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Wandlungen des lyrischen Bildes in der Liebeslyrik

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Geschwisterbeziehung ist, wie krisenhaft auch Cornelias Tod 1777 erlebt wird, beleuchtet<br />

e<strong>in</strong>drucksvoll Kurt R. Eissler <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er psychoanalytischen Studie. 29<br />

Dem Anhang ist e<strong>in</strong> Kreuzworträtsel zu den Frauen <strong>in</strong> Goethes Leben beigefügt.<br />

L<strong>in</strong>denhahn/Neugebauer geben zu diesem Thema biografische Informationen. 30<br />

Dabei ist Goethes Leben selbstverständlich nicht gleichzusetzen mit se<strong>in</strong>en poetischen<br />

Produkten. Von hier aus ergibt sich immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Ausgangspunkt für die Rezeption von<br />

Walter Killys Theorie zum goetheschen Symbolbegriff.<br />

Die höchste Lyrik ist entschieden historisch. 31<br />

Goethes apodiktische Feststellung, und stamme sie auch aus e<strong>in</strong>em Aufsatz über e<strong>in</strong><br />

Drama 32 , eignet sich, den Leser gehörig zu irritieren. Welche historische Bedeutung könnte<br />

e<strong>in</strong>em Liebesgedicht zukommen? Ist nicht gerade Lyrik oft zeitlos und wirkt noch nach<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ten durch ihre ästhetische Qualität? Ist<br />

Historizität e<strong>in</strong> Qualitätskriterium?<br />

Killy löst das Rätsel elegant anhand Goethes<br />

Dornburger Gedicht „Früh, wenn Thal, Gebirg und<br />

Garten“. Wenngleich es sich hierbei nicht um<br />

<strong>Liebeslyrik</strong> handelt, soll <strong>der</strong> Gedankengang im<br />

Wesentlichen nachgezeichnet werden, weil das<br />

„Historische“ bei diesem Gedicht <strong>in</strong> mehrfacher<br />

H<strong>in</strong>sicht beson<strong>der</strong>s klar zu benennen ist. 33<br />

Das Gedicht stellt dem Leser zunächst e<strong>in</strong>e<br />

Natursituation vor. Der sich auflösende Nebel, die<br />

Wolken am Himmel konstituieren ebenso Raum wie<br />

die Achse Garten, Tal, Gebirg, von Goethe nicht <strong>in</strong><br />

dieser Reihung geordnet. Erst <strong>in</strong> <strong>der</strong> dritten Strophe<br />

kommt das lyrische Ich über die Ansprache <strong>des</strong> Du<br />

<strong>in</strong>s Spiel, <strong>der</strong> sittliche Mensch, die Vorgänge <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur betrachtend, dankbar genießend.<br />

Soweit ist an diesem Text nichts auffällig, das die Harmonie <strong>der</strong> Situation störte. Erst die<br />

Dimension <strong>der</strong> Zeit provoziert Irritation. Durch das <strong>in</strong> den Anfangsversen <strong>der</strong> Strophen e<strong>in</strong>s<br />

und zwei prom<strong>in</strong>ent e<strong>in</strong>gesetzte wenn wird Zeitlichkeit signalisiert. Die Antwort folgt mit<br />

dem Adverb dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schlussstrophe, dort gleichfalls im ersten Vers. Dabei wechselt die<br />

Morgensituation unvermittelt <strong>in</strong> den Sonnenuntergang am Abend. Killy bemerkt dazu:<br />

Das ist e<strong>in</strong> offenbarer Wi<strong>der</strong>s<strong>in</strong>n, e<strong>in</strong> Anachronismus. Wenn höchste Lyrik wirklich<br />

entschieden historisch ist, wie kann dann <strong>der</strong> Augenblick <strong>des</strong> frühen Tages se<strong>in</strong> Ende<br />

begreifen? In e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Vorgang, <strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Satz zusammengefasst ist, wird<br />

hier die gewohnte Zeit durchbrochen; die Bed<strong>in</strong>gung ist <strong>in</strong> die Frühe gesetzt, ihre Folge ist<br />

Abend. 34<br />

Die Absicht, die Goethe mit dieser Raffung verfolgt, analysiert <strong>der</strong> Germanist wie folgt:<br />

„[...] <strong>der</strong> frühe Tag weitet sich <strong>in</strong> den ganzen Tag, e<strong>in</strong>en Tag, <strong>der</strong> – wie wir ahnen – nicht nur<br />

Kalen<strong>der</strong>tag, son<strong>der</strong>n Lebenstag überhaupt ist. E<strong>in</strong>e unsägliche Zuversicht wird aussprechlich,<br />

aber auf die Weise, wie das große Gedicht spricht, unvernünftig. Tageszeit und<br />

29<br />

Eissler, Kurt R.: Goethe. E<strong>in</strong>e psychoanalytische Studie 1775 – 1786. Detroit 1963; deutsche Übersetzung<br />

Basel und Frankfurt am Ma<strong>in</strong>, 1983 (Bd. I) und 1985 (Bd. II)<br />

30<br />

L<strong>in</strong>denhahn/Neugebauer 2007, S. 24ff<br />

31<br />

Zit. nach Killy: <strong>Wandlungen</strong>, S. 10<br />

32<br />

Goethes Aufsatz über Alexan<strong>der</strong> Manzonis Schauspiel »Adelchi«, <strong>in</strong>: J. W. Goethe, Werke, Berl<strong>in</strong>er Ausgabe,<br />

Band 18, S. 232-240, Aufsätze zur Weltliteratur, Maximen und Reflexionen. Der Aufsatz ist auf die CD<br />

aufgenommen: Adelchi.doc<br />

33<br />

Für den Unterricht hat A. Petruschke dieses Gedicht und Killys Ausführungen didaktisch aufbereitet.<br />

Petruschke 2004, S. 30 - 39<br />

34 Killy: <strong>Wandlungen</strong>, S. 11<br />

13<br />

5<br />

10<br />

Dornburg<br />

September 1828<br />

Früh, wenn Tal, Gebirg und Garten<br />

Nebelschleiern sich enthüllen,<br />

Und dem sehnlichsten Erwarten<br />

Blumenkelche bunt sich füllen;<br />

Wenn <strong>der</strong> Äther, Wolken tragend,<br />

Mit dem klaren Tage streitet,<br />

Und e<strong>in</strong> Ostw<strong>in</strong>d, sie verjagend,<br />

Blaue Sonnenbahn bereitet;<br />

Dankst du dann, am Blick dich weidend,<br />

Re<strong>in</strong>er Brust <strong>der</strong> Großen, Holden,<br />

Wird die Sonne, rötlich scheidend,<br />

R<strong>in</strong>gs den Horizont vergolden.

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