Max Ernst - Artinside - Das Museumsmagazin der Region Basel
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Mademoiselle Léonie, 1910<br />
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Es gibt noch solche kubistischen Gemälde in Basler Privatbesitz!<br />
Ein Gemälde aus dem Jahr 1910, die Mademoiselle Léonie. Hier möchte<br />
Picasso den Porträtkopf, <strong>der</strong> nicht wirklich ein Porträtkopf ist, in Flächen<br />
auflösen. Auf den ersten Blick denkt man, das Bild nähere sich<br />
<strong>der</strong> Abstraktion, und es gab auch keine echte Mademoiselle Léonie –<br />
den Namen hatte er aus einem Roman. Doch im Nachlass Picassos<br />
sind zahlreiche Fotos aufgetaucht, und eine dieser Fotografien zeigt<br />
eine Schauspielerin in Barcelona, nach <strong>der</strong> er dieses Bild gemalt haben<br />
muss.<br />
Wenn man die Fotografie mit dem Bild vergleicht – die runde<br />
Gesichtsform, die Haarlocke – dann hat das Gemälde fast eine Porträtähnlichkeit,<br />
die wirklich verblüffend zutreffend ist. Picasso nutzt<br />
dabei eine Technik, wie sie Karikaturisten verwenden: Intuitiv erfasst<br />
er charakteristische Merkmale einer Person, die er dann gezielt einsetzt.<br />
Dann reduziert er alles Übrige und schaut, wie viel Abstraktion<br />
er zulassen kann. Er hat diese Grenzen bewusst ausgelotet, denn<br />
<strong>der</strong> ganze Spass fällt natürlich in sich zusammen, wenn man sagt: Ich<br />
mach nur noch vier Ecken. Picasso ist einer <strong>der</strong> wichtigsten Pioniere<br />
<strong>der</strong> abstrakten Kunst, aber es gibt quasi kein wirklich abstraktes Werk<br />
von Picasso, weil er immer in diesem Spannungsverhältnis geblieben<br />
ist und die Realität bewusst nie ganz verlassen hat.<br />
” Nina Zimmer<br />
Pablo Picasso, Mademoiselle Léonie, 1910<br />
La tasse (Le bouillon KUB), 1912<br />
“<br />
Diese Trouvaille haben wir beson<strong>der</strong>s gerne. Diese ganz kleine Holztafel als Depositum<br />
aus Privatbesitz. Sie stammt aus dem Jahr 1912, gegen Ende des Kubismus, und weil das Bild so<br />
klein ist, können wir es nur selten hängen. Picasso erlaubt sich hier einen Witz. Der Ausdruck<br />
Kubismus wurde von <strong>der</strong> Kunstkritik als Schimpfbegriff verwendet. Die Maggi-Suppenwürfel,<br />
in Frankreich «Bouillon CUBE» genannt, hatten damals eine Werbekampagne, in <strong>der</strong> sich<br />
<strong>der</strong> Suppenwürfel dreidimensional auflöste. <strong>Das</strong> war für Picasso ein gefundenes Fressen. Die<br />
Bouillon Kub, das wörtliche Auflösen dieses Würfels, setzte er auf diesem Bild um: Er würfelt<br />
das ganze Stillleben auf, löst das Bild auf und nennt es schlicht «Die Tasse».<br />
Er macht sich nicht nur einen Spass daraus, er tut dies auch mit grosser Unbeirrbarkeit.<br />
Diese Sicherheit ergab sich aus <strong>der</strong> Konstellation mit Georges Braque, mit dem er ja gemeinsam<br />
den Kubismus entwickelt hatte. Die beiden waren sich gegenseitig Stütze – sie waren<br />
füreinan<strong>der</strong> auch ihr eigenes Publikum. Vielleicht hat er das Bild auch für Braque gemalt, um<br />
diesen Witz für ihn zu formulieren.<br />
” Nina Zimmer<br />
Pablo Picasso, Bouteille sur une table, 1912<br />
Bouteille sur une table, 1912<br />
“<br />
Dies ist ein revolutionäres Werk, auch wenn es bescheiden daherkommt.<br />
Denn in <strong>der</strong> Phase des Kubismus ist auch im Bereich <strong>der</strong><br />
Zeichnung bei Picasso extrem viel passiert. Die Künstler begannen,<br />
ein Stück Zeitungspapier o<strong>der</strong> Tapete aufs Zeichnungspapier zu kleben<br />
– eine Neuerung, die bis heute die Kunst prägt. Gerade heute ist<br />
die Collage wie<strong>der</strong> sehr aktuell.<br />
Bis zu jenem Zeitpunkt war das Bild o<strong>der</strong> die Zeichnung eine Fläche,<br />
