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Gesellschaft<br />
Gefühle, amtlich geprüft<br />
EINE MELDUNG UND IHRE GESCHICHTE: Warum eine Stuttgarterin einen Unbekannten heiratete<br />
Abends, wenn es dunkel wird, setzt<br />
sich Ulrike Shigjeqi manchmal auf<br />
ihr Sofa und schaut sich Fotos an,<br />
die Bilder ihrer Liebe. Mittlerweile füllen<br />
sie ein dickes Album.<br />
Sie und er im Freibad.<br />
Sie und er vor einem Schloss.<br />
Sie und er an einer Imbissbude.<br />
Die Fotos sind kurz nach ihrer Hochzeit<br />
im Kosovo entstanden, das war vor<br />
zweieinhalb Jahren. Ulrike legt den Arm<br />
um Naim, sie sieht glücklich aus. Sie wollten<br />
sich in <strong>Deutschland</strong> ein gemeinsames<br />
Leben aufbauen,<br />
das war damals der Plan.<br />
Drei Monate nach der<br />
Hochzeit erhielt Ulrike Post<br />
von der Ausländerbehörde in<br />
Stuttgart. Das Amt lud sie und<br />
ihren Mann, der noch in seiner<br />
Heimat Kosovo lebte, zu<br />
einer Befragung ein. Das Amt<br />
unterstellte ihnen, dass ihre<br />
Liebe nicht echt sei.<br />
Ulrike Shigjeqi, die den Namen<br />
ihres Mannes trägt, dachte<br />
an das Fotoalbum, an Naim,<br />
an ihre Hochzeit. Dem Amt<br />
das Gegenteil zu beweisen,<br />
dachte sie, sei kein Problem.<br />
Ulrike Shigjeqi ist 28 Jahre<br />
alt und wohnt in einer Kleinstadt<br />
nahe Stuttgart. Ihre Kindheit<br />
sei nicht schön gewesen,<br />
sagt sie, Vater und Mutter stritten<br />
sich oft, Ulrike verbrachte<br />
viel Zeit im Reitstall. Nach der<br />
Schule machte sie eine Ausbildung<br />
zur Landwirtin.<br />
Ab und an lernte sie Männer<br />
kennen. Sie ging mit ihnen<br />
zum Fußball oder in ein Eiscafé, sie<br />
versuchte herauszufinden, ob der jeweilige<br />
Mann sich Kinder wünschte, ob er<br />
sich vorstellen könnte, mit ihr ein Heim<br />
zu gründen. Die meisten interessierte das<br />
nicht.<br />
An einem Nachmittag im August besuchte<br />
Ulrike Shigjeqi ein Fußballspiel in<br />
Bietigheim-Bissingen. Ein Freund stellte<br />
ihr seinen Cousin Naim vor, der zu Besuch<br />
in <strong>Deutschland</strong> war. Naim war damals<br />
25 Jahre alt, er sagte, er beliefere<br />
Restaurants mit Mineralwasser. Er habe<br />
gut ausgesehen, sagt Shigjeqi; an der Art,<br />
wie er aufs Tor zielte, habe sie erkennen<br />
können, dass er ehrgeizig sei. Sie wurden<br />
Freunde auf Facebook, das war 2009.<br />
Während der folgenden zwei Jahre<br />
schrieben sie sich Nachrichten und trafen<br />
sich beim Skype-Videochat. Sie unterhielten<br />
sich über das Wetter und über Fußball.<br />
Weil sie keine gemeinsame Sprache hatten,<br />
nutzten sie einen Übersetzungsdienst<br />
im Internet. Manchmal setzten sie sich<br />
auch einfach so vor den Bildschirm und<br />
lächelten sich an.<br />
Naim erzählte nicht viel, erinnert sich<br />
Ulrike. Häufig fiel während der Unterhaltung<br />
auch der Strom bei ihm aus. Aber<br />
Ulrike Shigjeqi<br />
Aus der Online-Ausgabe der „Stuttgarter Zeitung“<br />
