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Landwirtschaft – Kulturlandschaft – Regionale Esskultur

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<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

<strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Beiträge zu der Tagung am 10.<strong>–</strong>11. Juni 2010 in Ostrach-Waldbeuren / Baden-Württemberg


Impressum<br />

Herausgeber: Bund Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU)<br />

Bundesverband für Natur- und Denkmalschutz,<br />

Landschafts- und Brauchtumspflege e. V.<br />

Adenauerallee 68, 53113 Bonn<br />

Tel. (02 28) 22 40 91, Fax (02 28) 21 55 03<br />

E-Mail: bhu@bhu.de, Internet: www.bhu.de<br />

Redaktion: Dr. Inge Gotzmann, Daniel Kölzer<br />

Mitarbeit: Beate Lippert, Edeltraud Wirz<br />

Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Inge Gotzmann<br />

Bildnachweis:<br />

vordere Umschlagseite: <br />

hintere Umschlagseite: <br />

Autorenfotos (außer S. ): Dr. Gotzmann<br />

Layout und Druck: Druckpartner Moser Druck + Verlag GmbH, Rheinbach<br />

ISBN 978-3-925374-91-3<br />

Nachdruck <strong>–</strong> auch auszugsweise <strong>–</strong> honorarfrei mit Quellenangabe gestattet.<br />

Belegexemplar an den Herausgeber erbeten.<br />

Das Buch wird an Mitglieder und Interessenten kostenlos abgegeben, Spende erwünscht.<br />

Bestellung beim Herausgeber.<br />

Förderer<br />

Das Projekt wurde finanziell gefördert durch die „<strong>Landwirtschaft</strong>liche Rentenbank“.<br />

Die Förderer übernehmen keine Gewähr für die Richtigkeit, die Genauigkeit<br />

und die Vollständigkeit der Angaben sowie für die Beachtung privater Rechte Dritter.<br />

Kooperation<br />

Das Projekt erfolgte in Kooperation mit dem BHU-Landesverband Schwäbischer Heimatbund (SHB).<br />

Bonn, Herbst 2010


Inhalt<br />

Inhalt<br />

Herlind Gundelach und Wolfgang Börnsen<br />

Vorwort ....................................................................... 5<br />

Fritz-Eberhard Griesinger<br />

Grußwort. ..................................................................... 7<br />

Inge Gotzmann, Daniel Kölzer<br />

<strong>Esskultur</strong> prägt <strong>Kulturlandschaft</strong>. .................................................... 8<br />

Bruno Krieglstein<br />

<strong>Esskultur</strong> <strong>–</strong> Spiegelbild der <strong>Kulturlandschaft</strong> ............................................ 11<br />

Hansjörg Küster<br />

Dinkel, Gurke, Färberwaid: Kulturpflanzen und ihre Landschaft . ............................ 18<br />

Hannes Bürckmann<br />

Vermarktungsprojekte und ihre Erfolgsfaktoren . ........................................ 26<br />

Dirk Holtermann<br />

Delikatessen am Wegesrand ....................................................... 33<br />

Rudi Holzberger<br />

10 Jahre LandZunge: Ein starker Pakt für die Region ..................................... 39<br />

Jürgen Holzhausen<br />

Dachmarke Rhön ................................................................ 47<br />

Sabine Behr<br />

Vermarktungsininitiative „Genuss vom Pfrunger-Burgweiler Ried“ <strong>–</strong><br />

Eine Regionalvermarktung mit Schwerpunkt <strong>Landwirtschaft</strong> und Naturschutz stellt sich vor ........ 57<br />

Rainer Pasta<br />

Labertaler Schmankerlmesse <strong>–</strong> Ein Experiment zur regionalen Küche.<br />

Ideen, Probleme und Erfahrungen aus der Praxis ........................................ 64<br />

Ulfried Miller<br />

Apfelsaft aus Streuobst ........................................................... 70<br />

Seite<br />

3


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Manfred Büchele<br />

Sorten-Erhaltungskonzept Baden-Württemberg ......................................... 76<br />

Werner Konold<br />

Geschichte und Kultur der oberschwäbischen Weiher .................................... 79<br />

Anton Jung<br />

Weiherwirtschaft und Fischzucht in oberschwäbischen Weihern. ............................ 88<br />

Albrecht Trautmann, Anton Jung<br />

Sanierung und Bewirtschaftung von Weihern in Oberschwaben. ............................ 91<br />

Gerhard Ermischer<br />

Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa. ....................................... 93<br />

Pia Wilhelm<br />

Exkursion ins Naturschutzgroßprojekt Pfrunger-Burgweiler Ried ............................. 121<br />

Eindrücke von der Exkursion „<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong>“ .......... 124<br />

Autorenverzeichnis .............................................................. 129<br />

Anschriften BHU und Landesverbände ................................................ 131<br />

4


Vorwort<br />

Vorwort<br />

Herlind Gundelach, Wolfgang Börnsen<br />

Der Bund Heimat und Umwelt in<br />

Deutschland (BHU) hat es sich zur<br />

Aufgabe gemacht, das Bewusstsein<br />

für unsere <strong>Kulturlandschaft</strong>en zu stärken.<br />

Die Wertschätzung von Regionen<br />

und Landschaften ist eine Grundvoraussetzung<br />

für ihre dauerhafte Sicherung.<br />

Hierbei spielt die <strong>Landwirtschaft</strong><br />

eine wesentliche Rolle, da sie maßgeblich<br />

das Landschaftsbild prägt.<br />

Unter dem Thema „<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong><br />

<strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong>“<br />

hat der BHU eine Tagung durchgeführt,<br />

bei der anschauliche Beispiele<br />

für den engen Zusammenhang zwischen<br />

<strong>Landwirtschaft</strong>, <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

und Ernährungskultur gegeben<br />

wurden.<br />

Essen und Trinken sind existenzielle<br />

Bedürfnisse eines jeden Menschen. Die<br />

Herkunft unserer Lebensmittel, die Art<br />

und Weise ihrer Herstellung, ihrer Zubereitung und<br />

schließlich der Verzehr kennzeichnen unsere Ernährungskultur.<br />

Dabei isst jeder nach seinem eigenen<br />

Geschmack und Stil. Die kenntnis reiche Verwendung<br />

lokaler und qualitativ hochwertiger Zutaten<br />

hat viele regionale Köstlichkeiten hervorgebracht,<br />

die leider zunehmend in Vergessenheit geraten.<br />

Das Neue muss nicht immer über neue und immer<br />

exotischere Zutaten erreicht werden. Moderne<br />

Interpretationen traditioneller Speisen können<br />

durchaus auch über eine differenzierte Zubereitung<br />

erreicht werden.<br />

In der nun vorliegenden Tagungungsdokumentation<br />

werden zahlreiche Beispiele gegeben, wie eine<br />

geänderte Ernährungskultur das Bewusstsein<br />

für den Zusammenhang<br />

zwischen Konsumverhalten und der<br />

Attraktivität der <strong>Kulturlandschaft</strong> fördern<br />

kann.<br />

Die Vielfalt unserer <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />

können wir stärker mit unserem<br />

Konsumverhalten beeinflussen,<br />

als allgemein bekannt ist. Dabei ist<br />

Landschaftspflege durch bewusste<br />

<strong>Esskultur</strong> sehr schmackhaft. Ein moderner<br />

Umgang mit regionalen Spezialitäten<br />

kann zum Erhalt typischer<br />

Landschaftsbilder beitragen und<br />

gleichzeitig die <strong>Landwirtschaft</strong> stärken.<br />

Nicht zuletzt möchte die Publikation<br />

auch Anregungen geben, wie<br />

eine stärkere Allianz zwischen Landwirten,<br />

Vermarktungsinitiativen, Gastwirten<br />

und Verbrauchern erzielt werden<br />

kann. Der BHU fördert diesen<br />

Dialog und steht gemeinsam mit seinen Landesverbänden<br />

als Ansprechpartner zur Verfügung.<br />

Unserem Landesverband dem Schwäbischen Heimatbund<br />

(SHB) danken wir herzlich für die Kooperation<br />

in diesem Projekt. Der <strong>Landwirtschaft</strong>lichen<br />

Rentenbank gilt unser besonderer Dank für Förderung<br />

dieses Projektes.<br />

Dr. Herlind Gundelach<br />

Präsidentin des BHU, Wissenschaftssenatorin FHH<br />

Wolfgang Börnsen (Bönstrup)<br />

1. Vizepräsident des BHU, MdB<br />

5


Grußwort<br />

Grußwort<br />

Fritz-Eberhard Griesinger<br />

In den ländlichen Regionen Deutschlands<br />

finden sich zahlreiche <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />

mit einer hohen Artenvielfalt<br />

und attraktiven Landschaftsbildern.<br />

Die naturräumlichen Gegebenheiten<br />

und die regionalen Wirtschaftsweisen<br />

der Menschen gaben und geben den<br />

Landschaften ihr typisches Gepräge.<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong>en sind nichts Statisches,<br />

sie unterstehen einem fortwährenden<br />

Wandel.<br />

Historische, meist extensive Nutzungsweisen sind<br />

heute oft nicht mehr wirtschaftlich. Ihre Einstellung<br />

bedeutet jedoch gleichzeitig einen Verlust charakteristischer<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong>en. Ein Blick auf die Roten<br />

Listen der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten<br />

Deutschlands zeigt zudem, dass in historischen <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />

eine Vielzahl dieser seltenen Arten<br />

vorkommt.<br />

Die Erhaltung und Weiterentwicklung unserer<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong>en ist eines der zentralen Anliegen<br />

der Heimatverbände in Deutschland. Der Schwäbische<br />

Heimatbund zeichnet mit der Auslobung seines<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong>spreises gemeinsam mit dem Sparkassenverband<br />

Baden-Württemberg, bürgerschaftliches<br />

Engagement in der <strong>Kulturlandschaft</strong>spflege aus<br />

und möchte die Öffentlichkeit für diese Thematik<br />

sensibilisieren. Wir begrüßen es daher sehr, dass wir<br />

die Tagung „<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong><br />

<strong>Esskultur</strong>‘‘ zusammen mit dem Bund Heimat<br />

und Umwelt in Deutschland ausrichten konnten und<br />

unser gemeinsames Anliegen mit der vorliegenden<br />

Publikation der Tagungsergebnisse<br />

weiter befördern können.<br />

In Deutschland haben sich in den<br />

vergangenen Jahren viele regionale<br />

Vermarktungsinitiativen mit dem Ziel<br />

gebildet, den Erhalt von <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />

durch den Verkauf von Produkten,<br />

die mit der Bewirtschaftung<br />

und Pflege der Flächen unmittelbar in<br />

Verbindung stehen, sicher zu stellen.<br />

Auf diese Weise werden wirtschaftliche<br />

Interessen mit denen des Naturschutzes und der<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong>spflege verbunden.<br />

Selten sind solche Projekte Selbstläufer, sondern<br />

sie erfordern gute Ideen, kaufmännisches Denken<br />

und Durchhaltevermögen. Ziel der Tagung war es,<br />

Landwirte, Vermarktungsinitiativen, Gastwirte und<br />

Verbraucher zusammen zu bringen und das Thema<br />

„Aufbau von regionalen Wirtschaftskreisläufen<br />

durch Vermarktung von Produkten aus der Region“<br />

in all seinen Facetten zu diskutieren. Anhand von<br />

praxisorientierten Beispielen wurde aufgezeigt, welche<br />

Faktoren notwendig sind, damit Vermarktungsinitiativen<br />

erfolgreich verlaufen. Es ist allen Initiativen<br />

zu wünschen, dass sich diese am Markt und bei<br />

den Verbrauchern behaupten und somit nachhaltig<br />

zur Pflege der Landschaft beitragen. Allen Lesern<br />

wünsche ich einen reichen Erkenntnisgewinn.<br />

Fritz-Eberhard Griesinger<br />

Vorsitzender Schwäbischer Heimatbund e.V.<br />

7


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

<strong>Esskultur</strong> prägt <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

8<br />

Inge Gotzmann, Daniel Kölzer<br />

Wie Landschaft schmeckt, ist letzten<br />

Endes immer eine Frage des<br />

Umgangs mit unserer <strong>Kulturlandschaft</strong>.<br />

Der Geschmack der Landschaft kann oft<br />

bereits an der regionalen Küche bzw. an<br />

regionaltypischen Rezepten abgelesen<br />

werden. Ein Beispiel hierfür ist etwa der<br />

Geschmack von Thüringer Klößen, die<br />

aus Kartoffeln hergestellt werden, welche<br />

auf den schweren Lehmböden Thüringens<br />

ihren charakteristischen Geschmack<br />

und ihre mehlig kochenden<br />

Eigenschaften erhalten.<br />

Ein Klassiker ist der Geschmack von<br />

Weinen aus ausgewiesenen Weinbauregionen,<br />

wie z.B. den landschaftsprägenden<br />

Steillagen des Ahrtals. Hierbei<br />

zeigt sich aber auch das Spannungsfeld:<br />

Heutzutage fallen, vor allem aufgrund<br />

von unrentablen Produktionsbedingungen,<br />

steile Weinberge zunehmend aus<br />

Abb. 1: Weinberge in Steillage prägen die <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

des Ahrtals<br />

Foto: D. Kölzer<br />

der Produktion heraus und liegen<br />

brach. Da dieser Steillagenweinbau jedoch<br />

sehr landschaftsprägend ist, ist<br />

die weitergehende Bewirtschaftung<br />

der Weinbergterrassen zum Erhalt<br />

einer charakteristischen und attraktiven<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong> wünschenswert.<br />

Regionalität versus Globalisierung<br />

Die Herkunft unserer Lebensmittel, die<br />

Art und Weise ihrer Herstellung, ihrer<br />

Zubereitung und schließlich der Verzehr<br />

kennzeichnen unsere Ernährungskultur.<br />

Menschen haben einmal vorrangig<br />

von dem gelebt, was in ihrer Region<br />

verfügbar war. Lebensmittel waren<br />

somit regional geprägt und wurden<br />

nur zur jeweiligen Saison gegessen.<br />

Neuerungen gab es jedoch immer<br />

schon. So brachten die Römer den<br />

Weinbau und veredelte Obstsorten in<br />

unsere Regionen. Ein tief greifender<br />

Wandel der Landschaft und der Ernährungskultur erfolgte<br />

durch die Verbreitung der ursprünglich in Südamerika<br />

heimischen Kartoffel im 17. Jahrhundert in<br />

Deutschland. Die Kartoffel wurde zu einem Grundnahrungsmittel<br />

und wird heute in Europa als „heimisch“<br />

angesehen. Ähnliches gilt für die ursprünglich<br />

aus Mittel- und Südamerika stammende Tomate,<br />

die erst Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland<br />

weithin als Nahrungsmittel bekannt wurde.<br />

Der Wandel der Produktverfügbarkeit schreitet<br />

mit der zunehmenden Globalisierung immer<br />

schneller voran. Bei den heutigen kostengünstigen


Inge Gotzmann, Daniel Kölzer: <strong>Esskultur</strong> prägt <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

Transportmöglichkeiten finden<br />

wir beispielsweise Äpfel<br />

aus Neuseeland, Brombeeren<br />

aus Mexiko oder Rindfleisch<br />

aus Argentinien auf unserer<br />

Speisekarte. Gleichzeitig treten<br />

unsere Produkte den<br />

Weg in andere Länder an.<br />

Mit der zunehmenden Unabhängigkeit<br />

der Verfügbarkeit<br />

von Produkten vom Erzeugungsort<br />

geht in der Bevölkerung<br />

das Bewusstsein dafür<br />

zurück, welcher Zusammenhang<br />

zwischen Landschaft,<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> und<br />

<strong>Esskultur</strong> besteht.<br />

Regionalität ist nachhaltig<br />

Die bewusste und gezielte<br />

Verwendung von regionalen<br />

Produkten ist nicht nur umweltverträglich,<br />

indem Transportwege<br />

und damit Energie eingespart werden,<br />

sondern sie leistet gleichzeitig einen Beitrag zur Erhaltung<br />

der Landschafts- und Artenvielfalt. Es werden<br />

auch die regionale Identität sowie die Kenntnis<br />

des eigenen Raumes gestärkt, denn regionale Produkte<br />

erzählen die Geschichte ihrer Region. <strong>Regionale</strong><br />

Produkte sind in der Regel frisch, haben einen guten<br />

Geschmack und benötigen somit weniger Zusatzstoffe<br />

(z.B. Konservierungsstoffe). Eng verbunden<br />

mit der Regionalität ist die Förderung des<br />

Bewusstseins für Saisonalität, denn heutige Lagerhaltung<br />

kann sehr energieaufwändig sein. Ein persönlicher<br />

Bezug zum Hersteller schafft Vertrauen,<br />

fördert das Verständnis für Produktionszusammenhänge<br />

und es kann zudem eine Kontrolle durch den<br />

Endverbraucher stattfinden.<br />

Abb. 2: Streuobstwiese in der Rhön<br />

Schutz durch Nutzung<br />

In Deutschland hat in den vergangenen Jahren die<br />

regionale Vermarktung an Bedeutung gewonnen.<br />

Insbesondere Biosphärenreservate und Naturparke<br />

bieten gute Rahmenbedingungen für eine Regionalvermarktung.<br />

So haben diese Schutzgebiete u.a. die<br />

Erhaltung, Entwicklung oder Wiederherstellung von<br />

historischen <strong>Kulturlandschaft</strong>en zum Ziel. Gleichzeitig<br />

können sie aber auch beispielhaft der Entwicklung<br />

und Erprobung von besonders schonenden<br />

Wirtschaftsweisen dienen. Die zugrunde liegende<br />

Idee dabei ist ein Schutz durch Nutzung.<br />

Ausblick<br />

Foto: G. Hein<br />

Es gilt, Menschen auf den Geschmack heimischer<br />

und regionaler Produkte zu bringen und sie erfahren<br />

9


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

zu lassen, dass jeder Einzelne durch<br />

sein persönliches Verbraucherverhalten<br />

einen Beitrag zur Erhaltung unserer<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong> leisten kann.<br />

Gleichzeitig muss die Bedeutung der<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> für regionaltypische<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong>en sowie für die Ernährungskultur<br />

herausgestellt werden.<br />

Notwendig sind aber auch stärkere<br />

Allianzen und Gemeinschaftsaktionen<br />

zwischen Landwirten, Gastwirten,<br />

Märkten, Vermarktungsinitiativen und<br />

Verbrauchern. Der Bund Heimat und<br />

Umwelt (BHU) nimmt hierbei gemeinsam<br />

mit seinen Landesverbänden eine<br />

Vermittlerrolle ein und engagiert sich<br />

für die Vermittlung der Thematik in der<br />

Öffentlichkeit. • Abb. 3: <strong>Regionale</strong> Produkte sind köstlich! Foto: I. Gotzmann<br />

