Earnest & Algernon: Geheimsache
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<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
40<br />
Ludwig Engel<br />
(L. E.)<br />
In unserem Gespräch soll<br />
es grob um Subversion und<br />
Stadt gehen. Deshalb vielleicht<br />
zuerst die allgemeine<br />
Frage, ob Subversion<br />
heute noch gestaltende,<br />
transformatorische Kraft<br />
hat?<br />
Armen Avanassian<br />
(A. A.)<br />
Subversion, die Idee einer<br />
Unterwanderung, einer<br />
Umkehrung, eines Umstülpens<br />
oder einer Transgression,<br />
ist<br />
eine strukturalistische<br />
Phantasie<br />
in einem<br />
Denkuniversum, das vom<br />
Gedanken der Opposition<br />
geprägt ist. Doch<br />
diese Opposition<br />
erfüllt<br />
heute nur<br />
noch eine<br />
Alibi-Funktion,<br />
die unter<br />
unglaublichem<br />
Verschleiß an<br />
intellektueller<br />
und praktischer<br />
Produktivkraft<br />
genau das nicht<br />
leistet, was sie propagiert.<br />
Diese übersteigerten<br />
oszillierenden Gesten<br />
zwischen manischer Subversionsrhetorik<br />
und Melancholie<br />
halte ich einfach<br />
für unfruchtbar.<br />
L. E.<br />
Wie sollen wir dann das<br />
Projekt einer gesellschaftlichen<br />
Transformation<br />
angehen? Sollen wir<br />
überhaupt …?<br />
A. A.<br />
Ich arbeite mit dem Akzelerationalismus<br />
an einem<br />
nichtoppositionellen<br />
Denkmodell, an einer<br />
transformativen Praxis,<br />
die nicht von einer Umkehrung<br />
des Gegenwärtigen<br />
träumt oder den Phantasien<br />
eines Freiraums in einem<br />
Transgression<br />
bedeutet Überschreitung<br />
oder Übertretung.<br />
Strukturalismus<br />
ist eine wissenschaftliche Forschungsmethode,<br />
die nach unbewussten, universalen<br />
Denkprinzipien sucht. Anliegen<br />
neuen Außen nachhängt.<br />
Pate stehen dafür auch<br />
frühere politische Theoretiker<br />
wie etwa Marx – als<br />
erster Akzelerationalist.<br />
Denn Marx war derjenige,<br />
der mit den ausgefeiltesten<br />
wissenschaftlichen<br />
Methoden und dem größtmöglichen<br />
Wissen über den<br />
Stand der maschinellen<br />
Technologie eine exakte<br />
politische Gegenwartsanalyse<br />
versucht hat, eine<br />
politische Ökonomie,<br />
um darauf<br />
basierend Szenarien<br />
zu entwerfen.<br />
Nebenbei hat er<br />
der Strukturalisten ist es, bestimmte<br />
Äußerungssysteme wie Sprachen,<br />
Künste oder Schriften auf jene Ordnungs-<br />
und Organisationsstrukturen<br />
zurückzuführen, die Kommunikation erst<br />
übrigens mit viel Hohn<br />
und Spot gegen die<br />
Anarcho-Radikalisten,<br />
die<br />
ständig naiv<br />
von Subversion<br />
sprachen,<br />
polemisiert.<br />
Der Akzelerationalismus<br />
ist hingegen<br />
ein<br />
prometheisches<br />
Projekt, das darüber<br />
möglich machen und die die Grundlage<br />
für die Erzeugung von Sinn bilden.<br />
funktioniert, dass es<br />
sich unterschiedliche<br />
Wissenspraktiken ansieht<br />
und weitertransformiert.<br />
Einem solchen prometheischen<br />
Projekt kann es<br />
nicht um eine Subversion<br />
gehen, aber sehr wohl<br />
darum, was Subversion<br />
eigentlich bezwecken will,<br />
nämlich transformative,<br />
emanzipatorische<br />
und<br />
im emphatischen<br />
Sinne<br />
produktive,<br />
d. h. Neues<br />
ermöglichende<br />
Effekte.<br />
L. E.<br />
Was wären denn diese<br />
produktiven Effekte?<br />
A. A.<br />
Diese subversiven und<br />
transgressiven, diese<br />
ästhetisierten und situationistischen<br />
Gesten sind<br />
das ständige Benzin für<br />
den Antriebsmotor unseres<br />
Kapitalismus. Den kann man<br />
nicht damit heilen, dass<br />
man ihm noch mehr Ästhetisierung<br />
einspritzt, noch<br />
mehr Sensibilität, noch<br />
mehr Erfahrungsreichtum<br />
und noch mehr Wahrnehmungsreize.<br />
Dagegen will<br />
ich ein rationalistisches<br />
Kalkül setzen und wegkommen<br />
von diesem ästhetischen<br />
Modell, das uns<br />
in einen passiven Modus<br />
zwingt. Ich will positive<br />
Effekte erzeugen, die ich<br />
in ein rekursives, transformatives<br />
und emanzipatorisches<br />
Denken einbinden<br />
kann.<br />
L. E.<br />
Ist das nicht die Aufgabe<br />
der Kunst in modernen<br />
Gesellschaften? Brüche<br />
aktivieren, Emanzipationsprozesse<br />
anschieben?<br />
Transformation gesellschaftsfähig<br />
machen?<br />
A. A.<br />
Die Kunst heute entspricht<br />
großteils dem ästhetischen<br />
Geist des Kapitalismus.<br />
Das Kunstsystem formt<br />
gerade ein ästhetisches<br />
Regime und hat dazu beigetragen,<br />
dass unser Kapitalismus<br />
so jubilatorisch,<br />
so<br />
Prometheus<br />
Titan in der griechischen Mythologie,<br />
brachte den Menschen<br />
gegen den Willen der Götter das<br />
wunderbar funktioniert<br />
und eine<br />
allumfassende<br />
reelle Subsumtion<br />
produziert<br />
hat. Innerhalb<br />
dieser gibt es<br />
kein subversives<br />
Handeln. Was sich<br />
einmal so genannt hat,<br />
ist systemnotwendigerweise<br />
völlig eingepreist. Ich<br />
versuche in allem, was<br />
ich mache, dagegen anzudenken.<br />
Darauf zielt der<br />
Akzelerationalismus, und<br />
das interessiert mich an<br />
der Denk- und Urteilsform<br />
der Abduktion.<br />
Feuer. Übersetzt heißt Prometheus<br />
„der Vordenker“.