem durchschnittlichen<br />

Wohnzimmer könnte man<br />

8 bis 10 Mastmunis halten! Dieser Platz<br />

reicht nur gerade zum Liegen, nicht aber<br />

für das artgemässe Fortbewegungsver-<br />

40<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


halten. In der drangvollen Enge stören<br />

sich die Jungtiere immer wieder, jagen<br />

liegende auf und verdrängen rangniederere<br />

unsanft. Ein weiterer Teil der Mastund<br />

vor allem der Aufzuchtrinder muss in<br />

Anbindehaltung leben. Diese Tiere dürfen<br />

an 275 Tagen im Jahr permanent an der<br />

Krippe fixiert werden und müssen an den<br />

übrigen 90 Tagen lediglich für zwei bis<br />

drei Stunden etwas freie Bewegung erhalten.<br />

Diesen Jungtieren wird nicht nur die<br />

freie Bewegung, sondern auch das natürliche<br />

Sozial- und Körperpflegeverhalten<br />

weitgehend vorenthalten.<br />

Fehlen von Auslauf und Weide: Während<br />

rund drei Viertel der Aufzuchtrinder<br />

in den Genuss von Auslauf und Weide<br />

kommen, hat etwa die Hälfte des Mastviehs<br />

keinen Auslauf ins Freie und muss<br />

bis zur Schlachtung in beengten, kahlen<br />

Stallbuchten verbringen.<br />

Nur bei einem Neubau eines<br />

Stalles verboten: der<br />

tierquälerische Kuhtrainer<br />

Kühe<br />

Eingeschränktes Sozialverhalten: Die<br />

seit anfangs der 1980er-Jahre auch in der<br />

Schweiz betriebene Mutterkuhhaltung –<br />

heute rund 90 000 Tiere – kommt dem<br />

Rindersozialverhalten weitgehend entgegen.<br />

Demgegenüber müssen die rund<br />

600 000 Milchkühe hier teilweise erhebliche<br />

Abstriche in Kauf nehmen. Einerseits,<br />

weil sich 2 von 3 Kühen nicht frei<br />

in einer Herde bewegen können, sondern<br />

angebunden gehalten werden, oft noch<br />

unter dem elektrischen Kuhtrainer. Andererseits,<br />

weil die Kinderaufzucht, das<br />

Kuh-Kalb-Verhältnis, wegfällt und die Selektion<br />

unter den Kühen durch den Menschen<br />

hoch ist. Aufgrund mangelnder<br />

Leistung und Krankheiten verlassen viele<br />

Tiere frühzeitig die Herde, sodass Kuhfreundschaften,<br />

die unter natürlichen Bedingungen<br />

oft ein Leben lang halten und<br />

vornehmlich zwischen Müttern und Töchtern<br />

bestehen, immer wieder getrennt<br />

werden. Zudem neigt die Altersstruktur<br />

zu immer jüngeren Herden, weil die heutigen<br />

Hochleistungskühe rasch «ausbrennen»<br />

und in der Schweiz im Durchschnitt<br />

kaum noch drei Jahre Milch geben.<br />

Kaum Bewegung: 65 % der Milchkühe<br />

leben in Anbindeställen, wo die Bewegung<br />

per se eingeschränkt ist. Rund<br />

120 000 von ihnen erhalten keinen regelmässigen<br />

Auslauf ins Freie. Sie werden<br />

an 275 Tagen im Jahr permanent an der<br />

Krippe fixiert und müssen an den übrigen<br />

90 Tagen lediglich für zwei bis drei<br />

Stunden etwas freie Bewegung erhalten.<br />

Diesen Kühen wird nicht nur die freie Bewegung,<br />

sondern auch das natürliche Sozial-<br />

und Körperpflegeverhalten weitgehend<br />

vorenthalten. Ihr hauptsächlicher<br />

Lebensraum umfasst eine Fläche von nur<br />

gerade 110 mal 185 Zentimetern.<br />

Kuhtrainer: Noch schätzungsweise<br />

300 000 Kühe sind diesem «Quälinstrument»<br />

ausgeliefert, obwohl eine Studie<br />

des Bundesamtes für Veterinärwesen<br />

schon vor über fünfzehn Jahren<br />

zum Schluss kam, dass es nicht mit den<br />

Grundsätzen der Tierschutzgesetzgebung<br />

zu vereinbaren und demnach Tierquälerei<br />

sei. Doch noch immer ist der Einsatz legal.<br />

Lediglich der Einbau in einen neuen Stall<br />

ist verboten. Der Kuhtrainer ist ein elektrischer<br />

Draht über dem Rücken der Tiere,<br />

der diese beim Koten oder Harnen zwingt,<br />

einen Schritt zurückzutreten, sodass das<br />

Lager weniger verschmutzt. Das sowieso<br />

schon beengte Leben angebundener Kühe<br />

wird dadurch zusätzlich eingeschränkt<br />

und die Fruchtbarkeit der Tiere leidet.<br />

Enthornen: Bei den allermeisten in der<br />

Schweiz gehaltenen Tieren der Milchviehrinderrassen<br />

(Braun- und Fleckvieh)<br />

wachsen natürlicherweise Hörner, ebenso<br />

wie bei den meisten einheimischen Milchziegenrassen.<br />

Genetisch hornlose Rassen<br />

und Herden sind in der <strong>Fleisch</strong>rindermutterkuhhaltung<br />

von Bedeutung und im<br />

Vormarsch. Heute dürften über 90 % der<br />

Rinder bereits als Kälber enthornt werden.<br />

Die gesetzliche Pflicht zur Schmerzausschaltung<br />

beim Enthornen ist zwingend,<br />

ebenso das Verbot gewisser Enthornungspraktiken.<br />

Die Hörner spielen bei<br />

der Kommunikation, der Festlegung der<br />

Rangordnung und der Körperpflege eine<br />

wichtige Rolle bei Rind und Ziege. Das<br />

Enthornen stellt eine Anpassung an den<br />

Menschen (Unfallgefahr) oder ans Haltungssystem<br />

dar.<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

41


Hohe Milchleistung und artwidrige Ernährung:<br />

Durch die Optimierung der Fütterung<br />

sowie die jahrzehntelange Einkreuzung<br />

mit Milchrassen steigt die durchschnittliche<br />

Milchleistung von Jahr zu<br />

Jahr. Während heute ein Zweinutzungsrind,<br />

etwa das Original <strong>Schweizer</strong> Braunvieh,<br />

im Durchschnitt 6000 Kilogramm<br />

Milch pro Jahr (Laktation) erzeugt, weisen<br />

die milchbetonten Linien des stark eingekreuzten<br />

Brown-Swissviehs im Durchschnitt<br />

7000 Kilogramm auf. Am extremsten<br />

verlief die Milchleistungssteigerung<br />

beim Holsteinvieh: von 6400 über 7400 Kilogramm<br />

im Jahr 1991 beziehungsweise<br />

2001 auf 8400 Kilogramm je Laktation<br />

2010; Spitzentiere erreichen in der Schweiz<br />

gar über 12 000 Kilogramm. Fütterung und<br />

Haltung solcher Hochleistungstiere sind<br />

äussert diffizil und stellen höchste Ansprüche<br />

an Mensch, Stall und Fütterung. Werden<br />

diese nicht erfüllt, treten rasch und gehäuft<br />

leistungsbedingte Krankheiten auf<br />

wie Euterentzündungen, Stoffwechselerkrankungen,<br />

Lahmheit und Verhaltensprobleme.<br />

Mit steigender Milchleistung werden<br />

die Kühe auch grösser. Dies hat zur<br />

Folge, dass die Lagermasse in Anbindeund<br />

Freilaufställen heute oft zu klein sind,<br />

Irrwege der Hochleistungszucht<br />

und die Landwirte erhebliche finanzielle<br />

Investitionen in deren Vergrösserung tätigen<br />

müssen. Infolge der riesigen Euter<br />

können sich solche Kühe kaum mehr artgemäss<br />

fortbewegen. Da die Milchproduktion<br />

selbst bei bestem Grundfutter (Heu,<br />

Gras, Silage) nicht mehr als 6000 bis 7000<br />

Kilogramm pro Jahr hergibt, benötigen<br />

Hochleistungskühe anteilmässig hohe<br />

Kraftfuttergaben. Im Durchschnitt erhalten<br />

<strong>Schweizer</strong> Kühe 650 Kilogramm Kraftfutter.<br />

Das Rind, ein ideales Weidetier und<br />

ein optimaler Grasverwerter, wird fütterungsmässig<br />

zur Sau gemacht. Selbst dem<br />

Bundesrat ist diese Entwicklung mittlerweile<br />

nicht mehr ganz geheuer. So schreibt<br />

er in der Botschaft zur Agrarpolitik 2014–<br />

2017: «Der Trend bei der Wiederkäuerfütterung<br />

geht in Richtung eines verstärkten<br />

Kraftfuttereinsatzes. Dadurch droht ein<br />

strategischer Wettbewerbsvorteil der<br />

<strong>Schweizer</strong> Milch- und <strong>Fleisch</strong>produktion<br />

langfristig verloren zu gehen. Wie der Systemvergleich<br />

Hohenrain zeigt, schneidet<br />

die Milchproduktion mit geringem Kraftfuttereinsatz<br />

und hohem Weideanteil bei<br />

den meisten ökologischen Indikatoren je<br />

Kilogramm Milch besser ab als die kraftfutterintensive<br />

Stallhaltung.»<br />

Weniger Laktationen: Aufgrund strenger<br />

Selektion auf immer höhere Milchleistungen<br />

sowie des Auftretens von leistungs-,<br />

haltungs- und fütterungsbedingten Krankheiten<br />

sinkt die Anzahl Laktationen je Kuh<br />

ständig. Eine durchschnittliche Braunviehkuh<br />

(Fleckvieh/Holstein) wird nur noch 6,7<br />

(6,2/6,3) Jahre alt und bringt 4,1 (3,8/3,3)<br />

Laktationen, mit einer Lebensleistung von<br />

27 100 Kilogramm (26 000 kg/26 400 kg)<br />

(2008). Zum Vergleich: Vor fünfzig Jahren<br />

wurden Kühe im Durchschnitt für 6 Laktationen<br />

genutzt, brachten also 6 Kälber zur<br />

Welt und konnten 6 Jahre gemolken werden.<br />

Auch heute noch gibt es hie und da<br />

Tiere, die zeigen, welches Lebensleistungspotenzial<br />

in Kühen steckt. So etwa die Kuh<br />

«Morchel» der Familie Studach in Mörschwil,<br />

die 2011 im 21. Dienstjahr stand<br />

und 184 000 Kilogramm Milch erzeugt<br />

hat, oder die 1990 geborene «Jerry Adoravon»<br />

der Familie Eicher in Engelburg, die<br />

bis 2011 rekordverdächtige 168 000 Kilogramm<br />

Milch erzeugte.<br />

Die hauptsächlichen Abgangsursachen<br />

bei Kühen (Braunvieh, 2008) sind<br />

mit 27 % mangelnde Fruchtbarkeit, mit<br />

21 % Euterkrankheiten, mit 17 % Klauen-/<br />

Gliedmassenkrankheiten, mit 12 % ungenügende<br />

Leistung, mit 6 % Unfälle, mit 5<br />

% Stoffwechselerkrankungen und mit 5<br />

% Abkalbeprobleme (andere Ursachen: 7<br />

%). Im Nachbarland Deutschland liegt die<br />

durchschnittliche Laktationsrate bereits<br />

bei nur mehr 2,5 und in den USA bei unter<br />

2 Laktationen. Dieser durch mangelnde<br />

Tiergesundheit bedingte Abwärtstrend bei<br />

der Nutzungsdauer von Kühen drückt auf<br />

Kosten und Ertrag der Milcherzeugung.<br />

Mit der einseitigen Hochleistungszucht hat<br />

sich auch eine Art «Wegwerfmentalität»<br />

breitgemacht. Jedes Jahr müssen wegen<br />

der sinkenden Nutzungsdauer mehr junge<br />

Kühe aufgezogen und ältere geschlachtet<br />

werden.<br />

Kuhausstellungen und -styling: Diese<br />

traditionellen Anlässe sind aus der Züchterszene<br />

nicht mehr wegzudenken und ein<br />

beliebtes Schaufenster der Tierzucht. Daran<br />

ist aus Tierschutzsicht nichts auszusetzen.<br />

Gewisse Exzesse wie ein zuneh-<br />

42<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


mend gekünsteltes Styling oder das Versiegeln<br />

des Zitzenkanals sowie das (illegale)<br />

Verabreichen von Schmerzmitteln<br />

hingegen sind äusserst fragwürdige Begleiterscheinungen.<br />

8.3 Tierschutzprobleme<br />

Schweinegattung<br />

Abgesetzte Ferkel<br />

Frühes Absetzen: In der freien Natur<br />

bleiben Sau und Ferkel monatelang zusammen,<br />

wobei die Bindung immer loser<br />

wird, bis die Mutter kurz vor der Geburt des<br />

nächsten Wurfs von ihren Kindern nichts<br />

mehr wissen will. In der Schweinehaltung<br />

wird die Trennung aus wirtschaftlichen<br />

Gründen künstlich und abrupt durch den<br />

Menschen vollzogen; in der Schweiz zumeist,<br />

wenn die Ferkel fünf Wochen alt<br />

sind, im Ausland teilweise bereits mit zwei<br />

bis drei Wochen. Das natürliche Mutter-<br />

Kind-Verhältnis wird dadurch teilweise<br />

unterbunden. Je früher Ferkel entwöhnt<br />

werden, desto aufwändiger ist ihre Aufzucht.<br />

Haltungs- und Fütterungsfehler<br />

können sich rasch negativ auf Gesundheit<br />

und Wohlbefinden auswirken.<br />

Fehlender Auslauf: Nur eines von zwanzig<br />

abgesetzten Ferkeln hat Auslaufmöglichkeit,<br />

obwohl freie Bewegung, frische<br />

Luft und Sonne gerade Jungtieren gut tun.<br />

Ungenügende Bewegung und Beschäftigung:<br />

Auf einem Quadratmeter<br />

dürfen drei Ferkel gehalten werden,<br />

und ein ständiges Angebot von Einstreu<br />

zum Liegen oder Wühlen, Bearbeiten und<br />

Kauen ist nicht Pflicht. Über ein Drittel<br />

der Ferkel wird noch immer derart restriktiv<br />

gehalten. Diese massive Einschränkung<br />

des Bewegungs- und Beschäftigungsverhaltens<br />

kann zu Verhaltensstörungen<br />

und Verletzungen führen.<br />

Kälteschutz beim Liegen: Im Winter<br />

können abgesetzte Ferkel beim Ruhen in<br />

nicht wärmegedämmten Ställen frieren,<br />

was sich an der Haufenlagerung der Tiere<br />

zeigt. Deshalb benötigen sie ein gut eingestreutes,<br />

geschütztes Ferkelnest.<br />

Die Ferkel werden bereits<br />

mit fünf Wochen von der<br />

Mutter getrennt<br />

Muttersauen<br />

Verschiedenartige Temperaturansprüche<br />

und mangelnder Auslauf:<br />

Während es neugeborene Ferkel gerne<br />

warm und behaglich haben, leiden säugende<br />

Sauen bei höheren Temperaturen,<br />

denn sie erzeugen wegen der Milchproduktion<br />

erhebliche zusätzliche Körperwärme.<br />

So unterscheiden sich die Wärmeansprüche<br />

von Muttersau und deren<br />

Babys um fast 15 Grad. Trotzdem müssen<br />

sie im gleichen Stall leben. Um beiden<br />

gerecht zu werden und gleichermassen<br />

Hitze- und Kältestress zu vermeiden,<br />

bieten sich gewärmte Ferkelnester und<br />

für die Sau Auslauf ins Freie an. Damit<br />

bliebe zudem die Säugebucht sauberer,<br />

da Schweine ihre Kotplätze bevorzugt im<br />

Freien anlegen. Allerdings erhalten heute<br />

nur 6 % der säugenden Sauen Auslaufmöglichkeit.<br />

Tierschutzwidrige Fressliegeboxen für<br />

tragende Sauen: Der Liegeplatz einer<br />

solchen Box, der gleichzeitig auch Fressplatz<br />

ist, kann nur unzureichend eingestreut<br />

werden und zwingt jede Sau in eine<br />

bestimmte, eingeengte Lage beim Liegen.<br />

Der dahinterliegende Raum bietet wenig<br />

Platz für freie Bewegung und der Auslauf<br />

ins Freie fehlt vollständig. Die Sauen können<br />

einander nicht ausweichen oder sich<br />

voneinander – etwa bei Rangkämpfen –<br />

zurückziehen. Schätzungsweise 20 % der<br />

tragenden Sauen werden heute noch derart<br />

minimalistisch gehalten.<br />

Kastenstandhaltung für leere Sauen:<br />

Diese Haltung ist zwar nur kurze Zeit bis<br />

zur erneuten Belegung der Sauen zulässig.<br />

Das Tierverhalten wird in dieser Zeit<br />

jedoch bis auf Fressen, Liegen und Stehen<br />

völlig unterbunden. Als Alternative bietet<br />

sich die Einzelhaltung in einer Bucht oder<br />

die Gruppenhaltung an.<br />

Zu wenig Auslauf und kaum Weide: Ein<br />

Drittel der tragenden Sauen wird ständig<br />

im Stall gehalten und hat keine Auslaufmöglichkeit.<br />

Praktisch ganz verschwunden<br />

ist die Schweineweide, obwohl sie<br />