10


Bruno Krieglstein: <strong>Esskultur</strong> <strong>–</strong> Spiegelbild der <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

<strong>Esskultur</strong> <strong>–</strong> Spiegelbild der <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

Bruno Krieglstein<br />

Zusammenfassung<br />

<strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong> wird nicht allein<br />

von den jeweiligen agrarischen<br />

Standortverhältnissen vor Ort geprägt.<br />

Sie ist das Resultat gesellschaftlicher,<br />

wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen<br />

und Entwicklungen.<br />

Im Zusammenhang mit den Veränderungen<br />

in wertvollen <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />

wird vielfach die Frage gestellt, ob<br />

über eine Besinnung auf typische regionale<br />

Produkte durch die Pflege einer entsprechenden<br />

<strong>Esskultur</strong> ein wichtiger Beitrag zum Erhalt traditioneller<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong>en geleistet werden kann<br />

Eine bewusste <strong>Esskultur</strong> mit der („Rück-) Besinnung“<br />

auf Produkte, die durch entsprechende Produktionsweisen<br />

den Charakter von <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />

und deren wertvolle Landschaftselemente<br />

bestimmen bzw. erhalten, kann zu deren Erhalt beitragen,<br />

auch wenn sich vielfach, die Rahmen bedingungen,<br />

die diese <strong>Kulturlandschaft</strong>en ursprünglich<br />

generiert und erhalten haben, geändert haben.<br />

Dies ist ein sehr ehrgeiziger Anspruch und Ansatz,<br />

der seine Grenzen hat.<br />

„In der belebten Natur geschieht nichts, was<br />

nicht in Verbindung mit dem Ganzen steht.“<br />

(Johann Wolfgang von Goethe)<br />

Die Entwicklung und das Erscheinungsbild von<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong>en sind das Ergebnis verschiedener<br />

Faktoren und vielfältiger anthropogener Einflüsse,<br />

die über eine „standorttypische“ und ggf. mitprägende<br />

<strong>Esskultur</strong>, die an sich auch nichts Statisches<br />

sein kann, hinausgehen. So gestalten<br />

die <strong>Landwirtschaft</strong> und die Forstwirtschaft<br />

auf der Basis der natürlichen<br />

Standortfaktoren und den davon sich<br />

ableitenden Nutzungsformen und Bewirtschaftungsverfahren<br />

die entsprechenden<br />

regionaltypischen <strong>Kulturlandschaft</strong>en.<br />

Diese Landschaften liefern<br />

Produkte, die von den Menschen entsprechend<br />

den Qualitäten, den verfügbaren<br />

Mengen und den Verarbeitungsmöglichkeiten<br />

genutzt werden. So bestimmen die<br />

Standortfaktoren, Produktionsbedingungen und<br />

auch die Wettbewerbsposition gegenüber alternativen<br />

Produkten beispielsweise den Anbau von<br />

Weichweizen oder Hartweizen und die sich daraus<br />

ergebenden Verwertungsmöglichkeiten in Küchen<br />

und Back stuben.<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong>en spiegeln heute aber nur noch<br />

einen Teil der ursprünglich regionalen, traditionellen<br />

<strong>Esskultur</strong> wider. Eine auf regionale Spezialitäten<br />

orientierte <strong>Esskultur</strong> kann auch heute die <strong>Landwirtschaft</strong><br />

vor Ort stärken, muss dies aber nicht angesichts<br />

des vielfältigen und überregionalen Angebots<br />

auf den Lebensmittelmärkten. Umgekehrt kann<br />

auch eine „nichtstandorttypische“ <strong>Esskultur</strong> die<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong> vor Ort, d.h. die Produktion entsprechender<br />

landwirtschaftlicher „Rohstoffe“ und<br />

das Bewusstsein für Produkte aus der Region, beeinflussen.<br />

„Vom Segen der Vertriebenen“ heißt die<br />

Überschrift eines Kapitels des Buchs „Sitting Küchenbulle“<br />

des Kochs Vincent Klink, in dem er ausführt<br />

„Neue Gerüche zogen durch die Flure“. Papa<br />

11


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

12<br />

sagte immer „Wären die nicht gekommen,<br />

wir schwäbischen Inzüchtler<br />

wären vollendens verblödet“.<br />

Er mochte die Flüchtlinge,<br />

denn sie hatten gute Rezepte im<br />

Gepäck, waren pfiffig, und vor allem<br />

brachten sie uns den Knoblauch<br />

...<br />

„Eingriffe“ in und Veränderungen<br />

der <strong>Kulturlandschaft</strong>en,<br />

die durch die Land- und die Forstwirtschaft<br />

erfolgten und erfolgen,<br />

sind daher nicht durch die<br />

(Ess-)Kultur allein, sondern auch<br />

immer durch politische Entscheidungen<br />

und Rahmenbedingungen,<br />

wie durch die verschiedenen<br />

Marktordnungsinstrumente der<br />

EU-Agrarpolitik <strong>–</strong> beispielsweise<br />

in der zweiten Hälfte des letzten<br />

Abb. 1: Traditionelle Schafhaltung in Baden-Württemberg auf einer Wachholderheide<br />

Foto: U. Rothweiler<br />

Jahrhunderts zur Ankurbelung der Selbstversorgung<br />

der EU <strong>–</strong> stark beeinflusst worden. Aktuell<br />

wird in Deutschland so durch das „Marktordnungsinstrument<br />

EEG“, zur Förderung des Ausbaus<br />

der Erneuerbaren Energien, Einfluss auf die<br />

Weiterentwicklung von <strong>Kulturlandschaft</strong>en genommen.<br />

Auch unsere liebgewonnen und wertvollen,<br />

vom Streuobstbau geprägten Landschaften<br />

im Südwesten sind letztendlich auf staatliche/herrschaftliche<br />

Eingriffe und somit politische Rahmenbedingungen<br />

zurückzuführen. Der im hohenlohischen<br />

Kupferzell tätig gewesene Pfarrer Johann<br />

Friedrich Mayer hielt daher in seinem Lehrbuch für<br />

Land- und Hauswirte fest: „Herrschaften können<br />

kaum etwas, außer dem Getreidebau nützlichers<br />

anordnen als diese (Obstbau), und doch sind sogar<br />

viele Länder, wo dieser Zweig der Nahrung aller<br />

aufmerksamen Achtung entgeht; oder wo wenigstens<br />

die, welche ihn besorgen, in ihren Bemühungen<br />

nicht gehörig geschützt, aufgeeifert und geachtet<br />

werden. Ein Schaden von sehr großen<br />

Summen!“<br />

Spieglein, Spieglein in unserm Land…<br />

Welche <strong>Esskultur</strong> ist denn das Spiegelbild unserer<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong> Es dürfte sicherlich eher eine <strong>Esskultur</strong><br />

(gewesen) sein, die vergleichsweise in Italien<br />

als „Cucina povera“, eine <strong>Esskultur</strong> der Bauern,<br />

Handwerker, Arbeiter und Bürger bezeichnet wird,<br />

als deren Gegenstück in Italien: die „Cucina altoborghese“,<br />

einer exklusiven Kochtradition der höheren<br />

Stände in Italien seit der Renaissance. Auch stellt<br />

sich die Frage, zu welchen Regionen eine typische<br />

<strong>Esskultur</strong> das Spiegelbild ist und warum So dürfte<br />

die Wiener Küche auf Grund der Ausdehnung des<br />

Habsburgerreiches eher das Spiegelbild des Vielvölkerstaates<br />

Österreich-Ungarn als allein nur das Spiegelbild<br />

der Produktionsbedingungen und Möglichkeiten<br />

der <strong>Landwirtschaft</strong> im Wienerbecken und im<br />

Wienerwald sein.


Bruno Krieglstein: <strong>Esskultur</strong> <strong>–</strong> Spiegelbild der <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

Nichts ist beständiger als der Wandel!<br />

Angesichts unserer auf fossilen Kohlenwasserstoffen<br />

basierenden Wirtschaft und Technologie wird im Zusammenhang<br />

mit der Entwicklung unserer <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />

ganz vergessen, dass auch, abgesehen<br />

vom letzten Jahrhundert, stets die stoffliche und<br />

energetische Nutzung von Biomasse einen erheblichen<br />

Einfluss auf die <strong>Kulturlandschaft</strong>en hatte. Dies<br />

gilt im Hinblick auf die landwirtschaftliche Nutzung,<br />

beispielsweise für die Wollerzeugung oder den Anbau<br />

von Faserpflanzen (Blaues Allgäu), es gilt aber<br />

auch für die unterschiedlichen forstwirtschaftlichen<br />

Nutzungsformen wie Nieder-, Mittel- oder Hochwald.<br />

Die „Umstellung“ auf die stoffliche und energetische<br />

Nutzung der fossilen Rohstoffquellen hat<br />

erheblichen Einfluss auf traditionelle land- und forstwirtschaftliche<br />

Nutzungsformen (z.B. Stichwort Motorisierung)<br />

gehabt <strong>–</strong> und hat dies, angesichts des<br />

Klimawandels, auch indirekt und voraussichtlich<br />

noch auf weitere Zeit.<br />

Abb. 2: Auf „Heimatkurs“ <strong>–</strong> eines von vielen aktuellen Beispielen im Deutschen<br />

Lebensmittelmarkt ...<br />

Foto: privat<br />

Heute erhaltenswerte <strong>Kulturlandschaft</strong>en als Resultat<br />

von Rahmenbedingungen und „Eingriffen“,<br />

die in der Vergangenheit liegen, können heute nicht<br />

mehr allein aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung<br />

der entsprechend traditionellen Nutzungsweisen<br />

erhalten bleiben. In Baden-Württemberg kann<br />

man sich diese Entwicklung am Beispiel des Rückgangs<br />

des landschaftsprägenden Streuobstbaus<br />

durch die Industrialisierung unserer Wirtschaft und<br />

Gesellschaft, sowie durch die veränderte Wettbewerbsstellung,<br />

insbesondere gegenüber dem heimischen<br />

und europäischen Tafelobstanbau und auf<br />

Grund der Veränderungen der Bedingungen auf den<br />

nationalen und internationalen Getränke- und entsprechenden<br />

Rohstoffmärkten vor Augen führen.<br />

Die konkurrierenden Entwicklungen auf dem Markt<br />

für alkoholfreie Getränke (z.B. Boom von Bionade),<br />

die EU-Erweiterung und der schrittweise erfolgende<br />

Abbau des Außenhandelsschutzes der EU und die<br />

damit verbundenen strukturellen Entwicklungen auf<br />

dem Markt für Apfelsaftkonzentrat<br />

verstärkten die ungünstigen Veränderungen<br />

der Wettbewerbsposition<br />

dieser alten Nutzungsform.<br />

Auch die traditionelle und bedeutende<br />

Wanderschafhaltung<br />

in Baden-Württemberg ist seit<br />

einem halben Jahrhundert einem<br />

Veränderungsdruck ausgesetzt.<br />

Bis in die 1950er Jahre stand die<br />

Produktion von Wolle im Mittelpunkt.<br />

Trotz neuer Funktionen<br />

der heimischen Schafhaltung im<br />

Rahmen der bezahlten Landschaftspflege<br />

kämpft sie <strong>–</strong> pauschal<br />

betrachtet <strong>–</strong> weiterhin mit<br />

den Folgen der ökonomischen<br />

Bedeutungslosigkeit der Verwertung<br />

der Wolle.<br />

13


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

14<br />

Alle auf Heimatkurs … <strong>–</strong><br />

Megatrend Regionalität<br />

In seinem o.g. Buch beschreibt<br />

Vincent Klink die Entwicklung der<br />

<strong>Esskultur</strong> in Deutschland seit den<br />

50er, 60er Jahren. Er skizziert dabei<br />

seinen lehrreichen Weg zur regionalen<br />

Ausrichtung seiner Küche<br />

und die damit verbundenen<br />

Herausforderungen und Chancen.<br />

„[…] auch ich hatte also seit einiger<br />

Zeit von Nouvelle-Cuisine-Pürees<br />

[…] die Schnauze voll und<br />

mich immer mehr dem Heimischen<br />

zugewandt. Das Problem<br />

<br />

war <strong>–</strong> und ist: Wo lässt sich gute<br />

Ware auftreiben […] Was die<br />

Qualität der Lebensmittel betrifft,<br />

war uns Frankreich haushoch<br />

überlegen. […] Ich fragte mich aber, wie ökologisch<br />

sinnvoll es sei, die Dinge von weiterher heranzukarren.<br />

Es musste doch auch bei uns ebenbürtige Ware<br />

geben.“<br />

Derzeit können wir erleben, dass das Thema „Regionalität“<br />

und „heimisch“ im Lebensmittelmarkt<br />

deutlich an Bedeutung gewonnen hat. Aber gerade<br />

weil es aktuell so „sexy“ ist, „heimisch“ zu sein, ist<br />

das verbunden mit der Gefahr, dass diesem Trend<br />

eher oberflächlich gefolgt wird und die regionalen<br />

„Wurzeln“ der Produkte nicht immer nachvollziehbar<br />

sind. Dies kann, angesichts der Bedingungen<br />

und Anforderungen auf den Lebensmittelmärkten<br />

und der Vertriebssysteme sowie angesichts der<br />

Merkmale, die Regionalität ausmachen, auch nicht<br />

immer so sein.<br />

Regionalität muss etwas Konkretes sein. Regionalität<br />

ist dann konkret, wenn damit Sicherheit und<br />

Vertrauen verbunden und erfüllt wird. Regionalität<br />

verbindet sich immer mit ganz konkreten Regionen<br />

<br />

<br />

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Abb. 3: Fleischpräferenzen baden-württembergischer Verbraucher<br />

Quelle: MAFO MBW Marketinggesellschaft BW November 2009<br />

und steht somit für typische Landschaftsbilder. <strong>Regionale</strong><br />

Produkte sind per se nur begrenzt verfügbar.<br />

Der Wert von Regionalität oder regionalen Produkten<br />

ist die Herkunft <strong>–</strong> eine Ursprungsgarantie und<br />

ein Stammbaum. Damit soll der Ursprung der Produkte<br />

und die Vielfalt der Verwendungen verfolgt<br />

bzw. dargestellt werden. Regionalität lebt von eigenen<br />

Geschichten und Traditionen, von den (typischen)<br />

Produkten und Verfahren.<br />

Die Gründe für eine „Neu“-Orientierung zur Regionalität<br />

und die damit verbundenen Chancen für<br />

regionale Wertschöpfungsketten, z. B. im Sinne<br />

„Aus der Region, für die Region“ sind vielfältig. Regionalität<br />

steht synonym für Frische, guten Geschmack,<br />

Naturnähe, gesunde Produkte, wenige Zusatzstoffe,<br />

gegebenenfalls direkten persönlichen<br />

Kontakt mit Produzenten und Absatzmittler. Regionalität<br />

steht für Verwurzelung in der Region, Bodenständigkeit<br />

und für eine Identifikation mit der Region.<br />

Regionalität fördert somit Wertschöpfung in<br />

der Region und unterstützt regionale Wirtschafts-


Bruno Krieglstein: <strong>Esskultur</strong> <strong>–</strong> Spiegelbild der <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

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Abb. 4: Fleischpräferenzen baden-württembergischer Verbraucher nach ihrem<br />

Verzehrverhalten<br />

Quelle: MAFO MBW Marketinggesellschaft BW November 2009<br />

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Abb. 5: Fleischpräferenzen baden-württembergischer Verbraucher nach ihrem<br />

Kaufverhalten<br />

Quelle: MAFO MBW Marketinggesellschaft BW November 2009<br />

kreisläufe. Offen kann dabei<br />

eigentlich bleiben, ob eine bestimmte<br />

<strong>Esskultur</strong> damit verbunden<br />

bleiben muss oder die „Ur-<br />

Produkte“ und ihr landwirtschaftlicher<br />

und landschaftsgestaltender<br />

Produktionsprozess im Mittelpunkt<br />

stehen sollten.<br />

Dennoch wird aber vor diesem<br />

Hintergrund die Frage gestellt, ob<br />

nur mit einer traditionellen <strong>Esskultur</strong><br />

die traditionellen <strong>Kulturlandschaft</strong>en<br />

erhalten werden kann<br />

Oder ist der Denkansatz, wie er<br />

beispielsweise in dem Buch „Brotsuppe<br />

& Bohnen <strong>–</strong> Geschichte und<br />

Rezepte aus der Toskana“ von<br />

einen Mitglied einer toskanischen<br />

Kooperative „Cooperativa Agricola<br />

Paterna“ hergeleitet wird, zielführender:<br />

„Es gibt viel Geschwätz.<br />

[…] Menschen essen mit den Köpfen.<br />

[…] Lebensmittel sind zu Modeartikel<br />

verkommen“ […] „Wir<br />

sollten dem Produzenten mehr<br />

Aufmerksamkeit schenken als<br />

dem Produkt. Unser Bäcker kauft<br />

sein Mehl hier, aber der Weizen<br />

stammt aus Kanada. […] Wir sollten<br />

die Vertriebswege der Lebensmittel<br />

überdenken, […] um eine<br />

direkte Beziehung zwischen Produkt<br />

und Verbraucher herzustellen.<br />

Nicht Tradition und Sentimentalität<br />

sind unsere Brücke zur Vergangenheit.“<br />

Wie schwierig Authentizität,<br />

das Denken und insbesondere<br />

Handeln in regionalen Wirtschaftskreisläufen<br />

in unserer globalen<br />

15


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

16<br />

Welt ist, zeigt das Buch aber auch<br />

<strong>–</strong> eher ungewollt: im Impressum<br />

steht: „Printed in China“. Dies<br />

zeigt die Realität, dass ein Lebensund<br />

somit Wirtschaftsmodell „Regionalität“<br />

nur ein Ansatz und dabei<br />

noch ein anspruchsvoller ist.<br />

Gebratene Lammrose … mit<br />

zerdrücktem Knoblauch,<br />

Olivenöl, Rosmarin…<br />

Die Schafhaltung in Baden-Württemberg<br />

hat sich im Hinblick auf<br />

ihre wirtschaftliche Bedeutung<br />

verändert. Bis in die 50er Jahre des<br />

letzten Jahrhunderts war traditionell<br />

die Wollproduktion die maßgebliche<br />

Einnahmequelle und somit<br />

Mittelpunkt des wirtschaftlichen<br />

Handelns. Mit den geänderten Lebensgewohnheiten<br />

einer Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft<br />

ging die zunehmende Vorzüglichkeit synthetischer<br />

oder anderer Fasern landwirtschaftlichen Ursprungs<br />

einher. Auch durch die Wettbewerbsverhältnisse auf<br />

dem globalen Wollmarkt hat die Wollproduktion bei<br />

uns drastisch an ökonomischem Stellenwert verloren.<br />

Das „Nebenprodukt“ dieser traditionellen<br />

Schafhaltung <strong>–</strong> die durch die Schafhaltung geprägte<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> hat in Baden-Württemberg ihre<br />

ursprüngliche ökonomische „Grundlage“ verloren<br />

und muss ggf. durch öffentliche „Aufträge“ erhalten<br />

werden. Anderseits reicht dies aber meistens<br />

nicht aus, um die Einkommenssituation der Schafhaltungsbetriebe<br />

so abzusichern, dass der Erhalt der<br />

vielfältigen Funktionen der Schafhaltung in der Pflege<br />

und dem Erhalt charakteristischer Kultur- und Naturlandschaften<br />

auf Dauer gesichert werden kann.<br />

Die Frage stellt sich daher, in wieweit <strong>–</strong> abgesehen<br />

von der Nische der Schafmilchproduktion <strong>–</strong> das<br />

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Abb. 6: Lammfleisch im Benchmark mit Geflügelfleisch<br />

