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Nie zuvor war ein Trainer so spielbestimmend.<br />
Vergangene Woche im DFB-<br />
Pokal, als das aggressive Pressing des FC<br />
Augsburg Probleme bereitete: Guardiola<br />
ließ Thiago und Javi Martínez die Positionen<br />
tauschen – und die Bayern hatten<br />
das Spiel im Griff. Oder kürzlich beim<br />
Rasenschach gegen Borussia Dortmund,<br />
als der Gegner seine typische Balleroberungswut<br />
auf tückische Weise zurückhielt:<br />
die ganz hohe Schule. Guardiola zieht<br />
den Kämpfer Martínez aus dem Mittelfeld,<br />
parkt ihn aber, den nächsten Zug<br />
mitdenkend, nur eine Weile in der Verteidigung.<br />
Später, als das Führungstor erzielt<br />
ist, braucht er ihn wieder als Stabilisator<br />
vor der Abwehr.<br />
Geht es um eine Machtdemonstration?<br />
Sind die emsigen Interventionen von der<br />
Seitenlinie ein Selbstzweck? Guardiola<br />
zielt auf den Beifall, und zwar für das<br />
Spiel. Wozu die ganze Akribie führen<br />
kann, wird wahrscheinlich an diesem<br />
Dienstag wieder zu beobachten sein – im<br />
Rückspiel gegen Manchester City in der<br />
Champions League, wenn eine etwa<br />
gleich stark besetzte Mannschaft die<br />
Münchner zur Höchstleistung zwingt.<br />
Vor zehn Wochen, beim Hinspiel in<br />
Manchester, kratzten Guardiolas Männer<br />
an der Perfektion. Es war der wohl<br />
schönste, künstlerisch wertvollste Fußballabend<br />
der Saison.<br />
Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz<br />
Rummenigge nannte das Spiel „eine Augenweide“.<br />
Die Münchner gewannen 3:1,<br />
aber das war es nicht. Selbst Präsident<br />
Uli Hoeneß, den normalerweise nur die<br />
Punkte und der Vorsprung in der Tabelle<br />
interessieren, schien ergriffen von der ästhetischen<br />
Dimension eines Fußballspiels.<br />
Er erteilte ein „summa cum laude“.<br />
Gemeint ist eine Qualität jenseits von<br />
Toren und Tabellen, wenn Pep Guardiola<br />
sagt, seine Mannschaft solle „gut“ spielen.<br />
„Für den einen ist es bedeutender zu gewinnen,<br />
für den anderen, dass seine<br />
Mannschaft gut spielt“, erklärte er neulich<br />
im ZDF. Es war die Frage aufgekommen,<br />
wie ein Trainer so missvergnügt wirken<br />
könne, dessen Mannschaft pausenlos<br />
neue Rekorde aufstellt. Dies sei noch<br />
nicht seine Mannschaft, hatte Guardiola<br />
bekannt, „ich fühle noch nicht das Spiel,<br />
wie ich es mag“.<br />
Es hat schon genügsamere Lehrer gegeben.<br />
Rund 40 Bundesligaspiele unbesiegt,<br />
zehn Siege in Folge in der Cham -<br />
pions League, das alles zählt nicht für den<br />
schmalen Mann im Maßanzug. „Wenn<br />
wir nicht die Fähigkeit behalten zu erkennen,<br />
dass wir noch nicht perfekt sind“,<br />
sagt er, dann werde man noch alles verspielen.<br />
Pep Guardiola ist davon überzeugt,<br />
dass ein Team nur dann dauerhaft<br />
Erfolg haben kann, wenn es gut spielt.<br />
Die Bestimmung „gut“ hat dabei durchaus<br />
eine ethische Konnotation. Guardiolas<br />
Elf soll anständig gewinnen, nicht die<br />
Punkte stehlen, indem sie sich vor dem<br />
Tor verschanzt und nur einmal einen Konter<br />
setzt. Auch nicht durch Betrug, also<br />
Schwalben, oder mit althergebrachter<br />
Bayern-München-Effizienz: durch einen<br />
wuchtigen Kopfball kurz vor Schluss.<br />
Guardiola-Mannschaften verdienen<br />
sich den Sieg. Mit hoher Laufintensität<br />
sollen sie immerfort Anspielstationen<br />
schaffen, die Voraussetzung für schnelles<br />
Passspiel. Damit dominieren sie, wenn alles<br />
klappt, ihren Gegner, entkräften ihn<br />
und rauben ihm den letzten Nerv. Guardiolas<br />
Lieblingstore fallen nicht, sie werden<br />
kreiert – mit Raffinesse, im Mittelfeld,<br />
stilvoll und irgendwie edel.<br />
Es gehe darum, eine gute Show hinzulegen,<br />
sagt der Meister. „Ich habe meine<br />
Spieler immer gebeten, alles zu geben,<br />
weil die Leute das merken.“ Er werde<br />
dulden, dass seine Spieler danebenschießen,<br />
„aber niemals, dass sie sich nicht anstrengen“.<br />
Ungeklärt bleibt vorerst, wie der Mann<br />
mit seinem Moral-Fußball eigentlich zum<br />
FC Bayern passt. Die Frage stellt sich<br />
nicht wegen der Affären der Bosse, Rummenigges<br />
Zollvergehen mit Rolex-Uhren<br />
oder Hoeneß’ Steuerangelegenheiten. Es<br />
„Ich habe meine Spieler<br />
immer gebeten,<br />
alles zu geben, weil die<br />
