„Schöne" Bescherung: Schlußstrich noch vor ... - Sudetenpost
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SUDETENPOST Folge 24 vom 12. Dezember 1996<br />
Von der Versöhnung<br />
zur Verhöhnung<br />
März 1990:<br />
Der tschechoslowakische Staatspräsident<br />
Vaclav Havel bittet anläßlich eines Besuchs<br />
seines deutschen Amtskollegen Richard von<br />
Weizsäcker erstmals öffentlich im Namen der<br />
Tschechen und Slowaken um Verzeihung für<br />
die Mißhandlungen und Greueltaten an Deutschen<br />
im Zusammenhang mit deren Vertreibung<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />
27. Februar 1992:<br />
Havel und Kohl unterzeichnen in Prag den<br />
bilateralen Nachbarschaftsvertrag. Es ist der<br />
erste Versuch eines <strong>Schlußstrich</strong>es über die<br />
Köpfe der Betroffenen hinweg, Vermögensfragen<br />
und Entschädigungsforderungen werden<br />
nicht behandelt.<br />
Mai 1994:<br />
Der deutsche Innenminister Manfred Kanther<br />
fordert Tschechien beim Pfingsttreffen der<br />
Sudetendeutschen zum Dialog mit Vertriebenen<br />
auf. Seine Forderung wird von Prag ignoriert.<br />
Juni 1995:<br />
Der Staatssekretär im Bonner Außenamt,<br />
Peter Hartmann, und der tschechische Vize-<br />
Außenminister Alexandr Vondra beginnen<br />
Verhandlungen über die „Schlu3strich"-Erklärung.<br />
12. Jänner 1996:<br />
Ein Treffen zwischen Außenminister Klaus<br />
Kinkel und seinem tschechischen Amtskollegen<br />
Josef Zieleniec in Bonn bringt Fortschritte,<br />
aber keinen Durchbruch.<br />
18. Jänner 1996:<br />
Kinkel nennt die Lage „verheerend festgefahren".<br />
Strittig ist nach wie <strong>vor</strong> die Forderung<br />
Bonns, Prag möge sich zumindest moralisch<br />
von der Vertreibung der Sudetendeutschen<br />
distanzieren.<br />
Ende Jänner 1996:<br />
Hartmann und Vondra kommen in aller Stille<br />
wieder zusammen.<br />
Ende Mai 1996:<br />
Führende Politiker der bayerischen CSU unterstützen<br />
die Forderung der Sudetendeutschen<br />
nach einem Heimatrecht und direkten<br />
Gesprächen mit Prag. Beim Ptingsttretfen in<br />
Nürnberg verlangen die Vertriebenen, die<br />
Verhandlungen bis zum Abschluß solcher<br />
Gespräche auszusetzen. Bayerns Ministerpräsident<br />
Edmund Stoiber verlangt, Prag<br />
müsse <strong>vor</strong> seinem EU-Beitritt das Heimatrecht<br />
der Sudetendeutschen anerkennen .<br />
Mitte August 1996:<br />
Der stellvertretende deutsche Regierungssprecher<br />
Herbert Schmülling geht davon aus,<br />
daß die Erklärung „bis Ende des Jahres dann<br />
auch <strong>vor</strong>liegt".<br />
4. September 1996:<br />
Beim tschechisch-deutschen Jugendtreffen<br />
in Policka (Ostböhmen) zeigen sich Havel<br />
und sein deutscher Amtskollege Roman Herzog<br />
überzeugt, daß die Aussöhnung schon<br />
bald gelingen wird. Die „<strong>Schlußstrich</strong>"-Erklärung<br />
liege bis auf einige Formulierungsfragen<br />
fertig <strong>vor</strong>, sagt Herzog.<br />
Mitte September 1996:<br />
Kohl kündigt in der Haushaltsdebatte im deutschen<br />
Bundestag an, daß die Erklärung <strong>noch</strong><br />
heuer unterzeichnet werden soll. Mitte Oktober<br />
1996: Prager Politiker verlangen nach<br />
Zeitungsberichten in den Verhandlungen<br />
über die geplante Aussöhnungserklärung<br />
Nachbesserungen. Umstritten ist <strong>vor</strong> allem,<br />
wie die Vertreibung der Sudetendeutschen in<br />
der Erklärung angesprochen werden soll.<br />
23. Oktober 1996:<br />
Bayern stellt die Notwendigkeit der Erklärung<br />
in Frage. Ministerpräsident Edmund Stoiber<br />
sagt, auch ohne das Papier werde sich die<br />
Entwicklung des Verhältnisses Bonn - Prag<br />
nicht „dramatisch verschlechtern".<br />
27. November 1996:<br />
Kohl kündigt an, persönlich die Sudetendeutschen<br />
