Landwirtschaft – Kulturlandschaft – Regionale Esskultur
Landwirtschaft – Kulturlandschaft – Regionale Esskultur
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<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
<strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Beiträge zu der Tagung am 10.<strong>–</strong>11. Juni 2010 in Ostrach-Waldbeuren / Baden-Württemberg
Impressum<br />
Herausgeber: Bund Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU)<br />
Bundesverband für Natur- und Denkmalschutz,<br />
Landschafts- und Brauchtumspflege e. V.<br />
Adenauerallee 68, 53113 Bonn<br />
Tel. (02 28) 22 40 91, Fax (02 28) 21 55 03<br />
E-Mail: bhu@bhu.de, Internet: www.bhu.de<br />
Redaktion: Dr. Inge Gotzmann, Daniel Kölzer<br />
Mitarbeit: Beate Lippert, Edeltraud Wirz<br />
Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Inge Gotzmann<br />
Bildnachweis:<br />
vordere Umschlagseite: <br />
hintere Umschlagseite: <br />
Autorenfotos (außer S. ): Dr. Gotzmann<br />
Layout und Druck: Druckpartner Moser Druck + Verlag GmbH, Rheinbach<br />
ISBN 978-3-925374-91-3<br />
Nachdruck <strong>–</strong> auch auszugsweise <strong>–</strong> honorarfrei mit Quellenangabe gestattet.<br />
Belegexemplar an den Herausgeber erbeten.<br />
Das Buch wird an Mitglieder und Interessenten kostenlos abgegeben, Spende erwünscht.<br />
Bestellung beim Herausgeber.<br />
Förderer<br />
Das Projekt wurde finanziell gefördert durch die „<strong>Landwirtschaft</strong>liche Rentenbank“.<br />
Die Förderer übernehmen keine Gewähr für die Richtigkeit, die Genauigkeit<br />
und die Vollständigkeit der Angaben sowie für die Beachtung privater Rechte Dritter.<br />
Kooperation<br />
Das Projekt erfolgte in Kooperation mit dem BHU-Landesverband Schwäbischer Heimatbund (SHB).<br />
Bonn, Herbst 2010
Inhalt<br />
Inhalt<br />
Herlind Gundelach und Wolfgang Börnsen<br />
Vorwort ....................................................................... 5<br />
Fritz-Eberhard Griesinger<br />
Grußwort. ..................................................................... 7<br />
Inge Gotzmann, Daniel Kölzer<br />
<strong>Esskultur</strong> prägt <strong>Kulturlandschaft</strong>. .................................................... 8<br />
Bruno Krieglstein<br />
<strong>Esskultur</strong> <strong>–</strong> Spiegelbild der <strong>Kulturlandschaft</strong> ............................................ 11<br />
Hansjörg Küster<br />
Dinkel, Gurke, Färberwaid: Kulturpflanzen und ihre Landschaft . ............................ 18<br />
Hannes Bürckmann<br />
Vermarktungsprojekte und ihre Erfolgsfaktoren . ........................................ 26<br />
Dirk Holtermann<br />
Delikatessen am Wegesrand ....................................................... 33<br />
Rudi Holzberger<br />
10 Jahre LandZunge: Ein starker Pakt für die Region ..................................... 39<br />
Jürgen Holzhausen<br />
Dachmarke Rhön ................................................................ 47<br />
Sabine Behr<br />
Vermarktungsininitiative „Genuss vom Pfrunger-Burgweiler Ried“ <strong>–</strong><br />
Eine Regionalvermarktung mit Schwerpunkt <strong>Landwirtschaft</strong> und Naturschutz stellt sich vor ........ 57<br />
Rainer Pasta<br />
Labertaler Schmankerlmesse <strong>–</strong> Ein Experiment zur regionalen Küche.<br />
Ideen, Probleme und Erfahrungen aus der Praxis ........................................ 64<br />
Ulfried Miller<br />
Apfelsaft aus Streuobst ........................................................... 70<br />
Seite<br />
3
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Manfred Büchele<br />
Sorten-Erhaltungskonzept Baden-Württemberg ......................................... 76<br />
Werner Konold<br />
Geschichte und Kultur der oberschwäbischen Weiher .................................... 79<br />
Anton Jung<br />
Weiherwirtschaft und Fischzucht in oberschwäbischen Weihern. ............................ 88<br />
Albrecht Trautmann, Anton Jung<br />
Sanierung und Bewirtschaftung von Weihern in Oberschwaben. ............................ 91<br />
Gerhard Ermischer<br />
Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa. ....................................... 93<br />
Pia Wilhelm<br />
Exkursion ins Naturschutzgroßprojekt Pfrunger-Burgweiler Ried ............................. 121<br />
Eindrücke von der Exkursion „<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong>“ .......... 124<br />
Autorenverzeichnis .............................................................. 129<br />
Anschriften BHU und Landesverbände ................................................ 131<br />
4
Vorwort<br />
Vorwort<br />
Herlind Gundelach, Wolfgang Börnsen<br />
Der Bund Heimat und Umwelt in<br />
Deutschland (BHU) hat es sich zur<br />
Aufgabe gemacht, das Bewusstsein<br />
für unsere <strong>Kulturlandschaft</strong>en zu stärken.<br />
Die Wertschätzung von Regionen<br />
und Landschaften ist eine Grundvoraussetzung<br />
für ihre dauerhafte Sicherung.<br />
Hierbei spielt die <strong>Landwirtschaft</strong><br />
eine wesentliche Rolle, da sie maßgeblich<br />
das Landschaftsbild prägt.<br />
Unter dem Thema „<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong><br />
<strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong>“<br />
hat der BHU eine Tagung durchgeführt,<br />
bei der anschauliche Beispiele<br />
für den engen Zusammenhang zwischen<br />
<strong>Landwirtschaft</strong>, <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
und Ernährungskultur gegeben<br />
wurden.<br />
Essen und Trinken sind existenzielle<br />
Bedürfnisse eines jeden Menschen. Die<br />
Herkunft unserer Lebensmittel, die Art<br />
und Weise ihrer Herstellung, ihrer Zubereitung und<br />
schließlich der Verzehr kennzeichnen unsere Ernährungskultur.<br />
Dabei isst jeder nach seinem eigenen<br />
Geschmack und Stil. Die kenntnis reiche Verwendung<br />
lokaler und qualitativ hochwertiger Zutaten<br />
hat viele regionale Köstlichkeiten hervorgebracht,<br />
die leider zunehmend in Vergessenheit geraten.<br />
Das Neue muss nicht immer über neue und immer<br />
exotischere Zutaten erreicht werden. Moderne<br />
Interpretationen traditioneller Speisen können<br />
durchaus auch über eine differenzierte Zubereitung<br />
erreicht werden.<br />
In der nun vorliegenden Tagungungsdokumentation<br />
werden zahlreiche Beispiele gegeben, wie eine<br />
geänderte Ernährungskultur das Bewusstsein<br />
für den Zusammenhang<br />
zwischen Konsumverhalten und der<br />
Attraktivität der <strong>Kulturlandschaft</strong> fördern<br />
kann.<br />
Die Vielfalt unserer <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />
können wir stärker mit unserem<br />
Konsumverhalten beeinflussen,<br />
als allgemein bekannt ist. Dabei ist<br />
Landschaftspflege durch bewusste<br />
<strong>Esskultur</strong> sehr schmackhaft. Ein moderner<br />
Umgang mit regionalen Spezialitäten<br />
kann zum Erhalt typischer<br />
Landschaftsbilder beitragen und<br />
gleichzeitig die <strong>Landwirtschaft</strong> stärken.<br />
Nicht zuletzt möchte die Publikation<br />
auch Anregungen geben, wie<br />
eine stärkere Allianz zwischen Landwirten,<br />
Vermarktungsinitiativen, Gastwirten<br />
und Verbrauchern erzielt werden<br />
kann. Der BHU fördert diesen<br />
Dialog und steht gemeinsam mit seinen Landesverbänden<br />
als Ansprechpartner zur Verfügung.<br />
Unserem Landesverband dem Schwäbischen Heimatbund<br />
(SHB) danken wir herzlich für die Kooperation<br />
in diesem Projekt. Der <strong>Landwirtschaft</strong>lichen<br />
Rentenbank gilt unser besonderer Dank für Förderung<br />
dieses Projektes.<br />
Dr. Herlind Gundelach<br />
Präsidentin des BHU, Wissenschaftssenatorin FHH<br />
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)<br />
1. Vizepräsident des BHU, MdB<br />
5
Grußwort<br />
Grußwort<br />
Fritz-Eberhard Griesinger<br />
In den ländlichen Regionen Deutschlands<br />
finden sich zahlreiche <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />
mit einer hohen Artenvielfalt<br />
und attraktiven Landschaftsbildern.<br />
Die naturräumlichen Gegebenheiten<br />
und die regionalen Wirtschaftsweisen<br />
der Menschen gaben und geben den<br />
Landschaften ihr typisches Gepräge.<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong>en sind nichts Statisches,<br />
sie unterstehen einem fortwährenden<br />
Wandel.<br />
Historische, meist extensive Nutzungsweisen sind<br />
heute oft nicht mehr wirtschaftlich. Ihre Einstellung<br />
bedeutet jedoch gleichzeitig einen Verlust charakteristischer<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong>en. Ein Blick auf die Roten<br />
Listen der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten<br />
Deutschlands zeigt zudem, dass in historischen <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />
eine Vielzahl dieser seltenen Arten<br />
vorkommt.<br />
Die Erhaltung und Weiterentwicklung unserer<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong>en ist eines der zentralen Anliegen<br />
der Heimatverbände in Deutschland. Der Schwäbische<br />
Heimatbund zeichnet mit der Auslobung seines<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong>spreises gemeinsam mit dem Sparkassenverband<br />
Baden-Württemberg, bürgerschaftliches<br />
Engagement in der <strong>Kulturlandschaft</strong>spflege aus<br />
und möchte die Öffentlichkeit für diese Thematik<br />
sensibilisieren. Wir begrüßen es daher sehr, dass wir<br />
die Tagung „<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong><br />
<strong>Esskultur</strong>‘‘ zusammen mit dem Bund Heimat<br />
und Umwelt in Deutschland ausrichten konnten und<br />
unser gemeinsames Anliegen mit der vorliegenden<br />
Publikation der Tagungsergebnisse<br />
weiter befördern können.<br />
In Deutschland haben sich in den<br />
vergangenen Jahren viele regionale<br />
Vermarktungsinitiativen mit dem Ziel<br />
gebildet, den Erhalt von <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />
durch den Verkauf von Produkten,<br />
die mit der Bewirtschaftung<br />
und Pflege der Flächen unmittelbar in<br />
Verbindung stehen, sicher zu stellen.<br />
Auf diese Weise werden wirtschaftliche<br />
Interessen mit denen des Naturschutzes und der<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong>spflege verbunden.<br />
Selten sind solche Projekte Selbstläufer, sondern<br />
sie erfordern gute Ideen, kaufmännisches Denken<br />
und Durchhaltevermögen. Ziel der Tagung war es,<br />
Landwirte, Vermarktungsinitiativen, Gastwirte und<br />
Verbraucher zusammen zu bringen und das Thema<br />
„Aufbau von regionalen Wirtschaftskreisläufen<br />
durch Vermarktung von Produkten aus der Region“<br />
in all seinen Facetten zu diskutieren. Anhand von<br />
praxisorientierten Beispielen wurde aufgezeigt, welche<br />
Faktoren notwendig sind, damit Vermarktungsinitiativen<br />
erfolgreich verlaufen. Es ist allen Initiativen<br />
zu wünschen, dass sich diese am Markt und bei<br />
den Verbrauchern behaupten und somit nachhaltig<br />
zur Pflege der Landschaft beitragen. Allen Lesern<br />
wünsche ich einen reichen Erkenntnisgewinn.<br />
Fritz-Eberhard Griesinger<br />
Vorsitzender Schwäbischer Heimatbund e.V.<br />
7
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
<strong>Esskultur</strong> prägt <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
8<br />
Inge Gotzmann, Daniel Kölzer<br />
Wie Landschaft schmeckt, ist letzten<br />
Endes immer eine Frage des<br />
Umgangs mit unserer <strong>Kulturlandschaft</strong>.<br />
Der Geschmack der Landschaft kann oft<br />
bereits an der regionalen Küche bzw. an<br />
regionaltypischen Rezepten abgelesen<br />
werden. Ein Beispiel hierfür ist etwa der<br />
Geschmack von Thüringer Klößen, die<br />
aus Kartoffeln hergestellt werden, welche<br />
auf den schweren Lehmböden Thüringens<br />
ihren charakteristischen Geschmack<br />
und ihre mehlig kochenden<br />
Eigenschaften erhalten.<br />
Ein Klassiker ist der Geschmack von<br />
Weinen aus ausgewiesenen Weinbauregionen,<br />
wie z.B. den landschaftsprägenden<br />
Steillagen des Ahrtals. Hierbei<br />
zeigt sich aber auch das Spannungsfeld:<br />
Heutzutage fallen, vor allem aufgrund<br />
von unrentablen Produktionsbedingungen,<br />
steile Weinberge zunehmend aus<br />
Abb. 1: Weinberge in Steillage prägen die <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
des Ahrtals<br />
Foto: D. Kölzer<br />
der Produktion heraus und liegen<br />
brach. Da dieser Steillagenweinbau jedoch<br />
sehr landschaftsprägend ist, ist<br />
die weitergehende Bewirtschaftung<br />
der Weinbergterrassen zum Erhalt<br />
einer charakteristischen und attraktiven<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong> wünschenswert.<br />
Regionalität versus Globalisierung<br />
Die Herkunft unserer Lebensmittel, die<br />
Art und Weise ihrer Herstellung, ihrer<br />
Zubereitung und schließlich der Verzehr<br />
kennzeichnen unsere Ernährungskultur.<br />
Menschen haben einmal vorrangig<br />
von dem gelebt, was in ihrer Region<br />
verfügbar war. Lebensmittel waren<br />
somit regional geprägt und wurden<br />
nur zur jeweiligen Saison gegessen.<br />
Neuerungen gab es jedoch immer<br />
schon. So brachten die Römer den<br />
Weinbau und veredelte Obstsorten in<br />
unsere Regionen. Ein tief greifender<br />
Wandel der Landschaft und der Ernährungskultur erfolgte<br />
durch die Verbreitung der ursprünglich in Südamerika<br />
heimischen Kartoffel im 17. Jahrhundert in<br />
Deutschland. Die Kartoffel wurde zu einem Grundnahrungsmittel<br />
und wird heute in Europa als „heimisch“<br />
angesehen. Ähnliches gilt für die ursprünglich<br />
aus Mittel- und Südamerika stammende Tomate,<br />
die erst Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland<br />
weithin als Nahrungsmittel bekannt wurde.<br />
Der Wandel der Produktverfügbarkeit schreitet<br />
mit der zunehmenden Globalisierung immer<br />
schneller voran. Bei den heutigen kostengünstigen
Inge Gotzmann, Daniel Kölzer: <strong>Esskultur</strong> prägt <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
Transportmöglichkeiten finden<br />
wir beispielsweise Äpfel<br />
aus Neuseeland, Brombeeren<br />
aus Mexiko oder Rindfleisch<br />
aus Argentinien auf unserer<br />
Speisekarte. Gleichzeitig treten<br />
unsere Produkte den<br />
Weg in andere Länder an.<br />
Mit der zunehmenden Unabhängigkeit<br />
der Verfügbarkeit<br />
von Produkten vom Erzeugungsort<br />
geht in der Bevölkerung<br />
das Bewusstsein dafür<br />
zurück, welcher Zusammenhang<br />
zwischen Landschaft,<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> und<br />
<strong>Esskultur</strong> besteht.<br />
Regionalität ist nachhaltig<br />
Die bewusste und gezielte<br />
Verwendung von regionalen<br />
Produkten ist nicht nur umweltverträglich,<br />
indem Transportwege<br />
und damit Energie eingespart werden,<br />
sondern sie leistet gleichzeitig einen Beitrag zur Erhaltung<br />
der Landschafts- und Artenvielfalt. Es werden<br />
auch die regionale Identität sowie die Kenntnis<br />
des eigenen Raumes gestärkt, denn regionale Produkte<br />
erzählen die Geschichte ihrer Region. <strong>Regionale</strong><br />
Produkte sind in der Regel frisch, haben einen guten<br />
Geschmack und benötigen somit weniger Zusatzstoffe<br />
(z.B. Konservierungsstoffe). Eng verbunden<br />
mit der Regionalität ist die Förderung des<br />
Bewusstseins für Saisonalität, denn heutige Lagerhaltung<br />
kann sehr energieaufwändig sein. Ein persönlicher<br />
Bezug zum Hersteller schafft Vertrauen,<br />
fördert das Verständnis für Produktionszusammenhänge<br />
und es kann zudem eine Kontrolle durch den<br />
Endverbraucher stattfinden.<br />
Abb. 2: Streuobstwiese in der Rhön<br />
Schutz durch Nutzung<br />
In Deutschland hat in den vergangenen Jahren die<br />
regionale Vermarktung an Bedeutung gewonnen.<br />
Insbesondere Biosphärenreservate und Naturparke<br />
bieten gute Rahmenbedingungen für eine Regionalvermarktung.<br />
So haben diese Schutzgebiete u.a. die<br />
Erhaltung, Entwicklung oder Wiederherstellung von<br />
historischen <strong>Kulturlandschaft</strong>en zum Ziel. Gleichzeitig<br />
können sie aber auch beispielhaft der Entwicklung<br />
und Erprobung von besonders schonenden<br />
Wirtschaftsweisen dienen. Die zugrunde liegende<br />
Idee dabei ist ein Schutz durch Nutzung.<br />
Ausblick<br />
Foto: G. Hein<br />
Es gilt, Menschen auf den Geschmack heimischer<br />
und regionaler Produkte zu bringen und sie erfahren<br />
9
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
zu lassen, dass jeder Einzelne durch<br />
sein persönliches Verbraucherverhalten<br />
einen Beitrag zur Erhaltung unserer<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong> leisten kann.<br />
Gleichzeitig muss die Bedeutung der<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> für regionaltypische<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong>en sowie für die Ernährungskultur<br />
herausgestellt werden.<br />
Notwendig sind aber auch stärkere<br />
Allianzen und Gemeinschaftsaktionen<br />
zwischen Landwirten, Gastwirten,<br />
Märkten, Vermarktungsinitiativen und<br />
Verbrauchern. Der Bund Heimat und<br />
Umwelt (BHU) nimmt hierbei gemeinsam<br />
mit seinen Landesverbänden eine<br />
Vermittlerrolle ein und engagiert sich<br />
für die Vermittlung der Thematik in der<br />
Öffentlichkeit. • Abb. 3: <strong>Regionale</strong> Produkte sind köstlich! Foto: I. Gotzmann<br />
10
Bruno Krieglstein: <strong>Esskultur</strong> <strong>–</strong> Spiegelbild der <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
<strong>Esskultur</strong> <strong>–</strong> Spiegelbild der <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
Bruno Krieglstein<br />
Zusammenfassung<br />
<strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong> wird nicht allein<br />
von den jeweiligen agrarischen<br />
Standortverhältnissen vor Ort geprägt.<br />
Sie ist das Resultat gesellschaftlicher,<br />
wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen<br />
und Entwicklungen.<br />
Im Zusammenhang mit den Veränderungen<br />
in wertvollen <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />
wird vielfach die Frage gestellt, ob<br />
über eine Besinnung auf typische regionale<br />
Produkte durch die Pflege einer entsprechenden<br />
<strong>Esskultur</strong> ein wichtiger Beitrag zum Erhalt traditioneller<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong>en geleistet werden kann<br />
Eine bewusste <strong>Esskultur</strong> mit der („Rück-) Besinnung“<br />
auf Produkte, die durch entsprechende Produktionsweisen<br />
den Charakter von <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />
und deren wertvolle Landschaftselemente<br />
bestimmen bzw. erhalten, kann zu deren Erhalt beitragen,<br />
auch wenn sich vielfach, die Rahmen bedingungen,<br />
die diese <strong>Kulturlandschaft</strong>en ursprünglich<br />
generiert und erhalten haben, geändert haben.<br />
Dies ist ein sehr ehrgeiziger Anspruch und Ansatz,<br />
der seine Grenzen hat.<br />
„In der belebten Natur geschieht nichts, was<br />
nicht in Verbindung mit dem Ganzen steht.“<br />
(Johann Wolfgang von Goethe)<br />
Die Entwicklung und das Erscheinungsbild von<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong>en sind das Ergebnis verschiedener<br />
Faktoren und vielfältiger anthropogener Einflüsse,<br />
die über eine „standorttypische“ und ggf. mitprägende<br />
<strong>Esskultur</strong>, die an sich auch nichts Statisches<br />
sein kann, hinausgehen. So gestalten<br />
die <strong>Landwirtschaft</strong> und die Forstwirtschaft<br />
auf der Basis der natürlichen<br />
Standortfaktoren und den davon sich<br />
ableitenden Nutzungsformen und Bewirtschaftungsverfahren<br />
die entsprechenden<br />
regionaltypischen <strong>Kulturlandschaft</strong>en.<br />
Diese Landschaften liefern<br />
Produkte, die von den Menschen entsprechend<br />
den Qualitäten, den verfügbaren<br />
Mengen und den Verarbeitungsmöglichkeiten<br />
genutzt werden. So bestimmen die<br />
Standortfaktoren, Produktionsbedingungen und<br />
auch die Wettbewerbsposition gegenüber alternativen<br />
Produkten beispielsweise den Anbau von<br />
Weichweizen oder Hartweizen und die sich daraus<br />
ergebenden Verwertungsmöglichkeiten in Küchen<br />
und Back stuben.<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong>en spiegeln heute aber nur noch<br />
einen Teil der ursprünglich regionalen, traditionellen<br />
<strong>Esskultur</strong> wider. Eine auf regionale Spezialitäten<br />
orientierte <strong>Esskultur</strong> kann auch heute die <strong>Landwirtschaft</strong><br />
vor Ort stärken, muss dies aber nicht angesichts<br />
des vielfältigen und überregionalen Angebots<br />
auf den Lebensmittelmärkten. Umgekehrt kann<br />
auch eine „nichtstandorttypische“ <strong>Esskultur</strong> die<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong> vor Ort, d.h. die Produktion entsprechender<br />
landwirtschaftlicher „Rohstoffe“ und<br />
das Bewusstsein für Produkte aus der Region, beeinflussen.<br />
„Vom Segen der Vertriebenen“ heißt die<br />
Überschrift eines Kapitels des Buchs „Sitting Küchenbulle“<br />
des Kochs Vincent Klink, in dem er ausführt<br />
„Neue Gerüche zogen durch die Flure“. Papa<br />
11
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
12<br />
sagte immer „Wären die nicht gekommen,<br />
wir schwäbischen Inzüchtler<br />
wären vollendens verblödet“.<br />
Er mochte die Flüchtlinge,<br />
denn sie hatten gute Rezepte im<br />
Gepäck, waren pfiffig, und vor allem<br />
brachten sie uns den Knoblauch<br />
...<br />
„Eingriffe“ in und Veränderungen<br />
der <strong>Kulturlandschaft</strong>en,<br />
die durch die Land- und die Forstwirtschaft<br />
erfolgten und erfolgen,<br />
sind daher nicht durch die<br />
(Ess-)Kultur allein, sondern auch<br />
immer durch politische Entscheidungen<br />
und Rahmenbedingungen,<br />
wie durch die verschiedenen<br />
Marktordnungsinstrumente der<br />
EU-Agrarpolitik <strong>–</strong> beispielsweise<br />
in der zweiten Hälfte des letzten<br />
Abb. 1: Traditionelle Schafhaltung in Baden-Württemberg auf einer Wachholderheide<br />
Foto: U. Rothweiler<br />
Jahrhunderts zur Ankurbelung der Selbstversorgung<br />
der EU <strong>–</strong> stark beeinflusst worden. Aktuell<br />
wird in Deutschland so durch das „Marktordnungsinstrument<br />
EEG“, zur Förderung des Ausbaus<br />
der Erneuerbaren Energien, Einfluss auf die<br />
Weiterentwicklung von <strong>Kulturlandschaft</strong>en genommen.<br />
Auch unsere liebgewonnen und wertvollen,<br />
vom Streuobstbau geprägten Landschaften<br />
im Südwesten sind letztendlich auf staatliche/herrschaftliche<br />
Eingriffe und somit politische Rahmenbedingungen<br />
zurückzuführen. Der im hohenlohischen<br />
Kupferzell tätig gewesene Pfarrer Johann<br />
Friedrich Mayer hielt daher in seinem Lehrbuch für<br />
Land- und Hauswirte fest: „Herrschaften können<br />
kaum etwas, außer dem Getreidebau nützlichers<br />
anordnen als diese (Obstbau), und doch sind sogar<br />
viele Länder, wo dieser Zweig der Nahrung aller<br />
aufmerksamen Achtung entgeht; oder wo wenigstens<br />
die, welche ihn besorgen, in ihren Bemühungen<br />
nicht gehörig geschützt, aufgeeifert und geachtet<br />
werden. Ein Schaden von sehr großen<br />
Summen!“<br />
Spieglein, Spieglein in unserm Land…<br />
Welche <strong>Esskultur</strong> ist denn das Spiegelbild unserer<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong> Es dürfte sicherlich eher eine <strong>Esskultur</strong><br />
(gewesen) sein, die vergleichsweise in Italien<br />
als „Cucina povera“, eine <strong>Esskultur</strong> der Bauern,<br />
Handwerker, Arbeiter und Bürger bezeichnet wird,<br />
als deren Gegenstück in Italien: die „Cucina altoborghese“,<br />
einer exklusiven Kochtradition der höheren<br />
Stände in Italien seit der Renaissance. Auch stellt<br />
sich die Frage, zu welchen Regionen eine typische<br />
<strong>Esskultur</strong> das Spiegelbild ist und warum So dürfte<br />
die Wiener Küche auf Grund der Ausdehnung des<br />
Habsburgerreiches eher das Spiegelbild des Vielvölkerstaates<br />
Österreich-Ungarn als allein nur das Spiegelbild<br />
der Produktionsbedingungen und Möglichkeiten<br />
der <strong>Landwirtschaft</strong> im Wienerbecken und im<br />
Wienerwald sein.
Bruno Krieglstein: <strong>Esskultur</strong> <strong>–</strong> Spiegelbild der <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
Nichts ist beständiger als der Wandel!<br />
Angesichts unserer auf fossilen Kohlenwasserstoffen<br />
basierenden Wirtschaft und Technologie wird im Zusammenhang<br />
mit der Entwicklung unserer <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />
ganz vergessen, dass auch, abgesehen<br />
vom letzten Jahrhundert, stets die stoffliche und<br />
energetische Nutzung von Biomasse einen erheblichen<br />
Einfluss auf die <strong>Kulturlandschaft</strong>en hatte. Dies<br />
gilt im Hinblick auf die landwirtschaftliche Nutzung,<br />
beispielsweise für die Wollerzeugung oder den Anbau<br />
von Faserpflanzen (Blaues Allgäu), es gilt aber<br />
auch für die unterschiedlichen forstwirtschaftlichen<br />
Nutzungsformen wie Nieder-, Mittel- oder Hochwald.<br />
Die „Umstellung“ auf die stoffliche und energetische<br />
Nutzung der fossilen Rohstoffquellen hat<br />
erheblichen Einfluss auf traditionelle land- und forstwirtschaftliche<br />
Nutzungsformen (z.B. Stichwort Motorisierung)<br />
gehabt <strong>–</strong> und hat dies, angesichts des<br />
Klimawandels, auch indirekt und voraussichtlich<br />
noch auf weitere Zeit.<br />
Abb. 2: Auf „Heimatkurs“ <strong>–</strong> eines von vielen aktuellen Beispielen im Deutschen<br />
Lebensmittelmarkt ...<br />
Foto: privat<br />
Heute erhaltenswerte <strong>Kulturlandschaft</strong>en als Resultat<br />
von Rahmenbedingungen und „Eingriffen“,<br />
die in der Vergangenheit liegen, können heute nicht<br />
mehr allein aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung<br />
der entsprechend traditionellen Nutzungsweisen<br />
erhalten bleiben. In Baden-Württemberg kann<br />
man sich diese Entwicklung am Beispiel des Rückgangs<br />
des landschaftsprägenden Streuobstbaus<br />
durch die Industrialisierung unserer Wirtschaft und<br />
Gesellschaft, sowie durch die veränderte Wettbewerbsstellung,<br />
insbesondere gegenüber dem heimischen<br />
und europäischen Tafelobstanbau und auf<br />
Grund der Veränderungen der Bedingungen auf den<br />
nationalen und internationalen Getränke- und entsprechenden<br />
Rohstoffmärkten vor Augen führen.<br />
Die konkurrierenden Entwicklungen auf dem Markt<br />
für alkoholfreie Getränke (z.B. Boom von Bionade),<br />
die EU-Erweiterung und der schrittweise erfolgende<br />
Abbau des Außenhandelsschutzes der EU und die<br />
damit verbundenen strukturellen Entwicklungen auf<br />
dem Markt für Apfelsaftkonzentrat<br />
verstärkten die ungünstigen Veränderungen<br />
der Wettbewerbsposition<br />
dieser alten Nutzungsform.<br />
Auch die traditionelle und bedeutende<br />
Wanderschafhaltung<br />
in Baden-Württemberg ist seit<br />
einem halben Jahrhundert einem<br />
Veränderungsdruck ausgesetzt.<br />
Bis in die 1950er Jahre stand die<br />
Produktion von Wolle im Mittelpunkt.<br />
Trotz neuer Funktionen<br />
der heimischen Schafhaltung im<br />
Rahmen der bezahlten Landschaftspflege<br />
kämpft sie <strong>–</strong> pauschal<br />
betrachtet <strong>–</strong> weiterhin mit<br />
den Folgen der ökonomischen<br />
Bedeutungslosigkeit der Verwertung<br />
der Wolle.<br />
13
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
14<br />
Alle auf Heimatkurs … <strong>–</strong><br />
Megatrend Regionalität<br />
In seinem o.g. Buch beschreibt<br />
Vincent Klink die Entwicklung der<br />
<strong>Esskultur</strong> in Deutschland seit den<br />
50er, 60er Jahren. Er skizziert dabei<br />
seinen lehrreichen Weg zur regionalen<br />
Ausrichtung seiner Küche<br />
und die damit verbundenen<br />
Herausforderungen und Chancen.<br />
„[…] auch ich hatte also seit einiger<br />
Zeit von Nouvelle-Cuisine-Pürees<br />
[…] die Schnauze voll und<br />
mich immer mehr dem Heimischen<br />
zugewandt. Das Problem<br />
<br />
war <strong>–</strong> und ist: Wo lässt sich gute<br />
Ware auftreiben […] Was die<br />
Qualität der Lebensmittel betrifft,<br />
war uns Frankreich haushoch<br />
überlegen. […] Ich fragte mich aber, wie ökologisch<br />
sinnvoll es sei, die Dinge von weiterher heranzukarren.<br />
Es musste doch auch bei uns ebenbürtige Ware<br />
geben.“<br />
Derzeit können wir erleben, dass das Thema „Regionalität“<br />
und „heimisch“ im Lebensmittelmarkt<br />
deutlich an Bedeutung gewonnen hat. Aber gerade<br />
weil es aktuell so „sexy“ ist, „heimisch“ zu sein, ist<br />
das verbunden mit der Gefahr, dass diesem Trend<br />
eher oberflächlich gefolgt wird und die regionalen<br />
„Wurzeln“ der Produkte nicht immer nachvollziehbar<br />
sind. Dies kann, angesichts der Bedingungen<br />
und Anforderungen auf den Lebensmittelmärkten<br />
und der Vertriebssysteme sowie angesichts der<br />
Merkmale, die Regionalität ausmachen, auch nicht<br />
immer so sein.<br />
Regionalität muss etwas Konkretes sein. Regionalität<br />
ist dann konkret, wenn damit Sicherheit und<br />
Vertrauen verbunden und erfüllt wird. Regionalität<br />
verbindet sich immer mit ganz konkreten Regionen<br />
<br />
<br />
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Abb. 3: Fleischpräferenzen baden-württembergischer Verbraucher<br />
Quelle: MAFO MBW Marketinggesellschaft BW November 2009<br />
und steht somit für typische Landschaftsbilder. <strong>Regionale</strong><br />
Produkte sind per se nur begrenzt verfügbar.<br />
Der Wert von Regionalität oder regionalen Produkten<br />
ist die Herkunft <strong>–</strong> eine Ursprungsgarantie und<br />
ein Stammbaum. Damit soll der Ursprung der Produkte<br />
und die Vielfalt der Verwendungen verfolgt<br />
bzw. dargestellt werden. Regionalität lebt von eigenen<br />
Geschichten und Traditionen, von den (typischen)<br />
Produkten und Verfahren.<br />
Die Gründe für eine „Neu“-Orientierung zur Regionalität<br />
und die damit verbundenen Chancen für<br />
regionale Wertschöpfungsketten, z. B. im Sinne<br />
„Aus der Region, für die Region“ sind vielfältig. Regionalität<br />
steht synonym für Frische, guten Geschmack,<br />
Naturnähe, gesunde Produkte, wenige Zusatzstoffe,<br />
gegebenenfalls direkten persönlichen<br />
Kontakt mit Produzenten und Absatzmittler. Regionalität<br />
steht für Verwurzelung in der Region, Bodenständigkeit<br />
und für eine Identifikation mit der Region.<br />
Regionalität fördert somit Wertschöpfung in<br />
der Region und unterstützt regionale Wirtschafts-
Bruno Krieglstein: <strong>Esskultur</strong> <strong>–</strong> Spiegelbild der <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
<br />
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Abb. 4: Fleischpräferenzen baden-württembergischer Verbraucher nach ihrem<br />
Verzehrverhalten<br />
Quelle: MAFO MBW Marketinggesellschaft BW November 2009<br />
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Abb. 5: Fleischpräferenzen baden-württembergischer Verbraucher nach ihrem<br />
Kaufverhalten<br />
Quelle: MAFO MBW Marketinggesellschaft BW November 2009<br />
kreisläufe. Offen kann dabei<br />
eigentlich bleiben, ob eine bestimmte<br />
<strong>Esskultur</strong> damit verbunden<br />
bleiben muss oder die „Ur-<br />
Produkte“ und ihr landwirtschaftlicher<br />
und landschaftsgestaltender<br />
Produktionsprozess im Mittelpunkt<br />
stehen sollten.<br />
Dennoch wird aber vor diesem<br />
Hintergrund die Frage gestellt, ob<br />
nur mit einer traditionellen <strong>Esskultur</strong><br />
die traditionellen <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />
erhalten werden kann<br />
Oder ist der Denkansatz, wie er<br />
beispielsweise in dem Buch „Brotsuppe<br />
& Bohnen <strong>–</strong> Geschichte und<br />
Rezepte aus der Toskana“ von<br />
einen Mitglied einer toskanischen<br />
Kooperative „Cooperativa Agricola<br />
Paterna“ hergeleitet wird, zielführender:<br />
„Es gibt viel Geschwätz.<br />
[…] Menschen essen mit den Köpfen.<br />
[…] Lebensmittel sind zu Modeartikel<br />
verkommen“ […] „Wir<br />
sollten dem Produzenten mehr<br />
Aufmerksamkeit schenken als<br />
dem Produkt. Unser Bäcker kauft<br />
sein Mehl hier, aber der Weizen<br />
stammt aus Kanada. […] Wir sollten<br />
die Vertriebswege der Lebensmittel<br />
überdenken, […] um eine<br />
direkte Beziehung zwischen Produkt<br />
und Verbraucher herzustellen.<br />
Nicht Tradition und Sentimentalität<br />
sind unsere Brücke zur Vergangenheit.“<br />
Wie schwierig Authentizität,<br />
das Denken und insbesondere<br />
Handeln in regionalen Wirtschaftskreisläufen<br />
in unserer globalen<br />
15
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
16<br />
Welt ist, zeigt das Buch aber auch<br />
<strong>–</strong> eher ungewollt: im Impressum<br />
steht: „Printed in China“. Dies<br />
zeigt die Realität, dass ein Lebensund<br />
somit Wirtschaftsmodell „Regionalität“<br />
nur ein Ansatz und dabei<br />
noch ein anspruchsvoller ist.<br />
Gebratene Lammrose … mit<br />
zerdrücktem Knoblauch,<br />
Olivenöl, Rosmarin…<br />
Die Schafhaltung in Baden-Württemberg<br />
hat sich im Hinblick auf<br />
ihre wirtschaftliche Bedeutung<br />
verändert. Bis in die 50er Jahre des<br />
letzten Jahrhunderts war traditionell<br />
die Wollproduktion die maßgebliche<br />
Einnahmequelle und somit<br />
Mittelpunkt des wirtschaftlichen<br />
Handelns. Mit den geänderten Lebensgewohnheiten<br />
einer Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft<br />
ging die zunehmende Vorzüglichkeit synthetischer<br />
oder anderer Fasern landwirtschaftlichen Ursprungs<br />
einher. Auch durch die Wettbewerbsverhältnisse auf<br />
dem globalen Wollmarkt hat die Wollproduktion bei<br />
uns drastisch an ökonomischem Stellenwert verloren.<br />
Das „Nebenprodukt“ dieser traditionellen<br />
Schafhaltung <strong>–</strong> die durch die Schafhaltung geprägte<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> hat in Baden-Württemberg ihre<br />
ursprüngliche ökonomische „Grundlage“ verloren<br />
und muss ggf. durch öffentliche „Aufträge“ erhalten<br />
werden. Anderseits reicht dies aber meistens<br />
nicht aus, um die Einkommenssituation der Schafhaltungsbetriebe<br />
so abzusichern, dass der Erhalt der<br />
vielfältigen Funktionen der Schafhaltung in der Pflege<br />
und dem Erhalt charakteristischer Kultur- und Naturlandschaften<br />
auf Dauer gesichert werden kann.<br />
Die Frage stellt sich daher, in wieweit <strong>–</strong> abgesehen<br />
von der Nische der Schafmilchproduktion <strong>–</strong> das<br />
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Abb. 6: Lammfleisch im Benchmark mit Geflügelfleisch<br />
Quelle: MAFO MBW Marketinggesellschaft BW November 2009<br />
andere Produkt der Schafhaltung, „heimisches<br />
Lammfleisch“, durch entsprechende Maßnahmen in<br />
der Produktion und der Vermarktung so gestärkt<br />
werden kann, dass damit der erforderliche Beitrag<br />
für eine wirtschaftliche Schafhaltung generiert wird.<br />
Neben den Herausforderungen in der Erzeugung, in<br />
der Sicherstellung der erforderlichen Fleischqualität<br />
und, im Wettbewerb mit konkurrierenden Produkten<br />
und Anbietern steht man hier vor der Herausforderung,<br />
dass es gerade wegen der langen Tradition<br />
der Wollerzeugung in unserer Region eigentlich<br />
keine traditionelle „Lammfleischesskultur“ gibt, wie<br />
es in den Mittelmeerregionen oder auch im englischen<br />
Sprachraum der Fall ist. Wie dann erfolgreich<br />
Lammfleisch als ein regionales Produkt vermarkten<br />
Das ist eine große Herausforderung, wie es die Ergebnisse<br />
einer repräsentativen Verbraucherumfrage<br />
in Baden-Württemberg vom November 2009 zeigen.<br />
So wird Lammfleisch gegenüber anderen<br />
Fleischarten als ein etwas „schwieriges“ Produkt<br />
eingestuft. Nur ein Drittel der Befragten essen es
Bruno Krieglstein: <strong>Esskultur</strong> <strong>–</strong> Spiegelbild der <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
Abb. 7: Gute, wettbewerbsfähige Lammfleischqualitäten erfordern gute Futtergrundlagen<br />
Foto: U. Rothweiler<br />
gerne, aber nur ca. 10 % der Befragten kaufen es<br />
auch gerne. Es gibt eine deutliche Kluft zwischen<br />
„Kennern“ und „Ignoranten“. Der Wettbewerb besteht<br />
nicht nur mit wettbewerbsstarken Angeboten<br />
mit neuseeländischem Lammfleisch, sondern insbesondere<br />
auch mit eher „einfachen“ Produkten, wie<br />
Geflügelfleisch. Dies stellt eine große Herausforderung<br />
für das Marketing dar, nicht nur in der Direktvermarktung,<br />
sondern insbesondere mit den erforderlichen<br />
Absatzmittlern des Handels, des Ernährungshandwerks<br />
und der Gastronomie. Einerseits<br />
zeigen die Ergebnisse der Umfrage erfreulicher Weise<br />
auch, dass Lammfleisch und Zartheit zusammengehören<br />
und so auch erlebt werden. Anderseits wird<br />
deutlich, dass noch ein erhebliches Defizit in der<br />
Kommunikation der „Produkteigenschaften“ z. B.<br />
mit Rezepten und zu den zusätzlichen Leistungen<br />
der Schafhaltung für unsere <strong>Kulturlandschaft</strong> besteht.<br />
Auch die erfolgreiche Verwertung von nicht<br />
so „edlen“ Teilen der Lämmer und Schafe ist eine<br />
Herausforderung.<br />
Hier kann eine genussvolle und<br />
somit positiv erlebte <strong>Esskultur</strong> mit<br />
Lammfleischprodukten und -gerichten<br />
insbesondere in und aus<br />
den südlichen Urlaubsländern genutzt<br />
werden, um über den regionalen<br />
Lammfleischkonsum die<br />
durch die Schafhaltung geprägte<br />
typische <strong>Kulturlandschaft</strong> bei uns<br />
zu erhalten helfen. Dabei sollte es<br />
gleich sein, ob zu Hause gekocht,<br />
auswärts gegessen oder durch<br />
Convenienceprodukte der Verzehr<br />
erleichtert wird. Aber nur der<br />
nachvollziehbare Bezug zum Produkt,<br />
nur die gesicherte Herkunft<br />
aus unserer <strong>Kulturlandschaft</strong> sind<br />
der Garant, dass eine entsprechende<br />
„Nachfrage“ einen Beitrag<br />
zum Erhalt der entsprechenden<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong> leisten kann. Dies ist eine große,<br />
aber reizvolle und genussreiche Herausforderung<br />
mit Charme, die der französische Geograf, Professor<br />
Jean-Robert Pitte, so beschreibt: „Was Landschaft<br />
und Nahrungsmittel betrifft, so machen sich nur<br />
Unterschiede bezahlt. Gleichförmigkeit ist die Quelle<br />
der Langeweile!“<br />
Literatur<br />
DE MORI, L. U. JASON, L. (2009): Brotsuppe & Bohnen. <strong>–</strong><br />
München.<br />
KLINK, V. (2009): Sitting Küchenbulle. <strong>–</strong> Hamburg.<br />
MAYER, J. F. (1773): Lehrbuch für die Land- und Haußwirthe<br />
in der pragmatischen Geschichte der gesamten Land- und<br />
Haußwirtschafft des Hohenlohe Schillingfürstischen Amtes<br />
Kupferzell. <strong>–</strong> Nürnberg.<br />
EUROTERROIRS (1998): Deutschlands kulinarisches Erbe. Traditionelle<br />
regionaltypische Lebensmittel und Agrarerzeugnisse.<br />
<strong>–</strong> Cadolzburg.<br />
•<br />
17
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Dinkel, Gurke, Färberwaid:<br />
Kulturpflanzen und ihre Landschaften<br />
Hansjörg Küster<br />
Getreide, Grundnahrungsmittel<br />
Vor mehr als siebentausend Jahren<br />
begann man in Mitteleuropa,<br />
Ackerbau zu betreiben. Damals wurden<br />
Kulturpflanzen, die sich unter dem Einfluss<br />
des Menschen in Vorderasien aus<br />
Wildpflanzen entwickelt hatten, hierzulande<br />
heimisch gemacht. Die Kulturpflanzen<br />
kamen auf verschiedenen Wegen<br />
nach Mitteleuropa: Donauaufwärts<br />
verbreitete sich die Kultur der beiden<br />
Weizenverwandten Einkorn und Emmer (Abb. 1),<br />
von Erbse, Linse und Lein. Über das Mittelmeergebiet<br />
und dann westlich der Alpen gelangten Gerste<br />
(Abb. 2) und Weizen nach Mitteleuropa. Aus dem<br />
westlichen Mittelmeergebiet kam auch der Schlafmohn<br />
ins Gebiet nördlich der Alpen.<br />
Von Anfang an gab es regionale Unterschiede<br />
beim Ackerbau: Im Westen Mitteleuropas baute<br />
man andere Kulturpflanzen an als im<br />
Osten. In Süddeutschland stimmten die<br />
Grenzen der Anbaugebiete und verschiedener<br />
Typen von Wäldern überein.<br />
In Südwestdeutschland, wo die Wälder<br />
reich an Haselbüschen waren, kultivierte<br />
man Gerste und zum Teil auch Weizen;<br />
dort kam Schlafmohn vor. In Südostdeutschland,<br />
wo den Laubgehölzen<br />
Fichten beigemischt waren, standen allein<br />
die beiden Getreidearten Einkorn<br />
und Emmer auf den Feldern. Sie kamen bald auch<br />
weiter im Westen vor; dagegen dauerte es mehrere<br />
Jahrtausende, bis die Gerste auch im Gebiet des<br />
heutigen Bayern und weiter im Osten angebaut<br />
wurde (KÜSTER 1995).<br />
Im Lauf der folgenden Jahrtausende wurden weitere<br />
Kulturpflanzen eingeführt, und die Unterschiede<br />
im Anbau glichen sich immer wieder aus. Eine<br />
18<br />
Abb. 1: Einkorn (aufrecht, unreif) und Emmer (hängende<br />
Ähren, reif)<br />
Abb. 2: Gerste
Hansjörg Küster: Dinkel, Gurke, Färberwaid: Kulturpflanzen und ihre Landschaften<br />
kann (KÖRBER-GROHNE 1987). Die Unterschiede der<br />
Getreideinventare im Westen und Osten Mitteleuropas<br />
hielten sich nicht nur deswegen, weil es<br />
unterschiedliche Anbau- und Nahrungsgewohnheiten<br />
gab, sondern auch, weil eine Umstellung von<br />
Roggen- auf Dinkelanbau aus technischen Gründen<br />
nicht ohne weiteres möglich war. Dinkel muss nach<br />
der Lagerung in den Spelzen getrocknet („gedarrt“)<br />
und entspelzt („gegerbt“) werden. In den Dinkelanbaugebieten<br />
brauchte man Getreidedarren und<br />
Gerbgänge in den Mühlen, bei denen der Abstand<br />
zwischen den beiden Mühlsteinen so eingestellt<br />
Abb. 3: Roggen<br />
Tradition des Weizenanbaus hielt sich zunächst<br />
nicht, denn Weizenkörner sind sehr empfindlich<br />
und verderben bei unzureichenden Lagerungsbedingungen<br />
rasch. Weizen wurde erst dann dauerhaft<br />
zum bevorzugten Brotgetreide, als feste Lagerhäuser<br />
zur Verfügung standen; wichtig waren die<br />
Fruchtkästen des späten Mittelalters und der frühen<br />
Neuzeit. Weniger empfindlich ist Roggen (Abb. 3),<br />
der nicht nur im Norden Mitteleuropas, sondern<br />
auch in Bayern zum Hauptgetreide wurde. Dagegen<br />
hielt sich in Schwaben und Umgebung der Anbau<br />
von Dinkel (Abb. 4), den man ebenfalls gut lagern<br />
Abb. 4: Dinkel<br />
19
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
20<br />
wurde, dass das entspelzte<br />
Korn („Vesen“) genau zwischen<br />
die Steine passte,<br />
nicht aber das von den<br />
Spelzen umhüllte Korn.<br />
Waren die Spelzen und<br />
Körner völlig trocken,<br />
platzten in der Gerbmühle<br />
die Spelzen von den Körnern<br />
ab. Nach Entfernung<br />
der Spelzen konnten die<br />
Körner („Kernen“) im<br />
Mahlgang (mit geringerem<br />
Abstand zwischen den<br />
Mühlsteinen) zu Mehl gemahlen<br />
werden. Wenn<br />
man die Spelzen nicht entfernt,<br />
würden auch sie zermahlen<br />
werden, und das<br />
Mehl hätte einen hohen<br />
Anteil an Silikat, wodurch die Zähne rasch zerstört<br />
werden würden (vgl. KÖRBER-GROHNE 1987). Dinkelanbau<br />
ist stets an das Vorhandensein von Darrhäusern<br />
und Mühlen mit Gerbgängen gebunden; für<br />
die Aufbereitung von Dinkel braucht man außerdem<br />
viel Expertenwissen. Der Dinkelanbau hielt sich<br />
unter anderem auf den kleinen Feldern von Nebenerwerbslandwirten<br />
im Südwesten Deutschlands bis<br />
auf den heutigen Tag.<br />
Dinkelmehl ist besonders eiweiß-(kleber-)reich.<br />
Daher verwendete man es zur Herstellung von<br />
Spätzle und Maultaschen. Die Zubereitung dieser<br />
südwestdeutschen Spezialitäten war angeblich<br />
möglich, ohne dem Teig Eier hinzuzufügen; verwendete<br />
man anderes Mehl, brauchte man unbedingt<br />
Eier im Teig. Semmelmehl, das man aus Roggen<br />
herstellte, ist dagegen ein unbedingt notwendiger<br />
„Rohstoff“ für die Herstellung von bayerischen<br />
Knödeln.<br />
Abb. 5: Traditionelle Wein- und Obstbaulandschaft (im Markgräflerland südlich von<br />
Freiburg)<br />
Klimatische Einflüsse<br />
Einige Kulturpflanzen, die nach und nach eingeführt<br />
wurden, konnte man aus klimatischen Gründen<br />
nicht überall anbauen. Der ursprünglich in Vorderasien<br />
oder im Mittelmeergebiet kultivierte Wein<br />
konnte nur in warmen Regionen angepflanzt werden.<br />
Allerdings waren Weinberge im Mittelalter weiter<br />
verbreitet als heute, was wohl nicht an klimatischen<br />
Veränderungen liegt, sondern daran, dass die<br />
heutigen Transportmöglichkeiten einen leichteren<br />
Austausch an Lebensmitteln ermöglichen, als es vor<br />
einigen Jahrhunderten der Fall war. Als der Aufwand,<br />
Wein zu transportieren, noch sehr hoch war,<br />
musste man ihn an mehr Stellen anbauen als heute.<br />
In den Weinbaugebieten findet man besonders häufig<br />
Nussbäume.<br />
Ähnlich wie die Geschichte des Weinbaus verlief<br />
die Obstbaugeschichte. Man baute Obst im Mittelalter<br />
weit verbreitet an (Abb. 5). Später entwickelten<br />
sich spezielle Gebiete, in denen man große Obst-
Hansjörg Küster: Dinkel, Gurke, Färberwaid: Kulturpflanzen und ihre Landschaften<br />
plantagen anlegte, von denen aus auch Gebiete<br />
mit Äpfeln, Kirschen oder Birnen versorgt werden<br />
konnten, in denen die klimatischen Bedingungen<br />
weniger günstig waren (KOCH 1936). Im Lauf der<br />
Jahrhunderte entstanden vor allem in der Nähe von<br />
großen Städten Obstbaugebiete: im Alten Land bei<br />
Hamburg, im Havelland westlich von Berlin, im Vorgebirge<br />
bei Köln und Bonn, im Neckar- und Remstal<br />
bei Stuttgart, in der Wetterau bei Frankfurt, am Kaiserstuhl<br />
bei Freiburg, im Elbtal bei Dresden. In anderen<br />
Städten, beispielsweise in München, war die<br />
Versorgung mit Obst schwieriger, denn in Bayern<br />
droht häufig Spätfrost, der Obstbaumblüten erfrieren<br />
lässt. Seit dem 19. Jahrhundert kann man Bodenseeobst<br />
mit der Eisenbahn in die bayerische Landeshauptstadt<br />
bringen. Der Bau von Eisenbahnen<br />
führte zur enormen Ausweitung des Obstbaus in<br />
den oben genannten Gebieten, beispielsweise im<br />
Alten Land (SIEMENS 1948). Günstig für den Obstbau<br />
war der Anbau an Hängen (Vorgebirge, Remstal,<br />
Kaiserstuhl), an denen Kaltluft abfloss, und die Nähe<br />
zum Wasser (Altes Land, Havelland, Bodensee), das<br />
Temperaturextreme abmilderte.<br />
Abb. 6: Zur Tauröste ausgelegter Flachs<br />
Hopfen gedieh an Hängen von Hügeln am besten.<br />
Auf Hochebenen ist der starke Wind für die Anlage<br />
von Hopfengärten ungünstig, in den Senken<br />
die zeitweilige Ansammlung kalter Luft in Strahlungsnächten.<br />
Hopfengärten befinden sich daher an<br />
den Hängen von Hügeln der Holledau zwischen Ingolstadt,<br />
Freising und Landshut oder in der Nähe<br />
von Tettnang nördlich des Bodensees.<br />
Lein wurde unter anderem im feuchten Alpenvorland<br />
angebaut. Dort brauchte man keine Röstteiche,<br />
in die die Stängel gelegt wurden, damit ein Fermentationsprozess<br />
ablief, bei dem die langen von den<br />
kurzen Fasern getrennt wurden. In der Nähe der<br />
Alpen und andernorts an feuchten Orten genügte<br />
es, die Stängel ins feuchte Gras zur Tauröste (Abb. 6)<br />
zu legen. Anschließend musste man die Stängel<br />
trocknen (KÖRBER-GROHNE 1987); dies geschah unter<br />
weit überstehenden Dächern oder auf speziellen<br />
Dachböden. Die Bauernhäuser in den Leinanbaugebieten<br />
mussten entsprechend ausgerüstet sein.<br />
Regionalisierung unter dem Einfluss von<br />
Städten<br />
Die lediglich regionale Verbreitung<br />
zahlreicher Kulturpflanzen hing<br />
nicht so sehr mit ländlichen Eigenheiten,<br />
sondern eher noch mit der<br />
Entwicklung von mittelalterlichen<br />
Städten zusammen. Das zeigt sich<br />
bei der Herausbildung von Obstbaugebieten.<br />
Aber auch andere<br />
Kulturpflanzen wurden vor allem<br />
in der Nähe von Städten angebaut.<br />
Besonders deutlich ist dies in der<br />
Umgebung von Hamburg, wo sich<br />
die Marschstadt und die Marschgebiete<br />
parallel zueinander entwickelten.<br />
Entsprechendes spielte<br />
sich in den Niederlanden ab.<br />
21
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
22<br />
In der unbedeichten Marsch<br />
wuchsen keine Bäume, weil diese<br />
auch durch nur gelegentliche Salzwasserüberflutungen<br />
zerstört<br />
wurden. Daher gab es exzellente<br />
Weideflächen, die nicht gerodet<br />
werden mussten und auf denen<br />
das Vieh prächtig gedieh. Allerdings<br />
musste man, wenn man die<br />
Marsch nutzen wollte, für den<br />
Schutz des Viehs bei hohen Fluten<br />
sorgen. Die Marsch ließ sich auch<br />
nur dann besiedeln, wenn es gelang,<br />
Holz zu importieren, aus<br />
dem Häuser gebaut werden konnten.<br />
Zum Schutz von Mensch und<br />
Tier entstanden sie auf künstlich<br />
geschaffenen Hügeln, den Wurten oder Warften.<br />
Nur wenige Kulturpflanzen gediehen in der Marsch,<br />
darunter Gerste, Ackerbohne und Färberwaid (KÖR-<br />
BER-GROHNE 1967), und wohl nicht immer gelang es,<br />
diese Pflanzen reifen zu lassen, bevor sie von Sturmfluten<br />
zerstört wurden. Mit Färberwaid konnte man<br />
beispielsweise aus Wolle oder Lein hergestellte Fasern<br />
und Stoffe blau färben.<br />
Eine Besiedlung der Marschen war nur bei einer<br />
bestehenden Infrastruktur möglich: Es musste Handel<br />
geben, über den Holz und Kulturpflanzen in die<br />
Marschen gelangten. Im Austausch konnten tierische<br />
Produkte (Milch, Milchprodukte, Wolle, ungefärbte<br />
und gefärbte Textilien, Fleisch) ausgeführt<br />
werden. Die Marschbauern waren sehr erfolgreich;<br />
es gelang ihnen, tierische Produkte in die aufkommenden<br />
Städte zu liefern, und deshalb stand die<br />
Kultur der Marschen auch stets unter städtischem<br />
Einfluss (KÜSTER 2010, im Druck). Der Erfolg der<br />
Marschenwirtschaft stieg nach dem Bau von Deichen<br />
erheblich an: Nun ließen sich auch andere Kulturpflanzen<br />
auf den exzellenten Böden der Marsch<br />
anbauen.<br />
Abb. 7: Kohlfelder in Dithmarschen<br />
Hamburg wurde im Mittelalter und in der frühen<br />
Neuzeit vor allem auf dem Wasserweg mit Lebensmitteln<br />
versorgt (KÜSTER 2007). Weil der Transport<br />
einige Zeit in Anspruch nahm, mussten verderbliche<br />
Produkte in der Nähe der Stadt angebaut werden:<br />
Milch kam von den Elbinseln südlich von Hamburg,<br />
Eier gelangten aus der Winsener Elbmarsch in die<br />
Stadt. Gemüse wurde in der Nähe von Lüneburg<br />
(Bardowick) und in den Vierlanden östlich der Stadt<br />
angebaut; Obst kam aus dem Alten Land. Weniger<br />
leicht verderbliche Güter stammten aus größeren<br />
Entfernungen: Weidenzweige, die man zu Fassreifen<br />
verarbeitete, aus der feuchten Haseldorfer<br />
Marsch, wo man kein Getreide anbauen konnte.<br />
Weizen kam aus der Wilstermarsch, Rapsöl, das<br />
man für die Öllampen auf den Schiffen brauchte,<br />
brachte man aus Dithmarschen und Hadeln nach<br />
Hamburg. Kohl, der widerstandsfähig war und daher<br />
einen längeren Schiffstransport ertragen konnte,<br />
wurde in Dithmarschen für den Konsum in Hamburg<br />
angebaut (Abb. 7). Auch weitere Produkte<br />
wurden auf kleinen Schiffen, vor allem Ewern,<br />
transportiert. Es entwickelten sich regionale Spezia-
Hansjörg Küster: Dinkel, Gurke, Färberwaid: Kulturpflanzen und ihre Landschaften<br />
litäten unter den Kulturpflanzen: Kaum irgendwo<br />
sonst wurde so viel Raps angebaut wie an der Elbmündung,<br />
Kohl aus Dithmarschen ist ebenso berühmt<br />
wie Obst vom Alten Land und Gemüse aus<br />
den Vierlanden (GROTH 2005, KÜSTER 2007). Durch<br />
den engen Kontakt zwischen Marschen und der Hafenstadt<br />
kamen zahlreiche exotische Gewürze und<br />
andere pflanzliche Produkte in die Marschen, die<br />
heute zu deren kulinarischen Besonderheiten zählen,<br />
unter anderem Tee, Ingwer, Piment und Dill. Dill<br />
wurde zu einem bevorzugten Fischgewürz, das in<br />
norddeutschen Gärten viel angebaut wurde und<br />
wird, obwohl die Pflanze eigentlich aus südlichen<br />
Breiten stammt.<br />
Ebenfalls vorwiegend auf dem Wasserweg wurde<br />
Berlin mit landwirtschaftlichen Produkten aus<br />
der Umgebung versorgt: Gurken und Meerrettich<br />
stammten aus dem Spreewald, Obst aus dem Umland<br />
von Werder und anderen Orten an Spree und<br />
Havel. Weitere Anbaugebiete von Kohl entwickelten<br />
sich in der Nähe anderer Städte, beispielsweise<br />
auf den Fildern bei Stuttgart. Im Weichbild der<br />
Städte spezialisierte man sich auch auf den Anbau<br />
von Gewürzen, mit denen ortsansässige Kaufleute<br />
Handel trieben und die man zur Haltbarmachung<br />
von Speisen verwendete (Meerrettich bei Nürnberg,<br />
Schnittlauch bei Frankfurt, Brunnenkresse bei Erfurt,<br />
Safran bei Ulm; vgl. KÜSTER 2003). Der Anbau<br />
von Schnittlauch und anderen Zutaten der „Grünen<br />
Soße“ in der Nähe von Frankfurt hatte mit der großen<br />
Bedeutung des jüdischen Bürgertums in der<br />
Stadt zu tun.<br />
Abb. 8: Buchweizenfeld bei Amelinghausen in der Lüneburger<br />
Heide<br />
Neue Kulturpflanzen<br />
In den letzten Jahrhunderten, vor allem seit dem<br />
Zeitalter der Entdeckungsreisen, wurden zahlreiche<br />
Kulturpflanzen weltweit verbreitet. Gewächse aus<br />
der Neuen Welt kamen nach Europa, Kulturpflanzen<br />
aus dem Nahen Osten, die seit Jahrtausenden auch<br />
vielerorts in Europa angebaut werden, gelangten<br />
nach Amerika. Dieser wichtige Aspekt von Globalisierung<br />
führte aber <strong>–</strong> zunächst wenigstens <strong>–</strong> nicht zu<br />
einer Nivellierung regionaler Anbaukulturen und<br />
Nahrungsgewohnheiten.<br />
Im Mittelalter, also noch vor den Entdeckungsreisen,<br />
wurden mehrere Kulturpflanzen unter slawischem<br />
Einfluss verbreitet: Gurke, Meerrettich, Hanf,<br />
Buchweizen. Buchweizen (Abb. 8) wurde vor allem<br />
in Gebieten mit armen Böden angebaut, im Gebirge<br />
und in der Lüneburger Heide.<br />
23
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
24<br />
Der aus Südeuropa stammende Spargel lässt sich<br />
sehr gut in sandigen Dünengebieten anbauen. Der<br />
Spargelanbau dort hat in den letzten Jahrzehnten<br />
zugenommen, weil Spargel eine gesuchte Delikatesse<br />
ist. Es kam zu einer Markenbildung: Nienburger,<br />
Burgdorfer, Schwetzinger oder Schrobenhauser<br />
Spargel sind weit bekannt und werden viel nachgefragt.<br />
Kartoffeln, die ursprünglich aus Amerika stammen,<br />
gedeihen in den Heidegebieten Norddeutschlands<br />
besonders gut. Tomaten werden in großen<br />
Mengen auf der Insel Reichenau im Bodensee angebaut,<br />
wo die Witterung vor allem im Herbst lange<br />
milde ist und die Böden fruchtbar sind. In manchen<br />
vom Klima begünstigten Gebieten wurde und wird<br />
Tabak angebaut. Dort errichte man Tabakscheunen,<br />
die Vorbildern in der amerikanischen Heimat des Tabaks<br />
ähneln, vor allem in der Oberrheinebene, aber<br />
auch noch in den 1980er Jahren an der Mittelelbe<br />
(KÜSTER & HOPPE 2010).<br />
Fazit<br />
Insgesamt zeigt sich als ein interessantes Resultat<br />
dieses Überblicks, dass viele regionale Besonderheiten<br />
des Anbaus von Kulturpflanzen und der Verwendung<br />
von Nahrungspflanzen nicht als ländliche<br />
Eigenheiten entstanden, sondern unter dem Einfluss<br />
der wachsenden Städte. Durch das Bevölkerungswachstum<br />
wurde es besonders notwendig, vor<br />
allem in den Siedlungszentren genügend Nahrungsmittel<br />
zur Verfügung zu haben. Daher wurden<br />
eventuell schon vorhandene Ansätze von Regionalisierung<br />
des Anbaus im 19. und 20. Jahrhundert<br />
verstärkt. Heute allerdings, unter dem Einfluss eines<br />
immer billiger werdenden Transports von Ort zu Ort,<br />
könnte diese Regionalisierung verloren gehen.<br />
Nicht alle Regionalisierungen des Anbaus von<br />
Kulturpflanzen bestanden nur in der Vergangenheit.<br />
Viele von ihnen nehmen heute sogar noch zu; dies<br />
lässt sich beispielsweise beim Anbau von Obst und<br />
Spargel feststellen.<br />
Es ist wichtig, die Anbau- und Versorgungsmuster<br />
mit den dazu gehörenden Orten der Lagerung<br />
und Aufbereitung zu erfassen und dazu die Kenntnisse<br />
zum Anbau und zur Verarbeitung der Pflanzen<br />
zu dokumentieren. Diese Erfassung könnte durch<br />
ehrenamtlich tätige Mitglieder von Heimatvereinen<br />
erfolgen, auch in Kooperation mit anderen Verbänden,<br />
beispielsweise den Landfrauenverbänden. Eine<br />
solche Erfassung ist aus mehreren Gründen notwendig.<br />
Zunächst einmal geht es darum, die Eigenart<br />
von bestimmten Landschaften zu bewahren, deren<br />
Charakter ganz weitgehend von den dort angebauten<br />
Pflanzen bestimmt wird. Auch diese Pflanzen gilt<br />
es zu erhalten; vermutlich sind in den einzelnen Anbaugebieten<br />
noch alte Landsorten zu entdecken, die<br />
in eine Erhaltungskultur genommen werden sollten.<br />
Ganz besonders wichtig sind weitere Gründe, die<br />
für eine genaue Erfassung der Eigenarten des Kulturpflanzenanbaus<br />
in bestimmten Gebieten sprechen.<br />
Zum einen sollte Einheimischen und Besuchern<br />
deutlich gemacht werden, was in einer jeden<br />
Landschaft einmalig ist; diese Einmaligkeit kann<br />
durch den Anbau bestimmter Kulturpflanzen definiert<br />
sein. Zum anderen geht es darum, in Zeiten<br />
knapper werdender fossiler Energieträger an <strong>Landwirtschaft</strong>s-<br />
und Ernährungsmethoden anknüpfen<br />
zu können, die vor der allgemeinen Verbreitung von<br />
Kohle und Erdöl bestanden haben. Zu den Lebensverhältnissen<br />
der damaligen Zeit werden wir sicher<br />
nicht zurückkehren (und auch nicht zurückkehren<br />
wollen). Aber mutmaßlich werden wir die Zukunft<br />
besser bestehen, wenn wir uns bestimmte Traditionen<br />
des Umgangs mit Landschaft und Kulturpflanzen<br />
wieder in Erinnerung rufen. Es ist möglich, dass<br />
die Beschäftigung mit den Zusammenhängen zwischen<br />
<strong>Landwirtschaft</strong>, <strong>Kulturlandschaft</strong> und regionaler<br />
<strong>Esskultur</strong> einen wichtigen Beitrag zur Zukunftsbewältigung<br />
leisten kann.