Quelle: MAFO MBW Marketinggesellschaft BW November 2009<br />

andere Produkt der Schafhaltung, „heimisches<br />

Lammfleisch“, durch entsprechende Maßnahmen in<br />

der Produktion und der Vermarktung so gestärkt<br />

werden kann, dass damit der erforderliche Beitrag<br />

für eine wirtschaftliche Schafhaltung generiert wird.<br />

Neben den Herausforderungen in der Erzeugung, in<br />

der Sicherstellung der erforderlichen Fleischqualität<br />

und, im Wettbewerb mit konkurrierenden Produkten<br />

und Anbietern steht man hier vor der Herausforderung,<br />

dass es gerade wegen der langen Tradition<br />

der Wollerzeugung in unserer Region eigentlich<br />

keine traditionelle „Lammfleischesskultur“ gibt, wie<br />

es in den Mittelmeerregionen oder auch im englischen<br />

Sprachraum der Fall ist. Wie dann erfolgreich<br />

Lammfleisch als ein regionales Produkt vermarkten<br />

Das ist eine große Herausforderung, wie es die Ergebnisse<br />

einer repräsentativen Verbraucherumfrage<br />

in Baden-Württemberg vom November 2009 zeigen.<br />

So wird Lammfleisch gegenüber anderen<br />

Fleischarten als ein etwas „schwieriges“ Produkt<br />

eingestuft. Nur ein Drittel der Befragten essen es


Bruno Krieglstein: <strong>Esskultur</strong> <strong>–</strong> Spiegelbild der <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

Abb. 7: Gute, wettbewerbsfähige Lammfleischqualitäten erfordern gute Futtergrundlagen<br />

Foto: U. Rothweiler<br />

gerne, aber nur ca. 10 % der Befragten kaufen es<br />

auch gerne. Es gibt eine deutliche Kluft zwischen<br />

„Kennern“ und „Ignoranten“. Der Wettbewerb besteht<br />

nicht nur mit wettbewerbsstarken Angeboten<br />

mit neuseeländischem Lammfleisch, sondern insbesondere<br />

auch mit eher „einfachen“ Produkten, wie<br />

Geflügelfleisch. Dies stellt eine große Herausforderung<br />

für das Marketing dar, nicht nur in der Direktvermarktung,<br />

sondern insbesondere mit den erforderlichen<br />

Absatzmittlern des Handels, des Ernährungshandwerks<br />

und der Gastronomie. Einerseits<br />

zeigen die Ergebnisse der Umfrage erfreulicher Weise<br />

auch, dass Lammfleisch und Zartheit zusammengehören<br />

und so auch erlebt werden. Anderseits wird<br />

deutlich, dass noch ein erhebliches Defizit in der<br />

Kommunikation der „Produkteigenschaften“ z. B.<br />

mit Rezepten und zu den zusätzlichen Leistungen<br />

der Schafhaltung für unsere <strong>Kulturlandschaft</strong> besteht.<br />

Auch die erfolgreiche Verwertung von nicht<br />

so „edlen“ Teilen der Lämmer und Schafe ist eine<br />

Herausforderung.<br />

Hier kann eine genussvolle und<br />

somit positiv erlebte <strong>Esskultur</strong> mit<br />

Lammfleischprodukten und -gerichten<br />

insbesondere in und aus<br />

den südlichen Urlaubsländern genutzt<br />

werden, um über den regionalen<br />

Lammfleischkonsum die<br />

durch die Schafhaltung geprägte<br />

typische <strong>Kulturlandschaft</strong> bei uns<br />

zu erhalten helfen. Dabei sollte es<br />

gleich sein, ob zu Hause gekocht,<br />

auswärts gegessen oder durch<br />

Convenienceprodukte der Verzehr<br />

erleichtert wird. Aber nur der<br />

nachvollziehbare Bezug zum Produkt,<br />

nur die gesicherte Herkunft<br />

aus unserer <strong>Kulturlandschaft</strong> sind<br />

der Garant, dass eine entsprechende<br />

„Nachfrage“ einen Beitrag<br />

zum Erhalt der entsprechenden<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong> leisten kann. Dies ist eine große,<br />

aber reizvolle und genussreiche Herausforderung<br />

mit Charme, die der französische Geograf, Professor<br />

Jean-Robert Pitte, so beschreibt: „Was Landschaft<br />

und Nahrungsmittel betrifft, so machen sich nur<br />

Unterschiede bezahlt. Gleichförmigkeit ist die Quelle<br />

der Langeweile!“<br />

Literatur<br />

DE MORI, L. U. JASON, L. (2009): Brotsuppe & Bohnen. <strong>–</strong><br />

München.<br />

KLINK, V. (2009): Sitting Küchenbulle. <strong>–</strong> Hamburg.<br />

MAYER, J. F. (1773): Lehrbuch für die Land- und Haußwirthe<br />

in der pragmatischen Geschichte der gesamten Land- und<br />

Haußwirtschafft des Hohenlohe Schillingfürstischen Amtes<br />

Kupferzell. <strong>–</strong> Nürnberg.<br />

EUROTERROIRS (1998): Deutschlands kulinarisches Erbe. Traditionelle<br />

regionaltypische Lebensmittel und Agrarerzeugnisse.<br />

<strong>–</strong> Cadolzburg.<br />

•<br />

17


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Dinkel, Gurke, Färberwaid:<br />

Kulturpflanzen und ihre Landschaften<br />

Hansjörg Küster<br />

Getreide, Grundnahrungsmittel<br />

Vor mehr als siebentausend Jahren<br />

begann man in Mitteleuropa,<br />

Ackerbau zu betreiben. Damals wurden<br />

Kulturpflanzen, die sich unter dem Einfluss<br />

des Menschen in Vorderasien aus<br />

Wildpflanzen entwickelt hatten, hierzulande<br />

heimisch gemacht. Die Kulturpflanzen<br />

kamen auf verschiedenen Wegen<br />

nach Mitteleuropa: Donauaufwärts<br />

verbreitete sich die Kultur der beiden<br />

Weizenverwandten Einkorn und Emmer (Abb. 1),<br />

von Erbse, Linse und Lein. Über das Mittelmeergebiet<br />

und dann westlich der Alpen gelangten Gerste<br />

(Abb. 2) und Weizen nach Mitteleuropa. Aus dem<br />

westlichen Mittelmeergebiet kam auch der Schlafmohn<br />

ins Gebiet nördlich der Alpen.<br />

Von Anfang an gab es regionale Unterschiede<br />

beim Ackerbau: Im Westen Mitteleuropas baute<br />

man andere Kulturpflanzen an als im<br />

Osten. In Süddeutschland stimmten die<br />

Grenzen der Anbaugebiete und verschiedener<br />

Typen von Wäldern überein.<br />

In Südwestdeutschland, wo die Wälder<br />

reich an Haselbüschen waren, kultivierte<br />

man Gerste und zum Teil auch Weizen;<br />

dort kam Schlafmohn vor. In Südostdeutschland,<br />

wo den Laubgehölzen<br />

Fichten beigemischt waren, standen allein<br />

die beiden Getreidearten Einkorn<br />

und Emmer auf den Feldern. Sie kamen bald auch<br />

weiter im Westen vor; dagegen dauerte es mehrere<br />

Jahrtausende, bis die Gerste auch im Gebiet des<br />

heutigen Bayern und weiter im Osten angebaut<br />

wurde (KÜSTER 1995).<br />

Im Lauf der folgenden Jahrtausende wurden weitere<br />

Kulturpflanzen eingeführt, und die Unterschiede<br />

im Anbau glichen sich immer wieder aus. Eine<br />

18<br />

Abb. 1: Einkorn (aufrecht, unreif) und Emmer (hängende<br />

Ähren, reif)<br />

Abb. 2: Gerste


Hansjörg Küster: Dinkel, Gurke, Färberwaid: Kulturpflanzen und ihre Landschaften<br />

kann (KÖRBER-GROHNE 1987). Die Unterschiede der<br />

Getreideinventare im Westen und Osten Mitteleuropas<br />

hielten sich nicht nur deswegen, weil es<br />

unterschiedliche Anbau- und Nahrungsgewohnheiten<br />

gab, sondern auch, weil eine Umstellung von<br />

Roggen- auf Dinkelanbau aus technischen Gründen<br />

nicht ohne weiteres möglich war. Dinkel muss nach<br />

der Lagerung in den Spelzen getrocknet („gedarrt“)<br />

und entspelzt („gegerbt“) werden. In den Dinkelanbaugebieten<br />

brauchte man Getreidedarren und<br />

Gerbgänge in den Mühlen, bei denen der Abstand<br />

zwischen den beiden Mühlsteinen so eingestellt<br />

Abb. 3: Roggen<br />

Tradition des Weizenanbaus hielt sich zunächst<br />

nicht, denn Weizenkörner sind sehr empfindlich<br />

und verderben bei unzureichenden Lagerungsbedingungen<br />

rasch. Weizen wurde erst dann dauerhaft<br />

zum bevorzugten Brotgetreide, als feste Lagerhäuser<br />

zur Verfügung standen; wichtig waren die<br />

Fruchtkästen des späten Mittelalters und der frühen<br />

Neuzeit. Weniger empfindlich ist Roggen (Abb. 3),<br />

der nicht nur im Norden Mitteleuropas, sondern<br />

auch in Bayern zum Hauptgetreide wurde. Dagegen<br />

hielt sich in Schwaben und Umgebung der Anbau<br />

von Dinkel (Abb. 4), den man ebenfalls gut lagern<br />

Abb. 4: Dinkel<br />

19


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

20<br />

wurde, dass das entspelzte<br />

Korn („Vesen“) genau zwischen<br />

die Steine passte,<br />

nicht aber das von den<br />

Spelzen umhüllte Korn.<br />

Waren die Spelzen und<br />

Körner völlig trocken,<br />

platzten in der Gerbmühle<br />

die Spelzen von den Körnern<br />

ab. Nach Entfernung<br />

der Spelzen konnten die<br />

Körner („Kernen“) im<br />

Mahlgang (mit geringerem<br />

Abstand zwischen den<br />

Mühlsteinen) zu Mehl gemahlen<br />

werden. Wenn<br />

man die Spelzen nicht entfernt,<br />

würden auch sie zermahlen<br />

werden, und das<br />

Mehl hätte einen hohen<br />

Anteil an Silikat, wodurch die Zähne rasch zerstört<br />

werden würden (vgl. KÖRBER-GROHNE 1987). Dinkelanbau<br />

ist stets an das Vorhandensein von Darrhäusern<br />

und Mühlen mit Gerbgängen gebunden; für<br />

die Aufbereitung von Dinkel braucht man außerdem<br />

viel Expertenwissen. Der Dinkelanbau hielt sich<br />

unter anderem auf den kleinen Feldern von Nebenerwerbslandwirten<br />

im Südwesten Deutschlands bis<br />

auf den heutigen Tag.<br />

Dinkelmehl ist besonders eiweiß-(kleber-)reich.<br />

Daher verwendete man es zur Herstellung von<br />

Spätzle und Maultaschen. Die Zubereitung dieser<br />

südwestdeutschen Spezialitäten war angeblich<br />

möglich, ohne dem Teig Eier hinzuzufügen; verwendete<br />

man anderes Mehl, brauchte man unbedingt<br />

Eier im Teig. Semmelmehl, das man aus Roggen<br />

herstellte, ist dagegen ein unbedingt notwendiger<br />

„Rohstoff“ für die Herstellung von bayerischen<br />

Knödeln.<br />

Abb. 5: Traditionelle Wein- und Obstbaulandschaft (im Markgräflerland südlich von<br />

Freiburg)<br />

Klimatische Einflüsse<br />

Einige Kulturpflanzen, die nach und nach eingeführt<br />

wurden, konnte man aus klimatischen Gründen<br />

nicht überall anbauen. Der ursprünglich in Vorderasien<br />

oder im Mittelmeergebiet kultivierte Wein<br />

konnte nur in warmen Regionen angepflanzt werden.<br />

Allerdings waren Weinberge im Mittelalter weiter<br />

verbreitet als heute, was wohl nicht an klimatischen<br />

Veränderungen liegt, sondern daran, dass die<br />

heutigen Transportmöglichkeiten einen leichteren<br />

Austausch an Lebensmitteln ermöglichen, als es vor<br />

einigen Jahrhunderten der Fall war. Als der Aufwand,<br />

Wein zu transportieren, noch sehr hoch war,<br />

musste man ihn an mehr Stellen anbauen als heute.<br />

In den Weinbaugebieten findet man besonders häufig<br />

Nussbäume.<br />

Ähnlich wie die Geschichte des Weinbaus verlief<br />

die Obstbaugeschichte. Man baute Obst im Mittelalter<br />

weit verbreitet an (Abb. 5). Später entwickelten<br />

sich spezielle Gebiete, in denen man große Obst-


Hansjörg Küster: Dinkel, Gurke, Färberwaid: Kulturpflanzen und ihre Landschaften<br />