dem Wesen der Sauen optimal entspräche.<br />

Diese können junges Gras gut verwerten.<br />

Zudem ist die freie Bewegung von grosser<br />

Wichtigkeit für die Kondition und damit<br />

die Gesundheit der durch die regelmässigen<br />

Geburten samt grosser Würfe extrem<br />

geforderten Muttersauen.<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

43


Fehlende verhaltensgerechte Einrichtungen:<br />

Da Schweine nicht schwitzen<br />

können, leiden sie bei hochsommerlichen<br />

Temperaturen. Die Tierschutzgesetzgebung<br />

fordert Abkühlmöglichkeiten.<br />

Gut können sich Schweine mittels Suhlen<br />

in der Freilandhaltung oder Duschen im<br />

Auslauf kühlen. Sie lernen rasch, mit der<br />

Schnauze den Druckknopf zum Auslösen<br />

eines kurzen Duschregens zu betätigen.<br />

Da erwachsene Schweine wenig biegsam<br />

sind, benötigen sie zur Körperpflege<br />

und zum Kratzen von Rücken, Flanke und<br />

Hinterteil Scheuermöglichkeiten. Ausser<br />

in der Freilandhaltung wird eines der<br />

zentralsten Verhaltensbedürfnisse von<br />

Schweinen, das Wühlen, in praktisch allen<br />

Haltungen grösstenteils verunmöglicht.<br />

Das Anlegen eines Wühlareals hilft<br />

dem ab.<br />

Grosse Würfe und kurze Nutzungsdauer<br />

wegen extremer Leistungszucht:<br />

Durch die Anpaarung mit superfruchtbaren<br />

Sauen gebären Sauen immer<br />

mehr Ferkel pro Wurf, teilweise bereits<br />

mehr, als milchführende Zitzen vorhanden<br />

sind. Dabei hat es die Natur so eingerichtet,<br />

dass die Ferkel schon kurz nach der Geburt<br />

eine Zitzenordnung festlegen und jedem<br />

Ferkel eine Zitze «gehört». Durch die Zucht<br />

auf derart grosse Würfe gibt es mehr Kümmerer<br />

unter den Ferkeln, und der Züchter<br />

muss mit erheblichem Mehraufwand Ammen<br />

suchen für die überzähligen Ferkel<br />

oder sie vollkommen künstlich und mutterlos<br />

aufziehen. Heute gebären Sauen<br />

zwar zwei Ferkel mehr als noch vor 25<br />

Jahren. Aber bereits nach vier Wochen hat<br />

sich dieser Vorsprung auf ein Ferkel reduziert.<br />

Das bedeutet, dass gleichzeitig auch<br />

immer mehr Schweinebabys Kümmerlinge<br />

sind und sterben. Die Muttersauen werden<br />

durch die vielen säugenden Ferkel stark<br />

beansprucht, es ist fast nicht mehr möglich,<br />

sie leistungsgerecht zu füttern. Nach<br />

dem Absetzen der Ferkel werden sie gleich<br />

wieder trächtig gemacht, sodass ihr Körper<br />

permanent eine Riesenfortpflanzungsleistung<br />

erbringen muss. Den Tribut dafür<br />

zahlen die Tiere: Meist werden die Muttersauen,<br />

völlig abgemagert und abgesaugt,<br />

bereits nach fünf Würfen zum Schlachten<br />

geliefert, im eigentlich für Schweine noch<br />

jungen Alter von knapp drei Jahren. Auf<br />

diese Weise müssen pro Jahr wesentlich<br />

mehr junge Muttersauen erzeugt und ältere<br />

geschlachtet werden.<br />

Übermässiger Transport: Hielt ein<br />

Bauer früher Muttersauen und mästete<br />

deren Junge, hat sich die Branche seit<br />

über dreissig Jahren konsequent spezialisiert<br />

in Züchter, welche mit Muttersauen<br />

Ferkel erzeugen und in Mäster, welche<br />

diese Ferkel kaufen und mästen. Seit rund<br />

zehn Jahren gibt es ein noch spezialisierteres<br />

Verfahren, die sogenannte «arbeitsteilige<br />

Ferkelproduktion», wobei der Bereich<br />

der Schweinezucht weiter unterteilt<br />

wird: ein Bauer betreibt das Abferkelgeschäft,<br />

ein anderer sorgt für das Belegen<br />

der Sauen mittels Eber oder künstlicher<br />

Befruchtung, ein dritter hält die tragenden<br />

Sauen und ein vierter zieht abgesetzte<br />

Ferkel auf. Das hat zur Folge, dass Muttersauen<br />

und Ferkel sehr viel häufiger herumtransportiert<br />

werden. Problematisch<br />

aus Tierschutzsicht ist dabei insbesondere<br />

der routinemässige Transport hochtragender<br />

Sauen.<br />

Mastschweine<br />

Mangelnde Liegequalität: Anstelle von<br />

Einstreu oder anderen geeigneten Liegematerialien<br />

sind auch harte, perforierte<br />

Betonböden zulässig. Diese entsprechen<br />

den Ansprüchen von Schweinen an einen<br />

Liegeplatz – sie bauen sich mit Stroh<br />

Schlafnester – überhaupt nicht. Die Böden<br />

verschmutzen rasch, werden glitschig und<br />

führen bei den Schweinen vermehrt zu<br />

Druckstellen und Hautschürfungen. Rund<br />

40 % der Masttiere wird heute ein schweinekonformer<br />

Liegeplatz vorenthalten.<br />

Kaum freie Bewegung: Für die bis zu<br />

105 Kilogramm schweren Mastschweine<br />

sind lediglich 0,9 Quadratmeter Fläche<br />

vorgeschrieben, das heisst auf der Fläche<br />

eines durchschnittlichen Autoparkplatzes<br />

liessen sich völlig legal 10 Schweine mästen.<br />

Dieser Platz reicht nur gerade zum<br />

Liegen, nicht aber für das artgemässe<br />

Fortbewegungsverhalten. Noch immer<br />

werden rund 40 % aller Schweine in derart<br />

beengten Platzverhältnissen gemästet.<br />

Legale Spaltenbodenhaltung für<br />

Mastschweine, ohne Einstreu und<br />

ohne Auslauf ins Freie<br />

Fehlen von Auslauf: 40 % der Mastschweine<br />

verlassen den Stall nur am Tag<br />

ihrer Schlachtung. Sie werden ansonsten<br />

44<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


ohne Auslauf ins Freie, in beengten, kahlen<br />

Stallbuchten gehalten.<br />

Kastration: Seit dem 1. Januar 2010<br />

dürfen männliche Ferkel nur mehr unter<br />

Schmerzausschaltung kastriert werden.<br />

Das ist bislang weltweit einzigartig. Alllerdings<br />

zeigen Untersuchungen, dass gegen<br />

10 % der Ferkel nicht korrekt betäubt<br />

werden, was den Forderungen der Tierschutzgesetzgebung<br />

widerspricht. Besser<br />

wäre es, Ferkel gar nicht zu kastrieren und<br />

Jungebermast zu betreiben.<br />

Rasches Wachstum: Aus wirtschaftlichen<br />

Gründen, um billiger Schweinefleisch<br />

erzeugen zu können, wird auf immer<br />

rascher wachsende und Muskelfleisch<br />

ansetzende Tiere gezüchtet. Während der<br />

Mast nehmen Mastschweine mittlerweile<br />

täglich ein Kilogramm Gewicht zu. Es besteht<br />

die Gefahr, dass die Knochen, Gelenke<br />

und Sehnen dadurch überbeansprucht<br />

werden, was sehr schmerzhaft ist<br />

für die Tiere. Als Konsequenz bewegen sie<br />

sich wenig und können eine tierfreundliche<br />

Haltung mit Auslauf oder eine Freilandhaltung<br />

kaum mehr richtig nutzen.<br />

Bei der Anpaarung mit sehr rasch wachsenden<br />

ausländischen Zuchtlinien zeigen<br />

sich auch bereits <strong>Fleisch</strong>qualitätsmängel<br />

im Schinken, die dem früheren PSE-Syndrom<br />

(<strong>Fleisch</strong> ist pale, soft, exudative –<br />

blass, weich, wässrig) ähneln.<br />

Grenze bei Stallgrösse erreicht: Der<br />

Bund lässt heute den Bau von Mastschweineställen<br />

für bis zu 1500 Tiere<br />

zu, mit Ausnahmebewilligung sogar für<br />

noch mehr Tiere. Wissenschaftliche Untersuchungen<br />

zeigen, dass Grossbetriebe<br />

mit 2000 und mehr Schweinen vermehrt<br />

Gesundheitsprobleme aufweisen. Kommt<br />

es zu einem Seuchenfall, müssen extrem<br />

viele Tiere gekeult werden («Klumpenrisiko»).<br />

Das Tierwohl hängt mit von der<br />

Grösse eines Tierbestandes ab. So nimmt<br />

bei Schweinen, aber auch bei allen anderen<br />

Tierkategorien, der Betreuungsaufwand<br />

je Tier mit zunehmender Grösse<br />

rapid ab. Damit schneiden sich die Bauern<br />

meist ins eigene <strong>Fleisch</strong>, denn Pflege,<br />

Überwachung und Mensch-Tier-Beziehung<br />

stellen nebst der Art der Tierhaltung<br />

die wichtigsten Einflussfaktoren sowohl<br />

auf das Tierwohl als auch auf die<br />

ökonomische Rentabilität dar. Da die Immissionen<br />

und der Geruch mit steigender<br />

Tierzahl immer grösser werden, tendieren<br />

Grossbetriebe zur widernatürlichen Haltung<br />

in geschlossenen Stallhüllen, ohne<br />

Auslauf ins Freie.<br />

Resultate Mastleistungs prüfungsanstalt Sempach<br />

Jahr Masttageszunahmen Anteil wertvolle <strong>Fleisch</strong>stücke Futterverwertung*<br />

1980 800 g 52 % 3,0<br />

2010 930 g 57 % 2,5<br />

* kg Futter je kg Zuwachs<br />

Vorbildliche<br />

Hühnerwiese<br />

8.4 Tierschutzprobleme<br />

Geflügel<br />

Zuchthühner,<br />

Elterntierhaltung<br />

Wenig Auslauf ins Freie: Die Eltern der<br />

für die Eiererzeugung und Mast benötigten<br />

Hühner werden grösstenteils in geschlossenen<br />

Ställen gehalten. Lediglich<br />

ein Drittel der Hennen und Hähne hat die<br />

Möglichkeit, ganzjährig in einem Aussenklimabereich<br />

(Wintergarten) zu frischer<br />

Luft und Sonnenlicht zu gelangen. 83 %<br />

der Elterntiere dürfen nie auf eine Weide.<br />

Coupieren von Sporen und Zehen bei<br />

männlichen Elterntieren: Diese Eingriffe<br />

sind legal und werden unter anderem<br />

zum Schutz der Hennen bei der Begattung<br />

gemacht. Allerdings stellt diese<br />

Massnahme eine fragwürdige Anpassung<br />

des Tiers an die menschengemachten<br />

Haltungsbedingungen dar, beispielsweise<br />

an den üblichen, relativ hohen Anteil<br />

männlicher Hähne in Elterntierherden,<br />

oder bei Mastelternhähnen von Truten<br />

und Hühnern an das zuchtbedingte<br />

hohe Gewicht.<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

45


Schnabeltouchieren von Legeküken:<br />

Im Unterschied zum Schnabelcoupieren,<br />

wo erhebliche Teile des Schnabels weggekürzt<br />

werden, soll beim Touchieren lediglich<br />

die vorderste Schnabelspitze im nicht<br />

innervierten Bereich entfernt werden. Allerdings<br />

sind die Unterschiede je nach Arbeitsqualität<br />

der durchführenden Fachperson<br />

fliessend. Wird der Hühnerschnabel im<br />

innervierten Bereich coupiert, ist dies nicht<br />

nur beim Eingriff selbst schmerzhaft. Vielmehr<br />

muss ein Huhn dann ein Leben lang<br />

sogenannte Phantomschmerzen ertragen,<br />

vergleichbar Menschen mit amputierten<br />

Gliedern.<br />

Ein Legehuhn (links) und<br />

ein Masthuhn (rechts), jeweils<br />

im Alter von 29 Tagen<br />

Importierte Tierschutz- und Gesundheitsprobleme:<br />

Die Zucht von Poulets<br />

liegt weltweit in den Händen von nur mehr<br />

zwei, diejenige von Legehennen von drei<br />

international tätigen Zuchtkonzernen. Die<br />

Schweiz betreibt seit vielen Jahrzehnten<br />

keine eigenständige Wirtschaftsgeflügelzucht,<br />

sondern vermehrt lediglich mit den<br />

importierten Hochzuchttieren. Die meisten<br />

dieser Linien sind auf möglichst hohe Leistungen<br />

gezüchtet – Gesundheit, Verhalten<br />

und das Wohl der Tiere spielen dabei kaum<br />

eine Rolle. Für eine artgerechte Freilandhaltung<br />

geeignete Linien stellen im Portefeuille<br />

dieser Konzerne ein Nischenprodukt<br />

dar, sodass die Beschaffung für verantwortungsbewusste<br />

<strong>Schweizer</strong> Vermehrer<br />

ein Problem darstellen kann. Männliche<br />

Turbotruten nehmen um 150 Gramm<br />

pro Tag zu und wachsen damit doppelt<br />

so schnell wie Rassetruten. Turbopoulets<br />

nehmen täglich 50 Gramm zu und wachsen<br />

damit gar viermal schneller als Junghennen.<br />

Turbotruten und -poulets müssen<br />

jung geschlachtet werden. Würde man sie<br />

weiter wachsen lassen, könnten sie sich<br />

wegen des enormen Körpergewichts und<br />

der Schmerzen beim Gehen kaum mehr<br />

bewegen, und die Todesrate würde auf<br />

bis zu 30 % steigen, wie Untersuchungen<br />

drastisch zeigen!<br />

Brut und Junghennen<br />

Töten der männlichen Legeküken:<br />

Wurden noch bis vor sechzig Jahren weibliche<br />

Hühner zum Eierlegen und die Hähnchen<br />

zur Mast gehalten, also eine Art<br />

«Zweinutzung» betrieben, änderte sich die<br />

Situation mit dem Aufkommen von spezialisierten<br />

Mastlinien, wo Männchen und<br />

Weibchen gemästet werden. Diese setzen<br />

viel rascher und viel mehr Muskelfleisch<br />

an. Ein Männchen der heutigen Legehybriden<br />

müsste mehr als dreimal länger, nämlich<br />

18 Wochen, gemästet werden, um das<br />

Schlachtgewicht von Masthybriden zu erreichen.<br />

Sie würden dazu gar fünfmal mehr<br />

Futter benötigen, wie eine aktuelle deutsche<br />

Studie zeigt. Damit ist die Ausmast<br />

von auf hohe Legeleistung gezüchteten<br />

Hühnern unrentabel und betreffend Futterverwertung<br />

ineffizient. Aus diesem Grund<br />

werden in der Schweiz und weltweit die<br />

männlichen Küken von Legelinien gleich<br />

nach dem Schlupf aussortiert und getötet.<br />

Eventuell ist es schon bald möglich, Geschlechtsbestimmung<br />

im Ei durchzuführen.<br />

So müssten Eier, aus denen männliche Küken<br />

schlüpfen würden, nicht mehr bebrütet<br />

werden und man könnte auf das perverse<br />

Eintagsküken-Töten verzichten.<br />

Kaum Auslauf ins Freie: Die allermeisten<br />

der während rund vier Monaten vom Eintagsküken<br />

zur legebereiten Hennen aufgezogenen<br />

Junghennen, nämlich 80 %, haben<br />

keinerlei Zugang zu einer Weide. Dabei<br />

wäre viel Bewegung im Freien gesundheitsfördernd<br />

und würde die Kondition der<br />

Jungtiere verbessern.<br />

Legehennen<br />

Alle Legehennen verfügen in der Schweiz<br />

über erhöhte Plätze zum Ruhen, geschützte<br />

Nester zum Eierlegen und Einstreu zum Picken,<br />

Scharren und Staubbaden. Fast 90 %<br />

haben ständigen Zugang zu einem Aussenklimabereich,<br />

und 70 % zu einer Weide.<br />

Die Legehennenhaltung in der Schweiz<br />

kommt international gesehen den Bedürfnissen<br />

der Tiere mit Abstand am nächsten.<br />

Aber auch im Vergleich zum Haltungsstandard<br />

etwa von Tieren der Rinder- und<br />

Schweinegattung in der Schweiz hat sie<br />

ein recht hohes Niveau erreicht.<br />

Staub und Schadstoffe: Verschiedene<br />

Management- und Haltungsaspekte, etwa<br />

hohe Besatzdichten, die Einstreu oder ungenügende<br />

Entmistungs- und Lüftungssysteme,<br />

führen zu teilweise hohen Staub- und<br />

Schadstoffgehalten in der Stallluft. Diese belasten<br />

die Hühner und führen etwa zu Atemwegserkrankungen<br />

bei Mensch und Tier.<br />

46<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Nestqualität ungenügend: Hühner ziehen<br />

