22. GroÃer Bürger- und Polizeiball - bei Polizeifeste.de
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Karin Lange<br />
Amoklauf<br />
von damals zu konfrontieren. Gabriele<br />
Sonsmann, Verwaltungsdirektorin <strong>de</strong>s<br />
Marienkrankenhauses, das erste Verletzte<br />
aufnahm, erinnert sich, dass die Ärzte<br />
damals nicht sofort durch die Polizeibarrika<strong>de</strong>n<br />
kamen. „Jetzt gibt es Absprachen<br />
mit <strong>de</strong>r Polizei, damit so etwas nicht mehr passieren<br />
kann“, sagte Sonsmann<br />
Sieger in <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>s Spiels<br />
Geht es um gewalttätige Vi<strong>de</strong>ospiele im<br />
Internet, wie Counter-Strike o<strong>de</strong>r doom,<br />
dann ist Sebastian, von seinen Mitschülern<br />
„Basti“ genannt, nicht mehr zurückgezogen.<br />
Er ist dann in seiner Welt, dann<br />
wird er aktiv. Sogar <strong>bei</strong> Kriegsspielen im<br />
Wald steht er – teils schwer bewaffnet im<br />
Tarnanzug – in vor<strong>de</strong>rster Front. Jugendforscher<br />
Professor Klaus Hurrelmann<br />
bringt es wie folgt auf <strong>de</strong>n Punkt: „In <strong>de</strong>r<br />
fiktiven Welt <strong>de</strong>s Spiels war er kein Verlierer,<br />
er fühlte sich stark.“<br />
Selbsthass <strong>und</strong> Erniedrigung<br />
Sein Internettagebuch gleicht erschrecken<strong>de</strong>n<br />
Hassäußerungen. „Ich lerne nicht<br />
mehr, ich beteilige mich nicht mehr <strong>und</strong> ich<br />
tue eigentlich gar nichts mehr, außer vor<br />
mich hinvegetieren. Es ist die Hölle auf<br />
Er<strong>de</strong>n…“, heißt es in einem Eintrag vom<br />
7. Juli 2005. Sebastian B. fühlt sich erniedrigt,<br />
ge<strong>de</strong>mütigt sowohl von Lehren als<br />
auch von Mitschülern. „Ich hasse es immer<br />
<strong>de</strong>r Doofmann für alle zu sein“, schrieb er<br />
am 23. Mai. Zuvor berichtet er über seelische<br />
W<strong>und</strong>en, die ihm vor allem zwischen<br />
<strong>de</strong>r 5. <strong>und</strong> 8. Klasse zugefügt wor<strong>de</strong>n<br />
seien. Einmal sei ihm ein glühen<strong>de</strong>r Fahrradschlüssel<br />
auf <strong>de</strong>r Hand ausgedrückt<br />
wor<strong>de</strong>n.<br />
Letzte Zuflucht: Netzwelt<br />
Experten meinen, es sei ein <strong>de</strong>utliches<br />
Warnzeichen, wenn Jugendliche nur noch<br />
vor <strong>de</strong>m PC sitzen. Gera<strong>de</strong> <strong>bei</strong> jungen<br />
Männern seien oft psychische Krankheiten<br />
schuld, dass sie sich in die virtuelle<br />
Welt <strong>de</strong>s Internets stürzen. „Die Betroffenen<br />
ziehen sich <strong>de</strong>primiert in eine an<strong>de</strong>re Welt<br />
zurück. Sie flüchten aus <strong>de</strong>r Realität“, sagt<br />
Bert te Wild von <strong>de</strong>r Medizinischen Hochschule<br />
Hannover. Innerhalb einer Studie<br />
untersuchte er 23 Proban<strong>de</strong>n, die sich über<br />
einen langen Zeitraum täglich mehr als<br />
sechs St<strong>und</strong>en im Internet aufgehalten<br />
haben. Das Ergebnis: Von <strong>de</strong>n Untersuchten<br />
wiesen 80 Prozent Depressionen auf,<br />
an<strong>de</strong>re Angst- o<strong>de</strong>r Persönlichkeitsstörungen.<br />
Ein Mensch wie Sebastian B. passe<br />
genau in dieses Bild, sagte Wildt. In <strong>de</strong>r<br />
Realität habe sich <strong>de</strong>r 18-jährige zum ständigen<br />
Verlierer <strong>und</strong> als „Doofmensch“<br />
abgestempelt gefühlt. Dagegen habe er<br />
sich im Internet in Kampfvi<strong>de</strong>os als mächtigen<br />
Mann darstellen können. Bezogen<br />
auf die Internetforen habe ihn niemand<br />
unterbrochen o<strong>de</strong>r ausgelacht. Das Internet<br />
wur<strong>de</strong> als Möglichkeit gesehen, vor<br />
<strong>de</strong>r Krankheit wegzulaufen. „Online fin<strong>de</strong>n<br />
sie oft, was ihnen im richtigen Leben fehlt:<br />
Kontakte, Gruppengefühl, vielleicht sogar eine<br />
Romanze“, sagte<br />
Wildt. Dieses führe<br />
<strong>bei</strong> machen Menschen<br />
so weit, dass<br />
sie sich etwa mehr<br />
als 15 St<strong>und</strong>en pro<br />
Tag in Online-Rollenspiele<br />
zurückziehen<br />
<strong>und</strong> da<strong>bei</strong> verwahrlosen.<br />
„Ich kenne<br />
Fälle, da wur<strong>de</strong> bis<br />
