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nicht weiter auffällt, sehe ich kein<br />
großes Problem.<br />
SPIEGEL: Im jüngsten „Polizeiruf“ sagt<br />
der Kommissar und Adelssprössling<br />
Meuffels: „Ich kenne meinen Vater<br />
vor allem aus dem Fernsehen.“ Ist<br />
das noch Meuffels oder schon Brandt?<br />
Brandt: Es ist Meuffels. Aber der ist<br />
natürlich immer auch ein bisschen<br />
Matthias Brandt. Ich bin schließlich<br />
mein eigenes Material, alles, was ich<br />
habe. Leander Haußmann hat den<br />
Satz mit dem Vater ins Drehbuch<br />
geschrieben und mich gefragt, ob das<br />
okay sei. Weil ja klar ist, was da bei<br />
den Zuschauern mitschwingt. Ich fand<br />
es eine schöne und spielerische Art,<br />
mit meiner Herkunft umzugehen.<br />
SPIEGEL: Ist der Umstand, dass Sie<br />
Willy Brandts Sohn sind, privat oder<br />
öffentlich?<br />
Brandt: Darauf habe ich keinen<br />
Einfluss mehr. Es ist ein wichtiger<br />
Teil meiner Biografie, den ich nicht<br />
verleugnen kann und möchte. Trotzdem<br />
ist es mir eine Zeitlang total<br />
auf den Zeiger gegangen, ausschließlich<br />
darüber definiert zu werden.<br />
SPIEGEL: Den Gedenksendungen zum<br />
100. Geburtstag Ihres Vaters haben<br />
Sie sich konsequent verweigert.<br />
Brandt: Ich fand, dass ich zu diesen<br />
Sendungen, so wie sie geplant<br />
waren, nichts Wesentliches hätte<br />
beitragen können. Ich hätte dort bei<br />
einem anderen Thema nicht mitgemacht,<br />
warum dann bei diesem? Ich<br />
muss auch sagen, dass ich mich als<br />
Zuschauer und Leser ein wenig dar -<br />
über wundere, wie lust- und inspirationslos<br />
dieses Brandt-Gedenken<br />
sich, mit einigen Ausnahmen, dahinschleppt.<br />
Es ist doch keiner zwangsverpflichtet,<br />
sich zu erinnern. Wenn<br />
einem dazu nichts einfällt, kann<br />
man es doch auch bleibenlassen.<br />
SPIEGEL: Ist in Ihrer Kindheit im Kanzlerbungalow<br />
schon Ihr Blick fürs Skurrile<br />
entstanden?<br />
Brandt: Im Kanzlerbungalow bin ich als<br />
Kind nur zweimal gewesen, der war für<br />
alte Menschen konzipiert, eine Familie<br />
mit Kindern konnte dort nicht wohnen.<br />
Aber ich weiß natürlich, was Sie meinen:<br />
Darüber habe ich viel nachgedacht. Ich<br />
glaube schon – nein, inzwischen bin ich<br />
mir sogar sicher: Ich hatte im Hinblick<br />
auf meinen späteren Beruf sehr viel<br />
Anschauungsmaterial, weil ich gewisser -<br />
maßen in eine höfische Situation hineingeboren<br />
wurde. Und ich habe mir vieles<br />
angeschaut. Die ersten zehn Jahre meines<br />
Lebens habe ich nur beobachtet. Das ist<br />
mein Hauptfundus, bis heute.<br />
SPIEGEL: Hat es Ihnen imponiert, Staatsgäste<br />
aus aller Welt zu sehen?<br />
Brandt: Als Kind sind die einem wurscht.<br />
Kinder sind auch in der Regel keine<br />
Sozialdemokraten und demzufolge nicht<br />
156<br />
Vater und Sohn Brandt 1964, Fußballer Netzer 1971<br />
„Sich selbst einzuwechseln ist auch eine Option“<br />
an sozialdemokratischen Berühmtheiten<br />
interessiert. Meine Helden waren andere.<br />
Über allen Günter Netzer. Wichtiger war,<br />
wie viel ich damals über Hierarchie und<br />
Macht gelernt habe. Das prägt mich bis<br />
heute. Allem Zeremoniellen wohnt ja etwas<br />
Skurriles inne. Nehmen Sie nur das<br />
englische Königshaus, das ich wahnsinnig<br />
interessant finde. Dort herrschen strenge<br />
Regeln, und es gibt lauter Protagonisten,<br />
