Jahresbericht 2009 - Murg Stiftung
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Psychotherapie über das Internet<br />
Dr. med. Daniel Minder, Oberarzt<br />
In den letzten Jahren haben sich die<br />
Gewohnheiten der Kommunikation<br />
und Informationsbeschaffung durch<br />
die elektronischen Medien stark verändert.<br />
Es erstaunt deswegen nicht,<br />
dass man zunehmend auch versucht,<br />
die elektronischen Medien für die<br />
Psychotherapie zu nutzen. Eine interessante Möglichkeit ist<br />
dabei eine Psychotherapie, bei der der Patient und der Therapeut<br />
ausschliesslich über das Internet in Verbindung stehen.<br />
Es wird beispielsweise per E-Mail kommuniziert oder es<br />
werden auf Webseiten Programme zum Absolvieren bereitgestellt,<br />
die in der Regel Diagnostik mit Hilfe eines Fragebogens,<br />
Informationen über das Krankheitsbild, Schreibaufgaben<br />
und Rückmeldungen eines Therapeuten beinhalten.<br />
Meist werden dabei kognitiv-verhaltenstherapeutische Therapieansätze<br />
angewandt.<br />
Erfahrungen mit Psychotherapie über das Internet hat<br />
man vor allem mit Patienten mit Angststörungen, Zwangsstörungen,<br />
komplizierter Trauer, leichten bis mittelschweren<br />
depressiven Zuständen und posttraumatischen Belastungsstörungen<br />
gemacht. Dabei ergaben die bisher durchgeführten<br />
Studien, dass für diese Störungsbilder die Wirksamkeit<br />
und die Patientenzufriedenheit bei der Psychotherapie über<br />
das Internet etwa gleich sind wie bei der konventionellen<br />
Psychotherapie.<br />
Aufgrund der bisherigen vielversprechenden Erfahrungen<br />
ist damit zu rechnen, dass diese Form von Therapie an Bedeutung<br />
gewinnen wird.<br />
Die Vorteile einer solchen Therapie sind die örtliche und<br />
zeitliche Unabhängigkeit von Patient und Therapeut und<br />
die meist niedrigeren Kosten. Schriftliche Informationen<br />
können differenzierter formuliert werden und es besteht die<br />
Möglichkeit, etwas mehrmals nachzulesen.<br />
Ein interessanter Punkt ist die Auswirkung auf die therapeutische<br />
Beziehung, die als einer der wichtigsten Wirkfaktoren<br />
in der Psychotherapie angesehen wird. Erste Untersuchungen<br />
diesbezüglich haben ergeben, dass die therapeutische<br />
Beziehung bei der Behandlung übers Internet gleich gut<br />
oder sogar eher besser ist. Dieses auf den ersten Blick überraschende<br />
Resultat kann damit erklärt werden, dass mehr<br />
Anonymität zu vermehrter Offenheit führen kann und dass<br />
die fehlende Information über den Gesprächspartner oft zu<br />
positiven Vorstellungen über dessen Eigenschaften führt.<br />
Auf der anderen Seite werden durch die fehlenden Informationen<br />
über den Patienten für den Therapeuten natürlich<br />
Diagnostik und Behandlung erschwert. Über das Internet<br />
sind nonverbale Informationen wie zum Beispiel Mimik,<br />
Gestik oder Tempo und Intonation der Sprache nicht oder<br />
nur sehr beschränkt beobachtbar.<br />
Kritische Stimmen unter den Fachleuten meinen denn<br />
auch, dass aufgrund der fehlenden nonverbalen Informationen<br />
keine verlässliche Diagnostik betrieben und somit<br />
auch keine seriöse Behandlung durchgeführt werden könne.<br />
Zudem würden die fehlenden Informationen über den<br />
Therapeuten nur bei den gesünderen Patienten zu positiven<br />
Vorstellungen über dessen Eigenschaften führen, bei schwerer<br />
Kranken könne aber genau das Gegenteil passieren, was<br />
beispielsweise Misstrauen noch verstärken könne.<br />
Einig ist man sich darin, dass für die Behandlung von<br />
Patienten, bei denen die nonverbale Information sehr wichtig<br />
ist oder bei denen Krisen auftreten, die eine rasche Intervention<br />
erfordern, eine Therapie über das Internet nicht<br />
empfehlenswert ist. Dazu gehören Patienten mit Psychosen,<br />
schweren Depressionen, dissoziativen Symptomen, starkem<br />
Drogenkonsum oder Suizidgefahr.<br />
In den USA gehören Online-Therapien mittlerweile zum<br />
gängigen Angebot im Gesundheitswesen. In den Niederlanden,<br />
Schweden, Grossbritannien und Australien werden die<br />
Kosten von bestimmten Psychotherapien über das Internet<br />
bereits von den meisten Krankenkassen oder vom Staat übernommen.<br />
In der Schweiz sind solche Angebote erst in der Entstehung.<br />
An den Universitäten Bern und Zürich werden Studien<br />
zur Wirksamkeit von Psychotherapie übers Internet<br />
durchgeführt. Im Sommer <strong>2009</strong> ist in der Schweiz das erste<br />
grössere Internetportal (www.psy-help-online.ch), das online<br />
eine Therapie anbietet, lanciert worden.<br />
In der Schweiz wird Psychotherapie über das Internet jedoch<br />
(noch?) nicht von den Krankenkassen übernommen.<br />
Vom EPD ist, unter anderem deswegen, in nächster Zukunft<br />
nicht geplant, Psychotherapie über das Internet anzubieten.<br />
Vorausgesetzt weitere Studien bestätigen die gute Wirksamkeit,<br />
kann die Internet-Therapie aber mittelfristig für den<br />
EPD durchhaus eine Option werden.<br />
Literatur:<br />
Wagner, Brigit. Die virtuelle Couch – Psychotherapie im Internet.<br />
Schweizerische Ärztezeitung. 2008, 89 (34), S. 1457–<br />
1460 (www.saez.ch/pdf_d/2008/2008-34/2008-34-533.PDF)<br />
Puls. Psychotherapie via Internet. Schweizer Fernsehen SF 1.<br />
Sendung vom 14.12.09 (www.sf.tv/sendungen/puls/merkblatt.php?docid=<strong>2009</strong>1214-2)<br />
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