über den Text der Erklärung informieren<br />
zu wollen.<br />
3. Dezember 1996:<br />
Kohl trifft Klaus am Rande des Lissaboner<br />
OSZE-Gipfels. Klaus danach: Die Erklärung<br />
ist fertig. Kohl: Es muß <strong>noch</strong> ein letztes<br />
Gespräch der Chef Unterhändler geben.<br />
4. Dezember 1996:<br />
SL-Sprecher Franz Neubauer kritisiert, daß<br />
die Sudetendeutschen nicht in die Verhandlungen<br />
eingebunden sind und warnt <strong>vor</strong> einer<br />
Verhöhnungs- statt Versöhnungserklärung.<br />
Vaclav Klaus sagt in Prag, seine Regierung<br />
werde die Erklärung <strong>vor</strong>aussichtlich am 18.<br />
Dezember behandeln.<br />
Die Zeitungen von Zürich bis Wien<br />
tönen mit verschiedenen Schlagzeilen,<br />
daß Bonn und Prag sich über die sudetendeutsche<br />
Frage und eine „<strong>Schlußstrich</strong>erklärung"<br />
einig sind.<br />
Das Auswärtige Amt in Bonn erklärte,<br />
die Bundesregierung verfolgt bei den<br />
gegenwärtig laufenden Verhandlungen<br />
mit der Tschechischen Republik über<br />
eine gemeinsame Erklärung das Ziel, zu<br />
einer Lösung zu kommen, die Deutsche<br />
und Tschechen wirklich miteinander aussöhnt<br />
und nicht erneut spaltet. Sie hat<br />
dabei selbstverständlich auch die Interessen<br />
der Sudetendeutschen im Auge.<br />
Nun gerade dies dürfte nicht der Fall<br />
sein, denn die unmittelbar Betroffenen<br />
sind die Sudetendeutschen. Versöhnung<br />
per Dekret, oder wie immer man das<br />
Papier nennen will, gibt es ebensowenig<br />
wie einen <strong>Schlußstrich</strong> in der Geschichte.<br />
Wenn Prag und Bonn sich einigen,<br />
ohne die Sudetendeutschen in die Vorgespräche<br />
und die Planung einzubeziehen<br />
und ihre direkten Anliegen zu<br />
berücksichtigen, wie soll dann eine<br />
zufriedenstellende Lösung - und um die<br />
geht es doch - zustande kommen? Eine<br />
Vereinbarung, eine Erklärung, über die<br />
Köpfe der Betroffenen hinweg, bringt<br />
keine Lösung, sondern gerade das<br />
Gegenteil. Wenn nämlich die Repräsentanten<br />
der Sudetendeutschen nach Bonn<br />
geladen werden, um zu versuchen, sie<br />
auf einen Text einzuschwören, der ohne<br />
ihre Zustimmung und über ihre Köpfe<br />
hinweg produziert wurde, so erinnert dies<br />
verdammt an Saint Germain. Dort wurde<br />
dem österreichischen Staatskanzler Dr.<br />
Renner ein Vertragstext zur Kenntnis<br />
gebracht, den er zu akzeptieren hatte,<br />
Gedanken des<br />
Bundesobmannes<br />
weil er keine andere Möglichkeit hatte.<br />
Wenn die Sudetendeutschen in Bonn<br />
einen Text akzeptieren, der die Selbstaufgabe<br />
ihrer Prinzipien und der echten<br />
geschichtlichen Erkenntnisse bedeutet,<br />
geben sie sich auf. Wenn sie dies nicht<br />
tun, werden sie als Verhinderer einer europäischen<br />
Zusammenarbeit hingestellt.<br />
Ist dies geplant ??? Die offene sudetendeutsche<br />
Frage wird damit nicht einvernehmlich<br />
gelöst, sondern Sprengstoff<br />
geschaffen, denn nicht alle Landsleute<br />
sind Tauben, die sich alles gefallen lassen,<br />
es gibt auch Falken, die sich vehement<br />
wehren werden und mit Recht und<br />
ihren Mitteln. Will man dies ??? Vielleicht.<br />
Es scheint Tradition zu sein, über<br />
unsere Köpfe hinweg zu entscheiden.<br />
Zuerst in St. Germain, dann in München,<br />
dann in Prag. Es hat den Anschein, daß<br />
Prag und Bonn gemeinsam diese üble<br />
Tradition fortsetzen wollen.<br />
Die Sudetendeutschen in Österreich<br />
sind der Meinung, daß nur durch einvernehmliche<br />
Lösungen zwischen den Betroffenen<br />
und deren Regierungen Probleme<br />
wirklich gelöst werden können.<br />
Dazu ist es notwendig, die Betroffenen<br />
bzw. deren gewählte Repräsentanten in<br />
die Gespräche und die Vorbereitungen<br />
