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Kultur<br />
ESSAY<br />
Republik Seelenruh<br />
Warum die Große Koalition so gut zu <strong>Deutschland</strong> passt und trotzdem problematisch ist<br />
Von Dirk Kurbjuweit<br />
Bundeskanzlerin Merkel<br />
STEFFI LOOS / DDP IMAGES<br />
126<br />
DER SPIEGEL 50/2013<br />
Ein gigantischer Tisch, 75 Männer und Frauen, einst Gegner,<br />
nun traut beisammen. Ist das nicht ein schöner Anblick?<br />
Wird einem bei diesem Foto nicht warm ums Herz?<br />
Die große Runde der Koalitionsverhandlungen, Konsens, Eintracht.<br />
So kann man es sehen. Das wäre der deutsche Blick.<br />
Es gibt einen anderen. Eine solch große Versammlung von<br />
Politikern wirkt ein bisschen unheimlich, erinnert an Sitzungen<br />
von den Zentralkomitees kommunistischer Parteien. Konsens,<br />
Eintracht, jedenfalls nach außen, aber zu Lasten der Gesellschaft.<br />
Eine Große Koalition ist noch nicht der erste Schritt in die<br />
Diktatur, aber so ganz lupenrein demokratisch ist sie auch<br />
nicht, schon gar nicht auf Dauer.<br />
Trotzdem wird wohl bald wieder ein Kartell der Volksparteien<br />
regieren, das zweite innerhalb von acht Jahren, und die<br />
Legislaturperiode dazwischen war auch von einer engen Kooperation<br />
zwischen Union und SPD geprägt. Hier wächst etwas<br />
zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört. So wollen<br />
es Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Union. So will es<br />
die Spitze der SPD. So wollen es die Bürger, die das elefantöse<br />
Bündnis in Umfragen favorisieren. Fehlen nur noch die Mitglieder<br />
der SPD, die derzeit über den Koalitionsvertrag abstimmen.<br />
Wahrscheinlich werden sie ja sagen.<br />
Und wenn nicht? Halb so schlimm. Es ginge für eine Weile<br />
drunter und drüber, aber irgendwann gäbe es eine Regierung,<br />
und die brächte vielleicht mehr zustande als das, was nun im<br />
Koalitionsvertrag steht. Die Bundesrepublik muss demografischen<br />
Wandel, europäische Ungleichgewichte, Energiewende<br />
und Migrationsströme bewältigen, um hier nur die größeren<br />
Probleme zu nennen. Das Programm von Schwarz-Rot macht<br />
da wenig Hoffnung. Die vielen haben sich auf wenig geeinigt.<br />
Warum sind Große Koalitionen trotz ihrer großen Nachteile<br />
so beliebt bei so vielen Deutschen, vor allem bei Angela Merkel?<br />
Warum gilt <strong>Deutschland</strong> dem Politologen Manfred G.<br />
Schmidt als „grand coalition state“? Und welche Wirkungen<br />
haben diese Bündnisse? Bei den Antworten auf diese Fragen<br />
geht es vor allem um vier Begriffe: Schock, Schonung, Schein.<br />
Der vierte Begriff heißt Wagnis. Er kommt am Ende. Ohne<br />
Wagnis sind große Aufgaben nicht zu lösen. Kann Angela Merkel<br />
etwas wagen? Und wollten die Deutschen das überhaupt?<br />
Die Deutschen sind eine Nation der Schockierten. Das gilt<br />
für die Bürger insgesamt, das gilt insbesondere für Angela Merkel.<br />
Unsere Schocks und ihre Schocks fließen zusammen und<br />
bestimmen die deutsche Politik.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg war ein wachsender Teil der<br />
Bevölkerung schockiert über sich selbst. Deutsche hatten ein<br />
unvergleichliches Blutbad angerichtet und in den Konzentra -<br />
tionslagern den Mord industrialisiert. Das bleibt der Ausgangspunkt.<br />
„Alle Geschichte von 1945 an ist Geschichte im Schatten<br />
und im Bewusstsein der einmal geschehenen Katastrophe“,<br />
schreibt der Politologe Peter Graf Kielmannsegg.<br />
Eine Folge war die Angst der Deutschen vor sich selbst. Eine<br />
solche Katastrophe durfte nicht noch einmal passieren. Also