Leute das merken.“<br />
geht um das Spiel. Und das Spiel des Rekordmeisters<br />
fußt auf einer Tradition des<br />
zynischen Ergebnisfußballs. Bayern-Fans<br />
verabschieden sich nach dieser Tradition<br />
mit achselzuckender Ätsch-Haltung aus<br />
der Arena: So sind wir halt, mia san mia.<br />
Ein Trainer, der eine eigene Gesinnung<br />
pflegt, zu der auch noch Bescheidenheit<br />
gehört, will sich nur schwer ins Bayern-<br />
Weltbild fügen. Darin hatten Trainer<br />
zwar stets zu gewinnen, aber sonst nicht<br />
viel zu melden. Der Großteil des Ruhms<br />
war den Vereinsfunktionären vorbehalten,<br />
die dem Coach all die teuren Spieler<br />
beschafften, herausgekauft aus der Belegschaft<br />
der Konkurrenz.<br />
Guardiola bekam sogar das Ensemble<br />
eines Triple-Siegers zur Verfügung gestellt,<br />
ergänzt um die Stars Mario Götze<br />
und Thiago Alcántara. Und trotzdem erkennt<br />
jeder Fachmann, wer im Prozess<br />
der Verwandlung und Veredelung des<br />
Bayern-Stils die Hauptrolle spielt.<br />
Die Siege, die unterwegs eingefahren<br />
werden, sind jetzt nicht das Ziel, sondern<br />
der Weg – ein Mittel zum Zweck. Sie dienen<br />
Guardiola derzeit, da es im Zusammenspiel<br />
auch von Mannschaft und Trainer<br />
oft noch holpert, zur Ruhigstellung<br />
des Umfelds, Labsal für die Fans und auch<br />
für die Bosse.<br />
Die reden manchmal über ihn wie über<br />
einen Kauz, der schon irgendwann zur<br />
Vernunft kommt. „Pep ist noch in der Findungsphase“,<br />
so kommentierte Hoeneß<br />
die wechselnden Mannschaftsaufstellungen,<br />
als Philipp Lahm anfing, ab und zu<br />
im Mittelfeld aufzulaufen.<br />
Inzwischen ist die vermeintliche Probierphase<br />
ein Dauerzustand, personelle<br />
und taktische Umstellungen gehören da -<br />
zu wie Schienbeinschützer und Eckbälle.<br />
Die „Süddeutsche Zeitung“ nannte Guar -<br />
diolas Bayern-Mannschaft ein elfköpfiges<br />
Ungeheuer, das jederzeit seine Form ändern<br />
könne, unberechenbar für Freund<br />
und Feind.<br />
Schwer zu sagen, ob die Bayern das so<br />
geplant hatten, als sie den pausierenden<br />
Erfolgscoach aus Barcelona als Nachfolger<br />
von Jupp Heynckes aussuchten. Oder<br />
ob er einfach nur auf dem Markt war.<br />
Jedenfalls verstehen sie ihn nicht.<br />
Sportvorstand Matthias Sammer springt<br />
dem Trainer fröhlich in den Nacken,<br />
wenn ein Tor fällt. Wenn Guardiola dann<br />
erschrickt, sieht man ihm an, dass er diese<br />
Art Nähe nicht schätzt.<br />
Als Sammer nach einem Heimsieg gegen<br />
Hannover 96 den mal wieder grüblerischen<br />
Coach in seinem Anspruchsdenken<br />
bestärken wollte, redete er am Thema<br />
vorbei. Sammer kritisierte, das Team<br />
spiele lethargisch, ohne Emotionen. Guar -<br />
diola beanstandet aber nicht die Einstellung,<br />
sondern die Ausführung.<br />
Die Frage ist auch, ob er zu diesem<br />
Fußballland passt. In <strong>Deutschland</strong> wird<br />
die Arbeit von Torjägern höher geschätzt<br />
als die Kreativität der Passgeber. Und die<br />
hiesige Fußballleidenschaft bemisst sich<br />
an der hohen Zahl von Menschen, die<br />
samstags die Bundesliga live bei Sky<br />
schauen, in Gemeinschaft, in Kneipen –<br />
und auf dem Kanal „Konferenz“. Dort<br />
sieht man nicht die Spiele, sondern die<br />
Tore. Man wird hin- und hergeschickt und<br />
über die Zwischenstände informiert – die<br />
könnte man genauso gut im Internet verfolgen<br />
oder im Videotext.<br />
Viele Leute sind nicht an der Spielentwicklung<br />
interessiert, an Ästhetik oder<br />
Strategie, sondern schlicht an jener Dramatik,<br />
die in der Frage liegt, wer wohl<br />
gewinnt. Als Leser würden sie in Büchern<br />
die Landschaftsbeschreibungen überspringen,<br />
um schneller an die Auflösung des<br />
Kriminalfalls oder Beziehungsdramas zu<br />
gelangen. In Spanien gibt es keine Live-<br />
Konferenz, schon wegen der unterschiedlichen<br />
Anstoßzeiten.<br />
Dass im Fußball eine Schönheit abseits<br />
von Toren und Torraumszenen existiert,<br />
bringt Guardiola den Leuten vielleicht<br />
bei. Seine Schüler wissen es schon.<br />
Der Nationalspieler Thomas Müller<br />
zum Beispiel hat begriffen, was sein Trainer<br />
will. Nach der Vorführung gegen Manchester<br />
stellte er fest: Dies sei „Fußball,<br />
der glücklich macht“.<br />
◆<br />
DER SPIEGEL 50/2013 139