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Thalia magazine

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THALIA | Lieblingsbild<br />

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hat. Es ist offensichtlich, wie Meryl bei vielen über die Savanne reitet<br />

und sie wie eine Löwin mit Robert Redford, der Dennis Finch-Hatton<br />

verkörpert, im Gras liegt. Und Dennis Finch-Hatton und damit Robert<br />

Redford hatte die wahre Blixen zweifellos ebenfalls fest im Griff. Um<br />

es klar und deutlich zu sagen: Niemand weiß im Falle der Blixen wirklich,<br />

was eine gute Geschichte und was die Realität ist, aber bei einer<br />

Sache kann man wirklich sicher sein: Sie ist ein heftiges Gespenst.<br />

Karen Blixen war, dies ist auf dem Foto zu sehen, ein kleiner, abgemagerter,<br />

zerbrechlicher Vogelmensch mit entzündeten Augen. Aber<br />

sie war auch eine grandiose Schriftstellerin, eine geborene Erzählerin,<br />

eine international bekannte Prominente, die sich mit Marilyn Monroe<br />

duzte, und noch Schlimmeres. So wie sie dort im Eingangsbereich<br />

hängt, wirkt sie allzu intensiv auf mich. Die Schriftstellerin Suzanne<br />

Brøgger hat einmal zu mir gesagt, dass Karen Blixen jenseits von Gut<br />

und Böse agierte. Es ist ein tolles Foto, das vielleicht nur eine Persönlichkeit<br />

zeigt, die sich selbst freie Hand gegeben hat. Als ich Kind war,<br />

redete man darüber, dass Blixen sich in Afrika bei ihrem Mann mit<br />

Syphilis angesteckt hatte. Deshalb konnte sie keine Kinder bekommen,<br />

und deshalb sah sie aus wie eine Stecknadel. Blixen selbst schaffte<br />

sich ihren eigenen Mythos, wenn sie erzählte, wie sie im Krankenhaus<br />

lag, um besagte Syphilis behandeln zu lassen, als es in ihrem Zimmer<br />

plötzlich zu einer Art Verdichtung kam. Jemand anderer war bei ihr.<br />

Jemand, der ihre Situation nicht für tragisch hielt, sondern für Fun.<br />

Es war der Teufel, und sie ging einen Pakt mit ihm ein: Wenn sie ihm<br />

ihre Seele gab, würde sie dafür imstande sein, alles, was sie erlebte,<br />

in Erzählungen zu verwandeln. Diese Geschichte hat Blixen gern<br />

ihren jungen Proselyten erzählt, und die haben sie verschlungen.<br />

Spätere Forschungsergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass der<br />

eigentliche Grund für Frau Blixens transparente Gestalt ihre Essstörungen<br />

waren; das Gesicht gehört nicht nur zu einer mit Quecksilber<br />

behandelten Syphilitikerin, sondern auch zu einer Anorektikerin, die<br />

nur eines vor Augen hat: Die volle Kontrolle über ihr eigenes und<br />

anderer Menschen Dasein zu erlangen.<br />

Vor ein paar Jahren hat der Filmregisseur Morten Henriksen einen<br />

einzigartigen Film über sie gedreht. Sein Vater, der Literaturprofessor<br />

Aage Henriksen, war einer der jungen Männer gewesen, deren<br />

Begegnung mit Karen Blixen folgenschwer waren. Die Manipulationen<br />

und das Katz-und-Maus-Spielen der Baronesse hatten Spuren in<br />

Henriksens Körper und seiner Psyche hinterlassen. Die Geschichten<br />

über Blixen als Mondanbeterin und Hexe waren Teil des Erbes, als<br />

der Sohn Morten kurz vor dem Tod seines Vaters beschloss, sich mit<br />

den Erzählungen seiner Kindheit über die okkulten Seiten Blixens<br />

auseinanderzusetzen. Der Film heißt „Bag Blixens Maske“ (Hinter<br />

Blixens Maske) und wirft ein Schlaglicht auf eine große Schriftstellerin<br />

mit einem dämonischen Inneren. Ihre Fähigkeiten übertrafen die<br />

der meisten Menschen, denen sie begegnete. Das verschaffte ihr die<br />

Möglichkeit, sie an der Nase herumzuführen – doch ausgesehen wie<br />

Meryl Streep hat sie niemals. Man kann durchaus auf die Idee kommen,<br />

dass selbst Streep eine Figur ist, die Blixen geschaffen hat: eine<br />

Erzählung, herausgeschnitten aus der Wirklichkeit, aber weit entfernt<br />

von der Wahrheit.<br />

Und so hängt sie also in meinem Eingangsbereich. Jedes Mal, wenn<br />

ich aus dem Haus gehe, muss ich an ihr vorbei, und jedes Mal, wenn<br />

ich hineingehe. Und ich schreibe diese Behauptungen nieder, wohl<br />

wissend, dass sie ein heftiges Gespenst ist.<br />

Möge sie mich gnädig ansehen.<br />

Foto: © Simon Klein Knudsen<br />

Dorthe Nors<br />

Handkantenschlag<br />

Erzählungen, aus dem Dänischen<br />

von Ulrich Sonnenberg<br />

170 Seiten, 17,99 €<br />

ISBN 978-3-95510-070-4<br />

Osburg Verlag<br />

Dorthe Nors<br />

wurde 1970 in Herning, Dänemark, geboren und studierte Literaturwissenschaft<br />

und Kunstgeschichte an der Aarhus-Universität.<br />

2001 erschien ihr erster Roman Soul, dem drei weitere Romane<br />

folgten. Kantslag erschien 2008 in Dänemark und ermöglichte ihr<br />

den Durchbruch in den Vereinigten Staaten: Im Februar 2014 erschien<br />

der Erzählband im Verlag Graywolf Press – mit zahlreichen<br />

Besprechungen in allen großen US-Zeitungen. Die Veröffentlichung<br />

in Großbritannien und Tschechien ist geplant. Im September<br />

2014 wurde ihr für Handkantenschlag der Per-Olov-Enquist-<br />

Preis 2014 verliehen. Dorthe Nors lebt in Dollerup, Dänemark.

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