zur Eiablage eingestreute Nester, zum<br />

Beispiel Kornspreuer, allen anderen Nesttypen<br />

klar vor. Denn nur mit und in manipulierbarem<br />

Nestmaterial können sie ihr<br />

angeborenes Nest- und Eiablageverhalten<br />

ungehindert durchführen. Über 95 % aller<br />

Nester entsprechen indessen nicht diesen<br />

Vorgaben, sondern enthalten Plastikschalen<br />

oder Kunstrasen.<br />

Leben mit künstlicher<br />

Beleuchtung. Dies fördert<br />

nervöses Verhalten<br />

Beleuchtung: Die meisten Vögel, darunter<br />

auch Hühner und Truten, schauen die<br />

Welt wesentlich anders an als wir Menschen.<br />

Sie vermögen UV-Licht und das<br />

Flimmern (mit einer Frequenz von 100<br />

Hertz) von Leuchtstoffröhren zu sehen.<br />

Letzteres empfinden sie als ständigen blitzschnellen<br />

Hell-Dunkel-Wechsel, was zu<br />

Nervosität und Verhaltensstörungen führen<br />

kann. Natürliches, ungefiltertes Tageslicht<br />

ist auch für Hühner das beste, doch<br />

noch viele Ställe sind ungenügend mit<br />

Sonnenlicht versorgt.<br />

Kurze Nutzung: Nach nur knapp 14 Monaten<br />

Nutzung und rund 350 gelegten Eiern<br />

– also im noch jungen Alter von 1,5<br />

Jahren – werden Legehennen heute geschlachtet.<br />

Dies, obwohl sie nach einer<br />

mehrwöchigen jährlichen Legepause, die<br />

mit einem Gefiederwechsel verbunden ist,<br />

jedes Jahr erneut legen würden, und zwar<br />

bis gegen etwa 1500 Eiern insgesamt. Von<br />

Jahr zu Jahr nimmt die Legeleistung allerdings<br />

um etwa 20 % ab, dafür werden<br />

aber grössere Eier gelegt. Wegen der extrem<br />

kurzen Nutzung müssen pro Jahr wesentlich<br />

mehr Junghennen erzeugt und Legehennen<br />

geschlachtet werden.<br />

Grenze bei Stallgrösse erreicht: Ställe<br />

mit bis zu 18 000 Lege- oder Junghennen<br />

sind in der Schweiz zulässig. Da sich Hühner<br />

selbst bei optimaler Gestaltung von<br />

Auslauf und Weide (insbesondere Schutz<br />

vor Raubvögeln), nie mehr als 100 bis 150<br />

Meter vom Stall – respektive in der freien<br />

Natur von ihrem Schlafbaum – entfernen,<br />

stellt dieser Wert die oberste Grenze dar,<br />

bei der eine Freilandhaltung ethologisch<br />

und ökologisch noch vertretbar ist. Grössere<br />

Einheiten würden dazu führen, dass<br />

die Böden um den Stall übermässig belastet<br />

würden mit Exkrementen, die Weide<br />

überbevölkert und übernutzt würde und<br />

zunehmend Tiere im Stall blieben. Eine<br />

solche «Freilandhaltung» wäre dann auch<br />

den Konsumenten gegenüber fragwürdig.<br />

Berufskrankheiten: Durch die Vorgabe,<br />

dass Legehennen in dem einen Jahr der<br />

Nutzung immer mehr und schwerere Eier<br />

legen müssen, werden die Hennen zu extremen<br />

Stoffwechselleistungen gezwungen.<br />

Es treten spezifische Krankheiten der<br />

Hochleistungshenne auf wie Eileiterentzündungen<br />

und Osteomalazie (Knochenerweichung).<br />

Masthühner und -truten<br />

Kaum Weide bei Masthühnern: Nur jedes<br />

zehnte Masthuhn hat Zugang zu einer<br />

Weide. Der Grund dafür liegt in der Tatsache,<br />

dass konventionelle Mastlinien wegen<br />

Überzüchtungserscheinungen Weiden<br />

kaum nutzen und deshalb für eine glaubwürdige<br />

Freiland- respektive Weidehaltung<br />

gar nicht brauchbar sind. Für die Freilandhaltung<br />

geeignete, normalwachsende<br />

Rassen weisen indessen eine rund 50 %<br />

längere Mastdauer auf, sodass die Erzeugungskosten<br />

und der Ladenpreis wesentlich<br />

höher zu stehen kommen. Besser sieht<br />

die Situation bei Truten aus. Hier verfügen<br />

95 % der Tiere über Weidezugang. Erfreulicherweise<br />

hat sich hingegen der Aussenklimabereich,<br />

der Wintergarten, sowohl<br />

bei den Legehennen als auch beim Mastgeflügel<br />

durchgesetzt: 89 % der Masthühner<br />

und 95 % der Truten steht ständig ein<br />

Aussenbereich zur Verfügung.<br />

Pouletmastversuche<br />

UFA-Bühl<br />

1965: 59 Tage Mastdauer bis Tier 1,6 kg<br />

schwer ist; 26 g Zunahme je Tag; Futterverwertung:<br />

2,3 kg Futter für Zuwachs von<br />

1 kg<br />

2008: 38 Tage Mastdauer bis Tier 2,3 kg<br />

schwer ist; 60 g Zunahme je Tag; Futterverwertung:<br />

1,7 kg Futter für Zuwachs von<br />

1 kg.<br />

Die heutigen Rassen benötigen also wesentlich<br />

weniger Futter in der Mast, allerdings<br />

sind die heutigen Futtermischungen<br />

wesentlich hochwertiger.<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

47


Wenig Platz: Pro Quadratmeter Stallfläche<br />

dürfen 30 Kilogramm Tiere (bei einem<br />

Endgewicht von durchschnittlich 1,8<br />

kg entsprechend knapp 17 Tiere) gehalten<br />

werden. Da sich im Unterschied zur<br />

Legehennenhaltung konventionelle Masthühner<br />

tagsüber fast ausschliesslich am<br />

Boden aufhalten, besteht eine hohe Tierdichte.<br />

Grenze bei Stallgrösse erreicht: Ställe<br />

mit bis zu 18 000 Masthühnern sind in der<br />

Schweiz zulässig. Da der Betreuungsaufwand<br />

je Tier mit zunehmender Grösse rapide<br />

abnimmt, stellt diese Grösse das absolute<br />

Maximum dar. Denn Pflege, Überwachung<br />

und Mensch-Tier-Beziehung<br />

stellen nebst der Art der Tierhaltung die<br />

wichtigsten Einflussfaktoren sowohl auf<br />

das Tierwohl als auch auf die ökonomische<br />

Rentabilität dar.<br />

»Berufskrankheiten»: Mastgeflügellinien<br />

werden auf rasches und starkes<br />

Wachstum von Brust- und Schenkelmuskulatur<br />

gezüchtet. Die Muskelentwicklung<br />

läuft der Skelettentwicklung förmlich<br />

davon, Knochen und Sehnen werden<br />

durch Gewicht und Kraft der Muskeln<br />

überbeansprucht. Während Junghennen<br />

fliegen und problemlos einen bis anderthalb<br />

Meter in die Höhe flattern können,<br />

wird Mastgeflügel von Alterswoche zu<br />

Alterswoche immer träger und ruht zumeist<br />

nicht hühnerkonform am Boden.<br />

Dies auch, weil jede Bewegung die überzüchteten<br />

Tiere stark beansprucht, ja ihnen<br />

sogar Schmerzen bereiteten kann.<br />

Weitere «Berufskrankheiten» von raschwüchsigen<br />

Mastgeflügellinien sind akutes<br />

Kreislaufversagen, Ödemkrankheiten<br />

und Leberverfettung. Im Gegensatz etwa<br />

zu den normalwachsenden Freilandmasthühnerlinien<br />

weisen Turbomasthühner<br />

eine fast doppelt so hohe Mortalität auf.<br />

Enten, Gänse, Perlhühner,<br />

Fasanen, Wachteln, Tauben<br />

Die Tierschutzgesetzgebung regelt die<br />

Haltung dieser Tierarten in der Schweiz.<br />

Allerdings existieren hier mit Ausnahme<br />

einiger weniger Wachtelzuchten, die wesentlich<br />

strengere gesetzliche Vorgaben<br />

erfüllen als ausländische Betriebe, wo<br />

beispielsweise die Käfighaltung noch zulässig<br />

ist, kaum wirtschaftlich und auf<br />

berufsmässiger Basis betriebene Geflügelhaltungen.<br />

Die allermeisten dieser Geflügelarten<br />

leben in Hobbyhaltungen. Das<br />

Gros des in der Schweiz konsumierten Enten-,<br />

Gänse-, Perlhuhn-, Fasanen-, Wachtel-<br />

und Taubenfleisches wird importiert,<br />

zumeist aus tierschützerisch fragwürdigen<br />

Haltungen.<br />

8.5 Tierschutzprobleme<br />

Schafe, Ziegen und<br />

Kaninchen<br />

Schafe<br />

Die Schafhaltung wird in der Schweiz<br />

recht extensiv und mit fleissigem Weidegang<br />

betrieben. Rund 80 % der auf<br />

Bauernhöfen gehaltenen Schafe erhalten<br />

Weidegang. Zwei auch tierschützerisch<br />

bedeutsame Eigenheiten charakterisieren<br />

die Schafhaltung: Rund ein Drittel<br />

des Schafbestandes gehört nicht bäuerlichen<br />

Tierhaltern, und über die Hälfte der<br />

Schafe wird im Sommer gealpt. In beiden<br />

Haltungen ist die behördliche Überwachung<br />

des Tierschutzes weniger konsequent<br />

als auf Bauernhöfen. Auf Alpen<br />

sind die Tierschutzvorschriften, etwa betreffend<br />

Witterungsschutz, Wasserzugang<br />

oder Tierüberwachung, zudem larger als<br />

im Talgebiet.<br />

Schwanzcoupieren zulässig: Vielen<br />

Schafen wird der Schwanz coupiert,<br />

um einem Verschmutzen der Hinterpartie<br />

vorzubeugen, etwa bei raschen Futterwechseln.<br />

Diese Massnahme ist zweifellos<br />

schmerzhaft. Zudem kann durch bessere<br />

Pflege und Fütterung die Verschmutzungsgefahr<br />

verringert werden.<br />

Ein Grossteil der Schafe<br />

erhält Weidegang<br />

Ziegen<br />

Grosse Verbreitung der restriktiven<br />

Anbindehaltung: Rund zwei Drittel der<br />

Ziegen dürfen nicht in Gruppen und in<br />

strukturierten Freilaufställen leben, wie<br />

es ihrer Natur entspräche, sondern sind<br />

einzeln angebunden. Darunter leidet das<br />

hoch entwickelte Sozialleben und das Bewegungsverhalten<br />

der neugierigen Ziegen,<br />

insbesondere in der Stallhaltungszeit<br />

von Oktober bis April. Besser geht es den<br />

Ziegen in der Vegetationszeit: dann können<br />

drei Viertel auf die Weide.<br />

48<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Enthornen: Die meisten einheimischen<br />

