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Deutsche Stilistik

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decken wie z.B. die Merkmale zeitbedingter Stilideale in der Baukunst, etwa der<br />

Romantik oder Gotik, dennoch wird man den Einfluß solcher überindividu-eller<br />

Faktoren auf den Stil des einzelnen nicht leugnen können. Wir haben es hier mit<br />

einer Erscheinung zu tun, die auch außerhalb der Dichtung feststellbar ist und<br />

leicht ins Auge fällt, wenn man z.B. Zeitungstexte oder -anzeigen aus der<br />

wilhelminischen Zeit mit solchen von heute vergleicht. Auch hier tritt die<br />

Zeitgebundenheit der einzelnen Texte im Wortschatz wie in den syntaktischen<br />

Fügungen deutlich in Erscheinung.<br />

Stil als gattungsgebundene Ausdrucksweise<br />

Der Begriff des Individualstils erfährt jedoch nicht nur durch den Nachweis zeit-<br />

und gruppengebundener Stilerscheinungen manche Einengung; auch<br />

gattungsbedingte Eigenheiten wirken sich auf den Stil eines Werkes aus. So lassen<br />

sich z.B. zwischen Goethes erstem Drama, dem 1773 in einer Umar-beitung<br />

erschienenen »Götz von Berlichingen«, und Goethes erstem Roman, den »Leiden<br />

des jungen Werthers«, der 1774 erschien, trotz mancher stilisti-scher<br />

Gemeinsamkeiten zahlreiche Unterschiede, vor allem im Satzbau, fest-stellen. Hier<br />

haben offenbar zwei verschiedene Gattungsstile die Gemein-samkeiten des<br />

Individualstils zurückgedrängt. Die Anforderungen an die Sprache des Dramas<br />

waren anderer Art als die an einen sentimentalen Roman. Die Sätze eines Dramas,<br />

insbesondere, wenn sie – wie im Sturm und Drang – dem Stilideal der Natürlichkeit<br />

entsprechen wollten, mußten kürzer und umgangssprachlicher sein als die der<br />

Briefe einer zur stillen Lektüre bestimm-ten Briefromans. Die Ansiedlung des<br />

dramatischen Geschehens in der Adels- und Bürgerwelt des 16. Jhs. verlangte<br />

zudem im Wortschatz Anlehnungen an die Ausdrucksweise dieser Zeit und<br />

Gesellschaft sowie die sprachliche Diffe-renzierung ihrer Personen, auch wenn hier<br />

die Auswirkungen des Historismus des 19. Jhs. mit seiner Kolorit- und<br />

Milieunachahmung noch nicht sichtbar sind. Der Gattungsstil des historischen<br />

Dramas ist auf jeden Fall ein anderer als der des empfindsamen Romans. Ähnliche<br />

Stilunterschiede lassen sich zwischen anderen Gattungen im Werk des gleichen<br />

Autors feststellen.<br />

Noch auffallender ist die Gattungsgebundenheit des Stils bei nichlliterarischen<br />

Textsorten (sog. Gebrauchstexten), deren Stil meistens durch den Zweck der Texte<br />

bestimmt wird. Hier kann die individuelle Textgestaltung manchmal ganz<br />

verschwinden und der Formelhaftigkeit Platz machen (z.B. in Geschäftsbriefen).<br />

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