Hansjörg Küster: Dinkel, Gurke, Färberwaid: Kulturpflanzen und ihre Landschaften<br />
Literaturverzeichnis<br />
GROTH, C. (2005): Die holsteinischen Elbmarschen. Eigenart<br />
und Charakter einer <strong>Kulturlandschaft</strong>. <strong>–</strong> Diplomarbeit,<br />
Hannover.<br />
KOCH, F. (1936): Die geographische Verbreitung der Obstkelterei,<br />
des Obstwein- und Mostgenusses in Mittel- und<br />
Westeuropa. <strong>–</strong> Öhringen.<br />
KÖRBER-GROHNE, U. (1967): Geobotanische Untersuchungen<br />
auf der Feddersen Wierde. <strong>–</strong> Wiesbaden.<br />
KÖRBER-GROHNE, U. (1987): Nutzpflanzen in Deutschland. <strong>–</strong><br />
Stuttgart.<br />
KÜSTER, H. (1995): Postglaziale Vegetationsgeschichte von<br />
Südbayern. <strong>–</strong> Berlin.<br />
KÜSTER, H. (2003): Kleine Kulturgeschichte der Gewürze.<br />
Ein Lexikon von Anis bis Zimt. <strong>–</strong> 3. Auflage, München.<br />
KÜSTER, H. (2007): Die Elbe. Landschaft und Geschichte. <strong>–</strong><br />
München.<br />
KÜSTER, H. (2010): Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa.<br />
Von der Eiszeit bis zur Gegenwart. <strong>–</strong> 4. Auflage,<br />
München.<br />
KÜSTER, H. (im Druck): Marschen an der Nordseeküste zwischen<br />
Ruralität und Urbanität. <strong>–</strong> Dithmarschen (im Druck).<br />
KÜSTER, H. & A. HOPPE (2010): Das Gartenreich Dessau-<br />
Wörlitz. Landschaft und Geschichte. <strong>–</strong> München.<br />
SIEMENS, H. P. (1948): Der Obstbau an der Niederelbe (Regierungsbezirk<br />
Stade). <strong>–</strong> Hannover.<br />
•<br />
25
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Vermarktungsprojekte und ihre Erfolgsfaktoren<br />
Hannes Bürckmann<br />
26<br />
Zusammenfassung<br />
Das Fundament vieler Vermarktungsinitiativen<br />
bilden ihre Erzeugungsrichtlinien,<br />
die in der Regel auch<br />
Naturschutz- und Landschaftsschutzaspekte<br />
(Offenhaltung, Erhalt seltener Arten,<br />
„landschaftsgerechte“ extensive<br />
Bewirtschaftung, etc.) enthalten. Sind<br />
diese Faktoren in den Erzeuger-Richtlinien<br />
enthalten, leisten die Vermarktungsinitiativen<br />
einen aktiven Beitrag<br />
zum Erhalt der <strong>Kulturlandschaft</strong>. Mit dem Konsum<br />
der Produkte kann der Verbraucher dann den Erhalt<br />
der <strong>Kulturlandschaft</strong> positiv beeinflussen.<br />
Im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsvorhabens<br />
im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz<br />
wurde in Zusammenarbeit mit Regional- und<br />
Projektmanagern eine Systematisierung der Erfolgsfaktoren<br />
von Vermarktungsprojekten erarbeitet.<br />
Der Einsatz der Erfolgsfaktoren erfolgt in der so genannten<br />
EFA-Spinne. Bei der vergleichenden Untersuchung<br />
verschiedener Praxisprojekte stellte sich<br />
heraus, dass der Erfolg oder Misserfolg von Vermarktungsprojekten<br />
nicht ausschließlich mit diesen<br />
Erfolgsfaktoren beschrieben werden kann. Erfolgreiche<br />
Vermarktungsprojekte zeigen, dass neben<br />
der möglichst durchgehenden Erfüllung aller Erfolgsfaktoren<br />
insbesondere ein zentrales Management<br />
mit enormer „Businesskompetenz“ vorhanden<br />
sein muss, sodass neben der Erfüllung der Erfolgsfaktoren<br />
der Initiative (horizontale Kooperation)<br />
selbst auch noch die Erfolgsfaktorenbeurteilung<br />
der angegliederten Partner (vertikale Kooperation)<br />
gewährleistet ist. Vermarktungsprojekte<br />
sollten im Sinne einer Wertschöpfungskette<br />
angelegt und organisiert<br />
werden, es müssen also alle Kettenglieder<br />
von der Vorleistung über Erzeugung<br />
und Logistik bis hin zu Verarbeitung,<br />
Verpackung, Marketing und Vertrieb<br />
als ein durchgehendes Unternehmen<br />
entlang der Wertschöpfung<br />
erfasst und gesteuert werden.<br />
Definition der Regionalvermarktung<br />
Für die Begriffsdefinition von Regionalvermarktung<br />
sind zwei Abgrenzungsbereiche von Bedeutung.<br />
Zum einen handelt es sich dabei um die Abgrenzung<br />
von Regionalmarketing und Regionalvermarktung,<br />
zum anderen um die Trennung von Direktvermarktung<br />
und Regionalvermarktung. Beides sind jedoch<br />
verwandte bzw. sich ergänzende Bereiche.<br />
Regionalmarketing und Regionalvermarktung<br />
Regionalmarketing ist nach Säfken „ein Konzept zur<br />
Vermarktung der Qualität von Teilräumen und damit<br />
der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit“. Primäres<br />
Ziel ist es ein „Produkt“ Region bzw. eine Marke<br />
wie z.B. „Rhön“ zu schaffen. Regionalvermarktung<br />
ist eines der Aktivitätsfelder des Regionalmarketings.<br />
Sie wird oft umschrieben als die Vermarktung<br />
von Produkten „Aus der Region <strong>–</strong> für die Region“.<br />
Mit der Vermarktung regionaler Produkte in der Region<br />
wird nicht zuletzt auch die regionale Identität<br />
<strong>–</strong> das „Wir-Gefühl“ der Bevölkerung <strong>–</strong> gestärkt und<br />
gefördert.
Hannes Bürckmann: Vermarktungsprojekte und ihre Erfolgsfaktoren<br />
Regionalvermarktung weist deutlich auf eine<br />
räumliche Abgrenzung der Vermarktungsaktivitäten<br />
hin, wobei „Region“ sehr unterschiedlich gefasst<br />
wird. Neben einer sehr kleinräumigen Definition<br />
können Regionen auch ein gesamtes Bundesland<br />
umfassen. Eine Region ist meist ein historisch und/<br />
oder administrativ entstandenes Territorium, manchmal<br />
mehr oder weniger identisch mit Naturräumen<br />
oder Teilen von diesen.<br />
Abgrenzung zwischen Direkt- und Regionalvermarktung<br />
Längst geht die regionale Vermarktung über den<br />
klassischen, einzelbetrieblichen Direktvertrieb (Wochenmärkte,<br />
Ab-Hof-Verkauf) hinaus und erfolgt in<br />
Form horizontaler und vertikaler Kooperationen.<br />
Unter horizontalen Kooperationen sind gemeinsame<br />
Direktvermarktungseinrichtungen von landwirtschaftlichen<br />
Betrieben zu verstehen, wie z.B. Bauernläden.<br />
Im Bereich der vertikalen Kooperation bestehen<br />
direkte Handelsbeziehungen zwischen einzelnen<br />
Betrieben oder ihren Zusammenschlüssen<br />
und den Abnehmern wie Großverbrauchern, Verarbeitern<br />
und/oder dem Lebensmitteleinzelhandel.<br />
Folgt man diesen Definitionen, so sind im vorliegenden<br />
Fall mit Vermarktungsinitiativen horizontale<br />
und vertikale Kooperationen gemeint, deren Vermarktungsaktivitäten<br />
insbesondere auf den zentralen<br />
Aspekten „regionale Identität“ und „Herkunft“<br />
basieren. Das Fundament der Vermarktungsinitiativen<br />
bilden ihre Erzeugungsrichtlinien, die in der Regel<br />
auch Naturschutz- und Landschaftsschutzaspekte<br />
(Offenhaltung, „landschaftsgerechte“ extensive<br />
Bewirtschaftung, etc.) enthalten.<br />
Sind diese Faktoren in den Erzeuger-Richtlinien<br />
enthalten, leisten die Vermarktungsinitiativen einen<br />
aktiven Beitrag zum Erhalt der <strong>Kulturlandschaft</strong>. Mit<br />
dem Konsum der Produkte kann dann der Verbraucher<br />
den Erhalt der <strong>Kulturlandschaft</strong> positiv beeinflussen.<br />
Dabei muss aber zwischen den hier beschriebenen<br />
„natur- und landschaftsschutzorientierten<br />
regionalen Vermarktungsinitiativen“ und „regionalen<br />
Spezialitäten“ unterschieden werden. So läuft<br />
z.B. auch der Schwarzwälder Schinken unter „regionaler<br />
Spezialität“, seine Erzeugung leistet aber keinen<br />
Beitrag zum Erhalt der Landschaft im Schwarzwald.<br />
Im Folgenden sind mit Vermarktungsinitiativen<br />
also horizontale und vertikale Kooperationen<br />
gemeint, die regional erzeugte Spezialitäten an<br />
landschaftserhaltende Erzeugungsmethoden knüpfen.<br />
Erfolgsfaktoren von Vermarktungsprojekten<br />
Die Definition von Erfolgsfaktoren von Vermarktungsprojekten<br />
wird im Folgenden anhand von zwei<br />
Praxisbeispielen durchgeführt: der Erzeugergemeinschaft<br />
Schwarzwald Nord (EZG) und der Streuobst-<br />
Initiative Calw-Enzkreis-Freudenstadt e.V. (Streuobst-Initiative).<br />
Erzeugergemeinschaft Schwarzwald Nord<br />
Ausgangspunkt: Regionalvermarktungsstudie im<br />
Landkreis Freudenstadt (2000) mit den Empfehlungen:<br />
Gründung einer Erzeugergemeinschaft zur Erzeugung<br />
und Vermarktung von Rind-/Lammfleisch<br />
aus Weidemast (Offenhaltung der Schwarzwaldtäler)<br />
unter Zusammenarbeit von Land- und Gastwirten<br />
mit Metzgern<br />
Meilensteine<br />
− Mai 2001: Gründung eines Vereins<br />
− 2001: Testmärkte und Unternehmenskonzept<br />
− Dez. 2002: Aktion „Winterliche Gaumenfreuden“<br />
mit 18 Gastronomiebetrieben<br />
− 2003: Gründung einer GmbH (Tochter-GmbH<br />
des e.V.) und Übernahme einer Metzgerei<br />
− 2003: Öffentlichkeitsarbeit und Marketing<br />
− März 2004: Gastronomie-Aktion „Schwarzwälder<br />
Weidelamm“<br />
27
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
− 2004: Umsatz ca. € 460.000,-<br />
− 2005: Gastronomie-Aktion „Schwarzwälder<br />
Schlemmerwochen“ im Nordschwarzwald<br />
− Ausdifferenzierung des Produktportfolio<br />
− 2004: erste Probleme bei Bezahlung von Lieferanten,<br />
Probleme bei Produktqualität<br />
− Feb. 2005: Sanierungskonzept (Kapitalerhöhung<br />
und neue Vermarktungswege)<br />
− Juni 2005: Rücktritt des Vorstandes, interne<br />
Differenzen zwischen Verein und GmbH-Management<br />
− Sommer 2006: Insolvenz der EZG<br />
− Okt. 2003: Markteinführung Apfelsaft unter<br />
einheitlicher Marke in drei Landkreisen<br />
(Schneewittchen)<br />
− 2004<strong>–</strong>2007: Ausdifferenzierung Produktportfolio<br />
(A-Saft, A-Mango, Cidre, Aperitif, A-<br />
Zwetschge)<br />
− 2004<strong>–</strong>2009: Ausweitung der Vermarktung<br />
Stand 2009<br />
− 250.000 Liter Saft (2004: 100.000 Liter)<br />
− 350 Lieferanten, 2 Keltereien<br />
− € 8,<strong>–</strong> Aufpreis / dt. angeliefertes Obst,<br />
− 350 ha Vertragsfläche<br />
− 25 Mitgliedsvereine und 60 ehrenamtliche Berater<br />
und Kontrolleure<br />
28<br />
Abb. 1: Marken und Produktportfolio der EZG Schwarzwald<br />
Nord Quelle: neulandplus, 2003<br />
Streuobst-Initiative Calw-Enzkreis-Freudenstadt<br />
e.V.<br />
Ausgangspunkt: Modellprojekt Freudenstadt als<br />
Projekt zur Entwicklung von naturschutzorientierten<br />
Tourismus- und Vermarktungsprojekten mit den<br />
Schwerpunktbereichen Offenhaltung durch Beweidung<br />
(s. EZG Schwarzwald Nord) und Erhalt der<br />
Streuobstwiesen durch den Aufbau einer Aufpreis-<br />
Vermarktungsinitiative für Streuobstprodukte<br />
Meilensteine<br />
− 2003: Kooperationsgespräche der bestehenden<br />
Streuobst-Projekte der Landkreise Calw<br />
und Enzkreis mit dem Landkreis Freudenstadt<br />
− 2003: Organisationsentwicklung, Vereinsgründung,<br />
Finanzierungs- und Marketingkonzept<br />
Abb. 2: Die Marke „Schneewittchen“ der Streuobst-Initiative<br />
Calw-Enzkreis-Freudenstadt e.V.<br />
Quelle: neulandplus, 2004<br />
Entwicklungsschritte von Vermarktungsprojekten<br />
Anhand der dargestellten Praxisbeispiele können einige<br />
zentrale Entwicklungsschritte von Vermarktungsprojekten<br />
definiert werden, die generalisierbar sind:<br />
1. Geschäftsidee und Businessplan<br />
Identifizierung der Problemstellung, Akteure<br />
sowie Produktions- und Entwicklungspotenziale<br />
2. Marktanalyse und Marketingkonzept<br />
Analyse der Erzeugungspotenziale und Nachfrage<br />
(Menge, Preis, etc.) sowie der Vermarktungswege<br />
und Marketingmethoden
Hannes Bürckmann: Vermarktungsprojekte und ihre Erfolgsfaktoren<br />
3. Organisationsentwicklung und Finanzierungskonzept<br />
Identifizierung und Aufbau einer geeigneten<br />
Unternehmensform, (vertragliche) Abstimmung<br />
der Zusammenarbeit mit Partnern, Sicherung<br />
der Finanzierung, Liquidität, etc., Kapitalbeschaffung<br />
4. Marktvorbereitung und Markteinführung<br />
Durchführung von Testmärkten verbunden mit<br />
der Entwicklung der Produkte bis zur Marktreife,<br />
Einführung der Produkte in Zusammenarbeit<br />
mit Partnern, begleitende Öffentlichkeitsarbeit<br />
5. Differenzierung des Produktportfolios<br />
Entwicklung und Einführung neuer/weiterer<br />
Produkte im selben Vertriebsweg zum Ausbau<br />
der Marktposition bzw. des Absatzvolumens,<br />
zur Befriedigung der Kundenwünsche oder<br />
zum Beschreiten neuer Vermarktungswege<br />
6. Begleitende Marketing- und PR-Maßnahmen<br />
Fortlaufende Öffentlichkeitsarbeit während<br />
des gesamten Projektverlaufs zur Aktivierung<br />
von Partnern, Erzeugern oder Unterstützern<br />
sowie zur Schaffung einer Nachfrage<br />
7. Konsolidierung der Vermarktungsaktivitäten<br />
und Etablierung als Wertschöpfungskette,<br />
wechselweise Einführung von neuen Produkten<br />
und Konsolidierung der Marktposition mit<br />
Überprüfung des Produktportfolios, der Vermarktungswege,<br />
Marketingaktivitäten und<br />
Partner sowie kontinuierliche Erfüllung der Erfolgsfaktoren<br />
Erfolgsfaktoren von Vermarktungsprojekten<br />
KULLMANN hat 2003 im Rahmen eines Forschungsund<br />
Entwicklungsvorhabens am Institut für Ländliche<br />
Strukturforschung der Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />
Frankfurt/Main im Auftrag des Bundesamts<br />
für Naturschutz die Regionalvermarktung<br />
in den deutschen Biosphärenreservaten untersucht<br />
und dabei in Zusammenarbeit mit Regional- und<br />
Projektmanagern eine Systematisierung der Erfolgsfaktoren<br />
von Vermarktungsprojekten erarbeitet.<br />
Dieser Ansatz wurde später auch zur Evaluierung<br />
des PLENUM-Programms (und auch des Modellprojekts<br />
Freudenstadt mit den oben beschriebenen Teilprojekten<br />
EZG Schwarzwald Nord und Streuobst-Initiative)<br />
eingesetzt.<br />
Die Erfolgsfaktoren sind nach Projektmanagement<br />
und Marketingmanagement getrennt systematisiert:<br />
Erfolgsfaktoren des Projektmanagements:<br />
− Eigenmotivation regionaler Akteure<br />
− Engagierte Schlüsselpersonen<br />
− Prozesskompetenz der Schlüsselpersonen<br />
− Starke Partner<br />
− Gute Beziehungen<br />
− Ausreichende Ressourcen<br />
− Aufgabengerechte Organisationsstruktur<br />
− Vorzeigbare Erfolge<br />
− Win-Win-Situation für verschiedene Interessengruppen<br />
Erfolgsfaktoren des Marketingmanagement<br />
− Kommunikation<br />
− Distribution<br />
− Preis/Leistung<br />
− Top-Qualität<br />
− Kontrollsystem<br />
− Besondere Produktionsrichtlinien<br />
− Sinnvolle Herkunftsregion<br />
− Konsistente Marketingstrategie<br />
− Marketingkompetenz der Schlüsselpersonen<br />
Einsatz der Erfolgsfaktoren in der Praxis<br />
Die Erfolgsfaktorenanalyse nach der Zusammenstellung<br />
von Kullmann wurde zur Analyse der beiden<br />
oben dargestellten Praxisprojekte eingesetzt. Dabei<br />
werden alle Erfolgsfaktoren mit jeweils vier Faktoren<br />
untersetzt, die dann die Bewertung und anschlie-<br />
29
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
30<br />
ßende Visualisierung ermöglichen.<br />
Die Visualisierung der Erfolgsfaktoren<br />
erfolgt in der so genannten<br />
EFA-Spinne.<br />
Bei der vergleichenden Untersuchung<br />
der beiden Praxisprojekte<br />
stellte sich heraus, dass nur bei<br />
wenigen der Erfolgsfaktoren größere<br />
Unterschiede festzustellen<br />
waren, wie sie in der folgenden Tabelle<br />
aufgeführt sind.<br />
Bei der Analyse der beiden Projekte<br />
auf der Suche nach der<br />
Ursache des Scheiterns der EZG<br />
Schwarzwald Nord wurden darüber<br />
hinaus weitere Faktoren des<br />
Misslingens identifiziert wie eine<br />
zu geringe Eigenkapitalausstattung<br />
und eine fehlende Businesskompetenz<br />
des Managements.<br />
Daneben konnten Schwächen bei<br />
interner Kommunikation, Produktqualität,<br />
Personalpolitik und Logistik als Mit-<br />
Ursachen für das Scheitern des Projekts identifiziert<br />
werden.<br />
Betrachtet man all diese Faktoren, muss man allerdings<br />
feststellen, dass beide dargestellten Projekte<br />
Tabelle 1: Unterschiede in den Erfolgsfaktoren<br />
Erfolgsfaktor Schneewittchen EZG<br />
Schlüsselpersonen + + + + +<br />
Partner / Beziehungen 0 + +<br />
Organisationsstruktur e.V. & Partner e.V. & GmbH<br />
Distribution + + + 0<br />
Marketingkompetenz + + 0<br />
Bewertung von + + + =<br />
voll erfüllt bis 0 = nicht erfüllt<br />
Quelle: neulandplus, 2008<br />
Abb. 3: EFA-Spinne am Beispiel der Streuobst-Initiative Calw-Enzkreis-Freudenstadt e.V.<br />
Quelle: neulandplus, 2006, verändert nach Kullmann, 2003<br />
im zeitlichen Verlauf vor denselben Herausforderungen<br />
bzw. der Notwendigkeit zur Erfüllung der selben<br />
Erfolgsfaktoren stand. Es stellt sich daher die<br />
Frage, ob es nicht einen weiteren Erfolgsfaktoren<br />
geben muss, der für das Scheitern oder Fortbestehen<br />
eines Vermarktungsprojekts<br />
von zentraler Bedeutung ist.<br />
Nachhaltigkeit von<br />
Vermarktungsprojekten<br />
Vermarktungsprojekte für regional<br />
erzeugte Spezialitäten stehen<br />
prinzipiell vor einigen großen Herausforderungen.<br />
Sie müssen höhere<br />
Qualitätsstandards bei Erzeugung<br />
und Verarbeitung erfüllen,
Hannes Bürckmann: Vermarktungsprojekte und ihre Erfolgsfaktoren<br />
um sich von den Konkurrenzprodukten am Markt<br />
abheben zu können. Dies stellt höhere Anforderungen<br />
an Marketing und Kommunikation, um diesen<br />
Wettbewerbsnachteil in einen Vorteil gegenüber<br />
der Konkurrenz umzukehren. Dazu kommen, wegen<br />
der niedrigen Produktionsmenge, höhere<br />
Stückkosten sowie weitere Problembereiche wie<br />
Kapitalbeschaffung, geringe Risikobereitschaft der<br />
Mitglieder und kleinräumige Logistik- und Distributionslösungen.<br />
Betrachtet man diese Faktoren zusammen mit<br />
den oben beschriebenen Erfolgsfaktoren, dann zeigen<br />
erfolgreiche Vermarktungsprojekte, dass die<br />
möglichst durchgehende Erfüllung aller Erfolgsfaktoren<br />
von großer Bedeutung ist. Daraus ergibt sich<br />
aber auch die Notwendigkeit, dass Vermarktungsprojekte<br />
über ein zentrales Management mit enormer<br />
Businesskompetenz verfügen müssen, das<br />
neben der Erfüllung der Erfolgsfaktoren der Initiative<br />
(horizontale Kooperation) selbst auch noch die Erfolgsfaktorenbeurteilung<br />
der angegliederten<br />
Partner (vertikale Kooperation)<br />
gewährleisten soll. Diesem<br />
Management ist eine enorme Bedeutung<br />
beizumessen. Dabei muss aber<br />
auch berücksichtigt werden, dass<br />
viele Vermarktungsprojekte annähernd<br />
basisdemokratisch als Verein<br />
oder Genossenschaft organisiert sind<br />
und sich hier eine Spannung zwischen<br />
breiter Beteiligung und zentralem<br />
Management ergeben kann.<br />
Abb. 4: Entwicklung zur WSK „Schneewittchen“ Quelle: neulandplus, 2007<br />
Vermarktungsprojekte sind demnach<br />
nachhaltig, wenn<br />
<strong>–</strong> alle Erfolgsfaktoren erfüllt werden,<br />
<strong>–</strong> die Erfüllung der Erfolgsfaktoren<br />
„gleichrangig“ erfolgt (Liebigsches<br />
Minimumgesetz),<br />
<strong>–</strong> die Erfolgsfaktoren auf die lokalen<br />
Gegebenheiten angepasst<br />
sind,<br />
<strong>–</strong> ein zentrales Management konsequent<br />
und zielgerichtet das<br />
Projekt steuert und<br />
<strong>–</strong> das Produkt authentisch, hochwertig<br />
und dazu geeignet ist,<br />
dem Nutzer einen Vorteil zu<br />
verschaffen.<br />
31
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Insgesamt bedeutet dies, dass Vermarktungsprojekte<br />
im Sinne einer Wertschöpfungskette angelegt<br />
und organisiert werden, dass also alle Kettenglieder<br />
von der Vorleistung über die Erzeugung und Logistik<br />
bis hin zu Verarbeitung, Verpackung, Marketing<br />
und Vertrieb als ein durchgehendes Unternehmen<br />
entlang der Wertschöpfung definiert und gesteuert<br />
werden. Anhand von Abbildung 4 ist die Entwicklung<br />
von der klassischen Lieferbeziehung der Mostobsterzeuger<br />
hin zur Wertschöpfungskette der<br />
Streuobst-Initiative dargestellt.<br />
Die konsequente Umsetzung der Streuobst-Initiative<br />
Calw-Enzkreis-Freudenstadt e.V. als Wertschöpfungskette<br />
hat nicht nur zur erfolgreichen Entwicklung<br />
der Projektes beigetragen, sondern auch für<br />
eine erhebliche Steigerung der Wertschöpfung in<br />
der Region beigetragen. So kann von einer zusätzlichen<br />
Wertschöpfung in der Region von ca.<br />
€ 200.000 pro Jahr durch die Vermarktungsaktivitäten<br />
ausgegangen werden.<br />
Die Grenzen naturschutzorientierter<br />
Vermarktungsprojekte<br />
Regional erzeugte Spezialitäten stehen derzeit sehr<br />
hoch in der Verbrauchergunst. Das belegen neben<br />
verschiedenen Marktstudien z.B. der GfK oder von<br />
Nestlé auch die Bemühungen der Einzelhandelsketten,<br />
mit regionalen Eigenmarken beim Verbraucher<br />
zu punkten. Allerdings haben diese regionalen Produkte,<br />
die in der Regel im Hochpreis- oder Premiumsegment<br />
angesiedelt sind, eine begrenzte<br />
Zielgruppe bzw. Käuferschicht. Durch die inflationäre<br />
Verwendung des Begriffs Regionalität ergibt<br />
sich ein immer stärkerer Konkurrenzkampf um die<br />
Kunden.<br />
Das Beispiel der Streuobst-Initiative zeigt aber<br />
auch die Grenzen naturschutzorientierter Vermarktungsprojekte<br />
auf. So existieren derzeit in Baden-<br />
Württemberg rund 60 Aufpreis-Vermarktungsprojekte<br />
nach dem Beispiel der Streuobst-Initiative<br />
Calw-Enzkreis-Freudenstadt e.V. Diese Projekte<br />
internalisieren den externen Effekt (Landschaftserhalt)<br />
des Landschaftsschutzes durch die Richtlinien<br />
und den Aufpreis. Sie haben derzeit rund 3.500 ha.<br />
Streuobstwiesen in ihrem Schutzsystem und vermarkten<br />
rund 3 Mio. l Apfelsaft und Apfelsaftprodukte.<br />
Viele der Projekte sind aufgrund fehlender<br />
Nachfrage und ihrer überwiegend ehrenamtlichen<br />
Organisation an einer Grenze der Vermarktung angelangt,<br />
so dass ihr Schutzsystem derzeit nur rund<br />
zwei bis drei Prozent der gesamten Streuobstfläche<br />
des Landes Baden-Württemberg umfasst und nicht<br />
weiter ausgedehnt werden kann.<br />
Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass regional<br />
erzeugte Spezialitäten in ihrem „Wirkungskreis“<br />
zur Steigerung der Wertschöpfung und zum<br />
Landschaftserhalt beitragen und eine wichtige Funktion<br />
bei der „Bewusstseinsbildung“ zum Landschaftserhalt<br />
erfüllen, aber keinen flächendeckenden<br />
Landschaftserhalt sicherstellen können.<br />
Literatur<br />
SÄFKEN, A. (1999): Der Event in Regionen und Städtekooperationen.<br />
<strong>–</strong> Augsburg.<br />
KULLMANN, A. (2003): Erfolgsfaktoren regionaler Vermarktungsprojekte<br />
<strong>–</strong> Ergebnisse der Evaluierung von 10 Modellprojekten,<br />
Bericht zum FuE-Vorhaben Regionalvermarktung<br />
in Biosphärenreservaten des Instituts für Ländliche<br />
Strukturforschung an der Johann Wolfgang Goethe-<br />
Universität Frankfurt/Main.<br />
•<br />
32
Dirk Holterman: Delikatessen am Wegesrand <strong>–</strong> Ein Beitrag zum Landschaftsschutz<br />
Delikatessen am Wegesrand <strong>–</strong><br />
Ein Beitrag zum Landschaftsschutz<br />
Dirk Holterman<br />
Die heutige Entwicklung unserer historisch<br />
gewachsenen <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
steht in diametralem Gegensatz<br />
zur offensichtlichen Sehnsucht vieler<br />
Menschen nach einer „heilen“ und intakten<br />
Umwelt. Die bäuerliche <strong>Landwirtschaft</strong><br />
hat längst ihre prägende Rolle<br />
verloren, und es steht zu befürchten,<br />
dass die Landschaft zu einem großen<br />
touristischen „Heimatmuseum“ verkommt,<br />
in der Schafe den motorisierten<br />
Rasenmäher der Landschaftspfleger ersetzen, traditionelle<br />
Obstwiesen als Alibi für historisch gewachsene<br />
Strukturen herhalten müssen und das Wissen<br />
um unsere heimischen Pflanzen verloren geht.<br />
Die von Dr. Brigitte Klemme (†) und Dr. Dirk Holterman<br />
Anfang dieses Jahrhunderts konzipierte,<br />
entwickelte und dann im Rahmen der von ihnen gegründeten<br />
Gundermannschule will mit ihrem Konzept<br />
der „Kräuterpädagogik“ neues Bewusstsein für<br />
unsere Umwelt schaffen, altes Wissen um unsere<br />
heimischen, nicht kultivierten Pflanzen erhalten und<br />
Menschen die Möglichkeit geben, wieder einen natürlichen<br />
und angstfreien Umgang mit unserer Natur<br />
pflegen zu können.<br />
Im Gegensatz zu einem wirtschaftlichen Ansatz,<br />
der <strong>Kulturlandschaft</strong> bei Verbrauchern durch geschmackliche<br />
und qualitativ hochstehende landwirtschaftliche<br />
Produkte und Erzeugnisse erhalten will,<br />
setzt die Kräuterpädagogik an einem anderen, zunächst<br />
nicht finanziell zu betrachtenden Ende an.<br />
Kein touristischer Prospekt, der nicht mit bunten<br />
Blumenwiesen für die Schönheit der Umgebung<br />
wirbt. Nur wo sind diese Wiesen Und<br />
wer darf hier noch mit einem bunten<br />
Strauß nach Hause gehen<br />
Es sind die durchweg positiven,<br />
„schönen“ Kindheitserinnerungen, die<br />
ein Bild von unserer Umgebung geprägt<br />
haben. Die eine war „Gänseblümchenprinzessin“,<br />
spielte mit Pusteblumen,<br />
die Jungs haben vielleicht<br />
mit Löwenzahn Pipelines gebaut, sich<br />
über das Einrollen angeschnittener<br />
Stängel gewundert oder die Mädchen mit Brennnesseln<br />
geärgert. Erinnerungen frei von modernen<br />
Ängsten heutiger Mütter, die aus Sorge vor Fuchsbandwurm,<br />
Zecken oder Giftpflanzen Kinder von<br />
unserer natürlichen Umgebung fernzuhalten versuchen.<br />
Dabei sehnen sie sich selbst nach der „guten<br />
alten Zeit“ und erinnern sich gerne daran, wie sie<br />
ihrer Mutter mit einem selbst gepflückten Blumenstrauß<br />
aus der Wiese eine Freude machen konnten.<br />
Heute dagegen stellt sich die Frage: Wer kennt<br />
denn überhaupt noch das Gänseblümchen Klar,<br />
weiß doch jedes Kind, kommt als Antwort, aber ehrlich:<br />
Wer würde die Pflanze noch erkennen, wenn<br />
sie gerade keinen Blütenstand hat Eine Wildpflanze,<br />
mit der jeder fast tagtäglich irgendwie zu tun<br />
hat.<br />
Aus Sicht des Naturschutzes wird die Frage immer<br />
brennender: Wie soll ich bestimmte Biotope, seltene<br />
Pflanzen schützen, wenn in der Bevölkerung keiner<br />
mehr über Artenkenntnis verfügt Die Kräuterpädagogik<br />
nach Dr. Klemme/Dr. Holterman verfolgt hier<br />
einen einfachen Weg: Lernen Sie erst einmal das<br />
33
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
34<br />
Gänseblümchen genau kennen. Wussten Sie, dass<br />
die Blätter behaart sind, dass Blätter, Blütenstiel und<br />
das Blütenköpfchen essbar sind und unterschiedlich<br />
schmecken <strong>–</strong> und warum<br />
Wer eine Pflanze kennt, sicher erkennt, und die<br />
typischen Merkmale verinnerlicht hat, der beschäftigt<br />
sich dann mit einer zweiten Pflanze, vielleicht<br />
dem Löwenzahn. Und so baut sich langsam eine solide<br />
Artenkenntnis auf, ohne sich als Anfänger durch<br />
die oft unterschiedlichen und verwirrenden Aussagen<br />
unserer Bestimmungsbücher irritieren zu lassen.<br />
Natur schmeckt<br />
Ein Weg, die Pflanzen seiner Umgebung schätzen,<br />
lieben und später auch schützen zu lernen, geht<br />
schlichtweg über den Magen. Ein selbst gemachtes<br />
Gänseblümchen-Gelee ist etwas ganz anderes als<br />
gekaufte Marmelade. Gebackene Löwenzahnknospen<br />
lassen auch den verwöhnten Gourmet aufhorchen.<br />
Bunte Blütensalate aus Giersch, Spitzwegerich,<br />
Schafgarbe und Vogelmiere sind auch ein Augenschmaus.<br />
Gemischt mit heimischen Salaten lassen<br />
sich als gesellschaftliches Ereignis „essbare<br />
Blumensträuße“ zusammenstellen, die als kleine,<br />
mit einer Möhrenscheibe zusammengehaltene<br />
Kunstwerke anschließend der Zeit, oder besser dem<br />
Abb. 1: Un-Kräuter vom Feinsten <strong>–</strong> Bunter Wildkräuterquark<br />
auf Chicorée-Schiffchen<br />
Hunger zum Opfer fallen, vielleicht verbunden mit<br />
der Erkenntnis, dass Kunst vergänglich sein kann.<br />
Die Erinnerung an das gemeinsame „Leiden“ an der<br />
Un-Kraut-Salatbar aber macht ein solches „Naturereignis“<br />
unvergesslich.<br />
Das Auge isst mit<br />
Nicht die Fakten gilt es in erster Linie zu vermitteln,<br />
diese lassen sich überall nachlesen, sondern Emotionen<br />
wieder erlebbar und auch wiederholbar zu machen,<br />
sind die Ansätze für ein nachhaltiges Naturverständnis.<br />
Was mir gefällt, was mir etwas bedeutet,<br />
das erst werde ich später auch schützen, weil es<br />
mir persönlich etwas wert ist. Allein ein kleiner Blumenstrauß<br />
zu Mittag auf dem Esstisch wird so mancher<br />
Ehepartner sich peinlich fragen lassen: Hab ich<br />
den Hochzeitstag vergessen, oder warum sind plötzlich<br />
Blumen auf dem Tisch<br />
Liebe geht durch den Magen<br />
Die ungeliebte Brennnessel wird plötzlich zu einer<br />
Delikatesse, wenn ich deren Früchte in Olivenöl ausbacke<br />
und in Malvenblüten eingepackt als Begrüßungshäppchen<br />
meinen Gästen anbieten kann <strong>–</strong><br />
verbunden mit dem dezenten Hinweis: Den Mönchen<br />
in früheren Zeiten soll der Verzehr von Brennnesseln<br />
verboten gewesen sein. Spätestens nach<br />
drei Sekunden kommt dann die Zwischenfrage: warum<br />
Und schon ist die eigene Fantasie angesprochen.<br />
Es sind nicht unbedingt die botanischen Details,<br />
warum sich Menschen für unsere Kräuterführungen<br />
interessieren, es sind die Geschichten, die<br />
Erinnerungen, die persönlichen Erlebnisse, die Neugier<br />
wecken, die mit einzelnen Pflanzenarten verbunden<br />
sind. Und wenn diese auch noch schmecken<br />
Mit Wiesenlabkraut, Giersch oder Wiesenbärenklau,<br />
mit den Sprossen des Wiesenbocksbarts<br />
oder den Blütenköpfen von Löwenzahn oder Rotklee<br />
<strong>–</strong> damit kann man (fast) jedem Anfänger zu-
Dirk Holterman: Delikatessen am Wegesrand <strong>–</strong> Ein Beitrag zum Landschaftsschutz<br />
unserer Kulturpflanzen sein sollen.<br />
Nur, sie haben schlichtweg all jene<br />
Inhaltsstoffe noch, die den Kulturpflanzen<br />
weggezüchtet wurden<br />
oder die dabei verloren gegangen<br />
sind. Diese nehmen wir dann bei<br />
Verdauungsproblemen in „flüssiger“<br />
Form meist nach dem Essen<br />
zu uns. Warum also den Umweg,<br />
wenn das Original in jedem Garten<br />
wächst<br />
Kräuter-Wege verbinden<br />
Abb. 2: Eröffnung des Eifeler Kräuterpfades im Beisein der Bürgermeister von<br />
Nettersheim und Bad Münstereifel (rechts), Dr. Dirk Holtermann (links),<br />
Dr. Brigitte Klemme (Mitte) und den Eifeler Kräuterpädagogen<br />
mindest eine Vorstellung vermitteln, dass Wildpflanzen<br />
keineswegs nur nach „Gras“ schmecken.<br />
Das Erfolgsmodell „Mensch“ ist in seiner drei bis<br />
vier Millionen Jahre alten Geschichte ohne Wildkräuter<br />
undenkbar <strong>–</strong> gut, zwischendurch mal ein<br />
Mammut. Es waren und sind<br />
heute noch immer Blätter,<br />
Sprosse, Blüten, Wurzeln, Samen<br />
und Früchte, die unseren<br />
Speiseplan prägen <strong>–</strong> wenn<br />
auch zum Teil mit dem „Umweg“<br />
über „vier Beine“, für<br />
mich die vegetarischste Form<br />
der „Kräuterveredelung“,<br />
wenn ein Rind sein Leben lang<br />
nur auf schönen und artenreichen<br />
Wiesen weiden durfte.<br />
Das bedeutet, dass Wildpflanzen<br />
heute eine Bereicherung<br />
unser einseitig werdenden/gewordenen<br />
Ernährung darstellen,<br />
keineswegs aber Ersatz<br />
Dass Wildkräuter nicht nur Begeisterung<br />
auslösen, sondern auch zur<br />
„Verbrüderung“ beitragen können,<br />
zeigen die Gemeinden Nettersheim<br />
und Bad Münstereifel in<br />
Nordrhein-Westfalen. Die eine ohnehin schon als<br />
„Naturschutzhauptstadt“ bekannt, die andere wandelt<br />
sich von der Kneipp-Stadt zur Kräuter-Stadt <strong>–</strong><br />
beide verbindet ein 20 km langer Kräuterpfad, der<br />
Abb. 3: Eröffnung des 1. Bayerischen Kräuterweges in Böhmfeld<br />
35
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
36<br />
mehr sein will als nur ein Wanderweg durch eine<br />
schöne und abwechslungsreiche Landschaft. Kräuterpädagogen<br />
bieten hier genauso geführte Wanderungen<br />
an, wie im bayerischen Böhmfeld, wo 2010<br />
der erste „Bayerische Kräuterweg“ neue touristische<br />
Perspektiven setzen will.<br />
Naturbotschafter der Regionen<br />
Die persönliche Begeisterung, die Überzeugung, das<br />
eigene, gelebte Wissen macht Kräuterpädagogen<br />
schnell zu Botschaftern der sie umgebenden Landschaft.<br />
Und das auf einem nicht organisierten Niveau,<br />
ohne staatliche Unterstützung und frei von Ideologien<br />
<strong>–</strong> doch mit der zunehmenden Sensibilisierung<br />
für den Erhalt unserer natürlichen Lebensressourcen.<br />
Praxis<br />
Pädagogik<br />
Artenkenntnis<br />
Theorie<br />
Kräuterpädagogik nach Dr. Klemme/<br />
Dr. Holterman<br />
Vor der Jahrhundertwende zeichnete sich ab, dass<br />
die von Dr. Brigitte Klemme in Bad Münstereifel angebotenen<br />
Wildkräuterführungen auf ein zunehmendes<br />
Interesse stießen. Die 3 Tages-Kurse waren<br />
immer ausgebucht. Diese Kurse fanden schnell<br />
Nachahmer, aber <strong>–</strong> wie sich schnell herausstellte <strong>–</strong><br />
nicht immer mit dem nötigen Sach- und Fachverstand.<br />
Aus Sorge, das Thema „Wildkräuter“ könnte<br />
unter nicht kompetenten Führern leiden, entschlossen<br />
wir uns, das zusammen zu tragen, was unserer<br />
Meinung nach ein „Kräuterführer“ wissen muss, um<br />
eine Führung nach unseren Vorstellungen erfolgreich<br />
durchführen zu können. Neben dem biologischen<br />
Sachwissen sollte die Liebe zu den Pflanzen,<br />
das Interesse an der Natur im Vordergrund stehen.<br />
„Mit dem Herzen sehen“ war eine unserer zentralen<br />
Ansprüche, mit dem Natur zu einem individuellen<br />
Erlebnis werden könnte. Nur was Du genauer<br />
kennst, bedeutet Dir auch etwas und Du wirst es<br />
schützen. So entstand das 5-Säulen-Modell der<br />
Kräuterpädagogik, das sich aus Artenkenntnis, Hintergrundwissen<br />
sowie Theorie und Praxis zusammensetzt<br />
und in eine zielgruppenorientierte Pädagogik<br />
eingebunden ist. Nach dem Motto: „Tue Gutes<br />
<strong>–</strong> und rede darüber“ kam dann noch die Medienkunde<br />
hinzu, Möglichkeiten,<br />
sich und sein Angebot aufgrund<br />
journalistischer Erfahrungen in<br />
der Öffentlichkeit besser platzieren<br />
zu können.<br />
<br />
Hintergrund<br />
Wissen<br />
Abb. 4: Kompetenzmodell der von Dr. Brigitte Klemme und Dr. Dirk Holterman<br />
entwickelten Kräuterpädagogik<br />
Die Jahrzehnte lange Erfahrung<br />
von Dr. Brigitte Klemme<br />
und Dr. Dirk Holterman spiegeln<br />
sich in einem umfangreichen<br />
Lehrplan wider <strong>–</strong> Grundlage für<br />
die Qualifizierung zum Kräuterpädagogen.<br />
Es hat sich gezeigt,<br />
dass interessierte Laien durch<br />
sinnliches Erfahren, spielerisches<br />
Sehen lernen, durch aktiven<br />
Umgang mit Pflanzen ohne<br />
„Verbotspädagogik“ für biologische<br />
und ökologische Zusam-
Dirk Holterman: Delikatessen am Wegesrand <strong>–</strong> Ein Beitrag zum Landschaftsschutz<br />
menhänge und die Wertschätzung<br />
nicht nur der bodenständigen<br />
Pflanzenwelt, sondern<br />
auch für die Vielfalt von Naturund<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong> zu begeistern<br />
sind.<br />
Eigene Begeisterung, verbunden<br />
mit fachlichem Wissen<br />
und der Fähigkeit, dieses Fachwissen<br />
spannend und begreifbar<br />
als „Delikatessen am Wegesrand“<br />
verpackt, weiterzugeben,<br />
führen zu nachhaltigem<br />
Interesse und Kenntnis<br />
bei den Seminarteilnehmern.<br />
Mit Stand 2010 sind im<br />
deutschsprachigen Raum annähernd<br />
2000 Kräuterpädagogen<br />
durch die Gundermannschule<br />
in Zusammenarbeit mit staatlichen und regionalen<br />
Stellen zertifiziert worden.<br />
Nach dem Tode von Frau Dr. Brigitte Klemme im<br />
April 2010 wurde eine auch personelle Neuorientierung<br />
der Gundermannschule nötig. Das Ausbildungskonzept<br />
der Kräuterpädagogik wird zukünftig<br />
von der von Dr. rer. nat. Dirk Holterman und Dr. phil.<br />
Astrid Yvonne Kempen im Juni 2010 gegründeten<br />
Gundermann-Akademie übernommen. Dieses neue<br />
Bildungsunternehmen in privater Trägerschaft hat<br />
sich den drei Säulen verschrieben:<br />
<strong>–</strong> Bildung für eine nachhaltige Entwicklung<br />
<strong>–</strong> Management für eine nachhaltige Entwicklung<br />
<strong>–</strong> Gesunde Ernährung und hauswirtschaftliche<br />
Produkterzeugung<br />
Ein Blick ins Internet ergibt fast 300.000 Treffer<br />
allein beim Begriff „Kräuterpädagogin“. Viele der<br />
qualifizierten Frauen haben sich mit der Kräuterpädagogik<br />
ein eigenes (neben-)berufliches Standbein<br />
geschaffen. Die Bandbreite reicht von Führungen,<br />
Abb. 5: Drei Weidezaun-Generationen sichtbar nebeneinander: Buche <strong>–</strong> Beton<br />
<strong>–</strong> Elektrodraht<br />
Produktherstellung, Vorträgen und Seminaren bis<br />
hin zur Seniorenbetreuung oder dem Erlebnis-Catering.<br />
Nicht allein Konsumieren ist hier die Devise,<br />
sondern aktiv das auf der Wiese erleben, was später<br />
am Buffet Auge und Magen erfreuen soll.<br />
Mit diesem gewissen Blick für die Landschaft werden<br />
nun auch Besonderheiten aller Art wahrgenommen,<br />
kulturhistorische Entwicklungen verständlicher,<br />
und es entwickelt sich eine rückhaltlose Unterstützung<br />
für alle Versuche, die eigene, irgendwie<br />
noch „natürliche“ Umgebung erhalten zu wollen <strong>–</strong><br />
eine wichtige Grundlage für alle landschaftsschützenden<br />
Projekte.<br />
Die Viehweide in Abbildung 5 war einst von einer<br />
geschlossenen Buchenhecke umgeben, dann folgten<br />
Betonpfähle mit Stacheldraht, die schließlich von<br />
einem modernen Elektrozaun abgelöst wurden. Drei<br />
Zaun-Generationen sichtbar nebeneinander <strong>–</strong> auch<br />
das ist Kulturgeschichte, die den Reiz einer Landschaft<br />
ausmachen kann.<br />
37
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Abb. 6: Helmut Brunner, Bayerischer <strong>Landwirtschaft</strong>sminister und Jutta Kotzi,<br />