plantagen anlegte, von denen aus auch Gebiete<br />

mit Äpfeln, Kirschen oder Birnen versorgt werden<br />

konnten, in denen die klimatischen Bedingungen<br />

weniger günstig waren (KOCH 1936). Im Lauf der<br />

Jahrhunderte entstanden vor allem in der Nähe von<br />

großen Städten Obstbaugebiete: im Alten Land bei<br />

Hamburg, im Havelland westlich von Berlin, im Vorgebirge<br />

bei Köln und Bonn, im Neckar- und Remstal<br />

bei Stuttgart, in der Wetterau bei Frankfurt, am Kaiserstuhl<br />

bei Freiburg, im Elbtal bei Dresden. In anderen<br />

Städten, beispielsweise in München, war die<br />

Versorgung mit Obst schwieriger, denn in Bayern<br />

droht häufig Spätfrost, der Obstbaumblüten erfrieren<br />

lässt. Seit dem 19. Jahrhundert kann man Bodenseeobst<br />

mit der Eisenbahn in die bayerische Landeshauptstadt<br />

bringen. Der Bau von Eisenbahnen<br />

führte zur enormen Ausweitung des Obstbaus in<br />

den oben genannten Gebieten, beispielsweise im<br />

Alten Land (SIEMENS 1948). Günstig für den Obstbau<br />

war der Anbau an Hängen (Vorgebirge, Remstal,<br />

Kaiserstuhl), an denen Kaltluft abfloss, und die Nähe<br />

zum Wasser (Altes Land, Havelland, Bodensee), das<br />

Temperaturextreme abmilderte.<br />

Abb. 6: Zur Tauröste ausgelegter Flachs<br />

Hopfen gedieh an Hängen von Hügeln am besten.<br />

Auf Hochebenen ist der starke Wind für die Anlage<br />

von Hopfengärten ungünstig, in den Senken<br />

die zeitweilige Ansammlung kalter Luft in Strahlungsnächten.<br />

Hopfengärten befinden sich daher an<br />

den Hängen von Hügeln der Holledau zwischen Ingolstadt,<br />

Freising und Landshut oder in der Nähe<br />

von Tettnang nördlich des Bodensees.<br />

Lein wurde unter anderem im feuchten Alpenvorland<br />

angebaut. Dort brauchte man keine Röstteiche,<br />

in die die Stängel gelegt wurden, damit ein Fermentationsprozess<br />

ablief, bei dem die langen von den<br />

kurzen Fasern getrennt wurden. In der Nähe der<br />

Alpen und andernorts an feuchten Orten genügte<br />

es, die Stängel ins feuchte Gras zur Tauröste (Abb. 6)<br />

zu legen. Anschließend musste man die Stängel<br />

trocknen (KÖRBER-GROHNE 1987); dies geschah unter<br />

weit überstehenden Dächern oder auf speziellen<br />

Dachböden. Die Bauernhäuser in den Leinanbaugebieten<br />

mussten entsprechend ausgerüstet sein.<br />

Regionalisierung unter dem Einfluss von<br />

Städten<br />

Die lediglich regionale Verbreitung<br />

zahlreicher Kulturpflanzen hing<br />

nicht so sehr mit ländlichen Eigenheiten,<br />

sondern eher noch mit der<br />

Entwicklung von mittelalterlichen<br />

Städten zusammen. Das zeigt sich<br />

bei der Herausbildung von Obstbaugebieten.<br />

Aber auch andere<br />

Kulturpflanzen wurden vor allem<br />

in der Nähe von Städten angebaut.<br />

Besonders deutlich ist dies in der<br />

Umgebung von Hamburg, wo sich<br />

die Marschstadt und die Marschgebiete<br />

parallel zueinander entwickelten.<br />

Entsprechendes spielte<br />

sich in den Niederlanden ab.<br />

21


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

22<br />

In der unbedeichten Marsch<br />

wuchsen keine Bäume, weil diese<br />

auch durch nur gelegentliche Salzwasserüberflutungen<br />

zerstört<br />

wurden. Daher gab es exzellente<br />

Weideflächen, die nicht gerodet<br />

werden mussten und auf denen<br />

das Vieh prächtig gedieh. Allerdings<br />

musste man, wenn man die<br />

Marsch nutzen wollte, für den<br />

Schutz des Viehs bei hohen Fluten<br />

sorgen. Die Marsch ließ sich auch<br />

nur dann besiedeln, wenn es gelang,<br />

Holz zu importieren, aus<br />

dem Häuser gebaut werden konnten.<br />

Zum Schutz von Mensch und<br />

Tier entstanden sie auf künstlich<br />

geschaffenen Hügeln, den Wurten oder Warften.<br />

Nur wenige Kulturpflanzen gediehen in der Marsch,<br />

darunter Gerste, Ackerbohne und Färberwaid (KÖR-<br />

BER-GROHNE 1967), und wohl nicht immer gelang es,<br />

diese Pflanzen reifen zu lassen, bevor sie von Sturmfluten<br />

zerstört wurden. Mit Färberwaid konnte man<br />

beispielsweise aus Wolle oder Lein hergestellte Fasern<br />

und Stoffe blau färben.<br />

Eine Besiedlung der Marschen war nur bei einer<br />

bestehenden Infrastruktur möglich: Es musste Handel<br />

geben, über den Holz und Kulturpflanzen in die<br />

Marschen gelangten. Im Austausch konnten tierische<br />

Produkte (Milch, Milchprodukte, Wolle, ungefärbte<br />

und gefärbte Textilien, Fleisch) ausgeführt<br />

werden. Die Marschbauern waren sehr erfolgreich;<br />

es gelang ihnen, tierische Produkte in die aufkommenden<br />

Städte zu liefern, und deshalb stand die<br />

Kultur der Marschen auch stets unter städtischem<br />

Einfluss (KÜSTER 2010, im Druck). Der Erfolg der<br />

Marschenwirtschaft stieg nach dem Bau von Deichen<br />

erheblich an: Nun ließen sich auch andere Kulturpflanzen<br />

auf den exzellenten Böden der Marsch<br />

anbauen.<br />

Abb. 7: Kohlfelder in Dithmarschen<br />

Hamburg wurde im Mittelalter und in der frühen<br />

Neuzeit vor allem auf dem Wasserweg mit Lebensmitteln<br />

versorgt (KÜSTER 2007). Weil der Transport<br />

einige Zeit in Anspruch nahm, mussten verderbliche<br />

Produkte in der Nähe der Stadt angebaut werden:<br />

Milch kam von den Elbinseln südlich von Hamburg,<br />

Eier gelangten aus der Winsener Elbmarsch in die<br />

Stadt. Gemüse wurde in der Nähe von Lüneburg<br />

(Bardowick) und in den Vierlanden östlich der Stadt<br />

angebaut; Obst kam aus dem Alten Land. Weniger<br />

leicht verderbliche Güter stammten aus größeren<br />

Entfernungen: Weidenzweige, die man zu Fassreifen<br />

verarbeitete, aus der feuchten Haseldorfer<br />

Marsch, wo man kein Getreide anbauen konnte.<br />

Weizen kam aus der Wilstermarsch, Rapsöl, das<br />

man für die Öllampen auf den Schiffen brauchte,<br />

brachte man aus Dithmarschen und Hadeln nach<br />

Hamburg. Kohl, der widerstandsfähig war und daher<br />

einen längeren Schiffstransport ertragen konnte,<br />

wurde in Dithmarschen für den Konsum in Hamburg<br />

angebaut (Abb. 7). Auch weitere Produkte<br />

wurden auf kleinen Schiffen, vor allem Ewern,<br />

transportiert. Es entwickelten sich regionale Spezia-


Hansjörg Küster: Dinkel, Gurke, Färberwaid: Kulturpflanzen und ihre Landschaften<br />

litäten unter den Kulturpflanzen: Kaum irgendwo<br />

sonst wurde so viel Raps angebaut wie an der Elbmündung,<br />

Kohl aus Dithmarschen ist ebenso berühmt<br />

wie Obst vom Alten Land und Gemüse aus<br />

den Vierlanden (GROTH 2005, KÜSTER 2007). Durch<br />

den engen Kontakt zwischen Marschen und der Hafenstadt<br />

kamen zahlreiche exotische Gewürze und<br />

andere pflanzliche Produkte in die Marschen, die<br />

heute zu deren kulinarischen Besonderheiten zählen,<br />

unter anderem Tee, Ingwer, Piment und Dill. Dill<br />

wurde zu einem bevorzugten Fischgewürz, das in<br />

norddeutschen Gärten viel angebaut wurde und<br />

wird, obwohl die Pflanze eigentlich aus südlichen<br />

Breiten stammt.<br />

Ebenfalls vorwiegend auf dem Wasserweg wurde<br />

Berlin mit landwirtschaftlichen Produkten aus<br />

der Umgebung versorgt: Gurken und Meerrettich<br />

stammten aus dem Spreewald, Obst aus dem Umland<br />

von Werder und anderen Orten an Spree und<br />

Havel. Weitere Anbaugebiete von Kohl entwickelten<br />

sich in der Nähe anderer Städte, beispielsweise<br />

auf den Fildern bei Stuttgart. Im Weichbild der<br />

Städte spezialisierte man sich auch auf den Anbau<br />

von Gewürzen, mit denen ortsansässige Kaufleute<br />

Handel trieben und die man zur Haltbarmachung<br />

von Speisen verwendete (Meerrettich bei Nürnberg,<br />

Schnittlauch bei Frankfurt, Brunnenkresse bei Erfurt,<br />

Safran bei Ulm; vgl. KÜSTER 2003). Der Anbau<br />

von Schnittlauch und anderen Zutaten der „Grünen<br />

Soße“ in der Nähe von Frankfurt hatte mit der großen<br />

Bedeutung des jüdischen Bürgertums in der<br />

Stadt zu tun.<br />

Abb. 8: Buchweizenfeld bei Amelinghausen in der Lüneburger<br />

Heide<br />

Neue Kulturpflanzen<br />

In den letzten Jahrhunderten, vor allem seit dem<br />

Zeitalter der Entdeckungsreisen, wurden zahlreiche<br />

Kulturpflanzen weltweit verbreitet. Gewächse aus<br />

der Neuen Welt kamen nach Europa, Kulturpflanzen<br />

aus dem Nahen Osten, die seit Jahrtausenden auch<br />

vielerorts in Europa angebaut werden, gelangten<br />

nach Amerika. Dieser wichtige Aspekt von Globalisierung<br />

führte aber <strong>–</strong> zunächst wenigstens <strong>–</strong> nicht zu<br />

einer Nivellierung regionaler Anbaukulturen und<br />

Nahrungsgewohnheiten.<br />

Im Mittelalter, also noch vor den Entdeckungsreisen,<br />

wurden mehrere Kulturpflanzen unter slawischem<br />

Einfluss verbreitet: Gurke, Meerrettich, Hanf,<br />

Buchweizen. Buchweizen (Abb. 8) wurde vor allem<br />

in Gebieten mit armen Böden angebaut, im Gebirge<br />

und in der Lüneburger Heide.<br />

23


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

24<br />

Der aus Südeuropa stammende Spargel lässt sich<br />

sehr gut in sandigen Dünengebieten anbauen. Der<br />

Spargelanbau dort hat in den letzten Jahrzehnten<br />

zugenommen, weil Spargel eine gesuchte Delikatesse<br />

ist. Es kam zu einer Markenbildung: Nienburger,<br />

Burgdorfer, Schwetzinger oder Schrobenhauser<br />

Spargel sind weit bekannt und werden viel nachgefragt.<br />

Kartoffeln, die ursprünglich aus Amerika stammen,<br />

gedeihen in den Heidegebieten Norddeutschlands<br />

besonders gut. Tomaten werden in großen<br />

Mengen auf der Insel Reichenau im Bodensee angebaut,<br />

wo die Witterung vor allem im Herbst lange<br />

milde ist und die Böden fruchtbar sind. In manchen<br />

vom Klima begünstigten Gebieten wurde und wird<br />

Tabak angebaut. Dort errichte man Tabakscheunen,<br />

die Vorbildern in der amerikanischen Heimat des Tabaks<br />

ähneln, vor allem in der Oberrheinebene, aber<br />

auch noch in den 1980er Jahren an der Mittelelbe<br />

(KÜSTER & HOPPE 2010).<br />

Fazit<br />

Insgesamt zeigt sich als ein interessantes Resultat<br />

dieses Überblicks, dass viele regionale Besonderheiten<br />

des Anbaus von Kulturpflanzen und der Verwendung<br />

von Nahrungspflanzen nicht als ländliche<br />

Eigenheiten entstanden, sondern unter dem Einfluss<br />

der wachsenden Städte. Durch das Bevölkerungswachstum<br />

wurde es besonders notwendig, vor<br />

allem in den Siedlungszentren genügend Nahrungsmittel<br />

zur Verfügung zu haben. Daher wurden<br />

eventuell schon vorhandene Ansätze von Regionalisierung<br />

des Anbaus im 19. und 20. Jahrhundert<br />

verstärkt. Heute allerdings, unter dem Einfluss eines<br />

immer billiger werdenden Transports von Ort zu Ort,<br />

könnte diese Regionalisierung verloren gehen.<br />

Nicht alle Regionalisierungen des Anbaus von<br />

Kulturpflanzen bestanden nur in der Vergangenheit.<br />

Viele von ihnen nehmen heute sogar noch zu; dies<br />

lässt sich beispielsweise beim Anbau von Obst und<br />

Spargel feststellen.<br />

Es ist wichtig, die Anbau- und Versorgungsmuster<br />

mit den dazu gehörenden Orten der Lagerung<br />

und Aufbereitung zu erfassen und dazu die Kenntnisse<br />

zum Anbau und zur Verarbeitung der Pflanzen<br />

zu dokumentieren. Diese Erfassung könnte durch<br />

ehrenamtlich tätige Mitglieder von Heimatvereinen<br />

erfolgen, auch in Kooperation mit anderen Verbänden,<br />

beispielsweise den Landfrauenverbänden. Eine<br />

solche Erfassung ist aus mehreren Gründen notwendig.<br />

Zunächst einmal geht es darum, die Eigenart<br />

von bestimmten Landschaften zu bewahren, deren<br />

Charakter ganz weitgehend von den dort angebauten<br />

Pflanzen bestimmt wird. Auch diese Pflanzen gilt<br />

es zu erhalten; vermutlich sind in den einzelnen Anbaugebieten<br />

noch alte Landsorten zu entdecken, die<br />

in eine Erhaltungskultur genommen werden sollten.<br />

Ganz besonders wichtig sind weitere Gründe, die<br />

für eine genaue Erfassung der Eigenarten des Kulturpflanzenanbaus<br />

in bestimmten Gebieten sprechen.<br />

Zum einen sollte Einheimischen und Besuchern<br />

deutlich gemacht werden, was in einer jeden<br />

Landschaft einmalig ist; diese Einmaligkeit kann<br />

durch den Anbau bestimmter Kulturpflanzen definiert<br />

sein. Zum anderen geht es darum, in Zeiten<br />

knapper werdender fossiler Energieträger an <strong>Landwirtschaft</strong>s-<br />

und Ernährungsmethoden anknüpfen<br />

zu können, die vor der allgemeinen Verbreitung von<br />

Kohle und Erdöl bestanden haben. Zu den Lebensverhältnissen<br />

der damaligen Zeit werden wir sicher<br />

nicht zurückkehren (und auch nicht zurückkehren<br />

wollen). Aber mutmaßlich werden wir die Zukunft<br />

besser bestehen, wenn wir uns bestimmte Traditionen<br />

des Umgangs mit Landschaft und Kulturpflanzen<br />

wieder in Erinnerung rufen. Es ist möglich, dass<br />

die Beschäftigung mit den Zusammenhängen zwischen<br />

<strong>Landwirtschaft</strong>, <strong>Kulturlandschaft</strong> und regionaler<br />

<strong>Esskultur</strong> einen wichtigen Beitrag zur Zukunftsbewältigung<br />

leisten kann.


Hansjörg Küster: Dinkel, Gurke, Färberwaid: Kulturpflanzen und ihre Landschaften<br />

Literaturverzeichnis<br />

GROTH, C. (2005): Die holsteinischen Elbmarschen. Eigenart<br />

und Charakter einer <strong>Kulturlandschaft</strong>. <strong>–</strong> Diplomarbeit,<br />

Hannover.<br />

KOCH, F. (1936): Die geographische Verbreitung der Obstkelterei,<br />

des Obstwein- und Mostgenusses in Mittel- und<br />

Westeuropa. <strong>–</strong> Öhringen.<br />

KÖRBER-GROHNE, U. (1967): Geobotanische Untersuchungen<br />

auf der Feddersen Wierde. <strong>–</strong> Wiesbaden.<br />

KÖRBER-GROHNE, U. (1987): Nutzpflanzen in Deutschland. <strong>–</strong><br />

Stuttgart.<br />

KÜSTER, H. (1995): Postglaziale Vegetationsgeschichte von<br />

Südbayern. <strong>–</strong> Berlin.<br />

KÜSTER, H. (2003): Kleine Kulturgeschichte der Gewürze.<br />

Ein Lexikon von Anis bis Zimt. <strong>–</strong> 3. Auflage, München.<br />

KÜSTER, H. (2007): Die Elbe. Landschaft und Geschichte. <strong>–</strong><br />

München.<br />

KÜSTER, H. (2010): Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa.<br />

Von der Eiszeit bis zur Gegenwart. <strong>–</strong> 4. Auflage,<br />

München.<br />

KÜSTER, H. (im Druck): Marschen an der Nordseeküste zwischen<br />

Ruralität und Urbanität. <strong>–</strong> Dithmarschen (im Druck).<br />

KÜSTER, H. & A. HOPPE (2010): Das Gartenreich Dessau-<br />

Wörlitz. Landschaft und Geschichte. <strong>–</strong> München.<br />

SIEMENS, H. P. (1948): Der Obstbau an der Niederelbe (Regierungsbezirk<br />

Stade). <strong>–</strong> Hannover.<br />

•<br />

25


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Vermarktungsprojekte und ihre Erfolgsfaktoren<br />

Hannes Bürckmann<br />

26<br />

Zusammenfassung<br />

Das Fundament vieler Vermarktungsinitiativen<br />

bilden ihre Erzeugungsrichtlinien,<br />

die in der Regel auch<br />

Naturschutz- und Landschaftsschutzaspekte<br />

(Offenhaltung, Erhalt seltener Arten,<br />

„landschaftsgerechte“ extensive<br />

Bewirtschaftung, etc.) enthalten. Sind<br />

diese Faktoren in den Erzeuger-Richtlinien<br />

enthalten, leisten die Vermarktungsinitiativen<br />

einen aktiven Beitrag<br />

zum Erhalt der <strong>Kulturlandschaft</strong>. Mit dem Konsum<br />

der Produkte kann der Verbraucher dann den Erhalt<br />

der <strong>Kulturlandschaft</strong> positiv beeinflussen.<br />

Im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsvorhabens<br />

im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz<br />

wurde in Zusammenarbeit mit Regional- und<br />

Projektmanagern eine Systematisierung der Erfolgsfaktoren<br />

von Vermarktungsprojekten erarbeitet.<br />

Der Einsatz der Erfolgsfaktoren erfolgt in der so genannten<br />

EFA-Spinne. Bei der vergleichenden Untersuchung<br />

verschiedener Praxisprojekte stellte sich<br />

heraus, dass der Erfolg oder Misserfolg von Vermarktungsprojekten<br />

nicht ausschließlich mit diesen<br />

Erfolgsfaktoren beschrieben werden kann. Erfolgreiche<br />

Vermarktungsprojekte zeigen, dass neben<br />

der möglichst durchgehenden Erfüllung aller Erfolgsfaktoren<br />

insbesondere ein zentrales Management<br />

mit enormer „Businesskompetenz“ vorhanden<br />

sein muss, sodass neben der Erfüllung der Erfolgsfaktoren<br />

der Initiative (horizontale Kooperation)<br />

selbst auch noch die Erfolgsfaktorenbeurteilung<br />

der angegliederten Partner (vertikale Kooperation)<br />

gewährleistet ist. Vermarktungsprojekte<br />

sollten im Sinne einer Wertschöpfungskette<br />

angelegt und organisiert<br />

werden, es müssen also alle Kettenglieder<br />

von der Vorleistung über Erzeugung<br />

und Logistik bis hin zu Verarbeitung,<br />

Verpackung, Marketing und Vertrieb<br />

als ein durchgehendes Unternehmen<br />

entlang der Wertschöpfung<br />

erfasst und gesteuert werden.<br />

Definition der Regionalvermarktung<br />

Für die Begriffsdefinition von Regionalvermarktung<br />

sind zwei Abgrenzungsbereiche von Bedeutung.<br />

Zum einen handelt es sich dabei um die Abgrenzung<br />

von Regionalmarketing und Regionalvermarktung,<br />

zum anderen um die Trennung von Direktvermarktung<br />

und Regionalvermarktung. Beides sind jedoch<br />

verwandte bzw. sich ergänzende Bereiche.<br />

Regionalmarketing und Regionalvermarktung<br />

Regionalmarketing ist nach Säfken „ein Konzept zur<br />

Vermarktung der Qualität von Teilräumen und damit<br />

der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit“. Primäres<br />

Ziel ist es ein „Produkt“ Region bzw. eine Marke<br />

wie z.B. „Rhön“ zu schaffen. Regionalvermarktung<br />

ist eines der Aktivitätsfelder des Regionalmarketings.<br />

Sie wird oft umschrieben als die Vermarktung<br />

von Produkten „Aus der Region <strong>–</strong> für die Region“.<br />

Mit der Vermarktung regionaler Produkte in der Region<br />

wird nicht zuletzt auch die regionale Identität<br />

<strong>–</strong> das „Wir-Gefühl“ der Bevölkerung <strong>–</strong> gestärkt und<br />

gefördert.