Milch-Ziegenrassen haben natürlicherweise<br />

Hörner. Wie bei den Rindern wird<br />

auch bei Ziegen zunehmend enthornt,<br />

unter Schmerzausschaltung und mit definierten<br />

Methoden. Die Hörner spielen bei<br />

der Kommunikation, der Festlegung der<br />

Rangordnung und der Körperpflege eine<br />

wichtige Rolle bei Rind und Ziege. Das<br />

Enthornen stellt eine Anpassung an den<br />

Menschen (Unfallgefahr) oder ans Haltungssystem<br />

dar.<br />

Kaninchen<br />

Verbreitete Einzelhaltung und kaum<br />

Auslauf ins Freie: Der Grossteil an Kaninchen<br />

wird in der Schweiz von Rassezüchtern<br />

für das Schauwesen und in<br />

Privathaushalten als Kuscheltiere gehalten.<br />

Wie diese präferiert auch die Wirtschaftskaninchenzucht<br />

auf Bauernhöfen<br />

die noch immer legale Einzelhaltung von<br />

Zibben. Erst 26 % der Kaninchen dürfen<br />

ihrer Natur gemäss frei in Gruppen und in<br />

strukturierten Freilaufställen leben. Praktisch<br />

inexistent ist die Auslaufhaltung, in<br />

deren Genuss nur knapp 2 % der Kaninchen<br />

kommen. Allerdings ist zu sagen,<br />

dass die Erwerbskaninchen-Freilandhaltung<br />

teilweise mit Mortalitätsraten von 30<br />

bis 40 % aufwartet, was hinter die Tierfreundlichkeit<br />

dieser Haltungsform ein<br />

grosses Fragezeichen setzt.<br />

Einsatz von Hilfsmitteln, etwa Zäume und<br />

Hilfszügel, können extremen Einfluss auf<br />

das Wohl und die Gesundheit von Pferden<br />

haben. Bis heute regelt die Tierschutzverordnung<br />

diesen tierschutzsensiblen Bereich<br />

allerdings nicht.<br />

8.7 Tierschutzprobleme<br />

Transporte<br />

Die Schweiz verfügt über die strengste<br />

Tiertransportgesetzgebung weltweit, mit<br />

einer Ausbildungspflicht für Transporteure,<br />

einer maximalen Transportdauer<br />

von sechs Stunden und konkreten Vorgaben<br />

zu Transportmitteln und zum Umgang<br />

mit transportierten Tieren. Aus tierschützerischen<br />

Gründen ist der Transit<br />

von Schlachttieren aus dem EU-Raum<br />

durch die Schweiz verboten. In der<br />

Schweiz werden jährlich rund 3 Millionen<br />

Kälber, Kühe, Rinder, Schweine, Schafe<br />

und Ziegen sowie 45 Millionen Hühner<br />

zum Schlachthof gefahren. Werden noch<br />

die Zuchtvieh- und Jungtiertransporte<br />

dazugerechnet, ergeben sich pro Jahr gegen<br />

60 Millionen zu befördernder Nutztiere.<br />

Pro Arbeitstag kommen so auf unseren<br />

Strassen im Durchschnitt fast eine<br />

Viertelmillion Tiere zusammen.<br />

Zunahme Tiertransporte: Für viele Tiere<br />

haben die Transportwege im Vergleich zu<br />

früher streckenmässig zugenommen, denn<br />

das Schlachten wird in der Schweiz aus<br />

wirtschaftlichen Gründen auf immer weniger<br />

und immer «leistungsstärkere» Grossbetriebe<br />

konzentriert. Auch die fortschreitende<br />

Arbeitsteilung und Spezialisierung<br />

in der Nutztierhaltung kurbeln Handel<br />

und Transporte von Tieren an. So werden<br />

heute die meisten zur Mast bestimmten<br />

Tiere früh in ihrem Leben verkauft und<br />

aus den Geburts- in spezialisierte Mastbetriebe<br />

verbracht. Legehennen werden in<br />

ihrem Leben gar drei Mal transportiert: als<br />

Eintagsküken von der Brüterei in den Aufzuchtbetrieb,<br />

mit knapp vier Monaten auf<br />

den Legebetrieb, und im Alter von rund<br />

18 Monaten, nach der Produktion von 350<br />

Eiern, in den Schlachthof.<br />

Transport hochträchtiger Tiere: Unverständlicherweise<br />

lässt die Tierschutzgesetzgebung<br />

den Transport solcher Tiere,<br />

die sich in einer extrem belasteten Lebensphase<br />

befinden, zu. Mit dem Aufkommen<br />

der arbeitsteiligen Ferkelproduktion hat<br />

insbesondere der Transport hochträchtiger<br />

Muttersauen stark zugenommen.<br />

8.6 Tierschutzprobleme Pferde<br />

Verbreitete Einzelhaltung: Ein erheblicher<br />

Teil der Pferde wird ausserhalb<br />

der Landwirtschaft gehalten. Tendenziell<br />

dürfte es den auf Bauernhöfen gehaltenen<br />

Pferden besser gehen, da hier mehr<br />

Platz und insbesondere Weiden vorhanden<br />

sind. Während rund 80 % der in der<br />

Landwirtschaft gehaltenen Pferde erfreulicherweise<br />

über Auslauf und Weidegang<br />

verfügen, ist die Einzelhaltung von Stuten<br />

und Wallachen noch sehr verbreitet. Nur<br />

eines von acht erwachsenen Pferden darf<br />

artgemäss in Gruppen leben.<br />

Umgang und Hilfsmittel: Die Art und<br />

Weise der Ausbildung und der Beanspruchung<br />

des Tieres beim Reiten wie auch der<br />

Pferdeleben wie es sein<br />

soll: in einer Gruppe mit<br />

Weidegang und Auslauf<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

49


Transport mit dreistöckigen Fahrzeugen:<br />

Mittlerweile fahren auch in der<br />

Schweiz solche Fahrzeuge. Wegen der beschränkten<br />

Höhe bieten sie den Tieren viel<br />

weniger Raum und erschweren das Lüften<br />

sowie im Sommer die Kühlung. Der Auf-,<br />

Um- und Ablad der Tiere wird schwieriger<br />

und insbesondere länger, sodass die<br />

Transportdauer zunimmt, was nicht im<br />

Interesse der Tiere liegt.<br />

8.8 Tierschutzprobleme<br />

Schlachthöfe<br />

Der Bund hat 2010 neue, zeitgemässe<br />

Vorschriften zum Töten von Tieren in<br />

Schlachtanlagen erlassen. Damit verbesserte<br />

sich die Situation für viele Tiere am<br />

Ende ihres Lebens.<br />

Schweine auf<br />

ihrer letzten Fahrt<br />

Konzentration der Schlachtanlagen:<br />

Über 90 % aller Kühe, Kälber, Rinder,<br />

Schweine, Ziegen, Schafe, Hühner<br />

und Truten schweizweit werden in<br />

knapp einem Dutzend mittlerer bis grosser<br />

Schlachthöfe getötet. Das bringt Vorund<br />

Nachteile. Wenige, aber dafür grössere<br />

Schlachtanlagen können Wissen und<br />

Erfahrung samt Investitionen in bessere<br />

Einrichtungen rascher umsetzen, gut geschultes<br />

Personal einsetzen und besser<br />

überwacht werden. Demgegenüber gibt<br />

es ein Mehr an Transporten, und je Zeiteinheit<br />

müssen immer mehr Tiere angeliefert,<br />

abgeladen, in die Wartebuchten<br />

getrieben und schlussendlich den Betäubungsanlagen<br />

zugeführt werden. Das erfordert<br />

eine ausgereifte Technik, Organisation<br />

und Überwachung.<br />

Hohe Schlachtfrequenzen: Auch wenn<br />

in der Schweiz je Stunde und Schlachtlinie<br />

insbesondere bei Schweinen und Geflügel<br />

noch mit tieferen Betäubungs- und<br />

Tötungsfrequenzen gearbeitet wird als in<br />

den Grossschlachthöfen der EU und der<br />

USA, so haben sich diese im Vergleich zu<br />

fünfzig Jahren früher doch vervielfacht.<br />

Spezialisierte <strong>Schweizer</strong> Schlachthöfe töten<br />

heute stündlich 8000 Hühner und 300<br />

Schweine, im Ausland sind es teilweise<br />

sogar 12 000 Hühner und 700 Schweine<br />

pro Stunde. Bei derart hohen Geschwindigkeiten<br />

wird es immer schwieriger, die<br />

Tiere schonend den Anlagen zuzuführen<br />

und vor allem die korrekte Betäubung<br />

jedes einzelnen Tieres festzustellen.<br />

So zeigen aktuelle EU-Studien, dass<br />

bei Restrainer-Elektrobetäubungsanlagen<br />

und Schlachtfrequenzen von 600–700<br />

Schweinen pro Stunde die Tierzuführung<br />

mit Einzeltreibgängen nur mehr über den<br />

regelmässigen, tierschutzwidrigen Einsatz<br />

von für die Tiere sehr schmerzhaften<br />

Elektrotreibhilfen erfolgt. Nach der Gasoder<br />

Elektrobetäubung müssen die Tiere<br />

raschestmöglich gestochen werden, damit<br />

sie entbluten und sterben und nicht<br />

wieder aufwachen. Für die korrekte Ausführung<br />

des Stichs mit einem Hohlmesser<br />

bleiben den Arbeitern bei derart extremen<br />

Frequenzen indessen lediglich 6 Sekunden<br />

Zeit! So kommt es bei 1 % der Tiere<br />

dazu, dass es nicht richtig gestochen wird<br />

und bei vollem Bewusstsein in die Weiterverarbeitung<br />

(Brühanlage!) fährt. Ein<br />

Horrorszenario, von dem gemäss Experten<br />

bei etwa 250 Millionen geschlachteten<br />

Schweinen in der EU gegen 2,5 Millionen<br />

betroffen sein könnten.<br />

Geflügelschlachtung: Die seit Jahrzehnten<br />

weltweit praktizierte Geflügelbetäubung<br />

im mit Strom durchflossenen<br />

Wasserbad weist enorme Tierschutzprobleme<br />

auf, beginnend beim Aufhängen<br />

der angelieferten Tiere an den Füssen,<br />

über die ungenügende Betäubungssicherheit,<br />

da einzelne Hühner es immer wieder<br />

schaffen, Kopf und Hals über das Wasserbad<br />

zu halten, bis zur wegen der extrem<br />

hohen Schlachtfrequenz kaum mehr<br />

möglichen Kontrolle und Entnahme von<br />

nicht korrekt betäubten Hühnern. In der<br />

Schweiz ist diese antiquierte und tierschutzproblematische<br />

Methode zulässig.<br />

Eine schonendere und sicherere Betäubung<br />

und Tötung von Geflügel gewährleisten<br />

moderne Gasbetäubungsanlagen,<br />

wie sie die Bell AG nach Beratung durch<br />

den STS seit 2011 betreibt.<br />

8.9 Weitere Aspekte der<br />

Nutztierhaltung<br />

Mensch-Tier-Kontakt<br />

Insbesondere durch die zunehmende Tierzahl<br />

je Betrieb und durch den Einsatz arbeitssparender<br />

Einrichtungen, beispielsweise<br />

den Melkroboter, aber auch in extensiveren<br />

Haltungsformen wie Freilauf-<br />

50<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


ställen, Weidemast oder Mutterkuhhaltung<br />

wird der Kontakt zum einzelnen Tier<br />

quantitativ oft geringer und der menschliche<br />

Zugang zum Einzeltier in der Herde<br />

gestaltet sich schwieriger. So gehört das<br />

Küheputzen mit Bürste und Striegel in<br />

vielen Betrieben längst der Vergangenheit<br />

an. Viele Tiere sind es auch nicht<br />

mehr gewohnt, angebunden zu stehen<br />

oder geführt zu werden. Doch weiterhin<br />

müssen Rinder aussortiert, fixiert und geführt<br />

werden können, ob für eine veterinärmedizinische<br />

Untersuchung oder Impfung,<br />

die Klauenpflege, die Umstallung<br />

oder den Transport.<br />

Ob und wie ein Bauer seine Tiere anspricht<br />

und wie diese darauf reagieren,<br />

verrät Aussenstehenden oft viel über die<br />

Qualität einer Tierhaltung. Ein positiver<br />

Kontakt führt meist zu ruhigeren, entspannteren<br />

und zutraulicheren Tieren.<br />

Sorgfältige Beobachtung und Pflege stellen<br />

mit die gesundheitlich und ökonomisch<br />

wichtigsten Schlüsselfaktoren der<br />

Tierhaltung dar – aber auch die am meisten<br />

unterschätzten!<br />

Eingeschränktes Sozialleben<br />

Das angeborene Sozialverhalten der<br />

Nutztiere wird aus produktionstechnischen<br />

Gründen stark eingeschränkt. Während<br />

natürliche Sozialverbände sich in der<br />

Regel aus jüngeren und älteren männlichen<br />

und weiblichen Erwachsenen sowie<br />

aus Halbwüchsigen und Kindern zusammensetzen<br />

und etwa bei Rindern sowie<br />

Schweinen Mütter und Töchter oft ein<br />

Leben lang zusammenbleiben, werden in<br />

der Tiermast und der Eiererzeugung stets<br />

gleichaltrige Tiere gehalten. Zudem sind<br />

Nutztiere häufig schon ganz früh im Leben<br />

auf sich alleine gestellt oder wachsen<br />

gar mutterlos auf. Die Mutter-Kind-<br />

Beziehung, welche natürlicherweise bei<br />

allen Nutztieren einen hohen Stellenwert<br />

einnimmt, wird heute in den allermeisten<br />

Fällen fast völlig verunmöglicht. Über die<br />

Folgen für die Muttertiere und die Entwicklung<br />

der Jungtiere liegen bislang nur<br />

wenige wissenschaftliche Untersuchungen<br />

vor. Praktische Erfahrungen deuten<br />

indessen darauf hin, dass künstliche Auf-<br />

Ob und wie ein Bauer<br />

seine Tiere anspricht, sagt<br />

viel über die Tierhaltung<br />

zucht oder rasche, frühe Trennung von<br />

Mutter und Kind durchaus Konsequenzen<br />

haben und etwa bei Kälbern und Ferkeln<br />

das gegenseitige Besaugen fördern. Haltungsformen,<br />

die dem natürlichen Sozialleben<br />

Rechnung tragen – beispielsweise<br />

das geniale Konzept des Familienstalls für<br />

Schweine des leider allzu früh verstorbenen<br />

Zürcher Verhaltensforschers Alex<br />

Stolba –, konnten sich mit Ausnahme der<br />

Mutterkuhhaltung nicht durchsetzen. Mit<br />

Blick auf die Neuausrichtung der Landwirtschaft<br />

hin zu mehr Tierschutz sind<br />

Wissenschaft und Praxis gefordert, nach<br />

Lösungen für eine bessere Berücksichtigung<br />

des Sozialverhaltens der Nutztiere<br />

zu suchen.<br />

Wirtschaftlichkeit<br />

Kaum ein anderes Thema gibt so viel<br />

Anlass zu Diskussionen zwischen Bauern<br />

und Tierschützern wie die Ökonomie.<br />

In der Tat gilt es hier differenziert hinzuschauen.<br />

Die einfache Formel der Agrarlobby,<br />

«Tierschutz = Kostentreiber»,<br />

stimmt nicht und greift viel zu kurz im<br />

Hinblick auf die Tatsache, dass Produkte<br />

von Tieren in artgerechter Haltung am<br />

Markt meist einen besseren Preis lösen<br />

und der Bund seit 1996 solche Haltungsformen<br />

mit (allerdings geringen) jährlichen<br />

Beiträgen unterstützt. Völlig falsch<br />

ist auch das Argument, dass es den Tieren<br />

ja wohl sein müsse, wenn sie hohe Nutzleistungen<br />

erbringen. Denn die Leistung<br />

ist genetisch fixiert. Ein Hochleistungstier<br />

muss viel Milch oder Eier erzeugen oder<br />

rasch <strong>Fleisch</strong> ansetzen, ob es will oder<br />

nicht, ob es eingesperrt ist oder im Freiland<br />

lebt. Untersuchungen der ETH Zürich<br />

zeigten bereits in den 1980er-Jahren, dass<br />

selbst schwer verletzte Hühner in Käfigbatterien<br />

täglich Eier legten!<br />

Buchhaltungsergebnisse deuten darauf<br />

hin, dass die ökonomischen Unterschiede<br />

zwischen gut und schlecht<br />

wirtschaftenden Betrieben grösser sind<br />

als die Unterschiede zwischen einzelnen<br />

Haltungsformen für Tiere. Die jährlichen<br />

Auswertungen der UFA für hunderte<br />

von Schweinemast- und -zuchtbetrieben<br />

zeigen, dass das erste Viertel der<br />

Bauern fast doppelt so viel verdient wie<br />

das letzte, unabhängig vom Haltungssystem.<br />

Als Hauptgrund wird von den Ökonomen<br />

stets das bessere Management genannt.<br />

Ein ähnliches Bild findet man in<br />

der Mutterkuhhaltung. Die 25 % Topbau-<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

51


ern verdienen dort 2700 Franken je Kuh<br />

und Jahr, die schlechtesten 25 % indessen<br />

lediglich 1200 Franken! Auch hier spielt<br />

das Management, also der Faktor Mensch,<br />

die grösste Rolle. So finden sich auf den<br />

Betrieben der Gutverdiener lediglich 2 %<br />

Kälberverluste, bei den schlechten indessen<br />

15 %!<br />

Für mehrere Tierkategorien trifft die<br />

Feststellung zu, dass der Tierschutz die<br />

Produktion verteuert, sei dies durch höhere<br />

Investitionskosten oder durch Mehraufwand.<br />

So brachte die Volierenhaltung<br />

als tierfreundliche Alternative zur Käfigbatterie<br />

10–15 % höhere Produktionskosten<br />

mit sich. Sehr hohe Mehrkosten fallen<br />

bei der Freilandhühnermast an. Durch<br />

das Zurverfügungstellen von Weide, die<br />

tieferen Besatzdichten im Stall und primär<br />

durch den Einsatz von langsamer<br />

wachsenden Hybriden mit einer um 50 %<br />

verlängerten Mastdauer erhöhen sich die<br />

Produktionskosten im Vergleich zur konventionellen<br />

Haltung stark.<br />

In der Schweinezucht/-mast und der<br />

Rindermast unterscheiden sich die Investitionskosten<br />

für die verschiedenen Haltungsformen<br />

wenig, mit Ausnahme von<br />

reinen Weidemasten, die ohne teure Stallbauten<br />

auskommen. Hingegen generieren<br />

tierfreundliche Haltungsformen mit<br />

Einstreu und Auslauf teilweise Mehraufwand.<br />

Aus diesem Grund sind Label- und<br />

Biozuschläge sowie die staatlichen BTS/<br />

RAUS-Beiträge gerechtfertigt.<br />

In der Milchviehhaltung hingegen<br />

leisten Tierschutzmassnahmen einen<br />

wichtigen Beitrag zur Senkung der Produktionskosten.<br />

Eine ETH-Modellrechnung<br />

ergab, dass bei Beschränkung des<br />

Weidegangs auf die gesetzlichen Vorschriften<br />

von nur 90-mal Auslauf im<br />

Jahr der erzielbare Milcherlös um 7 Rappen<br />

pro Kilogramm niedriger ausfällt, als<br />

wenn die Kühe von Frühjahr bis Herbst<br />

weiden. Der Vollweidebetrieb hat im Vergleich<br />

zu Betrieben mit Stallhaltung und<br />

-fütterung ein Kostensparpotenzial von<br />

mehreren hundert Franken pro Kuh. Weidehaltung<br />

und Freilaufställe können die<br />

Arbeitszeit reduzieren. Kommt dazu, dass<br />

beim Melken im Freilaufstall mit Melkstand<br />

auch die Arbeitsbelastung vermindert<br />

wird. Hier finden sich weniger ungünstige<br />

Körperhaltungen und Arbeitsarten<br />

als beim Melken im Anbindestall.<br />

In- und ausländische Erfahrungen<br />

zeigen, dass regelmässiger Weidegang<br />

und Freilaufhaltung Fruchtbarkeit und<br />

Tiergesundheit (z. B. Klauenprobleme,<br />

Euterentzündungen, Gliedmassenerkrankungen)<br />

verbessern sowie die Lebensdauer<br />

verlängern können. Hier liegt ein<br />

wesentliches Kostensparpotenzial, geht<br />

man doch davon aus, dass Euterentzündungen<br />

und Fruchtbarkeitsstörungen den<br />

40 000 <strong>Schweizer</strong> Milchbauern Einbussen<br />

von bis zu einer halben Milliarde Franken<br />

jährlich zufügen können.<br />

Tierarztkosten sind dabei nur die<br />

Spitze des Eisbergs. Die Tierarzt- und Medikamentenrechnungen<br />

fallen dem Landwirt<br />

zwar auf und erscheinen in der Buchhaltung.<br />

Viel stärker ins Gewicht fallen<br />

jedoch der Milchausfall während der Behandlung<br />

und die in der Folge geringere<br />

Milchleistung der Kühe. Bessere Tiergesundheit<br />

bedeutet deshalb nicht nur geringere<br />

Tierarztkosten, sondern vor allem<br />

bessere Leistungen, weniger Leistungsausfälle<br />

und Abgänge, bessere Ausnützung<br />

von Gebäuden und Einrichtungen,<br />

niedrigere Futter-, Remontierungs-, Arbeits-<br />

und Pflegekosten.<br />

Tierschutz wird oft mit grossen Neuund<br />

Umbauprojekten und damit hunderttausenden<br />

von Franken an Investitionen<br />

in Verbindung gebracht. Nicht jeder Stall<br />

ist aber schon amortisiert, und nicht jeder<br />

Tierhalter verfügt über ein derart dickes<br />

finanzielles Polster. Ist Tierschutz am<br />

Ende nur etwas für reiche Bauern? Keineswegs!<br />

Denn es muss nicht immer gleich<br />

ein teurer Umbau sein. Mit gutem Willen<br />

und Geschick lässt sich auch mit kleinem<br />

Portemonnaie viel fürs Wohlbefinden der<br />

Tiere tun:<br />

Ein Freilaufstall ist gut für<br />

die Tiere und reduziert den<br />

Arbeitsaufwand<br />

• Optimale Fütterung (Qualität, Regelmässigkeit,<br />

Häufigkeit) und ständiges<br />

Angebot von sauberem Wasser (z. B.<br />

Kälbermast!)<br />

• Licht und Luft (Vermeiden von Schadgasen,<br />

Staub, Zugluft; viel frische Luft<br />

durch offene Fenster/Stallfronten;<br />

Wände und Decken sauber halten; fleissiges<br />

Entmisten; Überhitzung und Unterkühlung<br />

vorbeugen)<br />

• Pflege (Klauen und Fell; Gesundheitszustand),<br />

Tiere ansprechen, Überwa-<br />

52<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


chen der Einrichtungen (Unfall-/Verletzungsgefahr)<br />

• Einstreu resp. angepasste Liegebereiche<br />

(Tiere ruhen 50 % von 24 Stunden!), Beschäftigung<br />

ermöglichen<br />

• Bewegung (Auslauf ins Freie)<br />

Viele Landwirtschaftsberater und Bauern<br />

drängen darauf, menschliche Arbeitskraft<br />

durch teure Technik und Maschinen<br />

zu ersetzen. Das kann durchaus Sinn machen,<br />

hat aber auch wirtschaftliche Grenzen,<br />

die oftmals übersehen werden. Wenig<br />

sinnvoll ist es beispielsweise, eher günstige<br />

Arbeitskräfte durch teure Technik<br />

zu ersetzen. Je mehr Technik ein Landwirt<br />

etwa um seine Kühe herum investiert,<br />

desto mehr muss er die Milchleistung steigern,<br />

um die hohen Kosten auf mehr Kilogramm<br />

Milch verteilen zu können. So verursacht<br />

ein Melkroboter im Vergleich zu<br />

einem Fischgrätenmelkstand samt Melker<br />

jährlich zehntausende von Franken Mehrkosten.<br />

Man kann sich zu Recht fragen,<br />

ob dieses Geld nicht besser in einen Menschen<br />

investiert wird, der die Kühe melkt<br />

und sich um sie kümmert – wozu der Roboter<br />

ja nicht in der Lage ist!<br />

Klimaschutz<br />

Die Klimarelevanz der industriellen Tierproduktion,<br />

die auf Massentierhaltung<br />

setzt, ist unbestritten. Bekannt ist auch die<br />

Tatsache, dass beim Umbruch von Weideland<br />

zu Äckern – ob nun zur menschlichen<br />

Ernährung oder zur Futtermittelproduktion<br />

– sowie bei der synthetischen<br />

Herstellung von Stickstoffkunstdünger<br />

und dessen Anwendung grosse Mengen<br />

an klimarelevantem CO2 und Lachgas in<br />

die Atmosphäre entweichen. Deshalb ist<br />

die weltweit zunehmende Ausdehnung<br />

der Ackerflächen auf ungeeignete Standorte,<br />

etwa zur industriellen Futtermittelproduktion<br />

für Tierfabriken, extrem klimarelevant.<br />

Weltweit verursacht die Rodung von<br />

Tropenwäldern für Viehweiden und die<br />

Umnutzung von natürlichem Gras- und<br />

extensivem Weideland wie Steppen, Savannen<br />

und Pampas zu Ackerland (u. a.<br />

Soja- und Getreideanbau) etwa 20 % aller<br />

Rodung für Viehweiden<br />

oder Ackerland für Futtermittelanbau<br />

Treibhausgasemissionen. Durch den Freihandel<br />

werden die klimarelevante Produktion<br />

und die weltweite Verschiebung<br />

von Kraftfutter für Tiere begünstigt. Die<br />

Schweiz importierte in den letzten zehn<br />

Jahren zunehmend auch Kraftfutter aus<br />

bezüglich Umwelt- und Klimaschutz problematischen<br />

Erzeugerregionen. Die Umnutzung<br />

von Steppen und anderen natürlichen<br />

Grasgebieten könnte zudem<br />

ein kurzfristiges Phänomen sein, da der<br />

Ackerbau dort meist in Monokulturen und<br />

wenig bodenschonend betrieben wird. So<br />

ist es absehbar, dass durch Erosion die<br />

nur dünne fruchtbare Humusschicht abgetragen<br />

wird und die Böden danach weder<br />

zum Ackerbau noch zur Viehhaltung<br />

mehr gebraucht werden können.<br />

Es ist zu unterscheiden zwischen einer<br />

industriellen Tierproduktion und einer<br />

bäuerlichen, standortangepassten und<br />

artgerechten Tierhaltung, die in erster Linie<br />

auf raufutterverzehrende Tiere wie<br />

Kühe, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde<br />

setzt und ohne erhebliche Mengen an<br />

Kraftfutter auskommt. Solche naturnahen<br />

Weidetierhaltungsformen auf dem<br />

Grünland sind eben gerade nicht klimarelevant,<br />

sondern sorgen dafür, dass vermehrt<br />

CO2 im Humus des Bodens gespeichert<br />

wird. Wiederkäuer auf der Weide<br />

sind keine Nahrungsmittelkonkurrenten<br />

der Menschen, da sie Dauergrünland nutzen,<br />

das meist nicht ackerfähig ist, und<br />

aus diesen Gräsern und Kräutern, die der<br />

Mensch nicht verdauen kann, Milch und<br />

<strong>Fleisch</strong> erzeugen. Eine bäuerliche Tierhaltung<br />

mit geregelter Weidewirtschaft und<br />

eine naturnahe Bewirtschaftung mit Biound<br />

IP-Betrieben sind deshalb Teil der Klimalösung<br />

– und nicht Verursacher wie die<br />

Massentierhaltung. Gerade die Schweiz<br />

mit ihrem hohen Anteil an Wiesen-, Weiden-<br />

und Alpgebieten – weniger als ein<br />

Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren<br />

Fläche ist ackerbaufähig – bietet dafür<br />

beste Voraussetzungen.<br />

Umweltrelevanz<br />

Man geht davon aus, dass die weltweite<br />

Nutztierhaltung für rund 15 % der menschengemachten<br />

CO2-Emissionen verantwortlich<br />

ist. Da nur eines von tausend<br />

Rindern und Schweinen, die weltweit gehalten<br />

werden, in der Schweiz lebt, ist der<br />

Einfluss der <strong>Schweizer</strong> Viehhaltung auf<br />

das Weltklima bescheiden. Würde man die<br />

Nutztierhaltung hierzulande verbieten,<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

