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Earnest & Algernon: Geheimsache

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<strong>Geheimsache</strong> #8<br />

26<br />

ZWISCHEN DEN BILDERN ENTZÜNDEN DIE<br />

NERVENSÄGEN 3<br />

einander aufreibend die Sehnsucht nach<br />

dem roten Wahnsinn. Zwischen den Bildern<br />

klaffen die schweigenden Löcher aufgetan<br />

zum großen Fall zurück in den Schoß. Das<br />

ist Theater und kein Vorhang senkt sich<br />

über der mächtig behaarten Votze.<br />

In den Bildern Männer und Frauen oder<br />

Männer gegen Frauen hetzten einander wie<br />

Tiere im Fell reiben einander wie Tiere<br />

im Fell bis endlich endlich eines aufschreit<br />

und fällt. Da liegt es auf den<br />

glattgehobelten Brettern und kratzt an den<br />

Wachsflecken und sagt endlich nichts mehr.<br />

Zwischen den Bildern will ich leben, wenn<br />

die Hauptpersonen Atem holen zum nächsten<br />

Schlag zum nächsten Satz, zwischen<br />

den Bildern will ich meine Fratze sehen<br />

am geschlossenen Vorhang, versteckt vor<br />

den weißen Ingenieuren, zwischen den<br />

Bildern mein Stück in dem nichts mehr<br />

geschieht.<br />

... sie müssen verstehen, dass<br />

ein Teil meiner Altersgenossen<br />

Westberlin besuchte. Allerdings<br />

aus anderen Gründen als ich.<br />

Sie kauften sich meistens keine<br />

Bücher, sondern Jeans und<br />

Nylonjacken, die gerade „in“<br />

waren. Um 1960 liefen in der<br />

Schule plötzlich alle mit<br />

Nylonjacken herum. Später dann<br />

schritt die FDJ gegen unsere<br />

neuen Parkas und Kappen ein.<br />

Sie schickten Sicherheitsgruppen<br />

der FDJ, die dann vor der<br />

Schule standen und uns die<br />

Jacken wieder wegnahmen. An<br />

ihnen würde das Blut der<br />

Vietnamesen kleben, sagten sie<br />

– was durchaus richtig gewesen<br />

sein mag. Trotzdem wird ein<br />

Prozess in Gang gesetzt, den<br />

ich für problematisch halte: Als<br />

Reaktion auf solche Dinge fängt<br />

man nämlich an, reaktionär zu<br />

werden. Ich habe zum Beispiel<br />

gedacht: „Was gehen uns die<br />

Vietnamesen an, du Arschloch.<br />

Gib mir einfach meine Jacke<br />

zurück!“<br />

Könnten sie das noch ein<br />

wenig genauer ausführen?<br />

Das ist ein wichtiger Punkt.<br />

3 Aus dem Band: Thomas Brasch,<br />

„Wer durch mein Leben will,<br />

muss durch mein Zimmer“, Gedichte<br />

aus dem Nachlaß, (hg. von Fritz<br />

J. Raddatz; Katharina Thalbach),<br />

Suhrkamp, Frankfurt a. M.<br />

2002, S. 118<br />

4 „Der Schlag gegen den Kopf des<br />

Ochsen“ und „Mit sozialistischem<br />

Gruß“, entnommen dem Band:<br />

Thomas Brasch, „Vor den Vätern<br />

sterben die Söhne“, Rotbuch,<br />

Berlin 1977, S. 71 f.<br />

Nun, wenn die Regierung, die<br />

herrschende Macht, auf alles<br />

Anspruch erhebt, was mit Marxismus<br />

zu tun hat oder was angeblich<br />

„revolutionär“ ist, dann ist der<br />

einzige Weg meiner Generation<br />

– die natürlich gegen die existierende<br />

Macht beziehungsweise<br />

gegen Autorität im allgemeinen<br />

rebelliert –,, darauf zu reagieren,<br />

indem sie in kindlichen Starrsinn<br />

zurückfällt. Und weil Westberlin zu<br />

war und die Studenten damals –<br />

sie erinnern sich sicher noch an die<br />

Studentengeneration mit den<br />

kurzen Haaren und den Stehkragen<br />

– mehr oder weniger reaktionär<br />

waren, ahmten wir sie einfach nach.<br />

Was dazu führte, dass wir ihr reaktionäres<br />

Gehabe zu unserer Form<br />

der Revolte machten.

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