Hannes Bürckmann: Vermarktungsprojekte und ihre Erfolgsfaktoren<br />

Regionalvermarktung weist deutlich auf eine<br />

räumliche Abgrenzung der Vermarktungsaktivitäten<br />

hin, wobei „Region“ sehr unterschiedlich gefasst<br />

wird. Neben einer sehr kleinräumigen Definition<br />

können Regionen auch ein gesamtes Bundesland<br />

umfassen. Eine Region ist meist ein historisch und/<br />

oder administrativ entstandenes Territorium, manchmal<br />

mehr oder weniger identisch mit Naturräumen<br />

oder Teilen von diesen.<br />

Abgrenzung zwischen Direkt- und Regionalvermarktung<br />

Längst geht die regionale Vermarktung über den<br />

klassischen, einzelbetrieblichen Direktvertrieb (Wochenmärkte,<br />

Ab-Hof-Verkauf) hinaus und erfolgt in<br />

Form horizontaler und vertikaler Kooperationen.<br />

Unter horizontalen Kooperationen sind gemeinsame<br />

Direktvermarktungseinrichtungen von landwirtschaftlichen<br />

Betrieben zu verstehen, wie z.B. Bauernläden.<br />

Im Bereich der vertikalen Kooperation bestehen<br />

direkte Handelsbeziehungen zwischen einzelnen<br />

Betrieben oder ihren Zusammenschlüssen<br />

und den Abnehmern wie Großverbrauchern, Verarbeitern<br />

und/oder dem Lebensmitteleinzelhandel.<br />

Folgt man diesen Definitionen, so sind im vorliegenden<br />

Fall mit Vermarktungsinitiativen horizontale<br />

und vertikale Kooperationen gemeint, deren Vermarktungsaktivitäten<br />

insbesondere auf den zentralen<br />

Aspekten „regionale Identität“ und „Herkunft“<br />

basieren. Das Fundament der Vermarktungsinitiativen<br />

bilden ihre Erzeugungsrichtlinien, die in der Regel<br />

auch Naturschutz- und Landschaftsschutzaspekte<br />

(Offenhaltung, „landschaftsgerechte“ extensive<br />

Bewirtschaftung, etc.) enthalten.<br />

Sind diese Faktoren in den Erzeuger-Richtlinien<br />

enthalten, leisten die Vermarktungsinitiativen einen<br />

aktiven Beitrag zum Erhalt der <strong>Kulturlandschaft</strong>. Mit<br />

dem Konsum der Produkte kann dann der Verbraucher<br />

den Erhalt der <strong>Kulturlandschaft</strong> positiv beeinflussen.<br />

Dabei muss aber zwischen den hier beschriebenen<br />

„natur- und landschaftsschutzorientierten<br />

regionalen Vermarktungsinitiativen“ und „regionalen<br />

Spezialitäten“ unterschieden werden. So läuft<br />

z.B. auch der Schwarzwälder Schinken unter „regionaler<br />

Spezialität“, seine Erzeugung leistet aber keinen<br />

Beitrag zum Erhalt der Landschaft im Schwarzwald.<br />

Im Folgenden sind mit Vermarktungsinitiativen<br />

also horizontale und vertikale Kooperationen<br />

gemeint, die regional erzeugte Spezialitäten an<br />

landschaftserhaltende Erzeugungsmethoden knüpfen.<br />

Erfolgsfaktoren von Vermarktungsprojekten<br />

Die Definition von Erfolgsfaktoren von Vermarktungsprojekten<br />

wird im Folgenden anhand von zwei<br />

Praxisbeispielen durchgeführt: der Erzeugergemeinschaft<br />

Schwarzwald Nord (EZG) und der Streuobst-<br />

Initiative Calw-Enzkreis-Freudenstadt e.V. (Streuobst-Initiative).<br />

Erzeugergemeinschaft Schwarzwald Nord<br />

Ausgangspunkt: Regionalvermarktungsstudie im<br />

Landkreis Freudenstadt (2000) mit den Empfehlungen:<br />

Gründung einer Erzeugergemeinschaft zur Erzeugung<br />

und Vermarktung von Rind-/Lammfleisch<br />

aus Weidemast (Offenhaltung der Schwarzwaldtäler)<br />

unter Zusammenarbeit von Land- und Gastwirten<br />

mit Metzgern<br />

Meilensteine<br />

− Mai 2001: Gründung eines Vereins<br />

− 2001: Testmärkte und Unternehmenskonzept<br />

− Dez. 2002: Aktion „Winterliche Gaumenfreuden“<br />

mit 18 Gastronomiebetrieben<br />

− 2003: Gründung einer GmbH (Tochter-GmbH<br />

des e.V.) und Übernahme einer Metzgerei<br />

− 2003: Öffentlichkeitsarbeit und Marketing<br />

− März 2004: Gastronomie-Aktion „Schwarzwälder<br />

Weidelamm“<br />

27


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

− 2004: Umsatz ca. € 460.000,-<br />

− 2005: Gastronomie-Aktion „Schwarzwälder<br />

Schlemmerwochen“ im Nordschwarzwald<br />

− Ausdifferenzierung des Produktportfolio<br />

− 2004: erste Probleme bei Bezahlung von Lieferanten,<br />

Probleme bei Produktqualität<br />

− Feb. 2005: Sanierungskonzept (Kapitalerhöhung<br />

und neue Vermarktungswege)<br />

− Juni 2005: Rücktritt des Vorstandes, interne<br />

Differenzen zwischen Verein und GmbH-Management<br />

− Sommer 2006: Insolvenz der EZG<br />

− Okt. 2003: Markteinführung Apfelsaft unter<br />

einheitlicher Marke in drei Landkreisen<br />

(Schneewittchen)<br />

− 2004<strong>–</strong>2007: Ausdifferenzierung Produktportfolio<br />

(A-Saft, A-Mango, Cidre, Aperitif, A-<br />

Zwetschge)<br />

− 2004<strong>–</strong>2009: Ausweitung der Vermarktung<br />

Stand 2009<br />

− 250.000 Liter Saft (2004: 100.000 Liter)<br />

− 350 Lieferanten, 2 Keltereien<br />

− € 8,<strong>–</strong> Aufpreis / dt. angeliefertes Obst,<br />

− 350 ha Vertragsfläche<br />

− 25 Mitgliedsvereine und 60 ehrenamtliche Berater<br />

und Kontrolleure<br />

28<br />

Abb. 1: Marken und Produktportfolio der EZG Schwarzwald<br />

Nord Quelle: neulandplus, 2003<br />

Streuobst-Initiative Calw-Enzkreis-Freudenstadt<br />

e.V.<br />

Ausgangspunkt: Modellprojekt Freudenstadt als<br />

Projekt zur Entwicklung von naturschutzorientierten<br />

Tourismus- und Vermarktungsprojekten mit den<br />

Schwerpunktbereichen Offenhaltung durch Beweidung<br />

(s. EZG Schwarzwald Nord) und Erhalt der<br />

Streuobstwiesen durch den Aufbau einer Aufpreis-<br />

Vermarktungsinitiative für Streuobstprodukte<br />

Meilensteine<br />

− 2003: Kooperationsgespräche der bestehenden<br />

Streuobst-Projekte der Landkreise Calw<br />

und Enzkreis mit dem Landkreis Freudenstadt<br />

− 2003: Organisationsentwicklung, Vereinsgründung,<br />

Finanzierungs- und Marketingkonzept<br />

Abb. 2: Die Marke „Schneewittchen“ der Streuobst-Initiative<br />

Calw-Enzkreis-Freudenstadt e.V.<br />

Quelle: neulandplus, 2004<br />

Entwicklungsschritte von Vermarktungsprojekten<br />

Anhand der dargestellten Praxisbeispiele können einige<br />

zentrale Entwicklungsschritte von Vermarktungsprojekten<br />

definiert werden, die generalisierbar sind:<br />

1. Geschäftsidee und Businessplan<br />

Identifizierung der Problemstellung, Akteure<br />

sowie Produktions- und Entwicklungspotenziale<br />

2. Marktanalyse und Marketingkonzept<br />

Analyse der Erzeugungspotenziale und Nachfrage<br />

(Menge, Preis, etc.) sowie der Vermarktungswege<br />

und Marketingmethoden


Hannes Bürckmann: Vermarktungsprojekte und ihre Erfolgsfaktoren<br />

3. Organisationsentwicklung und Finanzierungskonzept<br />

Identifizierung und Aufbau einer geeigneten<br />

Unternehmensform, (vertragliche) Abstimmung<br />

der Zusammenarbeit mit Partnern, Sicherung<br />

der Finanzierung, Liquidität, etc., Kapitalbeschaffung<br />

4. Marktvorbereitung und Markteinführung<br />

Durchführung von Testmärkten verbunden mit<br />

der Entwicklung der Produkte bis zur Marktreife,<br />

Einführung der Produkte in Zusammenarbeit<br />

mit Partnern, begleitende Öffentlichkeitsarbeit<br />

5. Differenzierung des Produktportfolios<br />

Entwicklung und Einführung neuer/weiterer<br />

Produkte im selben Vertriebsweg zum Ausbau<br />

der Marktposition bzw. des Absatzvolumens,<br />

zur Befriedigung der Kundenwünsche oder<br />

zum Beschreiten neuer Vermarktungswege<br />

6. Begleitende Marketing- und PR-Maßnahmen<br />

Fortlaufende Öffentlichkeitsarbeit während<br />

des gesamten Projektverlaufs zur Aktivierung<br />

von Partnern, Erzeugern oder Unterstützern<br />

sowie zur Schaffung einer Nachfrage<br />

7. Konsolidierung der Vermarktungsaktivitäten<br />

und Etablierung als Wertschöpfungskette,<br />

wechselweise Einführung von neuen Produkten<br />

und Konsolidierung der Marktposition mit<br />

Überprüfung des Produktportfolios, der Vermarktungswege,<br />

Marketingaktivitäten und<br />

Partner sowie kontinuierliche Erfüllung der Erfolgsfaktoren<br />

Erfolgsfaktoren von Vermarktungsprojekten<br />

KULLMANN hat 2003 im Rahmen eines Forschungsund<br />

Entwicklungsvorhabens am Institut für Ländliche<br />

Strukturforschung der Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />

Frankfurt/Main im Auftrag des Bundesamts<br />

für Naturschutz die Regionalvermarktung<br />

in den deutschen Biosphärenreservaten untersucht<br />

und dabei in Zusammenarbeit mit Regional- und<br />

Projektmanagern eine Systematisierung der Erfolgsfaktoren<br />

von Vermarktungsprojekten erarbeitet.<br />

Dieser Ansatz wurde später auch zur Evaluierung<br />

des PLENUM-Programms (und auch des Modellprojekts<br />

Freudenstadt mit den oben beschriebenen Teilprojekten<br />

EZG Schwarzwald Nord und Streuobst-Initiative)<br />

eingesetzt.<br />

Die Erfolgsfaktoren sind nach Projektmanagement<br />

und Marketingmanagement getrennt systematisiert:<br />

Erfolgsfaktoren des Projektmanagements:<br />

− Eigenmotivation regionaler Akteure<br />

− Engagierte Schlüsselpersonen<br />

− Prozesskompetenz der Schlüsselpersonen<br />

− Starke Partner<br />

− Gute Beziehungen<br />

− Ausreichende Ressourcen<br />

− Aufgabengerechte Organisationsstruktur<br />

− Vorzeigbare Erfolge<br />

− Win-Win-Situation für verschiedene Interessengruppen<br />

Erfolgsfaktoren des Marketingmanagement<br />

− Kommunikation<br />

− Distribution<br />

− Preis/Leistung<br />

− Top-Qualität<br />

− Kontrollsystem<br />

− Besondere Produktionsrichtlinien<br />

− Sinnvolle Herkunftsregion<br />

− Konsistente Marketingstrategie<br />

− Marketingkompetenz der Schlüsselpersonen<br />

Einsatz der Erfolgsfaktoren in der Praxis<br />

Die Erfolgsfaktorenanalyse nach der Zusammenstellung<br />

von Kullmann wurde zur Analyse der beiden<br />

oben dargestellten Praxisprojekte eingesetzt. Dabei<br />

werden alle Erfolgsfaktoren mit jeweils vier Faktoren<br />

untersetzt, die dann die Bewertung und anschlie-<br />

29


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

30<br />

ßende Visualisierung ermöglichen.<br />

Die Visualisierung der Erfolgsfaktoren<br />

erfolgt in der so genannten<br />

EFA-Spinne.<br />

Bei der vergleichenden Untersuchung<br />

der beiden Praxisprojekte<br />

stellte sich heraus, dass nur bei<br />

wenigen der Erfolgsfaktoren größere<br />

Unterschiede festzustellen<br />

waren, wie sie in der folgenden Tabelle<br />

aufgeführt sind.<br />

Bei der Analyse der beiden Projekte<br />

auf der Suche nach der<br />

Ursache des Scheiterns der EZG<br />

Schwarzwald Nord wurden darüber<br />

hinaus weitere Faktoren des<br />

Misslingens identifiziert wie eine<br />

zu geringe Eigenkapitalausstattung<br />

und eine fehlende Businesskompetenz<br />

des Managements.<br />

Daneben konnten Schwächen bei<br />

interner Kommunikation, Produktqualität,<br />

Personalpolitik und Logistik als Mit-<br />

Ursachen für das Scheitern des Projekts identifiziert<br />

werden.<br />

Betrachtet man all diese Faktoren, muss man allerdings<br />

feststellen, dass beide dargestellten Projekte<br />

Tabelle 1: Unterschiede in den Erfolgsfaktoren<br />

Erfolgsfaktor Schneewittchen EZG<br />

Schlüsselpersonen + + + + +<br />

Partner / Beziehungen 0 + +<br />

Organisationsstruktur e.V. & Partner e.V. & GmbH<br />

Distribution + + + 0<br />

Marketingkompetenz + + 0<br />

Bewertung von + + + =<br />

voll erfüllt bis 0 = nicht erfüllt<br />

Quelle: neulandplus, 2008<br />

Abb. 3: EFA-Spinne am Beispiel der Streuobst-Initiative Calw-Enzkreis-Freudenstadt e.V.<br />

Quelle: neulandplus, 2006, verändert nach Kullmann, 2003<br />

im zeitlichen Verlauf vor denselben Herausforderungen<br />

bzw. der Notwendigkeit zur Erfüllung der selben<br />

Erfolgsfaktoren stand. Es stellt sich daher die<br />

Frage, ob es nicht einen weiteren Erfolgsfaktoren<br />

geben muss, der für das Scheitern oder Fortbestehen<br />

eines Vermarktungsprojekts<br />

von zentraler Bedeutung ist.<br />

Nachhaltigkeit von<br />

Vermarktungsprojekten<br />

Vermarktungsprojekte für regional<br />

erzeugte Spezialitäten stehen<br />

prinzipiell vor einigen großen Herausforderungen.<br />

Sie müssen höhere<br />

Qualitätsstandards bei Erzeugung<br />

und Verarbeitung erfüllen,


Hannes Bürckmann: Vermarktungsprojekte und ihre Erfolgsfaktoren<br />

um sich von den Konkurrenzprodukten am Markt<br />

abheben zu können. Dies stellt höhere Anforderungen<br />

an Marketing und Kommunikation, um diesen<br />

Wettbewerbsnachteil in einen Vorteil gegenüber<br />

der Konkurrenz umzukehren. Dazu kommen, wegen<br />

der niedrigen Produktionsmenge, höhere<br />

Stückkosten sowie weitere Problembereiche wie<br />

Kapitalbeschaffung, geringe Risikobereitschaft der<br />

Mitglieder und kleinräumige Logistik- und Distributionslösungen.<br />

Betrachtet man diese Faktoren zusammen mit<br />

den oben beschriebenen Erfolgsfaktoren, dann zeigen<br />

erfolgreiche Vermarktungsprojekte, dass die<br />

möglichst durchgehende Erfüllung aller Erfolgsfaktoren<br />

von großer Bedeutung ist. Daraus ergibt sich<br />

aber auch die Notwendigkeit, dass Vermarktungsprojekte<br />

über ein zentrales Management mit enormer<br />

Businesskompetenz verfügen müssen, das<br />

neben der Erfüllung der Erfolgsfaktoren der Initiative<br />

(horizontale Kooperation) selbst auch noch die Erfolgsfaktorenbeurteilung<br />

der angegliederten<br />

Partner (vertikale Kooperation)<br />

gewährleisten soll. Diesem<br />

Management ist eine enorme Bedeutung<br />

beizumessen. Dabei muss aber<br />

auch berücksichtigt werden, dass<br />

viele Vermarktungsprojekte annähernd<br />

basisdemokratisch als Verein<br />

oder Genossenschaft organisiert sind<br />

und sich hier eine Spannung zwischen<br />

breiter Beteiligung und zentralem<br />

Management ergeben kann.<br />

Abb. 4: Entwicklung zur WSK „Schneewittchen“ Quelle: neulandplus, 2007<br />

Vermarktungsprojekte sind demnach<br />

nachhaltig, wenn<br />

<strong>–</strong> alle Erfolgsfaktoren erfüllt werden,<br />

<strong>–</strong> die Erfüllung der Erfolgsfaktoren<br />

„gleichrangig“ erfolgt (Liebigsches<br />

Minimumgesetz),<br />

<strong>–</strong> die Erfolgsfaktoren auf die lokalen<br />

Gegebenheiten angepasst<br />

sind,<br />

<strong>–</strong> ein zentrales Management konsequent<br />

und zielgerichtet das<br />

Projekt steuert und<br />

<strong>–</strong> das Produkt authentisch, hochwertig<br />

und dazu geeignet ist,<br />

dem Nutzer einen Vorteil zu<br />

verschaffen.<br />

31


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Insgesamt bedeutet dies, dass Vermarktungsprojekte<br />