auf <strong>der</strong> <strong>der</strong> Künstler die Illusion des Raumes, die Dreidimensionalität<br />
erreichen wollte. Durch die Collage wurde mit dieser Illusion<br />
radikal gebrochen. Aus dieser Zeit sind nur ganz wenige Werke erhalten.<br />
Picasso hat auch mit aufgeklebtem Papier relief-artige Werke geschaffen.<br />
Damit kamen die klassischen Kategorien in Bewegung, und<br />
es stellte sich die Frage: Was ist nun Bild, was kommt in den Raum<br />
– wo ist <strong>der</strong> Übergang vom Bild zur Skulptur? Picasso hat dann aus<br />
einigen dieser Werke auch grosse Collagen gemacht, er hat diese als<br />
Studienmaterial für weitere Werke verwendet.<br />
Anita Haldemann<br />
Pablo Picasso, Étude pour «les Demoiselles d’Avignon», Mai 1907<br />
”<br />
Esquisse pour «les Demoiselles d'Avignon»<br />
Étude pour «les Demoiselles d'Avignon»<br />
“<br />
Diese beiden Zeichnungen sind Geschenke: Die rechte Skizze behielt<br />
Picasso sechzig Jahre lang in seinem Atelier, schenkte sie nach <strong>der</strong><br />
Volksabstimmung im Jahre 1967 dem Kunstmuseum <strong>Basel</strong>. Die linke Skizze,<br />
die etwas später entstanden ist, hat uns Douglas Cooper geschenkt,<br />
ein enger Freund von Picasso, einfach weil er so begeistert war von <strong>der</strong><br />
Basler Kubismus-Sammlung. Insgesamt hat Picasso für sein wohl bedeutendstes<br />
Werk Les Demoiselles d'Avignon 19 Vorzeichnungen gefertigt und<br />
diverse kleine «Carnets» mit diesem Motiv gefüllt. Er brauchte einfach<br />
eine gewisse Zeit, um dieses Motiv zu entwickeln und so radikal werden<br />
zu lassen.<br />
Picasso hat hier ein Motiv des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts, eine Bordellszene, genommen<br />
und alle narrativen Elemente weggelassen und verbindet die<br />
schon fast aggressiv wirkende kommerzielle Sexualität dieser Frauen mit<br />
<strong>der</strong> afrikanischen Skulptur, die fremd, archaisch und wild wirkt. Zusätzlich<br />
zu seiner neuen Formenspache, macht diese Verbindung, auf revolutionäre<br />
Art das Mo<strong>der</strong>ne in diesen Werken aus.<br />
Anita Haldemann<br />
Pablo Picasso, Esquisse pour «les Demoiselles d’Avignon», März/April, 1907<br />
”<br />
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<strong>Artinside</strong><br />
Pablo Picasso, La tasse (Le bouillon KUB), 1912<br />
The Picassos Are Here! Pablo Picasso (1881–1973) is a key figure of twentieth-century art. With his<br />
ample and multifaceted oeuvre, he shaped the course of mo<strong>der</strong>n art like no other artist. The Kunstmuseum<br />
presents a major retrospective of Picasso’s oeuvre. Taking up the entire second floor, it consists exclusively<br />
of works from collections in <strong>Basel</strong>. The first-rate Picassos held by the Kunstmuseum <strong>Basel</strong> and the<br />
Fondation Beyeler will be on display beneath the same roof for the first time ever, complemented by<br />
paintings from numerous private collections in <strong>Basel</strong>. Bringing together these holdings from numerous<br />
len<strong>der</strong>s allows us to build a comprehensive retrospective that illustrates all major periods in Picasso’s<br />
oeuvre at the highest level of quality, and to juxtapose the artist’s paintings, sculptures, drawings, and<br />
prints so as to reveal the interplay between the different media. It is not accidental that <strong>Basel</strong> possesses<br />
such eminent Picasso holdings. Collectors like Raoul La Roche, Rudolf Staechelin, Karl Im Obersteg, and<br />
Maja Sacher-Stehlin built substantial portfolios even before the Second World War. In 1967, enthusiastic<br />
support from the people of <strong>Basel</strong> made the acquisition of important paintings possible; Picasso personally<br />
expressed his appreciation by donating prominent works to the City.<br />
<strong>Artinside</strong>