„Schöne" Bescherung: Schlußstrich noch vor ... - Sudetenpost
„Schöne" Bescherung: Schlußstrich noch vor ... - Sudetenpost
„Schöne" Bescherung: Schlußstrich noch vor ... - Sudetenpost
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
24 SUDETENPOST Folge 24 vom 12. Dezember 1996<br />
>s war im Winter 1944. Kurz <strong>vor</strong> Weihnachten<br />
gab mir mein Staffelkapitän die<br />
•'Erlaubnis, zusammen mit meinem Brünner<br />
Freund, Leutnant Nakel - er fiel im März<br />
1945 - auf drei Tage nach Hause zu fliegen,<br />
ehe es wieder an die Front ging. Und wir hatten<br />
uns wie Kinder gefreut, Weihnachten daheim<br />
zu verbringen, und so flogen wir am ersten Vorweihnachtstag<br />
mit unserer kleinen Bücker 181<br />
- die wir uns von der dortigen Fliegerschule leihen<br />
konnten - vom verschneiten Allgäu unserem<br />
Weihnachtsmärchen entgegen.<br />
Augsburg lag lange schon hinter uns, und<br />
der Starnberger See glänzte wie ein silberner<br />
Spiegel zu uns herauf. Die Ausläufer des Böhmerwaldes<br />
aber zeigten uns ihren schneebedeckten<br />
Buckel - leider zuerst in dickem Nebel.<br />
Helmut kannte ja den Böhmerwald <strong>noch</strong><br />
nicht, und auch ich wollte nicht darauf verzichten,<br />
die Schönheit unseres Waldes im tiefsten<br />
Winter zu sehen, <strong>noch</strong> dazu, wenn man das<br />
Von Franz Pawel<br />
alles aus der Luft erleben konnte und ein überglückliches<br />
Herz im Leibe schlug. So führte ich<br />
unsere Bücker über den Plöckenstein. Sein im<br />
Sommer so dunkler See lag wie ein schlafendes<br />
Auge im Saume der verschneiten Fichten,<br />
die Stifter im „Hochwald" seine Wimpern nannte.<br />
Die kleinen Einschichten und Flecken duckten<br />
sich in die Täler, und nur hie und da zog ein<br />
bespanntes Gefährt die Spuren menschlicher<br />
Regsamkeit in das träumende und friedliche<br />
Gesicht des Waldlandes. Friedberg lag unter<br />
uns und das Moldauherz. Obschon seit Urzeiten<br />
so geformt, kam es mir <strong>vor</strong> wie ein rührendes,<br />
unzerstörbares Denkmal einer Heimatliebe,<br />
die in den nun heute heimatlosen Menschen<br />
des Böhmerwaldes trauert.<br />
Und es war seltsam, daß ich mich heute <strong>noch</strong><br />
einer seltsamen Bangigkeit entsinne, die mir<br />
ans Herz griff, als ich auf dieses Land hinuntersah.<br />
Ich dachte an den Krieg, der in diesem<br />
schneeigen Raum <strong>noch</strong> kein Gesicht zeigte wie<br />
das damals schon so zerstörte Ostpreußen mit<br />
seinen geschändeten und gepeinigten Menschen<br />
und Städten, deren Wunden ich erst <strong>vor</strong><br />
kurzer Zeit an der Front sehen mußte. Aber<br />
fehlte vielleicht auch schon dort unten in dem<br />
einsamen Haus am Waldrand der Sohn in der<br />
Familie, dort das Pferd im Stalle? Weint nicht<br />
vielleicht auch dort unten unter dem Weihnachtsbaum<br />
eine Mutter oder eine junge Frau<br />
über den gefallenen oder vermißten Sohn, der<br />
in den Weiten Rußlands geblieben ist?<br />
So las ich auch schon aus dem scheinbaren<br />
Frieden die Spuren des Krieges heraus - oder<br />
war es schon so wie eine dunkle Ahnung, die<br />
das traurige Los der Heimat ankündigte, in meinem<br />
Herzen? Oft gibt ja das Schicksal seine<br />
Zeichen den Menschen lange <strong>vor</strong>her, ehe es<br />