er begann, einen Deutschkurs zu machen,<br />
und als er eines Tages fragte, ob sie ihn<br />
heiraten wolle, sagte sie ja.<br />
Im Juni 2011 kaufte Ulrike Shigjeqi ein<br />
Flugticket nach Priština. Naim kam zu<br />
spät, um sie abzuholen, aber als er sie<br />
umarmte, fühlte sie sich glücklich.<br />
Ihre Hochzeit feierten sie mit einem<br />
großen Fest. Verwandte waren gekommen,<br />
aus dem ganzen Land, sie stellten<br />
ihr Fragen über <strong>Deutschland</strong>. Ein Onkel<br />
traute das Paar. Danach gab es Čevap -<br />
čići und Pommes. Am Nachmittag musste<br />
Naim zum Deutschkurs, Ulrike ging<br />
allein ins Freibad. Nach fünf Tagen<br />
flog sie zurück. Sie freute sich auf die<br />
Zukunft.<br />
Wenige Wochen nach der Hochzeit beantragte<br />
Naim bei der deutschen Botschaft<br />
in Priština ein „Visum zur Familien -<br />
zusammenführung“, das es ihm erlauben<br />
würde, zu seiner Frau zu ziehen.<br />
Jedes Jahr decken die Behörden rund<br />
800 Scheinehen auf, der Kosovo steht auf<br />
der Liste der verdächtigen Herkunftsländer<br />
auf Platz fünf. Die Behörden in Priština<br />
und Stuttgart luden Ulrike und Naim<br />
zeitgleich zur Befragung ein, sie stellten<br />
ihnen 50 Fragen über ihr Leben.<br />
„Auf welcher Etage wohnen<br />
Sie?“<br />
„Wer hat den Heiratsantrag<br />
gemacht?“<br />
„Wer zahlte die Eheringe?“<br />
„Welche Hobbys hat Ihr<br />
Ehepartner?“<br />
„Ist Ihr Ehepartner Linksoder<br />
Rechtshänder?“<br />
„Ist Ihr Ehepartner Raucher<br />
oder Nichtraucher? Sie selbst?<br />
(Bitte Zigarettenmarke angeben).“<br />
Die Behörde geht davon aus,<br />
CIRA MORO / DER SPIEGEL<br />
dass Liebe auch auf der Kenntnis<br />
von Fakten beruht. Es ist<br />
eine eher bürokratische Vorstellung<br />
von Ehe, sie deckt sich<br />
nicht hundertprozentig mit der<br />
Vorstellung von Liebe und Romantik,<br />
die Ulrike Shigjeqi hat.<br />
Bei der Befragung sei sie<br />
aufgeregt gewesen, sagt sie.<br />
So konnte sie sich nicht an die<br />
Namen all seiner Verwandten<br />
erinnern. Naim gab an, dass<br />
Ulrike mit links schreibe, dabei<br />
ist sie Rechtshänderin; er<br />
wusste nicht, dass sie reitet.<br />
Sie klagten gegen den Entscheid. Das Verwaltungsgericht<br />
Berlin kommt in seinem<br />
Urteil zu dem Schluss, dass Ulrike und Naim<br />
Shigjeqi eine Scheinehe eingegangen seien,<br />
um ihm ein Daueraufenthaltsrecht zu sichern.<br />
Aus den Antworten könne man auf<br />
„mangelnde wechselseitige Vertrautheit“<br />
schließen. Die Klage wurde abgewiesen.<br />
Ulrike Shigjeqi hat seit sieben Monaten<br />
nichts mehr von ihrem Mann gehört.<br />
Doch sie hat sich entschlossen, für ihre<br />
Liebe zu kämpfen. Ihr Anwalt hat gegen<br />
das Urteil Berufung eingelegt, sie erzählte<br />
die Geschichte ihrer Lokalzeitung.<br />
Sie findet, dass sie ein Anrecht auf Liebe<br />
hat. Und dass Gefühle nicht durch Fakten<br />
gedeckt sein müssen. KATRIN KUNTZ<br />
DER SPIEGEL 50/2013 53