die, bis auf Mami, permanent an diesen<br />
Regeln scheitern und darüber dann oft<br />
noch richtig gute Witze machen.<br />
SPIEGEL: Wer ist Ihr Lieblings-Windsor?<br />
Brandt: Prince Philip, weil er einen phantastischen<br />
Humor hat.<br />
SPIEGEL: Er ist oft ziemlich peinlich, finden<br />
Sie nicht?<br />
Brandt: Ich glaube, dass das gezielte Geschmacklosigkeiten<br />
sind, um zu testen, was<br />
passiert. Der Mann weiß genau, was er<br />
sagt! Einmal hat er den nigerianischen<br />
Staatspräsidenten bei einem Dinner, zu<br />
DER SPIEGEL 50/2013<br />
dem dieser in seiner Landestracht erschienen<br />
war, begrüßt mit: „Na, schon<br />
bettfertig gemacht?“ Das kann man<br />
als rassistische Äußerung betrachten.<br />
Zumindest als sehr unhöflich. Ich<br />
finde es einfach nur irre lustig. Eigentlich<br />
möchte ich das Gespräch hier<br />
unterbrechen und mit Ihnen die britische<br />
Hymne singen. Auch für Prinz<br />
Charles habe ich von jeher viel übrig.<br />
Ich war stets auf seiner Seite.<br />
SPIEGEL: Weil er ein Verlierer ist, der<br />
womöglich nie König werden wird?<br />
Brandt: So sehe ich ihn gar nicht. Ich<br />
glaube, es gibt bei ihm eine große<br />
Würde in der Lächerlichkeit, und<br />
davor habe ich allergrößte Hochachtung.<br />
Stellen Sie sich vor, der ganze<br />
Planet bekommt ein Telefonpro -<br />
tokoll von Ihnen zu lesen, in dem<br />
steht, dass Sie ein Tampon sein<br />
möchten! Sich da nicht zu entleiben,<br />
sondern das Ding weiter durchzuziehen<br />
– das hat Größe.<br />
SPIEGEL: War Ihr Faible für die Mon -<br />
archie ein Grund, warum Sie vor<br />
einigen Jahren die Hauptrolle im<br />
Kinderfilm „Des Kaisers neue Kleider“<br />
gespielt haben?<br />
Brandt: Es war immer mein Lieblingsmärchen.<br />
Der Vorgang, dass da einer<br />
steht und nackt ist und alle tun so,<br />
als wäre nichts, mit dem haben wir<br />
doch oft zu tun. Wissen Sie, so anstrengend<br />
meine Kindheit manchmal<br />
war – was ich als positiv empfinde<br />
ist, dass ich total unbeeindruckt von<br />
sogenannten Autoritäten bin.<br />
SPIEGEL: Weil Sie den Hierarchen zeigen,<br />
dass Sie sie nicht ernst nehmen?<br />
Brandt: Nein, weil manche Dinge bei<br />
mir nicht funktionieren würden und<br />
deshalb von vornherein unterlassen<br />
werden. Ich reagiere nicht auf Druck<br />
oder Ultimaten oder irgendwas in<br />
der Art. Ich könnte mich auch nie<br />
in diese behördenartigen Apparate hin -<br />
einbegeben. Ich bekomme das ja nur<br />
peripher mit bei meinem Arbeitgeber …<br />
SPIEGEL: … der ARD.<br />
Brandt: Von der Struktur her entspricht so<br />
ein deutscher Fernsehsender wahrscheinlich<br />
der Administration von Belgien. Und<br />
je größer der Apparat ist, desto weniger<br />
Entscheidungen werden dort getroffen.<br />
Das scheint das Prinzip zu sein. In dem<br />
Moment, wo etwas entschieden wird,<br />
bringt das den Apparat erst mal zum Erliegen:<br />
Schocklähmung. Das Schmiermittel<br />
der Institutionen ist die Unbestimmtheit.<br />
SPIEGEL: So, wie Sie das sagen, klingt das<br />
nach absurdem Theater.<br />
Brandt: Ja, aber ich kann mir einfach nicht<br />
vorstellen, was dort den ganzen Tag geschieht.<br />
Für alles Administrative fehlt mir<br />
die Phantasie.<br />
SPIEGEL: Sie haben mal gesagt, Sie fühlten<br />
sich vom deutschen Fernsehen unterfordert.<br />
ULLSTEIN BILD<br />
HORSTMÜLLER