53


könnten gerade mal 0,015 % des weltweiten<br />

CO2-Ausstosses eingespart werden.<br />

Die Schweiz als Ganzes ist «tiermässig»<br />

auch nicht überbevölkert, wie ab<br />

und zu behauptet wird. Die 1,3 Millionen<br />

Grossvieheinheiten (GVE) verteilen sich<br />

auf 1,1 Millionen Hektar Landwirtschaftsfläche,<br />

was einen Besatz von 1,2 GVE/ha<br />

ergibt. Zum Vergleich: Die Niederlande<br />

weisen 3,5, Dänemark 1,6 und Deutschland<br />

1,1 GVE/ha auf. Trotzdem weist die<br />

Viehhaltung auch in der Schweiz eine<br />

teilweise starke Umweltproblematik auf.<br />

Betroffen sind Gewässer, Luft und Böden<br />

in jenen Kantonen, die in den letzten<br />

Jahren trotz bereits bestehender, hoher<br />

Viehdichte weiter Tierbestände aufstocken<br />

liessen. Insbesondere im Kanton<br />

Luzern gibt es Regionen mit sehr hohen<br />

Tiermassierungen und entsprechend viel<br />

Anfall von hauptsächlich Gülle, ebenso in<br />

den Kantonen Appenzell Innerrhoden, St.<br />

Gallen, Thurgau, Zug, Obwalden, Nidwalden<br />

und Freiburg mit 2 und mehr GVE/<br />

ha. Hingegen liegen alle anderen Kantone<br />

unter 1,0 GVE/ha. In Regionen mit einem<br />

Zuviel an Nutztieren kann ein Übermass<br />

an ausgebrachtem Hofdünger Grundund<br />

Oberflächengewässer mit Nitrat und<br />

Viel Tiere bedeuten auch<br />

viel Gülle, schlecht für das<br />

Grundwasser und das Klima<br />

Phosphor anreichern oder vermehrt Ammoniak<br />

in die Luft entlassen.<br />

Kraftfuttereinsatz<br />

Der Einsatz von Getreide, Mais, Soja, Kartoffeln,<br />

Rüben und dergleichen in der Tierhaltung<br />

ist nicht per se schlecht. So setzt<br />

etwa das Geflügel Getreide am effizientesten<br />

aller Nutztiere in Eier oder <strong>Fleisch</strong><br />

um. Bei der Pflanzenproduktion für den<br />

menschlichen Verzehr fallen grosse Mengen<br />

an Rückständen an, die insbesondere<br />

vom Schwein, dem geborenen «Abfallverwerter»,<br />

optimal genutzt werden können.<br />

Der steigende Kraftfuttereinsatz bei<br />

Raufutterverzehrern hingegen, insbesondere<br />

in der Milch- und Rindfleischerzeugung,<br />

ist äusserst fragwürdig.<br />

Mitte der 1970er-Jahre erreichten<br />

Kraftfutterimporte und -einsatz in der<br />

Schweiz einen absoluten Höchststand.<br />

Rund 1,5 Millionen Tonnen wurden eingeführt,<br />

weitere 500 000 Tonnen im Inland<br />

erzeugt, sodass gegen 2 Millionen<br />

Tonnen in den Viehtrögen landeten.<br />

Zwanzig Jahre später wurden nur mehr<br />

350 000 Tonnen importiert. Mittlerweile<br />

ist der Import, insbesondere von eiweissreichen<br />

Futtermitteln wie Soja, von Jahr<br />

zu Jahr steigend und liegt mittlerweile<br />

fast wieder drei Mal höher als vor fünfzehn<br />

Jahren, bei rund 1 Million Tonnen!<br />

Diese Futtermittel wachsen im Ausland<br />

auf einer Fläche von rund 250 000 Hektar,<br />

was knapp der Fläche des Kantons Tessin<br />

entspricht.<br />

Gerade umgekehrt verlief die Entwicklung<br />

beim inländischen Futtergetreide.<br />

Hier nahm die erzeugte Menge<br />

von 800 000 Tonnen im Jahr 1995 ab auf<br />

heute nur mehr 550 000 Tonnen, davon<br />

70 000 Tonnen Eiweissfuttermittel. Zwar<br />

fragt die Schweiz lediglich 0,3 % der weltweit<br />

gehandelten Sojamenge nach, während<br />

allein die EU und China 60 % abräumen,<br />

also 200-mal mehr. Trotzdem ist es<br />

bedenklich, dass in der Schweiz der Futtermittelanbau<br />

nicht mehr gefördert wird,<br />

zumal mit den heutigen Züchtungen auch<br />

der Sojaanbau klimatisch möglich wäre.<br />

Stattdessen haben sich die Eiweissimporte<br />

verdreifacht, Sojaimporte gar verzehnfacht.<br />

Die Gründe dafür sind vielfältig<br />

und liegen unter anderem in der Leistungssteigerung<br />

der Nutztiere, der Ausdehnung<br />

der Milch- und <strong>Fleisch</strong>erzeugung,<br />

der Reduktion des Fischmehlanteils<br />

in den Rationen, um der Überfischung der<br />

Weltmeere Einhalt zu gebieten, dem Fütterungsverbot<br />

für <strong>Fleisch</strong>mehl seit der BSE-<br />

Krise (Rinderwahnsinn) und dem Verbot<br />

der Speiserestefütterung an Schweine seit<br />

2011 sowie den aktuell relativ tiefen Preisen<br />

für Importfuttermittel begründet.<br />

8.10 Ressourcenverschleuderung<br />

Auch in der Schweiz werden bei der Lebensmittelerzeugung<br />

und -distribution<br />

noch viel zu viele Ressourcen unnötig verschleudert.<br />

Das fängt bereits in den Ställen<br />

an. Insbesondere durch die abverlangten<br />

Höchstleistungen wird die Lebenserwartung<br />

von Kühen, Schweinen und Hühnern<br />

immer kürzer. Das hat zur Folge, dass<br />

jedes Jahr mehr Tiere aufgezogen werden<br />

müssen, um die immer rascher abtretenden<br />

Vorgenerationen zu ersetzen. Es wird<br />

mehr Futter, mehr Stallraum, mehr Energie<br />

und mehr Arbeit benötigt bei immer<br />

grösserem Tierverschleiss!<br />

54<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Lebensmittel im Müll<br />

Kaum thematisiert ist die Tatsache, dass<br />

30 bis 50 % der weltweit erzeugten Nahrungsmittel<br />

im Abfall landen, statt der<br />

menschlichen Ernährung zugutezukommen.<br />

Das bedeutet, dass es mit dem Umfang<br />

der jetzigen Lebensmittelerzeugung<br />

grundsätzlich nicht nur möglich wäre,<br />

alle Menschen heutzutage satt zu machen,<br />

sondern theoretisch auch im Jahr 2050 –<br />

trotz der Annahme, dass ein Hektar Landwirtschaftsland<br />

statt wie heute 4,5 dann<br />

5,5 Menschen ernähren muss.<br />

In ärmeren Ländern liegt das Abfallproblem<br />

in erster Linie bei der ungenügenden<br />

Lagerung, etwa von Getreide, sodass<br />

allzu viel verdirbt. Bei uns beginnt<br />

die Wegwerfmentalität bereits auf dem<br />

Acker und im Stall, wo zu grosse oder zu<br />

kleine Kartoffeln, Äpfel, Salate oder Eier<br />

aussortiert werden. Dabei werden vom<br />

Handel auch Kriterien festgelegt, die mit<br />

dem Nährwert der Produkte nichts zu tun<br />

haben. So wird in der Schweiz noch immer<br />

ein Teil der Legehennen nach der<br />

Schlachtung in Biogasanlagen entsorgt,<br />

obwohl sie zartes <strong>Fleisch</strong> liefern und man<br />

mit der anfallenden Geflügelfleischmenge<br />

praktisch die ganze Stadt Winterthur versorgen<br />

könnte. Ein besonders krasses Beispiel<br />

für fragwürdige «Qualitätsanforderungen»<br />

ist das jahrzehntelange Diktat<br />

der <strong>Schweizer</strong> Metzgerschaft bei der Kalbfleischfarbe.<br />

In der Schweiz sollen gemäss<br />

Konsumentenschutzorganisationen jährlich<br />

über 2 Millionen Tonnen Nahrungsmittel<br />

ungenutzt bleiben, das heisst rund<br />

300 Kilogramm pro Kopf. Allein in den<br />

Privathaushalten würden 700 000 Tonnen<br />

Lebensmittel im Müll landen!<br />

Das riesige Warenangebot und der<br />

«Frischefanatismus» bringen es mit sich,<br />

dass grosse Mengen an Lebensmitteln<br />

entsorgt werden müssen. Die Müllforscherin<br />

Felicitas Schneider fand bei ihren<br />

Untersuchungen in Österreichs Privathaushalten<br />

heraus, dass der Endverbraucher<br />

jährlich Lebensmittel im Gegenwert<br />

von 400 Euro in den Müll schmeisst, darunter<br />

oftmals originalverpackte und noch<br />

haltbare Produkte!<br />

Tierische Nebenprodukte<br />

Wenn ein Schwein geschlachtet wird, landet<br />

ein Drittel des Schlachtkörpers im Abfall,<br />

bei einer Kuh gar die Hälfte. In der<br />

Schweiz werden jährlich 450 000 Tonnen<br />

<strong>Fleisch</strong> erzeugt. Dabei fallen 220 000 Tonnen<br />

tierische Nebenprodukte an, die nach<br />

den Erfahrungen mit BSE und dem totalen<br />

Verfütterungsverbot von Mehlen tierischer<br />

Herkunft an Nutztiere heute zum<br />

grössten Teil entsorgt, das heisst verbrannt<br />

werden. Selbstverständlich sollte<br />

nicht am Kannibalismusverbot gerüttelt<br />

werden, welches besagt, dass das Mehl einer<br />

bestimmten Tierart nicht der eigenen<br />

Art verfüttert werden darf, wie dies bis<br />

1990 noch der Fall war. Aber die heutige<br />

extreme Verschleuderung der Ressource<br />

«Tierische Nebenprodukte» sollte Anlass<br />

sein, über eine sinnvollere Verwendung<br />

statt der Verbrennung nachzudenken!<br />

Denn dieses Fütterungsverbot ist mitbeteiligt<br />

daran, dass der ökologisch fragwürdige<br />

Kraftfutterimport in den vergangenen<br />

zehn Jahren derart angestiegen ist.<br />

Nachfrage Edelstücke<br />

Die Schweiz bezieht rund die Hälfte des<br />

Ein Teil der Legehennen<br />

wird nach der Schlachtung<br />

einfach verbrannt<br />

Schaffleischkonsums aus Australien und<br />

Neuseeland, und zwar samt und sonders<br />

Edelstücke. Dafür müssen in den Herkunftsländern<br />

über 2 Millionen Schafe<br />

geschlachtet werden. Die weniger edlen<br />

Teile dieser Schlachtkörper gelangen in<br />

den asiatischen Raum. Ähnliche Beobachtungen<br />

– Konzentration der <strong>Fleisch</strong>importe<br />

auf Edelstücke – lassen sich bei<br />

Rindfleisch und Poulets aufzeigen. Mittlerweile<br />

stellt die zunehmende Nachfrage<br />

der kaufkräftigen <strong>Schweizer</strong> Konsumenten<br />

nach Edelstücken ein grundsätzliches<br />

Problem dar. Die Verwertung der übrigen<br />

Teile eines im Inland aufgezogenen und<br />

geschlachteten Tiers wird so nämlich immer<br />

schwieriger.<br />

Die «minderwertigen» <strong>Fleisch</strong>anteile<br />

müssen deklassiert und unter ihrem Wert<br />

verkauft oder exportiert werden, sodass<br />

die Metzger im Gegenzug die Edelstücke<br />

inländischer Tiere preislich überproportional<br />

belasten, um trotzdem auf ihre Rechnung<br />

zu kommen. Damit verlieren diese<br />

gegenüber Importen an Konkurrenzkraft.<br />

Zudem müssen durch diese einseitige<br />

Edelteilnachfrage mehr Tiere gemästet<br />

und geschlachtet werden. Die Tierzucht<br />

versucht dem Rechnung zu tragen und<br />

setzt auf Zuchtlinien mit hohen Anteilen<br />

wertvoller <strong>Fleisch</strong>stücke, was dann bei<br />

Schwein und Geflügel prompt zu negativen<br />

Einflüssen auf Tierwohl und Tiergesundheit<br />

führt.<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

55


9. Massnahmen<br />

zur Verbesserung<br />

des Tierwohles<br />

9.1 Allgemeines<br />

Wer selber einmal nachschaut, wie Bauern<br />

heute ihre Tiere halten, wird erstaunt sein.<br />

Das gotthelfsche Huhn auf dem Miststock<br />

wird er zwar nicht mehr finden. Die Tierhaltungen<br />

vergrösserten sich stark im<br />

Vergleich zu früher, und viele technische<br />

Einrichtungen bis hin zu Melkroboter und<br />

Fütterungscomputer hielten Einzug. Doch<br />

tierfreundliche Haltungsformen wie Freilaufstall,<br />

Auslauf und Weide sind inzwischen<br />

recht verbreitet und keine Ausnahmeerscheinungen<br />

mehr, wie dies noch vor<br />

zwanzig Jahren der Fall war. Erhebliche<br />

Teile der <strong>Schweizer</strong> Landwirtschaft und<br />

Nutztierhaltung heben sich mittlerweile<br />

positiv vom Ausland ab.<br />

Allerdings: Unter den Blinden ist der<br />

Einäugige König. Noch immer leben hierzulande<br />

Millionen Nutztiere in beengten<br />

Ställen ohne Auslauf ins Freie. Kälber<br />

werden für helles <strong>Fleisch</strong> gefüttert, sodass<br />

sie häufiger als jede andere Tierkategorie<br />

mit Antibiotika behandelt werden müssen.<br />

Milchkühe werden zu immer höheren<br />

Leistungen getrieben, und Schweinemütter<br />

gebären mehr Ferkel, als sie Zitzen<br />

haben. Karge Buchten zur Mast von Munis<br />

und Schweinen, ohne Stroh zum Liegen<br />

und ohne Auslauf ins Freie, sind legal.<br />

Und die (Agrar-)Politik will die Grenzen<br />

öffnen für immer mehr Nahrungsmittel<br />

aus bei uns verbotenen Produktionsbedingungen<br />

und Massentierhaltungen. Sie<br />

setzt damit die Bestrebungen für mehr<br />

Tierwohl im Inland unter massiven Druck.<br />

Der Handlungsbedarf in puncto Tierwohl<br />

ist also auch heute gegeben. Dabei<br />

sollten Tierschützer in Zukunft nicht allzu<br />

stark auf die Tierschutzgesetzgebung setzen.<br />

Diese wurde erst vor wenigen Jahren<br />

vollständig revidiert und viele Übergangsfristen<br />

sind deshalb noch bis 2018<br />

am Laufen. Der politische Wille für eine<br />

erneute Totalrevision dürfte entsprechend<br />

gering sein. Zudem gilt es zu beachten,<br />

dass die Tierschutzgesetzgebung nicht besonders<br />

tierfreundliche Haltungsformen<br />

vorschreibt, sondern lediglich die Grenze<br />

zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem<br />

festlegt.<br />

Als effizientestes Mittel zur Verbesserung<br />

des Tierwohls in der Landwirtschaft<br />

hat sich eine Kombination von marktwirtschaftlichen<br />

und staatlichen Massnahmen<br />

herausgestellt. Nämlich das Schaffen von<br />

Konsumentennachfrage nach Labelprodukten<br />

sowie die Förderung tierfreundlicher<br />

Haltungsformen mittels spezifischer<br />

Direktzahlungen.<br />

9.2 Eigenverantwortlichkeit<br />

Tierschutz verlangt in erster Linie nach eigenverantwortlichen<br />

Menschen, und erst<br />

danach nach dem Staat. Den Tierschutz<br />

kann man zwar verordnen, er muss aber<br />

von Bauern und Konsumenten tagtäglich<br />

und motiviert gelebt werden, damit<br />

die Vorschriften in der Realität zugunsten<br />

der Tiere wirksam werden.<br />

Es geht nicht um Konsumverzicht,<br />

sondern um einen vertretbaren Konsum.<br />

Wenn schon Eier, Milchprodukte<br />

und <strong>Fleisch</strong> gegessen werden, muss wenigstens<br />

eine anständige Haltung und ein<br />

schonender Umgang mit den Tieren gewährleistet<br />

sein. Dabei gilt es, wirtschaftliche<br />

Gegebenheiten nicht aus den Augen<br />

zu verlieren. Einerseits wollen auch die<br />

tierfreundlichsten Bauern von ihren Tieren<br />

leben, und andererseits können selbst<br />

tierschützerisch hoch motivierte Konsumenten<br />

nicht unbeschränkt Geld für Lebensmittel<br />

ausgeben.<br />

56<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Diese pragmatische Sichtweise<br />