Bayerische Landesanstalt für <strong>Landwirtschaft</strong> in Freising bei der Eröffnung<br />
der Ausstellung „Wild & Wildkräuter <strong>–</strong>aus der <strong>Kulturlandschaft</strong> auf den<br />
Teller“ 2009 auf der Messe „Jagen & Fischen“ München<br />
Unsere <strong>Kulturlandschaft</strong> ist heute von Gegensätzen,<br />
unterschiedlichen Meinungen und Wirtschaftskonzepten<br />
geprägt. Die von der Obersten Jagdbehörde<br />
im Bayerischen <strong>Landwirtschaft</strong>sministerium in<br />
Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landesanstalt<br />
für <strong>Landwirtschaft</strong> (LfL) entwickelte Ausstellung<br />
„Wild & Wildkräuter <strong>–</strong> aus der <strong>Kulturlandschaft</strong> auf<br />
den Teller“, die 2009 erstmals auf der Münchener<br />
Messe „Jagen und Fischen“ gezeigt wurde, bewies<br />
aber eins: Während draußen Jäger, Landwirte, Naturschützer,<br />
Teichwirte, Ökotrophologen, Verbraucherschützer,<br />
Freizeitnutzer, Straßenbauer und Industrieansiedler<br />
ihre Interessen durch den jeweils<br />
„Anderen“ bedroht sehen, ließen delikat zubereitete<br />
Wildkräuter beim gemeinsamen und friedlichen<br />
Speisen alle Meinungsverschiedenheiten in den Hintergrund<br />
treten.<br />
Der Erhalt unserer Wildpflanzen muss also keineswegs<br />
ein Gegensatz zur modernen <strong>Landwirtschaft</strong><br />
sein. Vielmehr ist eine Koexistenz Garant für<br />
mehr Artenvielfalt, wenn Wegränder,<br />
Ruderalflächen und Hecken<br />
nicht als störend und ertragsmindernd<br />
gesehen werden. Artenreiche<br />
und blühende Landschaften<br />
sind Voraussetzungen für Kräuterpädagogen.<br />
Ihre Arbeit hilft, unser<br />
aller Lebensgrundlage einer interessierten<br />
Bevölkerung wieder näher<br />
zu bringen. Und so haben<br />
Wildpflanzen nach Jahrzehnten<br />
der Vernichtung heute das Potenzial<br />
zur Befriedung. Freuen wir<br />
und alle über bunte Blumen und<br />
Farbe in der Landschaft. Und stellen<br />
wir die Frage, ob reines Grün<br />
und anschließend durch Gülle<br />
Braun gewordene Landschaften<br />
ökologisch wertvoll seien <strong>–</strong> so, als<br />
gäbe es im Allgäu keinen Platz mehr für Artendiversität,<br />
Biotopenvielfalt oder landschaftsprägende<br />
Kleinode außerhalb staatlicher Naturschutzgebiete.<br />
Also wagen wir den „Blick über den Zaun“, nehmen<br />
wir wieder den direkten Kontakt mit unserer<br />
Umgebung auf und lassen uns nieder <strong>–</strong> riechen die<br />
Erde, fühlen die Pflanzen und sehen wieder, was uns<br />
umgibt. Der Erhalt unserer bäuerlich geprägten <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
braucht ein breites Verständnis in der<br />
Bevölkerung. Die Kräuterpädagogik ist ein Weg,<br />
wieder Bewusstsein für unsere Lebensgrundlage zu<br />
schaffen.<br />
Internet:<br />
www.gundermann-akademie.com<br />
www.gundermannschule.de<br />
www.kraeuterpaedagoge.de<br />
Bildnachweis: Alle Aufnahmen vom Verfasser<br />
•<br />
38
Rudi Holzberger: 10 Jahre LandZunge: Ein starker Pakt für die Region<br />
10 Jahre LandZunge:<br />
Ein starker Pakt für die Region<br />
Rudi Holzberger<br />
Auch wenn ich es kaum glauben<br />
mag: Vor zehn Jahren ist mir diese<br />
Idee eingefallen. Die Idee zur Aktion<br />
LandZunge. Sie lässt sich wie jede gute<br />
Idee denkbar einfach formulieren: Die<br />
besten Gasthöfe der Region sollten das<br />
Beste aus der Region auf den Tisch bringen.<br />
Ein Pakt der Gastwirte mit den<br />
Landwirten <strong>–</strong> zum Wohle der Gäste und<br />
Genießer. Zehn Jahre später scheint uns<br />
dieses Ziel tatsächlich gelungen. Wir haben<br />
noch viele Pläne, die einstige Vision aber funktioniert<br />
heute prächtig, zum Vorteil für alle Beteiligten.<br />
Auf Dauer werden wir nur Erfolg haben, wenn<br />
Medium Bierdeckel: LandZunge im Gasthof<br />
die Gäste und Genießer mit uns das<br />
Projekt weiter entwickeln, wenn sie<br />
den Erfolg kennen und ebenso die Probleme.<br />
Das Ziel der Aktion LandZunge war<br />
von vornherein klar, und doch sind<br />
viele ähnliche Projekte landauf, landab<br />
gescheitert. Die Dreiecksbeziehung<br />
zwischen Bauern, Wirten und Gästen<br />
schien kaum in Einklang zu bringen.<br />
Die Bauern wollen ganze Tiere verkaufen,<br />
Koch und Wirt aber wollen nur bestimmte Edelteile,<br />
da die Gäste angeblich immer dasselbe essen<br />
wollen. So wie Kommissar Kluftinger am besten<br />
Kässpatzen oder Zwiebelrostbraten. Ein weites Feld<br />
von Vorurteilen, die Lieferanten von weither mit<br />
ihren billigen Angeboten lachten sich ins Fäustchen.<br />
Wie also lässt sich der Erfolg der Aktion LandZunge<br />
erklären Auch wenn er beileibe nicht flächendeckend<br />
ist, auch wenn er den Markt keineswegs<br />
radikal verändert, so ist das Projekt LandZunge in<br />
Allgäu-Oberschwaben heute nach zehn Jahren bundesweit<br />
einmalig. Noch einmal: Was sind die Gründe<br />
für den Erfolg<br />
Daher gleich das persönliche Geständnis: Vor<br />
zehn Jahren wollte ich schlicht einen Traumjob. Ich<br />
wollte nicht mehr stundenlang quer durch die Republik<br />
reisen, sondern hier bleiben in der Region. Der<br />
Journalist in mir wollte ein schönes Magazin der Region<br />
machen, möglichst allein, jedenfalls ohne Chef.<br />
Mit schönen Geschichten und tollen Fotos. Mit<br />
einem ungewöhnlichen, aber wichtigen Thema für<br />
39
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
40<br />
die Region: Landschaft, <strong>Landwirtschaft</strong>, Mentalität<br />
und Genuss. Wozu hatte ich mal <strong>Landwirtschaft</strong> studiert.<br />
Mein Traumjob zeichnete sich ab: Ein Magazin<br />
für den ländlichen Genuss, für das Land und für die<br />
Zunge. Das sollte doch viele Leute interessieren, zumal<br />
Essen und Trinken hier stets viel gegolten hatten.<br />
Wo aber treffen sich die Leute, um dieser Lust zu<br />
frönen Richtig: Im Wirtshaus. Schöne Gasthöfe<br />
warteten in fast jedem Dorf. Warum also nicht ein<br />
Magazin über die schönsten Gasthöfe der Region<br />
erstellen<br />
Mit Stil: Gasthof in Allgäu-Oberschwaben<br />
Foto: T. Gretler<br />
Nur eine leidige Frage trennte mich noch von<br />
meinem Traumjob: Wer sollte das Magazin bezahlen<br />
Ich sinnierte und las in der Schwäbischen Zeitung<br />
einen Artikel über regionale Projekte, die „über<br />
Plenum“ gefördert wurden, und zwar mit hübschen<br />
Sümmchen. Noch interessanter: Ein ehemaliger<br />
Schulfreund war bei diesem mir unbekannten Projekt<br />
zugange. Sollte ich da mal anklopfen…<br />
Gesagt, getan: Eine springlebendige Aktivistin<br />
von Plenum nahm den nicht mehr so jungen Träumer<br />
unter ihre Fittiche. Erster Schritt des starken<br />
Duos: Ein Konzept. Kein Geld ohne Konzept in dieser<br />
Republik. Mein Konzept war zum Glück bereits<br />
formuliert <strong>–</strong> stolze sieben Seiten stark. Mit drei wesentlichen<br />
Zielen:<br />
Dorfgasthäuser sollten das Thema sein. Ohne<br />
Wirtschaft ist ein Dorf tot, fehlt ihm die Seele.<br />
Zweitens: Die ausgewählten Gasthöfe sollten<br />
eine gute Küche bieten, mit möglichst vielen regionalen<br />
Produkten; dies, damit auch bei den Bauern<br />
etwas ankommt, damit sie weiter die Landschaft<br />
pflegen. Dieses Ziel war die notwendige Bedingung<br />
für die Förderung.<br />
Drittens und hier beginnt der andere Weg der<br />
LandZunge: Mein Traum war ein Magazin. Darin<br />
wollte ich die Gasthöfe präsentieren, die perfekte<br />
Werbung für sie betreiben. Ein Magazin für den gemeinsamen<br />
Auftritt, unter einem Namen, einem<br />
Dach, einer Marke!<br />
Mit anderen Worten: Ich wollte einen Deal mit<br />
den willigen Wirten aushandeln. Sie sollten regionale<br />
Produkte kaufen, ich würde für sie eine ehrgeizige<br />
Werbung betreiben, die ihnen mehr Gäste ins Haus<br />
bringt.<br />
Heute schaudert es mich fast bei diesem frechen<br />
Deal: Ich setzte einfach eine Prophezeiung in die<br />
Welt und tat so, als sei ihre Erfüllung beschlossene<br />
Sache! Nur: Würden die Wirte wirklich regional und
Rudi Holzberger: 10 Jahre LandZunge: Ein starker Pakt für die Region<br />
teurer einkaufen Würden die<br />
Bauern tatsächlich gute Produkte<br />
liefern <strong>–</strong> zu fairen Preisen Würden<br />
die Gäste wirklich in die Land-<br />
Zunge-Gasthöfe strömen Falls sie<br />
denn überhaupt mein Magazin lesen<br />
würden.<br />
Heute kann ich leicht posaunen:<br />
Alle Fragen haben sich bewahrheitet.<br />
Auch wenn es anfangs<br />
zögerlich und lange zäh<br />
lief, heute hat die Aktion Land-<br />
Zunge alle Prüfungen bestanden,<br />
heute kann sie sich leicht kontrollieren<br />
lassen <strong>–</strong> ob beim Bauern, in<br />
der Metzgerei oder im Gasthaus.<br />
Die LandZunge ist ein Erfolgsmodell<br />
der regionalen Vermarktung geworden und<br />
zwar flächendeckend. Im Klartext: In und mit der<br />
Aktion LandZunge wird Geld verdient auf allen Stufen.<br />
Und dies, pardon, ist eben doch das entscheidende<br />
Kriterium auch bei allen gut gemeinten<br />
Aktionen. Ob dies immer „fair“ ist, mögen andere<br />
entscheiden, ich kann mit diesem Begriff eh nicht<br />
viel anfangen. Jeder will profitieren, jeder sollte<br />
profitieren, dann müssen wir nicht mehr faire Floskeln<br />
beschwören.<br />
Ganz entscheidend also: Der Pakt der Aktion<br />
LandZunge war am Anfang absolut freiwillig. Niemand<br />
hat die Wirte und Köche kontrolliert, niemand<br />
hat ihnen Vorschriften gemacht <strong>–</strong> ich habe<br />
aber im Magazin lang und breit „vor-geschrieben“,<br />
was die Gäste und Feinschmecker erwarten, was<br />
eine gute regionale Küche ausmacht, wo die besten<br />
Produkte zu kriegen sind. Und siehe da: Der freiwillige<br />
Einstieg war erfolgreich. Mehr als 50 Gasthöfe<br />
waren 2001 im ersten Magazin LandZunge mit von<br />
der Partie, 40 davon sind bis heute dabei, und die<br />
meisten sind heute mit ihrem regionalen Einkauf<br />
LandZunge: volle Teller aus der Region<br />
Foto: F. Kästle<br />
über jeden Zweifel erhaben! Der uralte, so misstrauische<br />
und so typisch deutsche Spruch lässt sich<br />
also guten Gewissens umdrehen: Kontrolle ist gut,<br />
Vertrauen ist besser!<br />
Vertrauen in die gemeinsame Sache, gemeinsame<br />
Aktionen, gemeinsam lernen, gemeinsam die<br />
Kriterien festlegen <strong>–</strong> im besten Sinne basisdemokratisch.<br />
So war die LandZunge anfangs orientiert.<br />
Mit einem Drittel Überzeugungstätern, einem guten<br />
Drittel Interessierten und, auch dies soll gesagt<br />
sein, einigen Trittbrettfahrern. Davon hat die Mehrzahl<br />
bald aufgegeben, andere sind zu überzeugten<br />
Regionalisten geworden, die meisten aber haben<br />
nüchtern beobachtet, dass ihnen das Schild Land-<br />
Zunge mehr Gäste ins Haus bringt, Gäste, die auch<br />
mal etwas mehr anlegen, die wissen wollen, woher<br />
das Fleisch auf dem Teller stammt. Denn sie wollen<br />
weiterhin Fleisch essen, gutes Fleisch von Tieren<br />
aus der Region, die anständig gehalten werden,<br />
bestens gefüttert und stressfrei geschlachtet werden.<br />
Für verirrte Vegetarier war die LandZunge nie<br />
gedacht.<br />
41
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
42<br />
Das Vertrauen hat sich längst ausgezahlt, die<br />
Kontrolle aber funktioniert inzwischen auch. Und:<br />
Sie wurde von den Gastwirten selbst gefordert, ein<br />
Kreis von Aktivisten hat ein einfaches Verfahren ausgeheckt,<br />
einfach, bezahlbar und wirksam.<br />
Anfangs freiwillig, heute überzeugt. So viel zu<br />
den Wirten. Und die Gäste Sie haben das Magazin<br />
LandZunge von vorne bis hinten gelesen, viele haben<br />
die bislang 15 Ausgaben in neun Jahren gesammelt,<br />
viele nutzen die Karte für ihre Sonntagstouren<br />
und haken einen Gasthof nach dem anderen ab.<br />
Viele bekunden uns dann auch Lob und Tadel, ein<br />
Dialog, den wir via Internet-Forum noch deutlich<br />
ausbauen wollen.<br />
Die Gäste stammen vor allem aus der Region<br />
selbst. Die Aktion LandZunge will vor allem die Einheimischen<br />
zum Einkehren bekehren. Viele kennen<br />
die besten Gasthöfe der Region nicht, wissen nicht,<br />
wie nah das Gute ist. Wer aber die Einheimischen<br />
bekehrt hat, muss sich um die Gäste von ferne keine<br />
Sorgen mehr machen <strong>–</strong> sie folgen dem Rat der Einheimischen.<br />
Und, was für ein Glück: Allgäu und<br />
Oberschwaben sind noch recht wohlhabende Landschaften,<br />
die Menschen hier feiern und genießen<br />
gerne, das Wirtshaus ist ihnen selten fremd, der<br />
Geldbeutel sitzt nicht zu locker, das gute Leben darf<br />
aber schon etwas kosten.<br />
Noch ein Erfolgsfaktor also: Die Touristen sollten<br />
nie die erste Zielgruppe sein, da entsteht allzu schnell<br />
der pure Kitsch. Mit den Einheimischen dagegen<br />
müssen wir Klartext sprechen, sie lachen doch nur,<br />
wenn ein ewig blauer Himmel über dem Allgäu<br />
protzt oder in Oberschwaben niemals Nebel zu entdecken<br />
ist.<br />
Meine Devise dagegen: Gerade bei Nebel und Regen<br />
wollen alle Menschen einkehren. Der Biergarten<br />
mag Tränen vergießen, in der warmen Stube aber<br />
dampfen heiße Teller. Eine Genuss-Landschaft kennt<br />
kein schlechtes Wetter.<br />
Aber zurück zur Entwicklung: Gut 50 Gasthöfe<br />
im Landkreis Ravensburg sind zum offiziellen Start<br />
im Mai 2001 mit von der Partie. Das erste Magazin<br />
kommt gut an, wir drucken 30.000 Exemplare, die<br />
weggehen wie die warmen Semmeln. Dank der Förderung<br />
können wir uns sogar die besten Fotografen<br />
leisten <strong>–</strong> nie zuvor wurde eine solche Werbung für<br />
Dorfgasthöfe betrieben.<br />
Wichtiger aber: Die Einheimischen selbst entdecken<br />
mit Freude, dass die Dorfgasthöfe beileibe<br />
nicht tot sind, dass viele mit neuen Konzepten agieren<br />
<strong>–</strong> mit Kunst und Kabarett auch die Kultur ins<br />
Haus holen, auch die Jugendlichen anziehen und so<br />
weiter. Wir entdecken eine tolle Vielfalt von bunten<br />
Gasthöfen auf dem Land. Die Küche ist stets das<br />
zentrale Thema, aber wir wollen die ganze Wirtschaft<br />
präsentieren, mit Stammtisch und dem<br />
Charme der Bedienungen <strong>–</strong> die Wirtschaft als Seele<br />
des Dorfes.<br />
2003 überschreiten wir die bayerische Grenze<br />
und erobern das Allgäu, wir begeistern die oberschwäbischen<br />
Gemüter im Kreis Biberach, dort lächelt<br />
die Seele fortan auch mit der LandZunge.<br />
Heute vereinen sich mehr als 80 Gasthöfe unter<br />
dem Siegel LandZunge. Fast 20 Kandidaten stehen<br />
Gewehr bei Fuß, viel mehr können wir gar nicht<br />
mehr verkraften. Zwischen Pfronten im Ostallgäu<br />
und Altshausen in Oberschwaben, zwischen Berg<br />
bei Ehingen und Weiler im Westallgäu verteilen sich<br />
die LandZunge-Gasthöfe: eine große Region mit<br />
einer großen Genießer-Mentalität. Nicht die elitäre<br />
Küche mit ihren Verrenkungen lockt, sondern die<br />
ehrliche bodenständige Küche mit authentischen<br />
Produkten, mit viel Ehrgeiz gekocht.<br />
Immer noch sind die Landgasthöfe in der absoluten<br />
Überzahl, auch wenn wir uns inzwischen für die<br />
Städte geöffnet haben, freilich nur für ehrgeizige<br />
Betriebe. So wie alle neuen Einsteiger inzwischen<br />
keine freiwilligen Gnaden mehr genießen, sondern
Rudi Holzberger: 10 Jahre LandZunge: Ein starker Pakt für die Region<br />
die Kriterien von LandZunge Plus<br />
erfüllen müssen: Das Fleisch von<br />
Rind und Schwein muss aus der<br />
Region stammen, auch der große<br />
Rest der weiteren Produkte. Immerhin:<br />
In Memmingen und Leutkirch,<br />
in Weingarten oder in Bad<br />
Waldsee, in Lindenberg und mit<br />
der legendären Veitsburg in Ravensburg<br />
haben sich oft die besten<br />
Gasthöfe auch in den Städten inzwischen<br />
zur LandZunge bekannt.<br />
Denn wir können ja nicht auf Dauer<br />
nur die Dörfer feiern, die entscheidende<br />
Leistung der Aktion<br />
LandZunge ist der Mehrwert für<br />
die Landwirte, der Bezug von<br />
möglichst vielen Produkten der Region.<br />
Daher freuen wir uns auch über etliche große Hotels<br />
unter den Neulingen und Kandidaten <strong>–</strong> wahrscheinlich<br />
müssen wir sie bald gesondert ausweisen.<br />
Die Hotels bündeln viele Gäste, diese Küchen haben<br />
großen Bedarf, den müssen und wollen wir erfüllen.<br />
Damit klingt das vielleicht wichtigste Erfolgskriterium<br />
an: Die LandZunge hat eine funktionierende<br />
Logistik und dies fast von Anfang an. Dieser Glücksfall<br />
hat einen Firmen-Namen: Früchte-Jork in Isny.<br />
Rund 40 Lkw fahren kreuz und quer durch Allgäu-<br />
Oberschwaben, liefern schon lange Früchte, Obst<br />
und Gemüse an den Einzelhandel, aber auch an<br />
zahllose Gasthöfe. Was lag näher als die LandZunge-<br />
Produkte mit diesen Lkw mittransportieren zu lassen.<br />
Die Wirte können rund um die Uhr bestellen,<br />
einen Tag später werden sie beliefert. Für Jork ist<br />
dies eine starke Kundenbindung, für das Projekt<br />
LandZunge der vielleicht wichtigste Erfolgsfaktor.<br />
Denn nicht die Visionen und Beschwörungen zählen<br />
unterm Strich, sondern ein Service, der jedem Wirt<br />
Tradition in der Küche: LandZunge-Wirte<br />
Foto: M. Leser<br />
Arbeit spart, der ihm möglichst viel aus einer Hand<br />
liefert und dies in bester regionaler Qualität. Dann<br />
entscheidet nicht mehr der Preis allein.<br />
Eine Vielfalt von Produkten trägt heute bereits<br />
das Siegel der LandZunge. Entscheidend aber bleibt<br />
doch das Thema Fleisch. Beispielhaft sei hier das<br />
Modell der Metzgerei Buchmann genannt: Die Firma<br />
sitzt in Grünkraut bei Ravensburg, eine mittelständische<br />
Metzgerei mit rund 50 Mitarbeitern, also<br />
ein LandZunge-Partner von Bedeutung, alles andere<br />
als eine Dorfmetzgerei. Buchmann bedient das Gros<br />
der LandZunge-Wirte mit Fleisch und Wurst vom<br />
LandZunge-Schwein. Die Schweine stehen bei drei<br />
bäuerlichen Betrieben im nahen Deggenhauser Tal.<br />
Vorbildliche Betriebe, die ihre Tiere länger wachsen<br />
lassen, so erst wird das Fleisch reif, die Qualität<br />
überzeugt, die Bauern bekommen mehr Geld dafür<br />
und haben einen festen Abnehmer. Keine Edel-Rasse<br />
also ist notwendig, nur ein hohes Qualitäts-Bewusstsein.<br />
Geschlachtet wird in Mengen, zerlegt<br />
und verarbeitet bei Buchmann, dann wird mit einer<br />
eigenen Flotte kleiner Lkw an die Wirte und andere<br />
43
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
44<br />
Kunden geliefert. Hand in Hand, alles aus der Region<br />
und für die Region. Bauern, Wirte und Gäste<br />
sind zufrieden. Und wir vermerken einen weiteren<br />
Erfolgsfaktor: Eine Aktion wie die LandZunge<br />
braucht starke Partner, die auch größere Mengen in<br />
guter Qualität liefern können, die flexibel auf Kundenwünsche<br />
reagieren. Die schöne Story vom Landwirt,<br />
der mit einem Tier einen Wirt gleich um die<br />
Ecke beliefert, sie war und ist die absolute Ausnahme.<br />
Auch und gerade die regionale Vermarktung<br />
braucht Schlagkraft, für alternative Träume ist da<br />
wenig Platz.<br />
Dies gilt erst recht für das wichtigste Produkt der<br />
LandZunge und des Allgäus. In Oberschwaben ist<br />
die <strong>Landwirtschaft</strong> vielseitig: Vom Weinbau am Bodensee<br />
über Hopfen und Spargel bis zur Braugerste<br />
reicht hier die Palette. Im Allgäu dagegen herrschen<br />
die Kühe, dominiert die Milchwirtschaft. Der Allgäuer<br />
Käse ist gerühmt, nur: wir haben viel zu viel<br />
davon, wir müssen exportieren, wir sind auch mit<br />
abertausenden Touristen dem Käseberg und dem<br />
Milchsee nicht gewachsen. Immerhin aber pflegen<br />
„Prima Ochsen“ pflegen die Landschaft im Allgäu<br />
wir eine starke Kooperation mit den Allgäuland-Käsereien<br />
und ihrer Edelmarke „Bergbauern“.<br />
Klar bleibt aber: Den Milchbauern der Region<br />
geht es nicht besonders gut, der Kampf um den<br />
Milchpreis hat sogar die breite Öffentlichkeit bewegt.<br />
Alternativen sind da gefragt. Eine davon ist<br />
die Fleischproduktion, statt auf Kühe setzt der Bauer<br />
auf Ochsen. Und so ist die Kälber-EG Allgäu mit<br />
ihrem Markenprogramm „Prima Rind“ heute der<br />
wichtigste Partner der Aktion LandZunge. Kaum jemand<br />
hat anfangs geglaubt, dass die LandZunge-<br />
Gasthöfe in großem Umfang teures Rindfleisch aus<br />
der Region kaufen und auf die Karte setzen werden<br />
<strong>–</strong> allzu verlockend ist die billige Konkurrenz aus Südamerika.<br />
Und doch hat es funktioniert: Die Nachfrage<br />
der LandZunge-Wirte ist so angewachsen,<br />
dass weitere Landwirte in das Markenprogramm<br />
„Prima Rind“ aufgenommen werden müssen! Diese<br />
Landwirte erhalten eine Abnahmegarantie, und sie<br />
erzielen pro Kilo Fleisch stets einen höheren Preis als<br />
ihn der Markt ansonsten hergeben würde! Eben<br />
dies war das große Ziel der Aktion LandZunge, dies<br />
war die Vorgabe für die Förderung<br />
und eben dies haben wir erreicht!<br />
Mehr noch: Die Wirte kaufen,<br />
das freut die Bauern. Aber auch<br />
die Gäste und Genießer sind hoch<br />
begeistert, denn die Qualität von<br />
„Prima Rind“ wird einhellig hoch<br />
gepriesen. Merke: Nur mit Qualität<br />
lassen sich Wirte und Gäste langfristig<br />
begeistern <strong>–</strong> dann zahlen sie<br />
auch gerne einen höheren Preis.<br />
Wie aber ist dieses „prima“<br />
Modell gelungen, das wohlgemerkt<br />
nicht allen, aber doch etlichen<br />
Bauern hilft Die Antwort<br />
lautet: Feneberg. Noch ein Sonderfall<br />
unserer glücklichen Foto: B. Kickner<br />
Region,
Rudi Holzberger: 10 Jahre LandZunge: Ein starker Pakt für die Region<br />
denn eine solche regionale Supermarktkette<br />
ist ziemlich einmalig in<br />
der Republik. Feneberg bietet alles,<br />
was auch bei den Discountern<br />
zu holen wäre, zugleich aber auch<br />
das Beste aus der Region, unter<br />
dem Label „VonHier“ sogar exklusiv<br />
in Bio-Qualität streng aus der<br />
Region.<br />
Nur so ist uns ein starker Dreier<br />
gelungen: Die Bauern der Kälber-<br />
EG liefern ihr „prima“ Rindfleisch,<br />
das wird in der großen Feneberg-<br />
Metzgerei in Kempten verarbeitet<br />
und für die LandZunge-Wirte zerlegt,<br />
inzwischen sogar mit einem<br />
ganz speziellen Zuschnitt. Ausgeliefert<br />
wird über Jork oder Buchmann,<br />
die Feneberg-Metzgerei ist nur ein <strong>–</strong> großes<br />
<strong>–</strong> Rad im Getriebe der Aktion LandZunge. Wieder<br />
ein Partner und Sponsor, der viel Geld in die Aktion<br />
und das Magazin gesteckt hat, sich so aber einen<br />
zusätzlichen Markt eröffnet hat und jetzt mit den<br />
Bauern der Kälber-EG die Ernte einfahren kann.<br />
Ganz ehrlich: Weder der Firmen-Chef Hannes Feneberg<br />
noch Georg Abele, der Chef der Kälber-EG,<br />
noch meine Wenigkeit mit der Idee LandZunge haben<br />
an diesen Erfolg geglaubt. Merke also: Die Wirte<br />
sind besser als ihr Ruf, kein Erfolg jedoch ohne<br />
starke Kooperation, ohne hohe Qualität, ohne funktionierenden<br />
Service.<br />
Fit mit Obst vom Bodensee<br />
Stichwort Partner: Rund 17 sind es inzwischen,<br />
allesamt sind sie mit einer Anzeige im Magazin vertreten,<br />
immer wieder auch mit redaktionellen Beiträgen.<br />
Allein sechs Brauereien, die Mineralquelle<br />
Krumbach, Fruchtsaft Stiefel mit seinem LandZunge-<br />
Apfelsaft aus Streuobst, dazu vier Metzgereien, darunter<br />
wieder der bekannte Waldburger Schinken<br />
oder ganz neu die Metzgerei Schmieger mit ihrem<br />
Foto: F. Kästle<br />
„Lindauer Schübling“. Mit im Boot sind von Anfang<br />
an die Allgäuland-Käsereien <strong>–</strong> für zahllose Bauern<br />
der Region der Abnehmer ihrer Milch. Mit ihnen<br />
hoffen wir, dass nicht nur die Marke „Bergbauern“<br />
bald wieder ebenso aufwärts klettert wie der Milchpreis!<br />
Kurz: Das Modell LandZunge funktioniert besser<br />
denn je.<br />
Auch für die kleinen Erzeuger und Lieferanten<br />
bieten wir im Magazin ein Dach und knüpfen ein<br />
Netzwerk mit neuen Vertriebsschienen. Zum Beispiel<br />
im LandZunge-Schrank in jedem Gasthof. Oder im<br />
LandZunge-Laden Haselburg, der viele von den Kleinen<br />
vereint, besten Honig und feine Marmelade<br />
ebenso bietet wie Käse zuhauf, wie Wein vom See<br />
oder Kartoffeln, Puten- und Lammfleisch, Brot und<br />
Kaffee <strong>–</strong> in der Region geröstet.<br />
Der Laden Haselburg ist kombiniert mit einer Tourist-Info,<br />
die ganz bewusst mit dem Allgäu-Logo den<br />
Gästen zuwinkt, die von der A 96 abbiegen und ins<br />
Allgäu wollen. Hier vor den Toren des künftigen<br />
Center Parcs mit seinen 800 Ferienhäusern wird sich<br />
entscheiden, ob ein Regionalladen zuallererst von<br />
45
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
den Einheimischen angenommen wird, ob es ihnen<br />
ernst ist mit der regionalen Nachfrage, mit der Qualität<br />
zu fairen Preisen. Falls ja, werden weitere Läden<br />
folgen <strong>–</strong> gerne vereint mit der Marke Allgäu, mit der<br />
Marke Oberschwaben, mit der Marke Bodensee.<br />
Denn, das will ich hier nicht verhelen, eine Marke<br />
der Region entsteht nicht am Schreibtisch teurer Planer<br />
und Marketing-Strategen, sie entsteht aus der<br />
Region, sie muss sich sehen, riechen, schmecken,<br />
greifen lassen. Allgäuer Käse, Tettnanger Hopfen,<br />
Aulendorfer Mehl, Wein vom See <strong>–</strong> sie alle brauchen<br />
keine Marke mehr, sie stellen längst eine dar. Mit<br />
anderen Worten: Die LandZunge ist erfolgreich, weil<br />
sie keine Visionen beschwört, sondern „Schienen<br />
der Vermarktung“ gebahnt hat, für den Weg vom<br />
Landwirt zum Gastwirt.<br />
Dieser funktionierende Weg war der schwierigste<br />
Schritt, ab jetzt dürfte es leichter werden, ab jetzt<br />
können wir auch einige Träumereien wagen. Damit<br />
mein Traumjob weiterhin bestehen bleibt: Vor zehn<br />
Jahren bin ich monatelang kreuz und quer durch die<br />
Region gefahren, habe all ihre Schönheiten neu entdeckt,<br />
all die schönen Gasthöfe gesucht und gefunden,<br />
die Wirte kennen und schätzen gelernt. Seit<br />
diesem Sommer bin ich wieder auf Tour, nächstes<br />
Jahr will ich kaum noch anderes tun: Jetzt suche ich<br />
die besten Erzeuger, die besten Produkte. Mehr<br />
noch: Wir werden Genusstouren anbieten, die auf<br />
verschlungenen Wegen von der Gemüse-Insel Reichenau<br />
zum Allgäuer AlpGenuss führen.<br />
Signal für Gäste: Schild am Gasthof<br />
Aber auch an der Wirte-Front lassen wir nicht locker.<br />
Ein Handbuch soll Ihnen helfen, die Ziele der<br />
LandZunge für den Alltag ständig griffbereit zu haben.<br />
Mit einer Serie von Workshops haben wir begonnen,<br />
die Wirte weiter zu qualifizieren. Aber nicht<br />
mit der Hilfe irgendwelcher Gurus, sondern im Dialog,<br />
untereinander, wir wollen, dass die Basis weiter<br />
selber spricht. Zum Schluss daher der entscheidende<br />
Erfolgsfaktor: Wirte und Köche lassen sich nichts<br />
vorschreiben. Sie wollen ihre Rezepte bittschön selber<br />
schreiben <strong>–</strong> eine starke Aktion muss ihnen viele<br />
Freiheiten lassen. Nur überzeugte Wirte werden<br />
auch ihre Gäste begeistern!<br />
•<br />
46
Jürgen Holzhausen: Dachmarke Rhön <strong>–</strong> Das Beste aus dem Biosphärenreservat Rhön<br />
Dachmarke Rhön<br />
Das Beste aus dem Biosphärenreservat Rhön<br />
Jürgen Holzhausen<br />
Zusammenfassung<br />
Die Nutzung der Pflege- und Entwicklungszone<br />
im Biosphärenreservat<br />
Rhön soll umweltverträglich und<br />
zukunftsweisend sein. Die Dachmarke<br />
Rhön spielt hierbei im Biosphärenreservat<br />
eine maßgebliche Rolle, sowohl bei<br />
der Erhaltung der <strong>Kulturlandschaft</strong> wie<br />
auch bei der wirtschaftlichen Weiterentwicklung<br />
der Region.<br />
Essen und Trinken, was die Region<br />
uns bietet, ist der beste Umwelt- und Naturschutz.<br />
Wir schützen unsere Umwelt durch weniger Verkehr,<br />
erhalten und schützen alte Haustierrassen<br />
wie das Rhönschaf und unsere <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
mit all ihren Besonderheiten an seltenen vom Aussterben<br />
bedrohter Pflanzen- und<br />
Tierarten.<br />
Menschliche Eingriffe sind hier nicht erwünscht.<br />
Zu den Kernzonengebieten<br />
der Rhön zählen Moore, Wälder und<br />
Basaltblockhalden.<br />
Etwa 37% gehören zu den Pflegezonen<br />
um die Kernzonen herum, in<br />
denen nur naturnahe Nutzung erlaubt<br />
ist. Die <strong>Kulturlandschaft</strong> wird hier schonend<br />
erhalten. Eine behutsame Pflege<br />
gemeinsam mit landwirtschaftlichen<br />
Betrieben soll den typischen Charakter<br />
der Rhön als „Land der offenen Fernen“ erhalten.<br />
Die restlichen 60% sind Entwicklungszone. Hier<br />
befinden sich Gewerbegebiete und Siedlungen mit<br />
insgesamt 135 000 Einwohnern. Die Nutzung der<br />
Entwicklungszone soll umweltverträglich und zu-<br />
Das Biosphärenreservat Rhön<br />
Weltweit gibt es inzwischen in<br />
über 100 Ländern über 500 Biosphären-reservate.<br />
In Deutschland<br />
sind es 15 von der UNESCO anerkannte<br />
Gebiete. Die Rhön ist mit<br />
knapp 185.000 ha Fläche das<br />
viertgrößte Biosphärenreservat in<br />
der Bundesrepublik.<br />
3 % des 185.000 ha großen<br />
Gebietes sollen in der Rhön als<br />
Kernzone ausgewiesen werden,<br />
die dem Prozessschutz dienen.<br />
Abb. 1: Pflegezone im Biosphärenreservat Rhön<br />
Foto: J. Holzhausen<br />
47
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
48<br />
kunftsweisend sein. Nur die Menschen, die hier leben,<br />
können die Landschaft in ihrer Eigenart, Vielfalt<br />
und Schönheit bewahren.<br />
Jährlich besuchen etwa 3 Millionen Touristen die<br />
Rhön. Sie bringen rund 150 Millionen Euro in die<br />
Region.<br />
Entstehung und Erhaltung der<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong> Rhön<br />
Das Landschaftsbild der Rhön wurde vom tertiären<br />
Vulkanismus geformt. Durch später einsetzende Abtragungsprozesse<br />
modellierten sich die für die Rhön<br />
so typischen Bergkuppen und Kegel heraus.<br />
Aufgrund ihrer geringen Höhenlage wäre die<br />
Rhön natürlicherweise ein reines Laubwaldgebiet<br />
mit Mooren und Basaltblockhalden. Auf den Hochflächen<br />
dominierten Buchen- und Birkenwälder. Die<br />
Abb. 2: <strong>Kulturlandschaft</strong> Rhön<br />
Rhön galt in der Vergangenheit als kalt, düster und<br />
unwirtlich.<br />
Ab dem Mittelalter wurde die Rhön als Weideland<br />
genutzt. Es entstand durch Rodungen und Beweidungen<br />
eine parkähnliche Landschaft.<br />
Der <strong>Landwirtschaft</strong> kommt heute bei der Erhaltung<br />
der <strong>Kulturlandschaft</strong> Rhön, die durch Menschenhand<br />
nachhaltig mitgestaltet wurde, die wichtigste<br />
Rolle zu. Neben dem Schutz und der Pflege<br />
hochwertiger Landschaftsräume sind im Biosphärenreservat<br />
die Grundlagen für eine <strong>Landwirtschaft</strong><br />
zu entwickeln, die die <strong>Kulturlandschaft</strong> erhält und<br />
die den Prinzipien der Nachhaltigkeit und der Umweltverträglichkeit<br />
gerecht wird.<br />
Das Rhönschaf<br />
Die Rhönschafherden mit ihren schwarzköpfigen<br />
Tieren werben in stimmungsvollen<br />
Bildern für eine schon fast vergessene<br />
Landschaft in der Mitte<br />
Deutschlands.<br />
Das Rhönschaf, eine traditionelle<br />
und genügsame Schafrasse,<br />
war an das raue Klima der Rhön<br />
vorzüglich angepasst. Diese alte<br />
heimische Haustierrasse bewirtschaftete<br />
Bergwiesen und sorgte<br />
für offene Graslandschaften und<br />
einen außerordentlichen Artenreichtum.<br />
Das hochbeinige Tier<br />
mit dem „Nofretetekopf“ war allerdings<br />
in der zweiten Hälfte des<br />
20. Jahrhunderts durch die Industrialisierung<br />
stark bedroht. Nun<br />
wurden Tiere auf Gewicht gezüchtet.<br />
Mit diesem Trend konnte<br />
das schlanke Rhönschaf nicht mithalten.<br />
Von einst 400.000 Foto: K.-F. Arbe<br />
Tieren
Jürgen Holzhausen: Dachmarke Rhön <strong>–</strong> Das Beste aus dem Biosphärenreservat Rhön<br />
schrumpfte der Bestand auf einen<br />
kläglichen Rest zusammen und<br />
drohte sogar ganz auszusterben.<br />
Der Initiative des Würzburger<br />
Professors Gerhard Kneitz, dem<br />
Bund für Umwelt und Naturschutz<br />
Deutschland und Bund Naturschutz<br />
in Bayern e.V., aber auch<br />
der Unterstützung der Isler-Stiftung<br />
in Berlin durch den Bezirk<br />
Unterfranken, vieler Fachleute und<br />
großzügiger Spenden ist es zu verdanken,<br />
dass das Rhönschaf in seiner<br />
angestammten Heimat wieder<br />
richtig Fuß gefasst hat und zum<br />
alltäglichen Bild einer offenen<br />
Landschaft gehört.<br />
Abb. 3: Rhönschafherde<br />
Aus einem „tierischen“ Sorgenkind<br />
wurde durch den beherzten<br />
Einsatz engagierter Naturfreunde ein Aushängeschild<br />
und Sympathieträger für die Rhön.<br />
Die Wiederbelebung der Rhönschafherden ist ein<br />
Modellprojekt und dient bis heute bundesweit als<br />
eindrucksvolles Vorbild. Es ist ein Beispiel für die<br />
gelungene Symbiose von Ökonomie und Ökologie,<br />
von Naturschutz und Tourismus, aber auch<br />
von Landschaftspflege, Regionalvermarktung und<br />
Arbeitsplatzsicherung in einer ehemals benachteiligten<br />
Region.<br />
Nur 40 Tiere bildeten 1985 den Grundstock für<br />
die Wiederbelebung einer Rasse, die das Landschaftsbild<br />
der Rhön nachhaltig mitgestaltete. Die<br />
Pflege einzigartiger ökologischer Nischen im „Land<br />
der offenen Fernen“ mit seinen Quell- und Hochstaudenfluren,<br />
Bachläufen und Magerrasen war<br />
ohne das Rhönschaf langfristig kaum vorstellbar. Es<br />
wurde schnell klar, dass die Einzigartigkeit der Rhönidylle<br />
am besten zu erhalten war, wenn man sich auf<br />
diesen Mitgestalter der Rhön besann.<br />
Foto: J. Gombert<br />
Der Bund Naturschutz in Bayern e.V. und BUND<br />
erarbeiteten einen ökologischen Pflegeplan und die<br />
Nachzucht der vierbeinigen Landschaftspfleger. Die<br />
Rettungsaktion gelang. Mittlerweile ist die Rhönschafherde<br />
des BN auf ca. 400 Mutterschafe angewachsen.<br />
Über 4.000 Schwarzschöpfe mit der weißen<br />
Wollweste grasen nun wieder in der Rhön und<br />
sorgen lärmfrei und ohne Spritverbrauch nicht nur<br />
für die Erhaltung seltener Pflanzen und Tiere. Die<br />
Erhaltung und Neubelebung der Schafherden ist<br />
Ausgangspunkt eines Kreislaufssystems mit vielschichtigen<br />
Synergieeffekten. Mit der Erhaltung der<br />
abwechslungsreichen <strong>Kulturlandschaft</strong> ist auch ein<br />
ästhetischer Wert für Erholungssuchende entstanden.<br />
Das Rhönschaf ist nicht nur ein Landschaftspfleger<br />
und ein beliebtes Fotomotiv, sondern auch<br />
Lieferant von Wolle und Fleisch. Die Gastronomie<br />
entdeckte die vorzügliche Qualität des Rhönschaffleisches.<br />
Rhönlammfleisch mit seinem Wildbret<br />
ähnlichem Geschmack zählt neben anderen Gerichten<br />
inzwischen zu den regionalen Spezialitäten. Der<br />
49
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
50<br />
Abb. 4: Rhönschaf<br />
BN baute gemeinsam mit der heimischen Gastronomie<br />
neue Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen<br />
auf. Die Rückkehr und Erhaltung des<br />
Rhönschafes wurde schließlich zu einem Erfolgsprojekt<br />
mit einer vielschichtigen Wertschöpfung für die<br />
Region.<br />
Aus der Rhön <strong>–</strong> für die Rhön<br />
1991 wurde die Rhön von der UNESCO als Biosphärenreservat<br />
ausgewiesen. Die in der Rhön lebenden<br />
und arbeitenden Menschen standen somit vor einer<br />
länderübergreifenden Herausforderung. Es galt,<br />
dauerhaft nach umweltgerechten Prinzipien zu wirtschaften<br />
und die regionale Kreislaufwirtschaft künftig<br />
stärker zu berücksichtigen.<br />
1993 schlossen sich Gastwirte, Landwirte und<br />
handwerkliche Verarbeiter aus der Rhön im Bestreben<br />
um eine zukunftsfähige Entwicklung der Region<br />
zu einer länderübergreifenden Partnerschaft „Aus<br />
der Rhön <strong>–</strong> für die Rhön e.V.“ zusammen.<br />
Der Zusammenschluss sollte die Rahmenbedingungen<br />
verbessern und neue Strukturen schaffen.<br />
Das Ziel des Vereins bestand darin,<br />
gemeinsam mit Landwirten,<br />
handwerklichen Verarbeitern und<br />
Unternehmen in der Rhön zu<br />
einer Zusammenarbeit mit Modellcharakter<br />
für das gesamte<br />
UNESCO-Biosphärenreservat zu<br />
kommen und dessen Zielsetzungen<br />
<strong>–</strong> ein nachhaltiges Wirtschaften<br />
im Einklang mit der Natur <strong>–</strong><br />
möglichst wirkungsvoll zu unterstützen.<br />
Ihre wesentliche Aufgabe sieht<br />
die Partnerschaft „Aus der Rhön <strong>–</strong><br />
für die Rhön“ darin, auf die Qualitätsprodukte<br />
der Landwirte, Hand-<br />
Foto: J. Holzhausen<br />
werksbetriebe und Unternehmen<br />
aus der Rhön aufmerksam zu machen und zu zeigen,<br />
wie vielseitig und qualitativ hochwertig die regionalen<br />
Erzeugnisse verarbeitet und zubereitet<br />
werden können.<br />
Die Partnerschaft fördert insbesondere die Kultur<br />
der Rhön-Landgasthöfe und der regionalen Naturküche.<br />
Schwerpunkt des Angebots stellt die Vielfalt<br />
der heimischen Produkte aus Küche und Keller dar.<br />
Kontinuierlich erhöhte sich der Anteil bäuerlicher<br />
und handwerklicher Lieferanten aus der Region. Bei<br />
der Einführung neuer Produkte wurde darauf geachtet,<br />
dass eine naturverträgliche Produktion garantiert<br />
wurde und eine kontinuierliche Belieferung<br />
gewährleistet werden konnte. <strong>Regionale</strong> Produkte<br />
werden in Geschäften und Gaststätten besonders<br />
gekennzeichnet.<br />
Die Partnerbetriebe des Biosphärenreservats Rhön<br />
tragen mit ihrer Unternehmensphilosophie zur Verkehrs-<br />
und Abfallvermeidung, zur Energie- und Wassereinsparung,<br />
zur Emissionsminderung, zur Sicherung<br />
bäuerlicher Familienbetriebe und zur Erhaltung<br />
der <strong>Kulturlandschaft</strong> der Rhön bei.
