Earnest & Algernon: Geheimsache
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<strong>Geheimsache</strong> #8<br />
10<br />
einige Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung<br />
Wichtiges und Richtiges zu sagen, war<br />
zugleich aber immer auch ein kulturpessimistisches<br />
linkes Vorurteil, das deshalb paradoxe<br />
Trugschlüsse nach sich zog. Etwa den Glauben,<br />
mit dem Etablieren einer alternativen Gegenkultur<br />
würde den Homogenisierungstendenzen<br />
des Kapitalismus Widerstand geleistet – während<br />
in der Realität die Gegenkulturen von Hippies<br />
bis Punk dem Konsumkapitalismus nur<br />
neue Energien zuführten. Man fühlte sich dissident, war<br />
aber auch nur eine Marktnische und Zielgruppe. Deshalb<br />
ist, wie die kanadischen Autoren Joseph Heath und Andrew<br />
Potter schrieben, die gegenkulturelle Politik „in den letzten<br />
vierzig Jahren eine der wichtigsten Triebkräfte des<br />
Konsumkapitalismus gewesen“. Schließlich seien es die<br />
Nonkonformisten, nicht die Konformisten, „die an der<br />
Konsumschraube drehen“. Denn: „Wenn die Konsumenten<br />
bloß Konformisten wären, dann würden sie sich allesamt<br />
das Gleiche kaufen und damit glücklich und zufrieden<br />
sein.“ Es ist dieses Paradoxon, das den Philosophen Peter<br />
Sloterdijk zu dem Aperçu veranlasste: „Alle Wege der<br />
Achtundsechziger führen in den Supermarkt.“ Dass der<br />
Kapitalismus die Welt eintöniger mache, und im<br />
Umkehrschluss die kreativen Energien, die die Welt bunter<br />
machen, subversiv seien, ist ein sehr fragwürdiges<br />
Postulat, bestenfalls eine jener Überzeugungen, die wahr<br />
und falsch zugleich sind. Das ließe sich schon an der<br />
Basiseinheit des kapitalistischen Wirtschaftens ersehen,<br />
der Ware nämlich. Die lässt sich schließlich, wie wir alle<br />
wissen, dann am besten verkaufen, wenn sie sich von<br />
anderen Waren unterscheidet – und nicht, wenn sie allen<br />
anderen Waren gleicht. Selbst objektiv ununterscheidbare<br />
Waren müssen unterscheidbar gehalten werden, ein Imperativ,<br />
der Werbe- und Marketingagenturen und Branding-<br />
Experten ein schönes fixes Einkommen garantiert. Heute<br />
darf jeder sein Ding machen, ja, es wird sogar von ihm<br />
gefordert. Jeder darf anders sein als der andere, soll seinen<br />
persönlichen Stil entwickeln, der ihn von anderen<br />
unterscheidet und mit kleinen Peer-Groups ihm Ähnlicher<br />
im Gegenzug verbindet, zu sogenannten Lebensstil-<br />
Gemeinschaften, die auch nichts anderes sind als Marktnischen<br />
und Zielgruppen. So ist es heute wirklich schwierig<br />
geworden, unkonventionell zu sein, weil jeder doch<br />
auf seine Art unkonventionell ist. Das Freiheitsgefühl, das<br />
so entsteht, na, mit dem können mächtige ökonomische<br />
Gruppen prima leben.<br />
An den Orten, an denen auf raffiniertere<br />
Weise über „Systemkritik“ nachgedacht<br />
wird, ist deshalb schon vor einigen Jahren<br />
die Frage nach den Möglichkeiten<br />
von Subversion das große Thema geworden – auch wenn<br />
es im leise melancholischen, selbstreflexiv ironischen<br />
Ton besprochen wird. Je nach Anlass ist man entweder<br />
der Meinung Slavoj Žižeks, dass in der Postmoderne „der<br />
Exzess der Überschreitung seine Schockwirkung“ verliert<br />