im Sinne einer Wertschöpfungskette angelegt<br />

und organisiert werden, dass also alle Kettenglieder<br />

von der Vorleistung über die Erzeugung und Logistik<br />

bis hin zu Verarbeitung, Verpackung, Marketing<br />

und Vertrieb als ein durchgehendes Unternehmen<br />

entlang der Wertschöpfung definiert und gesteuert<br />

werden. Anhand von Abbildung 4 ist die Entwicklung<br />

von der klassischen Lieferbeziehung der Mostobsterzeuger<br />

hin zur Wertschöpfungskette der<br />

Streuobst-Initiative dargestellt.<br />

Die konsequente Umsetzung der Streuobst-Initiative<br />

Calw-Enzkreis-Freudenstadt e.V. als Wertschöpfungskette<br />

hat nicht nur zur erfolgreichen Entwicklung<br />

der Projektes beigetragen, sondern auch für<br />

eine erhebliche Steigerung der Wertschöpfung in<br />

der Region beigetragen. So kann von einer zusätzlichen<br />

Wertschöpfung in der Region von ca.<br />

€ 200.000 pro Jahr durch die Vermarktungsaktivitäten<br />

ausgegangen werden.<br />

Die Grenzen naturschutzorientierter<br />

Vermarktungsprojekte<br />

Regional erzeugte Spezialitäten stehen derzeit sehr<br />

hoch in der Verbrauchergunst. Das belegen neben<br />

verschiedenen Marktstudien z.B. der GfK oder von<br />

Nestlé auch die Bemühungen der Einzelhandelsketten,<br />

mit regionalen Eigenmarken beim Verbraucher<br />

zu punkten. Allerdings haben diese regionalen Produkte,<br />

die in der Regel im Hochpreis- oder Premiumsegment<br />

angesiedelt sind, eine begrenzte<br />

Zielgruppe bzw. Käuferschicht. Durch die inflationäre<br />

Verwendung des Begriffs Regionalität ergibt<br />

sich ein immer stärkerer Konkurrenzkampf um die<br />

Kunden.<br />

Das Beispiel der Streuobst-Initiative zeigt aber<br />

auch die Grenzen naturschutzorientierter Vermarktungsprojekte<br />

auf. So existieren derzeit in Baden-<br />

Württemberg rund 60 Aufpreis-Vermarktungsprojekte<br />

nach dem Beispiel der Streuobst-Initiative<br />

Calw-Enzkreis-Freudenstadt e.V. Diese Projekte<br />

internalisieren den externen Effekt (Landschaftserhalt)<br />

des Landschaftsschutzes durch die Richtlinien<br />

und den Aufpreis. Sie haben derzeit rund 3.500 ha.<br />

Streuobstwiesen in ihrem Schutzsystem und vermarkten<br />

rund 3 Mio. l Apfelsaft und Apfelsaftprodukte.<br />

Viele der Projekte sind aufgrund fehlender<br />

Nachfrage und ihrer überwiegend ehrenamtlichen<br />

Organisation an einer Grenze der Vermarktung angelangt,<br />

so dass ihr Schutzsystem derzeit nur rund<br />

zwei bis drei Prozent der gesamten Streuobstfläche<br />

des Landes Baden-Württemberg umfasst und nicht<br />

weiter ausgedehnt werden kann.<br />

Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass regional<br />

erzeugte Spezialitäten in ihrem „Wirkungskreis“<br />

zur Steigerung der Wertschöpfung und zum<br />

Landschaftserhalt beitragen und eine wichtige Funktion<br />

bei der „Bewusstseinsbildung“ zum Landschaftserhalt<br />

erfüllen, aber keinen flächendeckenden<br />

Landschaftserhalt sicherstellen können.<br />

Literatur<br />

SÄFKEN, A. (1999): Der Event in Regionen und Städtekooperationen.<br />

<strong>–</strong> Augsburg.<br />

KULLMANN, A. (2003): Erfolgsfaktoren regionaler Vermarktungsprojekte<br />

<strong>–</strong> Ergebnisse der Evaluierung von 10 Modellprojekten,<br />

Bericht zum FuE-Vorhaben Regionalvermarktung<br />

in Biosphärenreservaten des Instituts für Ländliche<br />

Strukturforschung an der Johann Wolfgang Goethe-<br />

Universität Frankfurt/Main.<br />

•<br />

32


Dirk Holterman: Delikatessen am Wegesrand <strong>–</strong> Ein Beitrag zum Landschaftsschutz<br />

Delikatessen am Wegesrand <strong>–</strong><br />

Ein Beitrag zum Landschaftsschutz<br />

Dirk Holterman<br />

Die heutige Entwicklung unserer historisch<br />

gewachsenen <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

steht in diametralem Gegensatz<br />

zur offensichtlichen Sehnsucht vieler<br />

Menschen nach einer „heilen“ und intakten<br />

Umwelt. Die bäuerliche <strong>Landwirtschaft</strong><br />

hat längst ihre prägende Rolle<br />

verloren, und es steht zu befürchten,<br />

dass die Landschaft zu einem großen<br />

touristischen „Heimatmuseum“ verkommt,<br />

in der Schafe den motorisierten<br />

Rasenmäher der Landschaftspfleger ersetzen, traditionelle<br />

Obstwiesen als Alibi für historisch gewachsene<br />

Strukturen herhalten müssen und das Wissen<br />

um unsere heimischen Pflanzen verloren geht.<br />

Die von Dr. Brigitte Klemme (†) und Dr. Dirk Holterman<br />

Anfang dieses Jahrhunderts konzipierte,<br />

entwickelte und dann im Rahmen der von ihnen gegründeten<br />

Gundermannschule will mit ihrem Konzept<br />

der „Kräuterpädagogik“ neues Bewusstsein für<br />

unsere Umwelt schaffen, altes Wissen um unsere<br />

heimischen, nicht kultivierten Pflanzen erhalten und<br />

Menschen die Möglichkeit geben, wieder einen natürlichen<br />

und angstfreien Umgang mit unserer Natur<br />

pflegen zu können.<br />

Im Gegensatz zu einem wirtschaftlichen Ansatz,<br />

der <strong>Kulturlandschaft</strong> bei Verbrauchern durch geschmackliche<br />

und qualitativ hochstehende landwirtschaftliche<br />

Produkte und Erzeugnisse erhalten will,<br />

setzt die Kräuterpädagogik an einem anderen, zunächst<br />

nicht finanziell zu betrachtenden Ende an.<br />

Kein touristischer Prospekt, der nicht mit bunten<br />

Blumenwiesen für die Schönheit der Umgebung<br />

wirbt. Nur wo sind diese Wiesen Und<br />

wer darf hier noch mit einem bunten<br />

Strauß nach Hause gehen<br />

Es sind die durchweg positiven,<br />

„schönen“ Kindheitserinnerungen, die<br />

ein Bild von unserer Umgebung geprägt<br />

haben. Die eine war „Gänseblümchenprinzessin“,<br />

spielte mit Pusteblumen,<br />

die Jungs haben vielleicht<br />

mit Löwenzahn Pipelines gebaut, sich<br />

über das Einrollen angeschnittener<br />

Stängel gewundert oder die Mädchen mit Brennnesseln<br />

geärgert. Erinnerungen frei von modernen<br />

Ängsten heutiger Mütter, die aus Sorge vor Fuchsbandwurm,<br />

Zecken oder Giftpflanzen Kinder von<br />

unserer natürlichen Umgebung fernzuhalten versuchen.<br />

Dabei sehnen sie sich selbst nach der „guten<br />

alten Zeit“ und erinnern sich gerne daran, wie sie<br />

ihrer Mutter mit einem selbst gepflückten Blumenstrauß<br />

aus der Wiese eine Freude machen konnten.<br />

Heute dagegen stellt sich die Frage: Wer kennt<br />

denn überhaupt noch das Gänseblümchen Klar,<br />

weiß doch jedes Kind, kommt als Antwort, aber ehrlich:<br />

Wer würde die Pflanze noch erkennen, wenn<br />

sie gerade keinen Blütenstand hat Eine Wildpflanze,<br />

mit der jeder fast tagtäglich irgendwie zu tun<br />

hat.<br />

Aus Sicht des Naturschutzes wird die Frage immer<br />

brennender: Wie soll ich bestimmte Biotope, seltene<br />

Pflanzen schützen, wenn in der Bevölkerung keiner<br />

mehr über Artenkenntnis verfügt Die Kräuterpädagogik<br />

nach Dr. Klemme/Dr. Holterman verfolgt hier<br />

einen einfachen Weg: Lernen Sie erst einmal das<br />

33


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

34<br />

Gänseblümchen genau kennen. Wussten Sie, dass<br />

die Blätter behaart sind, dass Blätter, Blütenstiel und<br />

das Blütenköpfchen essbar sind und unterschiedlich<br />

schmecken <strong>–</strong> und warum<br />

Wer eine Pflanze kennt, sicher erkennt, und die<br />

typischen Merkmale verinnerlicht hat, der beschäftigt<br />

sich dann mit einer zweiten Pflanze, vielleicht<br />

dem Löwenzahn. Und so baut sich langsam eine solide<br />

Artenkenntnis auf, ohne sich als Anfänger durch<br />

die oft unterschiedlichen und verwirrenden Aussagen<br />

unserer Bestimmungsbücher irritieren zu lassen.<br />

Natur schmeckt<br />

Ein Weg, die Pflanzen seiner Umgebung schätzen,<br />

lieben und später auch schützen zu lernen, geht<br />

schlichtweg über den Magen. Ein selbst gemachtes<br />

Gänseblümchen-Gelee ist etwas ganz anderes als<br />

gekaufte Marmelade. Gebackene Löwenzahnknospen<br />

lassen auch den verwöhnten Gourmet aufhorchen.<br />

Bunte Blütensalate aus Giersch, Spitzwegerich,<br />

Schafgarbe und Vogelmiere sind auch ein Augenschmaus.<br />

Gemischt mit heimischen Salaten lassen<br />

sich als gesellschaftliches Ereignis „essbare<br />

Blumensträuße“ zusammenstellen, die als kleine,<br />

mit einer Möhrenscheibe zusammengehaltene<br />

Kunstwerke anschließend der Zeit, oder besser dem<br />

Abb. 1: Un-Kräuter vom Feinsten <strong>–</strong> Bunter Wildkräuterquark<br />

auf Chicorée-Schiffchen<br />

Hunger zum Opfer fallen, vielleicht verbunden mit<br />

der Erkenntnis, dass Kunst vergänglich sein kann.<br />

Die Erinnerung an das gemeinsame „Leiden“ an der<br />

Un-Kraut-Salatbar aber macht ein solches „Naturereignis“<br />

unvergesslich.<br />

Das Auge isst mit<br />

Nicht die Fakten gilt es in erster Linie zu vermitteln,<br />

diese lassen sich überall nachlesen, sondern Emotionen<br />

wieder erlebbar und auch wiederholbar zu machen,<br />

sind die Ansätze für ein nachhaltiges Naturverständnis.<br />

Was mir gefällt, was mir etwas bedeutet,<br />

das erst werde ich später auch schützen, weil es<br />

mir persönlich etwas wert ist. Allein ein kleiner Blumenstrauß<br />

zu Mittag auf dem Esstisch wird so mancher<br />

Ehepartner sich peinlich fragen lassen: Hab ich<br />

den Hochzeitstag vergessen, oder warum sind plötzlich<br />

Blumen auf dem Tisch<br />

Liebe geht durch den Magen<br />

Die ungeliebte Brennnessel wird plötzlich zu einer<br />

Delikatesse, wenn ich deren Früchte in Olivenöl ausbacke<br />

und in Malvenblüten eingepackt als Begrüßungshäppchen<br />

meinen Gästen anbieten kann <strong>–</strong><br />

verbunden mit dem dezenten Hinweis: Den Mönchen<br />

in früheren Zeiten soll der Verzehr von Brennnesseln<br />

verboten gewesen sein. Spätestens nach<br />

drei Sekunden kommt dann die Zwischenfrage: warum<br />

Und schon ist die eigene Fantasie angesprochen.<br />

Es sind nicht unbedingt die botanischen Details,<br />

warum sich Menschen für unsere Kräuterführungen<br />

interessieren, es sind die Geschichten, die<br />

Erinnerungen, die persönlichen Erlebnisse, die Neugier<br />

wecken, die mit einzelnen Pflanzenarten verbunden<br />

sind. Und wenn diese auch noch schmecken<br />

Mit Wiesenlabkraut, Giersch oder Wiesenbärenklau,<br />

mit den Sprossen des Wiesenbocksbarts<br />

oder den Blütenköpfen von Löwenzahn oder Rotklee<br />

<strong>–</strong> damit kann man (fast) jedem Anfänger zu-


Dirk Holterman: Delikatessen am Wegesrand <strong>–</strong> Ein Beitrag zum Landschaftsschutz<br />

unserer Kulturpflanzen sein sollen.<br />

Nur, sie haben schlichtweg all jene<br />

Inhaltsstoffe noch, die den Kulturpflanzen<br />

weggezüchtet wurden<br />

oder die dabei verloren gegangen<br />

sind. Diese nehmen wir dann bei<br />

Verdauungsproblemen in „flüssiger“<br />

Form meist nach dem Essen<br />

zu uns. Warum also den Umweg,<br />

wenn das Original in jedem Garten<br />

wächst<br />

Kräuter-Wege verbinden<br />

Abb. 2: Eröffnung des Eifeler Kräuterpfades im Beisein der Bürgermeister von<br />

Nettersheim und Bad Münstereifel (rechts), Dr. Dirk Holtermann (links),<br />

Dr. Brigitte Klemme (Mitte) und den Eifeler Kräuterpädagogen<br />

mindest eine Vorstellung vermitteln, dass Wildpflanzen<br />

keineswegs nur nach „Gras“ schmecken.<br />

Das Erfolgsmodell „Mensch“ ist in seiner drei bis<br />

vier Millionen Jahre alten Geschichte ohne Wildkräuter<br />

undenkbar <strong>–</strong> gut, zwischendurch mal ein<br />

Mammut. Es waren und sind<br />

heute noch immer Blätter,<br />

Sprosse, Blüten, Wurzeln, Samen<br />

und Früchte, die unseren<br />

Speiseplan prägen <strong>–</strong> wenn<br />

auch zum Teil mit dem „Umweg“<br />

über „vier Beine“, für<br />

mich die vegetarischste Form<br />

der „Kräuterveredelung“,<br />

wenn ein Rind sein Leben lang<br />

nur auf schönen und artenreichen<br />

Wiesen weiden durfte.<br />

Das bedeutet, dass Wildpflanzen<br />

heute eine Bereicherung<br />

unser einseitig werdenden/gewordenen<br />

Ernährung darstellen,<br />

keineswegs aber Ersatz<br />

Dass Wildkräuter nicht nur Begeisterung<br />

auslösen, sondern auch zur<br />

„Verbrüderung“ beitragen können,<br />

zeigen die Gemeinden Nettersheim<br />

und Bad Münstereifel in<br />

Nordrhein-Westfalen. Die eine ohnehin schon als<br />

„Naturschutzhauptstadt“ bekannt, die andere wandelt<br />

sich von der Kneipp-Stadt zur Kräuter-Stadt <strong>–</strong><br />

beide verbindet ein 20 km langer Kräuterpfad, der<br />

Abb. 3: Eröffnung des 1. Bayerischen Kräuterweges in Böhmfeld<br />

35


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

36<br />

mehr sein will als nur ein Wanderweg durch eine<br />

schöne und abwechslungsreiche Landschaft. Kräuterpädagogen<br />

bieten hier genauso geführte Wanderungen<br />

an, wie im bayerischen Böhmfeld, wo 2010<br />

der erste „Bayerische Kräuterweg“ neue touristische<br />

Perspektiven setzen will.<br />

Naturbotschafter der Regionen<br />

Die persönliche Begeisterung, die Überzeugung, das<br />

eigene, gelebte Wissen macht Kräuterpädagogen<br />

schnell zu Botschaftern der sie umgebenden Landschaft.<br />

Und das auf einem nicht organisierten Niveau,<br />

ohne staatliche Unterstützung und frei von Ideologien<br />

<strong>–</strong> doch mit der zunehmenden Sensibilisierung<br />

für den Erhalt unserer natürlichen Lebensressourcen.<br />

Praxis<br />

Pädagogik<br />

Artenkenntnis<br />

Theorie<br />

Kräuterpädagogik nach Dr. Klemme/<br />

Dr. Holterman<br />

Vor der Jahrhundertwende zeichnete sich ab, dass<br />

die von Dr. Brigitte Klemme in Bad Münstereifel angebotenen<br />

Wildkräuterführungen auf ein zunehmendes<br />

Interesse stießen. Die 3 Tages-Kurse waren<br />

immer ausgebucht. Diese Kurse fanden schnell<br />

Nachahmer, aber <strong>–</strong> wie sich schnell herausstellte <strong>–</strong><br />

nicht immer mit dem nötigen Sach- und Fachverstand.<br />

Aus Sorge, das Thema „Wildkräuter“ könnte<br />

unter nicht kompetenten Führern leiden, entschlossen<br />

wir uns, das zusammen zu tragen, was unserer<br />

Meinung nach ein „Kräuterführer“ wissen muss, um<br />

eine Führung nach unseren Vorstellungen erfolgreich<br />

durchführen zu können. Neben dem biologischen<br />

Sachwissen sollte die Liebe zu den Pflanzen,<br />

das Interesse an der Natur im Vordergrund stehen.<br />

„Mit dem Herzen sehen“ war eine unserer zentralen<br />

Ansprüche, mit dem Natur zu einem individuellen<br />

Erlebnis werden könnte. Nur was Du genauer<br />

kennst, bedeutet Dir auch etwas und Du wirst es<br />

schützen. So entstand das 5-Säulen-Modell der<br />

Kräuterpädagogik, das sich aus Artenkenntnis, Hintergrundwissen<br />

sowie Theorie und Praxis zusammensetzt<br />

und in eine zielgruppenorientierte Pädagogik<br />

eingebunden ist. Nach dem Motto: „Tue Gutes<br />

<strong>–</strong> und rede darüber“ kam dann noch die Medienkunde<br />

hinzu, Möglichkeiten,<br />

sich und sein Angebot aufgrund<br />

journalistischer Erfahrungen in<br />

der Öffentlichkeit besser platzieren<br />

zu können.<br />

<br />

Hintergrund<br />

Wissen<br />

Abb. 4: Kompetenzmodell der von Dr. Brigitte Klemme und Dr. Dirk Holterman<br />

entwickelten Kräuterpädagogik<br />

Die Jahrzehnte lange Erfahrung<br />

von Dr. Brigitte Klemme<br />

und Dr. Dirk Holterman spiegeln<br />

sich in einem umfangreichen<br />

Lehrplan wider <strong>–</strong> Grundlage für<br />

die Qualifizierung zum Kräuterpädagogen.<br />

Es hat sich gezeigt,<br />

dass interessierte Laien durch<br />

sinnliches Erfahren, spielerisches<br />

Sehen lernen, durch aktiven<br />

Umgang mit Pflanzen ohne<br />

„Verbotspädagogik“ für biologische<br />

und ökologische Zusam-


Dirk Holterman: Delikatessen am Wegesrand <strong>–</strong> Ein Beitrag zum Landschaftsschutz<br />

menhänge und die Wertschätzung<br />

nicht nur der bodenständigen<br />

Pflanzenwelt, sondern<br />

auch für die Vielfalt von Naturund<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong> zu begeistern<br />

sind.<br />

Eigene Begeisterung, verbunden<br />

mit fachlichem Wissen<br />

und der Fähigkeit, dieses Fachwissen<br />

spannend und begreifbar<br />

als „Delikatessen am Wegesrand“<br />

verpackt, weiterzugeben,<br />

führen zu nachhaltigem<br />

Interesse und Kenntnis<br />

bei den Seminarteilnehmern.<br />

Mit Stand 2010 sind im<br />

deutschsprachigen Raum annähernd<br />

2000 Kräuterpädagogen<br />

durch die Gundermannschule<br />

in Zusammenarbeit mit staatlichen und regionalen<br />

Stellen zertifiziert worden.<br />

Nach dem Tode von Frau Dr. Brigitte Klemme im<br />

April 2010 wurde eine auch personelle Neuorientierung<br />

der Gundermannschule nötig. Das Ausbildungskonzept<br />

der Kräuterpädagogik wird zukünftig<br />

von der von Dr. rer. nat. Dirk Holterman und Dr. phil.<br />

Astrid Yvonne Kempen im Juni 2010 gegründeten<br />

Gundermann-Akademie übernommen. Dieses neue<br />

Bildungsunternehmen in privater Trägerschaft hat<br />

sich den drei Säulen verschrieben:<br />

<strong>–</strong> Bildung für eine nachhaltige Entwicklung<br />

<strong>–</strong> Management für eine nachhaltige Entwicklung<br />

<strong>–</strong> Gesunde Ernährung und hauswirtschaftliche<br />

Produkterzeugung<br />

Ein Blick ins Internet ergibt fast 300.000 Treffer<br />

allein beim Begriff „Kräuterpädagogin“. Viele der<br />

qualifizierten Frauen haben sich mit der Kräuterpädagogik<br />

ein eigenes (neben-)berufliches Standbein<br />

geschaffen. Die Bandbreite reicht von Führungen,<br />

Abb. 5: Drei Weidezaun-Generationen sichtbar nebeneinander: Buche <strong>–</strong> Beton<br />