sich wirklich erfüllt. Nur kann man sie erst deuten,<br />
wenn sie später zur Wirklichkeit geworden<br />
sind.<br />
Aber wie sollte ich mir damals auch schon<br />
<strong>vor</strong>stellen können, daß nur wenige Monate später<br />
unsere Heimat so hoffnungslos verlorengehen<br />
sollte?<br />
Der Abend zum 23. Dezember verging in<br />
Brunn, und trotz der liebevollen Aufnahme bei<br />
Helmuts Eltern verbrachte ich diese Nacht wie<br />
in einem Hotelbett - fremd und verhastet. Denn<br />
ich wollte gleich am frühen Morgen nach Budweis<br />
fliegen, keine Zeit versäumen, daheim<br />
sein, nichts weiter. Schon die früheste Straßenbahn<br />
brachte mich durch die <strong>noch</strong> schlafende<br />
Stadt zum Flugplatz. Aber der dichte Nebel ließ<br />
keinen Start zu. So hockte ich auf der Flugleitung<br />
herum und versuchte, telefonisch durchzukommen,<br />
um zu sagen, daß ich heimkomme.<br />
Erst gegen Mittag konnte ich an den Start. Die<br />
Nebelwolken hatten sich in Haufen zusammengeschoben,<br />
die ich umfliegen mußte. Sie lagen<br />
wie riesige Polster über der böhmisch-mährischen<br />
Höhe, und es war zeitweilig nicht einfach,<br />
ohne Blindfluggerät durchzustoßen. Aber<br />
niemals hätte ich gedacht, umzukehren. Sonst<br />
aber war lauter Sonnenglanz auf dem Schnee<br />
und auf den Hängen rodelten die Kinder oder<br />
liefen Schlittschuh auf den gefrorenen Teichen.<br />
Ganz niedrig flog ich über sie hinweg, so juckte<br />
mich der Übermut! Und dann lag Budweis <strong>vor</strong><br />
mir.<br />
Der Schnee stob bei der Landung auseinander<br />
- ich war da: abfertigen, einrollen, ganz<br />
mechanisch tat ich alle Prozeduren und eine<br />
Stunde später war ich schon am Bahnhof; ein<br />
Zug nach Kaplitz stand da, als hätte er auf mich<br />
gewartet, fast leer. Die altgewohnten Stationen,<br />
die ich als Budweiser Schüler zwei Jahre lang<br />
durchfahren bin, trugen <strong>noch</strong> immer das alte<br />
Gesicht. Ich kam mir <strong>vor</strong>, als wären die Jahre<br />
zwischen Frieden und Krieg nie gewesen und<br />
ich saß da und vermißte meine Schultasche.<br />
Und doch war alles anders geworden.<br />
Und als die spärlichen Lichter vom Kaplitzer<br />
Bahnhof zu sehen waren, war ich nicht mehr zu<br />
halten. Irgendein Uniformierter rief etwas von<br />
Kontrolle hinter mir her, Kaplitz war ja Grenzbahnhof<br />
geworden. Aber ich hörte auf nichts,<br />
wollte nur daheim sein. Und seltsam, so sehr<br />
Franz Pawel fliegt auch heute <strong>noch</strong>.<br />
ich mich nach dem Elternhause sehnte, ich<br />
fand es gut, daß kein Auto dastand, mich abzuholen,<br />
und so wanderte ich die fünf Kilometer<br />
heimwärts - den so sehr ersehnten Weihnachtsfreuden<br />
entgegen. Und dann lag mein<br />
Heimatstädtchen <strong>vor</strong> mir, und ich dachte, wie<br />
oft ich mich an der Front nach Kaplitz sehnte.<br />
Es brannten in den Straßen vereinzelte Lichter,<br />
und die wenigen Leute froren hinter den hochgeschlagenen<br />
Mantelkragen. Sie erkannten<br />
mich nicht, und ich wollte sie nicht erkennen.<br />
So war das immer im Urlaub. Du stehst <strong>vor</strong> der<br />
Tür, nichts ist zwischen deinen Lieben und dir<br />
als dieses Anklopfen und Warten, daß jemand<br />
„Herein" sagt - und doch ist es der seligste<br />