und völlig integriert wird. Oder man ist der gegensätzlichen<br />
Meinung Slavoj Žižeks, dass es nämlich keineswegs<br />
so ist, „dass der Kapitalismus die endlose Fähigkeit<br />
besäße, alle Sonderwünsche zu integrieren und ihnen<br />
die subversive Spitze zu nehmen.“<br />
Aber wir wollen etwas systematischer<br />
an die Sache<br />
herangehen, nicht zuletzt<br />
deswegen, weil Subversion<br />
ja ein schillernder, überdeterminierter<br />
und deshalb auch unpräziser Begriff ist,<br />
der nur scheinbar immer dasselbe meint,<br />
aber doch in den unterschiedlichen Themenfeldern<br />
eine andere Bedeutung<br />
annimmt:<br />
Der Saboteur, der während eines Streiks in<br />
einem Telekommunikationsunternehmen<br />
die Leitungen lahmlegt, ist auf andere,<br />
offensichtlichere Weise subversiv als der<br />
Polit-Aktivist, der eine Straßenblockade organisiert. Dieser<br />
wiederum auf völlig andere Weise als der Theaterprovokateur,<br />
der das Bürgertum schockt oder der Punk, der sich<br />
eine Sicherheitsnadel durch die Wange rammt. Ist, wer eine<br />
theatralische Attac-Straßenaktion macht, schon subversiv?<br />
Ist es ein Hausbesetzer? Und was wird mit den Hausbesetzern,<br />
die subversive Kulturinstitutionen wie die Rote<br />
Flora in Hamburg etablieren? Was ist, wenn zwanzig Jahre<br />
später das Vibrierende der Gegenkultur wichtiger Bestandteil<br />
angesagter Stadtquartiere geworden ist? Was ist, wenn<br />
das große Andere der Kommerzkultur zum Element der<br />
kapitalistischen Immobilienentwicklung wird? Vereinfacht<br />
ausgedrückt: Wenn die Rebellion nur der erste Schritt in<br />
Richtung Gentrifizierung ist?<br />
Überhaupt: Ist irgendeine Art von<br />
unbestimmtem „Dagegensein“ schon<br />
subversiv?<br />
Zum Kernverständnis von Subversion gehört<br />
jedenfalls, dass man nicht nur innerhalb einer<br />
bestehenden Ordnung eine positive Alternative<br />
entwickeln will, oder der Ordnung den<br />
Rücken zukehrt und ihr ein „ich scheiß’ auf dich“ zuruft,<br />
sondern dass diese Ordnung als solche unterspült und<br />
untergraben werden soll. Subversion ist tatsächlich etwas<br />
anderes als bloße „Opposition“ oder sich „Verweigern“. Zu<br />
den Vorstellungsreihen, die das Wort Subversion evoziert,<br />
gehören Begriffe wie „Auflösung“ oder „Zersetzung“<br />
untrennbar dazu. Und das sind wohl nicht zufällig Begriffe,<br />
die der militärischen Terminologie entnommen sind.<br />
Die Begriffsgeschichte politischer Subversivität<br />
ist jedenfalls seit vielen Jahrzehnten<br />
schon geprägt von einem stetigen Abarbeiten<br />
an dem Umstand, dass, was wie<br />
Subversion erscheint, immer auch in neue Verhärtungen<br />
und Konformismen umschlagen kann. Vor hundert Jahren<br />
hätte man noch jeden Arbeiter, der sich in einer „proletarischen<br />
Organisation“ engagiert, als Subversiven bezeichnet.<br />
Der Gewerkschafter, der eine Gegenmacht im Betrieb<br />
aufbaut, der Aktivist, der sich in einer „proletarischen<br />
Kampfpartei“ engagiert, wäre wie selbstverständlich als<br />
Subversiver durchgegangen. Bloß erwies sich, dass alle<br />
diese Institutionen dazu neigen, ihre Mitglieder zu disziplinieren,<br />
dass die Organisationen, wenn sie an Bedeutung<br />
gewinnen, selbst zu Agenturen der Anpassung und des<br />
Kompromisses mit den Verhältnissen werden können. Dem-