Jürgen Holzhausen: Dachmarke Rhön <strong>–</strong> Das Beste aus dem Biosphärenreservat Rhön<br />
Qualitätskriterien des Vereins „Aus der Rhön <strong>–</strong><br />
für die Rhön“<br />
1. Konsequente Umsetzung des Mottos „Aus der<br />
Rhön <strong>–</strong> für die Rhön“ zur Förderung des Biosphärenreservats<br />
durch ständiges Bemühen<br />
um eine ökologische Betriebsführung auf allen<br />
Unternehmensebenen<br />
2. Verarbeitung von regional erzeugten Lebensmitteln<br />
sowie abwechslungsreiche jahreszeitliche<br />
Küche in den Gastronomiebetrieben<br />
3. Dauerhaftes Angebot von alkoholischen und<br />
nichtalkoholischen Getränken aus der Region<br />
4. Kennzeichnung der Produkte, Waren und<br />
Dienstleistungen aus der Rhön unter Angabe<br />
der Lieferanten<br />
Dachmarke Rhön<br />
Die Rhön wird auch als das „Land der offenen Fernen“<br />
bezeichnet. Die Rhön ist eine von Mensch und<br />
Tier geschaffene <strong>Kulturlandschaft</strong> und von einzigartigem<br />
Reiz.<br />
Mit der Dachmarke Rhön wird eine einheitliche<br />
Identität nach innen und ein hoher Wiedererkennungswert<br />
nach außen geschaffen. Für die Trägerschaft,<br />
Betreuung und die Vermarktung der Rhöner<br />
Regionalmarken ist die Dachmarke Rhön GmbH in<br />
Trägerschaft des Vereins Dachmarke Rhön e.V. zuständig.<br />
Der Verein „Dachmarke Rhön“ wurde im<br />
Herbst 2008 von den fünf Landkreisen der Arbeitsgemeinschaft<br />
Rhön sowie engagierten Rhöner Betrieben<br />
länderübergreifend gegründet.<br />
5. Unterstützung der Landwirte und Handwerker<br />
der Region durch konsequentes Einkaufsverhalten.<br />
So ist es möglich, den Gästen hochwertige<br />
Qualitätsprodukte anzubieten und gleichzeitig<br />
durch eine anspruchsvolle regionaltypische<br />
Küche einen Beitrag zur langfristigen Sicherung<br />
der <strong>Kulturlandschaft</strong> zu leisten.<br />
6. Förderung einer flächendeckenden, naturverträglichen<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> mit artgerechter<br />
Tierhaltung, dezentralen Vermarktungsstrukturen<br />
und kurzen Transportwegen. Initiativen<br />
zur Erhaltung bedrohter Nutztierrassen und<br />
Nutzpflanzen, wie zum Beispiel des Rhönschafes,<br />
der Bachforelle oder des Apfels von der<br />
Streuobstwiese, sollen dazu beitragen.<br />
7. Information der Gäste über die Partner aus<br />
<strong>Landwirtschaft</strong>, Gewerbe und Handwerk. Hier<br />
ist auch die Möglichkeit gegeben, sich bei den<br />
Betrieben direkt über deren Arbeitsweise zu<br />
informieren oder Produkte vor Ort zu kaufen.<br />
Die fünf Landkreise der Rhön in Thüringen, Bayern und<br />
Hessen<br />
51
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
52<br />
Ziele der Dachmarke<br />
Die Dachmarke Rhön ist eine Regionalmarke. Es<br />
geht darum, eine Identifikation der Menschen mit<br />
ihrer Heimat zu schaffen. Außerdem unterstützt die<br />
Dachmarke, dass es innerhalb der Rhön wieder<br />
funktionierende Wertschöpfungsketten gibt, und<br />
dass diese Wertschöpfung anschließend innerhalb<br />
der Region verbleibt. Letztlich ist die Dachmarke<br />
eine Art Klammer für die Rhön, denn mit ihr ist es<br />
gelungen, politische Grenzen zu überwinden. (Landrat<br />
Bernd Woide)<br />
Über 200 Unternehmen aus den Landkreisen Bad<br />
Kissingen, Fulda, Rhön-Grabfeld, Schmalkalden-<br />
Meiningen und Wartburgkreis haben sich als offizieller<br />
Partnerbetrieb der Dachmarke Rhön angeschlossen.<br />
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Die Dachmarke Rhön wendet sich an die Unternehmen<br />
in der Region. Zurzeit sind für 14 verschiedene<br />
Branchen Kriterien definiert, die bei einer Mitgliedschaft<br />
erfüllt werden müssen.<br />
Das betrifft zum einen die Gastronomie, aber<br />
auch Branchen wie Imkerei, <strong>Landwirtschaft</strong>, Metzgerei<br />
bis hin zu mittelständischen Handwerksbetrieben<br />
oder Umweltbildungseinrichtungen. Für all diese<br />
sind hohe Qualitätsstandards definiert. Die Dachmarke<br />
Rhön steht also für eine besondere Qualität,<br />
die es nur im Biosphärenreservat Rhön gibt.<br />
Identitäts- und Qualitätszeichen<br />
Die Dachmarke bedient sich dreier verschiedener<br />
Identitäts- und Qualitätszeichen zur Kommunikation,<br />
Hervorhebung, Klassifizierung und Herausstellung<br />
ihrer Produkte.<br />
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Identitätszeichen<br />
Das Identitätszeichen Rhön ist<br />
das Sinnbild für die gesamte<br />
Rhön und dient als Erkennungszeichen<br />
innerhalb der Region. Es<br />
soll Identität nach innen stiften<br />
und dient gleichzeitig zur einheitlichen<br />
Darstellung der Region<br />
nach außen. Die Nutzung<br />
dieses Zeichens ist kostenlos. Es<br />
ist ausschließlich ein Kommunikationszeichen<br />
und wird nicht<br />
für Produkte und Dienstleistungen<br />
verwendet. Die Nutzung
Jürgen Holzhausen: Dachmarke Rhön <strong>–</strong> Das Beste aus dem Biosphärenreservat Rhön<br />
unterliegt keinerlei Kriterien. Jeder Einheimische und<br />
Freund der Region kann das Zeichen als Aufkleber<br />
oder durch andere Werbeträger nutzen, um die<br />
Rhön bekannt zu machen.<br />
Qualitätszeichen<br />
Mit dem Qualitätszeichen<br />
Rhön werden nach<br />
klar definierten Kriterien<br />
ausgewählte Produkte<br />
und Dienstleistungen<br />
der Rhön gekennzeichnet.<br />
Ziel der Auszeichnung ist es, die Verbraucher für<br />
geprüfte Qualitätserzeugnisse und für Angebote aus<br />
der Rhön zu gewinnen. Gegenwärtig nutzen ca. 160<br />
Betriebe innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Rhön<br />
das Qualitätssiegel.<br />
Für die Nutzung werden Gebühren erhoben.<br />
Biosiegel Rhön<br />
Mit dem Biosiegel Rhön<br />
wird der regionale Rohstoffbezug,<br />
hervorragende<br />
Qualität und ökologische<br />
Erzeugung ausgezeichnet.<br />
Es kann von<br />
allen Betrieben, die ihren Sitz innerhalb der Arbeitsgemeinschaft<br />
Rhön haben und nach der EG-Ökoverordnung<br />
erzeugen und verarbeiten, genutzt werden.<br />
Für die Nutzung dieses Siegels werden Gebühren<br />
erhoben.<br />
Premiumprodukte der Dachmarke<br />
Zu den herausragenden Produkten der Rhön gehört<br />
neben Rhönlamm und Ziege eine Reihe anderer Erzeugnisse,<br />
die vor Ort hergestellt werden und als<br />
Premiumprodukte besondere Aufmerksamkeit in<br />
der Vermarktung erfahren:<br />
− Rhöner Äpfel & Säfte<br />
− Rhöner Hausmacherwurst<br />
− Rhöner Biosphärenrind<br />
− Rhöner Weideochse<br />
− Rhöner Wild & Geflügel<br />
− Rhöner Bienenhonig<br />
− Rhöner Mineralwasser<br />
− Rhöner Bier<br />
− Rhöner Edelbrände & Liköre<br />
− Rhöner Brot & Backwaren<br />
− Rhöner Holz und Handwerksprodukte<br />
Hausmacherkooperation<br />
Rhöner Hausmachererzeugnisse sind aus der langen<br />
Tradition der Hausschlachtung hervorgegangen. Bis<br />
in die Gegenwart bewahrten Landwirte und Metzger<br />
die Spitzenqualität ihrer Hausmacherprodukte.<br />
Um diese zu bewahren, wurde die Rhöner Hausmacher-Kooperation<br />
gegründet, der sich Landwirte,<br />
Metzger und zwei mittelständische Schlachthöfe<br />
angeschlossen haben. Die Landwirte lassen ihre<br />
Schweine im Schlachthof in ihrer Nähe schlachten,<br />
und die Metzger aus der Umgebung holen die<br />
Schlachtkörper dort direkt ab, um daraus Rhöner<br />
Wurstspezialitäten zu produzieren. Mit diesem System<br />
sind zum einen kurze Transportwege garantiert.<br />
Auf der anderen Seite bekommt der Verbraucher<br />
ein Erzeugnis mit regionaler Herkunft. Der<br />
Metzger hat sogar Einfluss auf die Fleischqualität,<br />
weil er seinen Produzenten persönlich kennt. Letztlich<br />
profitieren von diesem Wirtschaftskreislauf alle.<br />
Der Landwirt erhält eine Perspektive, auch in Zukunft<br />
in der Region produzieren zu können. Im<br />
Schlachthof werden Arbeitsplätze gesichert, und<br />
die Metzger mit ihren Kunden können auf Frische<br />
und Qualität vertrauen.<br />
53
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Leistungen und Aktivitäten der Dachmarke<br />
Die Dachmarke betreibt für ihre Partnerbetriebe das<br />
Innen- und Außenmarketing, organisiert Veranstaltungen<br />
und Weiterbildungen für ihre Mitglieder,<br />
kontrolliert und zertifiziert.<br />
Ausgewählte Marketingaktivitäten der Dachmarke:<br />
Abb. 5: Rhöner Spezialitäten<br />
Netzwerk der Partnerbetriebe<br />
Foto: BR-Archiv<br />
Anlass:<br />
Musical „Rhönpaulus“ in Dermbach<br />
(2009)<br />
Aktivität der Aktionswochen mit Gastronomen<br />
Dachmarke: und Produzenten<br />
Erstellung von Werbematerialien<br />
Organisation eines Rhönmarktes mit<br />
Verkaufsständen<br />
Pressearbeit<br />
Anlass:<br />
Darstellung der regionalen<br />
Gastronomie<br />
Aktivität der Herausgabe eines<br />
Dachmarke: Gastronomieführers<br />
„Rhöner Genusstour“<br />
Anlass:<br />
Lehrlingswettbewerb „So schmeckt’s<br />
in der Rhön“ (2009)<br />
Aktivität der<br />
Dachmarke:<br />
Pressearbeit<br />
54<br />
Erfolgsgeschichte Gastronomie<br />
Die Gastronomiebetriebe konnten innerhalb<br />
der Dachmarke ihre eigene<br />
Erfolgsgeschichte schreiben. Mit dem<br />
Projekt „Rhöner Genusstour“ werben<br />
Betriebe für regionale Spezialitäten auf<br />
ihren Speisekarten. Alle Partner erhalten<br />
neben Schulungsangeboten regelmäßige<br />
Informationen und Unterstützung<br />
in Marketing und Werbung. Betriebe,<br />
die sich der Dachmarke an-
Jürgen Holzhausen: Dachmarke Rhön <strong>–</strong> Das Beste aus dem Biosphärenreservat Rhön<br />
schließen, unterziehen sich einer zusätzlichen und<br />
freiwilligen Prüfung, die mit dem Zusatzprädikat<br />
„Silberdistel“ einhergeht.<br />
Kriterien der Dachmarke Rhön<br />
Getränke<br />
Der Betrieb bietet folgende Getränke, die aus dem<br />
Gebiet der <strong>Regionale</strong>n Arbeitsgemeinschaft Rhön<br />
kommen, ständig an:<br />
• Bier (Wenn ein langfristiger Vertrag mit einer<br />
nicht regionalen Brauerei besteht, kann z.B. ein<br />
Bio-Weizenbier oder ähnliches aus der Region<br />
angeboten werden.)<br />
• Mineralwasser<br />
• Spirituosen<br />
• Saft<br />
• Wein oder Apfelwein<br />
Speisen<br />
Der Betrieb bietet mindestens zwei regionaltypische<br />
Gerichte ganzjährig an. Die regionaltypischen Gerichte<br />
können während des Jahres variieren. Die<br />
Hauptzutaten der jeweiligen Gerichte werden aus<br />
der Region bezogen. In der Karte wird besonders<br />
auf diese Gerichte durch das Qualitätssiegel hingewiesen,<br />
und die Lieferanten aus der Region werden<br />
aufgeführt. Es werden keine Einweg- und Portionsverpackungen<br />
verwendet (Brotaufstriche, Kaffeemilch<br />
etc.).<br />
Aus- und Fortbildung<br />
Der Betrieb bildet sein Personal im Service so aus,<br />
dass es der Kundschaft fachkundig zu den Zielen der<br />
Dachmarke Rhön und der Herkunft und Verarbeitung<br />
der eingesetzten regionalen Produkte Auskunft<br />
geben kann. Einmal im Jahr nehmen Geschäftsführung<br />
und/oder Personal an einer von der Dachmarke<br />
organisierten Fortbildungsveranstaltung teil. Eine<br />
angemessene Beteiligung an den Kosten wird von<br />
den teilnehmenden Betrieben erhoben.<br />
Beispielhafte Schulungen, organisiert durch<br />
die Dachmarke Rhön:<br />
• Service vom Feinsten <strong>–</strong> Wir freuen uns, dass Sie<br />
da sind<br />
• Verkaufstraining <strong>–</strong> „Die Rhön als Verkaufsargument“<br />
• Beschwerdemanagement<br />
Gemeinsame Werbeaktionen<br />
Das Unternehmen hat die Möglichkeit, sich an öffentlichkeitswirksamen<br />
Aktionen der Dachmarke zu<br />
beteiligen (Themenwochen, Werbeaktionen/Kochen<br />
bei speziell initiierten Veranstaltungen, länderübergreifender<br />
Kochwettbewerb mit Rhöner Produkten<br />
für Azubis, etc.).<br />
Auszeichnung<br />
Der teilnehmende Betrieb erhält:<br />
• ein wertiges Schild und eine Urkunde mit dem<br />
Qualitätssiegel, damit der Kunde erkennen<br />
kann „Hier gibt es echt Rhön“<br />
• eine Rhönfahne und eine CD-ROM mit digitalen<br />
Vorlagen für die Speisekarte (Anzeigen etc.<br />
werden zur Verfügung gestellt)<br />
Überprüfung<br />
Die Teilnehmer müssen die Nachweise zur Einhaltung<br />
der vorgenannten Punkte jährlich unaufgefordert<br />
an das Dachmarken-Management einbringen.<br />
Qualitätssiegel für Gaststätten<br />
Die Auszeichnung mit „Silberdisteln“ ist Anreiz und<br />
zeigt dem Gast an, dass er schmackhafte regionale<br />
Produkte erwarten kann und mit seiner Wahl der<br />
Gaststätte zur wirtschaftlichen Stärkung der Region<br />
und zur Erhaltung der Rhönlandschaft beiträgt.<br />
55
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Kontaktadresse<br />
Dachmarke Rhön GmbH<br />
Oberwaldbehrunger Str. 4<br />
97656 Oberelsbach<br />
Tel. 09774/ 9102-16 und -35<br />
E-Mail: info@dachmarke-rhoen.de<br />
Internet: www.rhoen.de und www.marktplatzrhoen.de<br />
1 Silberdistel = 30 % regionale Produkte<br />
2 Silberdisteln = 40 % regionale Produkte<br />
3 Silberdisteln = 60 % regionale Produkte<br />
Quellennachweise bzw. Literaturverzeichnis<br />
Planungsbüro Grebe (1995): Biosphärenreservat Rhön.<br />
Rahmenkonzept für Schutz, Pflege und Entwicklung. <strong>–</strong><br />
Neumann-Verlag GmbH Radebeul.<br />
•<br />
56
Sabine Behr: Vermarktungsinitiative „Genuss vom Pfrunger-Burgweiler Ried“ …<br />
Vermarktungsininitiative „Genuss vom<br />
Pfrunger-Burgweiler Ried“ <strong>–</strong> eine Regionalvermarktung<br />
mit Schwerpunkt <strong>Landwirtschaft</strong><br />
und Naturschutz stellt sich vor<br />
Sabine Behr<br />
Abb. 1: LOGO Vermarktungsinitiative<br />
In der heutigen schnelllebigen Zeit bieten Einkaufsmöglichkeiten<br />
eine Fülle von verschiedenen Produkten.<br />
Die schnelle Zubereitung von Gerichten<br />
steht oft im Vordergrund. Die<br />
Kochkunst an sich, das Wissen um<br />
regionale Produkte sowie der Genuss<br />
des Essens geraten dabei in<br />
den Hintergrund, und es werden<br />
Verwertungsmöglichkeiten im<br />
Blickwinkel der Ganzheitlichkeit<br />
nur noch wenig innerhalb der Familie<br />
gelehrt und weitergegeben.<br />
Die Vermarktungsinitiative „Genuss<br />
vom Pfrunger-Burgweiler<br />
Ried“ ist ein regionaler Zusammenschluss<br />
von sieben Landwirten,<br />
die ihren Schwerpunkt auf<br />
eine gute Fleischproduktion mit entsprechender<br />
Vermarktung ausgerichtet<br />
haben. Ein weiteres Merkmal ist die<br />
Aufklärungsarbeit, Verbraucher für<br />
eine ganzheitliche Verwertung von<br />
Fleischstücken zu sensibilisieren. Dabei<br />
wird besonderen Wert auf qualitativ<br />
hochwertige Produkte im Fleisch- und<br />
Wurstwarenbereich gelegt. Das Aufzeigen<br />
sowie die Verbesserung der regionalen<br />
Wertschöpfung und der Gründung<br />
einer Zweckgemeinschaft, bestehend<br />
aus landwirtschaftlichen Erzeugern, handwerklichen<br />
Verarbeitern, Gastronomen und<br />
Naturschutz, spielen dabei eine zentrale Rolle.<br />
Abb. 2: Beweidungsbeispiel: Scottish Highland in der Landschaftspflege<br />
Foto: P. Wilhelm<br />
57
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
58<br />
Basis<br />
Im September 2002 konnte das Naturschutzgroßprojekt<br />
Pfrunger-Burgweiler Ried von der neu gegründeten<br />
Stiftung Naturschutz Pfrunger-Burgweiler<br />
Ried übernommen werden. Als Projektträger gewährleistet<br />
diese die Sicherung der Erhaltung eines<br />
der bedeutendsten Moorgebiete Süddeutschlands.<br />
Das Gebiet dient als Lebensraum einer artenreichen,<br />
charakteristischen und zum Teil stark gefährdeten<br />
und seltenen Tier- und Pflanzenwelt sowie als Rastgebiet<br />
gefährdeter Vogelarten. Das Projekt ist Teil<br />
eines Programms des Bundesamts für Naturschutz,<br />
mit dem national bedeutsame Landschaften als Beitrag<br />
zum Schutz des Naturerbes Deutschland und<br />
zur Erfüllung internationaler Naturschutzverpflichtungen<br />
gefördert werden.<br />
Neben dem Hauptziel der Wiedervernässung der<br />
stark entwässerten Moorflächen wurden landwirtschaftliche<br />
Extensivierungsmaßnahmen in den<br />
Randgebieten des Naturschutzgroßprojektes Pfrunger-Burgweiler<br />
Ried angestrebt. Die ersten Flächen<br />
für eine extensive Beweidung mit Rindern konnten<br />
im Jahr 2005 bereitgestellt werden. Sieben Landwirte,<br />
welche sich für die Erhaltung dieser Flächen einsetzen,<br />
suchten gemeinsam mit der Stiftung Naturschutz<br />
geeignetes Tiermaterial und führten ein Beweidungssystem<br />
rund um das Pfrunger-Burgweiler<br />
Ried ein. Das Beweidungssystem wird mit den Rinderrassen<br />
Galloway, Belted Galloway, Heckrinder,<br />
Limousin, Pinzgauer und Scotish Highland je nach<br />
Standort durchgeführt und hat seinen Schwerpunkt<br />
auf einer naturnahen und ganzjährigen Freilandhaltung.<br />
Die Landwirte betreuen die Herden in Eigenregie.<br />
Für die tierärztliche Betreuung und Beratung<br />
aller Herden konnte die Großtierpraxis Bootz in Ostrach<br />
gewonnen werden. Die Stiftung Naturschutz<br />
Pfrunger-Burgweiler Ried berät die Landwirte im Bezug<br />
auf das Flächenmanagement und finanzierte<br />
bisher wichtige Einrichtungsgegenstände, wie Fanganlage,<br />
Klauenstand, Wiegeeinrichtung, frostsichere<br />
Wasserfässer und Treibwägen. Letztere sind überdacht<br />
und werden auch für kranke Tiere oder bei<br />
Problemen in der Mutterkuh-Kalb-Bindung zur besseren<br />
Kontrolle eingesetzt. Die Weideflächen verfügen<br />
über geeignete Rückzugsmöglichkeiten in Form<br />
von Wald. Wo keine Rückzugsmöglichkeit zur Verfügung<br />
gestellt werden konnte, sind entsprechende<br />
Unterstände für die Tiere bereitgestellt worden. Es<br />
werden derzeit circa 150 ha beweidet.<br />
Gründung einer Vermarktungsinitiative<br />
Im Spätsommer 2008 besaßen die Landwirte Rinderherden<br />
bei guter Gesundheit und suchten Absatzwege<br />
für ihre ersten Schlachttiere. Die Landwirte<br />
konnten ihre naturnah aufgewachsenen Tiere nur<br />
mit einer geringeren Entlohnung an den normalen<br />
Markt abgeben. Das Interesse an Robustrinderrassen,<br />
welche zwar qualitätsvolle Fleischstücke liefern,<br />
aber nicht den heute gängigen fleischfülligen Mastrassen<br />
entsprechen, sind wenig gefragt. Erschwerend<br />
hinzu kam das stressfreie Handling der Tiere in<br />
der Freilandhaltung, und es mussten andere Absatzwege<br />
gefunden werden.<br />
Die dem Ried angehörigen Gemeinden Wilhelmsdorf<br />
(Landkreis Ravensburg) und Ostrach (Landkreis<br />
Sigmaringen) sicherten hierfür Unterstützung zu. Mit<br />
Hilfe des Landschaftserhaltungsverbandes Höchsten-<br />
Dornacher Ried als Trägerschaft, dem die Gemeinde<br />
Wilhelmsdorf angehört, konnte eine Marketingkonzeption<br />
für Weiderinder aus dem Naturschutzgroß-<br />
Abb. 3: Logo Plenum / Logo LEV
Sabine Behr: Vermarktungsinitiative „Genuss vom Pfrunger-Burgweiler Ried“ …<br />
projekt Pfrunger-Burgweiler Ried in Auftrag gegeben<br />
werden. PLENUM Allgäu-Oberschwaben unterstützte<br />
diese Konzeption durch ihre Mittel aus der Regionalförderung,<br />
den restlichen Anteil übernahmen die Gemeinden.<br />
Produkte<br />
Die Landwirte stellten für den Aufbau einer Produktpalette<br />
folgende Kriterien auf:<br />
• die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe<br />
und diesen nachgelagerte Sicherung von<br />
Arbeitsplätzen durch eine regionale Erzeugung<br />
• Verarbeitung und Vertrieb qualitativ hochwertiger<br />
Fleisch- und Wurstwaren über Direktvermarktung<br />
an den Einzelhandel mit bestehender<br />
regionaler Produktpalette<br />
• Vernetzung mit der hiesigen Gastronomie<br />
• Produkte müssen sich gegenüber gängigen<br />
Produkten absetzen<br />
• die Schlachtkörper werden mindestens 9 Tage<br />
gereift<br />
Im Rahmen der Marketingkonzeption<br />
wurden die bestehenden<br />
regionalen Strukturen erarbeitet<br />
und entsprechende Absatzwege<br />
gesucht. Die erschwerte Tierentnahme<br />
der frei lebenden Herden<br />
machte den Kugelschuss, ausgeführt<br />
durch den betreuenden Tierarzt<br />
und Jäger auf der Weide, notwendig.<br />
In Abstimmung mit den<br />
zuständigen Veterinärbehörden<br />
und Kreisjagdämtern beider Landkreise<br />
konnte eine Sondergenehmigung<br />
mit Widerrufvorbehalt erwirkt<br />
werden.<br />
In der Metzgerei Hans Lallathin,<br />
Großschönach-Egg fand man einen<br />
Abb. 4: Heckstier in der Beweidung<br />
verlässlichen Partner, der alle geforderten Kriterien<br />
erfüllt, und sein Betrieb entspricht den heutigen EU-<br />
Hygiene-Anforderungen. Die Schlachtung, Zerlegung,<br />
Verpackung und Vermarktung erfolgt innerhalb<br />
der Region mit kurzen Transportwegen.<br />
Für die Vermarktung von Fleischwaren konnten<br />
zwei Gastronomiebetriebe gewonnen werden. Das<br />
Landhotel „Alte Mühle“ in Waldbeuren hat seinen<br />
Schwerpunkt in der Abnahme ganzer Schlachtkörper<br />
und bietet zwei- bis dreimal im Jahr Spezialwochen<br />
an. Dabei wird die jeweilige Rasse des geschlachteten<br />
Rindes in einer Spezialkarte beschrieben<br />
und die Vorteile der extensiven Beweidung in<br />
den Randbereichen des Pfrunger-Burgweiler Rieds<br />
werden erklärt. Das Gasthaus „Zum Goldenen<br />
Kreuz“ in Pfrungen/Wilhelmsdorf bietet regelmäßig<br />
auf seiner Speisekarte Gerichte von den Riedrindern<br />
an und weist ebenfalls auf die Besonderheiten hin.<br />
Auch Vesperteller werden von den Verbrauchern<br />
gerne angenommen. Die Gastronomiepartner bekommen<br />
von der Vermarktungsinitiative Malvorlagen<br />
für die Kinder sowie Informationsmaterial und<br />
Foto: P. Wilhelm<br />
59
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
60<br />
das Logo der Vermarktungsinitiative zur Bewerbung<br />
der Rindfleischgerichte gestellt.<br />
Die Landwirte selbst haben sich eine Vermarktung<br />
ab Hof aufgebaut. Hierbei wird Wert auf Transparenz<br />
für den Kunden, nicht nur im Bereich Tieraufzucht,<br />
gelegt. Die einzelnen Fleischpakete werden<br />
so gepackt und ausgezeichnet, dass man zu<br />
Hause die Einzelteile wieder erkennt. In einer beigefügten<br />
Anleitung können die ursprüngliche Lage<br />
und die Verwendungsmöglichkeit der Fleischware<br />
nachvollzogen werden. Menuvorschläge werden immer<br />
ausgelegt. Zu 80 % können so ausschließlich<br />
Abb. 5: Einzelhandel „Müllers Frischemarkt“: Inhaber Herr<br />
Müller bei der Bewerbung von Produkten der<br />
Vermarktungsinitiative „Genuss vom Pfrunger-Burgweiler<br />
Ried“<br />
Foto: P. Wilhelm<br />
10-kg-Fleischpakete verkauft und die Kunden auf<br />
eine ganzheitliche Verwertung sensibilisiert werden.<br />
Im Bereich des Wurstwarensortiments wird Wert<br />
auf eine Produktion mit hohem Rindfleischanteil gelegt.<br />
Es gibt Wurstwaren, welche rein aus Rindfleisch<br />
hergestellt werden, wie zum Beispiel Rinderlyoner, Saitenwürste<br />
oder Rote Grillwürste. Die gerauchten Rohwürste<br />
enthalten höchsten 20% Schweinefleischanteil<br />
und es wird beim Zukauf des Schweinefleisches auf<br />
Qualität geachtet. Derzeit wird eine eigene Schweine-<br />
Freilandhaltung angestrebt, um dem Verbraucher ein<br />
geschlossenes Konzept anbieten zu können.<br />
Alle Wurstwaren werden frei von Gluten, Glutamat<br />
und Laktose hergestellt. Besonders für Allergiker<br />
sind diese Wurstwaren interessant. Das Aushängeschild<br />
der Wurstwarenpalette ist der sogenannte<br />
„Riedschmecker“. Es handelt sich hierbei um eine<br />
90 g schwere gerauchte Rohwurst. Die Namensgebung<br />
soll an das umgangssprachlich genannte<br />
„Riedmeckerle“, die Bekassine erinnern, welche sich<br />
ihren Lebensraum gerne auf beweideten Flächen<br />
sucht. Es ist ein Watvogel, der in der Rote-Arten-Liste<br />
geführt ist.<br />
Die Vermarktung der Wurstwaren wird durch die<br />
Landwirte selbst durchgeführt. Als feste Vermarktungspartner<br />
konnten die Einzelhandelsgeschäfte<br />
„Müllers Frischemarkt“, Familie Müller in Wilhelmsdorf<br />
und EDEKA Aktivmarkt, Familie Eberhardt innerhalb<br />
der Region gewonnen werden. Ihr Sortiment<br />
ist mit dem Schwerpunkt „<strong>Regionale</strong> Produkte“<br />
aufgestellt. Sie werden regelmäßig mit Wurstwaren<br />
beliefert und legen entsprechendes<br />
Infomaterial aus. So kann der Verbraucher jederzeit<br />
auf das Wurstwarenagebot zugreifen und muss<br />
nicht separat einen Hofladen anfahren.<br />
Die ansässigen Gemeinden nutzen das Wurstwarenangebot<br />
ebenfalls, sei es als kleine Gastgeschenke<br />
oder auch zur Verpflegung in Form von Vespertellern,<br />
kombiniert mit anderen regionalen Produk-
Sabine Behr: Vermarktungsinitiative „Genuss vom Pfrunger-Burgweiler Ried“ …<br />
ten. Zu Jubilaren bietet die Vermarktungsinitiative<br />
Gutscheine für<br />
ein Fleischpaket oder Geschenkkörbe<br />
an.<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
Die Vermarktungsinitiative „Genuss<br />
vom Pfrunger-Burgweiler<br />
Ried“ informiert ihre Kunden über<br />
das Zusammenspiel zwischen<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> und Naturschutz.<br />
Die Bedeutung der tiergebundenen<br />
Landschaftspflege mit ihren<br />
strukturreichen Flächen werden im<br />
Zusammenhang mit der dadurch<br />
entstehenden Artenvielfalt in Flora<br />
und Fauna erklärt, und auch auf<br />
den einzelnen Wurstwaren werden<br />
regelmäßig Infos angebracht.<br />
Für Fragen nehmen sich die Landwirte<br />
bei der Direktvermarktung ab Hof viel Zeit.<br />
Als Auftakt zur Vermarktung und als Informationsveranstaltung<br />
wurde am 19. Oktober 2008 der<br />
erste Ried-Weidetag durchgeführt. Dies war eine<br />
Veranstaltung der Vermarktungsinitiative mit den<br />
Gemeinden Ostrach und Wilhelmsdorf in Kooperation<br />
mit der Stiftung Naturschutz Pfrunger-Burgweiler<br />
Ried und dem SHB-Naturschutzzentrum Wilhelmsdorf<br />
und wurde ebenfalls von PLENUM Allgäu-<br />
Oberschwaben gefördert. Der Ried-Weidetag ist<br />
generell ein Angebot an die Bevölkerung, insbesondere<br />
für Kinder und Familien. Mit einem vielfältigen<br />
Programm und Erlebnisspielen für die Kinder informierte<br />
die Vermarktungsinitiative über ihre Arbeit.<br />
Die Veranstaltung ist vergleichbar mit einem Hoffest,<br />
nur dass sie draußen auf der offenen Fläche bei<br />
den Herden stattfindet. Die Kooperationspartner<br />
bieten Informationen zu ihrer derzeitigen Arbeit im<br />
Naturschutzgroßprojekt Pfrunger-Burgweiler Ried.<br />
Abb. 6: Vesperteller für die Gemeinde Wilhelmsdorf, kombiniert mit regionalen<br />
Produkten<br />
Foto: K. Puk<br />
Der erste Ried-Weidetag bot Wanderungen durch<br />
das gesamte Projektgebiet an, und es gab an jeder<br />
Weide einen Informationsstand, organisiert durch<br />
die Landwirte. Hier konnte man verweilen und die<br />
ersten Produkte der Vermarktungsinitiative im Gespräch<br />
mit den Landwirten geniesen. Auch ein<br />
Transportsystem mit Kutsche, Traktor und Feuerwehrbussen<br />
wurde bereitgestellt, und die Besucher<br />
nahmen dieses Angebot sehr gerne wahr. Der Gastronomiepartner<br />
„Alte Mühle“ in Waldbeuren bot an<br />
diesem Tag eine Spezialkarte zu Rindfleischgerichten<br />
aus dem Ried an und informierte ebenfalls über die<br />
regionale Vernetzung der Produktion, Verarbeitung<br />
und Vermarktung. Mit circa 1000 Besuchern war die<br />
Veranstaltung sehr gut besucht und hat auch über<br />
die Region hinaus großen Anklang gefunden.<br />
Das große Interesse hat die Veranstalter ermutigt,<br />
den Ried-Weidetag im zweijährigen Rhythmus zu<br />
wiederholen. Der Ried-Weidetag soll sich in dem je-<br />
61
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
62<br />
weiligen Veranstaltungsjahr eines bestimmten Themas<br />
annehmen und auch schwerpunktmäßig eine<br />
Teilgebiet des Naturschutzgroßprojektes Pfrunger-<br />
Burgweiler Ried mit seinen Besonderheiten vorstellen.<br />
Im Jahr 2010 ist der zweite Ried-Weidetag im<br />
nördlichen Bereich bei Waldbeuren/Ostrach geplant.<br />
Er wird unter dem Motto „Heckrinder-Urahnen des<br />
Rindes“ stattfinden und die Zuchtgeschichte der<br />
vom Aussterben bedrohten Heckrinder vorstellen.<br />
Dabei werden beide Gastronomiepartner die Besucher<br />
mit Gerichten der Riedrinder verwöhnen.<br />
nach erzeugten „Riedschmecker“ (eine luftgetrocknete<br />
Hartwurst) erhielten im Rahmen des von der<br />
PLENUM-Geschäftsstelle Ravensburg ausgerichteten<br />
Wettbewerbes „Regio-Schmecker“ eine lobende<br />
Anerkennung.<br />
Besonders stolz sind die Landwirte auf den Pro-<br />
Tier-Förderpreis für artgerechte Nutztierhaltung. Die<br />
Allianz für Tiere in der <strong>Landwirtschaft</strong> hat die Vermarktungsinitiative<br />
nicht nur für ihr Weidemanagement<br />
mit hohem Tierschutz bei der Tierentnahme,<br />
sondern auch für ihre regionale Vernetzung mit Vermarktungspartnern<br />
und Kooperationen bezüglich<br />
der Öffentlichkeitsarbeit im Jahr 2009 gewürdigt.<br />
Preise<br />
Die Vermarktungsinitiative hat inzwischen mehrere<br />
Auszeichnungen für Ihre Bemühungen erhalten: Für<br />
die gelungene Verbindung von Naturschutz und Regionalvermarktung<br />
erhielt das Projekt den <strong>Kulturlandschaft</strong>spreis<br />
2009 des Schwäbischen Heimtbundes<br />
e.V. und des Sparkassenverbandes; Die von dem<br />
Metzgereipartner Lallathin in Herdwangen-Schö-<br />
Zukünftige Entwicklung<br />
Seit Sommer 2010 wird nun an der weiteren Umsetzung<br />
dieses Projektes gearbeitet. Dabei gilt es,<br />
die Vermarktungswege den allgemein geltenden<br />
EU-Hygiene-Anforderungen anzupassen. Es wird<br />
derzeit gemäß geltendem Recht ein Lager- und Verpackungsraum<br />
errichtet und es<br />
werden entsprechende Investitionen<br />
in Maschinen getätigt. Als<br />
weiterer wichtiger Punkt ist die Öffentlichkeitsarbeit<br />
zu nennen. Sie<br />
beschäftigt sich mit der Erstellung<br />
einer Homepage, Weiterentwicklung<br />
von Werbe- und Infomaterialien<br />
sowie der Erarbeitung besonderer<br />
Angebote wie Themenführungen,<br />
Kochkursen, etc. um das<br />
Projekt langfristig in der Region zu<br />
verankern und zu sichern. Auch<br />
die Einbindung von „Randgruppen<br />
der Gesellschaft“ (Menschen<br />
mit Behinderung, Patienten der<br />
Suchtkrankenhäuser vor Ort) in die<br />
Verpackungs- und Vermarktungsabläufe<br />
Abb. 7: Galloway im Ried<br />
Foto: M. Ackermann<br />
soll stattfinden. Die Ver-
Sabine Behr: Vermarktungsinitiative „Genuss vom Pfrunger-Burgweiler Ried“ …<br />
marktungsinitiative wird immer in<br />
Abhängigkeit zu der zur Verfügung<br />
gestellten Fläche nur begrenzt<br />
Fleisch- und Wurstwaren<br />
anbieten können, jedoch kombiniert<br />
mit anderen regionalen Produkten<br />
soll sie ein attraktives Angebot<br />
für die Bevölkerung sein.<br />
Fazit<br />
Ein Projekt, das seinen Schwerpunkt<br />
auf regionaler Lebensmittelverarbeitung<br />
und der Förderung<br />
der regionalen Wertschöpfung<br />
hat, ist in der heutigen global geprägten<br />
Weltanschauung von großer<br />
Bedeutung. Die Menschen sollen<br />
auch weiterhin die Möglichkeit<br />
haben, in ihrer Region Regionalprodukte<br />
zu beziehen. Einhergehend<br />
mit Aufklärungsarbeit durch<br />
die Erzeuger selbst wird die Vermittlung von Basiswissen<br />
im Bezug auf <strong>Landwirtschaft</strong> und Naturschutz<br />
gefördert und eine Akzeptanz gesichert. Es<br />
erfordert immer ein hohes Maß an Eigeninitiative<br />
und viel Feingefühl der beteiligten Personen <strong>–</strong> aber<br />
Abb. 8: Präsentkorb mit Produkten der Vermarktungsinitiative „Genuss vom<br />
Pfrunger-Burgweiler Ried“<br />
Foto P. Wilhelm<br />
es ist ein Regionalprojekt, von dem alle profitieren<br />
können. Hervorzuheben ist das Engagement der zuständigen<br />
Gemeinden, die diese Projekte nicht nur<br />
finanziell unterstützen, sondern regionale Produkte<br />
auch aktiv in das Gemeindeleben einbinden. •<br />
63
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Die Labertaler Schmankerlmesse<br />
Rainer Pasta<br />
64<br />
Ein Experiment 2007 zur regionalen<br />
Küche <strong>–</strong> Ideen, Probleme und<br />
Erfahrungen aus der Praxis<br />
ine Genussmesse mit Volksfest-<br />
<strong>–</strong> das sollte sie sein,<br />
„Echarakter“<br />
die Labertaler Schmankerlmesse 2007,<br />
die erstmalig <strong>–</strong> und bisher einmalig <strong>–</strong><br />
am 27. und 28. Oktober im Hart bei Laberweinting<br />
stattfand. Mit einem neuen<br />
Format der „regionalen Verbrauchermesse“<br />
wagten sich die Veranstalter an<br />
die Öffentlichkeit.<br />
Genuss gab es sicher, denn Essen und Trinken wurden<br />
ausschließlich mit Produkten aus der Region abgedeckt,<br />
jedenfalls frisch und auch in Bioqualität. Als<br />
Schmankerlbier 2007 präsentierten die Organisatoren<br />
aus dem Arbeitskreis „WIR IM LABERTAL“ das<br />
Zoigl-Bier der Mallersdorfer Klosterbrauerei. Dazu<br />
gab es Apfelmost, Apfelsaft und Schorle sowie aufbereitetes<br />
Trinkwasser aus der Region. Natürlich durften<br />
Schnäpse und Liköre aus Obst und Ei nicht fehlen.<br />
Angeboten wurde eine Fülle regionaler Produkte<br />
und Gerichte, die von Fleisch und Wurst über Gemüse,<br />
Milch, Käse, Fisch, Eiernudeln und Kartoffeln<br />
reichte. Weiterhin konnten sich die Besucher an<br />
Schmalzgebäck, Maultaschen und Obst satt essen.<br />
Essen und Trinken gab es also reichlich, und keiner<br />
der auch von weit her angereisten Besucher (auch<br />
der Bayerische Rundfunk bewarb die Labertaler<br />
Schmankerlmesse) ging hungrig nach Hause. Kleine<br />
Portionen zu günstigen Preisen ermöglichte es den<br />
Gästen, viel zu probieren.<br />
Ein interessantes Rahmenprogramm rund um<br />
die Labertaler Schmankerl (es muss nicht immer etwas<br />
Essbares sein) sorgte für Unterhaltung.<br />
Und die Musik spielte ohne<br />
Lautsprecher und Verstärker. Die in der<br />
Region ansässigen Musikanten konnten<br />
eine feine Wirtshausmusik spielen<br />
und brauchten keine Showeinlagen<br />
oder Gassenhauer, um zu überzeugen.<br />
Die der Messe angeschlossene<br />
Kunstausstellung des Mallersdorfer<br />
Malkreises im Obergeschoss der Halle<br />
erfreute zusätzlich das Auge. Der angrenzende<br />
Waldspielplatz im Hart begeisterte<br />
die Kinder, und das angebotene Rahmenprogramm<br />
mit Kräuterwanderung, Kochshows und<br />
das Eintreffen der Wanderreiter ergänzte das Angebot<br />
aufs Beste.<br />
Vision oder Schnapsidee<br />
Im Vorfeld von vielen äußerst skeptisch beobachtet,<br />
erfüllte die erste Labertaler Schmankerlmesse<br />
die in sie gesetzten Erwartungen. Schirmherr Landrat<br />
Alfred Reisinger betonte in seiner Ansprache<br />
den Mut und die Notwendigkeit, eine solche Messe<br />
anzubieten <strong>–</strong> auch als Exportmodell für andere<br />
Regionen.<br />
Die Region Labertal, eingebunden zwischen dem<br />
Hopfenanbaugebiet Hallertau und dem Gäuboden,<br />
der Kornkammer Bayerns, hat keine Weideschafe,<br />
Ochsen oder Mutterkühe, die es zu vermarkten gilt.<br />
Es gibt außer Mais-, Weizen- und Zuckerrübenfeldern<br />
auch wenig Natur, die sich schützen lassen<br />
kann. Deshalb gibt es auch wenige Touristen, die<br />
eine regionale Küche nachfragen könnten. Hinzu<br />
kommt, dass die Menschen vor Ort seit Jahrhunder-
Rainer Pasta: Die Labertaler Schmankerlmesse<br />
ten ein gutes und sicheres Leben führen konnten<br />
und deshalb nie gezwungen waren, sich Gedanken<br />
über neue Lebenswege zu machen. Mit Curry-Wurst<br />
und Leberkäs-Semmel, mit Grillhendl und Schweinshax‘n<br />
ist es aber bei weitem nicht getan, um die Region<br />
kulinarisch zu positionieren.<br />
Internationale Standardgerichte, die man inzwischen<br />
zum Aufwärmen im Supermarkt bekommt,<br />
locken auch niemanden hinterm Ofen hervor. Die<br />
„Schmankerl-Kompetenz“ war eine der Zielvorgaben<br />
der Veranstalter <strong>–</strong> aber wer hatte die in der Region<br />
Labertal<br />
Neben den wenigen Direktvermarktern und Bio-<br />
Bauern kamen vor allem die heimischen Metzger<br />
und Bäcker dafür in Frage. Mit der Kochkunst der<br />
heimischen Gastwirte sollte regionale <strong>Esskultur</strong> vorgestellt<br />
werden. Einerseits ist dies gelungen, zum<br />
anderen aber auch gehörig schief gegangen. Hört<br />
man oft die Frage „Was bringt die Vermarktung regionaler<br />
Produkte der erhaltenswerten <strong>Kulturlandschaft</strong>“,<br />
so musste man sich bei uns im Nachhinein<br />
fragen: „Braucht es eine besondere Landschaft, um<br />
eine regionale <strong>Esskultur</strong> zu entwickeln“.<br />
Die Idee zur Schmankerlmesse ist in den ersten<br />
Gesprächen zwischen Brauereien, Gastwirten und<br />
regionalen Lebensmittelproduzenten aus dem Labertal<br />
entstanden, diese Gespräche standen unter<br />
dem Motto „Das Wirtshaus im Labertal“, um die beteiligten<br />
Gruppen zusammenzuführen und die regionale<br />
Identität und das Naherholungsangebot im<br />
Labertal zu fördern. Allein der Versuch, naturtrüben<br />
Apfelsaft aus der Region in den Gasthäusern zu etablieren,<br />
scheiterte an den Vorbehalten der Wirte:<br />
„Das trinken unsere Gäste nicht!“<br />
Nachdem sich die regionalen Brauereien, insgesamt<br />
vier an der Zahl, von der Idee einer gemeinsamen<br />
Aktion distanzierten und die Bereitschaft der<br />
heimischen Gastronomie zur Teilnahme äußerst gering<br />
war, glaubte kaum noch jemand mehr daran,<br />
Abb. 1: Ein Ziel des Projektes WIR IM LABERTAL war es, die<br />
regionalen Wirtschafts-Kreisläufe wieder aufzubauen<br />
und zu festigen. Die Kette Produktion <strong>–</strong> Verarbeitung<br />
<strong>–</strong> Absatz sollte wieder mehr regional gesteuert<br />
werden. Dazu sollten Produzenten, Verarbeiter und<br />
Händler an einen Tisch geholt und ihre Beziehungen<br />
untereinander gestärkt werden. Neben dem<br />
Handwerk sollten vor allem die regionalen Direktvermarkter<br />
davon profitieren.<br />
dass die Schmankerlmesse zustande kommen würde,<br />
ist doch solch eine Veranstaltung mit hohen Kosten<br />
für beispielsweise Organisation, Werbung, Musik<br />
und Showküche verbunden.<br />
Konzept und Unpassendes<br />
Die Brauereien wollten <strong>–</strong> oder konnten <strong>–</strong> nicht miteinander<br />
agieren und ruhten sich auf ihren Erfolgen<br />
aus. Ein Brauer verwies stolz auf die Tatsache, dass<br />
65
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
66<br />
sein Bier nun auch am Gardasee zu haben sei, ein<br />
anderer war mit seinen erst kürzlich erteilten EU-Prämierungen<br />
zufrieden. Ein großer Mineralwasserkonzern<br />
direkt aus der Region nahm an den Gesprächen<br />
nicht teil, „spiele er doch in einer anderen Liga und<br />
verhandele derzeit mit ALDI-Nord“. Die Gastronomie<br />
reagierte äußerst verständnislos, und letztendlich<br />
unterstützte nur eine Gastwirtin das Vorhaben.<br />
Es ging sogar so weit, dass den Veranstaltern in<br />
einem Wirtshaus Hausverbot erteilt wurde, weil sich<br />
der Wirt „von den Laien nicht erklären lassen wolle,<br />
wie er sein Restaurant zu führen habe“. (Die Gastwirtschaft<br />
musste später leider schließen).<br />
Die Durchführung<br />
Doch das Engagement der Klosterbrauerei Mallersdorf<br />
unter Leitung von Sr. Doris (in Bayern aus dem<br />
Fernsehen bekannt), die vielfältigen Angebote der<br />
Abb. 2:<br />
Das Schmankerl-Angebot 2007<br />
Hirsch, Gans/Pute, Lamm<br />
Reh-Ragout mit Semmeln<br />
Geflügel-Ragout, Mini-Knödl,<br />
Kartoffelpuffer, Blaukraut,<br />
Sauerkraut, Krautsalat,<br />
Endiviensalat ...<br />
Käse aus eigener Produktion,<br />
Kartoffelkas, O´batzta ...<br />
Blechkuchen ...<br />
Obst ...<br />
Brot, Maultaschen, Rohrnudeln ...<br />
Hopfengeräuchertes,<br />
Hopfenwurst,<br />
Blut- und Leberwurst,<br />
Leberkäs, Fleisch- und Wurstprodukte,<br />
Hühnersuppe,<br />
Schmankerlbrote mit Geräuchertem oder<br />
Damwildsalami,<br />
Nudelsalat, Brotzeiteier,<br />
Marmeladen,<br />
Getrocknete Erdbeeren,<br />
Erdbeermarmelade,<br />
Kaltgepresste Speise-Öle,<br />
Honigprodukte,<br />
Kartoffelschmarrn mit Kraut und<br />
Geselchtem,<br />
Semmel- und Kaiserschmarrn mit Waldbeeren-<br />
oder Apfelkompott,<br />
Quark-Kartoffeln,<br />
gebr. Hühnerflügel,<br />
Rouladen-Spieße,<br />
Pichelsteiner,<br />
„Greilsburger“ (veget. oder mit Rindfleisch),<br />
Kartoffelsalat,<br />
Labertaler Körberl<br />
(mit regionalen Lebensmitteln),<br />
Labertaler Tragerl<br />
(mit dem Schmankerlbier 2007),<br />
frische Brezen,<br />
geräucherte Forellen,<br />
Schweinefleisch, Leberwurst,<br />
Leberkäs im Glas,<br />
eingelegter Käse,<br />
Salami ...
Rainer Pasta: Die Labertaler Schmankerlmesse<br />
regionalen Produzenten, die Erfahrung und Leistungsfähigkeit<br />
von Marianne Pritscher (Gasthof Pritscher,<br />
Bayerbach) und Xaver Holzer (Waldgasthof<br />
Hart) mit ihren Mitarbeitern, zusammen mit Durchhaltewillen<br />
und der Überzeugung von der eigenen<br />
Idee und der des Organisatorenteams, machten<br />
doch das „Unmögliche möglich“. Wesentlich beigetragen<br />
hierzu haben die DB Regio Ostbayern und<br />
eine Handvoll ehrenamtlicher HelferInnen. Ohne<br />
diese Unterstützung wäre die Veranstaltung nicht<br />
durchführbar gewesen.<br />
Doch für die Anbieter und Organisatoren brachte<br />
die Messe eine Fülle neuer Erfahrungen und Erkenntnisse<br />
über die Vermarktung regional erzeugter<br />
Lebensmittel und die Erwartungshaltung der Verbraucher<br />
mit sich. Auch die Besucher nahmen so<br />
manches Aha-Erlebnis mit nach Hause, das sich<br />
beim Besuch der Schmankerlmesse so heraus kristallisierte.<br />
Waren dies zum einen die Vielfalt und Qualität<br />
der regionalen Angebote, zum anderen aber<br />
auch der enge Handlungsspielraum der bäuerlichen<br />
Familienbetriebe, wenn es darum geht, zusätzliche<br />
Maßnahmen für Vertrieb und Absatz durchzuführen,<br />
wie beispielsweise diese Messe. Wer täglich auf<br />
den Märkten in den umliegenden Städten präsent<br />
sein muss und dabei zu Hause die nötigen Waren<br />
produziert, kann einfach nicht zwei weitere Tage<br />
präsent sein.<br />
Ähnliches gilt für Metzger und Bäcker, die damit<br />
argumentierten und darauf pochten, dass die Bevölkerung<br />
eigentlich ja sehr genau wisse, welche<br />
Qualität sie wo kaufen könnte. Eine weitere Feststellung,<br />
die die Veranstalter machen mussten:<br />
Unsere Köche können zwar super kochen, und sie<br />
können auch gut erklären, was sie dabei machen <strong>–</strong><br />
nur nicht gleichzeitig! Was Tim Mälzer oder Alfred<br />
Schuhbeck im Fernsehen zelebrieren, ließ sich nicht<br />
unbedingt in der Schauküche der Schmankerlmesse<br />
realisieren.<br />
„Das trinkt mein Kind nie!“<br />
Doch auch die Erwartungshaltung der Verbraucher<br />
sei hier erwähnt: „Alles, und das zu jeder Zeit“ sind<br />
Aussagen aus der Werbung, die wir als Verbraucher<br />
<strong>–</strong> da nimmt sich der Verfasser nicht aus <strong>–</strong> inzwischen<br />
so verinnerlicht haben, dass wir gar nicht mehr erkennen,<br />
dass regionale Angebote endlich und saisonabhängig<br />
sind und angeboten werden müssen (so sie<br />
in bäuerlichen Strukturen produziert werden wollen<br />
und sollen), wenn sie angeboten werden können.<br />
Auch die allzeit vorhandene Unendlichkeit der<br />
Angebote funktioniert auf regionaler Ebene einfach<br />
nicht <strong>–</strong> muss sie auch nicht! Ist man gewohnt, Cola,<br />
Spezi, Fanta und die verschiedensten Biersorten zu<br />
trinken, dass Hirsch und Gänse <strong>–</strong> natürlich frisch gebraten<br />
und mit allen Beilagen <strong>–</strong> rund um die Uhr auf<br />
den Tisch kommen, so war die Labertaler Schmankerlmesse<br />
ganz sicher eine Erfahrung zum Nachdenken.<br />
Wenn man aber offen für die präsentierten Angebote<br />
war, so konnte man mit dem Schmankerlbier<br />
(ein qualitativ hochwertiges, inhaltsreiches Zoigl-<br />
Bier), dem trüben Apfelsaft (aus echten Äpfeln und<br />
nicht aus chemisch hergestelltem Konzentrat), mit<br />
Fleisch, Wurst und Käse (auch in Bio-Qualität, aber<br />
auf jeden Fall verantwortungsvoll hergestellt), mit<br />
frischem Gebäck (mit echter Butter und frischen Zutaten),<br />
mit Nudeln, Kartoffeln, Senf, Ölen oder mit<br />
den erstklassigen Schnäpsen und Likören die eigene<br />
Region ganz neu und mit allen Sinnen erleben. Wer<br />
dazu bereit war, für den war die Messe nicht nur gelungen,<br />
sondern auch ein echtes Erlebnis. So manches<br />
Kind (und seine Eltern) lernte erstmals naturtrüben<br />
Apfelsaft kennen <strong>–</strong> und konnte gar nicht<br />
genug davon bekommen, auch wenn die Mutter<br />
vorher überzeugt war: „Das trinkt mein Kind nie!“<br />
Besonders überrascht <strong>–</strong> positiv überrascht <strong>–</strong> war<br />
man von der Einhaltung des Nichtrauchergebotes,<br />
lange bevor das „Nichtraucherschutzgesetz“ hohe<br />
Wellen schlug. Mit „Gebrauchsanweisungen“, die<br />
67
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
68<br />
auf den Tischen lagen, wurde u.a. darum gebeten,<br />
in der Halle nicht zu rauchen, denn Schmankerln<br />
und Rauchen vertragen sich nicht. Bis auf ein paar<br />
wenige Ausnahmen hielten sich alle daran. Auch<br />
die Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen<br />
„Alkohol und Jugendliche“ war den Veranstaltern<br />
wichtig.<br />
. . . und letztendlich<br />
Anbieter und Organisatoren waren davon überzeugt,<br />
dass es gelungen sei, die Menschen zu erreichen<br />
und für die regionalen Schmankerln zu sensibilisieren.<br />
Alle wünschten sich, dass die Labertaler<br />
Schmankerlmesse <strong>–</strong> an wechselnden<br />
Standorten in der Region Labertal<br />
<strong>–</strong> zum Selbstläufer werden<br />
würde und dass Verbraucher, aber<br />
auch Gastronomen, die Vielfalt,<br />
Qualität und die gebotenen Möglichkeiten<br />
tatsächlich nutzen und<br />
entsprechend handeln würden.<br />
Doch <strong>–</strong> leider haben sich diese<br />
Erwartungen nicht erfüllt.<br />
Es gibt leider immer noch keinen<br />
naturtrüben Apfelsaft aus der<br />
Region in den Gasthäusern, es ist<br />
bequemer, den Gästen fertige Getränke<br />
aus dem Großhandel anzubieten.<br />
Es gibt keine regionalproduzierten<br />
Schnäpse und Liköre in<br />
den Gasthäusern, weil es billiger<br />
und einfacher ist, Massenprodukte<br />
einzukaufen. Es gibt immer<br />
noch kein Restaurant, das regionale<br />
und saisonale Gerichte anbietet<br />
(obwohl z.B. der größte Spargelanbauer<br />
Bayerns hier ansässig<br />
ist), und es gibt niemanden, der<br />
Aufwand und Risiko einer weiteren<br />
Schmankerlmesse tragen will, weil sich die Rahmenbedingungen<br />
bei den Direktvermarktern und<br />
Gastronomen nicht geändert haben. Es gibt dafür<br />
aber noch mehr Pizzerien, Kebap-Buden und wieder<br />
weniger Dorfwirtshäuser, Dorfmetzger und kleine<br />
Bäckereien.<br />
Eine positive Entwicklung ist jedoch erkennbar: es<br />
gibt bei den jährlich stattfindenden Regionaltagen<br />
des Landkreises eine „Schmankerlmeile“, und es<br />
gibt eine Reihe von neuen „Party-Diensten“, die inzwischen<br />
auch regionale Schmankerl anbieten.<br />
Auch ein paar Kräuterpädagoginnen ließen sich<br />
mittlerweile ausbilden und bereichern das eine oder<br />
Abb. 3: Die Region Labertal im Einflussbereich von Straubing, Regensburg,<br />
Ingolstadt und Landshut mit dem Veranstaltungsort der 1. Labertaler<br />
Schmankerlmesse
Rainer Pasta: Die Labertaler Schmankerlmesse<br />
andere Fest mit ihren Ideen. Weitere regionale Initiativen<br />
wie der „Europäische Pilgerweg VIA NOVA“<br />
und die „Ochsenstraße“ lassen ebenfalls hoffen,<br />
sind beide Projekte doch ein guter Ansatz, regionale<br />
Produkte anzubieten.<br />
Hoffnung macht auch die Aussage eines anderen<br />
Referenten: „Dass sich eine regionale <strong>Esskultur</strong> auch<br />
dann entwickeln kann, wenn es sie noch nicht gibt“.<br />
Wenn keine passenden Rezepte zu finden sind,<br />
dann können neue entwickelt werden. Anregungen<br />
gäbe es in einer Region, in der Bauern und Herrschaften<br />
so eng aufeinander saßen, sicherlich genug.<br />
Es ist eigentlich eine Schande, dass zwischen<br />
Kornkammer und Hopfenanbaugebiet keine regionale<br />
<strong>Esskultur</strong> entstehen konnte oder kann <strong>–</strong> oder<br />
einfach noch nicht entdeckt wurde.<br />
•<br />
69
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Apfelsaft aus Streuobst<br />
Ulfried Miller<br />
70<br />
Zusammenfassung<br />
Streuobstbestände sind seit Jahrzehnten<br />
aufgrund ihrer Artenvielfalt<br />
im Fokus der Naturschützer. Sie<br />
sind Teil einer traditionellen <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
und erlebten ihre größte Verbreitung<br />
in Mitteleuropa im 19. und<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts. Bis in die<br />
Mitte des letzten Jahrhunderts waren<br />
sie die wichtigste Obstkultur und wurden<br />
dann zunehmend durch Plantagen<br />
ersetzt. Ihr Rückgang ist seitdem anhaltend, da sich<br />
ihre Bewirtschaftung ohne Förderung oder deutlich<br />
bessere Mostobst-Preise nicht rechnet. Außerdem<br />
ist der Konsum von Apfelsaft, Most und Cidre rückläufig.<br />
Noch wird die regionale Wertschöpfung und<br />
ihre Möglichkeiten durch Streuobst unterschätzt<br />
Abb. 1: Blühende Streuobstwiese im Emmelhofer Moos bei<br />
Ravensburg<br />
Foto: U. Miller<br />
und viel zu wenig bewusst genutzt.<br />
Gerade in der Verknüpfung von Tourismus,<br />
Gastronomie und <strong>Landwirtschaft</strong><br />
liegen Potentiale für eine nachhaltige<br />
<strong>Regionale</strong>ntwicklung. Ein Ausbau<br />
gelingt nur durch mutige Partner<br />
in Verarbeitung, Handel und Dienstleistung<br />
und ein engagiertes Regionalmanagement,<br />
das Netzwerke knüpft<br />
und Fördermittel in die Region holt.<br />
Inzwischen liegen umfangreiche Erfahrungen<br />
in der Streuobst-Vermarktung vor. Klare<br />
Trends zeichnen sich ab, die es konsequent zu nutzen<br />
gilt.<br />
Lebensraum und Verbreitung Streuobst<br />
Streuobstwiesen gehören zu den artenreichsten Lebensräumen<br />
Mitteleuropas. Über 5.000 verschiedene<br />
Tier- und Pflanzenarten und mehr als 3.000 Apfel-,<br />
Birnen-, und Steinfrucht-Sorten wurden allein in<br />
Deutschlands Streuobstbeständen nachgewiesen<br />
(RÖSLER 2010). Wiesen und Äcker mit verstreut stehenden<br />
Hochstamm-Obstbäumen stellen damit<br />
einen Genpool von beachtlichem wirtschaftlichem<br />
Wert dar. Im Albvorland südlich von Stuttgart wurde<br />
ein europaweit bedeutendes Vogelschutzgebiet ausgewiesen<br />
und damit der ökologische Wert von<br />
Streuobstbeständen am Rande der Schwäbischen<br />
Alb unterstrichen. In Hochstamm-Obstwiesen Oberschwabens<br />
sind in den neunziger Jahren zahlreiche<br />
Tierarten neu entdeckt und weltweit erstmalig beschrieben<br />
worden. Eine Trauermücken-Art trägt nun<br />
den Namen ihres Fundortes: „Bradysia ravensburgensis“.