einzubinden. Bis heute kam es leider<br />
<strong>noch</strong> nicht ausreichend dazu.<br />
Eine „<strong>Schlußstrich</strong>-Erklärung", über die<br />
sich Bonn und Prag scheinbar geeinigt<br />
haben, ist bei einer Nichteinbindung der<br />
Betroffenen für diese weder bindend,<br />
<strong>noch</strong> akzeptabel.<br />
Für die SLÖ, deren Staatsbürger nur<br />
durch die österreichische Regierung vertreten<br />
werden können, kann die Erklärung<br />
lediglich ein Zeichen sein, wie gut<br />
oder wie schlecht Regierungen heute<br />
imstande sind, offene Fragen zufriedenstellend<br />
zu klären.<br />
Für unsere heimatverbliebenen Landsleute<br />
in der CR, denen die Rechte <strong>noch</strong><br />
immer genauso <strong>vor</strong>enthalten werden wie<br />
ihren heimatvertriebenen Landsleuten,<br />
könnte die Erklärung wenigstens ein<br />
Lichtblick sein.<br />
Wie hypnotisiert auf dieses Papier zu<br />
schauen, wäre ebenso völlig falsch wie<br />
unrealistisch. Es ist so gut wie sein<br />
Inhalt. Wir werden ihn erwarten und entsprechend<br />
bewerten. Unsere Arbeit wird<br />
dadurch entweder leichter oder schwerer,<br />
sie geht aber bis zu einer gerechten<br />
Lösung weiter. Ohne diese unsere in verschiedenen<br />
Positionen verantwortungsvolle,<br />
ehrenamtliche, das heißt mit enormen<br />
Selbstkosten verbundene Tätigkeit,<br />
gäbe es heute die sudetendeutsche<br />
Frage überhaupt nicht mehr, dafür danke<br />
ich Ihnen herzlichst.<br />
Die Interessen und Anliegen unserer<br />
Landsleute, und nicht nur der zahlenden<br />
ordentlichen Mitglieder, sondern<br />
auch der nichtzahlenden Trittbrettfahrer,<br />
wären ohne Vertretung.<br />
Wir werden aber auch weiterhin unsere<br />
Anliegen nach bestem Wissen und <strong>vor</strong>handenen<br />
Kräften bestmöglichst vertreten.<br />
Ihr<br />
Bundesobmann Karsten Eder<br />
Franz Neubauer befürchtet eine Verhöhnungs- statt Versöhnungserklärung:<br />
Wie 1938 und 1945 - über die<br />
Köpfe der Betroffenen hinweg!<br />
Noch be<strong>vor</strong> SL-Sprecher Franz Neubauer an<br />
der Spitze einer kleinen Delegation im Bonner<br />
Kanzleramt mit Helmut Kohl zusammengetroffen<br />
war, übte er offen Kritik am Vorgehen der<br />
deutschen Bundesregierung bei den Verhandlungen<br />
über eine deutsch-tschechische Versöhnungserklärung.<br />
Im Deutschlandfunk sagte<br />
Franz Neubauer, sollte die Erklärung tatsächlich<br />
schon fertig sein, wäre „wie 1938 und 1945 über<br />
die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden"<br />
worden. Die Bundesregierung habe es nicht für<br />
nötig befunden, die Sudetendeutschen über die<br />
Verhandlungen weiter zu informieren. „Aus der<br />
Versöhnungserklärung darf keine Verhöhnungserklärung<br />
werden", so Neubauer.<br />
Obwohl <strong>noch</strong> eine Verhandlungsrunde der<br />
Chefunterhändler eingeplant wurde, nachdem<br />
Kohl und,Klaus beim OSZE-Gipfel in Lissabon<br />
keine endgültige Einigung auf Punkt und<br />
Komma erzielt hatten, ging Neubauer auch<br />
nach dem Treffen mit dem Kanzler davon aus,<br />
daß die Regierung am Ziel, <strong>noch</strong> <strong>vor</strong> Weihnachten<br />
den <strong>Schlußstrich</strong> zu ziehen, festhält.<br />
Die tschechische Nachrichtenagentur CTK<br />
hatte auch schon einen Termin für Unterzeichnung<br />
der Erklärung: 11. 12. CTK berief sich<br />
dabei merkwürdigerweise auf Journalisten, die<br />
am 22./23. November beim CSU-Parteitag in<br />
München zugegen waren. Das Dokument<br />
werde angeblich zunächst von den Außenministern<br />
paraphiert - dafür nannte wiederum die<br />
Prager Zeitung „Miada franta Dnes" schon<br />
einen Termin, „kurz nach dem 5. Dezember" -<br />
und dann von den beiden Regierungschefs<br />