<strong>–</strong> Elektrodraht<br />

Produktherstellung, Vorträgen und Seminaren bis<br />

hin zur Seniorenbetreuung oder dem Erlebnis-Catering.<br />

Nicht allein Konsumieren ist hier die Devise,<br />

sondern aktiv das auf der Wiese erleben, was später<br />

am Buffet Auge und Magen erfreuen soll.<br />

Mit diesem gewissen Blick für die Landschaft werden<br />

nun auch Besonderheiten aller Art wahrgenommen,<br />

kulturhistorische Entwicklungen verständlicher,<br />

und es entwickelt sich eine rückhaltlose Unterstützung<br />

für alle Versuche, die eigene, irgendwie<br />

noch „natürliche“ Umgebung erhalten zu wollen <strong>–</strong><br />

eine wichtige Grundlage für alle landschaftsschützenden<br />

Projekte.<br />

Die Viehweide in Abbildung 5 war einst von einer<br />

geschlossenen Buchenhecke umgeben, dann folgten<br />

Betonpfähle mit Stacheldraht, die schließlich von<br />

einem modernen Elektrozaun abgelöst wurden. Drei<br />

Zaun-Generationen sichtbar nebeneinander <strong>–</strong> auch<br />

das ist Kulturgeschichte, die den Reiz einer Landschaft<br />

ausmachen kann.<br />

37


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Abb. 6: Helmut Brunner, Bayerischer <strong>Landwirtschaft</strong>sminister und Jutta Kotzi,<br />

Bayerische Landesanstalt für <strong>Landwirtschaft</strong> in Freising bei der Eröffnung<br />

der Ausstellung „Wild & Wildkräuter <strong>–</strong>aus der <strong>Kulturlandschaft</strong> auf den<br />

Teller“ 2009 auf der Messe „Jagen & Fischen“ München<br />

Unsere <strong>Kulturlandschaft</strong> ist heute von Gegensätzen,<br />

unterschiedlichen Meinungen und Wirtschaftskonzepten<br />

geprägt. Die von der Obersten Jagdbehörde<br />

im Bayerischen <strong>Landwirtschaft</strong>sministerium in<br />

Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landesanstalt<br />

für <strong>Landwirtschaft</strong> (LfL) entwickelte Ausstellung<br />

„Wild & Wildkräuter <strong>–</strong> aus der <strong>Kulturlandschaft</strong> auf<br />

den Teller“, die 2009 erstmals auf der Münchener<br />

Messe „Jagen und Fischen“ gezeigt wurde, bewies<br />

aber eins: Während draußen Jäger, Landwirte, Naturschützer,<br />

Teichwirte, Ökotrophologen, Verbraucherschützer,<br />

Freizeitnutzer, Straßenbauer und Industrieansiedler<br />

ihre Interessen durch den jeweils<br />

„Anderen“ bedroht sehen, ließen delikat zubereitete<br />

Wildkräuter beim gemeinsamen und friedlichen<br />

Speisen alle Meinungsverschiedenheiten in den Hintergrund<br />

treten.<br />

Der Erhalt unserer Wildpflanzen muss also keineswegs<br />

ein Gegensatz zur modernen <strong>Landwirtschaft</strong><br />

sein. Vielmehr ist eine Koexistenz Garant für<br />

mehr Artenvielfalt, wenn Wegränder,<br />

Ruderalflächen und Hecken<br />

nicht als störend und ertragsmindernd<br />

gesehen werden. Artenreiche<br />

und blühende Landschaften<br />

sind Voraussetzungen für Kräuterpädagogen.<br />

Ihre Arbeit hilft, unser<br />

aller Lebensgrundlage einer interessierten<br />

Bevölkerung wieder näher<br />

zu bringen. Und so haben<br />

Wildpflanzen nach Jahrzehnten<br />

der Vernichtung heute das Potenzial<br />

zur Befriedung. Freuen wir<br />

und alle über bunte Blumen und<br />

Farbe in der Landschaft. Und stellen<br />

wir die Frage, ob reines Grün<br />

und anschließend durch Gülle<br />

Braun gewordene Landschaften<br />

ökologisch wertvoll seien <strong>–</strong> so, als<br />

gäbe es im Allgäu keinen Platz mehr für Artendiversität,<br />

Biotopenvielfalt oder landschaftsprägende<br />

Kleinode außerhalb staatlicher Naturschutzgebiete.<br />

Also wagen wir den „Blick über den Zaun“, nehmen<br />

wir wieder den direkten Kontakt mit unserer<br />

Umgebung auf und lassen uns nieder <strong>–</strong> riechen die<br />

Erde, fühlen die Pflanzen und sehen wieder, was uns<br />

umgibt. Der Erhalt unserer bäuerlich geprägten <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

braucht ein breites Verständnis in der<br />

Bevölkerung. Die Kräuterpädagogik ist ein Weg,<br />

wieder Bewusstsein für unsere Lebensgrundlage zu<br />

schaffen.<br />

Internet:<br />

www.gundermann-akademie.com<br />

www.gundermannschule.de<br />

www.kraeuterpaedagoge.de<br />

Bildnachweis: Alle Aufnahmen vom Verfasser<br />

•<br />

38


Rudi Holzberger: 10 Jahre LandZunge: Ein starker Pakt für die Region<br />

10 Jahre LandZunge:<br />

Ein starker Pakt für die Region<br />

Rudi Holzberger<br />

Auch wenn ich es kaum glauben<br />

mag: Vor zehn Jahren ist mir diese<br />

Idee eingefallen. Die Idee zur Aktion<br />

LandZunge. Sie lässt sich wie jede gute<br />

Idee denkbar einfach formulieren: Die<br />

besten Gasthöfe der Region sollten das<br />

Beste aus der Region auf den Tisch bringen.<br />

Ein Pakt der Gastwirte mit den<br />

Landwirten <strong>–</strong> zum Wohle der Gäste und<br />

Genießer. Zehn Jahre später scheint uns<br />

dieses Ziel tatsächlich gelungen. Wir haben<br />

noch viele Pläne, die einstige Vision aber funktioniert<br />

heute prächtig, zum Vorteil für alle Beteiligten.<br />

Auf Dauer werden wir nur Erfolg haben, wenn<br />

Medium Bierdeckel: LandZunge im Gasthof<br />

die Gäste und Genießer mit uns das<br />

Projekt weiter entwickeln, wenn sie<br />

den Erfolg kennen und ebenso die Probleme.<br />

Das Ziel der Aktion LandZunge war<br />

von vornherein klar, und doch sind<br />

viele ähnliche Projekte landauf, landab<br />

gescheitert. Die Dreiecksbeziehung<br />

zwischen Bauern, Wirten und Gästen<br />

schien kaum in Einklang zu bringen.<br />

Die Bauern wollen ganze Tiere verkaufen,<br />

Koch und Wirt aber wollen nur bestimmte Edelteile,<br />

da die Gäste angeblich immer dasselbe essen<br />

wollen. So wie Kommissar Kluftinger am besten<br />

Kässpatzen oder Zwiebelrostbraten. Ein weites Feld<br />

von Vorurteilen, die Lieferanten von weither mit<br />

ihren billigen Angeboten lachten sich ins Fäustchen.<br />

Wie also lässt sich der Erfolg der Aktion LandZunge<br />

erklären Auch wenn er beileibe nicht flächendeckend<br />

ist, auch wenn er den Markt keineswegs<br />

radikal verändert, so ist das Projekt LandZunge in<br />

Allgäu-Oberschwaben heute nach zehn Jahren bundesweit<br />

einmalig. Noch einmal: Was sind die Gründe<br />

für den Erfolg<br />

Daher gleich das persönliche Geständnis: Vor<br />

zehn Jahren wollte ich schlicht einen Traumjob. Ich<br />

wollte nicht mehr stundenlang quer durch die Republik<br />

reisen, sondern hier bleiben in der Region. Der<br />

Journalist in mir wollte ein schönes Magazin der Region<br />

machen, möglichst allein, jedenfalls ohne Chef.<br />

Mit schönen Geschichten und tollen Fotos. Mit<br />

einem ungewöhnlichen, aber wichtigen Thema für<br />

39


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

40<br />

die Region: Landschaft, <strong>Landwirtschaft</strong>, Mentalität<br />

und Genuss. Wozu hatte ich mal <strong>Landwirtschaft</strong> studiert.<br />

Mein Traumjob zeichnete sich ab: Ein Magazin<br />

für den ländlichen Genuss, für das Land und für die<br />

Zunge. Das sollte doch viele Leute interessieren, zumal<br />

Essen und Trinken hier stets viel gegolten hatten.<br />

Wo aber treffen sich die Leute, um dieser Lust zu<br />

frönen Richtig: Im Wirtshaus. Schöne Gasthöfe<br />

warteten in fast jedem Dorf. Warum also nicht ein<br />

Magazin über die schönsten Gasthöfe der Region<br />

erstellen<br />

Mit Stil: Gasthof in Allgäu-Oberschwaben<br />

Foto: T. Gretler<br />

Nur eine leidige Frage trennte mich noch von<br />

meinem Traumjob: Wer sollte das Magazin bezahlen<br />

Ich sinnierte und las in der Schwäbischen Zeitung<br />

einen Artikel über regionale Projekte, die „über<br />

Plenum“ gefördert wurden, und zwar mit hübschen<br />

Sümmchen. Noch interessanter: Ein ehemaliger<br />

Schulfreund war bei diesem mir unbekannten Projekt<br />

zugange. Sollte ich da mal anklopfen…<br />

Gesagt, getan: Eine springlebendige Aktivistin<br />

von Plenum nahm den nicht mehr so jungen Träumer<br />

unter ihre Fittiche. Erster Schritt des starken<br />

Duos: Ein Konzept. Kein Geld ohne Konzept in dieser<br />

Republik. Mein Konzept war zum Glück bereits<br />

formuliert <strong>–</strong> stolze sieben Seiten stark. Mit drei wesentlichen<br />

Zielen:<br />

Dorfgasthäuser sollten das Thema sein. Ohne<br />

Wirtschaft ist ein Dorf tot, fehlt ihm die Seele.<br />

Zweitens: Die ausgewählten Gasthöfe sollten<br />

eine gute Küche bieten, mit möglichst vielen regionalen<br />

Produkten; dies, damit auch bei den Bauern<br />

etwas ankommt, damit sie weiter die Landschaft<br />

pflegen. Dieses Ziel war die notwendige Bedingung<br />

für die Förderung.<br />

Drittens und hier beginnt der andere Weg der<br />

LandZunge: Mein Traum war ein Magazin. Darin<br />

wollte ich die Gasthöfe präsentieren, die perfekte<br />

Werbung für sie betreiben. Ein Magazin für den gemeinsamen<br />

Auftritt, unter einem Namen, einem<br />

Dach, einer Marke!<br />

Mit anderen Worten: Ich wollte einen Deal mit<br />

den willigen Wirten aushandeln. Sie sollten regionale<br />

Produkte kaufen, ich würde für sie eine ehrgeizige<br />

Werbung betreiben, die ihnen mehr Gäste ins Haus<br />

bringt.<br />

Heute schaudert es mich fast bei diesem frechen<br />

Deal: Ich setzte einfach eine Prophezeiung in die<br />

Welt und tat so, als sei ihre Erfüllung beschlossene<br />

Sache! Nur: Würden die Wirte wirklich regional und


Rudi Holzberger: 10 Jahre LandZunge: Ein starker Pakt für die Region<br />

teurer einkaufen Würden die<br />

Bauern tatsächlich gute Produkte<br />

liefern <strong>–</strong> zu fairen Preisen Würden<br />

die Gäste wirklich in die Land-<br />

Zunge-Gasthöfe strömen Falls sie<br />

denn überhaupt mein Magazin lesen<br />

würden.<br />

Heute kann ich leicht posaunen:<br />

Alle Fragen haben sich bewahrheitet.<br />

Auch wenn es anfangs<br />

zögerlich und lange zäh<br />

lief, heute hat die Aktion Land-<br />

Zunge alle Prüfungen bestanden,<br />

heute kann sie sich leicht kontrollieren<br />

lassen <strong>–</strong> ob beim Bauern, in<br />

der Metzgerei oder im Gasthaus.<br />

Die LandZunge ist ein Erfolgsmodell<br />

der regionalen Vermarktung geworden und<br />

zwar flächendeckend. Im Klartext: In und mit der<br />

Aktion LandZunge wird Geld verdient auf allen Stufen.<br />

Und dies, pardon, ist eben doch das entscheidende<br />

Kriterium auch bei allen gut gemeinten<br />

Aktionen. Ob dies immer „fair“ ist, mögen andere<br />

entscheiden, ich kann mit diesem Begriff eh nicht<br />

viel anfangen. Jeder will profitieren, jeder sollte<br />

profitieren, dann müssen wir nicht mehr faire Floskeln<br />

beschwören.<br />

Ganz entscheidend also: Der Pakt der Aktion<br />

LandZunge war am Anfang absolut freiwillig. Niemand<br />

hat die Wirte und Köche kontrolliert, niemand<br />

hat ihnen Vorschriften gemacht <strong>–</strong> ich habe<br />

aber im Magazin lang und breit „vor-geschrieben“,<br />

was die Gäste und Feinschmecker erwarten, was<br />

eine gute regionale Küche ausmacht, wo die besten<br />

Produkte zu kriegen sind. Und siehe da: Der freiwillige<br />

Einstieg war erfolgreich. Mehr als 50 Gasthöfe<br />

waren 2001 im ersten Magazin LandZunge mit von<br />

der Partie, 40 davon sind bis heute dabei, und die<br />

meisten sind heute mit ihrem regionalen Einkauf<br />

LandZunge: volle Teller aus der Region<br />

Foto: F. Kästle<br />

über jeden Zweifel erhaben! Der uralte, so misstrauische<br />

und so typisch deutsche Spruch lässt sich<br />

also guten Gewissens umdrehen: Kontrolle ist gut,<br />

Vertrauen ist besser!<br />

Vertrauen in die gemeinsame Sache, gemeinsame<br />

Aktionen, gemeinsam lernen, gemeinsam die<br />

Kriterien festlegen <strong>–</strong> im besten Sinne basisdemokratisch.<br />

So war die LandZunge anfangs orientiert.<br />

Mit einem Drittel Überzeugungstätern, einem guten<br />

Drittel Interessierten und, auch dies soll gesagt<br />

sein, einigen Trittbrettfahrern. Davon hat die Mehrzahl<br />

bald aufgegeben, andere sind zu überzeugten<br />

Regionalisten geworden, die meisten aber haben<br />

nüchtern beobachtet, dass ihnen das Schild Land-<br />

Zunge mehr Gäste ins Haus bringt, Gäste, die auch<br />

mal etwas mehr anlegen, die wissen wollen, woher<br />

das Fleisch auf dem Teller stammt. Denn sie wollen<br />

weiterhin Fleisch essen, gutes Fleisch von Tieren<br />

aus der Region, die anständig gehalten werden,<br />

bestens gefüttert und stressfrei geschlachtet werden.<br />

Für verirrte Vegetarier war die LandZunge nie<br />

gedacht.<br />

41


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

42<br />

Das Vertrauen hat sich längst ausgezahlt, die<br />

Kontrolle aber funktioniert inzwischen auch. Und:<br />

Sie wurde von den Gastwirten selbst gefordert, ein<br />

Kreis von Aktivisten hat ein einfaches Verfahren ausgeheckt,<br />

einfach, bezahlbar und wirksam.<br />

Anfangs freiwillig, heute überzeugt. So viel zu<br />

den Wirten. Und die Gäste Sie haben das Magazin<br />

LandZunge von vorne bis hinten gelesen, viele haben<br />

die bislang 15 Ausgaben in neun Jahren gesammelt,<br />

viele nutzen die Karte für ihre Sonntagstouren<br />

und haken einen Gasthof nach dem anderen ab.<br />

Viele bekunden uns dann auch Lob und Tadel, ein<br />

Dialog, den wir via Internet-Forum noch deutlich<br />

ausbauen wollen.<br />

Die Gäste stammen vor allem aus der Region<br />

selbst. Die Aktion LandZunge will vor allem die Einheimischen<br />

zum Einkehren bekehren. Viele kennen<br />

die besten Gasthöfe der Region nicht, wissen nicht,<br />

wie nah das Gute ist. Wer aber die Einheimischen<br />

bekehrt hat, muss sich um die Gäste von ferne keine<br />

Sorgen mehr machen <strong>–</strong> sie folgen dem Rat der Einheimischen.<br />

