Earnest & Algernon: Geheimsache
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T: Franz Liebl<br />
107<br />
Versteht man Subversion ganz allgemein<br />
als ein Vorgehen, welches die Regeln und<br />
Mechanismen eines Systems so nutzt, dass<br />
sie sich gegen das System selbst wenden,<br />
so lässt sich diese Denkfigur sicherlich bis in die Antike<br />
zurückverfolgen. Doch selbst, wenn der Betrachtungshorizont<br />
auf die letzten Jahrzehnte begrenzt wird, zeigt sich<br />
ein bemerkenswerter, auch verschlungener, Karrierepfad<br />
der Subversion. Daniels (2014) resümiert, dass sich der<br />
Terminus „Subversion“ über diese Periode hinweg erheblich<br />
in seinen Konnotationen verändert habe. Während<br />
damit ursprünglich destruktive Aktionen bezeichnet worden<br />
seien, habe sich das Bedeutungsspektrum mit den Sechzigerjahren<br />
ins Positive gewandelt; und diese Entwicklung<br />
habe sich bis heute fortgesetzt: „Subversion wurde nun<br />
als politischer, strategischer, künstlerischer und programmatischer<br />
Begriff benutzt. … ehemals subversive künstlerische<br />
Strategien des Détournement, der Appropriation<br />
und des Culture Jamming [sind nunmehr] zu universellen<br />
Kulturtechniken der Massenmedien geworden.“ Mit anderen<br />
Worten, der Diskreditierung folgte eine Art emanzipativer<br />
Schub, der in eine Begeisterung darüber mündete,<br />
dass heute jeder alles subvertiert; aber auch gepaart mit<br />
der Enttäuschung darüber, dass Subversion zum Produktivfaktor<br />
insbesondere in Marketingkontexten geworden ist<br />
(z. B. Frank 1997; Heath/Potter 2005; Doll 2008).<br />
Damit einher geht die Multiplikation von<br />
Begrifflichkeiten, die Subversives bezeichnen,<br />
etwa „Hacking“. Im Kielwasser<br />
unserer Metapher bzw. des Neologismus<br />
„Cultural Hacking“ zur Bezeichnung subversiver Strategien<br />
kultureller Innovation (Liebl 2001; Düllo/Liebl 2005) folgte<br />
beispielsweise eine Begriffswelle von „Bindestrich-<br />
Hackings“, die bis in die jüngste Zeit anhielt: Reality<br />
Hacking, Ikea-Hacking, Gender Hacking, Design Hacking,<br />
Urban Hacking, Planet Hacking, Biohacking und so weiter<br />
und so fort (Liebl/Düllo 2014). In dem Maße, wie alles<br />
und jedes gehackt werden konnte und schließlich auch<br />
gehackt wurde, geriet jedoch der Grundgedanke immer<br />
weiter aus dem Blickfeld. Das primäre Interesse, das uns<br />
zum Begriff bzw. zur Denkfigur des „Cultural Hacking“<br />
geführt hatte, war im Rückgriff auf Groys und de Certeau<br />
die Frage nach der Innovation sowie den damit verbundenen<br />
Praktiken und Strategien. Hierzu gehören insbesondere<br />
(künstlerische) Positionen, welche etablierte Konfliktlinien<br />
bzw. Oppositionen ignorieren und mit komplexeren<br />
Zugriffen operieren – vorzufinden etwa bei Dunne + Raby,<br />
Human Beans und einer Reihe anderer Künstler und Designer.<br />
Sie alle lassen ein bestimmtes Grundmuster erkennen:<br />
Zweifellos kritisch in der Diagnose herrschender<br />
Bedingungen, sind sie aber dennoch bereit, mit Unternehmen<br />
zu kooperieren, dabei in den Mitteln subversiv<br />
und spielerisch, teils auch parasitär und viral vorgehend.<br />
Es existiert also ein wesentlicher – und oftmals nicht verstandener<br />
– Unterschied zum Komplex des sogenannten<br />
„Culture Jamming“ und der „Kommunikationsguerilla“, welche<br />
sich noch an althergebrachten Konfliktlinien abarbeiten:<br />
Es geht nicht darum, lediglich Kritik zu formulieren,<br />
Widerstand zu leisten oder den Gegner bloßzustellen,<br />