Vaclav Klaus und Helmut Kohl unterzeichnet<br />
werden. Die Ratifizierung durch die Parlamente<br />
in Prag und Bonn komme vermutlich erst nach<br />
Neujahr auf die Tagesordnung.<br />
Minister Zieleniec: „Vertreibung<br />
ist ein unpassendes Wort<br />
Der tschechische Außenminister Josef Zieleniec<br />
hält das Wort „Vertreibung" (tschechisch:<br />
vyhnani) als Bezeichnung für die Verbrechen an<br />
der deutschsprachigen Bevölkerung der ehemaligen<br />
Tschechoslowakei für „ungelegen". „Jedes<br />
Wort hat auch eine rechtliche Bedeutung.<br />
Und für uns ist es sehr wichtig, die Rechtsgrundlagen<br />
dessen, was nach dem Krieg in der<br />
Tschechoslowakei geschah, nicht in Frage zu<br />
stellen. Deshalb ist das Wort .Vertreibung' aus<br />
dieser Sicht unpassend", erklärte Zieleniec<br />
kürzlich in einem Interview mit dem Tschechischen<br />
Fernsehen (CT).<br />
„Rechtsgrundlage für den Abschub (tschechisch:<br />
odsun) der deutschen Bevölkerung war<br />
das Potsdamer Abkommen und dies bildete<br />
auch ganz andere Bedingungen als jene, die<br />
das Wort .Vertreibung' beschreiben würde",<br />
fügte Zieleniec hinzu. Auf die Frage, ob die seit<br />
zwei Jahren angestrebte tschechisch-deutsche<br />
„<strong>Schlußstrich</strong>"-Erklärung eine Grundlage für die<br />
Lösung der Forderungen der Sudetendeutschen<br />
Landsmannschaft bieten könnte, antwortete<br />
Außenminister Zieleniec, es handle sich<br />
„nicht um Ansprüche der (Sudetendeutschen)<br />
Landsmannschaft, sondern um Ansprüche einiger<br />
deutscher Bürger, die aus dem Teritorrium<br />
der Tschechoslowakei ausgesiedelt worden<br />
sind".<br />
Der Sinn der gemeinsamen Erklärung, die bis<br />
Ende des Jahres paraphiert werden solle, liegt<br />
nach Zieleniec darin, daß Prag und Bonn ihre<br />
künftigen Beziehungen nicht mehr mit den<br />
rechtlichen und politischen Problemen der Vergangenheit<br />
belasten werden. Das Dokument<br />
werde es ermöglichen, „extreme Gruppen" in<br />
beiden Staaten in die Schranken zu weisen.<br />
Man dürfe über der Vergangenheit nicht vergessen,<br />
daß man <strong>vor</strong> allem für die Zukunft arbeiten<br />
müsse, forderte Zieleniec.<br />
Stimmt das Prager Parlament zu?<br />
Gerade dann wird es aber <strong>noch</strong> einmal richtig<br />
spannend. Die Erklärung hat nämlich im Prager<br />
Parlament <strong>noch</strong> eine gar nicht so niedrige<br />
Hürde <strong>vor</strong> sich: Die Minderheitsregierung von<br />
Vaclav Klaus verfügt nämlich nur über 99 Stimmen.<br />
Sicher ist die Ablehung durch die Kommunisten<br />
und die Republikaner. Die Regierung<br />
braucht also die Unterstützung von zumindest<br />
zwei Abgeordneten der in dieser Frage gespaltenen<br />
sozialdemokratischen Partei (CSSD),<br />
<strong>vor</strong>ausgesetzt die Mandatare der Regierungskoalition<br />
stimmen geschlossen für die Erklär<br />
rung. Der kleine Koalitionspartner KDU-CSL<br />
hatte <strong>noch</strong> <strong>vor</strong> kurzem gefordert, daß das Parlament<br />
über die Erklärung nicht nur debattieren<br />
könne, sondern auch die Möglichkeit haben<br />
soll, Textänderungen einzufordern. Eine ausgemachte<br />
Sache ist das Ja des tschechischen<br />
Parlamentes also keinesfalls. Dies wäre auch<br />
eine Erklärung dafür, daß die SL mit ihrer Kritik<br />
an der Vereinbarung zwischen Bonn und Prag<br />
<strong>vor</strong>erst <strong>noch</strong> relativ sparsam ist. Dahinter könnte<br />
sich ein taktisches Kalkül verbergen: Je lauter<br />
der Protest der Sudetendeutschen ausfällt,<br />
desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß<br />
das tschechische Parlament den Sudetendeutschen<br />
mit einer Ablehnung der Erklärung einen<br />
unfreiwilligen Liebesdienst erweist.