Ulfried Miller: Apfelsaft aus Streuobst<br />
Streuobstbestände sind europaweit verbreitet. In<br />
Deutschland sind die Bundesländer Baden-Württemberg<br />
(Produkte: Apfelsaft, Destillate und Most), Hessen<br />
(Produkte: Apfelsaft und Äppelwoi) und Rheinland-<br />
Pfalz (Produkte: Apfelsaft und „Viez“) Hochburgen<br />
des Streuobstanbaus. Baden-Württemberg nimmt mit<br />
seinen 9<strong>–</strong>10 Millionen Bäumen auf ca. 110.000 Hektar<br />
ein Drittel der bundesweiten Streuobstfläche ein. In<br />
Österreich ist vor allem das Mostviertel bekannt für seine<br />
Birnen- und Produktvielfalt. In Frankreich und England<br />
ist die Cidre- bzw. Cider-Produktion eng mit dem<br />
Streuobstanbau verknüpft. Allerdings ist überall ein<br />
Rückgang der Streuobstbestände feststellbar. Allein in<br />
Baden-Württemberg hat sich die Fläche trotz aller<br />
Schutzbemühungen seit 1965 halbiert (SCHMIEDER &<br />
KÜPFER 2010; RÖSLER 2010).<br />
Ernährung und Streuobst<br />
Das Verschwinden der Streuobstbestände hängt signifikant<br />
mit dem Rückgang des Saft- und Mostkonsums,<br />
mit den zunehmenden Billigimporten und den<br />
unwirtschaftlichen Erzeugerpreisen zusammen.<br />
Derzeit werden in Deutschland jährlich 750 Millionen<br />
Apfelsaft getrunken. Das entspricht einem<br />
aktuellen Pro-Kopf-Verbrauch von 9 Litern pro Jahr<br />
(RÖSLER 2009). 85 % der Äpfel für diesen Saft stammen<br />
aus Import- (China, Osteuropa) oder Plantagen-Obst,<br />
nur 15 % kommen aus heimischem<br />
Streuobst (ELLINGER 2010).<br />
Die jährliche Streuobsternte in Deutschland<br />
liegt bei durchschnittlich 560.000 Tonnen.<br />
400.000 Tonnen gehen in die Saftherstellung. Davon<br />
wird der größte Teil für den Eigenbedarf gekeltert.<br />
Etwa 80.000 bis 110.000 Tonnen werden<br />
für Destillate und 50.000 bis 80.000 Tonnen zu<br />
Apfelwein und Most vergoren (ELLINGER 2010,<br />
DIETRICH 2007).<br />
Untersuchungen eines Forschungsverbundes der<br />
Universitäten Kaiserslautern, Heidelberg, Dresden<br />
und Jena haben in den letzten Jahren neue Erkenntnisse<br />
zur Bedeutung alter Streuobstsorten für<br />
die Gesundheit erbracht. So enthält vor allem naturtrüber<br />
Apfelsaft aus Streuobst nicht nur besonders<br />
viel Vitamine, sondern auch Ballaststoffe und<br />
Polyphenole (sekundäre Pflanzenstoffe mit krankheitsvorbeugender<br />
Wirkung). Polyphenole und Ballaststoffe<br />
schützen vor Darmkrebs. Hohe Gehalte<br />
wurden vor allem in den alten Apfelsorten Brettacher,<br />
Boskoop und Bittenfelder nachgewiesen.<br />
Täglicher Genuß von naturtrübem Streuobst-Apfelsaft<br />
ist neben regelmäßigen Konsum von Obst und<br />
Gemüse eine wichtige Krebsvorsorge. Naturtrüber<br />
Apfelsaft enthält mindestens 30 Prozent mehr<br />
Polyphenole als klarer Saft. In punkto Gesundheitsschutz<br />
ist mancher Streuobstsaft <strong>–</strong> etwa von den<br />
Sorten Bittenfelder und Bohnapfel <strong>–</strong> dem Rotwein<br />
überlegen! (DIETRICH 2007; STIFTUNG WARENTEST<br />
2007)<br />
Abb. 2: Im 19. Jahrhundert hat ein Knecht bei der Heuernte 5 Liter Most pro Tag getrunken (BOHNENBERGER 1915)<br />
71
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Wirtschaftlichkeit von Streuobst<br />
Die landwirtschaftlichen Deckungsbeiträge pro Hektar<br />
sind beim Streuobstbau stark abhängig vom<br />
Obst- und Grünlandertrag und der Erntetechnik. Sie<br />
sind deutlich geringer als bei Ackerbau und Grünlandwirtschaft<br />
ohne Bäumen.<br />
In der Regel liegen die erzielbaren Stundenlöhne<br />
bei den aktuellen Mostobst-Marktpreisen unter 5 €.<br />
Akzeptable Preise sind nur bei der Bio- und Aufpreisvermarktung<br />
möglich. Wirtschaftlich ist auch der<br />
Eigenkonsum und die Direktvermarktung von Saft<br />
durch den Obsterzeuger. Verbesserungen sind nur<br />
möglich durch Aufpreise auf hochwertiges Streuobst,<br />
durch Senkung der Erntekosten durch den<br />
überbetrieblichen Einsatz von Auflesemaschinen,<br />
die Lohnverarbeitung mit anschließender Direktvermarktung<br />
des Saftes und eine höhere Flächenförderung<br />
über Agrarumweltprogramme.<br />
Wirtschaftlichkeitsberechnungen gehen davon<br />
aus, dass sich der Streuobstbau erst ab Mostobst-<br />
Preisen von 17,50 € bis 20 €/Dezitonne rechnet<br />
(MlR 2004). Deshalb versuchen seit Ende der achtziger<br />
Jahre Naturschutzverbände, über sogenannte<br />
Aufpreisvermarktungsprojekte den Landwirten höhere<br />
Erzeugerpreise für ihr Streuobst zu garantieren.<br />
Alleine in Baden-Württemberg gibt es über 50 solche<br />
regionale Initiativen, die von Naturschutzgruppen,<br />
Kreis- und Stadtverwaltungen und Landschaftspflegeverbänden<br />
und -vereinen getragen werden.<br />
Partner sind immer örtliche Fruchtsaftkeltereien, der<br />
Handel und die Gastronomie. Eines der ältesten und<br />
größten Apfelsaftprojekte hat sich nördlich vom Bodensee<br />
etabliert.<br />
<strong>Regionale</strong> Wertschöpfung von Streuobst<br />
Viel zu wenig werden die regionalwirtschaftlichen<br />
Aspekte des Streuobstbaus betrachtet. Mit Anbau,<br />
Ernte, Verarbeitung und Handel sind zahlreiche<br />
Arbeitsplätze verbunden <strong>–</strong> von der Baumschule über<br />
den Landwirt bis zur Kelterei und dem Getränkefachhandel.<br />
Auch der Tourismus profitiert von blühenden<br />
Obstbäumen.<br />
Dabei erfolgt die Verwertung der Äpfel im Streuobstbau<br />
in Deutschland regional sehr unterschiedlich.<br />
Im Kreis Ravensburg kaufen die Keltereien jährlich<br />
15.000 bis 20.000 Tonnen Streuobst für über<br />
1 Million Euro. 8.000 bis 10.000 Tonnen werden<br />
durch die ca. 800 Kleinbrenner verarbeitet. 40 bis 50<br />
72<br />
Abb. 3 und 4: Die Streuobsternte erfolgt in der Regel von Hand <strong>–</strong> durch Auflesen vom Boden<br />
Fotos: U. Miller
Ulfried Miller: Apfelsaft aus Streuobst<br />
Gastronomiebetriebe schenken<br />
Streuobst-Apfelsaft aus. In<br />
jeder Gemeinde führen Getränkefachmärkte<br />
Streuobstsäfte,<br />
die es im Supermarkt<br />
nicht zu kaufen gibt.<br />
Vorbildlich gelingt die Einbeziehung<br />
des Streuobstbaus in<br />
den Tourismus im Biosphärengebiet<br />
Rhön (www.rhoen.de)<br />
und im Mostviertel (www.<br />
moststrasse.at) in Österreich.<br />
Hier werden nicht nur Urlaub<br />
am Bauernhof und Streuobstprodukte<br />
angeboten, sondern<br />
Veranstaltungen wie Verkostungsaktionen,<br />
Mostseminare,<br />
Sensenmähkurse, Obstblütenfeste,<br />
Besuche im MostBirn-<br />
Haus, Most-Rad- und Wandertouren.<br />
Die Vermarktung wird<br />
über Internetplattformen, durch<br />
Messeauftritte und Fernsehportraits<br />
professionell betrieben.<br />
Abb. 5: Vier Fruchtsaftkeltereien, BUND und NABU garantieren 200 Vertrags-Landwirten<br />
17,90 €/Dezitonne Streuobst-Äpfel <strong>–</strong> statt der marktüblichen 6 bis 7 €.<br />
Damit sind 25.000 Hochstämme auf 360 Hektar gesichert. Jährlich werden<br />
600.000 Liter Apfelsaft verkauft.<br />
Ausblick <strong>–</strong> Perspektiven für Streuobstprodukte<br />
Um Streuobstbestände dauerhaft sichern zu können,<br />
müssen die Produkte besser vermarktet werden.<br />
Dazu gehören auch faire Preise und Gewinnmöglichkeiten<br />
für Landwirte, Verarbeiter und Handel.<br />
Aus den Aktivitäten der letzten Jahre zeichnen<br />
sich klare Tendenzen und Chancen ab.<br />
Trends beim Saft<br />
• Verbraucher kaufen ihre Getränke zunehmend<br />
im Supermarkt statt im Fachhandel. Streuobst-<br />
Produkte müssen deshalb ähnlich wie Bio-Produkte<br />
auch im Supermarkt angeboten werden.<br />
Deutschland<br />
Kreis Ravensburg<br />
Eigenkonsum & Lohnverarbeitung 30<strong>–</strong>40 % 30<strong>–</strong>40 %<br />
Destillate 5<strong>–</strong>10 % 25<strong>–</strong>30 %<br />
Verkauf an Keltereien zum Marktpreis 40<strong>–</strong>50 % 20<strong>–</strong>30 %<br />
Aufpreis- und Biovermarktung 5 % 10<strong>–</strong>20 %<br />
Dörr- und Tafelobst, Apfelmus, Gelee 10<strong>–</strong>15 % 5<strong>–</strong>10 %<br />
Keine Ernte 10<strong>–</strong>15 % 5<strong>–</strong>10 %<br />
Abb. 6: Verwertung der Streuobsternte am Beispiel des Landkreises Ravensburg (RÖSLER 2009, eigene Schätzungen)<br />
73
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
74<br />
Abb. 7: Europas größtes Streuobstgebiet wirbt mit diesem Alleinstellungsmerkmal<br />
• Verbraucher akzeptieren höhere Produktpreise,<br />
wenn damit für sie ein klarer Zusatznutzen erkennbar<br />
ist. Regionalität allein reicht nicht aus.<br />
Wichtig sind umweltfreundlicher Anbau<br />
ohne chemisch-synthetische Pestizide<br />
und Agro-Gentechnik und mit<br />
glaubwürdigen Kontrollen. Das kann<br />
vor allem der Bio-Anbau gewährleisten.<br />
Streuobstprodukte tragen deshalb<br />
immer öfter ein Biosiegel (EU-Bioverordnung,<br />
Bio-Anbauverbände) oder<br />
entstehen in Zusammenarbeit mit Naturschutzverbänden.<br />
• Schorle sind bessere und kalorienärmere<br />
Durstlöscher als reiner Saft. Verbraucher,<br />
Gastronomen und Kantinen<br />
wünschen auch fertig gemischte<br />
Schorle in kleinen Flaschen.<br />
• Säfte in der praktischen „Bag in Box“-<br />
Abfüllung halten Einzug in Privathaushalte,<br />
Kantinen und Gastronomie.<br />
Beim Eigenkonsum und bei (mobilen)<br />
Kleinmostereien spielt diese Verpackung<br />
inzwischen eine tragende Rolle.<br />
• Saft-Mix mit Beerenobst ist seit Jahren<br />
klar im Trend. Mischungen mit Wildund<br />
Beerenfrüchten (Holunder, Johannisbeere,<br />
Heidelbeere) und<br />
Tropenfrüchten aus fairem<br />
Handel (Mango) erfreuen<br />
sich großer Beliebtheit und<br />
sind oft Alleinstellungsmerkmale<br />
von Streuobstinitiativen,<br />
mittelständischen<br />
Keltereien und Getränkefachhändlern.<br />
• Neue Produkte entstehen<br />
vor allem im Premium-Segment.<br />
Seit kurzem bietet die<br />
Waldburger „Vom Faß AG“<br />
einen in Eichenfässern gereiften Apfel-Essigbalsam<br />
an, der von der gehobenen Gastronomie<br />
stark nachgefragt wird (www.vomfaß.de).<br />
Abb. 8: Das Fairhandelsunternehmen<br />
„dritte welt partner Ravensburg“<br />
hatte 2002 die Idee für diesen<br />
oberschwäbisch-phillipinischen<br />
Saftmix.<br />
Abb. 9: Vergorenes und<br />
Destillate aus Streuobstbirnen<br />
sind die besten Möglichkeiten,<br />
hochstämmige Birnenbäume in<br />
der Landschaft zu erhalten.
Ulfried Miller: Apfelsaft aus Streuobst<br />
Trends bei Most und Vergorenem<br />
• Kleine Manufakturen und mittelständische Keltereien<br />
entwickeln in den letzten Jahren leckere<br />
Schaumweine und Cidre aus Streuobst. In<br />
Schlatt bei Bad Boll (Landkreis Esslingen) bietet<br />
die Manufaktur Geiger sogar einen Internetversand<br />
an (www.manufaktur-joerg-geiger.de).<br />
Jürgen Krenzer in der Rhön überrascht seine<br />
Gäste seit Jahren mit neuen Kreationen rund<br />
ums Streuobst (www.rhoenerlebnis.de und<br />
www.rhoenapfel.de).<br />
• Apfel-Radler nennen sich Bier-Streuobstapfelsaft-Mischungen<br />
aus der Rhön und aus der Region<br />
Allgäu-Oberschwaben. Dieses neue Geschmackserlebnis<br />
überzeugte in Baden-Württemberg<br />
auch eine Jury, die diesen Mix mit<br />
dem „Regio-Schmecker-Preis“ der Naturschutzinitiative<br />
des Landes „PLENUM Allgäu-<br />
Oberschwaben“ auszeichnete.<br />
• Destillate aus Streuobst sichern in manchen<br />
Gemeinden ein Drittel der Streuobstbestände<br />
und bieten vor allem für Mostbirnen eine lukrative<br />
Verwertungsmöglichkeit an. Ein Streuobstler<br />
schmeckt fruchtig und hat bei Verkostungen<br />
oft die Nase vorn. Leider gibt es bei den<br />
Destillaten noch kaum getrennte Vermarktungswege<br />
von Plantagenobst (Williams!) und<br />
Streuobst-Produkten.<br />
Literatur<br />
BIRNBAUM, G. (2004): Aktuelle Trends und Entwicklungen in<br />
der Getränke-Nachfrage. Vortrag beim Streuobst-Vernetzungstreffen<br />
am 7.12.2004 in Freudenstadt.<br />
BOHNENBERGER (1915): Beschreibung des Oberamts Tettnang.<br />
Herausgegeben vom K. Statistischen Landesamt, 2.<br />
Bearbeitung, Stuttgart, Kohlhammer (1915). Kapitel „Sitte<br />
und Brauch“, S. 442.<br />
DIETRICH, H. (2007): Alte Mostapfelsorten und deren Wirkung<br />
auf die Gesundheit. Vortrag bei einer Streuobst-<br />
Fachtagung im Rahmen der Europomm 2007 in Luxemburg.<br />
ELLINGER, W. (2010): Die Bedeutung des Streuobstbaus für<br />
den Obst- und Getränkemarkt. Vortrag bei der Streuobsttagung<br />
am 18.3.2010, Universität Hohenheim.<br />
MINISTERIUM LÄNDLICHER RAUM BA-WÜ (2004): Antwort auf<br />
große Anfrage der Fraktion GRÜNE zu Situation und Perspektiven<br />
des Streuobstbaus in Baden-Württemberg. Landtagsdrucksache<br />
13/3517.<br />
RÖSLER, M. (2009): VDF und NABU: Streuobstapfelernte<br />
2009 nur ca. 500.000 Tonnen. NABU-Streuobstrundbrief<br />
3/2009; S. 1+5.<br />
RÖSLER, M. (2010): Streuobstbau in Europa. Vortrag bei der<br />
Streuobsttagung am 18.3.2010, Universität Hohenheim.<br />
SCHMIEDER, K. & KÜPFER, C. (2010): Automatisierte Erfassung<br />
von Streuobstbäumen aus Lidar-Daten. Vortrag bei der<br />
Streuobsttagung am 18.3.2010, Universität Hohenheim.<br />
STIFTUNG WARENTEST (2007): Apfelsaft <strong>–</strong> Vorteil für Naturtrüb.<br />
Heft 9/2007, S. 18.<br />
WELLER, F. (2006): Streuobstwiesen. In: Konold, W., Böcker,<br />
R: Hampicke, U. (Hrsg.): Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege.<br />
Kapitel XI-2.11. <strong>–</strong> Landsberg. •<br />
Internet<br />
www.bund-ravensburg.de<br />
www.streuobst-ravensburg.de<br />
75
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Sorten-Erhaltungskonzept<br />
Baden-Württemberg<br />
Manfred Büchele<br />
Die Streuobstbestände in Baden-<br />
Württemberg gehen aufgrund von<br />
Flächenverbrauch, fehlender wirtschaftlicher<br />
Anreize, mangelnder Pflege und<br />
fehlender Neupflanzungen bzw. Überalterung<br />
stark zurück. Mit dem Rückgang<br />
ist ebenfalls der Verlust dieser alten<br />
Obstsorten verbunden.<br />
Durch den Verlust alter Obstsorten<br />
droht ein Verlust an genetischer Vielfalt<br />
und regionaler Identität. In der Arbeitsgruppe<br />
Streuobst des Landesverbandes für Obstbau,<br />
Garten und Landschaft (LOGL) wurde ein Sortenerhaltungskonzept<br />
entwickelt mit dem ersten wichtigen<br />
Ziel, eine zentrale Erfassung alter Obstsorten in<br />
Baden-Württemberg zu erreichen.<br />
Dieses Konzept wurde dem Ministerium für Ländlichen<br />
Raum (MLR) vorgestellt, und durch die Finanzierungszusage<br />
des Ministeriums konnte<br />
die Sortenerhaltungszentrale für Baden-Württemberg<br />
im Mai 2001 an der<br />
Universität Hohenheim am Institut für<br />
Obst-, Gemüse- und Weinbau eingerichtet<br />
werden.<br />
Seit Oktober 2006 ist die Sortenerhaltungszentrale<br />
als Daueraufgabe an<br />
das Kompetenzzentrum für Obstbau<br />
(KOB) in Bavendorf übertragen worden.<br />
Das Ministerium für Ländlichen<br />
Raum (MLR) hat dafür entsprechende Finanzmittel<br />
zur Verfügung gestellt. Ausschlaggebend für die<br />
Einrichtung der Sortenerhaltungszentrale am Standort<br />
Bavendorf war unter anderem die gute Infrastruktur:<br />
das Labor zur Bestimmung der wertgebenden<br />
Inhaltsstoffe und zur Durchführung des „genetischen<br />
Fingerabdrucks“ alter Kernobstsorten. Da-<br />
76
Manfred Büchele: Sorten-Erhaltungskonzept Baden-Württemberg<br />
rüber hinaus besitzt das KOB bereits seit 1996 einen<br />
umfangreichen Sortenerhaltungsgarten von ca. 350<br />
Sorten. Neben dem Apfelsortenerhaltungsgarten<br />
am KOB steht ein Sortenerhaltungsgarten für Wirtschaftsbirnen<br />
am „Unteren Frickhof“ bei Owingen-<br />
Billafingen und für Tafelbirnen an der Universität<br />
Stuttgart-Hohenheim.<br />
Aufgaben und Dienstleistungen der Sortenerhaltungszentrale<br />
• Sortensuche und Bestimmung alter Sorten<br />
• Erhaltung alter Sorten<br />
• Fortführung der Datenbank „phänotypische<br />
Merkmale alter Sorten“<br />
• Aufnahme des genetischen Fingerabdrucks<br />
eindeutig bestimmter Sorten in die Datenbank<br />
• Charakterisierung der Sorteneigenschaften<br />
und Untersuchung auf wertgebende Inhaltsstoffe<br />
• Kontrollierte Abgabe von Reisermaterial<br />
• Bestandsaufnahme und Überprüfung der Sorten<br />
in bereits bestehenden Sortengärten mittels<br />
phänologischer Bestimmung oder genetischem<br />
Fingerprinting (von der Jahreszeit<br />
unabhängig)<br />
• Eine Art „Zertifizierung“ überprüfter<br />
Sortengärten als Voraussetzung<br />
für die Abgabe von Reisermaterial<br />
• Beratung von kommunalen und<br />
privaten Trägern beim Aufbau<br />
neuer Sortengärten<br />
• Mitwirkung bei der Organisation<br />
landesweiter Sortenausstellungen<br />
• Mitwirkung bei der Öffentlichkeitsarbeit<br />
(Erstellung von Broschüren,<br />
Durchführung von Führungen)<br />
77
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
• Fachwartausbildung im Bereich „Pomologie“<br />
• Ausgleichsmaßnahmen durch Streuobst: Konzepte<br />
zur Durchführung und Pflege<br />
• Sanierungskonzepte für bestehende Streuobstbestände<br />
Kontakt:<br />
Dr. Ulrich Mayr,<br />
Kompetenzzentrum Obstbau <strong>–</strong> Bodensee,<br />
Schuhmacherhof 6, 88213 Ravensburg,<br />
Tel.: 0751-7903 301, Fax: 0751-7903 322,<br />
Internet: www.kob-bavendorf.de<br />
Bildnachweis: Alle Aufnahmen vom Verfasser<br />
•<br />
78
Geschichte und Kultur der<br />
oberschwäbischen Weiher 1<br />
Werner Konold<br />
Werner Konold: Geschichte und Kultur der oberschwäbischen Weiher<br />
Zusammenfassung<br />
Die oberschwäbische Landschaft ist<br />
bis auf den heutigen Tag von Weihern,<br />
also künstlich geschaffenen Stillgewässern,<br />
geprägt. Entstanden sind<br />
sie ganz überwiegend im Mittelalter,<br />
angelegt von weltlichen und geistlichen<br />
Herren sowie später von den Patriz<br />
iern der Städte. Ganz alte Weiher<br />
dürften die (Burg-)Mühlweiher sein.<br />
Der Hauptzweck war jedoch die Fischereiwirtschaft,<br />
deren Rendite enorm hoch war. Fisch<br />
galt als Luxusspeise. Manche Weiher dienten als<br />
Speicherbecken für die Wiesenbewässeru ng, als<br />
Bleicheweiher, Flachsröstgruben, Deic<br />
hel weiher (zum Lagern der Holzröhren/Deichel)<br />
oder Schwellweiher im<br />
Rahmen des Holztransports. Genutzt<br />
wur de der Weiherschlamm, wenn der<br />
Weiher gewintert oder gesömmert<br />
wurde, die Weiherpflanzen, Frösche,<br />
Blutegel und die Wasservögel. Weiher<br />
waren also polykulturelle Systeme. Der<br />
30-jährige Krieg leitete den Niedergang<br />
ein er hoch entwickelten Weiherwirtschaft<br />
ein. Steigende Getreide- und sinkende<br />
Fischpreise sowie die Säkularisierung der Klöster<br />
und die territoriale Neuordnung des Südwestens<br />
durch Napoleon führten zur Auflassung<br />
zahlreicher Weiher und zu<br />
Nutzungsumwandlungen (Acker,<br />
Wald, Streu- und Futterwie se). Ein<br />
kleiner Aufschwung im späten 19.<br />
Jahrhundert konnte den drastischen<br />
Rückgang nicht aufhalten.<br />
Die verbliebe nen Weiher sind in<br />
ihrem Bestand gesichert, wenn<br />
auch nicht alle in einem guten Zustand,<br />
und wichtiger Teil der<br />
Eigenart der oberschwäbischen<br />
<strong>Kulturlandschaft</strong>.<br />
Abb. 1: Oberer Atzenberger Weiher in der Nähe der damaligen Freien Reichsstadt<br />
Wangen; Ausschnitt aus der Karte zum Wohmbrechtser Urbar von 1752<br />
Quelle: Stadtarchiv Wangen in JENSCH, R. (2008): Die Weiherwirtschaft der<br />
ehemaligen Reichsstadt Wangen. Im Oberland 19(2): 12<strong>–</strong>20<br />
Die ältesten Weiher<br />
Die oberschwäbische Glaziallandschaft<br />
ist <strong>–</strong> erdgeschichtlich betrachtet<br />
<strong>–</strong> noch jung und unreif.<br />
Die Grund- und Oberflächenwas-<br />
79
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
serverhältnisse sind instabil, schwer zu fassen und<br />
können durch menschliche Eingriffe leicht verändert<br />
werden. Wir finden zum Beispiel zahlreiche Talwasserscheiden<br />
in alten Schmelzwasserrinnen, in denen<br />
man das Wasser durch geringe wasse rbauliche Manipulation<br />
in die eine oder andere Richtung lenken<br />
kann, etwa zu dem Zweck, das Wassereinzugsgebiet<br />
für einen Weiher oder eine Mühle vergrößern. Die<br />
Oberflächenformen lassen es an zahlreichen Stellen<br />
zu, mithilfe eines Dammes künstliche Gewässer aufzustauen.<br />
Wann auf diese Weise die ersten Weiher in Oberschwaben<br />
entstanden sind, wissen wir nicht, da uns<br />
die schriftlichen Quellen fehlen. Es ist jedoch anzunehmen,<br />
dass zunächst Mühlweiher gebaut wurden,<br />
das heißt, man staute mit Hilfe eines We hres<br />
ein Fließgewässer auf und leitete das Wasser in<br />
einem Mühlbach oder Kanal zum Wasserrad. Um<br />
Staubecken zu bauen, genügte nicht mehr ein Wehr,<br />
sondern man musste Dämme anlegen.<br />
Den ältesten Na chweis für eine Mühle im heutigen<br />
Kreis Ravensburg besitzen wir aus der Mitte des<br />
8. Jahrhunderts (SCHÄFER 1966). Im 13. Jahrhundert<br />
verdichten sich die Nennungen von Mühlen. Für alle<br />
genannten Orte sind in späteren Zeiten auch Weiher<br />
nachweisbar.<br />
Ebenfalls sehr alte Weiher dürften die Burg- bzw.<br />
Burgmühlenweiher sein. Die ersten Burgen wurden<br />
im 10./11. Jahrhundert gebaut; der Höhepunkt des<br />
Burgenbaus lag im 12./13. Jahrhundert. Üblicherweise<br />
gehörten zu einer Burg ein Bauhof, also ein<br />
Wirtschaftshof, sowie eine Mühle (KOEHNE 1907,<br />
ERNST 1916), und zur Mühle wiederum ein Mühlweiher,<br />
der jedoch außer als Staubecken auch eine<br />
militärstrategische Bedeutung haben konnte.<br />
Auch wenn die Quellenlage etwas dünn ist, so<br />
können wir wohl davon ausgehen, dass es in Oberschwaben<br />
seit dem hohen Mittelalter bereits eine<br />
ganze Reihe von Weihern gab, darunter auch zahlreiche<br />
Hof- und Dorfweiher, Feuerlöschweiher, Wetten<br />
usw. Exakte Belege beginnen<br />
im 13. Jahrhundert, sehr dicht<br />
werden dann die Nachweise im<br />
14. Jahrhundert. Es tauchen in den<br />
Quellen einige Weiher auf, die<br />
heute noch existieren; andere Weiher<br />
sind als Flurnamen überkommen,<br />
wiederum andere längst vergessen.<br />
Aufschwung der<br />
Weiherwirtschaft<br />
Ab etwa 1400 hatte ein regelrechter<br />
Weiherboom eingesetzt, der<br />
das Landschaftsbild nachhaltig<br />
beeinflusst hat. Wie kam dieser<br />
Boom zustande, wer hatte Interesse<br />
am Weiherbau <strong>–</strong> Es soll darauf<br />
nur ganz pauschal eingegan-<br />
80<br />
Abb. 2: Der Elfenweiher, Gemeinde Wolfegg<br />
Foto: W. Konold
Werner Konold: Geschichte und Kultur der oberschwäbischen Weiher<br />
gen werden: Trotz einiger Rückschläge<br />
durch Pestepidemien war<br />
die Bevölkerungszahl über einen<br />
langen Zeitraum hinweg angestiegen,<br />
es bildeten sich Städte und<br />
Dörfer; Arbeitsteilung, Handel<br />
und Geldverkehr bestimmten zunehmend<br />
die Wirtschaftsabläufe;<br />
in der Bürgerschaft entstand eine<br />
neue kapitalkräftige und risikofreudige<br />
Schicht, die mit Waren<br />
und Immobilien handelte; die<br />
Klöster stiegen in die aktive Wirtschaftspolitik<br />
ein, nachdem sie<br />
viele Jahrhunderte lang überwiegend<br />
Schenkungen verwaltet hatten<br />
(MAURER 1973, DUBY 1984).<br />
Die Kaufkraft der herrschenden<br />
Schichten nahm zu, wodurch eine<br />
verstärkte Nachfrage nach Luxusgütern<br />
entstand. Und zu diesen Luxuskonsumgütern<br />
gehörte auch der Fisch, der beileibe nicht nur<br />
an den Fastentagen auf den Tisch kam. Fisch brachte,<br />
verglichen mit Rind- oder Schweinefleisch, ein<br />
Mehrfaches ein (HOFMANN 1935). In der Fischzucht<br />
des Spitals Biberach betrug das Verhältnis zwischen<br />
Kosten und Einnahmen in den besten Jahren 1:18,<br />
im Durchschnitt von 130 Jahren (1500<strong>–</strong>1629) 1:8<br />
(HEIMPEL 1966).<br />
Fisch war ein ausgesprochenes Herrenessen und<br />
hatte ein hohes gesellschaftliches Ansehen (HEIMPEL<br />
1964). Auch in der Heilkunst besaß er eine große<br />
Bedeutung. Um beispielsweise starke Fieber zu vertreiben,<br />
legte man sich halbierte Schleien auf Pulsadern<br />
und Fußsohlen; gegen Kopfschmerzen wurde<br />
empfohlen, das Herz eines lebenden Hechtes zu verschlucken<br />
(SURBECK 1902).<br />
Wahrscheinlich hatte man zunächst die Weiher in<br />
Mooren und verlandenden Seen gebaut oder aber<br />
Abb. 3: Der Holzmühleweiher, Gemeinde Kisslegg<br />
Foto: W. Konold<br />
bestehende Seen höher gestaut. Zahlreiche Namen<br />
legen dafür Zeugnis ab („-moosweiher“, „Weiher<br />
und See“). Zunehmend ging man jedoch auch daran,<br />
Äcker und Wiesen, also landwirtschaftlich wertvollere<br />
Flächen zu überstauen. Angesichts hoher Gewinnerwartungen<br />
fiel die Entscheidung sicher nicht<br />
allzu schwer. Der Pater Werli vom Kloster Weingarten<br />
hat dies im 16. Jahrhundert so zum Ausdruck<br />
gebracht: „Erstlich wo einer eine Weiherstatt hat<br />
(und) daraus einer einen Weiher machen will, es<br />
mag der Grund Getreide oder Gras (tragen), wie gut<br />
es woll, es ist zu wissen, daß er … mit den Fischen<br />
mehr genießen mag, denn mit der Frucht. Denn je<br />
besser der Grund, je nützlicher das Fischen“ (HStA<br />
Stgt B 515 BÜ 68).<br />
Es ist klar, dass es angesichts des rücksichtslosen<br />
Weiherbaus seitens der Grundherren Schwierigkeiten<br />
mit den Bauern geben musste, denen wichtige<br />
Produktionsflächen entzogen wurden. Vom Fischertrag<br />
hatten sie nichts, aber sie wurden zu Fron-<br />
81
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
82<br />
Abb. 4: Plan von der Trockenlegung des Lacher Weihers bei<br />
Wangen im Allgäu; Flurkartenausschnitt von 1825<br />
Quelle: Stadtarchiv Wangen in JENSCH, R. (2008):<br />
Die Weiherwirtschaft der ehemaligen Reichsstadt<br />
Wangen. Im Oberland 19(2): 12<strong>–</strong>20<br />
diensten herangezogen für den Weiherbau, die<br />
Weiherpflege, das Abfischen und für Fischfahrten,<br />
etwa vom Weiher zum Kloster. Die Weiher waren<br />
also Symbole der Unterdrückung und Ausbeutung.<br />
Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, wenn<br />
auch die Weiher in Bauernaufständen und vor allem<br />
im Bauernkrieg von 1525 eine gewisse Rolle spielten.<br />
Die Bauern beklagten sich, sie müssten „visch<br />
fiern“ und „weyer hawen“ und: „ir hend uns ein<br />
weier gemacht auf den hals…“ (FRANZ 1980). Der<br />
Fürstabt von Kempten erklärt vor dem Memminger<br />
Schiedsgericht im September 1525, die Bauern hätten<br />
auch „visch uß den kaltern und gruben“ geplündert,<br />
„öttlich des gotthaus weyer abgelassen<br />
[…] und frevenlich gefischt“ (BAUMANN 1877,<br />
S. 331/32; HEIMPEL 1964). Die wenigen Andeutungen<br />
mögen zeigen, dass Weiher auch mit politischen<br />
und gesellschaftlichen Verhältnissen durchaus etwas<br />
zu tun hatten.<br />
Weihernutzungen<br />
Bei der Nutzung der Weiher stand die Fischerei an<br />
allererster Stelle, aber es gab auch andere Nutzungen,<br />
die im folgenden nur stichwortartig aufgeführt<br />
werden sollen: Es gab Weiher, die als Staubecken für<br />
die Wiesenbewässerung dienten; in diesen Becken<br />
erwärmte sich das Wasser; gegebenenfalls konnte<br />
man Jauche und Kot einleiten, um die Düngewirkung<br />
des Wassers zu erhöhen. Vom Bodenweiher<br />
bei Isny ist die Bewässerung bereits im Jahre 1337<br />
belegt (Reg. Kl. Isny). Andere, meist kleine Weiher<br />
oder Gruben, wurden gebaut, um Flachs zu rösten,<br />
d.h. die Faser durch einen Gärungsprozess vom übrigen<br />
Gewebe zu trennen. Auch diese Nutzung geht<br />
vermutlich weit ins Mittelalter zurück. Es gab Bleicheweiher,<br />
aus denen die Bleichknechte Wasser<br />
schöpften, um die ausgelegte Leinwand mit Wasser<br />
zu benetzen. Es gab zahlreiche Feuerlöschweiher. Es<br />
gab Deichelweiher <strong>–</strong> etwa in Isny, Wurzach und Ravensburg<br />
<strong>–</strong>, in denen die durchbohrten Holzröhren,<br />
Deichel genannt, gelagert wurden, damit sie nicht<br />
rissen. Viele Eisweiher wurden angelegt, als man begonnen<br />
hatte, neben den Weißbieren auch untergärige<br />
Braunbiere zu brauen, die für die Gärung und<br />
die Lagerung gleichbleibende, niedrige Temperaturen<br />
verlangten. Das Kühlmittel in den Kellern war<br />
das Eis vom Eisweiher, das zerhackt bis in den nächsten<br />
Winter hinein seine Funktion erfüllte.<br />
Historisch besonders interessant sind die Floßoder<br />
Schwellweiher, in denen Wasser angesammelt<br />
wurde, um dann auf einer Flutwelle Stammabschnitte<br />
bach- und flussabwärts zu ihrem Bestimmungsort<br />
triften zu können. Zahlreiche Weiher erfüllten eine<br />
Funktion als Hochwasserrückhaltebecken. Soweit<br />
die Weiher gewintert, also im Herbst abgelassen<br />
und im Frühjahr wieder bespannt wurden, standen<br />
sie zur Zeit der Schneeschmelze als Staubecken zur<br />
Verfügung. Die gesömmerten Weiher <strong>–</strong> die Sömmerung<br />
fand alle 5 bis 7 Jahre statt <strong>–</strong> konnten in der
Werner Konold: Geschichte und Kultur der oberschwäbischen Weiher<br />
Hauptniederschlagszeit große Wassermengen aufnehmen.<br />
Darüber hinaus hatte auch jeder bespannte<br />
Weiher eine gewisse Wasseraufnahmekapazität.<br />
Sehr begehrt war der Weiherschlamm als Düngemittel<br />
für die Äcker. Einer der ersten neuzeitlichen<br />
Agrarökonomen war Abraham von Thumshirn, der<br />
in seiner „Oeconomia“ 1616 ausdrücklich betonte,<br />
man solle Teiche anlegen „nicht allein um des<br />
Fisches, der jetzunder sehr teuer, sondern auch um<br />
des Ackerbauers willen“ (SCHRÖDER-LEMBKE 1965,<br />
S. 99).<br />
Kommen wir zu den Weiherpflanzen und -tieren:<br />
Diese waren früher natürlich nicht Objekte des Artenschutzes,<br />
sondern der Haus- und Betriebswirtschaft<br />
und der Jagd. Eine bedeutende Einnahmequelle<br />
für die kleinen Leute war der Fang des medizinischen<br />
Blutegels, den die Bader und Ärzte zum<br />
Aderlassen benötigten. Außerdem wurden in den<br />
Weihern Frösche gefangen sowie zahlreiche Pflanzen<br />
gesammelt, die man als Nahrung (Wildgemüse),<br />
als Futter, als Gewürze, als Genussmittel, für vielerlei<br />
technische und handwerkliche<br />
Zwecke, in der Heilkunst und als<br />
Zierpflanzen verwendete. Manche<br />
Pflanzen gelangten so vom Status<br />
der Wildpflanze in den Status der<br />
Kulturpflanze. Sie wurden gehegt,<br />
von Konkurrenten befreit und vielleicht<br />
auch bei einem Ortswechsel<br />
mitgenommen (siehe z.B. BROCK-<br />
MANN-JEROSCH 1917). Es ist keine<br />
Frage, dass der Mensch auf diese<br />
Art und Weise die Vegetation auch<br />
an den Weihern stark beeinflusst<br />
und gesteuert hat. Und wenn wir<br />
uns vergegenwärtigen, dass in der<br />
Jungmoränenlandschaft des Kreises<br />
Ravensburg die Zahl der künstlichen<br />
Weiher die der natürlichen<br />
Gewässer bei Weitem übersteigt und dass in der Altmoränenlandschaft<br />
nur künstliche Weiher vorhanden<br />
sind, die allesamt menschlichen Bedürfnissen<br />
gedient haben, dann können wir uns vorstellen, wie<br />
nachhaltig diese Steuerung von Anbeginn war. Die<br />
Weiher und ihre Verlandungsbereiche sind in einem<br />
umfassenden Sinn echte Kulturobjekte.<br />
Neben den genannten Nutzungen waren viele<br />
Weiher Glieder ausgeklügelter Weiher- und Kanalsysteme,<br />
aus rein ökonomischen Erwägungen heraus<br />
angelegt und zugleich verbindende Feuchtstrukturen<br />
und -flächen, die Talräume miteinander verknüpften,<br />
natürliche Wasserscheiden überbrückten<br />
und durch das Fließmittel Wasser die Ausbreitung<br />
von Pflanzen und Tieren begünstigten.<br />
Niedergang der Weiherwirtschaft<br />
Treten wir nun wieder in den historischen Zeitablauf<br />
ein. Der Dreißigjährige Krieg bedeutete in jeder Hinsicht<br />
einen schweren Einbruch. Mit ihm ging auch<br />
die Blütezeit der Weiher- und Fischereiwirtschaft zu<br />
Abb. 5: Der Stockweiher, Gemeinde Kisslegg<br />
(Foto: W. Konold)<br />
83
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
84<br />
Ende. Viele Weiher wurden von den regelmäßig<br />
durchziehenden Soldaten zerstört. Manche Weiher<br />
setzte man nur notdürftig oder auch gar nicht mehr<br />
instand. Auch wenn nach dem Krieg zunächst noch<br />
kaum ein Rückgang der Weiherflächen zu verzeichnen<br />
war, so war doch bei der Bewirtschaftung mangelnde<br />
Professionalität und Sorgfalt zu verspüren.<br />
Zum Beispiel wich der Jahresklassenbetrieb dem extensiven<br />
Femelbetrieb. Die Erträge näherten sich allmählich<br />
einem Tiefpunkt, zumindest bei einigen<br />
Weihern (SCHERER 1969). Der Niedergang der Weiherwirtschaft<br />
hatte mehrere Gründe; der Dreißigjährige<br />
Krieg war nur ein markanter Punkt. Da sind zunächst<br />
die Änderungen in den Ernährungsgewohnheiten zu<br />
nennen. Die barocke Lebensart, die allmählich von<br />
Frankreich herüberschwappte, verlangte für die Tafeln<br />
der Herren ausgefallenere und exotische Speisen<br />
(BARCZYK 1981), die man nun wegen der Ausweitung<br />
des Handels auch leichter beziehen konnte. Der Bedarf<br />
an Fischen ging zurück, die Preise verfielen. Der<br />
zweite Grund ist in der Entwicklung der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
zu suchen. Im 18. Jahrhundert zogen die Getreidepreise<br />
an, so dass es opportun wurde, die<br />
Ackerbauflächen auszudehnen auf Kosten anderer<br />
Nutzungen. Gleichzeitig setzte mit dem Geist der<br />
Aufklärung ein Innovationsschub ein, der hinführte<br />
zum Anbau der Brache („verbesserte Freifelderwirtschaft“),<br />
zum Futterbau, zu verbesserter Düngung,<br />
letztlich zu höheren Steuereinnahmen. Dabei nahm<br />
Oberschwaben eine besondere Stellung ein, denn<br />
schon vor 1750 hatte ein intensiver Getreidehandel<br />
mit der Nordostschweiz begonnen, der die Flächenproduktion<br />
zunehmend bestimmte (FLAD 1982). Man<br />
legte Moore und auch Weiher trocken, um sie mit<br />
Gras oder Getreide einzusäen.<br />
Hinzu kam in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts<br />
die sogenannte Vereinödung, eine auf freiwilliger<br />
Basis beruhende Grundstückszusammenlegung<br />
mit Ausbau <strong>–</strong> heute würde man sagen eine Flurbereinigung<br />
mit Aussiedlung <strong>–</strong>, die die Zwänge der<br />
Dreifelderwirtschaft beseitigte und produktiveres<br />
und selbstständigeres, innovatives Wirtschaften ermöglichte<br />
(DORN 1904, NOWOTNY 1984). In die Umlegungsmasse<br />
wurden auch Weiher einbezogen, die<br />
damit aus der Landschaft eliminiert wurden.<br />
Von großer Tragweite war auch die politische<br />
Neuordnung des Südwestens durch die Säkularisierung<br />
und die Mediatisierung. An die Stelle der eher<br />
traditionsverbundenen Klosterverwaltungen und<br />
der Organe der selbstbewussten reichsfreien Stadtstaaten<br />
traten nüchterne Beamte auswärtiger Fürstenhäuser.<br />
Die vorderösterreichischen Länder der<br />
glanzvollen habsburgischen Dynastie wurden zerschlagen.<br />
Die neuen Herren hatten es eilig, aus ihren<br />
Besitztümern möglichst viel Kapital zu schlagen.<br />
Ein Resultat dieser Zeit des Umbruchs und des<br />
Aufbruchs war unter anderem die Trockenlegung<br />
zahlreicher, überwiegend großer Weiher. Die Wertschätzung<br />
des Fisches war auf dem Tiefpunkt angekommen.<br />
Folgerichtig war deshalb die Aussage<br />
des Kameralamtsleiters von Weingarten: „Viele<br />
stehende Gewässer zeugen von der minderen Kultur<br />
des Landes; wo der Mensch wohnt, da muss<br />
Fisch und Wasser weichen“. Innerhalb von ein,<br />
zwei Jahren legte man beispielsweise von den ehemals<br />
445 ha klösterlich-weingartischen Weiher<br />
270 ha trocken und verpachtete sie an Bauern. In<br />
anderen Herrschaftsgebieten sah es nicht anders<br />
aus. Man könnte sagen, dass Oberschwaben damals<br />
innerhalb kürzester Zeit entwässert wurde,<br />
weil jede andere Nutzung mehr Geld einbrachte als<br />
die Fischerei.<br />
Folgenutzungen; die Weiher werden<br />
überflüssig<br />
Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war Oberschwaben<br />
eine fast reine Ackerbaulandschaft. Der Kornhandel<br />
mit der Nordostschweiz florierte nach wie
Werner Konold: Geschichte und Kultur der oberschwäbischen Weiher<br />
Abb. 6: Oberer Eintürner Weiher, Gemeinde Wolfegg<br />
Foto: W. Konold<br />
vor. Doch allmählich vollzog sich<br />
eine Umstellung in Richtung<br />
Grünland-, Milch- und Käsereiwirtschaft,<br />
wobei der Futterbau<br />
zunächst noch nicht auf Kosten<br />
der Äcker ging, sondern man erschloss<br />
sich die Anbauflächen<br />
durch Weihertrockenlegungen<br />
und Moorkultivierung (FLAD<br />
1953). Einen gewaltigen Aufschwung<br />
erfuhr der neue Produktionszweig<br />
1850 durch die Fertigstellung<br />
der Eisenbahnlinie Ulm<strong>–</strong><br />
Friedrichshafen, die neue Absatzmärkte<br />
für Käse erschloss. Auf<br />
der anderen Seite nutzten die<br />
Konkurrenten die neue Infrastruktur<br />
der Eisenbahn. 1860 kam<br />
die erste Weizenlieferung von<br />
Ungarn in die Schweiz. Die Getreidepreise verfielen,<br />
und Oberschwaben verlor nach und nach seinen<br />
traditionellen Absatzmarkt. Die Umstellung<br />
auf die Grünlandwirtschaft beschleunigte sich (FLAD<br />
1982).<br />
Wachsende Viehbestände einerseits und weniger<br />
Ackerflächen andererseits führten zu einem schwerwiegenden<br />
Mangel an Streu, also an Einstreumaterial<br />
für den Stall. Man versuchte dies zunächst mit<br />
der Gewinnung von Waldstreu zu kompensieren,<br />
wogegen sich aber von Beginn an die Forstleute<br />
sträubten, denn man war in dieser Zeit auch bestrebt,<br />
den Waldbau auf eine ordentliche und nachhaltige<br />
Produktionsgrundlage zu stellen. Deshalb<br />
traten immer stärker die ehemaligen Weiher als<br />
Streugewinnungsflächen in den Vordergrund. Noch<br />
bestehende Weiher ließ man bewusst verlanden.<br />
Der Hohenheimer Wiesenbaumeister Häfener<br />
schrieb 1847: „In einigen Gegenden von Oberschwaben<br />
[…] lässt man, um recht viel Streu zu gewinnen,<br />
oft die besten Wiesen absichtlich versumpfen,<br />
und nicht selten werden solche um viel höhere<br />
Preise als die besten Futterwiesen bezahlt“ (HÄFENER<br />
1847, S. 4).<br />
Wie wir eingangs gesehen haben, wurden im<br />
Mittelalter viele Weiher in Mooren angelegt. Man<br />
überflutete bzw. konservierte sozusagen die Torflagerstätten.<br />
Dies war ökonomisch richtig, denn Fischereiwirtschaft<br />
brachte viel ein und Torfstechen<br />
nichts, solange noch halbwegs genügend Brennholz<br />
vorhanden war. Erst im 18. Jahrhundert, als akuter<br />
Holzmangel drohte (steigende Bevölkerungszahl,<br />
höherer gewerblicher Bedarf, übernutzte Wälder),<br />
ging man daran, die Torflagerstätten systematisch<br />
zu erfassen und auszubeuten (dazu LIEBEL 1911). Da<br />
es vielfach Probleme mit der Entwässerung gab, verlief<br />
der Prozess der Moorkultivierung sehr schleppend<br />
<strong>–</strong> glücklicherweise, müssen wir heute sagen <strong>–</strong><br />
und zog sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Die<br />
ehemaligen Weiher wurden ganz in die Planungen<br />
85
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
einbezogen. Alleine für den Oberamtsbezirk Wangen<br />
wurden 1000 Morgen (etwa 330 ha) Weiherflächen<br />
ermittelt, in denen sich der Torfabbau lohnen<br />
würde (FRAAS 1860). Da der Rohstoff Torf zunehmen<br />
für gewerbliche Zwecke verwendet wurde<br />
(Torfkohle, Torföl, Ruß, Isoliermaterial), wird auch<br />
hier deutlich, wie eng die Weihergeschichte und die<br />
Wirtschaftsgeschichte zusammenhängen.<br />
Auch wenn die Weiherwirtschaft gegen Ende des<br />
19. Jahrhunderts wieder zu einem gewissen Ansehen<br />
kam und einige Weiher neu gebaut oder wiederhergestellt<br />
wurden, so ist doch zu sehen, dass<br />
sich an der generellen Entwicklungslinie nichts änderte.<br />
Die Mühlweiher verloren ihre Funktion mit<br />
dem Ausbau der Elektrizitätswirtschaft, die auf der<br />
Verstromung fossiler Brennstoffe basierte. Die Fortschritte<br />
in der Wasserversorgung machen die Hof-,<br />
Dorf- und Feuerlöschweiher überflüssig. Die Wässerungsweiher<br />
wurden überflüssig, weil an die Stelle<br />
der düngenden Bewässerung zunehmen der Einsatz<br />
von Gülle und mineralischem Dünger trat, die Röstgruben,<br />
weil der Flachsanbau zurückging, die Eisweiher<br />
wurden überflüssig, weil statt des Eises Kältemaschinen<br />
in den Brauereikellern eingesetzt wurden,<br />
die Deichelweiher, weil man die Holzrohre<br />
durch Eisenrohe ersetzte, und die Floßweiher<br />
schließlich wurden überflüssig, weil man das Holz<br />
billiger und schneller mit der Eisenbahn transportieren<br />
konnte.<br />
Weihergeschichte ist Landschaftsgeschichte,<br />
Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Unsere Vorfahren<br />
haben gewirtschaftet, manipuliert, ökonomischen<br />
und gesellschaftlichen Zwängen nachgegeben oder<br />
solche Zwänge ausgeübt und damit eine <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
geschaffen. Überformt wurden Böden, Flora,<br />
Fauna, das Mikroklima, der Wasserhaushalt, das gesamte<br />
Bild.<br />
Diese „Evolution“ der oberschwäbischen Landschaft,<br />
deren Identität und Unverwechselbarkeit<br />
sehr eng mit den Feuchtgebieten verknüpft ist, ist<br />
auch die Geschichte der Menschen, die in ihr leben<br />
und die sie erleben. Die gewachsene <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
als solche zu erkennen, ist deshalb auch ein<br />
Akt der Selbsterkenntnis.<br />
Literatur und Quellen<br />
BARCZYK, M. (1981): Essen und Trinken im Barock. <strong>–</strong> Sigmaringen.<br />
BAUMANN, F.L. (1877): Akten zur Geschichte des deutschen<br />
Bauernkrieges in Oberschwaben. <strong>–</strong> Freiburg.<br />
BROCKMANN-JEROSCH, H. (1917): Die ältesten Nutz- und Kulturpflanzen.<br />
Vierteljahresschrift der Naturforschenden Gesellschaft<br />
Zürich 62: 80<strong>–</strong>102.<br />
DORN, H. (1904): Die Vereinödung in Oberschwaben. <strong>–</strong><br />
Kempten und München.<br />
DUBY, G. (1984): Krieger und Bauern. <strong>–</strong> Frankfurt.<br />
ERNST, V. (1916): Die Entstehung des niederen Adels. <strong>–</strong> Berlin,<br />
Stuttgart, Leipzig.<br />
FLAD, M. (1953): Die agrarwirtschaftliche Entwicklung des<br />
württembergischen Allgäus seit 1840. <strong>–</strong> Diss. Universität<br />
Hohenheim.<br />
FLAD, M. (1982): Der Kornhandel Oberschwabens in früherer<br />
Zeit. <strong>–</strong> Ostfildern.<br />
FRAAS, O. (1860): Die nutzbaren Minerale Württembergs.<br />
<strong>–</strong> Stuttgart.<br />
FRANZ, G., Hg. (1980): Der deutsche Bauernkrieg, Aktenband,<br />
5. Aufl. <strong>–</strong> Darmstadt.<br />
HÄFENER, F. (1847): Der Wiesenbau in seinem ganzen Umfange.<br />
<strong>–</strong> Reutlingen und Leipzig.<br />
HEIMPEL, C. (1966): Die Entwicklung der Einnahmen und<br />
Ausgaben des Heiliggeist-Spitals Biberach an der Riß von<br />
1500 bis 1630. Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte<br />
15. <strong>–</strong> Stuttgart.<br />
HEIMPEL, H. (1964): Fischerei und Bauernkrieg. Festschrift f.<br />
Percy Ernst Schramm: 353<strong>–</strong>372. <strong>–</strong> Wiesbaden.<br />
HELD, W. (1970): Die ehemaligen Fischweiher und Seen der<br />
Benediktinerabtei Weingarten. Unveröff. Zulassungsarbeit,<br />
PH Weingarten. <strong>–</strong> Weingarten.<br />
86
Werner Konold: Geschichte und Kultur der oberschwäbischen Weiher<br />
HOFMANN, J. (1935): Die Geschichte der Teichwirtschaft im<br />
Aischgrunde. Archiv für Fischereigeschichte 19. <strong>–</strong> Berlin.<br />
KOEHNE, C. (1907): Mühlenbau und Burgenbau. Zeitschr. d.<br />
Savigny Stiftung f. Rechtsgeschichte, Germ. Abt., 28: 63<strong>–</strong><br />
68.<br />
LIEBEL, F. (1911): Die württembergische Torfwirtschaft. Diss.<br />
München. <strong>–</strong> Stuttgart.<br />
MAURER, H.-M. (1973): Die Ausbildung der Territorialgewalt<br />
oberschwäbischer Klöster vom 14. bis zum 17. Jahrhundert.<br />
Blätter für deutsche Landesgeschichte 109: 151<strong>–</strong>195.<br />
SCHÄFER, A. (1966): Weißenburger Fiskalzehnt und fränkisches<br />
Königsgut im Heistergau und Rammagau in Oberschwaben.<br />
Zeitschr. f. württ. Landesgeschichte 25: 13<strong>–</strong>24.<br />
SCHERER, P. (1969): Reichsstift und Gotteshaus Weingarten<br />
im 18. Jahrhundert. Veröff. d. Kommission f. geschichtliche<br />
Landeskunde Bad.-Württ., Reihe B, 57. <strong>–</strong> Stuttgart.<br />
SCHRÖDER-LEMBKE, G., Hg. (1965): Martin Grosser, Anleitung<br />
zu der <strong>Landwirtschaft</strong>. Abraham von Thumbshirn, Oeconomia.<br />
Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 12:<br />
63<strong>–</strong>109.<br />
SURBECK, G. (1902): Die Verwendung unserer einheimischen<br />
Fische in der Arzneikunst des 16.<strong>–</strong>18. Jahrhunderts.<br />
Zeitschr. f. Fischerei und deren Hilfswissenschaften 1902:<br />
124<strong>–</strong>129.<br />
Reg. Kl. Isny = Urkundenregest des Klosters Isny aus der<br />
Regestenkartei Dr. Eisele, Kreisarchiv Ravensburg<br />
HStA Stgt = Hauptstaatsarchiv Stuttgart<br />
StA Sig = Staatsarchiv Sigmaringen<br />
StA Bad Wurzach = Stadtarchiv Bad Wurzach<br />
WUB = Wirtembergisches Urkundenbuch<br />
1 Ausführlich dazu: KONOLD, W., 1987: Oberschwäbische<br />
Weiher und Seen. Geschichte, Kultur, Vege tation, Limnologie,<br />
Naturschutz. Beih. Veröff. Naturschutz Landschaftspflege<br />
Bad.-Württ. 52 (2 Teile): 634 S. <strong>–</strong> Karlsruhe. •<br />
87
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Weiherwirtschaft und Fischzucht<br />
in oberschwäbischen Weihern<br />
Anton Jung<br />
88<br />
Zur Begriffsbestimmung: Weiher<br />
sind in Oberschwaben alle ablassbaren<br />
Gewässer, gleich welcher Größe.<br />
Alles was nicht ablassbar ist, sind Seen.<br />
Vom kleinsten Toteisloch, über den<br />
Baggersee, bis zum Federsee. Außerhalb<br />
der Grenzen von Oberschwaben<br />
sind zum Beispiel Weiher kleine Seen.<br />
In Bayern wiederum werden bewirtschaftete<br />
ablassbare Gewässer als Teiche<br />
bezeichnet. Dort wird auch heute<br />
noch, im Gegensatz zu Baden-Württemberg, die<br />
Fischzucht wesentlich mehr vom Staat gefördert.<br />
Unter anderem durch die Bezuschussung beim Anlegen<br />
von Teichen, durch das Kulap-Programm, welches<br />
die extensive Teichwirtschaft mit 200,- Euro<br />
Abb. 1: Der Stockweiher bei Wolfegg<br />
pro Hektar fördert, durch die Ausbildungsbeihilfe<br />
für Fischwirt-Azubis und<br />
vieles mehr.<br />
Ich möchte den Wandel in der Teichwirtschaft<br />
in den letzten 50 Jahren am<br />
Beispiel der ehemaligen fürstlichen<br />
Teichwirtschaft erläutern. Noch bis Mitte<br />
des 19. Jahrhunderts wurden von<br />
der fürstlichen Herrschaft Wolfegg<br />
rund 450 ha Teichfläche bewirtschaftet.<br />
Die größten Weiher besaßen eine<br />
Fläche von etwa 90 ha. Diese Weiher wurden zum<br />
größten Teil im 14. und 15. Jahrhundert in Senken<br />
und ehemaligen Moorflächen, durch Frondienste,<br />
angelegt. In diesen wurde dann das Wasser durch<br />
angelegte Dämme gestaut. Die Großweiher wurden<br />
in der Regel nur alle paar Jahre abgelassen.<br />
Die kleinen Weiher, so<br />
genannte Jungweiher, wurden jedes<br />
Jahr einmal abgelassen.<br />
Diese Weiher waren nährstoffarm.<br />
Deshalb war der Fischzuwachs<br />
in dieser Zeit im Vergleich<br />
zumheutigen noch sehr gering.<br />
Pro Hektar konnten damals circa<br />
20<strong>–</strong>50 kg Karpfenfleisch erzielt<br />
werden. Heute sind es in flachen<br />
Weihern, die von Wiesen umgeben<br />
sind, 250<strong>–</strong>300 kg. Mit Getreidezufütterung<br />
kann um die 1.000<br />
kg/ha und mehr erzielt werden.<br />
Mit Mischfutterzugaben lassen<br />
Foto: D. Gotzmann sich noch höhere Erträge erzielen.
