Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
THALIA | Lieblingsbild<br />
65<br />
hat. Es ist offensichtlich, wie Meryl bei vielen über die Savanne reitet<br />
und sie wie eine Löwin mit Robert Redford, der Dennis Finch-Hatton<br />
verkörpert, im Gras liegt. Und Dennis Finch-Hatton und damit Robert<br />
Redford hatte die wahre Blixen zweifellos ebenfalls fest im Griff. Um<br />
es klar und deutlich zu sagen: Niemand weiß im Falle der Blixen wirklich,<br />
was eine gute Geschichte und was die Realität ist, aber bei einer<br />
Sache kann man wirklich sicher sein: Sie ist ein heftiges Gespenst.<br />
Karen Blixen war, dies ist auf dem Foto zu sehen, ein kleiner, abgemagerter,<br />
zerbrechlicher Vogelmensch mit entzündeten Augen. Aber<br />
sie war auch eine grandiose Schriftstellerin, eine geborene Erzählerin,<br />
eine international bekannte Prominente, die sich mit Marilyn Monroe<br />
duzte, und noch Schlimmeres. So wie sie dort im Eingangsbereich<br />
hängt, wirkt sie allzu intensiv auf mich. Die Schriftstellerin Suzanne<br />
Brøgger hat einmal zu mir gesagt, dass Karen Blixen jenseits von Gut<br />
und Böse agierte. Es ist ein tolles Foto, das vielleicht nur eine Persönlichkeit<br />
zeigt, die sich selbst freie Hand gegeben hat. Als ich Kind war,<br />
redete man darüber, dass Blixen sich in Afrika bei ihrem Mann mit<br />
Syphilis angesteckt hatte. Deshalb konnte sie keine Kinder bekommen,<br />
und deshalb sah sie aus wie eine Stecknadel. Blixen selbst schaffte<br />
sich ihren eigenen Mythos, wenn sie erzählte, wie sie im Krankenhaus<br />
lag, um besagte Syphilis behandeln zu lassen, als es in ihrem Zimmer<br />
plötzlich zu einer Art Verdichtung kam. Jemand anderer war bei ihr.<br />
Jemand, der ihre Situation nicht für tragisch hielt, sondern für Fun.<br />
Es war der Teufel, und sie ging einen Pakt mit ihm ein: Wenn sie ihm<br />
ihre Seele gab, würde sie dafür imstande sein, alles, was sie erlebte,<br />
in Erzählungen zu verwandeln. Diese Geschichte hat Blixen gern<br />
ihren jungen Proselyten erzählt, und die haben sie verschlungen.<br />
Spätere Forschungsergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass der<br />
eigentliche Grund für Frau Blixens transparente Gestalt ihre Essstörungen<br />
waren; das Gesicht gehört nicht nur zu einer mit Quecksilber<br />
behandelten Syphilitikerin, sondern auch zu einer Anorektikerin, die<br />
nur eines vor Augen hat: Die volle Kontrolle über ihr eigenes und<br />
anderer Menschen Dasein zu erlangen.<br />
Vor ein paar Jahren hat der Filmregisseur Morten Henriksen einen<br />
einzigartigen Film über sie gedreht. Sein Vater, der Literaturprofessor<br />
Aage Henriksen, war einer der jungen Männer gewesen, deren<br />
Begegnung mit Karen Blixen folgenschwer waren. Die Manipulationen<br />
und das Katz-und-Maus-Spielen der Baronesse hatten Spuren in<br />
Henriksens Körper und seiner Psyche hinterlassen. Die Geschichten<br />
über Blixen als Mondanbeterin und Hexe waren Teil des Erbes, als<br />
der Sohn Morten kurz vor dem Tod seines Vaters beschloss, sich mit<br />
den Erzählungen seiner Kindheit über die okkulten Seiten Blixens<br />
auseinanderzusetzen. Der Film heißt „Bag Blixens Maske“ (Hinter<br />
Blixens Maske) und wirft ein Schlaglicht auf eine große Schriftstellerin<br />
mit einem dämonischen Inneren. Ihre Fähigkeiten übertrafen die<br />
der meisten Menschen, denen sie begegnete. Das verschaffte ihr die<br />
Möglichkeit, sie an der Nase herumzuführen – doch ausgesehen wie<br />
Meryl Streep hat sie niemals. Man kann durchaus auf die Idee kommen,<br />
dass selbst Streep eine Figur ist, die Blixen geschaffen hat: eine<br />
Erzählung, herausgeschnitten aus der Wirklichkeit, aber weit entfernt<br />
von der Wahrheit.<br />
Und so hängt sie also in meinem Eingangsbereich. Jedes Mal, wenn<br />
ich aus dem Haus gehe, muss ich an ihr vorbei, und jedes Mal, wenn<br />
ich hineingehe. Und ich schreibe diese Behauptungen nieder, wohl<br />
wissend, dass sie ein heftiges Gespenst ist.<br />
Möge sie mich gnädig ansehen.<br />
Foto: © Simon Klein Knudsen<br />
Dorthe Nors<br />
Handkantenschlag<br />
Erzählungen, aus dem Dänischen<br />
von Ulrich Sonnenberg<br />
170 Seiten, 17,99 €<br />
ISBN 978-3-95510-070-4<br />
Osburg Verlag<br />
Dorthe Nors<br />
wurde 1970 in Herning, Dänemark, geboren und studierte Literaturwissenschaft<br />
und Kunstgeschichte an der Aarhus-Universität.<br />
2001 erschien ihr erster Roman Soul, dem drei weitere Romane<br />
folgten. Kantslag erschien 2008 in Dänemark und ermöglichte ihr<br />
den Durchbruch in den Vereinigten Staaten: Im Februar 2014 erschien<br />
der Erzählband im Verlag Graywolf Press – mit zahlreichen<br />
Besprechungen in allen großen US-Zeitungen. Die Veröffentlichung<br />
in Großbritannien und Tschechien ist geplant. Im September<br />
2014 wurde ihr für Handkantenschlag der Per-Olov-Enquist-<br />
Preis 2014 verliehen. Dorthe Nors lebt in Dollerup, Dänemark.