Augenblick des Urlaubs.<br />
Und es war wie immer um die Weihnacht -<br />
alles schön und gut - kein Schatten über allem.<br />
So, als wären die Jahre zwischen dem Kindsein<br />
und dem Soldatseinmüssen wie ausgelöscht.<br />
Es duftet nach Äpfeln, Gebäck - meine Mutter<br />
war ja eine Wunderköchin - und wieder sind<br />
kleine Kinder im Haus und deshalb auch die<br />
Glastüre zwischen Küche und Zimmer mit einer<br />
Decke verhängt. Dort schmückte der Vater den<br />
Tannenbaum, und niemand darf ihn sehen, ehe<br />
die Kerzen angezündet waren.<br />
Mein Gott! Voller Dankbarkeit bin ich heute<br />
<strong>noch</strong> mit meinen 77 Jahren, daß dies alles so<br />
schön war und auch so empfunden werden<br />
konnte. Ich hatte Wochen <strong>vor</strong>her schon mit<br />
meiner jetzigen Frau (wir sind nun schon mehr<br />
als 52 Jahre verheiratet) verabredet, daß wir<br />
uns unter dem Weihnachtsbaum verloben würden,<br />
und ich trug schon die Ringe in der<br />
Tasche, die ich <strong>vor</strong>her in Riga gekauft hatte.<br />
Die stille Feier war - wie ich sie nicht anders<br />
kannte - so schön! Man schaut in das Kerzenlicht,<br />
singt „Stille Nacht" und ist in allen lieben<br />
Vertrautheiten verfangen. Und den<strong>noch</strong> war die<br />
Bindung mit den Männern, die an der Front<br />
standen, an meine tapfere Besatzung in einer<br />
Ju 88 nicht zu verdrängen. Man fühlt förmlich<br />
ihre Sehnsüchte, und die wissenden Augen<br />
schauen wie nach innen, wo die Pflichten wohnen<br />
und die Verantwortung lastet.<br />
Im Haus meiner künftigen Schwiegereltern<br />
war das anders. Dort lag ein trauriger Schatten<br />
cimnìftnòi<br />
über allem, und das kleine Kind, das meine<br />
künftige Schwägerin in den Schlaf gewiegt hat,<br />
weiß ja nicht, daß die erste Weihnacht seines<br />
Lebens für ihre Mutter auch zugleich die traurigste<br />
ist. Denn ich halte einen verknitterten<br />
Feldpostbrief in meinen Händen und fühle, daß<br />
sein Inhalt eine Welt des Friedens zertrümmert.<br />
„Vermißt in Rußland", so sagt es der Brief lapidar,<br />
und es bleiben tausend Fragen um das<br />
Schicksal des Vaters ungelöst offen.<br />
So gehe ich dann in der Nacht verdüstert und<br />
traurig heim... Du leidvoller Krieg, wie ziehst du<br />
deine Spuren über Länder und Menschen, und<br />
Franz Pawel 1944 im Cockpit.<br />
wir, die wir dir dienen, sind Hammer und Amboß<br />
zugleich.<br />
Am nächsten Morgen - er zog kalt und<br />
unwirtlich herauf, schüttelte mich plötzlich das<br />
Fieber, das ich mir am Wolchow und an den<br />
Sümpfen des Ilmensees geholt hatte. Mit einem<br />
Schlitten brachte man uns dann zu zweit zum<br />
Bahnhof. Der Zug war wohlig geheizt, im<br />
ganzen Waggon keine Seele. Wer mochte auch<br />
schon am frühen Weihnachtsmorgen an das<br />
Reisen denken! So gerne ich es auch so gehalten<br />
hätte, aber ich mußte nach Brunn zurückfliegen,<br />
um Helmut abzuholen.<br />
Wir waren glücklich zu zweien, waren in der<br />
Flugleitung, der Wetterwarte, in der Halle, standen<br />
bei der startbereiten Maschine, die mich in<br />
Kürze wieder in eine Ungewisse Zeit forttragen<br />
Das schöne Städtchen Kaplitz aus der Vogelperspektive.<br />
sollte. Und dann konnte ich nicht abfliegen. In<br />