Anton Jung: Weiherwirtschaft und Fischzucht in oberschwäbischen Weihern<br />
Abb. 2: Der Rohrsee bei Bad Wurzach<br />
Durch diese Bewirtschaftung kommt es jedoch zu<br />
einem erheblichen Nährstoffeintrag in die Weiher.<br />
Interessant ist, dass bei noch verträglicher Getreidezufütterung<br />
die Nährstoffwerte im Auslauf geringer<br />
sind als im Zulauf. Dies zeigt, dass bei sachgemäßer<br />
Bewirtschaftung, das heißt Besatz mit Kleinfischen<br />
und herbstlicher Entnahme<br />
der Gesamtmenge, ein erheblicher<br />
Beitrag zur Erhaltung der Gewässer<br />
geleistet wird.<br />
In diesen Weihern wurden<br />
hauptsächlich Karpfen gehalten,<br />
die damals noch nicht so tellergerecht<br />
hochrückig, sondern eher<br />
lang und mehr beschuppt waren.<br />
Nebenfische waren Schleie, Barsch<br />
und Hecht. Eine nicht unerhebliche<br />
Menge an Fischen wurde vom<br />
damaligen fürstlichen Hoffischer<br />
aus den Bächen, allen voran die<br />
Wolfegger Aach, entnommen. Die<br />
Aach war damals von Kißlegg bis<br />
Rötenbach, aufgrund der vielen<br />
Mäander, sehr langsam fließend.<br />
Das Wasser war in den Sommermonaten<br />
sehr warm und trotzdem<br />
sauerstoffreich. Das warme Oberflächenwasser<br />
der Seen war Ursache<br />
dieses Phänomens. Dies war<br />
für den Deutschen Edelkrebs das<br />
ideale Umfeld. Die Aach war für<br />
diese Delikatesse bereits damals<br />
weit bekannt. So konnten die sehr<br />
großen Edelkrebse aus der Wolfegger<br />
Aach sogar 1958 bei der<br />
Brüsseler Weltausstellung bestaunt<br />
werden. Bachforellen gab<br />
Foto: D. Gotzmann es erst ab Wolfegg bis zur Einmündung<br />
in die Wolfegger Aach bei<br />
Baienfurt. Die Aach hatte ab Wolfegg<br />
mehr Gefälle und war deshalb schnellfließender.<br />
Einige Quellbäche sorgten für eine Temperaturabnahme.<br />
Bachforellen wurden jeden Donnerstagabend der<br />
fürstlichen Hofküche für die Herrschaft und deren<br />
Abb. 3: Der Fünfeckweiher im Pfrunger-Burgweiler Ried<br />
Foto: D. Kölzer<br />
89
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Gäste geliefert. Das gemeine Volk durfte, wenn<br />
überhaupt, nur minderwertigen Fisch, wie die Karausche,<br />
auch Bauernkarpfen genannt, essen. Es<br />
wurde aber versucht, dem Großteil der Bevölkerung<br />
Fisch und auch Wild vorzuenthalten, damit diese<br />
nicht auf den Geschmack kommen konnte und anfangen<br />
würde zu wildern.<br />
Die in den Weihern abgefischten Fische wurden<br />
zum großen Teil kurz vor Weihnachten, in so genannten<br />
Schüttelfässern, mit der Bahn nach München<br />
versandt. Da es zu dieser Zeit noch keine<br />
Sauerstoffflaschen gab, mussten immer einige<br />
Arbeiter mitfahren, um das Wasser in den Behältern,<br />
zwecks Sauerstoffzufuhr, ständig in Bewegung zu<br />
halten. Noch in den 50er Jahren dieses Jahrhunderts<br />
wurden Forellen nur an das fürstliche Haus und höher<br />
gestellte Beamte geliefert. Karpfen und Schleien<br />
konnten in der Zeit von Herbst bis Frühjahr jedermann<br />
erwerben. Ich kann mich noch gut daran erinnern,<br />
dass es keine Freude war, Karpfen zu essen.<br />
Man kannte nur das einfache Braten des ganzen Fisches,<br />
ausschließlich mit Salz und Pfeffer gewürzt.<br />
Erst ab der Zeit, als das Mischfutter in Pelletform<br />
auf dem Markt war, konnte jeder Forellen erwerben.<br />
Ein nicht ausgenommenes Kilogramm Forelle kostete<br />
Anfang der 60er Jahre 4,<strong>–</strong> DM, das Kilogramm<br />
Karpfen 2,<strong>–</strong> DM. Heute gehen ausgenommene Forellen<br />
für 8,50 Euro und Karpfen für 5,<strong>–</strong> bis 6,<strong>–</strong> Euro<br />
über die Ladentheke.<br />
Forelle, Karpfen und andere einheimische Fischarten<br />
werden heute veredelt angeboten. Sei es als<br />
Filet, heiß oder kalt geräuchert, in Maultaschen oder<br />
als Fischsalat. Der einheimische Fisch lässt sich sehr<br />
gut auf Wochenmärkten absetzen.<br />
Abb. 4: Der Fünfeckweiher im Pfrunger-Burgweiler Ried<br />
Foto: D. Gotzmann<br />
Ein Großteil der Fische aus unseren extensiv genutzten<br />
Weihern wird jedoch als Besatzfische für<br />
Angelteiche verkauft. Der Nachfrage nach Besatzfischen<br />
kann oftmals nicht ausreichend nachgekommen<br />
werden. Derzeitiger Modefisch ist der<br />
Zander.<br />
•<br />
90
Albrecht Trautmann, Anton Jung: Sanierung und Bewirtschaftung von Weihern in Oberschwaben<br />
Sanierung und Bewirtschaftung<br />
von Weihern in Oberschwaben<br />
Albrecht Trautmann, Anton Jung<br />
In der Landschaft nördlich des Bodensees<br />
(Landkreise Biberach, Ravensburg,<br />
Sigmaringen) gibt es fast 2.300<br />
stehende Wasserflächen. Diese Stillgewässer<br />
(natürlich entstandene Seen und<br />
künstlich geschaffene Weiher) wurden<br />
vor allem ab den 1950er Jahren in hohem<br />
Maße mit Stoffeinträgen (insbesondere<br />
Pflanzennährstoffen) belastet,<br />
was zu erheblichen Eutrophierungserscheinungen<br />
und rasanter Verlandung<br />
führte.<br />
Seit 1989 führt das „Aktionsprogramm<br />
zur Sanierung oberschwäbischer<br />
Seen“ (SOS) an fast 100 Seen und<br />
Weihern Oberschwabens Untersuchungen<br />
durch, entwickelt angepasste Sanierungskonzepte<br />
und setzt diese mit<br />
den jeweils Beteiligten um. Wichtigster<br />
Grundsatz des SOS ist, durch Beseitigung<br />
von Nährstoffquellen die eigentlichen<br />
Ursachen der Eutrophierung und<br />
Verlandung zu beheben (Abwasserentsorgung,<br />
landwirtschaftliche Beratung, Extensivierung kritischer<br />
landwirtschaftlicher Flächen, Renaturierung<br />
der Zuflüsse, Pflege der Verlandungsbereiche).<br />
Auch die fischereiliche Bewirtschaftung der Gewässer<br />
kann einen wichtigen Beitrag zur Sanierung<br />
leisten, da sich bei hohen Nährstoffeinträgen häufig<br />
die Fischbestände ungünstig entwickeln. Nicht angepasste<br />
Fischbestände wirken aber stark auf das<br />
Nahrungsnetz eines Gewässers ein, so dass sich Algen<br />
massenhaft vermehren können und andere Gewässernutzungen<br />
beeinträchtigt werden.<br />
Die zahlreichen ablassbaren Weiher<br />
Oberschwabens werden heutzutage<br />
überwiegend angelfischereilich genutzt.<br />
Die früher übliche teichwirtschaftliche<br />
Nutzung mit kurzen Ablassintervallen<br />
ist dadurch in den Hintergrund<br />
getreten. Oft haben sich dadurch<br />
Fischarten wie Brachsen,<br />
Rotauge oder Rotfedern massenhaft<br />
entwickelt und einen beträchtlichen<br />
Anteil der Fischbiomasse eingenommen,<br />
so dass auch die von Anglern angestrebten<br />
Fischarten zurückgegangen<br />
sind. Dies zeigen die Abfischergebnisse<br />
an Vergleichsgewässern in unterschiedlich<br />
langen Ablassintervallen.<br />
Mit der Beratung des Seenprogrammes<br />
konnte an vielen Weihern erreicht<br />
werden, dass diese wieder regelmäßig<br />
Abb. 1: Weiße Seerose (Nymphaea alba) Foto: A. Trautmann<br />
91
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
abgelassen und in einer Mischung von teich- und<br />
angelfischereilicher Nutzung bewirtschaftet werden.<br />
Die Weiher sollten in Abständen von 3 bis 6 Jahren<br />
abgefischt und möglichst anschließend gewintert<br />
(über Winter leer gelassen) werden. Sofern möglich,<br />
kann eine sich anschließende Sömmerung die Mineralisierung<br />
des Weiherschlammes noch stärker forcieren.<br />
Bei fast jedem gesömmerten Weiher konnte<br />
darüber hinaus auch eine artenreiche und mit sehr<br />
seltenen Pflanzen durchsetzte Teichbodenvegetation<br />
kartiert werden.<br />
Bei vielen Seen und Weihern haben die im Rahmen<br />
des Seenprogrammes umgesetzten Maßnahmen<br />
teils erhebliche Verbesserungen der Trophie ermöglicht.<br />
Mit einer an ökologische und fischerei liche<br />
Belange angepassten Weiherbewirtschaftung kann<br />
dazu ebenfalls ein Beitrag geleistet werden. •<br />
Abb. 3: Abfischen des Alten Weihers Altshausen<br />
Foto: A. Trautmann<br />
Abb. 4: Aalfang im Lindenweiher<br />
Foto: A. Trautmann<br />
92<br />
Abb. 2: Renaturisierter Bachabschnitt (Rohrbach)<br />
Foto: A. Trautmann<br />
Abb. 5: Der Ellerachofer Weiher Leutkirch Foto: F. Hofmann
Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische<br />
Zeitreise durch Europa<br />
Gerhard Ermischer<br />
Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />
Persönliche Vorbemerkung<br />
Für die Tagung „<strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong>“<br />
sollte ich einen Vortrag halten,<br />
um Erfahrungen aus verschiedenen<br />
europäischen Projekten zur <strong>Kulturlandschaft</strong><br />
zu dem Thema „<strong>Regionale</strong><br />
<strong>Esskultur</strong>“ zusammenzufassen.<br />
Bei den zahlreichen Besuchen bei<br />
europäischen Partnerprojekten war<br />
die regionale Küche immer wieder auf<br />
den Tisch gekommen <strong>–</strong> nicht nur als<br />
kulinarische Besonderheiten, die den Kollegen<br />
vorgestellt werden sollten, sondern auch mit<br />
ihrem historischen und kulturellen Hintergrund:<br />
warum hat sich eine bestimmte Speise gerade hier<br />
entwickelt, welche Geschichten stecken dahinter,<br />
wie kamen die einzelnen Zutaten ursprünglich in<br />
diese Gegend, oder waren sie hier immer schon<br />
heimisch Was haben lokale Spezialitäten mit den<br />
historisch gewachsenen Strukturen der Landschaft,<br />
der <strong>Landwirtschaft</strong>, der Wirtschaft und des<br />
Handels zu tun, mit örtlichen Verkehrswegen,<br />
Handelsbeziehungen oder mit den Strömen von<br />
Aus- und Einwanderung Gleichzeitig hat es mich<br />
schon lange gereizt, bei einer Tagung des BHU<br />
auch einmal einen Asterix-Vortrag zu halten und<br />
auf amüsante Weise historische Zusammenhänge<br />
darzustellen. Dieses Thema schien wie geschaffen<br />
für eine solche Kombination zu sein <strong>–</strong> und so entstand<br />
ein Vortrag zu regionaler <strong>Esskultur</strong>, in dem<br />
Asterix (oder doch eher Obelix) als Reiseführer<br />
fungierte.<br />
Warum gerade Asterix<br />
Asterix eignet sich wie kaum ein anderer<br />
Comic als Reiseführer durch die Geschichte<br />
<strong>–</strong> und ganz besonders die kulinarische.<br />
Das Besondere an den Asterix-Geschichten<br />
ist ihre Verknüpfung<br />
verschiedener Zeitebenen. Die Geschichten<br />
spielen im Gallien zur Zeit<br />
unmittelbar nach der Eroberung durch<br />
Caesar <strong>–</strong> allerdings ist dies kein konkreter<br />
Zeitpunkt, schließlich spielen über<br />
30 Hefte in einem in der historischen Realität äußerst<br />
kurzen Zeitraum zwischen dem Abschluss der<br />
Eroberung Galliens (52 v.Chr.) und der Ermordung<br />
Caesars (44 v.Chr.). Die Hefte sind zwar reich an<br />
archäologischen und historischen Details, die oft<br />
von exzellenter Qualität sind, aber diese sind auch<br />
nicht archäologisch korrekt auf die Zeit um 50 vor<br />
Christus konzentriert, sondern bedienen sich der<br />
Funde und Darstellung von Kelten und Römern aus<br />
einem langen Zeitraum. So ist die Darstellung Roms<br />
am gut rekonstruierten Modell des Roms des 3. Jahrhunderts<br />
nach Christus orientiert, nicht am Rom zur<br />
Zeit Caesars. Trotzdem ist der Reichtum an Informationen<br />
zu Kelten und Römern erstaunlich, auch<br />
wenn sie eben nicht auf einen konkreten, genau definierten<br />
Zeitpunkt fokussiert sind.<br />
Daneben reflektieren die Asterix-Hefte die Zeit<br />
der Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg und<br />
spiegeln die aktuellen zeitgeschichtlichen Entwicklungen<br />
in der Entstehungszeit der Hefte wider. Das<br />
erste Abenteuer erschien 1959, die meisten Hefte<br />
entstanden in den 60er und 70er Jahren. Dabei kari-<br />
93
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Abb. 1: In „Asterix und die Olympischen Spiele“ erklärt der Druide Miraculix seinem Freund Obelix die Bedeutung einer<br />
wohlausgewogenen Diät…<br />
94<br />
kieren sie auf amüsante Weise die Vorurteile der<br />
(französischen) Leser über ihre Nachbarn. Das Kulinarische<br />
bietet dabei ein besonders weites Feld der<br />
Charakterisierung der europäischen Nationen. Auch<br />
hier sind einige hübsche Anspielungen auf die römische<br />
Küche der Antike enthalten, weitgehend aber<br />
spielen die kulinarischen Zitate auf die Gegenwart<br />
an und sind somit ein Reiseführer in die regionalen<br />
Besonderheiten der von Asterix und Obelix bereisten<br />
Länder <strong>–</strong> bzw. die Vorurteile und Klischees darüber.<br />
Fiktion und Realität bei Asterix<br />
Wer die Asterix-Hefte gelesen hat, der weiß, was<br />
Gallier dereinst so zu essen pflegten. Insbesondere<br />
der starke Esser Obelix, der, wie er stets betont, keineswegs<br />
dick ist, sondern nur etwas untersetzt, ernährt<br />
sich von einer ausgewogenen Diät, die ausschließlich<br />
aus Wildschwein besteht. Selbiges verzehrt<br />
Obelix im Ganzen als gebratenes Wildschwein<br />
direkt vom Spieß und gerne in wahrer Fließbandarbeit<br />
in großer Stückzahl. Dieses Bild hat sich bei<br />
den zahllosen Lesern der Hefte derart eingeprägt,<br />
dass es bei vielen Menschen heute zur historischen<br />
Wahrheit gehört, dass sich die Gallier hauptsächlich<br />
von Wildschweinen ernährten. Hält diese Meinung<br />
jedoch einer näheren Betrachtung stand<br />
Im Falle der Ernährungsgewohnheiten von Obelix<br />
und seiner Freunde in dem bekannten gallischen<br />
Dorf an der bretonischen Küste muss man leider sagen<br />
<strong>–</strong> nein! Die Gallier zur Zeit Caesars waren eine<br />
hoch entwickelte Kultur, zwischen den Hochkulturen<br />
Griechenlands und Italiens auf dem Weg zu<br />
einer eigenen Hochkultur. Es war eine agrarisch geprägte<br />
Gesellschaft, die Ernährungsgrundlage wurde<br />
also durch die <strong>Landwirtschaft</strong> geliefert. Getreide<br />
und Hülsenfrüchte waren Hauptnahrungsmittel,<br />
wobei das Getreide nicht nur zu Brei und Brot verarbeitet<br />
wurde, sondern ganz wesentlich auch zu<br />
Cervisia, also Bier. Daneben spielte auch Fleisch eine<br />
wichtige Rolle in der Ernährung, doch war dies vorwiegend<br />
das Fleisch von Haustieren <strong>–</strong> darunter auch<br />
dem Schwein. Auch wenn Hausschweine bis in das<br />
19. Jahrhundert hinein weitgehend behaart, hochbeinig<br />
und mit einer relativ langen Schnauze ausgestattet<br />
waren und damit den Wildschweinen weit<br />
näher standen als moderne Zuchtschweine, lassen<br />
sie sich doch genau von ihren wildlebenden Verwandten<br />
unterscheiden <strong>–</strong> und das auch an den Knochenresten,<br />
die man in Siedlungen noch heute, über<br />
2.000 Jahre später, nachweisen kann. Tatsächlich<br />
war die keltische Gesellschaft auch eine stark hierarchisch<br />
gegliederte Gesellschaft, mit einer standesbe-
Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />
wussten Oberschicht kriegerischer Adliger. Und wie<br />
in vielen anderen Kulturen war anscheinend auch<br />
bei den Kelten die Jagd ein Herrenprivileg. Jedenfalls<br />
finden sich in bäuerlichen Siedlungen nur wenige<br />
Knochen von Wildtieren, während auf den Adelssitzen<br />
offenbar weit mehr jagdbares Wild verzehrt<br />
wurde. Somit wäre also der Handwerker Obelix in<br />
der historischen Realität kaum je in den Genuss von<br />
Wildschwein gekommen, eher schon sein kriegerischer<br />
Freund Asterix.<br />
Aber auch die Zubereitungsart des Fleisches entspricht<br />
nicht dem historischen Gebrauch. Heute<br />
stellen in unserer Überflussgesellschaft Grillen und<br />
Braten die üblichen Arten der Zubereitung von<br />
Fleisch dar. Dies liegt daran, dass in den hochentwickelten<br />
Industriestaaten Tiere speziell für ihr Fleisch<br />
gezüchtet und jung geschlachtet werden. Daneben<br />
werden bei uns heute nur noch die besten Teile des<br />
Tieres direkt verarbeitet. Innereien, Teile mit wenig<br />
Muskelfleisch und bestimmte Partien mit eher fettem<br />
Fleisch werden entweder verwurstet <strong>–</strong> oder billig<br />
in Entwicklungsländer exportiert, wo sie den lokalen<br />
Fleischmarkt verderben. Doch noch bis weit in<br />
das 20. Jahrhundert hinein war das auch bei uns<br />
anders, wurde alles Fleisch verarbeitet und auch das<br />
von Tieren, die nicht speziell für die Fleischproduktion<br />
gezüchtet und in hohem Alter geschlachtet<br />
wurden. Bis in das 19. Jahrhundert hinein war eine<br />
solche Spezialisierung ohnehin kaum üblich. Tiere<br />
wurden wegen ihrer vielen verschiedenen Eigenschaften<br />
gehalten: Kühe und Ochsen wurden als<br />
Zugtiere gebraucht, Kühe, Schafe und Ziegen für<br />
ihre Milch, Schafe auch für ihre Wolle, Hühner für<br />
ihre Eier <strong>–</strong> und das Fleisch stammte damit meist von<br />
alten Tieren, die für die anderen Nutzungen nicht<br />
mehr taugten. Nur sehr reiche Menschen konnten<br />
sich das leckere Fleisch von Jungtieren leisten <strong>–</strong> und<br />
lange Zeit war jagdbares Wild ohnehin dem Adel<br />
vorbehalten. Es war also ein Zeichen der gehobenen<br />
Küche, dass sie qualitativ hochwertiges Fleisch<br />
durch Braten und Grillen zubereitete, während die<br />
Masse der Menschen, wenn sie Fleisch zu essen bekamen,<br />
dieses langsam garen mussten, um es genießbar<br />
zu machen. Die bäuerliche <strong>–</strong> und weitgehend<br />
auch die bürgerliche <strong>–</strong> Küche war also eine<br />
Küche der gekochten, gedünsteten und gesottenen<br />
Fleischspeisen.<br />
Hier bietet es sich für mich als Österreicher an,<br />
einen Exkurs zu zwei Gerichten einzufügen, die als<br />
typisch österreichisch und somit als Prototypen regionaler<br />
Küche gelten: das Wiener Schnitzel und der<br />
Tafelspitz. Wenden wir uns zuerst dem Wiener<br />
Schnitzel zu, das vor allem als Schnitzel Wiener Art<br />
auch in ganz Deutschland weite Verbreitung gefunden<br />
hat und sich großer Beliebtheit erfreut.<br />
Das Wiener Schnitzel ist eigentlich ein Mailänder<br />
Schnitzel. Damit ist es durchaus typisch für viele regionale<br />
Spezialitäten: es hat eine bewegte Geschichte,<br />
im wahrsten Sinne des Wortes. In beiden Namen<br />
steckt ein konkreter Ortsbezug: Mailand bzw. Wien.<br />
Das Wiener Schnitzel ist also eine spezifisch wienerische<br />
Spezialität, auch wenn sie in der Außenwahrnehmung<br />
für ganz Österreich steht. Dabei unterscheiden<br />
sich die kulinarischen Regionen in Österreich<br />
sehr stark <strong>–</strong> auch das ist typisch für sehr bekannte<br />
regionale Spezialitäten, die gerne für sehr<br />
viel größere Regionen in Beschlag genommen werden.<br />
So spricht man üblicherweise einfach von der<br />
italienischen Küche, auch wenn sich die venezianische,<br />
die toskanische, römische oder apulische Küche<br />
stark unterscheiden, von den Marken oder dem<br />
Friaul einmal ganz abgesehen. Auch hält man die<br />
Pizza für ein italienisches Gericht, dabei stammt sie<br />
aus Neapel und ist in Norditalien ebenso importiert<br />
wie in Deutschland. Doch zurück zum Wiener<br />
Schnitzel, das ja eigentlich aus Mailand kommt. Dort<br />
macht man allerdings bis heute die Panade nur aus<br />
Ei und Mehl und serviert es inzwischen gerne mal<br />
zusammen mit Spaghetti <strong>–</strong> als Piccata Milanese, zu<br />
Deutsch, Mailänder Schnitzel.<br />
95
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
96<br />
Es soll der berühmte Feldmarschall Radetzky gewesen<br />
sein, der von seinem Italienfeldzug 1848/49<br />
das Mailänder Schnitzel mit nach Wien gebracht<br />
hat. Dort wurde die Panade durch Bröseln ergänzt,<br />
und es entstand so der knusprige Überzug des<br />
Wiener Schnitzels. Das wichtige bei beiden Varianten<br />
ist jedoch die goldgelbe Farbe dieses Überzugs.<br />
Denn sie ist der Tupfen auf dem i, der das panierte<br />
Schnitzel zu einer so außergewöhnlichen Speise<br />
macht. Die Zutaten sind schließlich vom Feinsten:<br />
das Wiener Schnitzel ist ein zartes Kalbsschnitzel.<br />
Kalbfleisch ist heute noch teuer, daher wird es oft<br />
durch Schweinefleisch ersetzt und dann wandelt<br />
sich das Wiener Schnitzel zum Schnitzel Wiener<br />
Art. Im 19. Jahrhundert war Kalbfleisch ein Luxusprodukt.<br />
Schließlich war es extrem unwirtschaftlich,<br />
ein Rind als Kalb zu schlachten, lange bevor es<br />
das volle Schlachtgewicht erreicht hat <strong>–</strong> selbst<br />
dann, wenn es speziell für die Fleischproduktion<br />
gedacht war und nicht erst nach Jahren der Milchproduktion<br />
oder als Zugtier geschlachtet wurde.<br />
Der goldgelbe Überzug imitierte dazu noch die<br />
„goldene Küche“. Diese Luxusvariation findet sich<br />
schon in der römischen Antike, in der gelegentlich<br />
Speisen wie Eier mit hauchdünner Goldfolie überzogen<br />
wurden, um bei den Gelagen eines Lucullus<br />
oder mancher römischer Kaiser die Gäste mit opulentem<br />
Luxus zu beeindrucken. Im Barock feierte<br />
diese Verschwendungssucht fröhliche Urstände <strong>–</strong><br />
und letzte Ausläufer reichten bis in das 18. Jahrhundert.<br />
Die goldene Panade war an einen solchen<br />
Überzug mit Goldfolie angelehnt. Sie hatte dazu<br />
den Vorteil, dass sie auch noch schmackhaft war,<br />
während die Goldfolie geschmacksneutral ist und<br />
zwar bedenkenlos gegessen werden kann, vielleicht<br />
aber doch zwischen Zähnen nicht ganz angenehm<br />
ist. So wurde das Wiener Schnitzel in Zeiten<br />
des zunehmenden Wohlstandes im Wirtschaftswunder<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg zum klassischen<br />
Sonntagsgericht und trägt seinen zweiten<br />
Namen, Kaiserschnitzel, nicht nur, weil Kaiser Franz<br />
Josef es so besonders geschätzt haben soll.<br />
Ist das Wiener Schnitzel schon vom Aussehen<br />
eine klassische Herrenspeise, so stellt der Tafelspitz<br />
eine kulinarische Besonderheit dar. Auch hier ist das<br />
Rohmaterial von erlesener Qualität, sogar noch<br />
mehr als beim Wiener Schnitzel. Schließlich ist der<br />
Tafelspitz ein ganz besonderer Teil des Filets, so dass<br />
aus einem schlachtreifen Rind nur maximal 8 Portionen<br />
Tafelspitz gewonnen werden können. Dieses<br />
besonders zarte Fleisch würde sich nun optimal zum<br />
kurzen Braten eignen <strong>–</strong> und wird stattdessen gekocht,<br />
also so behandelt wie das zähe Fleisch alter,<br />
abgearbeiteter Rinder. Natürlich ist das Resultat von<br />
unglaublicher Zartheit. Aber die Art der Zubereitung<br />
setzt auch ein Zeichen des äußersten Luxus: seht her,<br />
wir können es uns leisten, das absolut beste Fleisch<br />
zu nehmen, und es nicht zu grillen oder zu braten <strong>–</strong><br />
sondern zu kochen.<br />
Doch kehren wir zurück zu Asterix und Obelix.<br />
Das Hauptnahrungsmittel in dem gallischen Dorf ist<br />
also Wildschwein. <strong>Landwirtschaft</strong>liche Produktion<br />
kommt in den Heften nur selten und am Rande vor.<br />
Erst in einem sehr späten Heft, nämlich in „Der Sohn<br />
des Asterix“, erscheint ein Bauer als eigenständige<br />
Figur <strong>–</strong> und dieser ist eine extrem Dialekt sprechende,<br />
nicht besonders kluge und nicht besonders reinliche<br />
Karikatur eines Landmanns. Dagegen spielt<br />
Fisch eine nicht unwesentliche Rolle. Allerdings<br />
mehr als Gegenstand permanenter Streitereien, da<br />
den Fisch, den der Fischhändler Verleihnix verkauft,<br />
sich üblicherweise nicht gerade durch besondere Frische<br />
auszeichnet. Das Geschäft des Fischhändlers<br />
darf mit Fug und Recht als reichlich anrüchig bezeichnet<br />
werden.<br />
Dies ist im Hinblick auf die historische Realität in<br />
zweifacher Hinsicht interessant. Tatsächlich ist das<br />
Dorf unserer gallischen Freunde an der Küste Aremoricas,<br />
also der heutigen Bretagne, angesiedelt.
Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />
Und bei archäologischen Ausgrabungen konnte<br />
festgestellt werden, dass sich die Bewohner keltischer<br />
Siedlungen an der Küste sehr wesentlich von<br />
Fisch und Meeresfrüchten ernährten. Dies ist eigentlich<br />
nicht überraschend, da die maritimen Ressourcen,<br />
auch des oft eher rauen Meeres vor der Küste<br />
der Bretagne, schon sehr viel früher in der Urgeschichte<br />
genutzt wurden. Dabei dürften es eher die<br />
Fischer selbst gewesen sein, die ihren Fisch, soweit<br />
er nicht dem Eigenbedarf diente, auch verkauften.<br />
Ein spezieller Fischhändler in einem keltischen Dorf<br />
an der Küste dürfte eher unwahrscheinlich sein. Dafür<br />
gibt die Figur des Verleihnix den Autoren Gelegenheit,<br />
die Zustände ihrer eigenen Zeit kritisch zu<br />
beleuchten. Natürlich bietet der unangenehm riechende,<br />
faule Fisch einen guten Vorwand für viele<br />
komische Dialoge und die beliebten Schlägereien im<br />
Dorf. Doch in dem Heft „Die große Überfahrt“ gibt<br />
Verleihnix auch einmal eine interessante Erklärung<br />
dafür, warum sein Fisch nicht frisch aus dem Meer<br />
kommt, sondern mit Ochsenkarren aus Lutetia (Paris)<br />
herangeschafft wird: „Ich verkaufe Fische aus<br />
Lutetia, mein Herr! Ich weiß doch, was ich meinen<br />
Kunden schuldig bin! Ich decke mich bei den renommiertesten<br />
Grossisten ein. Ich verkauf´ doch<br />
Fisch nicht einfach aus dem Wasser! Und ohne Qualitätsgarantie!“<br />
Das erinnert doch sehr an moderne<br />
Zustände, in denen Lebensmittel kreuz und quer<br />
durch Europa transportiert werden und mancher<br />
Gourmet sich seine Zutaten direkt vom Großmarkt<br />
in Paris per Kurier bringen lässt. Dumm nur, wenn,<br />
wie hier, die Lastwagenfahrer, pardon die Ochsenkarrenfahrer,<br />
streiken.<br />
Allerdings, auch wenn man erwartet, dass Fisch in<br />
Küstenregionen immer frisch auf den Tisch kommt,<br />
so war natürlich auch hier der Fischfang nicht während<br />
des ganzen Jahres möglich, und bestimmte Fische,<br />
wie etwa der Hering, können ohnehin nur<br />
dann gefangen werden, wenn sie in großen Schwärmen<br />
auf ihren jährlichen Wanderungen durch die anliegenden<br />
Gewässer ziehen. So musste nicht nur für<br />
den Handel und die Verpflegung auf den Schiffen<br />
Fisch konserviert werden, sondern auch für den<br />
Eigenbedarf. Neben den bekannten Methoden des<br />
Räucherns, Trocknens und Einsalzens hat sich in<br />
Schweden eine ganz eigene Art der Konservierung<br />
entwickelt, das Fermentieren. So wurde der Hering<br />
ursprünglich in großen Mengen in Gruben am Strand<br />
gelegt und mit Rasensoden abgedeckt, um so die<br />
Fermentation in Gang zu setzen. Solche Gruben<br />
zeichnen sich noch heute etwa am Strand von Hallands<br />
Väderö, einer Insel vor der südschwedischen<br />
Stadt Halmstad, ab. Heute kann man den „Surströmming“<br />
in Dosen kaufen. Markenzeichen der Dosen<br />
ist der nach oben gewölbte Deckel, da der Fisch auch<br />
noch in der Dose weiter fermentiert und dabei Gase<br />
freisetzt. Letztere machen das Öffnen einer solchen<br />
Dose auch zu einem besonderen Erlebnis. Es empfiehlt<br />
sich, sie nur im Freien und gegen die Windrichtung<br />
zu öffnen. Immerhin bestätigte das Landgericht<br />
Köln 1984 die fristlose Kündigung einer Mieterin, die<br />
Lake aus einer Dose Surströmming im Treppenhaus<br />
vergossen hatte <strong>–</strong> nachdem zur Beweisführung eine<br />
solche Dose im Gericht geöffnet worden war. Der<br />
Geschmack ist süßlich, die Konsistenz des Fisches<br />
eher geleeartig. In Island wendet man das Verfahren<br />
nicht für Heringe, sondern für den Grönlandhai an,<br />
das Resultat nennt sich hákarl. Eine Besonderheit ist<br />
der isländische kæst skata, der Gammelrochen, bei<br />
dem die Fermentation notwendig ist, um im Fleisch<br />
gespeicherte Giftstoffe zu neutralisieren. Zum Surströmming<br />
wird Aquavit genossen. Der professionelle<br />
Schwede trinkt ihn nach dem Genuss des fermentierten<br />
Herings, dem Laien sei eine gute Quantität Aquavit<br />
als Aperitif empfohlen. Wer sich allerdings eine<br />
Dose aus Schweden mitnehmen möchte, sollte nicht<br />
mit British Airways oder Air France fliegen: diese<br />
Luftlinien verbieten die Mitnahme von Surströmming-Dosen<br />
wegen möglicher Explosionsgefahr.<br />
97
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
98<br />
Abb. 3: Surströmming im Eigenversuch <strong>–</strong> die lieben Kollegen<br />
aus Halmstad haben für unsere Projektteilnehmer in<br />
„Pathways to Cultural Landscapes“ eine kulinarische<br />
Überraschung auf der Exkursion vorbereitet…<br />
Neben Fisch gehören auch Meeresfrüchte zu den<br />
archäologisch nachgewiesenen Nahrungsmitteln<br />
der Küstenregion. In den Asterix-Heften kommen sie<br />
recht selten vor, meist in Zitaten der antiken römischen<br />
Küche. Nur Austern scheinen Asterix und<br />
Obelix recht gern zu essen, wie wir in dem Heft „Asterix<br />
und die Normannen“ erfahren. Dies erscheint<br />
passend, da doch die Bretagne noch heute für ihre<br />
besonders guten Austern berühmt ist. Allerdings ist<br />
die Art, in der Obelix sie verzehrt, etwas gewöhnungsbedürftig.<br />
Dazu ein kurzer Wortwechsel von<br />
Asterix und Obelix. Asterix: „Ich hab dir schon mal<br />
gesagt, Obelix, mit den Austern ist es wie mit den<br />
Nüssen: man isst nur das Innere“. Antwort Obelix:<br />
„Aber ich machs ja mit den Nüssen wie mit den Austern:<br />
ich ess sie mit der Schale“. Mahlzeit. Entscheidend<br />
an der Szene ist jedoch, dass Obelix in gewohnter<br />
Weise eine überaus große Zahl an Austern<br />
verdrückt. Dies verbindet sich hübsch mit der kulinarischen<br />
Geschichte der Auster. Diese gilt ja geradezu<br />
als Inbegriff der Luxusspeise. Allerdings hängt dies<br />
stark von der Gegend ab, in der die Austern genossen<br />
werden. In Zeiten langsamer und teurer Transporte<br />
stieg auch der Preis der Austern mit der Entfernung<br />
von der Küste sehr stark an. So waren sie im<br />
Binnenland immer etwas Besonderes, an der Küste<br />
teilweise aber regelrecht ein Arme-Leute-Essen.<br />
Faszinierender Weise war das Transportsystem bei<br />
den Römern schon so gut entwickelt, dass sich Austernschalen<br />
unter den Abfällen der Legionslager am<br />
Hadrianswall (etwa in Vindonissa) ebenso finden wie<br />
in Nida (Frankfurt a.M.) oder in Nordafrika. Wie<br />
Holztäfelchen mit Abrechnungen aus Vindolanda in<br />
Nordengland zeigen, waren die Austern im „Offizierskasino“<br />
des Legionslagers zu kaufen. Sie waren<br />
also auch hier sicher nicht für alle erschwinglich,<br />
aber auch nicht als extravaganter Luxus anzusprechen.<br />
Im Mittelalter und der Neuzeit gehörten Austern<br />
im Binnenland dagegen eindeutig zu den Luxusgütern.<br />
Deshalb entwickelte sich hier ein wahrer<br />
Kult um die Auster <strong>–</strong> der bis heute anhält. Allerdings<br />
erinnert die Menge, die etwa im 18. Jahrhundert<br />
von denen verdrückt wurde, die es sich leisten konnten,<br />
eher an Obelix als an Nouvelle Cuisine. So empfiehlt<br />
ein zeitgenössisches Kochbuch, nicht mehr als<br />
60 Austern auf einmal zu essen, da sie danach nicht<br />
mehr so gut schmecken würden. Maria Lezcynska,<br />
die Frau des französischen Königs Ludwig XV., vertilgte<br />
jedoch einmal statt fünf gleich fünfzehn Dutzend<br />
Austern (180!), wonach es ihr allerdings so<br />
schlecht ging, dass man ihr die letzte Ölung erteilte.<br />
Sie erholte sich glücklicherweise wieder von dieser<br />
Schlemmerei.<br />
Da war Herr Laperte schon aus anderem Holz geschnitzt.<br />
Über ihn berichtet der Barde genüsslicher<br />
kulinarischer Gelehrsamkeit Brillat-Savarin in seinem<br />
wunderbaren Werk „Physiologie des Geschmacks“<br />
folgende Anekdote: Als Brillat-Savarin 1798 in Versailles<br />
weilte, speiste er mit seinem Bekannten, der<br />
sich darüber beklagte, nie genug Austern zu bekommen,<br />
um sich einmal nach Herzenslust an ihnen zu
Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />
sättigen. Während Brillat-Savarin drei Dutzend Austern<br />
verspeiste, brachte es Herr Laperte auf 32 Dutzend<br />
(384!). Leider war der Diener, dessen Aufgabe<br />
es war, die Schalen zu öffnen, recht ungeschickt, so<br />
dass sich dieser Vorgang lange hinzog. Brillat-Savarin<br />
verlor deshalb die Geduld und nötigte seinen Bekannten,<br />
wenn auch mit Bedauern, zum nächsten<br />
Gang überzugehen, so dass er sich auch dieses Mal<br />
nicht an den Austern satt essen konnte.<br />
Noch ärger trieb es der Graf Wermuth in der gesellschaftskritischen<br />
Tragikomödie „Der Hofmeister“<br />
von Jakob Lenz (1774), der gleich 600 Austern vertilgte<br />
<strong>–</strong> als literarische Übertreibung und Karikatur des<br />
verschwenderischen Adligen. Die selbe Zahl von Austern<br />
taucht jedoch auch in einer Rechnung für ein<br />
Diner des dänischen Königs vom 1. Januar 1716 zu<br />
Mölln im Herzogtum Lauenburg auf. Und ein geistlicher<br />
Würdenträger in Straßburg soll es ebenfalls auf<br />
die Rekordzahl von 600 Austern gebracht haben. Er<br />
liebte die Muscheln so sehr, dass ihm seine Freunde<br />
folgendes Epitaph gesetzt haben: „Wenn ihn die<br />
Trompeten des Jüngsten Gerichts nicht wecken, so<br />
ruft einfach frische Austern, dann wacht er schon<br />
auf.“ Die Vorliebe gerade geistlicher Herren für Austern<br />
ließ sich auch in Aschaffenburg nachweisen, wo<br />
sich unter den Überresten eines großen Festes im Dekanat<br />
des Stiftes St. Peter und Alexander, das die<br />
Stiftsherren um 1740 gefeiert hatten, auch zahlreiche<br />
Austernschalen fanden. Selbst Brillat-Savarin bringt<br />
die Freude des Austernessens mit den Geistlichen in<br />
Verbindung und unterstellt den französischen Abbés<br />
aus der Zeit vor der Revolution, sie hätten nie weniger<br />
als ein Gros (also 12 Dutzend = 144) Austern auf einmal<br />
verspeist. Eine Vorliebe, die doch etwas verwundern<br />
darf, wenn man an die aphrodisierende Wirkung<br />
denkt, die den Austern nachgesagt wird…<br />
Umgekehrt waren Austern etwa in Südengland<br />
und Irland im 19. Jahrhundert so allgegenwärtig,<br />
dass sie als Nahrungsmittel der armen Leute galten.<br />
Während sich die Ernährungssituation der Bevölkerung<br />
in England durch die Einführung der Fish-and-<br />
Chips-Buden laut eines Regierungsberichts verbesserte,<br />
waren die Angehörigen der Unterschicht in<br />
Irland so arm, dass sie sich weiter von Austern ernähren<br />
mussten. Dies wird durch eine Bemerkung in<br />
den Pickwick Papers von Charles Dickens deutlich:<br />
„Es ist ein sehr bemerkenswerter Umstand, dass<br />
Austern und Armut stets Hand in Hand zu gehen<br />
scheinen […] Je ärmer ein Ort ist, desto größer<br />
scheint das Verlangen nach Austern zu sein. Sehen<br />
Sie hier Sir, hier kommt eine Austernbude auf jedes<br />
halbes Dutzend Häuser. Die Straße ist voll mit ihnen.<br />
Ich denke, wenn ein Mann sehr arm ist, dann rennt<br />
er aus seiner Wohnung und isst regelmäßig Austern<br />
aus reiner Verzweiflung.“ „Sicher tut er das.“ sagte<br />
Mr. Weller der Ältere; „und es ist genau dasselbe mit<br />
eingelegtem Lachs!“ (Kapitel 22).<br />
Nicht nur Austern, sondern auch noch Lachs als<br />
Armenspeise Aber ja, und nicht erst zur Zeit von<br />
Charles Dickens. So wurde in vielen Verträgen mit<br />
Lehrlingen und Hausangestellten in den norddeutschen<br />
Hansestätten vom 16. bis ins 19. Jahrhundert<br />
ein Absatz aufgenommen, der die Verpflegung regelte<br />
und festlegte, dass den Betroffenen nicht öfter<br />
als drei bis fünf mal in der Woche Lachs vorgesetzt<br />
werden durfte. Oder Hummer: so entschuldigte sich<br />
1633 der Gouverneur von Plymouth (damals eine<br />
neuenglische Kolonie) bei einer Gruppe neuer Siedler,<br />
dass man ihnen zur Begrüßung aufgrund einer<br />
Nahrungsmittelknappheit nur Hummer anbieten<br />
könne. Noch in den 50er Jahren galt in bestimmten<br />
Küstenregionen der USA-Hummer als Arme-Leute-<br />
Speise, bis durch den zunehmenden Tourismus aus<br />
New York Hummer immer teurer wurde. Für die ersten<br />
Touristen war das Hummeressen im Urlaub noch<br />
ein tolles Schnäppchen, doch mit der zunehmenden<br />
Nachfrage und angesichts der offensichtlichen Wertschätzung<br />
durch die Touristen stieg der Preis bald<br />
99
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
100<br />
Abb. 4: Die Geheimnisse um den Zaubertrank werden gleich im ersten Heft „Asterix<br />
der Gallier“ nicht verraten<br />
rapide an. Dies zeigt auch, dass oft der Preis oder die<br />
Verfügbarkeit ausschlaggebend für die Einordnung<br />
eines Lebensmittels als besonders erstrebenswert ist<br />
und nicht primär der Geschmack.<br />
<strong>Regionale</strong> Besonderheiten in der <strong>Esskultur</strong> dienen<br />
oft auch dazu, ein ganzes Volk oder Land zu<br />
charakterisieren. Mit diesen Klischees spielen die<br />
Autoren von Asterix und Obelix besonders gerne.<br />
Auf jeder ihrer Reisen wird die regionale Küche,<br />
oder was man dafür hält, als Markenzeichen für<br />
das bereiste Land karikiert. In dem Heft „Asterix<br />
auf Korsika“ treffen sich Freunde, die unsere Helden<br />
in den vergangenen Abenteuern erworben<br />
haben, in dem Dorf in Aremorica zum Feiern. Rollenklischeegerecht<br />
treffen sich die begleitenden<br />
Damen bei Gutemine, der Frau des Häuptlings<br />
Majestix und First Lady des Dorfes, um Küchengeheimnisse<br />
auszutauschen. So erklärt die Frau des<br />
spanischen Häuptlings, sie koche nur mit Olivenöl.<br />
Darauf kommt von ihrer englischen Kollegin die<br />
Antwort: „Was tut Ihr sagen! Ich nehme nur kochendes<br />
Wasser. Ich finde, es gibt einen köstlichen<br />
Geschmack zu allem.“ Treffender lässt sich die englische<br />
Küche nicht karikieren.<br />
In dem Heft „Asterix bei<br />
den Briten“ werden alle Vorurteile<br />
und Klischeebilder der<br />
Franzosen über die Engländer<br />
ausgebreitet <strong>–</strong> ganz besonders<br />
aber die kulinarischen. So<br />
machen diese stets um 5 Uhr<br />
eine nette kleine Pause, um<br />
heißes Wasser mit einem Tropfen<br />
Milch zu trinken (Tee war<br />
noch unbekannt) und dazu<br />
Röstbrot mit Marmelade zu<br />
essen. Im Pub sorgt der Wirt<br />
für eine strikte Einhaltung der<br />
Sperrstunde <strong>–</strong> und serviert<br />
heißes Wasser, laufwarmes<br />
Bier oder eiskalten Rotwein. Dazu gibt es gekochtes<br />
Wildschwein mit Pfefferminzsoße und reichlich verkochtem<br />
Gemüse. Die englische Küche animiert<br />
Obelix zu einem verzweifelten Stoßseufzer: „…gekocht<br />
und dazu noch mit Pfefferminzsoße! Das<br />
arme Schwein!“ Auch hier wird die Vorliebe von<br />
Obelix für gebratenes und gegrilltes Fleisch deutlich,<br />
während die in England beliebte Methode des Kochens<br />
ja in Wahrheit für den größten Teil der Ge-<br />
Abb. 5: „Asterix bei den Briten“ Das kulinarische Angebot in<br />
britischen Gasthäusern stößt nicht bei allen<br />
Beteiligten auf ungeteilte Zustimmung…
Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />
schichte die weitaus üblichere Zubereitungsart für<br />
Fleisch war, wie wir ja bereits erörtert haben. Umgekehrt<br />
dürfen auch die Vorurteile der Engländer<br />
gegenüber der französischen Küche nicht fehlen. So<br />
fragen sich die britischen Krieger, denen Asterix mit<br />
Hilfe einiger Teeblätter einen Ersatz für den Zaubertrank<br />
bereitet: „Ouuuu! Ich misstraue der gallischen<br />
Küche.“ Oder: „Ist denn wenigstens kein Knoblauch<br />
drin“ Nun, immerhin pflegt die Queen auf ihren<br />
Staatsreisen nicht nur ihren eigenen Koch mitzubringen,<br />
sondern auch ihre eigene Mayonnaise. Und<br />
dies selbst zum Staatsdiner im Elysee-Palast <strong>–</strong> der<br />
französische Präsident war „not amused“, heißt es.<br />
Die Deutschen kommen kulinarisch in den Asterix-Heften<br />
ebenfalls nicht besonders gut weg. Dabei<br />
haben sie auch ihr beliebtes Urlaubsland Spanien<br />
schon kolonisiert, wie sich in dem Heft „Asterix in<br />
Spanien“ nachlesen lässt. Da sitzen gotische Touristen<br />
glatzköpfig oder mit Pickelhelmen auf dem Kopf<br />
mit ihren wohlgenährten, blondbezopften Ehegefährtinnen<br />
lustig an langen Tischen in der spanischen<br />
Herberge und verzehren das Tagesmenü:<br />
Würstchen, Kraut und Speck. Dazu gibt es Cervisia,<br />
also Bier.<br />
Ähnlich knapp wird übrigens die spanische Küche<br />
selbst abgehandelt. Hier werden die arabischen Einflüsse<br />
betont, da Hähnchen oder (Wild-)Schwein auf<br />
Couscous serviert werden. Bezeichnend ist allerdings<br />
die gelbe Färbung der Beilage und die Bemerkung<br />
eines römischen Offiziers, er sei das zu stark<br />
gewürzte spanische Essen nicht mehr gewöhnt. Dies<br />
erinnert an die Berichte der Gräfin d‘ Aulnoy vom<br />
spanischen Hof aus dem Jahr 1691, die sich über die<br />
viel zu stark gewürzten Speisen beklagte. Besonders<br />
der heftige Gebrauch von Safran zu allem und jedem<br />
Gericht erzürnt sie und beleidigt ihre Geschmacksnerven.<br />
Die Erklärung für diese Unsitte lag<br />
nicht nur in einer frühen Abkehr Frankreichs von<br />
den stark gewürzten Speisen des Mittelalters, sondern<br />
hatte auch einen anderen Grund: Safran war<br />
das kostbarste Gewürz und Symbol für den Indienhandel.<br />
Daher galt es am spanischen Hof als königliches<br />
Gewürz <strong>–</strong> und seine reiche Verwendung als<br />
Beweis für den Reichtum des Hofes und die nach<br />
wie vor ungebrochene Handelsmacht Spaniens. Erneut<br />
wird die Verbindung von gehobener Küche mit<br />
dem Prinzip der Repräsentation deutlich, wonach<br />
weniger der Geschmack als der Preis der Speisen,<br />
die Ausgefallenheit der Rezepte und die Seltenheit<br />
der Ingredienzien wichtig sind.<br />
Die Küche Skandinaviens wird in dem Heft „Asterix<br />
und die Normannen“ aufs Korn genommen. Dass<br />
die Normannen, oder Wikinger, zu Zeiten des Asterix<br />
noch gar nicht existierten und erst mehr als sieben<br />
Jahrhunderte später das Rampenlicht der Weltgeschichte<br />
betreten, ist ein kleiner Anachronismus,<br />
den sich die Autoren immer wieder einmal gönnen.<br />
Abb. 7: Faule Ausrede: in „Asterix in Spanien“ bemüht ein<br />
Zenturio die spanische Küche als Ausrede für einen<br />
Anfall von Panik, als er entdeckt, dass die ihm<br />
anvertraute Geisel wieder auf dem Weg zurück in ihr<br />
Dorf ist.<br />
101
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
102<br />
Jedenfalls trinken sie Calva aus den Schädeln der Besiegten<br />
<strong>–</strong> womit dann gleich die Verbindung von<br />
den Nordmännern zur modernen Normandie geschlagen<br />
wird, wo der aus Äpfeln gebrannte Calvados<br />
zu Hause ist. Diese Verbindung wird etwas versteckter<br />
in einem kleinen Wortspiel noch einmal hergestellt:<br />
da erklärt ein Normanne, der nach der Landung<br />
in der Normandie tiefe Löcher für das Lager<br />
auszuheben hat, er mache gute, normannische Löcher<br />
<strong>–</strong> trou Normand, das normannische Loch, ist<br />
eine Umschreibung für einen Calvados, ein normannisches<br />
Loch machen, bedeutet also, einen Calvados<br />
zu trinken. Kulinarisch zeichnen sich die Normannen<br />
durch ihre Vorliebe für das Essen à la crème aus <strong>–</strong><br />
egal ob Würstchen, Schnitzel, Hähnchen oder Scholle<br />
<strong>–</strong> alles wird mit reichlich Sahne zubereitet.<br />
Ausführlich werden auch die Besonderheiten der<br />
Schweizer Küche vorgestellt. Neben einer Vorliebe<br />
für Pflümli, den Pflaumenschnaps, ernähren sich die<br />
Schweizer bei Asterix hauptsächlich von Käsefondue.<br />
Zwar ist es umstritten, wie, wann und wo genau<br />
sich das Käsefondue entwickelt hat. Vorläufer<br />
mögen sich tatsächlich in den Fastenspeisen von<br />
Mönchen und in Käsesuppen alpiner Sennhütten<br />
finden. Immerhin erzählt bereits Brillat-Savarin eine<br />
hübsche Geschichte über einen Geistlichen aus Paris,<br />
der gegen Ende des 17. Jahrhunderts zum Bischof<br />
von Belley ernannt wurde, und der das ihm zur<br />
Begrüßung vorgesetzte Fondue für eine Creme hielt<br />
<strong>–</strong> und zum Erstaunen der Einheimischen mit dem<br />
Löffel verspeiste. Allerdings besteht das Rezept für<br />
ein Fondue, das Brillat-Savarin zitiert, vor allem aus<br />
Eiern, die geschlagen werden, und mit Emmentaler<br />
von einem Drittel ihres Gewichts, sowie noch einmal<br />
halb soviel Butter vermischt werden. Kräftig gepfeffert<br />
wird dieses Fondue in der Pfanne zubereitet. Als<br />
Schweizer Nationalgericht wurde das moderne Käsefondue<br />
jedenfalls ganz bewusst kreiert, und zwar<br />
für die Weltausstellung in New York 1939. Von dort<br />
kam es in die Schweizer Armeekochbücher und verbreitete<br />
sich so in den 50er Jahren in der ganzen<br />
Schweiz. Heute sind Schweiz und Käsefondue untrennbar<br />
miteinander verbunden, auch wenn man in<br />
Savoyen hartnäckig die Erfindung dieses Gerichts für<br />
die eigene Region in Anspruch nimmt. Dass aber<br />
schon die Römer in Helvetien ihre Orgien mit Käsefondue<br />
im großen Kessel gefeiert hätten, ist eine<br />
reine Erfindung der Autoren von Asterix und Obelix<br />
<strong>–</strong> auch wenn Käse seit dem Neolithikum als eine Methode<br />
der Konservierung von Milch auf dem Speiseplan<br />
der Menschen stand und man in Rom durchaus<br />
Verwendung für verschiedene Käsesorten hatte.<br />
Auch die griechische Küche wird uns nicht in ihrer<br />
antiken Form vorgestellt, sondern als die Küche des<br />
modernen Griechenlandtouristen. Sie besteht also<br />
vornehmlich aus gefüllten Weinrebenblättern, Oliven,<br />
Wassermelonen, Fleischspießchen (Souflaki)<br />
und geharztem Wein (Retsina). Dabei wurde die<br />
Wassermelone in Griechenland wahrscheinlich erst<br />
mit der osmanischen Eroberung, also durch die Türken<br />
im 16. Jahrhundert eingeführt. Oliven dagegen<br />
waren ein Grundnahrungsmittel im antiken Griechenland.<br />
Auch hier wurde Fleisch mehr gekocht als<br />
gegrillt, aber Fleischspieße waren zumindest in der<br />
Küche der Oberschicht stark vertreten. Jedenfalls<br />
tauchen eiserne Fleischspieße häufig in Gräbern der<br />
frühen griechischen Fürsten als Statussymbol auf <strong>–</strong><br />
und dienten eine Zeit lang sogar als normiertes Zahlungsmittel,<br />
als eine frühe Form des Geldes.<br />
Auch der Wein hat in Griechenland eine große<br />
Tradition. Die antiken griechischen Weine waren berühmt,<br />
besonders die schweren und süßen Weine<br />
der griechischen Inseln, wie etwa Kos, erfreuten sich<br />
in Rom großer Beliebtheit und erzielten Spitzenpreise.<br />
Auch war es schon in der griechischen Antike<br />
üblich, Wein zu harzen <strong>–</strong> aus Gründen der besseren<br />
Haltbarkeit und um den Wein transportfähig zu machen.<br />
Doch damals wie heute war dies eine Metho-
Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />
de für Massenweine, nicht für Spitzenweine. In der<br />
einfachen Taverne dürfte aber auch zur Zeit von Asterix<br />
der griechische Wein harzig geschmeckt haben.<br />
Allerdings wurde Wein bei den Griechen wie<br />
Römern nie unverdünnt getrunken, sondern immer<br />
mit Wasser gemischt. Das Mischungsverhältnis<br />
konnte stark variieren. Wein gänzlich ohne Wasser<br />
zu trinken, galt als Zeichen von Alkoholismus. Dass<br />
man in der griechischen Taverne bei Asterix auch Sirtaki<br />
tanzt, muss eigentlich gar nicht mehr extra erwähnt<br />
werden.<br />
Besonderes Interesse verdient in dem Band „Asterix<br />
bei den Olympischen Spielen“ eine Szene im<br />
Speisesaal der griechischen Athleten. Diese werden<br />
durch die Bratendüfte gereizt, welche von den kulinarischen<br />
Hochleistungen von Asterix und Obelix<br />
herrühren, während die griechischen Athleten eine<br />
strenge Diät zu halten haben. Als ausgerechnet ein<br />
spartanischer Athlet dagegen als Erster protestiert,<br />
wird ihm von seinem Trainer vorgeworfen, die Spartaner<br />
seien doch Entsagung gewöhnt. Er selbst beschreibt<br />
darauf die heimatliche Küche so: „Mag ja<br />
sein, dass wir in Sparta nichts als Olivenkerne und<br />
fettes Fleisch essen“. Einmal abgesehen von der<br />
Übertreibung mit den Olivenkernen ist dieser Satz<br />
wegen der Nennung von fettem Fleisch bemerkenswert.<br />
Dies entspricht unserer heutigen Sichtweise, in<br />
der wir mageres Fleisch bevorzugen. In der Vergangenheit,<br />
als das Problem der Menschen noch nicht<br />
im Übergewicht, sondern in der ständigen Gefahr<br />
der Unterernährung lag, galt das fette Fleisch als das<br />
gute Fleisch. Tatsächlich gibt es ein Gericht, das für<br />
die Griechen der Antike die sprichwörtlich spartanische<br />
Küche charakterisierte: die Blutsuppe. Einmal<br />
wöchentlich versammelten sich die Spartaner zu<br />
einem öffentlichen und gemeinsamen Essen, bei<br />
dem die Blutsuppe auf dem Speiseplan stand. Manche<br />
moderne Archäologen meinen, sie sei eigentlich<br />
ganz wohlschmeckend gewesen. Immerhin bestand<br />
sie nicht nur aus Blut, sondern auch aus reichlich<br />
Schweinefleisch, Essig und Salz. Friedrich Schiller<br />
verdichtete die Meinung der Athener zu diesem typisch<br />
spartanischen Gericht in dem Satz: „Unter den<br />
Speisen der Spartaner ist die schwarze Suppe berühmt;<br />
ein Gericht, zu dessen Lobe gesagt wurde,<br />
die Spartaner hätten gut tapfer sein, weil es kein so<br />
großes Übel wäre, zu sterben, als ihre schwarze Suppe<br />
zu essen“ (Die Gesetzgebung des Lykurgus und<br />
Solon, 1790).<br />
Die Autoren der Asterix-Hefte lassen in dem Heft<br />
„Asterix auf Korsika“ ganz besondere Vorsicht walten<br />
<strong>–</strong> schließlich sind die Korsen leicht beleidigt, und<br />
das Verhältnis der Franzosen zu der erst vor etwa<br />
200 Jahren einverleibten Insel, beziehungsweise<br />
ihren Einwohnern, ist bekanntlich nicht frei von<br />
Spannungen. Dies führte auch zu besonderer Sorgfalt<br />
bei der Charakterisierung der kulinarischen Besonderheiten<br />
Korsikas. Da wäre zuallererst der korsische<br />
Käse zu erwähnen, dessen intensive Duftnote<br />
nur der wahre Korse zu würdigen weiß. Dieser Käse<br />
existiert wirklich, inklusive der liebevoll im Bild dargestellten<br />
Maden, die zu seiner Konservierung beitragen<br />
(nur unwissende Touristen versuchen sie hilflos<br />
aus der weichen Käsemasse heraus zu pulen).<br />
Auch hier macht ein Fermentierungsvorgang den<br />
Käse haltbarer, wodurch er einen süßlichen Geschmack<br />
erhält. Solche süßen Käsesorten waren übrigens<br />
tatsächlich schon im antiken Rom bekannt<br />
und dienten dort als wichtige Grundlage zur Herstellung<br />
von Süßspeisen <strong>–</strong> schließlich hatte man ja<br />
noch keinen Zucker als Süßstoff.<br />
Eine Szene in diesem Heft dürfte von den meisten<br />
Lesern nicht verstanden werden, ist jedoch eine der<br />
überraschendsten Hinweise auf eine echte lokale<br />
Spezialität. Als Asterix und Obelix sich mit ihrem korsischen<br />
Führer dessen Dorf nähern, sehen sie<br />
schwarze, behaarte Schweine auf der Straße. Entzückt<br />
ruft Obelix aus „Oh, schau mal da! Gezähmte<br />
103
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Abb. 8: „Asterix auf Korsika“ und die Freuden des korsischen Käses und ihre unterschiedliche<br />
Wahrnehmung bei Einheimischen und Touristen…<br />
Wildschweine!“ Und der Korse antwortet: „Nein,<br />
das sind ungezähmte Hausschweine!“ Tatsächlich<br />
leben auf Korsika Wildschweine, deren Chromosomensatz<br />
nicht dem der europäischen, sondern der<br />
kleinasiatischen Wildform entspricht. Es handelt sich<br />
hier also um Nachfahren von Hausschweinen, die<br />
von den ersten Ackerbauern und Viehzüchtern zu<br />
Beginn des Neolithikums von ihrem Herkunftsgebiet<br />
in Kleinasien mitgebracht worden waren. Einige dieser<br />
Hausschweine verwilderten und wurden zu den<br />
Vorfahren der heutigen Wildschweinpopulation auf<br />
Korsika.<br />
Besonders ausführlich werden die Essgewohnheiten<br />
der belgischen Nachbarn bei Asterix aufs Korn<br />
genommen <strong>–</strong> schließlich ist das Verhältnis zwischen<br />
Franzosen und Belgiern sehr komplex. Dabei zeichnet<br />
sich die belgische Küche durch ihre Reichhaltigkeit<br />
aus <strong>–</strong> die selbst Obelix in Erstaunen und Entzücken<br />
versetzt. Tatsächlich sind die Portionen in belgischen<br />
Lokalen häufig von beeindruckender Größe.<br />
Ausnahmsweise gibt es in diesem Heft auch Anspielungen<br />
auf echte regionale,<br />
nicht nur nationale Küche.<br />
Denn in einer Szene, in der<br />
Asterix und Obelix in einem<br />
einsamen Bauernhaus inmitten<br />
weiter Felder zu Gast<br />
sind, wird darauf angespielt,<br />
dass es sich hier um den<br />
Standort des späteren Brüssel<br />
handelt. So werden als<br />
Spezialität „hiesische Kohlköppchen“<br />
serviert, bei<br />
denen es sich eindeutig um<br />
Kohlsprossen handelt, deren<br />
englischer Name auf ihre<br />
Herkunft verweist: Brussels<br />
sprouts. Dazu gibt es lokales<br />
Geuze-Bier, eine weitere<br />
104<br />
Abb. 9: Verwilderte Hausschweine in der idyllischen<br />
Umgebung eines korsischen Dorfes in „Asterix auf<br />
Korsika“
Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />
Abb. 6: „Asterix bei den Belgiern“ und die Anspielungen auf das zukünftige Brüssel:<br />
Manneken Pis (hier am Tisch sitzend mit Lätzchen <strong>–</strong> schließlich wird auch das<br />
Original gerne mal unterschiedlich angezogen), Brüsseler Kohlsprossen und<br />
Geuze-Bier.<br />
Spezialität aus Brüssel. Die Besonderheit des Geuze<br />
besteht darin, dass es ohne Zusatz künstlicher Hefe<br />
gebraut wird. Im Raum Brüssel kommen natürliche<br />
Hefen vor, die eine Spontangärung auslösen. Daneben<br />
sind im Sud auch noch Milchsäuren vorhanden,<br />
die den typisch säuerlichen Geschmack des Geuze<br />
bewirken. Daneben hat auch noch der Manneken<br />
Pis einen Gastauftritt. Der kleine Kerl wird bei der<br />
ersten Begegnung in seiner klassischen Beschäftigung<br />
gezeigt, dank der er als Brunnenfigur in Brüssel<br />
zur Berühmtheit gelangte. Im weiteren Verlauf<br />
der Szene muss er bald wieder dringend austreten,<br />
weshalb sein Vater ihn verdächtigt, heimlich an das<br />
selbstgebraute Geuze zu gehen <strong>–</strong> eine kleine Pointe<br />
am Rande, da diesem Bier nachgesagt wird, dass es<br />
einen besonders starken Harntrieb auslöst. Natürlich<br />
ist Belgien ohnehin das Land der tausendundeins<br />
Biere, ein Paradies für Bierliebhaber, in dem man<br />
selbst aus Kirschen Bier braut und dabei für jede der<br />
unzähligen Biersorten auch noch das passende Glas<br />
bereit hält.<br />
Aber auch der ständige Konflikt zwischen Flamen<br />
und Walonen schlägt sich in kulinarischen Bemerkungen<br />
wider. So streiten die beiden Anführer der<br />
Belgier, Egmontix (der Menapier)<br />
und Stellartoix (der Nervier),<br />
als Prototypen des Flamen<br />
und des Walonen um<br />
den besten Happen, der nur<br />
eines Häuptlings würdig ist<br />
(einen Schlag Zunge <strong>–</strong> und<br />
man muss ja nicht jedes<br />
Wortspiel kommentieren).<br />
Am Vorabend der großen<br />
Schlacht mit Caesar, die natürlich<br />
als Parodie auf Waterloo<br />
zelebriert wird, bestimmen<br />
die Flamen den Speiseplan<br />
und bestellen ihr Nationalgericht<br />
<strong>–</strong> Waterzooi. Dies<br />
wird vom walonischen Häuptling mit den Worten<br />
quittiert: „Waterzooi, schlappes Essen in trauriger<br />
Terrine.“ Immerhin kann er sich dabei auf die Bedeutung<br />
des Namens jenes Gerichts berufen, das<br />
übersetzt etwa wässriges Durcheinander bedeutet.<br />
Doch was wäre die belgische (respektive holländische)<br />
Küche heute ohne Pommes Frites Und so darf<br />
der zündende Gedanke zum Frittieren von Kartoffelstäbchen<br />
auch in dem Heft „Asterix bei den Belgiern“<br />
nicht fehlen. Schließlich, wer hat sie erfunden<br />
<strong>–</strong> richtig, die Belgier! Auch wenn das wieder einmal<br />
ein hübscher Anachronismus ist. Schließlich stammt<br />
die Kartoffel aus Amerika und wurde erst im 16.<br />
Jahrhundert nach Europa eingeführt <strong>–</strong> und zwar als<br />
Zierpflanze, wegen ihrer schönen Blüten. Erst allmählich<br />
wurde auch ihr Nährwert erkannt, und der<br />
Siegeszug der Kartoffel als Grundnahrungsmittel<br />
begann im 18. Jahrhundert. Immerhin findet sich<br />
aber schon 1781 ein Hinweis auf Pommes Frites in<br />
Belgien, und die sollen da schon stattliche hundert<br />
Jahre alt gewesen sein. In diesem Jahr schrieb Joseph<br />
Gérard, Sekretär der österreichischen Kaiserin<br />
Maria-Theresia: „Die Einwohner von Namur, Huy<br />
und Dinant haben die Gewohnheit, in der Maas zu<br />
105
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
106<br />
Abb. 11: In „Asterix bei den Belgiern“ erfahren die Leser, wie<br />
die Belgier die Pommes Frites erfanden.<br />
fischen, diesen Fang dann zu frittieren, um ihren<br />
Speisezettel zu erweitern (vor allem arme Leute).<br />
Wenn die Gewässer zugefroren sind und das Angeln<br />
nur schwer möglich ist, schneiden die Einwohner<br />
Kartoffeln in Fischform und frittieren diese dann.<br />
Diese Vorgehensweise ist mehr als hundert Jahre<br />
alt.“ Also auch die in England so beliebten Fish and<br />
Chips stammen ursprünglich aus Belgien.<br />
Wesentlich befördert wurde die Verbreitung der<br />
Kartoffel durch Zwangsmaßnahmen despotischer<br />
Regenten, etwa in Preußen durch König Friedrich<br />
den Großen oder in Russland durch Zar Peter den<br />
Großen, die das Potential der Kartoffel als relativ anspruchslose<br />
Nahrungspflanze zur Schaffung einer<br />
stabilen Ernährungsgrundlage erkannten. Die Kartoffel<br />
wurde vor allem in solchen Gegenden angebaut,<br />
wo die Bedingungen schlecht waren und der<br />
Anbau etwa von Weizen nicht möglich war oder<br />
jedenfalls nur wenig Ertrag brachte. Dies war vor allem<br />
in den Mittelgebirgslandschaften Europas der<br />
Fall. So wurde die Kartoffel zum Grundnahrungsmittel<br />
in Schlesien ebenso wie im Spessart oder in Irland.<br />
In Irland führte die zwangsweise Einführung<br />
der Kartoffel durch die Engländer allerdings auch zu<br />
besonders dramatischen Hungersnöten, als die Ernte<br />
über mehrere Jahre schlecht ausfiel <strong>–</strong> ein Trauma<br />
der irischen Geschichte. Im Spessart stellte dagegen<br />
Rudolf Virchow 1852 in seiner berühmten Studie<br />
„Die Noth im Spessart“ fest, dass die Kartoffel die<br />
Ernährungsgrundlage der Spessarter deutlich verbessert<br />
habe. Tatsächlich haben sich viele unterschiedliche<br />
Rezepte und Zubereitungsarten für Kartoffeln<br />
im Spessart entwickelt, die teils sehr spezifische,<br />
lokale Eigenheiten darstellen. Heute werden<br />
sie langsam wieder entdeckt und können zu einer<br />
eigenständigen gastronomischen Landschaft Spessart<br />
beitragen.<br />
Gerade an den Kartoffeln wird deutlich, dass viele<br />
Nahrungsmittel und daraus hergestellte Gerichte,<br />
die uns heute als typisch für eine bestimmte Region<br />
erscheinen, im Laufe der Geschichte eingewandert<br />
sind und ursprünglich gar nicht in dieser Region heimisch<br />
waren. Wer könnte sich eine italienische Küche<br />
ohne Tomaten vorstellen, oder eine ungarische<br />
Abb. 12: <strong>Regionale</strong> Küche und Neophyten <strong>–</strong> was wäre die<br />
toskanische Küche ohne Tomaten Blick in die<br />
Auslage eines Restaurants in Florenz.
Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />
ohne Paprika Und doch kommen Tomaten und Paprika<br />
genau wie die Kartoffel aus Amerika und sind<br />
somit erst langsam, seit dem 16. Jahrhundert, in die<br />
verschiedenen europäischen kulinarischen Landschaften<br />
eingeführt worden. Was wäre Wien ohne<br />
seine Kaffeehäuser mit ihren zahlreichen Varianten<br />
des Kaffegenusses Der kleine Schwarze (Espresso),<br />
der große Braune (doppelter Espresso mit Obers [für<br />
deutsche Leser = Sahne), der Verlängerte (Espresso<br />
mit extra viel Wasser), der Einspänner (ein Verlängerter<br />
mit Schlag [Schlagobers = Schlagsahne] im Glas)<br />
oder der Verkehrte (mehr Milch als Kaffee) Und<br />
doch stammt der Kaffee aus Arabien (oder vielleicht<br />
doch aus Abessinien, da streiten sich die Gelehrten)<br />
und kam ebenfalls im 16. Jahrhundert Schritt für<br />
Schritt über die Osmanen nach Europa, besonders<br />
natürlich nach Wien.<br />
Regionalität kann dabei gelegentlich auch zu<br />
einer Posse des Nationalismus werden. Der Türkische<br />
Kaffe, sprich der auf dem Satz gekochte Kaffee,<br />
serviert in einem Messingkännchen und getrunken<br />
aus einem Köppchen, also der ursprünglichen<br />
Form der kleinen, henkellosen Kaffeetasse (womit<br />
sie typologisch gesehen ein Becher ist, da die Tasse<br />
ja eigentlich als Becher mit Henkel definiert ist, aber<br />
dieser kleine Widerspruch nur am Rande und in<br />
Klammern) kann in seiner Benennung ganz schön<br />
schwierig werden. Als wir vor etwa 25 Jahren einmal<br />
in Athen versehentlich einen Türkischen Kaffee bestellt<br />
haben, wurde er uns mit verbissener Miene<br />
krachend auf den Tisch gestellt und der gezischte<br />
Kommentar „hier haben Sie Ihren Türkischen Kaffee“<br />
(Betonung auf Türkisch) hätte fast schon als<br />
Körperverletzung gelten können (jedenfalls als Androhung<br />
der selbigen). Also gut, einen Griechischen<br />
Kaffee bitte. Oder anderen Ortes einen Arabischen<br />
Kaffee, und bitte seien Sie sehr vorsichtig, wie Sie<br />
den nennen, sicherheitshalber also lieber gleich in<br />
Marokko einen Marokkanischen Kaffee. Und wie<br />
Abb. 13: Kulinarischer Ausklang in Marseille mit arabischem<br />
Kaffee in italienischer Espressotasse.<br />
sagt man, wenn der Kellner Berber ist Diplomatische<br />
Verwicklungen ohne Ende. Am Besten, man<br />
bestellt einen neutralen Mokka. Dabei ist es immer<br />
das gleiche Getränk, und wenn man nicht aufpasst,<br />
auch immer mit viel zu viel Zucker (weil der teure<br />
Zucker ja in den insgesamt grundsätzlich ausgesprochen<br />
gastfreundlichen Ländern in denen man diese<br />
Kaffeespezialität zubereitet, ja dem lieben Gast besonders<br />
reichlich zuteil werden soll). Nur eben, wenn<br />
man gerade den falschen Terminus erwischt hat,<br />
dann ist das bitter, da hilft auch noch so viel Zucker<br />
nichts. Beim Namen ist die Globalisierung und die<br />
Völkerverständigung also noch nicht angekommen.<br />
Da ist es dann wiederum besonders nett, wenn man<br />
in Marseille in einem marokkanischen Restaurant<br />
am alten Hafen zum Abschluss eines köstlichen Essens<br />
<strong>–</strong> Taschin mit kandierten Zitronen und arabische<br />
Leckereien <strong>–</strong> einen Mokka in einer italienischen<br />
Espressotasse mit der Aufschrift „Firenze“ serviert<br />
bekommt.<br />
Apropos Globalisierung. Natürlich bekommt man<br />
heute alles überall. Das heißt, man bekommt nicht<br />
nur französisches, italienisches, spanisches, marok-<br />
107
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
108<br />
kanisches, tunesisches, algerisches, türkisches, österreichisches<br />
oder griechisches Essen, sondern auch<br />
indische, chinesische, vietnamesische, koreanische,<br />
thailändische, japanische und afrikanische Restaurants<br />
sprießen überall aus dem Boden. Allerdings ist<br />
das Essen dann meist auch einfach italienisch <strong>–</strong> also<br />
Pasta und Pizza, und die ganze Überraschung liegt<br />
darin, ob es hier auch die Pizza Hawaii oder doch die<br />
mit einem Spiegelei obenauf gibt <strong>–</strong> Mahlzeit. Man<br />
muss schon suchen, bis man in einem Restaurant in<br />
Deutschland oder England toskanische, venezianische<br />
oder umbrische Spezialitäten findet (und ich<br />
meine damit nicht nur eine Auswahl an Antipasti).<br />
Und was heißt hier Chinesisch In Wahrheit handelt<br />
es sich um die europäische standardisierte Variante<br />
der kantonesischen Küche. Selbst die berühmten<br />
Glückskekse stammen eigentlich aus Japan und<br />
wurden durch einen über Japan nach Amerika ausgewanderten<br />
Chinesen zum Inbegriff chinesischer<br />
<strong>Esskultur</strong>. Aber wie oft hat man das Glück, etwa in<br />
Soho in London, durch einen guten Freund, der sich<br />
wirklich auskennt, einmal in ein chinesisches Restaurant<br />
zu kommen, wo einem dann gedünsteter Fisch,<br />
würzige Würstchen und andere Leckereien serviert<br />
werden, die nichts mit den üblichen Acht Schätzen<br />
und Hühnchen/Schweinefleisch/Rindfleisch Sezuan<br />
zu tun haben. In Zeiten der globalisierten Einheitsküche<br />
wird also selbst die exotische Küche erst wieder<br />
als regionale Küche interessant. Nicht der Standardchinese<br />
oder Standarditaliener, der überall auf<br />
der Welt gleich ist, sondern jenes Restaurant, in dem<br />
man tatsächlich die Spezialitäten einer Region genießen<br />
kann, seien es die Marken oder die Küche<br />
von Hu Nan.<br />
Und dann noch Sushi. Wir sprachen ja bereits von<br />
fermentiertem Fisch. Sushi entstand genau daraus <strong>–</strong><br />
Fisch und Reis wurden zusammen fermentiert, um<br />
den Fisch so haltbar zu machen. Das Resultat war<br />
ein typischer säuerlicher Geschmack. Im 18. Jahrhundert<br />
entwickelte sich daraus in der japanischen<br />
Hochküche das moderne Sushi, indem man frischen<br />
Fisch mit Reis kombinierte, der mittels Reisessig gesäuert<br />
wurde. Man imitierte also den säuerlichen<br />
Geschmack des fermentierten Fisches, verwendete<br />
aber frischen, das heißt qualitativ sehr hochwertigen<br />
und teuren, Fisch. In dieser Form kam Sushi nun<br />
auch nach Europa, und wird hier recht allgemein für<br />
japanische Küche oder doch zumindest für japanische<br />
Gerichte mit rohem Fisch verwendet. Das kann<br />
wirklich lecker sein, und auch die Fließbänder, auf<br />
denen die Gerichte an einem vorbeigleiten, sind in<br />
japanischen Schnellrestaurants erfunden worden.<br />
Aber das Euro-English, in dem heute in dänischen,<br />
deutschen und anderen europäischen Restaurants<br />
für Sushi am Fließband geworben wird, kann einem<br />
wirklich den Appetit verderben. Oder wollen Sie<br />
wirklich „Running Sushi“ Roher Fisch, der Beine<br />
bekommt oder <strong>–</strong> eine Assoziation, die sich beim<br />
deutschsprachigen Leser unweigerlich einstellt <strong>–</strong><br />
schon am Rinnen ist Also wirklich! Die Volkskundler<br />
kennen den Begriff der gesunkenen Kultur <strong>–</strong> tiefer<br />
kann ein einst kaiserliches Gericht kaum noch<br />
sinken.<br />
Abb. 14: Running Sushi in Kopenhagen
Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />
Bleiben wir kurz beim Fisch. Sushi war also ursprünglich<br />
fermentierter, sprich haltbar gemachter<br />
Fisch. Eine verbreitete und besonders einfache Art<br />
der Konservierung ist das Trocknen. Der bekannteste<br />
getrocknete Fisch ist wohl der Stockfisch, hauptsächlich<br />
luftgetrockneter Kabeljau. Aber auch viele<br />
andere Fischsorten werden so haltbar gemacht.<br />
Wird der Fisch zusätzlich mit Salz konserviert spricht<br />
man von Klippfisch. Stockfisch und Klippfisch wurden<br />
und werden in großer Menge in Skandinavien<br />
und auf den Inseln im Nordatlantik hergestellt. Da<br />
dieser Fisch durch den Entzug des Wassers sehr<br />
leicht, gleichzeitig sehr hart ist, lässt er sich besonders<br />
gut transportieren. Seine große Haltbarkeit<br />
macht ihn dazu auch als Schiffsproviant auf langen<br />
Reisen ideal geeignet. In Wasser gelegt wird er wieder<br />
weich, behält seinen Geschmack und ist, wenn<br />
gesalzen, auch schon vorgewürzt <strong>–</strong> sozusagen ein<br />
klassisches Produkt der Convenience Food<strong>–</strong>Kultur.<br />
Seinen kulinarischen Siegeszug trat der Fisch<br />
aber erst in den Mittelmeerländern an, vor allem<br />
Portugal, Spanien und Venedig, wohin er bereits im<br />
Mittelalter durch die engen Handelsbeziehungen<br />
dieser Großmächte des Seehandels gelangte. Während<br />
in Skandinavien die Gerichte mit Stock- oder<br />
Klippfisch zwar sättigend, aber doch eher einfach<br />
sind, entwickelte sich in den Küstenregionen Portugals<br />
und Spaniens sowie in Venedig eine Vielzahl<br />
überaus wohlschmeckender Speisen mit dem Bacalhau<br />
(Portugal), Bacalao (Spanien), Baccalà oder<br />
Stoccafisso (Venedig) als Star. Begünstigt wurde<br />
diese Entwicklung durch den Reichtum an Gewürzen,<br />
der diesen Handelsnationen zur Verfügung<br />
stand, aber auch an einheimischen und im Laufe<br />
der Geschichte eingeführten Gemüsen (hier vor allem<br />
der Tomate), die in den südlichen Ländern<br />
ebenfalls reichlich vorhanden waren <strong>–</strong> und somit erlaubten,<br />
aus einem einfachen Hauptbestandteil raffinierte<br />
Gerichte zu kreieren.<br />
Nachdem wir Asterix und Obelix auf ihren Reisen<br />
durch Europa begleitet haben, wenden wir uns<br />
schließlich ihrem Heimatland zu. Gut <strong>–</strong> ihrem Heimatland<br />
im Comic. Denn dort sind das Gallien Caesars<br />
und das moderne Frankreich ein und das Selbe.<br />
Auf allen Karten, die das antike Gallien zeigen sollen,<br />
ist deutlich das heutige Frankreich zu erkennen<br />
<strong>–</strong> und wenn in „Asterix und Kleopatra“ ein ägyptischer<br />
Seemann eine Hieroglyphe für Gallien verwendet,<br />
so hat diese den Umriss Frankreichs. Gleich ein<br />
ganzes Heft ist der gallischen, pardon, französischen<br />
Küche gewidmet: „Le Tour de Gaule“, in der deutschen<br />
Fassung übersetzt als „Tour de France“. Das<br />
französische Original spricht also von der Tour durch<br />
Gallien, spielt dabei gleich noch auf den Namen des<br />
damaligen Staatspräsidenten Charles de Gaulle an,<br />
und zeigt auf dem Titelbild eine Karte Frankreichs.<br />
Gewisse Anlehnungen an das berühmte Radrennen,<br />
nach dem die deutsche Version benannt ist, sind<br />
zwar auch im Original unübersehbar, aber das wichtigste<br />
ist eben das Spiel mit der Gleichsetzung von<br />
Gallien und Frankreich, das es erlaubt, die Zeitgeschichte<br />
in der Verkleidung der historischen Geschichte<br />
zu kommentieren.<br />
In diesem Heft wollen Asterix und Obelix beweisen,<br />
dass es ihnen trotz aller Gegenmaßnahmen der<br />
römischen Besatzungsmacht möglich ist, sich frei<br />
durch ganz Gallien zu bewegen. Die Anspielungen<br />
auf die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg<br />
und auf die Resistance sind in diesem Heft besonders<br />
deutlich ausgeprägt. Als Beweis für diese Reise sollen<br />
die Beiden aus allen besuchten Orten die dortigen<br />
kulinarischen Spezialitäten mitbringen. Diese Aufgabenstellung<br />
ist nicht nur typisch für die Art, in der<br />
zeitgeschichtliche Anspielungen in den Asterix-Heften<br />
immer ironisch gebrochen werden, sondern auch<br />
für die besondere Bedeutung, die die Franzosen ihrer<br />
nationalen <strong>Esskultur</strong> zumessen. Dieser Band ist also<br />
ganz der regionalen Küche Frankreichs gewidmet.<br />
109
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
110<br />
Deshalb wird auch hier nicht mit Anachronismen<br />
gespart. Etwa wenn unsere Freunde aus Camaracum<br />
(Cambrais) Backpfeifen mitbringen sollen. Die<br />
lokale Spezialität sind Pralinen, Bêtises de Cambrai<br />
genannt, wörtlich übersetzt, Dummheiten aus Cambrais.<br />
In der deutschen Übersetzung des Heftes werden<br />
daraus die Backpfeifen <strong>–</strong> weil dieser Name zu<br />
(für den Leser) reizvollen Verwechslungen mit einer<br />
Lieblingstätigkeit von Obelix (das Verteilen eben solcher)<br />
führt. Die Pralinen werden in Cambrais in<br />
hübsch gestalteten Läden feilgeboten. Dumm nur,<br />
dass sie aus karamellisiertem Zucker bestehen. Zucker<br />
kannte man in römischer Zeit zwar schon, allerdings<br />
wurde er in winzigen Mengen aus dem Osten<br />
importiert und war so extrem teuer, dass er nur gelegentlich<br />
für medizinische Zwecke genutzt wurde.<br />
Die Bonbons hätte man also mit Gold aufwiegen<br />
können.<br />
Und was werden unsere Helden wohl in Durocortorum<br />
gekauft haben Der Ort heißt heute Reims<br />
und ist das Zentrum der Champagner-Produktion <strong>–</strong><br />
und worauf wäre man in Frankreich wohl stolzer, als<br />
Abb. 15: Die Szene beim Weinhändler in Reims aus der „Tour de France“. Man<br />
beachte die Fässer als Auflage für die Theke, die mit Weidenruten<br />
gebunden sind. Fässer als Lager- und Transportgefäß für Wein waren<br />
eine keltische Erfindung. Die Amphoren im Hintergrund stehen im Regal<br />
wie moderne Champagnerflaschen. In römischen Geschäften lagen sie in<br />
ähnlichen Holzregalen, wie Funde aus Pompeji zeigen.<br />
auf den König der Weine, die perlende Krone französischer<br />
Winzerkunst. Klar also, dass Asterix und<br />
Obelix hier Wein kaufen sollen. Die Frage von Asterix<br />
an den rotnasigen Weinhändler „Ist Euer Wein<br />
auch gut“ wird denn auch mit einem begeisterten<br />
Vortrag beantwortet: „Ihr scherzt wohl Das ist der<br />
Wein der Weine! Er ist besonders spritzig, perlt sogar,<br />
und man verwendet ihn bei großen Anlässen <strong>–</strong><br />
bei Galeerentaufen zum Beispiel…“. Kommentar<br />
überflüssig. Verkauft wird er in den modernen Geschmacksrichtungen<br />
Herb, Trocken, Halbtrocken<br />
und Süß <strong>–</strong> und zwar in niedlichen kleinen Amphoren<br />
mit Champagnerkorken (die leicht herausfliegen)<br />
und Etiketten, die ganz an moderne Champagnerflaschen<br />
erinnern.<br />
Den Wein hatten zwar schon die Griechen in Gallien<br />
eingeführt, und die ersten Weinberge legten sie<br />
im Umfeld ihrer Gründung Massilia (Marseille) an.<br />
Die Römer verbreiteten dann im Zuge ihrer Eroberungen<br />
und dem Ausbau einer römischen Provinzverwaltung<br />
den Weinbau im restlichen Gallien. Somit<br />
darf man den Anbau von Wein in Reims ruhig<br />
mit den Römern in Verbindung<br />
bringen <strong>–</strong> aber zum Sekt wurde<br />
der Wein erst viele Jahrhunderte<br />
später vergoren. Zur Zeit Caesars<br />
waren die Gallier ohnehin noch<br />
weitaus stärkere Weinkonsumenten<br />
denn Weinproduzenten. So<br />
berichten die griechischen Autoren<br />
von der Trinkfreude der Kelten,<br />
der Begeisterung der keltischen<br />
Fürsten und Adligen für den<br />
Wein, den sie teuer importieren<br />
mussten und für den sie bereit waren,<br />
selbst absurde Phantasiepreise<br />
zu bezahlen. Caesar machte<br />
sich diese Leidenschaft gallischer<br />
Krieger für den Wein zunutze, indem<br />
er feindliche Häuptlinge zu
Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />
Gesprächen einlud, ihnen ein wahres Festmahl bereitete,<br />
bei dem der Wein in Strömen floss <strong>–</strong> um sie<br />
in völlig berauschtem Zustand dann hilflos niedermetzeln<br />
zu lassen. Nachzulesen in seinem eigenen<br />
Bericht über den gallischen Krieg, De bello Gallico.<br />
Hier noch ein kleiner Einschub zur den kleinen<br />
Amphoren, in denen unsere Freunde den Champagner<br />
kaufen. Aus Ton gefertigte Amphoren waren<br />
das Transportbehältnis der Antike. In Ihnen wurden<br />
Wein wie Olivenöl oder Fischsoße (Garum) transportiert,<br />
aber sogar Getreide und andere feste Substanzen.<br />
Es gab sie in allen möglichen Formen, von den<br />
bekannten länglichen und spitz zulaufenden Exemplaren<br />
bis zu bauchigen, gedrungenen, ja kugelrunden<br />
Amphoren. Sie alle waren groß und schwer.<br />
Und wer Wein nicht im Krug in der Taverne kaufen<br />
wollte, der musste beim Weinhändler eine ganze<br />
Amphore kaufen. Da auch im antiken Rom Spitzenweine<br />
ihren Preis hatten, konnte das ganz schön<br />
teuer werden. Deshalb hatten Weinhändler tatsächlich<br />
Miniamphoren auf Vorrat, aus denen Kostproben<br />
der besten Weine ausgeschenkt werden konnten,<br />
bevor sich ein potenter Kunde für den Kauf<br />
einer oder auch mehrerer Amphoren entschied. Erst<br />
mit der Entwicklung des Weinbaus in den neu eroberten<br />
Provinzen Galliens betrat das Fass die Bühne<br />
der Önologie <strong>–</strong> als Transportmittel ebenso wie für<br />
den Reifungsprozess des Weins, der sich in Italien<br />
wie Griechenland ebenfalls in keramischen Großgefäßen,<br />
den sogenannten Dolien, abspielte.<br />
Doch zurück zu unserer kulinarischen Reise durch<br />
Gallien. In Nicae (Nizza) schlendern unsere Freunde<br />
über die Promenade der Bretonen <strong>–</strong> und kaufen<br />
eine Amphore voll Salat zum Mitnehmen. Dieses<br />
Mal ist es Obelix, der die Frage stellt: „Ist der gut,<br />
der Salat Nicaeoise“. Auch dies ist ein netter Anachronismus.<br />
Wenn es auch viele Rezepte für den<br />
„Salade niçoise gibt, das älteste übrigens aus dem<br />
Jahr 1893, so enthält er in jedem Fall Kartoffeln und<br />
Tomaten, die bekanntlich ja erst aus Amerika eingeführt<br />
wurden.<br />
Von Nizza geht es weiter nach Marseille. Natürlich<br />
sollen Asterix und Obelix von hier eine Bouillabaisse<br />
mitbringen. Immerhin ist eine Fischsuppe in<br />
der Hafenstadt Marseille auch in römischer Zeit zu<br />
erwarten, und selbst die wichtigste Zutat für die<br />
Bouillabaisse, der Safran, wurde von den Römern<br />
bereits importiert <strong>–</strong> er war allerdings auch in römischer<br />
Zeit ausgesprochen teuer. Natürlich machte<br />
ihn diese Eigenschaft auch zu einer so wichtigen Zutat<br />
für die historische Bouillabaisse, ein Zeichen dafür,<br />
dass man sich in einer reichen Handelsmetropole<br />
eine solche Extravaganz leisten konnte. Allerdings ist<br />
auch die Bouillabaisse in ihrer heutigen Form recht<br />
jung, das erste Rezept stammt aus dem Jahr 1830<br />
und enthielt vor allem teure Edelfische. Damit gehört<br />
dieses Gericht eindeutig der Hochküche an.<br />
Sollte es tatsächlich, wie manche behaupten, auf<br />
eine einfache Grundform zurückgehen, die aus kleinen<br />
Fischen und Fischresten zubereitet wurde, so ist<br />
in den historischen Rezepten davon nichts zu spüren.<br />
In römischer Zeit wurden solche Fischlein und<br />
Fischreste übrigens zu Garum verarbeitet, der berühmten<br />
Fischsauce, die von den Römern wie heute<br />
Ketchup zu fast allen Speisen genommen wurde.<br />
Immerhin war Massilia für sein qualitätsvolles und<br />
teures Garum bekannt. Die Bouillabaisse enthält übrigens<br />
auch wieder Tomaten <strong>–</strong> man sieht, unsere<br />
heutige Küche wäre ohne die Entdeckung Amerikas<br />
einfach undenkbar.<br />
Zur Bouillabaisse genießen die Massilioten bei Asterix<br />
auch noch Pastis. Zwar ist dies heute ein beliebtes<br />
Getränk in Frankreich, und Anisschnäpse sind<br />
allgemein im Mittelmeerraum weit verbreitet, aber<br />
hochprozentige Spirituosen gibt es erst seit dem<br />
Mittelalter durch die Entwicklung der Destillationstechnik,<br />
nicht zuletzt dank des hohen Interesses an<br />
der Alchemie. Bezeichnender Weise gelten die mit-<br />
111
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
112<br />
Abb. 16: Szene im Speisesaal einer römischen Kaserne in „Asterix als Legionär“. Die<br />
Unzufriedenheit der Rekruten aus Ägypten, Makedonien, Belgien, Germanien<br />
und Gallien mit dem Essen wird deutlich zum Ausdruck gebracht. Einzige<br />
Ausnahme: der Brite. Die bunte Zusammensetzung der Truppe ist an der<br />
französischen Fremdenlegion orientiert, allerdings waren alle diese Völker auch<br />
in der römischen Armee vertreten, wenn auch in sogenannten Auxiliarien<br />
(Hilfstruppen), die meist aus Angehörigen einer Region bestanden.<br />
telalterlichen Klöster als Geburtsort der ersten Brände<br />
und Schnäpse.<br />
Die Tour de France bietet sich also durchaus als<br />
kulinarischer Reiseführer durch Frankreich an, wenn<br />
auch nicht als historische Lektüre zu den Essgewohnheiten<br />
von Galliern oder Römern. Für Uderzo<br />
und Goszinny bestand das größte Problem allerdings<br />
in der Beschränkung auf die 48 Seiten eines Comic-<br />
Albums. Sie hätten so gerne noch viel mehr Spezialitäten<br />
aus ganz Frankreich vorgestellt…<br />
Neben der klassischen regionalen Küche erzählen<br />
die Asterix-Hefte aber auch einiges über die antike<br />
Küche, etwa über die Verpflegung in der römischen<br />
Armee. Besonders schön wird diese in dem Band<br />
„Asterix als Legionär“ dargestellt. Hier speisen die<br />
eben angeworbenen Rekruten in einem großen<br />
Speisesaal und bekommen da einen Eintopf vorgesetzt,<br />
der keineswegs Begeisterung auslöst (außer<br />
bei dem britischen Kameraden, der ihn für köstlich<br />
hält…). Durch den Gehilfen des Kochs erfahren wir,<br />
dass es sich dabei um die tägliche Ration aus Korn,<br />
Speck und Käse handelt, die aus Rationalisierungsgründen<br />
zusammen gekocht werden. Tatsächlich<br />
waren Dörrfleisch, Korn, saurer Wein und Olivenöl<br />
die Grundration römischer Soldaten. Diese mussten<br />
sie üblicherweise selbst zubereiten. Allerdings haben<br />
sich in großen Legionslagern mit dauerhafter Einrichtung,<br />
etwa in Mainz, auch „Kantinen“ gefunden,<br />
in denen die Soldaten offensichtlich gemeinschaftlich<br />
aus einer Großküche verpflegt wurden.<br />
Die Zahl von acht Rekruten, die in diesem Heft zu<br />
einem Team zusammengestellt werden, entspricht<br />
ebenso der römischen Realität. Diese Achtergruppen,<br />
Contubernium genannt, stellten die kleinste<br />
taktische Einheit der römischen<br />
Armee dar und teilten<br />
sich ein Zelt, eine Handmühle<br />
zum Mahlen des Getreides,<br />
das Kochgeschirr <strong>–</strong><br />
und einen Esel oder<br />
Maultier zum Tragen des<br />
sperrigen Gepäcks, das sie<br />
nicht selbst auf dem Rücken<br />
(bzw. der Schulter)<br />
transportieren konnten.<br />
Wie wir in dem Band<br />
„Asterix und der Avernerschild“<br />
erfahren, bleibt die<br />
ständige Völlerei selbst für<br />
hartgesottene Gallier nicht<br />
ohne Konsequenzen. Auch<br />
hier spielen die Autoren mit<br />
antiken Motiven. So beschreiben<br />
griechische wie<br />
römische Autoren die Gallier<br />
als der Völlerei zugetan.<br />
Sie lieben Festmahle und
Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />
sind im Essen wie Trinken<br />
maßlos. Als der Häuptling<br />
Majestix sich deshalb ein<br />
Leberleiden zuzieht, wird<br />
er vom Druiden des Dorfes<br />
auf Kur geschickt <strong>–</strong> nach<br />
Aquae Calidae, dem heutigen<br />
Vichy. Aquae Calidae<br />
ist eine römische Gründung.<br />
Der Name, übersetzt<br />
„die heißen Wasser“, verweist<br />
bereits auf die Heilquellen<br />
vor Ort. Tatsächlich<br />
hatten die Römer eine Leidenschaft<br />
für Heilbäder,<br />
man denke nur an Badenweiler<br />
oder Aachen, wo<br />
ebenfalls große Thermen<br />
und regelrechte Kurbetriebe<br />
von den Römern angelegt wurden.<br />
Abb. 17: „Asterix und der Arverschild“. Der Kurbetrieb in Aquae Calidae (Vichy) in all<br />
seinen gesundheitsfördernden Aspekten…<br />
Die Reise nach Aquae Calidae wird zum gastronomischen<br />
Streifzug, gewissermaßen in Kurzform<br />
eine Wiederholung der Tour der France. Besonders<br />
hübsch ist die Darstellung des Heilbads selbst, in<br />
dem Majestix nicht nur das heilende Wasser zu trinken<br />
hat (in regelmäßigen Abständen, wie es dem<br />
modernen Kurbetrieb entspricht), sondern auch<br />
einer Kaltwasserkur unterzogen wird. Letztere erinnert<br />
an moderne Kneippkuren, allerdings hatte der<br />
Leibarzt des Kaisers Augustus, Antonius Musa, eine<br />
solche Kur für seinen hohen Patienten entwickelt <strong>–</strong><br />
was um die Zeitenwende in Rom in der besseren Gesellschaft<br />
zu einem frühen Boom der Kneippkultur<br />
führte. Kern der Kur aber ist die ausgeklügelte Diät<br />
(bestehend aus im Wasser gedünstetem Gemüse),<br />
die bei dem fleischliebenden Majestix nicht gerade<br />
auf Begeisterung stößt.<br />
Zwar kannte die Antike unsere modernen Fastendiäten<br />
noch nicht, allerdings hatte sich in der griechischen<br />
und römischen Medizin eine eigenständige<br />
Lehre, die Diätetik, entwickelt. Sie basierte auf der<br />
Viersäfte-Lehre, wonach im Körper des Menschen<br />
vier Säfte regieren, Blut, Schleim (Lymphe), schwarze<br />
und gelbe Galle. Diesen Säften wurden wieder die<br />
vier Grundeigenschaften trocken, feucht, kalt und<br />
warm zugeordnet. Gerieten sie aus dem Gleichgewicht,<br />
wurde der Mensch krank. Gesunden konnte<br />
er nur, indem die Eigenschaften wieder ausbalanciert<br />
wurden <strong>–</strong> durch eine Diät, die wiederum darauf<br />
fußte, dass auch allen Lebensmitteln diese vier<br />
Grundeigenschaften zugeschrieben wurden. Wurde<br />
also die Konstitution eines Menschen als zu trocken<br />
und zu warm beschrieben, musste er Speisen zu sich<br />
nehmen, die als nass und kalt eingestuft wurden.<br />
Eine solche Verpflegung konnte sehr kompliziert<br />
und teuer sein, weshalb etwa der stets zornige Cato<br />
der Ältere (der Cato, der alle seine Reden mit der<br />
Aufforderung beendete, doch endlich das lästige<br />
Karthago zu zerstören) in seinem Buch über die<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> solche griechischen Kinkerlitzchen<br />
113
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
114<br />
auch rundweg ablehnt. Für<br />
ihn gibt es ein einfaches,<br />
ländliches Allheilmittel <strong>–</strong><br />
den Kohl. Ob gegessen, als<br />
Blätter auf Wunden oder<br />
Geschwüre gelegt, oder als<br />
ein Absud zum Trinken<br />
oder Einreiben <strong>–</strong> alle Leiden<br />
lassen sich damit bekämpfen.<br />
Und wenn nicht, dann<br />
soll man den Dingen eben<br />
ihren Lauf lassen und nicht<br />
unsinnig viel Geld, Zeit und<br />
Energie in absurd langwierige<br />
und komplizierte Heilmethoden<br />
stecken. Da<br />
passt es gut, dass es in<br />
dem Heft „Asterix bei den<br />
Belgiern“ zu einem Konflikt<br />
zwischen Caesar und einem römischen Senator<br />
kommt, dessen Rede zur Not der Brassica-Bauern<br />
(Brassica = Kohl) wegen einer anhaltenden Dürreperiode<br />
von Caesar rüde unterbrochen wird. Nach<br />
mehreren Einwänden des unterbrochenen Redners<br />
ruft Caesar erzürnt aus: „Weißt du, wohin du deine<br />
Brassica pflanzen kannst“ gefolgt von der Anweisung<br />
an den Stenographen:<br />
„Streich den letzten Zwischenruf<br />
Caesars! Als Zitat für die Nachwelt<br />
denkbar ungeeignet!“ (Exkurs:<br />
Ciceros Privatsekretär Tiro<br />
hatte die erste Kurzschrift der<br />
Geschichte entwickelt, die „notae<br />
Tironis“. Berichte aus den Senatssitzungen<br />
wurden in Rom in<br />
Form von Wandzeitungen, den<br />
„Acta Diurnia“, das heißt Tagesnachrichten,<br />
veröffentlicht. Eingeführt<br />
hatte sie kein anderer als<br />
Gaius Julius Caesar.)<br />
Abb. 18: In „Asterix bei den Belgiern“ spielt sich diese Szene im römischen Senat ab, bei<br />
der die Brassica (der Kohl) die Hauptrolle spielt.<br />
Auch zur römischen Küche selbst wissen die Asterix-Hefte<br />
manches zu erzählen. Im Band „Asterix<br />
und der Kupferkessel“ sehen wir unsere Freunde<br />
beim Frühstück in ihrer Herberge. Die Szene mutet<br />
auf den ersten Blick sehr modern an, sie sitzen am<br />
Tisch mit einem Korb voll Brötchen, und der Wirt<br />
schenkt ihnen ein heißes, bräunliches Getränk ein.<br />
Abb: 19: Darstellung einer römischen Herberge mit Frühstückstisch in „Asterix als<br />
Gladiator“. Man beachte im Hintergrund das Colosseum <strong>–</strong> das erst ein<br />
Jahrhundert nach Caesar von den Flaviern erbaut wurde.
Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />
Abb. 20: In den „Lorbeeren des Caesar“ findet sich diese hübsche Darstellung einer<br />
römischen Taverne <strong>–</strong> einschließlich der steinernen Rundtische, wie sie<br />
etwa in der Taverne am Haus der Julia Felix in Ostia gefunden wurden.<br />
Tatsächlich gab es Herbergen für Reisende in römischer<br />
Zeit, auch wenn ihre Qualität oft zu wünschen<br />
übrig ließ. Dort lag man auch nicht zu Tisch, wie es<br />
in einem römischen Privathaus üblich, oder auch in<br />
manchen guten Lokalen möglich war, sondern man<br />
saß auf Stühlen, oder wie hier, eher auf Hockern an<br />
einem runden Tisch. Brötchen gab es wirklich, sie<br />
sind auf den Grabsteinen von Bäckern dargestellt<br />
und haben sich in Pompeji in Negativform im Bims<br />
des Vulkanausbruchs erhalten. Und wenn man bei<br />
dem Heißgetränk aus der Kanne auch an Kaffee<br />
denkt, so könnte es sich dabei ebenso gut um Pulsum<br />
handeln, ein aus Essig und Wasser zubereitetes<br />
Getränk, das morgens auch gerne heiß<br />
getrunken wurde. Das römische Frühstück<br />
war eher frugal: Brot, Oliven und<br />
Käse gehörten dazu, aber auch Fleisch<br />
war nicht ausgeschlossen. Zwar eher in<br />
Form von Dörrfleisch, aber es sei Obelix<br />
gegönnt, dass er sich lieber eine Wildschweinkeule<br />
geschnappt hat.<br />
Die feudale Version des Imbiss wird<br />
uns in „Asterix als Gladiator“ vorgeführt.<br />
Hier stehen in einem offenen<br />
Raum drei Klinen (Liegen) U-förmig um<br />
den Tisch <strong>–</strong> die klassische Anordnung<br />
im Esszimmer der Römer. Auf<br />
einer Kline können bis zu drei Personen<br />
Platz nehmen. Daher galt<br />
in Rom die Regel: zum Essen nie<br />
weniger als drei Personen (damit<br />
jede Kline belegt ist) und nicht<br />
mehr als neun Personen (damit<br />
alle um einen Tisch liegen können).<br />
Natürlich waren viele<br />
Abendessen in reichen römischen<br />
Haushalten formale Angelegenheiten<br />
mit sehr viel mehr Gästen,<br />
doch entstand so eine klare<br />
Unterscheidung zwischen wichtigen<br />
und unwichtigen Gästen, die immer weiter weg<br />
vom Tisch des Gastgebers Platz nehmen mussten.<br />
Wurden dann noch unterschiedliches Essen und<br />
Weine verschiedener Qualität gereicht, so galt dies<br />
als besonders unfein <strong>–</strong> wird aber von den römischen<br />
Autoren des ersten Jahrhunderts immer wieder als<br />
durchaus übliche Vorgehensweise gebrandmarkt.<br />
Die römische Küche ist heute berühmt für ihre<br />
ausgefallenen Speisen. Wer jedoch das Kochbuch<br />
des Apicius durchliest, wird viele Rezepte finden, die<br />
auch heute noch nachgekocht werden können und<br />
als wohlschmeckend gelten dürfen. Manche Zutaten<br />
oder auch bestimmte Tiere werden heute nicht<br />
Abb. 21: „Asterix als Gladiator“ <strong>–</strong> Darstellung eines römischen Esszimmers<br />
(Triclinium <strong>–</strong> abgeleitet von Drei Klinen).<br />
115
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
116<br />
mehr gegessen <strong>–</strong> aber dies ist, wie etwa bei den gemästeten<br />
Haselmäusen, mehr eine Frage der jeweiligen<br />
<strong>Esskultur</strong>. Dagegen werden in gesellschaftskritischen<br />
Romanen, wie etwa dem Satyricon des Petronius,<br />
auch wirklich ausgefallene und manchmal eher<br />
ekelhafte Spezialitäten aufgeführt, mit denen sich<br />
besonders Neureiche zu produzieren suchen. Wenn<br />
unseren Freunden in Rom hier aber Pasteten nach<br />
einem völlig neuen Rezept aus Nachtigallenzungen<br />
aus Nordgallien, Kaviar aus dem Inneren des Barbarenlandes<br />
sowie Krabbenzahnfleisch aus der Mongolei<br />
angeboten werden, so ist dies natürlich seinerseits<br />
eine satirische Überspitzung eines gängigen<br />
Vorurteils. Der Kommentar von Obelix, auf die Frage<br />
wie es denn geschmeckt habe, wäre ganz im Sinne<br />
des Petronius <strong>–</strong> kurz und bündig lautet sein Urteil:<br />
„salzig“.<br />
Solche Spielereien kommen denn auch öfter in<br />
den Asterix-Heften vor. In der „Trabantenstadt“<br />
träumen städtische Römer in der gallischen Provinz<br />
von Wurstpellenmarmelade, Anchoviskonfitüre und<br />
Makrelenaugen in Aspik. Und in den „Lorbeeren des<br />
Caesar“ präsentiert der neureiche Schwager von<br />
Majestix in Lutetia (Paris) den Verwandten aus dem<br />
Dorf voller Stolz Spezialitäten wie Rinderfüße à la<br />
Abb. 2: In „Die Trabantenstadt“ träumen Römer von den heimischen Leckereien im<br />
gallischen Exil.<br />
créme und Biberschwänze in Himbeersoße. Die luxuriöseste<br />
Schlemmerei von fraglichem Geschmack<br />
leistet sich allerdings in „Asterix und Kleopatra“ die<br />
berühmte ägyptische Königin: Perlen in Essig aufgelöst.<br />
Diese Verschwendung wird ihr tatsächlich nachgesagt.<br />
Zumindest technisch ist es möglich <strong>–</strong> Perlen<br />
lösen sich in Säure auf, und Essig war auch in der<br />
Antike schon bekannt. Ob das daraus resultierende<br />
Getränk wirklich perlt und wie es schmeckt <strong>–</strong> das<br />
muss der geneigte Leser schon im Selbstversuch herausfinden.<br />
Die Masse der Ägypter lebte sehr viel einfacher.<br />
Laut Asterix ernähren sie sich vor allem von Linsen.<br />
Diese gehören tatsächlich zu den ältesten Kulturpflanzen<br />
und werden sogar in der Bibel erwähnt <strong>–</strong><br />
für ein Linsengericht verkauft Esau sein Erstgeburtsrecht<br />
an Jakob. Aus verschiedenen Quellen wissen<br />
wir, dass die ägyptischen Arbeiter etwa beim Bau<br />
der Pyramiden oder der neuen Hauptstadt von Ramses<br />
II., dem Großen, mit einer Ration von Korn,<br />
Zwiebeln, Bier und Speiseöl bezahlt wurden. Aus<br />
Ägypten ist auch der erste Streik der Geschichte<br />
überliefert: weil die Arbeiter an den Königsgräbern<br />
unter Pharao Ramses III., im 12. Jahrhundert vor<br />
Christus, nicht genügend dieser Grundnahrungsmitteln<br />
erhielten, legten sie die Arbeit<br />
nieder, bis ihre Beschwerden behoben<br />
wurden.<br />
Einige ganz besondere Rezepte<br />
verdienen noch Erwähnung. Vor<br />
allem natürlich das Rezept des berühmten<br />
Zaubertranks. Leider<br />
wird dieses Rezept nur von Druidenmund<br />
zu Druidenohr weitergegeben.<br />
Deshalb kann darüber<br />
nur soviel gesagt werden, dass<br />
sich unter den Zutaten Misteln befinden,<br />
die mit einer goldenen Sichel<br />
geschnitten werden müssen.
Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />
Der einzige weitere gesicherte<br />
Inhaltsstoff ist Erdöl,<br />
das in dem Heft „Die Odyssee“<br />
schließlich umweltfreundlich<br />
(und auch geschmacksverbessernd)<br />
durch Rote-Rübensaft ersetzt<br />
werden kann. Hummer<br />
wird nur zur Geschmacksverbesserung<br />
beigefügt<br />
<strong>–</strong> und Erdbeeren<br />
sind eine Erfindung von Asterix<br />
im allerersten Band,<br />
um die Römer in die Irre zu<br />
führen.<br />
Anders das Rezept<br />
gegen Kater, das Asterix<br />
und Obelix zufällig während<br />
ihres Abenteuers in<br />
Rom in den „Lorbeeren des<br />
Caesar“ erfinden. Es enthält:<br />
Marmelade, Pfeffer, Salz, Nieren,<br />
Feigen, Kernseife, ein ungerupftes<br />
Huhn, Honig, Pfefferschoten,<br />
Blutwurst, Eier, Granatapfelkerne<br />
und noch mehr Pfeffer und Pfefferschoten.<br />
Dies wird alles in einem<br />
Topf verkocht. Das Resultat ist als<br />
Katermittel überaus wirksam. Wegen<br />
der Nebenwirkungen lesen Sie<br />
bitte „Die Lorbeeren des Caesar“<br />
oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.<br />
Ganz nebenbei wird uns in<br />
dieser Szene ein guter Einblick in die<br />
Küche eines reichen römischen<br />
Haushalts gegeben, inklusive römischer<br />
Herdstelle, Feuerrost und Anschluss<br />
an den örtlichen Aquädukt<br />
mit fließendem Wasser in der Küche.<br />
Abb. 22: In den „Lorbeeren des Caesar“ bekommen wir auch einen guten Einblick in die<br />
Küche eines wohlhabenden römischen Haushalts <strong>–</strong> mit viel Liebe zum Detail: Man<br />
beachte den Brunnen in der Ecke mit fließend Wasser, den gemauerten Herd mit<br />
Bratrost oder die zweizinkige Gabel auf dem Tisch.<br />
Abb. 23: In „Die Lorbeeren des Caesar“ entdecken Asterix und Obelix zufällig das<br />
perfekte Katermittel <strong>–</strong> hier der Beipackzettel mit den üblichen Nebenwirkungen.<br />
Zu den dekadenten Spätfolgen gehört auch der Untergang Roms.<br />
117
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
118<br />
Eine eher makabere Pointe leisten sich die Autoren,<br />
nachdem unsere Freunde im selben Heft zum Tod<br />
„ad bestias“ in der Arena verurteilt wurden. Im Kerker<br />
werden ihnen alle möglichen Leckereien gebracht,<br />
was vom Kerkerwärter so kommentiert wird: „Ja, das<br />
ist der Vorteil, wenn man verurteilt wird, den Bestien<br />
vorgeworfen zu werden: Da gibt’s immer leckere Sachen<br />
zu essen. Wogegen die Leute, die vom Tarpeischen<br />
Felsen hinuntergestürzt werden, vorher nur<br />
schwere, magenfüllende Sachen zu essen bekommen.“<br />
Der Sturz vom Tarpeischen Felsen (hinter dem<br />
Kapitol gelegen) war für Verräter vorgesehen. Eine<br />
besondere Diät für Verurteilte gab es bei den Römern<br />
natürlich nicht, auch eine Henkermahlzeit war nicht<br />
vorgesehen <strong>–</strong> und die Haftbedingungen vor der Vollstreckung<br />
waren alles andere als angenehm.<br />
Wenn am Ende des Heftes Majestix seinen arroganten<br />
Schwager allerdings mit einem Kinnhaken<br />
ins Reich der Träume schickt, nachdem dieser das<br />
mit den Lorbeeren Caesars gewürzte Ragout kritisiert<br />
und statt Lorbeeren Fenchel empfohlen hatte,<br />
passt dies wieder gut zu den antiken Quellen. Betonen<br />
diese doch die Streitlust der Gallier, die bei<br />
wein- und bierseligen Gelagen leicht zu Handgreiflichkeiten<br />
führte. Und worüber ließe sich im Land<br />
der Haut Cuisine auch trefflicher streiten, als über<br />
die richtigen Gewürze.<br />
Eine eher abgelegene Nutzung der Nahrungsmittel<br />
wird in dem Heft „Der Seher“ vorgeführt, in dem<br />
ein Scharlatan, der sich als Seher ausgibt, aus wirklich<br />
allem, das ihm angeboten wird, die Zukunft lesen<br />
möchte: aus dem Fisch des Fischhändlers Verleihnix<br />
(der schon etwas stark riecht und nicht mehr<br />
die allerneusten Nachrichten enthält), ebenso wie<br />
aus Idefix (was Obelix zu verhindern weiß) oder aus<br />
Cervisia, also Bier, am besten frisch gezapft. Die Sitte,<br />
aus den Eingeweiden von Opfertieren die Zukunft<br />
zu lesen, war in Rom zwar etabliert, galt aber<br />
als etruskische Eigenart und wurde von einem Haruspex<br />
ausgeübt, dessen etruskisches Gewand seine<br />
Fremdheit betonte. Typisch römisch waren die Interpretation<br />
des Vogelfluges, von Blitz und Donner und<br />
Beobachtung des Aufpickens speziell ausgestreuter<br />
Körner durch die heiligen Hühner.<br />
Da bei den zahlreichen Tieropfern üblicherweise<br />
nur die Eingeweide auf dem Opferaltar verbrannt<br />
wurden, konnte das Fleisch der Opfertiere günstig<br />
verkauft oder sogar an Bedürftige verschenkt werden<br />
<strong>–</strong> eine karitative Maßnahme der Tempel. Da Opfertiere<br />
jung und makellos sein sollten, handelte es<br />
sich um Fleisch sehr guter Qualität <strong>–</strong> eine seltene Gelegenheit<br />
für viele ärmere Römer. So fand dieser<br />
Brauch sogar in den Briefen des Apostels Paulus seinen<br />
Niederschlag, angesichts der Frage, ob gläubige<br />
Christen dieses Opferfleisch essen dürften oder<br />
nicht. Er kommt zu einer überaus pragmatischen<br />
Antwort: da die heidnischen Götter nicht existierten,<br />
sei im Opferfleisch prinzipiell nur ein billiges Fleisch<br />
zu sehen, das man unbedenklich essen könne. Da<br />
dies aber zu Zwistigkeiten in der Gemeinde führen<br />
könne, solle man es unterlassen <strong>–</strong> im Interesse derer,<br />
die nicht so gefestigt im Glauben seien.<br />
Man sieht, mit Asterix lässt sich eine überaus<br />
unterhaltsame und geschmackvolle Reise durch die<br />
Welt des Kulinarischen machen <strong>–</strong> historisch, regional<br />
und soziologisch voller Überraschungen, unerwarteter<br />
Volten und erstaunlicher Einsichten. Die Begeisterung<br />
unserer gallischen Freunde für gutes Essen,<br />
ihre Erfahrungen mit der regionalen Küche fast aller<br />
Gegenden Europas (und in einigen jüngeren Heften<br />
auch darüber hinaus, doch darauf sollte hier nicht<br />
näher eingegangen werden) und ihre Unbekümmertheit<br />
mit den Grenzen von Zeit und Raum (man<br />
denke an all die hübschen Anachronismen) sollten<br />
uns ermutigen, der regionalen Küche auch heute<br />
den ihr gebührenden Raum zu geben. Nicht in dem<br />
Versuch, die Küche einer ganz bestimmten Zeit museal<br />
zu konservieren, sondern mit derselben Phanta-
Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />
sie und Aufgeschlossenheit, die<br />
den Reichtum unserer vielen kulinarischen<br />
Regionen in Europa erst<br />
ermöglichte. Schließlich <strong>–</strong> wo wären<br />
wir heute ohne all die im Laufe<br />
der Geschichte eingeführten Lebensmittel<br />
Ohne Tomaten, Paprika,<br />
Pute, Schokolade aus Amerika,<br />
ohne Zucker, Safran, Pfeffer und<br />
viele andere Gewürze aus Indien<br />
und Ceylon, ohne Kaffee aus Arabien<br />
und Tee aus China Daneben<br />
lassen sich aber auch viele alte<br />
Kräuter und Pflanzen wieder entdecken,<br />
alte Hausrassen und spezielle<br />
Zubereitungsarten, die typisch<br />
für eine bestimmte Landschaft<br />
sind. Es lassen sich Speisen<br />
entdecken (und bewahren), die<br />
eine Geschichte zu erzählen haben, über alte Handelsbeziehungen<br />
ebenso wie über die klimatischen<br />
Bedingungen, soziale Gegebenheiten und historischen<br />
Ereignisse, denen sie zu verdanken sind. Für<br />
die Väter von Asterix und Obelix, für Albert Uderzo<br />
und Rene Goszinny, war die <strong>Esskultur</strong> ganz offensichtlich<br />
ein äußerst wichtiger Bestandteil der Kultur<br />
und Geschichte, die sie erzählen wollten. So gesehen,<br />
können die Geschichten um die beiden munteren<br />
Gallier auch ein Beispiel für die Entwicklung der<br />
regionalen Küche setzen <strong>–</strong> mutig, frech und unbeschwert<br />
<strong>–</strong> und immer mit gutem Appetit.<br />
Quellen:<br />
Madame d’Aulnoy (Marie-Catherine Baronne d’Aulnoy).<br />
Mémoires de la cour d’Espagne. Paris 1692<br />
Apicius (Marcus Gavius Apicius zugeschrieben). De re coquinaria:<br />
Über die Kochkunst. Die Rezeptsammlung geht<br />
möglicherweise auf ein Werk des Apicius aus der ersten<br />
Hälfte des 1. Jhs. n.Chr. zurück und wurde wahrscheinlich<br />
Abb. 24: Eine Werbung, die kürzlich die Franzosen empörte: Die munteren Gallier<br />
feiern ein Fest unter den goldenen Bögen einer amerikanischen<br />
Fast-Food-Kette.<br />
im 3. bis 4. Jh. überarbeitet und ergänzt. U.a. bei Reclam,<br />
Stuttgart 1991, herausgegeben von Robert Maier<br />
Jean Anthèlme Brillat-Savarin. Physiologie des Geschmacks<br />
oder Gedanken zur transzendenten Gastronomie. Im Original<br />
erschienen im Todesjahr des Autors, 1826. Deutsche<br />
Ausgabe etwa als Insel-Taschenbuch 423.<br />
Marcus Portius Cato. De agricultura: Über den Ackerbau.<br />
Um 150. Zum Kohl: 156, und zum wilden Kohl: 157. U.a.<br />
bei Reclam, Stuttgart 2009. Online-Text unter: http://la.wikisource.org/wiki/De_agri_cultura<br />
Charles Dickens. The Pickwick Papers. Erstveröffentlichung<br />
als Serie 1836<strong>–</strong>37, als Buch 1837. Als Online-Text unter:<br />
http://www.online-literature.com/dickens/pickwick/<br />
Joseph Gérard. Curiosités de la table dans les Pays-Bas Belgiques.<br />
Manuskript 1781. Veröffentlicht in Paul Ilegems,<br />
De Frietkotcultuur. Loempia 1993<br />
Jakob Michael Reinhold Lenz. Der Hofmeister oder Vorteile<br />
der Privaterziehung. Eine Komödie. Leipzig 1774. Als Online-Text<br />
im Projekt Gutenberg unter: http://gutenberg.<br />
spiegel.de/id=5&xid=1596&kapitel=1#gb_found<br />
Paulus, 1. Korintherbrief, Kapitel 8<br />
Petronius Arbiter. Satyricon. Entstanden vor 66 n.Chr. U.a.<br />
bei Reclam, Stuttgart 1975, herausgegeben von Harry C.<br />
Schnur<br />
119
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Friedrich Schiller. Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon.<br />
Universalhistorische Vorlesungen auf der Universität<br />
Jena, erstmals erschienen in der Thalie, Heft 11, 1790. Online-Text<br />
im Projekt Gutenberg unter: http://gutenberg.<br />
spiegel.de/id=5&xid=2419&kapitel=1#<br />
Rudolf Virchow. Die Noth im Spessart: Eine medicinischgeographisch-historische<br />
Skizze. Verhandlungen der<br />
phys.-med. Gesellschaft, Band III. Würzburg 1852. Reprint<br />
Bad Orb 1998.<br />
Sekundärliteratur:<br />
ANDRÉ, J. (1998): Essen und Trinken im alten Rom. <strong>–</strong> Stuttgart.<br />
BRODERSEN, K. (Hrsg.) (2001): Asterix und seine Zeit: Die<br />
große Welt des kleinen Galliers. <strong>–</strong> München.<br />
BIRLEY, R. (1978): Vindolanda: Eine römische Grenzfestung<br />
am Hadrianswall: Neue Entdeckungen der Archäologie. <strong>–</strong><br />
Bergisch Gladbach.<br />
BIRLEY, R. (1982): Roman Vindolanda: Offical guide to the<br />
Roman remains and the museum. <strong>–</strong> Carvoran.<br />
ERMISCHER, G. (1994): Die Funde aus der „Alten Dechantei“.<br />
In: Jenderko-Sichelschmidt, I., Marquart, M. u. Ermischer,<br />
G.: Stiftsmuseum der Stadt Aschaffenburg, S. 69<strong>–</strong>73. <strong>–</strong><br />
München.<br />
KOBBE, P. v. (1837): Geschichte und Landesbeschreibung<br />
des Herzothums Lauenburg: Dritter Theil, S. 140. <strong>–</strong><br />
Altona.<br />
PACZENSKY, G. V., DÜNNBIER, A. (1994): Leere Töpfe, volle<br />
Töpfe: Die Kulturgeschichte des Essens und Trinkens. <strong>–</strong><br />
München.<br />
PLETICHA, H., Schönberger, O. (Hrsg.) (1980): Die Römer: Ein<br />
enzyklopädisches Sachbuch zur frühen Geschichte Europas.<br />
<strong>–</strong> Gütersloh.<br />
ROYEN, R. VAN, VEGT, S. VAN DER (1998): Asterix: Die ganze<br />
Wahrheit. <strong>–</strong> München.<br />
ROYEN, R. VAN, VEGT, S. VAN DER (2001): Asterix: Auf großer<br />
Fahrt. <strong>–</strong> München.<br />
REYNETTE, F. (1997): Un petit voyage ethnographique dans<br />
L´Exposition Asterix. <strong>–</strong> Paris.<br />
WEEBER, K.-W. (1993): Die Weinkultur der Römer. <strong>–</strong> Zürich.<br />
WELLS, P. S. (1995): Identities, Material Culture, and<br />
Change: „Celts“ and „Germans“ in Late-Iron-Age Europe.<br />
<strong>–</strong> London.<br />
Zu Asterix online zu empfehlen das deutsche Asterix-<br />
Archiv unter: http://www.comedix.de/<br />
Zu den Kuriosa rund um den Surströmming: http://de.wikipedia.org/wiki/Surströmming<br />
•<br />
120
Pia Wilhelm: Exkursion ins Naturschutzgroßprojekt Pfrunger-Burgweiler Ried<br />
Exkursion ins Naturschutzgroßprojekt<br />
Pfrunger-Burgweiler Ried<br />
Pia Wilhelm<br />
Eine Exkursion führte die Tagungsteilnehmer<br />
ins Pfrunger-Burgweiler<br />
Ried. Bernd Reißmüller, Projektleiter<br />
des Naturschutzgroßprojekts, gab zuerst<br />
eine Einführung in die Zielsetzung<br />
und Organisation des Naturschutzgroßprojekts.<br />
Pia Wilhelm, Leiterin des SHB-<br />
Naturschutzzentrums in Wilhelmsdorf<br />
und Mitarbeiterin der Projektleitung,<br />
stellte den Exkursionsteilnehmern die<br />
Entstehungs- und Nutzungsgeschichte<br />
des zweitgrößten Moores in Südwestdeutschland<br />
vor.<br />
Um dem zu begegnen, wies das<br />
Land Baden-Württemberg bereits 1981<br />
das 800 ha große Naturschutzgebiet<br />
„Pfrunger und Burgweiler Ried“ aus.<br />
Gemeinsam stellten das Land, die<br />
Landkreise Sigmaringen und Ravensburg,<br />
die Gemeinden Ostrach, Wilhelmsdorf,<br />
Königseggwald und Riedhausen<br />
sowie der Schwäbische Heimatbund<br />
beim Bundesamt für Naturschutz<br />
in Bonn den Antrag auf<br />
Im Jahr 2002 wurde das Pfrunger-Burgweiler<br />
Ried in das Förderprogramm des Bundes für „Gebiete<br />
mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung“<br />
aufgenommen, um es vor weiterer Zerstörung<br />
zu bewahren. In Mitleidenschaft gezogen<br />
wurde das Ried vor allem durch die seit dem 19.<br />
Jahrhundert immer weiter vorangetriebene Entwässerung<br />
und die Intensivierung der Landnutzung,<br />
um im von Hungersnot und Armut geschüttelten<br />
württembergischen Landesteil Nahrungsmittel<br />
zu produzieren. Auch der Torfabbau hinterließ<br />
seine Spuren. Große Bereiche von Nieder- und<br />
Hochmoor wurden seit der ersten Hälfte des 19.<br />
Jahrhunderts abgetorft <strong>–</strong> zuerst als Brenn- und<br />
Streutorf, dann vorwiegend als Gartentorf und<br />
Rohstoff für Blumenerde. Die stetige Entwässerung<br />
führte zu massiver Torfsackung und Torfschwund.<br />
Düngung und mehrschürige Mahd führten im 20.<br />
Jahrhundert zum Schwund vieler moortypischer<br />
Tier- und Pflanzenarten.<br />
Abb. 1: Heckrind mit Kalb<br />
Foto: P. Wilhelm<br />
121
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
122<br />
Abb. 2: Vermarktungsleiterin Sabine Behr erläutert den<br />
Exkursionsteilnehmern die extensive Beweidung und<br />
die Vermarktung der „Riedrinder“ Foto: P. Wilhelm<br />
Aufnahme in das Förderprogramm für Naturschutzgroßprojekte.<br />
Die Antragsteller gründeten die Stiftung<br />
Naturschutz Pfrunger-Burgweiler Ried als Trägerin<br />
des gleichnamigen Naturschutzgroßprojekts.<br />
Ein Pflege- und Entwicklungsplan wurde erarbeitet,<br />
und eine landwirtschaftliche Analyse gab Aufschluss<br />
über die Perspektiven der <strong>Landwirtschaft</strong> im Ried<br />
und in den angrenzenden Bereichen.<br />
Die Exkursion führte durch die randlichen, landwirtschaftlich<br />
mehr oder weniger intensiv genutzten<br />
Grünlandbereiche weiter hinein in das Projektkerngebiet<br />
zu einer der sieben Herden von Robustrindern,<br />
die im Rahmen des Naturschutzgroßprojekts<br />
Flächen offenhalten. Die extensive Beweidung wurde<br />
vor allem auf Naturschutzflächen eingeführt, auf<br />
denen eine Mähnutzung nicht mehr wirtschaftlich<br />
durchzuführen ist. Die extensive Beweidung mit maximal<br />
1 GV (= 500 kg Lebendgewicht) pro Hektar<br />
hat den ökologischen Nebeneffekt, dass strukturreiche<br />
dynamische Flächen entstehen, die für Insekten<br />
und insektenfressende Tierarten sehr attraktiv sind.<br />
So kehren z. B. Vogelarten wie Schwarzkehlchen,<br />
Braunkehlchen, Neuntöter, Kiebitze und Bekassinen<br />
wieder, die vom Nahrungsangebot auf den Weiden<br />
profitieren. Die Hufe der Rinder verursachen Störstellen<br />
in der Grasnarbe, die wiederum von neuen<br />
Pflanzenarten besiedelt werden können, die in der<br />
dichten Grasdecke auf gemähten Wiesen keine<br />
Chance hätten, sich durchzusetzen. Sieben Landwirte<br />
wagten das Experiment und stiegen in die extensive<br />
Beweidung ein, die sie zumeist zusätzlich zu<br />
ihren normalen landwirtschaftlichen Betrieben betreiben<br />
und organisieren. Die Landwirte sind für ihre<br />
Tiere eigenverantwortlich und konnten ihre bevorzugte<br />
Rinderrasse frei wählen. Seitens des Großprojekts<br />
gab es im Rahmen einer Vortragsveranstaltung<br />
lediglich Empfehlungen, welche Rassen für eine<br />
ganzjährige Freilandhaltung geeignet sind. So kann<br />
der Riedbesucher nun folgende Rinderrassen im gesamten<br />
Projektgebiet beobachten: Heckrinder (1<br />
Herde), Scottish Highland (2 Herden), Galloway in<br />
verschiedenen Farbschlägen (2 Herden), Pinzgauer<br />
(1 Herde) und Limousin (1 Herde). Diese sieben Herden<br />
stellen auch im Sinne des sanften Tourismus<br />
eine große Bereicherung für das Projektgebiet dar.<br />
Sabine Behr, Leiterin der Vermarktungsinitiative<br />
„Genuss vom Pfrunger-Burgweiler Ried“, stellte das<br />
Vermarktungsprojekt für die „Riedrinder“ vor, das<br />
über das Projekt des Landes zur Förderung von Na-<br />
Abb. 3: Blühende Besenheide Calluna vulgaris am Rand des<br />
Hochmoors Großer Trauben Foto: P. Wilhelm
Pia Wilhelm: Exkursion ins Naturschutzgroßprojekt Pfrunger-Burgweiler Ried<br />
tur und Umwelt (PLENUM), über den regionalen<br />
Landschaftserhaltungsverband Höchsten-Dornacher<br />
Ried, durch die Gemeinde Wilhelmsdorf und die Gemeinde<br />
Ostrach gefördert wird. An der Weide der<br />
Heckrinder wurden ganz praktische Fragen zur Vermarktung<br />
vom Tier auf der Weide bis zum Fleischprodukt<br />
diskutiert, nachdem die Tagungsteilnehmer<br />
die Produkte bereits am Vortag genießen konnten.<br />
Danach ging die Wanderung weiter zum Hochmoor,<br />
wo Projektleiter Bernd Reißmüller die Maßnahmen<br />
zur Wiedervernässung vorstellte. Ein wesentliches<br />
Projektziel ist es, durch Eingriffe in die Entwässerungsstrukturen<br />
(begradigte Bäche, Gräben<br />
und Dränagen) wieder eine naturnahe hydrologische<br />
Entwicklung zu initiieren und dort, wo es möglich ist,<br />
den Grundwasserpegel wieder bis knapp unter Geländeniveau<br />
anzuheben. Hierzu werden auf den von<br />
der Stiftung Naturschutz, vom Land Baden-Württemberg<br />
oder von den Naturschutzverbänden<br />
(Schwäbischer Heimatbund, NABU) erworbenen<br />
Abb. 5: Über ein Pegel-Messnetz werden die Wasser-Abflussmengen<br />
aus dem Moor erfasst Foto: P. Wilhelm<br />
Abb. 7: Der Fünfeckweiher bei Waldbeuren<br />
Foto: P. Wilhelm<br />
Grundstücken Stauwehre eingebaut, um den Wasserabfluss<br />
zu verzögern oder umzuleiten. Ergänzend<br />
hierzu werden die das Grünland durchziehenden<br />
Dränagerohre gekappt und dadurch unwirksam gemacht.<br />
Zwei Teilgebiete, die Hochmoore „Tisch“ und<br />
„Großer Trauben“, wurden bereits 2007 und 2008<br />
wiedervernässt. Nun ist das Durchströmungsmoor<br />
„Obere Schnöden“ an der Reihe, das sich zwischen<br />
den beiden Hochmooren vom Westrand her zur Ostrach<br />
hin neigt. Weitere Teilgebiete werden sich anschließen.<br />
Die Wiedervernässung von Mooren ist<br />
nicht nur ein wichtiger Beitrag zum Naturschutz,<br />
sondern sie ist auch unter Aspekten des Klimaschutzes<br />
von großer Bedeutung, da hierdurch die Emission<br />
großer Mengen an Kohlendioxid verhindert wird.<br />
Am so genannten „Fünfeckweiher“ gab es Informationen<br />
zum Besucherkonzept, das der Verknüpfung<br />
von Naturschutz, Naherholung und Tourismus<br />
dient. Ein attraktives Wegenetz mit Informationstafeln<br />
und Beobachtungsplattformen wird es den Besuchern<br />
aus Nah und Fern ermöglichen, diese ganz<br />
besondere Landschaft hautnah zu erleben, ohne im<br />
Moor zu versinken und ohne besonders empfindliche<br />
Bereiche zu beeinträchtigen.<br />
•<br />
123
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Eindrücke von der Exkursion „<strong>Landwirtschaft</strong><br />
<strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong>“<br />
Exkursion im Landkreis Sigmaringen bei<br />
Ostrach-Waldbeuren<br />
Das Pfrunger-Burgweiler Ried ist das<br />
zweitgrößte zusammenhängende Moorgebiet<br />
in Süddeutschland. Die Exkursion<br />
wurde geleitet von Pia Wilhelm vom SHB-<br />
Naturschutzzentrum Wilhelmsdorf und<br />
Bernd Reißmüller von der Stiftung Naturschutz<br />
Pfrunger-Burgweiler Ried. Des Weiteren<br />
berichtete Sabine Behr von der Vermarktungsinitiative<br />
„Genuss vom Pfrunger-Burgweiler<br />
Ried“, über die extensive Beweidung<br />
im Naturschutzgroßprojekt durch robuste<br />
Rinderrassen. Weitergehende Ausführungen<br />
zur Exkursion finden Sie im Beitrag von Pia<br />
Wilhelm.<br />
Abb. 1: Exkursion im Naturschutzgroßprojekt Pfrunger-Burgweiler Ried<br />
mit den Exkursionsleitern Pia Wilhelm, rechts, und Bernd<br />
Reißmüller<br />
Foto: D. Gotzmann<br />
124<br />
Abb. 2: <strong>Kulturlandschaft</strong> bei Burgweiler<br />
Foto: D. Kölzer
Eindrücke von der Exkursion „<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong>“<br />
Abb. 3: Exkursions-Standort am durch Torfabbau entstandenen Fünfeckweiher<br />
Foto: D. Kölzer<br />
Abb. 4: Extensive Beweidung mit Rindern im Pfrunger-Burgweiler<br />
Ried Foto: D. Gotzmann Abb. 5: Riedlehrpfad Foto: D. Gotzmann<br />
125
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Exkursion im Landkreis Ravensburg<br />
Die Weiher in Oberschwaben sind ein wichtiger<br />
Teil unserer <strong>Kulturlandschaft</strong> und bieten einen<br />
Lebensraum für eine Vielzahl von Pflanzen- und<br />
Tierarten. Unter der Leitung von Prof. Dr. Werner<br />
Konold, Albrecht Trautmann und Anton Jung fand<br />
eine Bus-Exkursion im Landkreis Ravensburg mit<br />
Besichtigung mehrerer Weiher und Seen statt.<br />
Neben einer Einführung in die historische Weiherwirtschaft<br />
in Oberschwaben, wurde den Exkursionsteilnehmern<br />
die Naturschutzbedeutung sowie<br />
die Sanierung und Bewirtschaftung oberschwäbischer<br />
Weiher erläutert.<br />
126<br />
Abb. 6 + 7: Vesper im Bauernhaus-Museum Wolfegg. Hierbei wurden Forellen von Anton Jung, dem größten Teichbewirtschafter<br />
der Region, verkostet<br />
Fotos: D. Kölzer
Eindrücke von der Exkursion „<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong>“<br />
Abb. 8: Nutzgärten im Bauernhaus-Museum Wolfegg<br />
Foto: D. Kölzer<br />
Abb. 9: Diskussionsrunde am Stockweiher bei Wolfegg<br />
Foto: D. Gotzmann<br />
127
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Abb. 10: Der Rohrsee bei Bad Wurzach <strong>–</strong> ein klassischer Flachsee, in dem Fischzucht betrieben wird<br />
Foto: D. Kölzer<br />
Obstbrandverkostung<br />
Bei einer Obstbrandverkostung erfuhren die Tagungsteilnehmer<br />
Wissenswertes über die Herkunft<br />
und den Werdegang des Obstes, das Brennverfahren<br />
und die Unterschiede von Bränden, Wässern<br />
und Geisten. Kontakt: info@edelbrände-metzler.de<br />
•<br />
128<br />
Abb. 11: Destillateurmeister und Brenner Andreas Metzler<br />
bei der Verkostung<br />
Foto: A. Metzler
Autorenverzeichnis<br />
Autorenverzeichnis<br />
Behr, Sabine<br />
Vermarktungsinitiative „Genuss vom Pfrunger-<br />
Burgweiler Ried“<br />
Höhreute 10, 88271 Wilhelmsdorf<br />
E-Mail: behrsa@web.de<br />
Börnsen, Wolfgang<br />
Bund Heimat und Umwelt in Deutschland<br />
Adenauerallee 68, 53113 Bonn<br />
Büchele, Dr. Manfred<br />
Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee<br />
Schuhmacherhof 6, 88213 Ravensburg<br />
E-Mail: buechele@kob-bavendorf.de<br />
Bürckmann, Hannes<br />
neuland+<br />
Tourismus-, Standort-, <strong>Regionale</strong>ntwicklung<br />
GmbH & Co. KG<br />
Esbach 6, 88326 Aulendorf<br />
E-Mail: buerckmann@neulandplus.de<br />
Ermischer, Dr. Gerhard<br />
Archäologisches Spessartprojekt<br />
Treibgasse 3, 63739 Aschaffenburg<br />
E-Mail: ermischer@spessartprojekt.de<br />
Gotzmann, Dr. Inge<br />
Bund Heimat und Umwelt in Deutschland<br />
Adenauerallee 68, 53113 Bonn<br />
E-Mail: inge.gotzmann@bhu.de<br />
Griesinger, Fritz-Eberhard<br />
Schwäbischer Heimatbund e.V.<br />
Weberstraße 2, 70182 Stuttgart<br />
E-Mail: info@schwaebischer-heimatbund.de<br />
Gundelach, Dr. Herlind<br />
Bund Heimat und Umwelt in Deutschland<br />
Adenauerallee 68, 53113 Bonn<br />
Holterman, Dr. Dirk<br />
Gundermannschule<br />
Kirchstr. 26<strong>–</strong>28, 53343 Wachtberg-Adendorf<br />
E-Mail: dirk@holterman.de<br />
Holzberger, Dr. Rudi<br />
LandZunge<br />
Panoramastraße 32, 88284 Wolpertswende<br />
E-Mail: holzberger@landzunge.info<br />
Holzhausen, Jürgen<br />
Biosphärenreservat Rhön, Verwaltung Thüringen<br />
Propstei Zella<br />
Goethestraße 1, 36452 Zella/Rhön<br />
E-Mail: Juergen.Holzhausen@br-np.thueringen.de<br />
Jung, Anton<br />
Teich- und Seenfischerei<br />
Brunnen, 88353 Kißlegg<br />
E-Mail: fischjung@t-online.de<br />
Kölzer, Daniel<br />
Bund Heimat und Umwelt in Deutschland<br />
Adenauerallee 68, 53113 Bonn<br />
E-Mail: daniel.koelzer@bhu.de<br />
Konold, Prof. Dr. Werner<br />
Institut für Landespflege<br />
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg<br />
Tennenbacher Straße 4, 79106 Freiburg<br />
E-Mail: werner.konold@landespflege.uni-freiburg.de<br />
129
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Krieglstein, Bruno<br />
Ministerium für Ländlichen Raum, Ernährung<br />
und Verbraucherschutz Baden-Württemberg<br />
Referat 22 <strong>–</strong> Vermarktung, Marketing, Ernährungswirtschaft<br />
-<br />
Kernerplatz 10, 70182 Stuttgart<br />
E-Mail: bruno.krieglstein@mlr.bwl.de<br />
Küster, Prof. Dr. Hansjörg<br />
Nienburger Straße 17, 30167 Hannover<br />
E-Mail: kuester@geobotanik.uni-hannover.de<br />
Miller, Ulfried<br />
Geschäftsführer des BUND Ravensburg<br />
Leonhardstr. 1, 88212 Ravensburg<br />
E-Mail: bund.ravensburg@bund.net<br />
Pasta, Rainer<br />
Wir im Labertal<br />
Wittelbacher Straße 3, 94333 Geiselhöring<br />
E-Mail: rainer.pasta@freenet.de<br />
Trautmann, Albrecht<br />
PRO REGIO Oberschwaben GmbH<br />
Frauenstraße 4, 88212 Ravensburg<br />
E-Mail: albrecht.trautmann@landkreis-ravensburg.de<br />
Wilhelm, Pia<br />
SHB-Naturschutzzentrum Pfrunger-Burgweiler<br />
Ried<br />
Riedweg 3, 88271 Wilhelmsdorf<br />
E-Mail: wilhelm@schwaebischer-heimatbund.de<br />
130
Anschriften<br />
Anschriften BHU und Landesverbände<br />
Bund Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU)<br />
Bundesverband für Natur- und Denkmalschutz,<br />
Landschafts- und Brauchtumspflege e. V.<br />
Adenauerallee 68, 53113 Bonn<br />
Tel. (02 28) 22 40 91, Fax (02 28) 21 55 03<br />
E-Mail: bhu@bhu.de, Internet: www.bhu.de<br />
Bankverbindung: Kreissparkasse Köln<br />
Konto 100 007 855, BLZ 370 502 99<br />
Präsidentin: Senatorin Dr. Herlind Gundelach<br />
Bundesgeschäftsführerin: Dr. Inge Gotzmann<br />
BHU-Landesverbände<br />
Landesverein Badische Heimat e. V.<br />
Landesvorsitzender: Regierungspräsident a. D.<br />
Dr. Sven von Ungern-Sternberg<br />
Geschäftsführer: Karl Bühler<br />
Hansjakobstraße 12, 79117 Freiburg i. Br.<br />
Tel. (07 61) 73 72 4, Fax (07 61) 70 75 50 6<br />
E-Mail: info@badische-heimat.de<br />
Internet: www.badische-heimat.de<br />
Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e. V.<br />
1. Vorsitzender: Landtagspräsident a. D.<br />
Johann Böhm<br />
Geschäftsführer: Martin Wölzmüller<br />
Ludwigstraße 23, 80539 München<br />
Tel. (0 89) 28 66 29 0, Fax (0 89) 28 24 34<br />
E-Mail: info@heimat-bayern.de<br />
Internet: www.heimat-bayern.de<br />
Verein für die Geschichte Berlins gegr. 1865 e. V.<br />
Vorsitzender: Dr. Manfred Uhlitz<br />
Geschäftsstelle: Henning Nause<br />
Lichterfelder Ring 103, 12279 Berlin<br />
E-Mail: nause@DieGeschichteBerlins.de<br />
Internet: www.DieGeschichteBerlins.de<br />
Bremer Heimatbund <strong>–</strong> Verein für Niedersächsisches<br />
Volkstum e. V.<br />
Vorsitzer: Wilhelm Tacke<br />
Geschäftsführer: Karl-Heinz Renken<br />
Friedrich-Rauers-Straße 18, 28195 Bremen<br />
Tel. (04 21) 30 20 50<br />
Verein Freunde der Denkmalpflege e. V.<br />
(Denkmalverein Hamburg)<br />
Vorsitzender: Helmuth Barth<br />
Alsterchaussee 13, 20149 Hamburg,<br />
Tel. (0 40) 41 35 41 52<br />
E-Mail: info@denkmalverein.de<br />
Internet: www.denkmalverein.de<br />
Gesellschaft für Kultur- und Denkmalpflege <strong>–</strong><br />
Hessischer Heimatbund e. V.<br />
Vorsitzende: Dr. Cornelia Dörr<br />
Geschäftsführerin: Dr. Irene Ewinkel<br />
Gutenbergstraße 3, 35037 Marburg<br />
Tel. und Fax (0 64 21) 68 11 55<br />
E-Mail: info@hessische-heimat.de<br />
Internet: www.hessische-heimat.de<br />
Lippischer Heimatbund e. V.<br />
Vorsitzender: Bürgermeister a. D. Friedrich Brakemeier<br />
Geschäftsführer: Burkhard Meier<br />
Felix-Fechenbach-Straße 5 (Kreishaus), 32756 Detmold<br />
Tel. (0 52 31) 62 79 11/-12, Fax (0 52 31) 62 79 15<br />
E-Mail: info@lippischer-heimatbund.de<br />
Internet: www.lippischer-heimatbund.de<br />
Landesheimatverband Mecklenburg-<br />
Vorpommern e. V.<br />
Präsident: Prof. Dr. Horst Wernicke<br />
Geschäftsführer: Karl-Ludwig Quade<br />
Friedrichstraße 12, 19055 Schwerin<br />
Tel. (03 85) 59 08 30, Fax (03 85) 59 08 31 5<br />
E-Mail: lhv-sn@landesheimatverband-mv.de und<br />
lhv-nb@landesheimatverband-mv.de<br />
Internet: www.landesheimatverband-mv.de<br />
131
<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />
Niedersächsischer Heimatbund e. V.<br />
Präsident: Prof. Dr. Hansjörg Küster<br />
Geschäftsführer: Dr. Wolfgang Rüther<br />
Landschaftstraße 6 A, 30159 Hannover, Tel. (05 11)<br />
36 81 25 1, Fax (05 11) 36 32 78 0<br />
E-Mail: heimat@niedersaechsischer-heimatbund.de<br />
Internet: www.niedersaechsischer-heimatbund.de<br />
Rheinischer Verein für Denkmalpflege und<br />
Landschaftsschutz e. V.<br />
Vorsitzender: Landrat Frithjof Kühn<br />
Geschäftsführerin: Dr. Heike Gregarek<br />
Ottoplatz 2, 50679 Köln<br />
Tel. (02 21) 80 92 80 4/-05, Fax (02 21) 80 92 14 1<br />
E-Mail: gregarek@rheinischer-verein.de<br />
Internet: www.rheinischer-verein.de<br />
Institut für Landeskunde im Saarland e. V.<br />
Direktor: apl. Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne<br />
Zechenhaus, Am Bergwerk Reden 11,<br />
66578 Schiffweiler<br />
Tel. (0 68 21) 9 14 66 30, Fax (0 68 21) 9 14 66 40<br />
E-Mail: institut@iflis.de<br />
Internet: www.iflis.de<br />
Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V.<br />
Präsident: Prof. Dr. habil. Konrad Breitenborn<br />
Geschäftsführer: Dr. Jörn Weinert<br />
Magdeburger Straße 21, 06112 Halle (Saale)<br />
Tel. (03 45) 29 28 60, Fax (03 45) 29 28 62 0<br />
E-Mail: info@lhbsa.de<br />
Internet: lhbsa.de<br />
Landesverein Sächsischer Heimatschutz e. V.<br />
Vorsitzender: Prof. Dr. Hans-Jürgen Hardtke<br />
Geschäftsführerin: Susanna Sommer<br />
Wilsdruffer Straße 11/13, 01067 Dresden<br />
Tel. (03 51) 49 56 15 3, Tel./Fax (03 51) 49 51 55 9<br />
E-Mail: landesverein@saechsischer-heimatschutz.de<br />
Internet: www.saechsischer-heimatschutz.de<br />
Schleswig-Holsteinischer Heimatbund e. V.<br />
Vorsitzende: Jutta Kürtz<br />
Geschäftsführer: Dirk Wenzel<br />
Hamburger Landstraße 101, 24113 Molfsee<br />
Tel. (04 31) 98 38 40, Fax (04 31) 98 38 42 3<br />
E-Mail: info@heimatbund.de<br />
Internet: www.heimatbund.de<br />
Schwäbischer Heimatbund e. V.<br />
Vorsitzender: Fritz-Eberhard Griesinger<br />
Geschäftsführer: Dr. Siegfried Roth<br />
Weberstraße 2, 70182 Stuttgart<br />
Tel. (07 11) 23 94 20, Fax (07 11) 23 94 24 4<br />
E-Mail: info@schwaebischer-heimatbund.de<br />
Internet: www.schwaebischer-heimatbund.de<br />
Heimatbund Thüringen e. V.<br />
Vorsitzender: Dr. Burkhardt Kolbmüller<br />
Geschäftsführerin: Barbara Umann<br />
Hinter dem Bahnhof 12, 99427 Weimar<br />
Tel. (0 36 43) 77 91 92, Fax (0 36 43) 49 19 45<br />
E-Mail: info@heimatbund-thueringen.de<br />
Internet: www.heimatbund-thueringen.de<br />
Westfälischer Heimatbund e. V.<br />
Vorsitzender: Landesdirektor Dr. Wolfgang Kirsch<br />
Geschäftsführerin: Dr. Edeltraud Klueting<br />
Kaiser-Wilhelm-Ring 3, 48145 Münster<br />
Tel. (02 51) 20 38 10 0, Fax (02 51) 20 38 10 29<br />
E-Mail: westfaelischerheimatbund@lwl.org<br />
Internet: www.westfaelischerheimatbund.de<br />
gegenseitige Mitgliedschaft:<br />
Deutsche Burgenvereinigung e. V.<br />
Präsident: Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Sayn<br />
Geschäftsführer: Gerhard A. Wagner<br />
Marksburg, 56338 Braubach am Rhein<br />
Tel. (0 26 27) 53 6, Fax (0 26 27) 88 66<br />
E-Mail: dbv.marksburg@deutsche-burgen.org<br />
Internet: www.deutsche-burgen.org<br />
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