schliesst nicht aus, dass sich der STS stark<br />

für eine Konsumreduktion tierischer Produkte<br />

sowie für vegetarische und vegane<br />

Ernährungsweisen einsetzt. Das Beschreiten<br />

beider Wege – Einsatz für einen vertretbaren<br />

Konsum von Produkten aus tierfreundlicher<br />

Haltung und Aufzeigen von<br />

Alternativen zu tierischen Produkten –<br />

stellt weder einen Widerspruch noch eine<br />

Inkonsequenz dar. Vielmehr ist es eine<br />

Notwendigkeit für diejenigen Tierschutzorganisationen,<br />

die sich messen lassen<br />

wollen an den erreichten, konkreten Verbesserungen<br />

für die Tiere – im Stall, auf<br />

dem Transport und beim Schlachten. Echter<br />

Tierschutz muss mehr sein, als nur zu<br />

predigen und den moralischen Zeigefinger<br />

zu erheben, um sich billig ein gutes Gewissen<br />

als besserer Mensch zu verschaffen!<br />

9.3 Die Rolle des<br />

Konsumenten<br />

Konsumenten müssen den Zusammenhang<br />

zwischen ihrem Einkaufsverhalten<br />

und dem Tierwohl auf den Bauernhöfen<br />

kennen. Nur ein informierter Verbraucher<br />

kann sein Einkaufsverhalten überdenken<br />

und wird bereit sein, für Produkte aus<br />

tierfreundlicher Haltung den erforderlichen<br />

Mehrpreis zu entrichten.<br />

Der <strong>Schweizer</strong> Konsument steht in<br />

der Verantwortung wegen des hohen Verbrauchs<br />

tierischer Lebensmittel von rund<br />

170 Kilogramm jährlich sowie der Tatsache,<br />

dass wir <strong>Schweizer</strong> heute nur mehr<br />

7 % der Haushaltausgaben für Ernährung<br />

ausgeben müssen. Selbst ein vier-<br />

Produktequalität und<br />

Tierwohl<br />

Im Gegensatz zur Milch von Kühen mit<br />

Kraftfutterdiäten und reiner Stallhaltung<br />

liefern Tiere mit Weidegang Milch und<br />

Käse mit mehr Omega-3-Fettsäuren, z. B.<br />

Linolsäure. Auch das <strong>Fleisch</strong> von Weiderindern<br />

ist ernährungsphysiologisch wertvoller<br />

und zudem zarter. Das zeigt ein aktueller<br />

Vergleich von Stallhaltungs- und<br />

Weidetieren der ETH Zürich. Selbstverständlich<br />

beeinflussen auch die fachgerechte<br />

Lagerung, die Abkühlung und<br />

Was kann ich tun?<br />

1. Sich informieren über Tierhaltung<br />

und Landwirtschaft, z. B. über www.tierschutz.com<br />

und www.essenmitherz.ch.<br />

Mit Freunden über Tierschutz und Konsum<br />

diskutieren.<br />

2. Vegetarische Lebensweise oder massvoller<br />

<strong>Fleisch</strong>konsum, d. h. nicht täglich<br />

<strong>Fleisch</strong> konsumieren – von Ernährungsphysiologen<br />

wird 1- bis 2-mal/Woche<br />

empfohlen. Dabei auf höchste Qualität<br />

(Fütterung, Tierschutz, bäuerliche Tierhaltung,<br />

Transporte, Zucht), Regionalität<br />

und <strong>Schweizer</strong> Herkunft mit glaubwürdigem<br />

Label und Kontrollen achten.<br />

köpfiger Haushalt gibt nicht über 10 %<br />

aus. Bei einem Monatseinkommen von<br />

5000 Franken steigt der Anteil auf 13 %.<br />

Noch vor fünfzig Jahren lagen diese Anteile<br />

bei 30 % und mehr. Die Schweiz liegt<br />

hier international gesehen an der Spitze.<br />

Bereits in Deutschland muss der Durchschnittshaushalt<br />

14 % des Budgets für<br />

Nahrungsmittel ausgeben, obwohl deutsche<br />

Lebensmittelpreise günstiger sind als<br />

schweizerische.<br />

Der Konsument spielt mit seiner Nachfrage<br />

eine extrem wichtige, aber auch<br />

schwierige Rolle, denn ihm fehlt heute<br />

praktisch jeglicher Bezug zur tierhaltenden<br />

Landwirtschaft und zur Lebensmittelverarbeitung.<br />

Diese «Entfremdung» wird<br />

immer stärker und erscheint irreversibel.<br />

Konsumenten bleibt nichts anderes übrig,<br />

als Vertrauen zu haben, dass Bauern, Verarbeiter<br />

und Handel alles korrekt machen.<br />

Das erklärt auch die hohe Sensibilität in<br />

die Lagerdauer die <strong>Fleisch</strong>qualität stark.<br />

Schweine in guter Haltung erbringen rötlicheres,<br />

hochwertigeres <strong>Fleisch</strong> durch<br />

fleissige Bewegung. Dasselbe gilt für Kälber,<br />

die artgerecht gefüttert und gehalten<br />

werden.<br />

Freilandlegehennen legen Eier mit bis zu<br />

doppelt so hohen Carotinoidgehalten wie<br />

im Stall gehaltene Tiere. Das <strong>Fleisch</strong> von<br />

Freilandmasthühnern weist eine bessere<br />

sensorische Qualität und ein höheres<br />

Safthaltevermögen auf.<br />

Bezug auf Sicherheit und Qualität von<br />

Lebensmitteln und die sofortige mediale<br />

«Skandalisierung» bei Unregelmässigkeiten<br />

und Problemen. Entsprechend wichtig<br />

sind denn auch glaubwürdige Kontrollen<br />

und Sanktionen, nebst einer konsequenten<br />

Konsumenteninformation samt Deklarationen.<br />

9.4 Die Rolle der Land- und<br />

Ernährungswirtschaft<br />

Wer mit Tieren und Produkten tierischer<br />

Herkunft Geld verdient, seien dies Bauern,<br />

Transporteure, Metzger, Detaillisten,<br />

Gastronomen oder Importeure, hat gegenüber<br />

Tieren eine klare ethische Verpflichtung,<br />

die er in seinem Umfeld und<br />

mit seinen Möglichkeiten wahrnehmen<br />

muss. Der STS nagelt die Bauern und die<br />

Nahrungsmittelbranche immer wieder<br />

darauf fest.<br />

Ställe und Einrichtung sind auf Bauernhöfen<br />

oft gegeben, von der Vorgeneration<br />

übernommen und noch nicht amortisiert.<br />

Aus diesem Grund – um Härtefälle<br />

zu vermeiden – hat der Gesetzgeber bei<br />

Vorschriften zum Tierwohl auch stets<br />

Übergangsfristen für bestehende Ställe<br />

von bis zu zehn Jahren festgelegt. Aber<br />

Management, Tierpflege/-beobachtung/-<br />

kontakt sowie Auslauf und Weide sind in<br />

der Regel ohne teure Investitionen zu lösen<br />

und können deshalb von jedem verantwortungsbewussten<br />

Nutztierhalter<br />

optimal erfüllt werden, unabhängig von<br />

der baulichen und finanziellen Situation.<br />

Die einstigen Entwicklungsmotoren<br />

bei den Tierwohlprodukten, Migros und<br />

Coop, scheinen mittlerweile etwas auf<br />

der Stelle zu treten. Ihre Strategie, eine<br />

breitestmögliche Lebensmittelpalette anzubieten,<br />

konkurrenziert die Tierwohlangebote.<br />

Diese sind heute nur mehr ein<br />

Angebot unter vielen, von Billigpreislinien<br />

über ein Sammelsurium von Speziallinien<br />

(Heidi, Anna’s Best, Betty Bossi,<br />

Pro Montagna, Jamie Oliver) bis hin zu<br />

Premium- und Kinderlinien. Entsprechend<br />

schmilzt der Werbe- und PR-Etat<br />

für Tierwohlprodukte und es besteht die<br />

Gefahr, dass punkto Tierwohlengagement<br />

von Migros und Coop das Interesse und<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

57


die Kreativität des Managements, aber<br />

auch die Glaubwürdigkeit gegen aussen<br />

leiden.<br />

Es fragt sich, ob den Kunden und Unternehmen<br />

mit der heutigen Vielzahl von<br />

Linien tatsächlich gedient ist, oder ob<br />

diese lediglich zu einer unnötigen Verteuerung<br />

bei Beschaffung und Verkauf führen.<br />

Ganz allgemein lässt sich sagen, dass<br />

zwar die Produzentenpreise für <strong>Schweizer</strong><br />

Herkünfte und vor allem Labelherkünfte<br />

höher sind als in der EU, dies auch deshalb,<br />

weil höhere Anforderungen an Ökologie<br />

und Tierwohl gestellt werden. Gerade<br />

bei <strong>Fleisch</strong> und Eiern wird indessen<br />

der Anteil des Produzentenpreises an den<br />

Gesamtkosten des Produkts immer geringer,<br />

das heisst vom Konsumentenfranken<br />

sehen die Bauern immer weniger. Selbst<br />

wenn sie ihre Tiere zu EU-Preisen in den<br />

Schlachthof gäben, wären die <strong>Fleisch</strong>endpreise<br />

im Laden noch immer höher als im<br />

Ausland. Eine Kostenoptimierung bei<br />

<strong>Fleisch</strong>, Milch und Eiern allein auf dem<br />

Buckel der Bauern schlägt sich einerseits<br />

rasch im Tierwohl und in der Produktequalität<br />

und -sicherheit nieder. Andererseits<br />

merken die Konsumenten von diesen<br />

für sie kontraproduktiven Einsparungen<br />

<strong>Fleisch</strong> aus Tierhaltung<br />

mit regelmässigem<br />

Auslauf: McDonald’s<br />

im Portemonnaie kaum etwas. So werden<br />

je nach Detaillist Eier, <strong>Fleisch</strong> und Milchprodukte<br />

auch ausserhalb von Aktionen<br />

teilweise zu stark unterschiedlichen Preisen<br />

abgegeben, was darauf hindeutet,<br />

dass in diesem Bereich noch Kostensparmöglichkeiten<br />

vorhanden wären.<br />

Während Migros und Coop ein relativ<br />

breites Tierwohlsortiment anbieten,<br />

ist dieses bei den meisten anderen Detaillisten<br />

noch ausbaufähig. Beispielsweise<br />

führen nur wenige Detaillisten Freilandpoulets<br />

oder Labelkaninchen und -lammfleisch,<br />

dafür leider umso mehr Importware<br />

aus bei uns verbotener Massentierhaltung,<br />

bei der man immer wieder feststellen<br />

muss, dass «Kontrolle» ein Fremdwort<br />

ist.<br />

Die Gastronomie stellt die grösste<br />

Tierwohlbaustelle dar. 2008 wurden in<br />

der Schweiz mehr als 13 Milliarden Franken<br />

für Essen ausser Haus ausgegeben.<br />

Gemäss einer Studie von amPuls Market<br />

Research aus dem Jahre 2009 ist <strong>Fleisch</strong><br />

als Bestandteil eines Gerichts/Menüs<br />

nach wie vor die bedeutendste Speisekategorie<br />

ausser Haus. Ein Viertel aller auswärts<br />

konsumierten <strong>Fleisch</strong>gerichte enthält<br />

Schweinefleisch, welches damit die<br />

beliebteste <strong>Fleisch</strong>art ausser Haus darstellt,<br />

dicht gefolgt von Rindfleisch mit<br />

einem Anteil von 23 %. Geflügelfleisch<br />

zeigt einen wachsenden Trend und hat<br />

aktuell einen Anteil von 18 %.<br />

Betreffend der Verwendung von<br />

<strong>Fleisch</strong> von Tieren aus artgerechter Haltung<br />

stechen drei Gastrounternehmen<br />

positiv hervor. Aufgrund von Empfehlungen<br />

des <strong>Schweizer</strong> Tierschutz STS bietet<br />

McDonald’s, umsatzmässig Nummer<br />

eins im Gastrogeschäft der Schweiz, seit<br />

Februar 2010 nur noch <strong>Schweizer</strong> Rindfleisch<br />

aus Tierhaltung mit regelmässigem<br />

Auslauf ins Freie (RAUS) an. McDonald’s<br />

Schweiz bezog im Jahr 2009 3900 Tonnen<br />

Rindfleisch von <strong>Schweizer</strong> Bauern,<br />

was 4,5 % des in der Schweiz konsumierten<br />

Rindfleisches entspricht. Schon<br />

etwas länger hat die Migros, der zweitgrösste<br />

<strong>Schweizer</strong> Gastroakteur, Labelfleisch<br />

in ihrem Restaurantangebot. Konsequent<br />

auf Labelfleisch setzen die Coop<br />

Restaurants, Nummer sechs der Systemgastronomie.<br />

Sie verwenden ausschliesslich<br />

Coop Naturafarm Rind- und Schweinefleisch<br />

sowie Biokalbfleisch.<br />

Die Stiftung «Goût Mieux» zeichnet<br />

65 Restaurants aus, die sich verpflichtet<br />

haben, bei der Beschaffung konsequent<br />

auf Bio- und tierfreundliche Herkünfte<br />

zu setzen (www.goutmieux.ch). Die Aktion<br />

«Essen mit Herz» des <strong>Schweizer</strong> Tierschutz<br />

STS führt rund 120 Restaurants<br />

auf, die angeben, stets Vegimenüs sowie<br />

ein oder mehrere Menüs mit Produkten<br />

aus tierfreundlicher Haltung anzubieten<br />

(www.essenmitherz.ch).<br />

Das Gros der weit über 20 000 Restaurants,<br />

Personalrestaurants und Schnellimbisse<br />

in der Schweiz hingegen verwendet<br />

eher wenige Produkte aus tierfreundlicher<br />

Haltung, sondern bietet den Gästen entweder<br />

konventionelles <strong>Schweizer</strong> <strong>Fleisch</strong><br />

oder noch häufiger Importfleisch und<br />

-eier an. Oft sind die Wirte über die Tierhaltungsbedingungen<br />

im In- und Ausland<br />

und die verschiedenen Tierwohllabels gar<br />

nicht richtig informiert.<br />

Noch immer scheint in der Gastrobranche<br />

primär der Preis statt die Qualität<br />

im Vordergrund zu stehen. Dabei ma-<br />

58<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


chen die Rohstoffpreise eher wenig aus:<br />

Bei einem Tiramisu von CHF 6.60 liegen<br />

die Kosten für ein Freilandei bei nur 4 %.<br />

Bei einem Menü mit Steak, Pommes und<br />

Gemüse für CHF 23 macht der Preis für<br />

<strong>Fleisch</strong> aus <strong>Schweizer</strong> Herkunft konventionell<br />