Linz waren feindliche Verbände unterwegs, und<br />
die Stadt erlebte den ersten schweren Luftangriff<br />
des Krieges. Der Nebel kam wieder auf,<br />
und ich konnte <strong>noch</strong>mals eine Nacht daheim<br />
verbringen. Wieder saßen wir alle zusammen -<br />
aber so schön auch diese Stunden waren, die<br />
Gedanken um meine Pflichten waren in mir. Es<br />
war wie in einem Theater, wenn man eine<br />
schöne Stelle <strong>noch</strong>mals hören möchte und<br />
schon daran denkt, ob man den letzten Autobus<br />
<strong>noch</strong> erreicht, oder die Straßenbahn. Noch<br />
in der Nacht nahmen wir Abschied von allen,<br />
und keiner von uns hätte zu denken gewagt,<br />
daß es ein so bedeutsamer Abschied werden<br />
sollte.<br />
Gegen zehn Uhr war ich mit meinem Flugzeug<br />
über Kaplitz, um von oben ein letztes Ade<br />
zu winken. War das eine Freude! Das Herz<br />
schlug mir bis zum Hals, als ich das kleine,<br />
liebe Heimatstädtchen unter mir liegen sah!<br />
Von allen Seiten kamen die alten Erinnerungen<br />
in mir hoch, und ich war selig und glücklich.<br />
Dort schlängelte sich die Maltsch durch den<br />
Schnee, in deren Wassern <strong>noch</strong> gestern der<br />
Weihnachtshimmel glänzte, dort reckte der<br />
Pflanzner Berg seinen Buckel auf, als wollte er<br />
mir sagen: Vergiß mich nicht, denn ich weiß so<br />
viel von dir, den Sonnwendfeuern, den Singabenden<br />
und dem Wandern auf mir. Da lagen<br />
die Felder meiner Eltern, dort der Schlosserberg,<br />
die Bucherser Straße, das Ziel unserer<br />
langen Abende in den Urlauben. Hat nicht dort<br />
unsere Liebe ihren entscheidenden Anfang<br />
genommen? Und dann lagen die Türme unter<br />
mir. Ganz niedrig kurvte ich um unsere Häuser,<br />
zog Schleifen über den verschneiten Ringplatz<br />
und vertrauten Gassen, bis aus den Türen die<br />
neugierigen Menschen liefen. Ich erkannte<br />
viele von ihnen. Meine Mutter hatte sich mit<br />
einem Leintuch bewaffnet und winkte, damit ich<br />
sie ja nicht übersehen sollte!<br />
Kaplitz! Du liebes, kleines Städtchen! Wie<br />
sehr hänge ich an dir, daß mich das Heimweh<br />
überkommt wie ein kleines Kind, das nirgendwo<br />
anders einschlafen möchte auf der großen,<br />
weiten Welt als hier! Denn das war mein letzter<br />
Abschied von dir - die letzte Weihnacht, die ich<br />
und alle, die heute um dich trauern, in deinem<br />
Frieden erleben durften. Vielleicht hast du<br />
damals, als ich von dir fortflog, schon um die<br />
Düsternis meines und unseres bitteren Loses<br />
gewußt, weil du meine Blicke anzogst und mir<br />
immer zurufen wolltest: „Sieh mich nur immer<br />
wieder an, denn dein ahnungsloses Herz weiß<br />
ja nicht, für wie lange deine Augen von mir<br />
Abschied nehmen." Aber ich war taub, und die<br />
in mir bebende Freude hörte deinen leisen<br />
Seufzer nimmer!<br />
In Budweis wartete Helmut auf mich - er war<br />
mit dem Zug gekommen -, und als sich bei<br />
Passau die Donau zeigte, da schlössen sich<br />
die Nebel hinter einem Weihnachtsmärchen,<br />
das erst heute - im Angesicht dieser traurigen<br />
Wirklichkeit - einen unverlierbaren Glanz erhält,<br />
und das ich hier wieder erzähle, um traurigen<br />
Menschen unserer Stadt, aber auch mir<br />
selber, einen Schimmer erlebten Weihnachtsglückes<br />
zu bereiten.