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THALIA | Reiseziele 49<br />
Fotos: © Archiv Villa Vigoni; Dirk Heißerer<br />
Manzoni in einer Nische der Villa Vigoni<br />
Villa Vigoni<br />
Wagner heiraten sollte. Marie d’Agoult,<br />
die im Streit von Liszt schied, machte sich<br />
als Schriftstellerin unter dem Pseudonym<br />
Daniel Stern einen Namen. Der Roman<br />
über ihre ‚amour fou‘ mit Liszt ist aber noch<br />
nicht geschrieben, der Film dazu noch nicht<br />
gedreht. Er könnte mit einem Spaziergang<br />
der beiden zum Pavillon vor dem „Dante<br />
und Beatrice“-Denkmal (1810) von Giovanni<br />
Battista Comolli beginnen, unterlegt von<br />
Liszts Dante-Sonate (1849).<br />
Manzoni in Lecco<br />
Von Bellagio geht ein Schiff den östlichen<br />
Seearm oder Fluss Adda hinunter nach<br />
Lecco, mit 48.000 Einwohnern etwa halb so<br />
groß wie Como, aber doppelt so bedeutsam<br />
als Lebensort von Alessandro Manzoni und<br />
unter dem Resegone, dem wie ein großes<br />
Sägeblatt gezackten Berg, Schauplatz des<br />
Romans „Die Verlobten“ oder „Die Brautleute“<br />
(I promessi sposi) (1827/1842). „Jener<br />
Arm des Comer Sees, der sich nach Süden<br />
wendet“ – jedes Schulkind in Italien kennt<br />
den Anfang des Romans, einer Geschichte<br />
aus der Gegend zwischen Lecco, Bergamo<br />
und Mailand in den Jahren 1628 bis 1630.<br />
Der Roman schildert keine Heldengeschichte,<br />
sondern die krasse Alltagsrealität eines<br />
einfachen jungen Brautpaars, Lucia und<br />
Renzo, dem ein Despot (Don Rodrigo) die<br />
Hochzeit verbietet, um die junge Frau in<br />
seine Gewalt zu bekommen. Ein einzigartiger<br />
Spannungsbogen zwischen Schrecken<br />
und Katastrophen, politischer Willkür eines<br />
Tyrannen und dem Massensterben durch<br />
die Pest. Wer in Italien kennt nicht die unsterblichen<br />
Typen des Romans, allen voran<br />
den Priester Don Abbondio, den Hasenfuß<br />
schlechthin, und seine Haushälterin, die<br />
schlagfertige Perpetua. Und jeder doppelzüngige<br />
Winkeladvokat ist ein Dottore<br />
Azeccagarbugli; in Lecco heißt nach ihm<br />
sogar eine Bar.<br />
Nicht weit ist es vom Hafen zur Piazza<br />
Manzoni mit dem Bronzedenkmal von<br />
Francesco Confalonieri (1891): Der ältere<br />
Manzoni auf einem Sessel, in der Hand ein<br />
Manuskript und unter sich auf dem Sockel<br />
als Bronzereliefs drei entscheidende Szenen<br />
des Romans: Lucia fällt unter die Räuber,<br />
Don Rodrigo stirbt an der Pest und das<br />
wieder vereinte Brautpaar schreitet aus<br />
dem Rahmen in die Zukunft hinein. Zwei<br />
Busstationen weiter liegt die Villa Il Caleotto,<br />
der einstige Gutshof, wo Manzoni seine Jugendjahre<br />
verbrachte. Heute ist hier in zehn<br />
Sälen das Museo Manzoniano eingerichtet,<br />
und an der Kasse gibt es eine Karte mit 14<br />
Stationen innerhalb und außerhalb von<br />
Lecco, die mit dem Roman in Verbindung<br />
gebracht werden (wie di Casa di Lucia oder<br />
die Chiesa di San Abbondio). Nur die Stille<br />
von einst will sich in den versteckten Winkeln<br />
der lärmenden Autostadt nicht mehr<br />
so recht einstellen.<br />
Goethe und die Villa Vigoni<br />
Einer der ersten Leser der dreibändigen Erstausgabe<br />
(1827) von Manzonis Roman war<br />
Geheimrat Goethe in Weimar, der seinem<br />
getreuen Chronisten Eckermann und durch<br />
ihn der Mit- und Nachwelt mitteilte, „daß<br />
Manzonis Roman alles überflügelt, was wir<br />
in dieser Art kennen“. Die Büchersendung<br />
angeregt hatte der aus Frankfurt am Main<br />
gebürtige, seit langem in Mailand ansässige<br />
Textilunternehmer und Bankier Heinrich<br />
Mylius, dessen Gattin, Friederike Schnauss,<br />
durch ihre höfischen Beziehungen nach<br />
Weimar zum Großherzog Karl August auch<br />
Goethe persönlich kannte. Auf Manzoni aufmerksam<br />
gemacht hatte die beiden wiederum<br />
der Mailänder Numismatiker Gaetano<br />
Cattaneo, und so leitete das Ehepaar Mylius<br />
die einzigartige Rezeptionsgeschichte Manzonis<br />
in Deutschland via Goethe ein.<br />
Seit 1829 besaßen Heinrich und Friederike<br />
Mylius eine Villa in Loveno, oberhalb von<br />
Menaggio, mit Blick auf Bellagio. Das Landhaus<br />
mit kostbaren Möbeln und Gemälden,<br />
einem weitläufigen Park mit Skulpturen und<br />
einem Mausoleum ging nach dem plötzlichen<br />
Tod (1830) des Sohnes Giuglio Mylius<br />
Lucia und Renzo am Manzoni-<br />
Denkmal (1891) in Lecco<br />
Blick von der Villa Vigoni auf Bellagio