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seitenbühne 01.02 - Staatstheater Hannover

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12. 13 KONZERT<br />

SWANTJE KÖHNECKE<br />

ZWISCHEN ZAR, SOWJETUNION UND EUROPA<br />

Das niedersächsische Staatsorchester spielt Musik von Tschaikowsky, Chatschaturjan, Schostakowitsch und Tüür<br />

Volksmusik, Folklore, Folk – die Ursprünge der Musik in der überlieferten Tradition ist ein wichtiges<br />

Element der aktuellen Konzertsaison. Die beiden Sinfoniekonzerte im Januar und Februar<br />

2013 führen nach Osten: auf das Gebiet der früheren Sowjetunion, nach Estland, Armenien und<br />

natürlich Russland.<br />

Das Klavierkonzert von Aram Chatschaturjan<br />

und die 4. Sinfonie von Peter Tschaikowsky<br />

im Februar, das Konzert für Akkordeon und<br />

Orchester von Erkki-Sven Tüür und die 9.<br />

Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch im Januar<br />

– die Programme des 4. und 5. Sinfoniekonzerts<br />

führen uns auf eine weite Reise<br />

gen Osten: von der kleinen estnischen Ostsee-Insel<br />

Hiimaa – Geburtsort von Tüür –<br />

über die Metropolen St. Petersburg und<br />

Moskau bis in eine Kleinstadt kurz vor dem<br />

Ural, wo Tschaikowsky geboren wurde, und<br />

die Region südlich des Kaukasus, aus der<br />

Chatschaturjan stammt. 2.000 Kilometer<br />

Luftlinie von Tschaikowskys Geburtsort<br />

Wotkinsk in die Hauptstadt des Zarenreiches<br />

St. Petersburg, nur 100 Kilometer weniger<br />

aus dem georgischen Tiflis in die sowjetische<br />

Hauptstadt Moskau – das entspricht<br />

einer Fahrt von Flensburg nach Neapel, im<br />

russischen Riesenreich keine ungewöhnliche<br />

Entfernung.<br />

Auch historisch spannen die Werke einen<br />

weiten Bogen, vom zaristischen Russland<br />

über die Sowjetunion bis in die Gegenwart<br />

des unabhängigen Baltikums. Als ältestes<br />

Werk entstand Tschaikowskys 4. Sinfonie<br />

1877 und wurde am 10. Februar 1878 in<br />

Moskau uraufgeführt. Dass die Uraufführung<br />

in Moskau stattfand (obwohl der Komponist<br />

das Werk in Italien vollendet und es auf dem<br />

Postweg nach Russland geschickt hatte), ist<br />

kein Zufall, war Moskau doch Mitte des 19.<br />

Jahrhunderts mit St. Petersburg als Zentrum<br />

des russischen Musiklebens mindestens<br />

gleichgezogen. Das Konzertleben erfuhr einen<br />

bedeutenden Aufschwung, 1825 eröffneten<br />

das Maly und das Bolschoi Theater.<br />

Auf Initiative Nikolai Rubinsteins, der auch<br />

die Uraufführung von Tschaikowskys 4. Sinfonie<br />

dirigierte, wurde 1860 die Moskauer<br />

Abteilung der Russischen Musikgesellschaft<br />

gegründet. In den regelmäßigen Sinfoniekonzerten<br />

der Gesellschaft wurde westeuropäisches<br />

Repertoire ebenso gespielt wie<br />

Werke von Balakirev, Borodin, Glinka, Cui,<br />

Rimski-Korsakow oder eben Tschaikowsky.<br />

Auch für westeuropäische Künstler wie Berlioz,<br />

Liszt, Clara und Robert Schumann oder<br />

Richard Wagner gehörte Moskau auf die<br />

Landkarte europäischer Gastspielorte. 1866<br />

eröffnete zudem mit dem Moskauer Konservatorium<br />

eine bedeutende musikalische<br />

Ausbildungsstätte, deren erster Direktor<br />

wiederum Nikolai Rubinstein wurde. Peter<br />

Tschaikowsky lehrte dort und ist als Begründer<br />

der Moskauer Komponistenschule<br />

in die Geschichtsbücher eingegangen. Zwei<br />

Generationen später studierte auch Aram<br />

Chatschaturjan am Moskauer Konservatorium,<br />

ebenso wie der Pianist Boris Berezovsky<br />

Ende der 1980er Jahre. Für Berezovsky, einer<br />

der arriviertesten russischen Pianisten<br />

unserer Tage und mit Chatschaturjans Klavierkonzert<br />

zu Gast im 5. Sinfoniekonzert,<br />

begann seine internationale Laufbahn paradoxer<br />

Weise ebenfalls in seiner Heimatstadt:<br />

mit dem Gewinn des Tschaikowsky-Wettbewerbs<br />

1990.<br />

Weitab der aufsteigenden Metropole, die<br />

nach der Oktoberrevolution St. Petersburg<br />

auch als Hauptstadt ablöste, am südlichen<br />

Rand des russischen Kaiserreiches wurde<br />

1903 Aram Chatschaturjan geboren. 20 Kilometer<br />

von der heutigen georgischen Hauptstadt<br />

Tiflis entfernt erblickte er das Licht der<br />

Welt, und die kulturelle Sphäre südlich des<br />

Kaukasus war prägend für sein kompositorisches<br />

Schaffen. Nachdem er mit 18 Jahren<br />

nach Moskau übersiedelt war, arbeitete er<br />

auch dort für das Haus der Armenischen<br />

Kultur und fühlte sich der Musikkultur seiner<br />

Heimat zeitlebens verbunden. Tiflis war seit<br />

Jahrhunderten das multikulturelle Zentrum<br />

Transkaukasiens, der Region südlich des<br />

Kaukasus, gewesen, mit russischen, armenischen<br />

und türkischen Einflüssen. In der<br />

1922 gegründeten Sowjetunion wurde es<br />

zur Maxime, die Nationalkulturen der verschiedenen<br />

Völker der UdSSR auf einer »gemeinsamen<br />

Basis« zu entwickeln. Dennoch<br />

fand Chatschaturjan zu einem ganz individuellen<br />

Stil, den orientalische Einflüsse und<br />

armenische Folklore ebenso prägen wie die<br />

romantische russische Sinfonik.<br />

Drei Jahre jünger als Chatschaturjan war<br />

Dmitri Schostakowitsch, geboren in der<br />

Hauptstadt nahe der Ostsee, St. Petersburg.<br />

Beide erlebten als Jugendliche das untergehende<br />

Zarenreich, waren Zeitzeugen der<br />

Oktoberrevolution und der Herrschaft Lenins,<br />

der Schauprozesse und »Säuberungen«<br />

unter Stalin in den 1930er Jahren. Es folgte<br />

der »Große Vaterländische Krieg« (1941 bis<br />

1945), in dem die Sowjetunion über 20<br />

Millionen Tote zu beklagen hatte. Das System<br />

von Repression nach innen und Abgrenzung<br />

nach außen wurde fortgesetzt.<br />

Erst Stalins Tod 1953 markierte eine politische<br />

Wende: ab 1956 setzte unter der<br />

Regierung Chruschtschow das sogenannte

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