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Deutsche Stilistik

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zwar grammatische Umformungen vertragen (z.B. die nominale Angabe des<br />

Grundes in einen Kausalsatz), nicht aber Rollenvertauschungen, Zeitände-rungen<br />

u.ä. Die stilistische Gestalungsfreiheit bezieht sich auch nur auf die primären<br />

Formmöglichkeiten der Enkodierung einer Information, also auf die Wahl der<br />

syntaktisch-grammatischen Einheiten, der Satzgliedstellung und Wortwahl, nicht<br />

aber auf die internen grammatischen Regularitäten der gewählten Möglichkeiten,<br />

z.B. morphologische Erfordernisse, Erfordernisse des Satztyps, der<br />

Wortbeziehungen usw. Nicht alle sprachlichen Einheitten sind daher stilistisch<br />

relevante Einheiten.<br />

Die Auffassung vom Stil als bestimmter Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten<br />

kann daher nicht so verstanden werden, daß ein Autor bei sprachlichen<br />

Formulierungen willkürlich entscheiden kann. Die Auswahl seiner Sprachmittel<br />

bleibt an die Bedingungen der Information, der kommunikativen Situation, der<br />

traditionellen Text- und Sprachnormen, der Synonymiemöglichkeiten und an die<br />

Regeln des Sprachsystems gebunden, die in manchen Texten (z.B. in der Poesie)<br />

nur in bestimmten Grenzen verletzt werden können. 29<br />

Trotz solcher Einschränkungen wird diese selektive Auffassung vom Stil als<br />

Auswahl besonders innerhalb der Linguistik vertreten, weil dieses Denkmodell<br />

neueren linguistischen Theorien eher entspricht als andere Stilauffassungen. Die<br />

Ansicht, daß gleiche Informationen im Vorgang der Spracherzeugung<br />

(Generierung) in verschiedenen Formulierungen oder ›Oberflächenstrukturen‹<br />

erscheinen können, gehört zum Kern der gegenwärtig dominierenden ›Generativen<br />

Transformationsgrammatik‹. Stilistische Varianten der gleichen Mitteilung können<br />

danach als Transformationen von einfachen Satzstrukturen (so nach Chomskys<br />

Auffassung von 1957) oder als unterschiedliche Oberflächenstrukturen der gleichen<br />

›Tiefenstruktur‹ (so nach Chomskys Auffassung von 1965) verstanden werden. Stil<br />

selbst kann so als »die Art der bei einem Autor dominierenden fakultativen<br />

Transformationen« gelten. 30 Allerdings werden mit dieser linguistischen Erklärung<br />

die stilistischen Bereiche der Bedeutungen und des satzübergreifenden<br />

Darstellungsstils nicht hinlänglich erfaßt.<br />

Eine solche Stilauffassung nach dem Grad der genutzten oder ungenutzten<br />

Wahlmöglichkeiten der Aussageenkodierung läßt sich auch mit den Ergebnissen<br />

der soziolinguistischen Forschung verknüpfen. Bei Vorliegen einer ausgeprägten<br />

Nutzung verschiedener sprachlicher Möglichkeiten wäre dann von einem<br />

elaborierten (ausgearbeiteten, frei verfügbaren) Code, bei der Beschränkung<br />

auf wenige, unvollkommen entwickelte Möglichkeiten von einem restringierten<br />

(eingeschränkten) Code zu sprechen, wie er oft von den Angehörigen sozial<br />

niedriger Schichten benutzt wird. 31<br />

Die Auffassung des Stils als Ergebnis einer bestimmten Wahl von sprachlichen<br />

Zeichen aus verschiedenen Möglichkeiten innerhalb des Ausdrucksinventars einer<br />

Sprache erweist sich somit als die bisher umfassendste Stiltheorie, nicht nur im<br />

Hinblick auf die Einbeziehbarkeit aller sprachlichen Äußerungen, sondern auch im<br />

Hinblick auf ihre Integration in den Gesamtbereich der Sprachwissenschaft. Wir<br />

werden daher dieser Stilauffassung in unseren<br />

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