33 %, bei tierfreundlicher Herkunft/Labelfleisch<br />

37 % aus, also knapp<br />

einen Franken mehr. Ob vom Wirt nun<br />

etwas teurere, aber tierfreundliche Produkte<br />

verwendet werden, wird der Gast<br />

im Portemonnaie kaum bemerken. Für die<br />

Tiere und die Qualität der Mahlzeit bedeutet<br />

es aber viel!<br />

Da fast die Hälfte des in der Schweiz<br />

konsumierten <strong>Fleisch</strong>es von Restaurants<br />

umgesetzt wird, ist es von grösster Wichtigkeit,<br />

dass die Gastrobranche ihre Verantwortung<br />

gegenüber den Tieren und<br />

deren Wohlergehen endlich wahrnimmt.<br />

Es gäbe genügend Gäste, die solche Angebote<br />

honorieren würden. Gemäss einer<br />

STS-Gastroumfrage von 2011 veranschlagten<br />

selbst die Wirte das Gästepotenzial<br />

beim Tierwohl auf 50 %.<br />

9.5 Die Rolle des Staates<br />

Der Staat muss tätig werden, um Missbräuche<br />

und tierschutzwidrige Praktiken<br />

und Haltungen abzustellen, Übertretungen<br />

zu verfolgen und zu ahnden.<br />

Im Weiteren soll er im Falle von Marktversagen<br />

eingreifen, also dort, wo Markt<br />

und Konsumenten alleine es nicht richten<br />

können, weil es etwa kein Angebot<br />

von Labelprodukten gibt respektive der<br />

Markt gar tierschutzwidrige Haltungen<br />

und Praktiken fördert, wie im Falle von<br />

Billigimporten aus ausländischer Massentierhaltung<br />

oder Importen von Stopfleber<br />

oder Froschschenkel. Dies beispielsweise,<br />

indem er deren Importe untersagt, eine<br />

Tierschutzdeklaration von Lebensmitteln<br />

fordert oder tierfreundliche Stallbauten<br />

und Auslaufhaltungen fördert.<br />

Dieser Einsatz des Staates zugunsten<br />

des Tierwohls bezieht seine Legitimität<br />

auch aus der Tatsache, dass für die<br />

<strong>Schweizer</strong> Bevölkerung die tierfreundliche<br />

Haltung der Nutztiere das grösste Anliegen<br />

an die Landwirtschaft ist und man<br />

bereit ist, hier in relativ hohem Masse<br />

Steuergelder einzusetzen.<br />

Die Nutztierhaltung ist nicht nur der<br />

finanziell wichtigste Sektor für die Lebensmittelwirtschaft,<br />

sondern wirkt sich<br />

auch auf die Qualität von Milchprodukten,<br />

<strong>Fleisch</strong> und Eiern, aber auch auf jene<br />

von Luft, Böden und Wasser aus. Die Nahrungsmittelversorgung,<br />

das Landschaftsbild,<br />

die Nutzung des Agrarlandes sowie<br />

der Verbrauch von Ressourcen und Energie<br />

oder der Ausstoss von Klimagasen<br />

werden ebenfalls von der Nutztierhaltung<br />

beeinflusst. Nach allen gemachten Erfahrungen<br />

und dem aktuellen Stand der Wissenschaft<br />

darf man sagen, dass ein hohes<br />

Tierwohl in einer bäuerlich geprägten<br />

Tierhaltung all diese wichtigen Aspekte<br />

positiv beeinflusst. Während Massentierhaltung<br />

und Tierfabriken zwar kurzfristig<br />

billigere Produkte abliefern, bezahlen<br />

Mensch, Tier und Umwelt dafür<br />

aber langfristig einen hohen Preis, etwa<br />

durch ständig wiederkehrende Lebensmittelskandale,<br />

Umweltschäden oder Tierquälereien.<br />

Von Massnahmen für ein besseres<br />

Tierwohl profitieren hingegen wir<br />

alle: Bauern, Konsumenten und Steuerzahler<br />

– aber auch die Umwelt!<br />

Der <strong>Schweizer</strong> Tierschutz STS strebt<br />

Nur mit hohen Ansprüchen an die<br />

Qualität und das Tierwohl sind die<br />

<strong>Schweizer</strong> Preise zu rechtfertigen<br />

deshalb ein «Freilandhaltungsland»<br />

Schweiz an und hat dazu einen agrarpolitischen<br />

Massnahmenkatalog erarbeitet.<br />

1. Massnahme: Konsequente<br />

Qualitätsstrategie<br />

Der STS fordert seit fünfundzwanzig Jahren<br />

eine konsequente Qualitätsstrategie<br />

für die Landwirtschaft und engagiert sich<br />

bei Aufbau und Umsetzung von Tierwohllabelprogrammen<br />

sowie der entsprechenden<br />

Konsumenteninformation. Wichtig<br />

ist, dass nun auch die Agrarpolitik auf<br />

eine Qualitätsstrategie festgelegt wird,<br />

um Synergien zu erzielen, bei Marktversagen<br />

ergänzend einzugreifen und im<br />

sich öffnenden internationalen Agrarmarkt<br />

bestehen zu können. Eine halbherzige<br />

Doppelstrategie zu fahren wie bis anhin<br />

– die Agrarpolitik fördert hier etwas<br />

Klasse und dort etwas Masse – ist ineffizient<br />

und macht in einem kleinen Land wie<br />

der Schweiz keinen Sinn.<br />

In Zeiten weltweit knapper werdenden<br />

Landwirtschaftslandes und eines extremen<br />

Nachfrageanstiegs nach Futtermitteln<br />

und Produkten tierischer Herkunft,<br />

insbesondere in vormals ärmeren Ländern,<br />

muss der langfristigen Nahrungs-<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

59


mittelversorgung der einheimischen Bevölkerung<br />

durch die <strong>Schweizer</strong> Bauern<br />

wieder ein höherer Stellenwert beigemessen<br />

werden. Dabei müssen die Bedürfnisse<br />

der Konsumenten sowie die Qualität und<br />

Nachhaltigkeit der Produkte ins Zentrum<br />

gestellt werden.<br />

2. Massnahme: Ziel gerichtete<br />

Direktzahlungen<br />

Die jährlich entrichteten 2.8 Milliarden<br />

Franken Direktzahlungen sollen nicht wie<br />

bis anhin im Giesskannenprinzip, sondern<br />

zielgerichteter und für konkrete Leistungen<br />

der Bauern ausgeschüttet werden.<br />

Ökologie und Tierwohl müssen besser<br />

gefördert werden, das ist der Dreh- und<br />

Angelpunkt der angepeilten Qualitätsstrategie.<br />

Die Bio- und Tierwohlbeiträge<br />

sollen ergänzend zum Markt und den Labelprogrammen<br />

ausgerichtet und ausgebaut<br />

werden. Markt und staatliche Förderung<br />

ergänzen sich damit optimal. Nur<br />

mit Qualität und hohem Tierwohl kann<br />

sich die Schweiz im offenen Agrar-/Lebensmittelmarkt<br />

profilieren und erfolgreich<br />

behaupten. Mit zielführend festgelegten<br />

Bio- und Tierwohlbeiträgen werden<br />

unsere Bauern in der Lage sein wird,<br />

modern, effizient und trotzdem naturnah<br />

und tierfreundlich zu produzieren.<br />

Der Biolandbau stellt eine energieund<br />

ressourcensparende sowie umweltschonende<br />

Landbaumethode dar. Nachdem<br />

in der Schweiz die weltweit verbreitetste<br />

Biomethode, der organisch-biologische<br />

Landbau, entwickelt worden ist,<br />

spielt unser Land hier bis heute eine Pionier-<br />

und Vorreiterrolle. In Zeiten von<br />

knapper werdenden Ressourcen kommt<br />

dem Biolandbau inskünftig eine wichtige<br />

Rolle bei der Welternährung zu.<br />

Obwohl das Tierwohl das wichtigste<br />

Anliegen der SteuerzahlerInnen an die<br />

Bauern und die Agrarpolitik darstellt,<br />

wurde es bislang vom Bundesrat nur bescheiden<br />

gefördert. Lediglich 9 % der<br />

jährlich 2.8 Milliarden Franken Direktzahlungen<br />

wurden in das Tierwohl investiert.<br />

Die Konsequenz: Noch immer müssen<br />

Millionen Nutztiere in der Schweiz<br />

ihr Dasein in ständiger, beengter Stallhaltung<br />

ohne adäquate Liegeflächen und<br />

ohne Auslauf ins Freie fristen. Der STS<br />

fordert deshalb eine Verlagerung der Direktzahlungen:<br />

Die allgemeinen Tierhaltungsbeiträge<br />

sollen gestrichen und dafür<br />

die Förderbeiträge für tierfreundliche<br />

Ställe und den regelmässigen Auslauf ins<br />

Freie massiv erhöht werden. Ziel: Alle<br />

Tiere sollen ins Freie können!<br />

Im Weiteren fordert der STS den Aufbau<br />

eines Weideprogramms für raufutterverzehrende<br />

Nutztiere und damit die<br />

Abkehr von extremen Hochleistungstieren<br />

und übermässigem Kraftfuttereinsatz.<br />

Selbst der Bundesrat hat mittlerweile erkannt:<br />

«Der Trend bei der Wiederkäuerfütterung<br />

geht in Richtung eines verstärkten<br />

Kraftfuttereinsatzes. Dadurch droht<br />

ein strategischer Wettbewerbsvorteil der<br />

<strong>Schweizer</strong> Milch- und <strong>Fleisch</strong>produktion<br />

langfristig verloren zu gehen.» (Botschaft<br />

zu «Agrarpolitik 2014–17»)<br />

Der Bundesrat will deshalb Betriebe<br />

fördern, die den Futterbedarf überwiegend<br />

durch Gras, Heu, Emd und Grassilage<br />

decken. Betriebe mit geringem Kraftfuttereinsatz<br />

und hohem Weideanteil sind<br />

tierfreundlicher und ökologischer. Die<br />

Weidehaltung garantiert wichtige Vorteile<br />

für Mensch, Tier und Umwelt, wie einen<br />

substanziellen Beitrag zum Umwelt- und<br />

Klimaschutz, bessere Produkte (z. B. mehr<br />

CLA- und Omega-3-Fettsäuren in Milch<br />

und <strong>Fleisch</strong>) sowie gesündere und langlebigere<br />

Tiere mit weniger gesundheitsbedingten<br />

Ausfällen und Abgängen.<br />

Direktzahlungen trotz Tierquälerei:<br />

Schluss damit<br />

3. Massnahme: Konsequente<br />

Kontrollen und Sanktionen<br />

Mit einem bundesgerichtlichen Urteil<br />

vom Sommer 2011 mussten einem rechtsgültig<br />

verurteilten Thurgauer Bauern, der<br />

unter anderem ein Jungpferd beim Beschlagen<br />

derart hart angefasst hatte, dass<br />

es verstarb, die vom Kanton teilweise verweigerten<br />

Direktzahlungen am Ende doch<br />

noch ausgerichtet werden. Dieses skandalöse<br />

Bundesgerichtsurteil kommt insbesondere<br />

Tierquälern extrem entgegen<br />

und muss raschestmöglich revidiert werden.<br />

Der STS fordert, dass Tierschutzsünder<br />

nicht nur ihre gerechte Strafe erhalten<br />

wegen der Tierschutzverstösse, sondern<br />

ihnen wegen Nichterfüllen der Leistungen<br />

die Direktzahlungen gekürzt oder gestrichen<br />

werden können. Das Streichen von<br />

Direktzahlungen stellt keine Strafe dar,<br />

vielmehr hat der Landwirt die geforderte<br />

60<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Leistung im Bereich Tierschutz nicht erbracht,<br />

sodass er wegen weniger Leistung<br />

auch nur Anrecht auf weniger Direktzahlungen<br />

(oder im Extremfall auf gar keine)<br />

hat. Im Weiteren fordert der STS vermehrt<br />

unangemeldete Tierhaltungskontrollen.<br />

4. Massnahme: Tierfreundliches<br />

Bauen fördern<br />

Der Bund fördert heute mit Investitionskrediten<br />

tierschutzproblematische und<br />

unwirtschaftliche Stallbauten wie Anbindeställe<br />

für Kühe und Aufzuchtrinder oder<br />

Ställe ohne eingestreute Liegeflächen sowie<br />

ohne Auslauf für Mastvieh. Der STS<br />

fordert deshalb, dass Investitionskredite<br />

inskünftig nur mehr für tierfreundliche<br />

Stallbauten ausgerichtet werden. Für Umoder<br />

Neubauten von Ställen für horntragende<br />

Rinder- und Ziegenrassen, welche<br />

grössere Stallflächen beanspruchen, sind<br />

die Beiträge und Investitionskredite angemessen<br />

zu erhöhen.<br />

5. Massnahme:<br />

Keine Tierfabriken<br />

Eine bei Konsumentinnen, Steuerzahlern<br />

und Tierschützern glaubwürdige Qualitätsstrategie<br />

sowie die Akzeptanz des gesamten<br />

Direktzahlungssystems hängen<br />

zu grossen Teilen davon ab, ob der Bund<br />

weiterhin an einer bäuerlichen Tierhaltung<br />

festhält oder die Weichen zur Massentierhaltung<br />

(Tierfabriken) nach ausländischem<br />

Vorbild umlegt, wie dies gewisse<br />

bäuerliche Vertreter in der Vergangenheit<br />

immer wieder forderten. Nicht<br />

zuletzt hängt das Tierwohl auch von der<br />

Grösse des Tierbestandes ab. So lässt sich<br />

beispielsweise beim Geflügel oberhalb einer<br />

gewissen Grenze keine echte Freilandhaltung<br />

mehr realisieren, und bei Schweinen<br />

und anderen Tierkategorien nimmt<br />

der Betreuungsaufwand je Tier mit zunehmender<br />

Bestandesgrösse rapid ab.<br />

Dabei stellen Pflege, Überwachung und<br />

Mensch-Tier-Beziehung nebst der Art der<br />

Tierhaltung die wichtigsten Einflussfaktoren<br />

sowohl auf das Tierwohl als auch<br />

auf die ökonomische Rentabilität dar. Der<br />

STS fordert, dass die heutigen Tierhöchstgrenzen<br />

pro Betrieb aufrechterhalten und<br />

In der Schweiz muss die<br />

tierfreundliche Landwirtschaft<br />

gefördert werden<br />

inskünftig keine Ausnahmen, etwa für industrielle<br />

Schweinemästereien, mehr gemacht<br />

werden.<br />

6. Massnahme: Stopp<br />

Extremzuchten<br />

Die Förderung der einheimischen Tierzucht<br />

durch den Bund ist sinnvoll und<br />

unbestritten. Allerdings: Die einseitige<br />

Hochleistungszucht hat heute etwa bei<br />

Masthühnern und Truten Linien auf den<br />

Markt gebracht, die sich nicht mehr artgerecht<br />

verhalten und bewegen können<br />

und durch das übermässige und einseitige<br />

Muskelwachstum ständig unter Schmerzen<br />

leiden. In der Schweinezucht werden<br />

mit der Anzucht von superfruchtbaren<br />

Sauen immer mehr Ferkel geboren<br />

– teilweise mehr, als die Sau Zitzen<br />

aufweist. Als Folge davon kommen mehr<br />

Kümmerer zur Welt und die Tiergesundheit<br />

leidet bei Sau (Übernutzung!) und<br />

Ferkeln (künstliche Aufzucht; Kümmerer).<br />

Infolge der einseitigen Zucht auf extrem<br />

hohe Milchleistung wird die Ausmast<br />

von nicht zur Zucht benötigten Kälbern<br />

immer unwirtschaftlicher. Bereits werden<br />

auch in der Schweiz Rufe laut, neugeborene<br />

Kälber wie in Neuseeland oder Italien<br />

sofort zu töten, um sich die unrentable<br />

Ausmast zu sparen. Derartige Irrwege<br />

der Tierzucht, die ohne Rücksicht auf ethische<br />

Grundsätze agiert sowie die Krankheitsanfälligkeit<br />

der Tiere fördert und ihre<br />

Widerstandskraft schwächt, darf der Bund<br />

in Zukunft nicht mehr mit Steuergeldern<br />

fördern!<br />

7. Massnahme: Tierschutzwidrige<br />

Importe verbieten<br />

Der Bund muss sich in Zukunft die Möglichkeit<br />

offenhalten, den Import ethisch<br />

fragwürdiger Produkte zu verbieten oder<br />

wenigstens für eine konsequente Deklaration<br />

zu sorgen. Heute geschieht es permanent,<br />

dass die Konsumenten ohne ihr<br />

Wissen mit ausländischen Produkten aus<br />

tierschutzwidrigen Produktionssystemen<br />

überschwemmt werden. Insbesondere bei<br />

Geflügelfleischimporten (Poulets, Truten)<br />

mit mengenmässig rund 45 000 Tonnen<br />

sowie in puncto Tierschutzwidrigkeit und<br />

Gefährdungspotenzial (Antibiotikaeinsatz;<br />

Salmonellenvorkommen in den Ställen)<br />

liegt heute der grösste Handlungsbedarf.<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

61


9.6 Die Rolle der<br />

internationalen Politik<br />

Während die Schweiz rund 40 % der verzehrten<br />

Kalorien importiert, darunter<br />

120 000 Tonnen <strong>Fleisch</strong> jährlich, was ungefähr<br />

einem Viertel des Gesamtkonsums<br />

entspricht, stocken viele Länder in der EU<br />

ihre Tierhaltungen massiv auf. So produziert<br />

Dänemark fast 4-mal, Irland 3-mal,<br />

Holland und Belgien doppelt so viel<br />

<strong>Fleisch</strong>, wie jeweils selbst benötigt wird.<br />

Besonders krass ist die Situation beim<br />

Schweinefleisch, wo Dänemark 6-mal,<br />

Holland und Belgien 2,5-mal mehr erzeugen.<br />

Diese Überschusserzeugung geht<br />

ganz klar auf Kosten des Tierwohls, der<br />

Ökologie sowie der Qualität und Sicherheit<br />

der Produkte. Damit diese industriell<br />

betriebenen Tiermasten überhaupt funktionieren,<br />

müssen riesige Mengen an Kraftfutter<br />

aus Übersee importiert werden.<br />

Nebst diesen «traditionellen» Überschussproduzenten<br />

rüstet mittlerweile<br />

auch Deutschland auf. Innert fünf Jahren<br />

ist die Ausfuhr von <strong>Fleisch</strong> und <strong>Fleisch</strong>waren<br />