sondern das Ziel besteht in der Schaffung einer Innovation.<br />
Die Rolle von Subversion sehen wir daher nicht als<br />
Ziel, sondern als Mittel – genauer gesagt, als gegebenenfalls<br />
nützliches Mittel – zur Realisierung notwendiger oder<br />
wünschenswerter Innovationen.<br />
Die Quantität von Subversionen schlug um<br />
in eine veränderte Qualität: Ist Subversion<br />
mit einem Mal ubiquitär und alltäglich,<br />
wird ihre Mechanik nicht nur leichter<br />
durchschaubar, sondern auch Teil der Erwartungshaltung<br />
des Publikums: „Nun unterwandert und überrascht uns<br />
mal schön …“ An solch einer Messlatte können Akteure<br />
nur scheitern, wenn die „Drehung an der Détournement-<br />
Schraube“ (Edlinger 2006) häufig genug vollzogen wurde.<br />
Und schließlich existiert insbesondere im Kulturbetrieb<br />
– namentlich im Bereich der Bildenden Kunst, der Architektur<br />
und der Darstellenden Künste – eine neuartige<br />
Rhetorik der „Intervention“, die vorwiegend als pure Behauptung<br />
einer Subversion operiert. Mit Schäfer/Bernhard<br />
(2008) lässt sich folglich feststellen: „Subversion erweist<br />
sich oft mehr als Zuschreibung denn als Effekt.“ Und Hiller/Kerber/Borries/Wegner/Wenzel<br />
(2012) kommen zu<br />
dem Resümee, dass es sich bei „Intervention“ um einen<br />
„überverwendeten, aber unterbestimmten“ Begriff handelt.<br />
Von dieser Inflationierung und Banalisierung<br />
der Begriffswolke Subversion – Intervention<br />
– Hacking sind Managementwissenschaft<br />
und -praxis weitgehend unberührt<br />
geblieben. Gleichwohl lauert das Thema Subversion in diesen<br />
Bereichen unausgesprochen an allen Ecken und Enden.<br />
Es war vor allem Mintzberg (1994), der ins Bewusstsein<br />
gerückt hat, wie wenig die ursprünglich geplanten Strategien<br />
von Unternehmen mit den letztendlich realisierten zu<br />
tun haben. Umgehend deutete die Beraterzunft diese<br />
Be obachtung als ein „Implementierungsproblem“; dass<br />
nämlich angeblich subversive Mitarbeiter im Mittelmanagement<br />
es verhindern würden, dass für sie unliebsame, weil<br />
unbequeme Strategien umgesetzt würden. So genanntes<br />
„Change Management“ wurde zur präferierten Sozialtechnologie<br />
der Überwindung solcher Implementierungswiderstände<br />
gegen Strategien, sofern nicht ohnehin die martialische<br />
Rhetorik aus dem Business Process Re-engineering<br />
Verwendung fand; angefangen von der „Implementierung<br />
mit harter Hand“ bis hin zu Slogans des Typs „strike hard,<br />
cut deep“. Insofern herrscht – ob absichtlich oder nicht –<br />
mit diesem Generalverdacht gegen das Mittelmanagement<br />
als „subversives Element“ ein Subversionsverständnis vor,<br />
das aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts datiert.<br />
Gleichzeitig spiegelt sich hierin der Gedanke der asymmetrischen<br />
Kriegsführung wider, den man bei de Certeau<br />
(1980) als modus operandi zwischen Strategen und (subversiven)<br />
Taktikern beschrieben findet. Allerdings mit dem<br />
feinen Unterschied, dass beide Parteien sich in ein und<br />
derselben Organisation befinden, von deren Erfolg sie existenziell<br />
abhängig sind. Angesichts dieser unübersichtlichen<br />
Gemengelage stellt sich die Frage: Warum und zu welchem<br />
Ende braucht es also Subversion in Führungskontexten?<br />
Und was ist eigentlich das strategische Problem, für das<br />
Subversion eine Lösung sein kann?<br />
Um sich einer Beantwortung dieser Frage<br />
zu nähern, lohnt eine genauere Betrachtung<br />
des Phänomens emergenter Strategien.<br />
Die Lesart, die gemeinhin Mintzbergs