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Deutsche Stilistik

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erwarten, nicht aber in einer schlichten Erlebnisschilderung, von der die beiden<br />

anderen Sätzen Zeugnis geben. Nun stammen auch nur diese beiden Sätze von<br />

Hermann Hesse. Der mittlere Satz, den wir hier enstellend umformten, lautet bei<br />

Hesse im »Peter Camenzind«:<br />

Der rasche, kühle Bach plätscherte uns so lange kühl verlockend ins Ohr, bis wir<br />

uns entkleideten und uns ins kalte Wasser legten. 15<br />

Er folgt also in der Vorliebe für verbale Vorgangskennzeichnungen den<br />

Stiltendenzen, die in den übrigen Sätzen sichtbar werden.<br />

Unsere Umformung sollte verdeutlichen, daß zur Einheit des Textes auch dessen<br />

stilistische Einheit zählt, was allerdings keine Einförmigkeit bedeutet, sondern nur<br />

die Dominanz bestimmter zweckentsprechender Stilformen (vgl. S. 280 ff.). In<br />

poetischen Texten kann bereits eine geringe Abweichung von der gewählten<br />

Ausdrucksform, zu der manchmal auch Metrik und Reim zählen, einen Stilbruch<br />

bedeuten, wenn auch ein solcher Verstoß keinen Bruch der Texteinheit darstellt.<br />

Selbst in nichtpoetischen Texten gelten derartige Stilbrüche in der Form des<br />

Wechsels der Stilarten als unstatthaft.<br />

Als drittes Merkmal der Einheit eines Textes wurde dessen akustische bzw.<br />

optische Gestaltung genannt. Wenn es sich dabei um recht sekundäre und<br />

wenig exakte Kennzeichen handelt, so sollten sie schon deswegen nicht unerwähnt<br />

bleiben, weil ihnen bestimmte rationale Entscheidungen zugrunde liegen, die<br />

wiederum auf inhaltlichen wie strukturellen Textabgrenzungen beruhen. Akustisch<br />

werden Beginn und Ende eines Textes durch das Erklingen oder Verklingen eines<br />

bestimmten isolierten Redetons angezeigt. Soweit Texte allgemeinen<br />

Kommunikationsbedingungen unterliegen, werden sie meistens in kontinuierlicher<br />

Abfolge gesprochen. Dies gilt vor allem für monologische Texte wie Reden,<br />

Vorträge, Vorlesungen, Bekanntgaben u.ä. Die inhaltlich-strukturelle Texteinheit<br />

wird allerdings dabei vorausgesetzt. Die Texteinheit dialogischer Texte ist<br />

akustisch weniger leicht erfaßbar, doch wird man auch hier die Geschlossenheit der<br />

Redefolge als Krirerium ansehen können, auch wenn es sich im einzelnen um<br />

stilistisch unterschiedliche Redeweisen der Dialogpartner handelt.<br />

Optisch wird die Textbegrenzung und Textgliederung durch die Aufteilung in<br />

Abschnitte, Kapitel, Bücher u.dgl. ermöglicht. Sie ist mitunter nur das Werk eines<br />

Redakteurs, geht aber oft auf bestimmte Gliederungswünsche des Autors zurück,<br />

der damit ein visuell wirksames Stilmittel zu nutzen sucht. Ein großer Teil<br />

moderner Gedichte beispielsweise verlöre beim stillen Lesen seine Wirkung, wenn<br />

die Setzer die Druckanweisungen des Autors nicht beachteten.<br />

Ebenso wie Wortstellung und Interpunktion beispielsweise die Gestaltung und<br />

Wirkung eines Textes mitbestimmen und deshalb von vielen Autoren besonders<br />

beachtet (oder bewußt vernachlässigt werden) (vgl. S. 157ff.), wie ein Vergleich<br />

mancher Dichterhandschriften mit ihren zahlreichen Korrekturen lehrt (z. B.<br />

Hölderlin, Kleist), ebenso kann auch die äußereTextgliederung das Bemühen um<br />

eine besondere Wirksamkeit des Gesagten spiegeln (vgl. S. 160).<br />

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