um 60 % gestiegen. Nebst dem<br />

Ausbau der Geflügelmast stiegen auch<br />

die Schweineschlachtungen stark an.<br />

Deutschland hat seinen Selbstversor-<br />

Die weltweit steigende<br />

Tierhaltung lässt die Futtermittelpreise<br />

steigen<br />

gungsgrad beim <strong>Fleisch</strong> von 94 % im Jahr<br />

2000 auf heute 115 % gesteigert. Möglich<br />

wurde dies, wie bei den anderen Überschussproduzenten<br />

auch, durch den massiven<br />

Import von teilweise gentechnisch<br />

verändertem Kraftfutter aus Brasilien, Argentinien<br />

und den USA sowie dem Ausbau<br />

der Massentierhaltung.<br />

Um ein Einkommen von rund 50 000<br />

Euro jährlich erzielen zu können, muss<br />

ein deutscher Mäster 550 000 Poulets erzeugen,<br />

denn je Tier bleiben ihm kaum 10<br />

Cents! Kein Wunder, ist der Einsatz von<br />

Antibiotika in diesen Hähnchenmasten<br />

zur gängigen und notwendigen Praxis geworden.<br />

Eine Studie im Auftrag des Verbraucherschutzministeriums<br />

von Nordrhein-Westfalen<br />

aus dem Jahr 2011 zeigt,<br />

dass bei 83 % der erfolgten Mastdurchgänge<br />

antimikrobielle Substanzen eingesetzt<br />

wurden. Insgesamt wurden 96 % der<br />

Tiere aus den untersuchten Betrieben mit<br />

Antibiotika behandelt, teilweise erhielten<br />

sie in der kurzen Lebenszeit von weniger<br />

als sechs Wochen bis zu 8 Antibiotikagaben<br />

mit drei verschiedenen Wirkstoffen!<br />

Es gibt wenig Grund zur Annahme,<br />

dass in anderen Ländern mit vergleichbarer<br />

Massentierhaltung die Gesundheits-<br />

und Medikamentensituation weniger besorgniserregend<br />

wäre.<br />

Die negativen Seiten des Freihandels,<br />

nämlich ein ökologisch fragwürdiges Hinund<br />

Hergeschiebe von Nahrungsmitteln<br />

und die Zerstörung regionaler bäuerlicher<br />

Strukturen, zeigt der Geflügelfleischmarkt<br />

in der EU. Die Exporte erreichten 2011 mit<br />

rund 1,3 Millionen Tonnen einen Spitzenwert.<br />

Das <strong>Fleisch</strong>, vor allem Schenkel und<br />

Flügel, wird um den ganzen Erdball abgesetzt<br />

– nach Russland, Hongkong, Saudi-<br />

Arabien und selbst nach Afrika, nach<br />

Ghana und Benin. Im gleichen Zeitraum<br />

importierte die EU aber auch 700 000 Tonnen<br />

Geflügelfleisch, hauptsächlich aus<br />

Brasilien und Thailand. Weltweit boomt<br />

der Geflügelfleischmarkt. Experten gehen<br />

davon aus, dass spätestens 2020 über 120<br />

Millionen Tonnen erzeugt werden (heute:<br />

95 Mio. Tonnen) und die Geflügel- dann<br />

die Schweinefleischproduktion mengenmässig<br />

überholt haben wird.<br />

Die weltweite Entwicklung der intensiven<br />

Tierproduktion wird von Experten<br />

mit Besorgnis zur Kenntnis genommen.<br />

Damit in Zukunft 9 Milliarden Menschen<br />

satt werden können, müssten nicht<br />

Grossfarmen, sondern Kleinbauern gefördert<br />

werden, so der Tenor von Landwirtschaftsexperten,<br />

etwa der UNO-Taskforce<br />

gegen den Hunger. Man müsse die kleinen<br />

Landwirte befähigen, ihre Produktivität<br />

ökologisch nachhaltig zu steigern. Es<br />

brauche keine neue grüne, sondern eine<br />

immergrüne Revolution, gaben Vertreter<br />

dieses Gremiums 2011 zu Protokoll. Extrem<br />

wichtig sei es, die Frauen und deren<br />

Gleichberechtigung zu stärken, verrichteten<br />

sie doch weltweit 60 bis 80 % der<br />

landwirtschaftlichen Arbeit.<br />

Doch genau die Kleinbauern und die<br />

bäuerliche Landwirtschaft stehen weltweit<br />

unter Druck wegen der Überschussexporte<br />

der USA, der EU und von Brasilien.<br />

So brach Im Jahr 2000 der funktionierende<br />

einheimische Geflügelfleischmarkt<br />

in Kamerun zusammen, nachdem<br />

die EU das Land mit Billigexporten<br />

von Geflügelteilen überschwemmt hatte.<br />

2008/09 überrannte die boomende deutsche<br />

Hähnchenproduktion den französi-<br />

62<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


schen Geflügelfleischmarkt mit Teilstücken.<br />

Als Folge davon rüsten Frankreich<br />

und weitere EU-Staaten nun ebenfalls ihre<br />

industrielle Geflügelmast auf. Alle Überschussproduzenten,<br />

auch die EU, suchen<br />

weltweit fieberhaft nach Absatzkanälen.<br />

Die angestrebten Freihandelsabkommen,<br />

etwa zwischen der EU und der Schweiz<br />

oder Indien, sollten auch unter diesem Aspekt<br />

gesehen werden. Für Indien bedeutet<br />

ein Freihandelsabkommen mit der EU<br />

den Wegfall von 150 Milliarden Euro Zöllen<br />

oder 11 % des Haushaltbudgets! Millionen<br />

von indischen Kleinbauern und<br />

Strassen-/Einzelhändler fürchten, durch<br />

EU-Importe und EU-Handelsketten verdrängt<br />

zu werden.<br />

Weil Landwirtschaftsland und Ressourcen<br />

begrenzt sind, der – ob nun<br />

menschengemachte oder «natürlich» verursachte<br />

– Klimawandel greift und die<br />

Nachfrage nach Lebensmitteln weiter ansteigt,<br />

dürfte in den kommenden Jahren<br />

das Thema Versorgungssicherheit wieder<br />

aktuell werden. Nach der Immobilien-<br />

und der Bankenpleite raten immer<br />

mehr Experten den Anlegern, im Portfolio<br />

auch landwirtschaftliche Rohstoffe<br />

zu halten. So sind heute Milliardengelder<br />

in Rohstoffen und deren Handel involviert,<br />

was Spekulanten anlockt. Ein Lied<br />

davon konnten die Hilfsorganisationen<br />

im 2011 überschwemmten Pakistan singen:<br />

Obwohl genügend Weizen vorhanden<br />

war, hatten Spekulanten an den internationalen<br />

Rohstoffbörsen die Preise in<br />

die Höhe gedrückt, sodass die zur Verfügung<br />

stehenden Hilfsgelder nur mehr für<br />

die Hälfte der beabsichtigten Weizenkäufe<br />

reichten!<br />

Es ist daher zu begrüssen, dass die<br />

Fragen nach Versorgungssicherheit und<br />

Ernährungssouveränität der Staaten zunehmend<br />

auf die nationale und internationale<br />

Polittraktandenliste gelangen.<br />

Auch, um ein Gegengewicht zu den WTO-<br />

Verhandlungen zu bilden, deren grosses<br />

Ziel der globale Freihandel mit Nahrungsmitteln<br />

ist – ohne ökologische, tierschützerische<br />

und soziale Leitplanken –, und<br />

welche einseitig die überschussproduzierenden<br />

und exportorientierten Länder<br />

bevorzugen, auf Kosten der kleinen und<br />

mittleren Bauern und einer bäuerlich geprägten,<br />

artgerechten Tierhaltung. •<br />

Glossar<br />

Are 100 Quadratmeter<br />

AML Antimikrobielle Leistungsförderer<br />

(«Futtermittel-Antibiotika»)<br />

BVET Bundesamt für Veterinärwesen<br />

BLW Bundesamt für Landwirtschaft<br />

BTS Staatliches Programm zur Förderung<br />

von besonders tierfreundlichen<br />

Ställen<br />

«Club of Rome»-Bericht Das Buch prophezeite<br />

in den 1970er-Jahren (fälschlicherweise)<br />

massive Überbevölkerung<br />

samt einem Zurneigegehen von Roh- und<br />

fossilen Brennstoffen ab 2000<br />

ETH-Zürich Eidgenössische Technische<br />

Hochschule<br />

GVE Grossvieheinheit: Umrechnungsschlüssel<br />

zum Vergleich verschiedener<br />

Nutztierarten; 1 GVE entspricht einer<br />

Milchkuh oder jeweils 6 Ziegen, Schafen<br />

oder Schweinen oder 100 Legehühnern<br />

Hektare 100 Aren<br />

Laktation Auf 305 Tage standartisierte<br />

Milchmenge, die eine Kuh pro Jahr gibt<br />

ÖLN Ökologischer Leistungsnachweis<br />

Grundbedingungen, die ein Bauer<br />

im Pflanzenbau und in der Tierhaltung<br />

erfüllen muss, damit er Direktzahlungen<br />

erhält<br />

PSE <strong>Fleisch</strong> <strong>Fleisch</strong>qualitätsmangel, v.a.<br />

beim Schwein (pale/hell, soft/weich,<br />

exudativ/wässrig)<br />

RAUS Staatliches Programm zur Förderung<br />

von regelmässigem Auslauf für<br />

Nutztiere<br />

rBST Künstlich erzeugtes Wachstumshormon,<br />

das insbesondere in den USA<br />

Kühen und Rindern regelmässig zur Erhöhung<br />

der Milch- und <strong>Fleisch</strong>leistung<br />

gespritzt wird. In der Schweiz verboten.<br />

3R-Prinzip An die Eigenverantwortung<br />

der Forscher gerichtetes Konzept zur Eindämmung<br />

von Tierversuchen (reduce/<br />

reduzieren, refine/verfeinern, replace/<br />

ersetzen)<br />

SPF Sanierungskonzept gegen die Übertragung<br />

von Schweinekrankheiten (specific<br />

pathogen free (frei von spezifischen<br />

Krankheitserregern)), das sich durch<br />

keimfreie Haltung der Sauen und den Ersatz<br />

der natürlichen Ferkelgeburt durch<br />

den Kaiserschnitt auszeichnet<br />

TschG Tierschutzgesetz<br />

TschV Tierschutzverordnung (Ausführungsbestimmungen)<br />

Herausgeber<br />

<strong>Schweizer</strong> Tierschutz STS<br />

Dornacherstrasse 101, Postfach<br />

CH-4008 Basel<br />

Tel. 061 365 99 99<br />

Fax 061 365 99 90<br />

Postkonto 40-33680-3<br />

sts@tierschutz.com<br />

www.tierschutz.com<br />

Autor<br />

Dr. Hansuli Huber, dipl. ing. agr. ETH<br />

Geschäftsführer Fachbereich<br />

<strong>Schweizer</strong> Tierschutz STS<br />

Gestaltung<br />

die zwei basel<br />

Fotos<br />

123RF, Lydia Baumgarten, Michael Götz,<br />

iStockphoto, KAGfreiland, Keystone,<br />

Barbara Marty, Lolita Morena, Reuters,<br />

Mark Rissi, Franz J. Steiner, Simon<br />

Templar, tierschutzbilder.de<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

63


Als Beispiel für tierfreundliche und praktische Lösungen in der Rindermast zeigt das Merkblatt<br />

Ställe von drei Landwirten im Raum Sempachersee. Diese haben ihre ehemaligen Anbindeställe<br />

für Milchkühe in Laufställe für Mastrinder umgebaut; jeder hat eine eigene Lösung gefunden.<br />

Alle drei Landwirte halten ihre Tiere gemäss den Richtlinien von Weide-Beef, einem Label der<br />

Migros für die Ochsen- und Rindermast. Der Name kommt daher, dass die Tiere während der Vegetationszeit<br />

täglich während mindestens acht Stunden auf die Weide dürfen. Weitere Anforderungen<br />

des Labels sind auf der letzten Seite aufgeführt.<br />

Anstelle der Anbindevorrichtung befindet sich jetzt ein Fressgitter.<br />

Der deckenlastige Anbindestall von Thomas Bühlmann in Ballwil LU stammt aus dem Jahre 1979<br />

und weist eine sehr gute Bausubstanz auf. Im Jahre 2003 richtete der Landwirt seinen Betrieb neu<br />

aus. Er wollte mehr Zeit haben, um einer Arbeit ausserhalb der Landwirtschaft nachzugehen. Rinder-,<br />

Schweine- und Pouletmast standen als Alternativen zur Auswahl. Thomas Bühlmann entschloss<br />

sich für die Rindermast, da auf dem Betrieb die Raufutterbasis vorhanden ist.<br />

Beim Umbau entfernte der Landwirt den Schwemmkanal und das Läger und ersetzte beide durch<br />

einen 2,5 m breiten Kanal mit Spaltenboden. Ein Fangfressgitter ersetzte die alte Anbindevorrichtung,<br />

während die Hochkrippe belassen wurde. Auf der einen Seite des zweireihigen Anbindestalles<br />

brachte er eine Gruppe von 20 jüngeren, auf der anderen Seite von 18 älteren Tieren unter.<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS<br />

1<br />

2,5’/1.2013<br />

FREIHANDEL<br />

<strong>UND</strong> TIERSCHUTZ<br />

EIN VERGLEICH SCHWEIZ–EU<br />

Freihandel und Tierschutz – ein<br />

Vergleich Schweiz­EU<br />

Bleibt bei einem Freihandelsabkommen<br />

das Tierwohl auf der Strecke?<br />

Ein Vergleich der Haltungsformen<br />

in der Schweiz und in der EU<br />

stimmt skeptisch.<br />

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TIERKOMFORT<br />

Beispiele aus der praxis<br />

Tierkomfort – Beispiele aus der<br />

Praxis<br />

Kleinigkeiten im Stall erhöhen den<br />

Tierkomfort oft massgeblich. Innovative<br />

Tierhalter aus der ganzen<br />

Schweiz zeigen Beispiele aus der<br />

Praxis.<br />

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70’/1.07/die zwei<br />

VorBeugen<br />

ist besser als heilen<br />

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Unfallursachen<br />

Vorbeugen ist besser<br />

als heilen<br />

Vorbeugen im Stall, auf der Alp<br />

und der Weide sowie beim Transport<br />

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Verstecktes Tierleid in<br />

Importgeflügel<br />

Die tierschützerischen Unterschiede<br />

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EU sind ernorm. Fakten und Zahlen<br />

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STS-MERKBLATT<br />

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS PFLEGE <strong>UND</strong> UMGANG MIT TIEREN / MERKBLATT B<br />

STS-MERKBLATT<br />

TT<br />

TiergerechTe und kosTengünsTige sTälle Tks 1.1<br />

Anbau eines Fressplatzes an<br />

bestehenden Milchviehstall<br />

Kühe im Freien füttern<br />

Bestehende Anbindestä le mit einer guten Bausubstanz muss man nicht abbrechen. Manchmal<br />

lassen sich auch ein Fressplatz im Freien und ein Melkhaus angliedern. Es entsteht ein tierfreundlicher<br />

und arbeitswirtschaftlich günstiger Freilaufsta l.<br />

Der Hof von Osten. Links die Scheune, rechts der separate Fressplatz.<br />

Roland Werner auf dem Waldhof in Wäldi TG war einer der ersten, der den Mut hatte, seine Kühe<br />

das ganze Jahr über im Freien zu füttern. «Ich bin überzeugt, dass es in unseren Breitengraden<br />

mindestens bis zu einer Höhe von 1000 m ü.M. kein Problem ist», sagt der Landwirt. Er hat im<br />

Jahr 1995 seinen Anbindesta l zu einem Laufsta l mit Laufhof und Fressplatz umgebaut.<br />

Separate Fressachse bauen<br />

Bei der Planung hatte der Landwirt zwei Ziele<br />

im Auge. Der Stall so lte kostengünstig sein, und<br />

die Tiere so lten sich wohl fühlen. «Damals haben<br />

die landwirtschaftlichen Architekten noch<br />

andere Ställe gebaut», ste lt Roland Werner fest.<br />

Er meint damit geschlossene Ställe, bei welchen<br />

alles unter einem Dach ist. Landwirt Werner<br />

wo lte jedoch eine separate Fressachse para lel<br />

zum bestehenden Stall bauen. Der Baufachmann<br />

Ludo van Caenegem von der damaligen<br />

FAT (heute ART) sowie der Architekt Cyri l Bischof<br />

bestärkten ihn in seiner Idee.<br />

Die neue Fressachse.<br />

Suhlen und Duschen von Schweinen<br />

Schweine schwitzen nicht – darum suhlen sie<br />

STS-MERKBLATT<br />

TiergerechTe und kosTengünsTige sTälle Tks 1.10<br />

Schweine können nicht schwitzen. Sie sind deswegen auf schattige Plätze und andere Abkühlungsmöglichkeiten<br />

angewiesen. Die Tierschutzverordnung aus dem Jahre 2008 verlangt in Art.<br />

46, dass in neu eingerichteten Stä len bei Hitze Schweinen ab 25 kg in Gruppenhaltung sowie<br />

Zuchtebern Abkühlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen müssen. Die Nutztier- und Haustierverordnung<br />

des Bundesamtes für Veterinärwesen BVET konkretisiert dies und verlangt in Artikel<br />

28 die Abkühlung ab Temperaturen von 25 °C. Zur Abkühlung können Suhlen und Duschen dienen.<br />

Tierfreundliche Ställe für<br />

die Rindermast<br />

Boxen zum Liegen<br />

Mit Vorliebe suchen Schweine Schlammbäder auf. Nicht nur das Baden kühlt, sondern auch die<br />

Schlammschicht, mit welcher sich die Tiere überziehen; sie speichert nämlich die Feuchtigkeit<br />

und kühlt die Tiere über eine längere Zeit. Die Suhle ist ein wesentlicher und notwendiger<br />

Bestandteil der Freilandhaltung im Sommer ebenso wie Schattenplätze und ein sauberer, zugfreier<br />

Liegeplatz. Schweine können sich selbst eine Suhle anlegen, doch muss der Tierhalter in durchlässigen<br />

Böden für das Wasser besorgt sein. Zu beachten ist, dass die Schweine regelmässig entwurmt<br />

werden.<br />

Einige Auszüge aus den Untersuchungen des Münchener Veterinärprofessors Hans Hinrich Sambraus<br />

so len die Bedeutung des Suhlens für das Schwein i lustrieren: «Die Sauen suchten bei<br />

durchschnittlichen Tages-Temperaturen zwischen 19 und 28 °C die Suhle im Mittel zweimal pro<br />

Tag auf. Im Tagesablauf gab es zwei Höhepunkte, einer morgens nach dem Füttern und der zweite<br />

zwischen 12 und 15 Uhr.»<br />

1<br />

1<br />

Foto: C. Sciarra<br />

STS­Merkblätter Nutztiere<br />

(Rinder, Schweine, Pferde, Hühner, Ziegen, Schafe und Kaninchen)<br />

Informativ, lehrreich und mit vielen Beispielen aus der Praxis zu den Themen:<br />

• Tiergerechte und kostengünstige Ställe<br />

• Pflege und Umgang mit Tieren<br />

• Verhalten von Nutztieren<br />

• Tiergerechte Stalleinrichtungen<br />

Format A4, Download über www.tierschutz.com/publikationen > NUTZTIERE,<br />

PFERDE, KONSUM > INFOTHEK<br />

1<br />

Das STS­Kochbuch zeigt auf, dass Tierschutz und Genuss kein Widerspruch ist.<br />

Im Gegenteil: Nur Produkte von Tieren, die ein gutes Leben hatten, schmecken so, wie es<br />

schmecken soll. Das haben die <strong>Schweizer</strong>innen und <strong>Schweizer</strong> gemerkt. An die Stelle<br />

des unbedachten tritt immer mehr ein bewusster Konsum, der auch das Tier würdigt.<br />

«Essen mit Herz» liefert kreative, vielfältige und einfach umsetzbare Ideen für<br />

Vorspeisen, Hauptgerichte und Desserts.<br />

Format 21 x 21 cm, Hardcover, 64 Seiten, CHF 14.50 plus CHF 4.– Versand<br />

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TIERSCHUTZ STS

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