zur Räumungsklage<br />
keine Miete mehr gezahlt, nicht mehr gegessen<br />
<strong>und</strong> nicht mehr ans Telefon gegangen“.<br />
Die Waffe vermittelt für<br />
kurze Zeit ein Gefühl <strong>de</strong>r<br />
totalen Kontrolle<br />
Die Amoktäter Robert S., Sebastian B.,<br />
Matti S. <strong>und</strong> jetzt Tim K. haben nicht<br />
durch Zufall ähnliche Lebensläufe. In<br />
ihrem Leben fan<strong>de</strong>n sie sich nicht mehr<br />
zurecht, sie fühlten sich ge<strong>de</strong>mütigt; sie<br />
waren jung, männlich <strong>und</strong> frustriert. Laut<br />
Aussage von Joachim Kersten, Soziologe<br />
an <strong>de</strong>r Deutschen Hochschule <strong>de</strong>r Polizei<br />
in Münster, haben die Täter einen gemeinsamen<br />
Auftritt, ob Erfurt, Ems<strong>de</strong>tten,<br />
Finnland o<strong>de</strong>r jetzt Winnen<strong>de</strong>n. Weiter-<br />
Warum passierte, was<br />
passiert ist?<br />
Diese Frage verfolgt die<br />
Überleben<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m<br />
Amoklauf genauso beharrlich,<br />
wie die grausigen<br />
Bil<strong>de</strong>r vom Geschehen.<br />
hin erklärt Kersten: „Durch Demütigungen,<br />
die <strong>de</strong>r Täter ertragen hat, sieht er sich<br />
selbst als Opfer“. Die negativen Ereignisse,<br />
die diese jungen Männer erfahren, empfin<strong>de</strong>n<br />
sie schnell als Kränkungen. „Der<br />
Täter ist isoliert, aber auch kein Unbekannter<br />
seiner Umgebung“, sagt Kersten. Eine<br />
zurückhalten<strong>de</strong>, eher fre<strong>und</strong>liche Art sei<br />
typisch. Oft habe <strong>de</strong>r Täter ein Problem<br />
mit seinem Selbst, als schwach <strong>und</strong> klein<br />
empfin<strong>de</strong>t er sich. Gepaart mit <strong>de</strong>r Faszination<br />
für Waffen <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Gedanken an<br />
Gewalt wer<strong>de</strong> die „Selbstaufrichtung“<br />
zum zentralen Thema seines Lebens, so<br />
Kersten. Der Nachahmungseffekt kann<br />
Auslöser für eine Tat sein, ergänzt Kersten.<br />
Von <strong>de</strong>m Amokschützen wird die<br />
Gewalthandlung regelrecht inszeniert.<br />
Der Täter nimmt da<strong>bei</strong> seinen eigenen<br />
Tod in Kauf. Wenn er die Bil<strong>de</strong>r eines<br />
an<strong>de</strong>ren Massakers sieht, so will er genauso<br />
groß <strong>und</strong> beherrschend<br />
sein, wie<br />
das, was er sich<br />
angeschaut hat,<br />
erklärt Kersten.<br />
Zum typischen Profil<br />
<strong>de</strong>r Umstän<strong>de</strong><br />
gehöre, dass <strong>de</strong>r<br />
Täter über Waffen<br />
verfügt, wie in Winnen<strong>de</strong>n.<br />
Laut Experte<br />
han<strong>de</strong>lt <strong>de</strong>r Täter<br />
nicht im Affekt. Vielmehr sei die Tat <strong>de</strong>r<br />
Abschluss unbewältigter Konflikte <strong>und</strong><br />
einer oft jahrelangen Fehlentwicklung.<br />
Als „Moving targets“ (Ziele in Bewegung)<br />
nimmt <strong>de</strong>r Amokläufer Menschen<br />
nur noch wahr. Kersten erklärt, „er erlebe<br />
<strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>s inneren Selbst“. Trotz<strong>de</strong>m die<br />
Steuerung <strong>de</strong>r Impulse ausgeschaltet ist,<br />
wirkt er während <strong>de</strong>r Bluttat kontrolliert,<br />
berechnend <strong>und</strong> klar; schießt jedoch<br />
wahllos auf alles was sich bewegt, für ihn<br />
erkennbar noch lebt. Lehrer <strong>und</strong> Schüler,<br />
von <strong>de</strong>nen er sich beleidigt fühlt, können<br />
die ersten Opfer sein, sagt Kersten. Dann<br />
schießt er willkürlich. Die Frage, auf die<br />
es nie eine Antwort geben wird: Warum<br />
passierte, was passiert ist?<br />
Diese Frage verfolgt die Überleben<strong>de</strong>n<br />
nach <strong>de</strong>m Amoklauf genauso beharrlich<br />
wie die grausigen Bil<strong>de</strong>r vom Geschehen.<br />
Literatur <strong>und</strong> Quellenangaben: Der Spiegel Nr. 12/16.März 2009, S. 31 ff.,<br />
FOCUS Nr. 12/16. März 2009 S.27 ff., Rheinische Post, Donnerstag 12. März 2009,<br />
A3 Land & Leute/A4 Politik, www.wdr.<strong>de</strong> themen/panorama, H. Scheithauer/R. Bondü,<br />
Amoklauf/Wissen was stimmt, Verlag Her<strong>de</strong>r Freiburg im Breisgau 2008<br />
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