Und, was für ein Glück: Allgäu und<br />

Oberschwaben sind noch recht wohlhabende Landschaften,<br />

die Menschen hier feiern und genießen<br />

gerne, das Wirtshaus ist ihnen selten fremd, der<br />

Geldbeutel sitzt nicht zu locker, das gute Leben darf<br />

aber schon etwas kosten.<br />

Noch ein Erfolgsfaktor also: Die Touristen sollten<br />

nie die erste Zielgruppe sein, da entsteht allzu schnell<br />

der pure Kitsch. Mit den Einheimischen dagegen<br />

müssen wir Klartext sprechen, sie lachen doch nur,<br />

wenn ein ewig blauer Himmel über dem Allgäu<br />

protzt oder in Oberschwaben niemals Nebel zu entdecken<br />

ist.<br />

Meine Devise dagegen: Gerade bei Nebel und Regen<br />

wollen alle Menschen einkehren. Der Biergarten<br />

mag Tränen vergießen, in der warmen Stube aber<br />

dampfen heiße Teller. Eine Genuss-Landschaft kennt<br />

kein schlechtes Wetter.<br />

Aber zurück zur Entwicklung: Gut 50 Gasthöfe<br />

im Landkreis Ravensburg sind zum offiziellen Start<br />

im Mai 2001 mit von der Partie. Das erste Magazin<br />

kommt gut an, wir drucken 30.000 Exemplare, die<br />

weggehen wie die warmen Semmeln. Dank der Förderung<br />

können wir uns sogar die besten Fotografen<br />

leisten <strong>–</strong> nie zuvor wurde eine solche Werbung für<br />

Dorfgasthöfe betrieben.<br />

Wichtiger aber: Die Einheimischen selbst entdecken<br />

mit Freude, dass die Dorfgasthöfe beileibe<br />

nicht tot sind, dass viele mit neuen Konzepten agieren<br />

<strong>–</strong> mit Kunst und Kabarett auch die Kultur ins<br />

Haus holen, auch die Jugendlichen anziehen und so<br />

weiter. Wir entdecken eine tolle Vielfalt von bunten<br />

Gasthöfen auf dem Land. Die Küche ist stets das<br />

zentrale Thema, aber wir wollen die ganze Wirtschaft<br />

präsentieren, mit Stammtisch und dem<br />

Charme der Bedienungen <strong>–</strong> die Wirtschaft als Seele<br />

des Dorfes.<br />

2003 überschreiten wir die bayerische Grenze<br />

und erobern das Allgäu, wir begeistern die oberschwäbischen<br />

Gemüter im Kreis Biberach, dort lächelt<br />

die Seele fortan auch mit der LandZunge.<br />

Heute vereinen sich mehr als 80 Gasthöfe unter<br />

dem Siegel LandZunge. Fast 20 Kandidaten stehen<br />

Gewehr bei Fuß, viel mehr können wir gar nicht<br />

mehr verkraften. Zwischen Pfronten im Ostallgäu<br />

und Altshausen in Oberschwaben, zwischen Berg<br />

bei Ehingen und Weiler im Westallgäu verteilen sich<br />

die LandZunge-Gasthöfe: eine große Region mit<br />

einer großen Genießer-Mentalität. Nicht die elitäre<br />

Küche mit ihren Verrenkungen lockt, sondern die<br />

ehrliche bodenständige Küche mit authentischen<br />

Produkten, mit viel Ehrgeiz gekocht.<br />

Immer noch sind die Landgasthöfe in der absoluten<br />

Überzahl, auch wenn wir uns inzwischen für die<br />

Städte geöffnet haben, freilich nur für ehrgeizige<br />

Betriebe. So wie alle neuen Einsteiger inzwischen<br />

keine freiwilligen Gnaden mehr genießen, sondern


Rudi Holzberger: 10 Jahre LandZunge: Ein starker Pakt für die Region<br />

die Kriterien von LandZunge Plus<br />

erfüllen müssen: Das Fleisch von<br />

Rind und Schwein muss aus der<br />

Region stammen, auch der große<br />

Rest der weiteren Produkte. Immerhin:<br />

In Memmingen und Leutkirch,<br />

in Weingarten oder in Bad<br />

Waldsee, in Lindenberg und mit<br />

der legendären Veitsburg in Ravensburg<br />

haben sich oft die besten<br />

Gasthöfe auch in den Städten inzwischen<br />

zur LandZunge bekannt.<br />

Denn wir können ja nicht auf Dauer<br />

nur die Dörfer feiern, die entscheidende<br />

Leistung der Aktion<br />

LandZunge ist der Mehrwert für<br />

die Landwirte, der Bezug von<br />

möglichst vielen Produkten der Region.<br />

Daher freuen wir uns auch über etliche große Hotels<br />

unter den Neulingen und Kandidaten <strong>–</strong> wahrscheinlich<br />

müssen wir sie bald gesondert ausweisen.<br />

Die Hotels bündeln viele Gäste, diese Küchen haben<br />

großen Bedarf, den müssen und wollen wir erfüllen.<br />

Damit klingt das vielleicht wichtigste Erfolgskriterium<br />

an: Die LandZunge hat eine funktionierende<br />

Logistik und dies fast von Anfang an. Dieser Glücksfall<br />

hat einen Firmen-Namen: Früchte-Jork in Isny.<br />

Rund 40 Lkw fahren kreuz und quer durch Allgäu-<br />

Oberschwaben, liefern schon lange Früchte, Obst<br />

und Gemüse an den Einzelhandel, aber auch an<br />

zahllose Gasthöfe. Was lag näher als die LandZunge-<br />

Produkte mit diesen Lkw mittransportieren zu lassen.<br />

Die Wirte können rund um die Uhr bestellen,<br />

einen Tag später werden sie beliefert. Für Jork ist<br />

dies eine starke Kundenbindung, für das Projekt<br />

LandZunge der vielleicht wichtigste Erfolgsfaktor.<br />

Denn nicht die Visionen und Beschwörungen zählen<br />

unterm Strich, sondern ein Service, der jedem Wirt<br />

Tradition in der Küche: LandZunge-Wirte<br />

Foto: M. Leser<br />

Arbeit spart, der ihm möglichst viel aus einer Hand<br />

liefert und dies in bester regionaler Qualität. Dann<br />

entscheidet nicht mehr der Preis allein.<br />

Eine Vielfalt von Produkten trägt heute bereits<br />

das Siegel der LandZunge. Entscheidend aber bleibt<br />

doch das Thema Fleisch. Beispielhaft sei hier das<br />

Modell der Metzgerei Buchmann genannt: Die Firma<br />

sitzt in Grünkraut bei Ravensburg, eine mittelständische<br />

Metzgerei mit rund 50 Mitarbeitern, also<br />

ein LandZunge-Partner von Bedeutung, alles andere<br />

als eine Dorfmetzgerei. Buchmann bedient das Gros<br />

der LandZunge-Wirte mit Fleisch und Wurst vom<br />

LandZunge-Schwein. Die Schweine stehen bei drei<br />

bäuerlichen Betrieben im nahen Deggenhauser Tal.<br />

Vorbildliche Betriebe, die ihre Tiere länger wachsen<br />

lassen, so erst wird das Fleisch reif, die Qualität<br />

überzeugt, die Bauern bekommen mehr Geld dafür<br />

und haben einen festen Abnehmer. Keine Edel-Rasse<br />

also ist notwendig, nur ein hohes Qualitäts-Bewusstsein.<br />

Geschlachtet wird in Mengen, zerlegt<br />

und verarbeitet bei Buchmann, dann wird mit einer<br />

eigenen Flotte kleiner Lkw an die Wirte und andere<br />

43


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

44<br />

Kunden geliefert. Hand in Hand, alles aus der Region<br />

und für die Region. Bauern, Wirte und Gäste<br />

sind zufrieden. Und wir vermerken einen weiteren<br />

Erfolgsfaktor: Eine Aktion wie die LandZunge<br />

braucht starke Partner, die auch größere Mengen in<br />

guter Qualität liefern können, die flexibel auf Kundenwünsche<br />

reagieren. Die schöne Story vom Landwirt,<br />

der mit einem Tier einen Wirt gleich um die<br />

Ecke beliefert, sie war und ist die absolute Ausnahme.<br />

Auch und gerade die regionale Vermarktung<br />

braucht Schlagkraft, für alternative Träume ist da<br />

wenig Platz.<br />

Dies gilt erst recht für das wichtigste Produkt der<br />

LandZunge und des Allgäus. In Oberschwaben ist<br />

die <strong>Landwirtschaft</strong> vielseitig: Vom Weinbau am Bodensee<br />

über Hopfen und Spargel bis zur Braugerste<br />

reicht hier die Palette. Im Allgäu dagegen herrschen<br />

die Kühe, dominiert die Milchwirtschaft. Der Allgäuer<br />

Käse ist gerühmt, nur: wir haben viel zu viel<br />

davon, wir müssen exportieren, wir sind auch mit<br />

abertausenden Touristen dem Käseberg und dem<br />

Milchsee nicht gewachsen. Immerhin aber pflegen<br />

„Prima Ochsen“ pflegen die Landschaft im Allgäu<br />

wir eine starke Kooperation mit den Allgäuland-Käsereien<br />

und ihrer Edelmarke „Bergbauern“.<br />

Klar bleibt aber: Den Milchbauern der Region<br />

geht es nicht besonders gut, der Kampf um den<br />

Milchpreis hat sogar die breite Öffentlichkeit bewegt.<br />

Alternativen sind da gefragt. Eine davon ist<br />

die Fleischproduktion, statt auf Kühe setzt der Bauer<br />

auf Ochsen. Und so ist die Kälber-EG Allgäu mit<br />

ihrem Markenprogramm „Prima Rind“ heute der<br />

wichtigste Partner der Aktion LandZunge. Kaum jemand<br />

hat anfangs geglaubt, dass die LandZunge-<br />

Gasthöfe in großem Umfang teures Rindfleisch aus<br />

der Region kaufen und auf die Karte setzen werden<br />

<strong>–</strong> allzu verlockend ist die billige Konkurrenz aus Südamerika.<br />

Und doch hat es funktioniert: Die Nachfrage<br />

der LandZunge-Wirte ist so angewachsen,<br />

dass weitere Landwirte in das Markenprogramm<br />

„Prima Rind“ aufgenommen werden müssen! Diese<br />

Landwirte erhalten eine Abnahmegarantie, und sie<br />

erzielen pro Kilo Fleisch stets einen höheren Preis als<br />

ihn der Markt ansonsten hergeben würde! Eben<br />

dies war das große Ziel der Aktion LandZunge, dies<br />

war die Vorgabe für die Förderung<br />

und eben dies haben wir erreicht!<br />

Mehr noch: Die Wirte kaufen,<br />

das freut die Bauern. Aber auch<br />

die Gäste und Genießer sind hoch<br />

begeistert, denn die Qualität von<br />

„Prima Rind“ wird einhellig hoch<br />

gepriesen. Merke: Nur mit Qualität<br />

lassen sich Wirte und Gäste langfristig<br />

begeistern <strong>–</strong> dann zahlen sie<br />

auch gerne einen höheren Preis.<br />

Wie aber ist dieses „prima“<br />

Modell gelungen, das wohlgemerkt<br />

nicht allen, aber doch etlichen<br />

Bauern hilft Die Antwort<br />

lautet: Feneberg. Noch ein Sonderfall<br />

unserer glücklichen Foto: B. Kickner<br />

Region,


Rudi Holzberger: 10 Jahre LandZunge: Ein starker Pakt für die Region<br />

denn eine solche regionale Supermarktkette<br />

ist ziemlich einmalig in<br />

der Republik. Feneberg bietet alles,<br />

was auch bei den Discountern<br />

zu holen wäre, zugleich aber auch<br />

das Beste aus der Region, unter<br />

dem Label „VonHier“ sogar exklusiv<br />

in Bio-Qualität streng aus der<br />

Region.<br />

Nur so ist uns ein starker Dreier<br />

gelungen: Die Bauern der Kälber-<br />

EG liefern ihr „prima“ Rindfleisch,<br />

das wird in der großen Feneberg-<br />

Metzgerei in Kempten verarbeitet<br />

und für die LandZunge-Wirte zerlegt,<br />

inzwischen sogar mit einem<br />

ganz speziellen Zuschnitt. Ausgeliefert<br />

wird über Jork oder Buchmann,<br />

die Feneberg-Metzgerei ist nur ein <strong>–</strong> großes<br />

<strong>–</strong> Rad im Getriebe der Aktion LandZunge. Wieder<br />

ein Partner und Sponsor, der viel Geld in die Aktion<br />

und das Magazin gesteckt hat, sich so aber einen<br />

zusätzlichen Markt eröffnet hat und jetzt mit den<br />

Bauern der Kälber-EG die Ernte einfahren kann.<br />

Ganz ehrlich: Weder der Firmen-Chef Hannes Feneberg<br />

noch Georg Abele, der Chef der Kälber-EG,<br />

noch meine Wenigkeit mit der Idee LandZunge haben<br />

an diesen Erfolg geglaubt. Merke also: Die Wirte<br />

sind besser als ihr Ruf, kein Erfolg jedoch ohne<br />

starke Kooperation, ohne hohe Qualität, ohne funktionierenden<br />

Service.<br />

Fit mit Obst vom Bodensee<br />

Stichwort Partner: Rund 17 sind es inzwischen,<br />

allesamt sind sie mit einer Anzeige im Magazin vertreten,<br />

immer wieder auch mit redaktionellen Beiträgen.<br />

Allein sechs Brauereien, die Mineralquelle<br />

Krumbach, Fruchtsaft Stiefel mit seinem LandZunge-<br />

Apfelsaft aus Streuobst, dazu vier Metzgereien, darunter<br />

wieder der bekannte Waldburger Schinken<br />

oder ganz neu die Metzgerei Schmieger mit ihrem<br />

Foto: F. Kästle<br />

„Lindauer Schübling“. Mit im Boot sind von Anfang<br />

an die Allgäuland-Käsereien <strong>–</strong> für zahllose Bauern<br />

der Region der Abnehmer ihrer Milch. Mit ihnen<br />

hoffen wir, dass nicht nur die Marke „Bergbauern“<br />

bald wieder ebenso aufwärts klettert wie der Milchpreis!<br />

Kurz: Das Modell LandZunge funktioniert besser<br />

denn je.<br />

Auch für die kleinen Erzeuger und Lieferanten<br />

bieten wir im Magazin ein Dach und knüpfen ein<br />

Netzwerk mit neuen Vertriebsschienen. Zum Beispiel<br />

im LandZunge-Schrank in jedem Gasthof. Oder im<br />

LandZunge-Laden Haselburg, der viele von den Kleinen<br />

vereint, besten Honig und feine Marmelade<br />

ebenso bietet wie Käse zuhauf, wie Wein vom See<br />

oder Kartoffeln, Puten- und Lammfleisch, Brot und<br />

Kaffee <strong>–</strong> in der Region geröstet.<br />

Der Laden Haselburg ist kombiniert mit einer Tourist-Info,<br />

die ganz bewusst mit dem Allgäu-Logo den<br />

Gästen zuwinkt, die von der A 96 abbiegen und ins<br />

Allgäu wollen. Hier vor den Toren des künftigen<br />

Center Parcs mit seinen 800 Ferienhäusern wird sich<br />

entscheiden, ob ein Regionalladen zuallererst von<br />

45


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

den Einheimischen angenommen wird, ob es ihnen<br />

ernst ist mit der regionalen Nachfrage, mit der Qualität<br />

zu fairen Preisen. Falls ja, werden weitere Läden<br />

folgen <strong>–</strong> gerne vereint mit der Marke Allgäu, mit der<br />

Marke Oberschwaben, mit der Marke Bodensee.<br />

Denn, das will ich hier nicht verhelen, eine Marke<br />

der Region entsteht nicht am Schreibtisch teurer Planer<br />

und Marketing-Strategen, sie entsteht aus der<br />

Region, sie muss sich sehen, riechen, schmecken,<br />

greifen lassen. Allgäuer Käse, Tettnanger Hopfen,<br />

Aulendorfer Mehl, Wein vom See <strong>–</strong> sie alle brauchen<br />

keine Marke mehr, sie stellen längst eine dar. Mit<br />

anderen Worten: Die LandZunge ist erfolgreich, weil<br />

sie keine Visionen beschwört, sondern „Schienen<br />

der Vermarktung“ gebahnt hat, für den Weg vom<br />

Landwirt zum Gastwirt.<br />

Dieser funktionierende Weg war der schwierigste<br />

Schritt, ab jetzt dürfte es leichter werden, ab jetzt<br />

können wir auch einige Träumereien wagen. Damit<br />

mein Traumjob weiterhin bestehen bleibt: Vor zehn<br />

Jahren bin ich monatelang kreuz und quer durch die<br />

Region gefahren, habe all ihre Schönheiten neu entdeckt,<br />

all die schönen Gasthöfe gesucht und gefunden,<br />

die Wirte kennen und schätzen gelernt. Seit<br />

diesem Sommer bin ich wieder auf Tour, nächstes<br />

Jahr will ich kaum noch anderes tun: Jetzt suche ich<br />

die besten Erzeuger, die besten Produkte. Mehr<br />

noch: Wir werden Genusstouren anbieten, die auf<br />

verschlungenen Wegen von der Gemüse-Insel Reichenau<br />

zum Allgäuer AlpGenuss führen.<br />

Signal für Gäste: Schild am Gasthof<br />

Aber auch an der Wirte-Front lassen wir nicht locker.<br />

Ein Handbuch soll Ihnen helfen, die Ziele der<br />

LandZunge für den Alltag ständig griffbereit zu haben.<br />

Mit einer Serie von Workshops haben wir begonnen,<br />

die Wirte weiter zu qualifizieren. Aber nicht<br />

mit der Hilfe irgendwelcher Gurus, sondern im Dialog,<br />

untereinander, wir wollen, dass die Basis weiter<br />

selber spricht. Zum Schluss daher der entscheidende<br />

Erfolgsfaktor: Wirte und Köche lassen sich nichts<br />

vorschreiben. Sie wollen ihre Rezepte bittschön selber<br />

schreiben <strong>–</strong> eine starke Aktion muss ihnen viele<br />

Freiheiten lassen. Nur überzeugte Wirte werden<br />

auch ihre Gäste begeistern!<br />

•<br />

46


Jürgen Holzhausen: Dachmarke Rhön <strong>–</strong> Das Beste aus dem Biosphärenreservat Rhön<br />

Dachmarke Rhön<br />

Das Beste aus dem Biosphärenreservat Rhön<br />

Jürgen Holzhausen<br />

Zusammenfassung<br />

Die Nutzung der Pflege- und Entwicklungszone<br />

im Biosphärenreservat<br />

Rhön soll umweltverträglich und<br />

zukunftsweisend sein. Die Dachmarke<br />

Rhön spielt hierbei im Biosphärenreservat<br />

eine maßgebliche Rolle, sowohl bei<br />

der Erhaltung der <strong>Kulturlandschaft</strong> wie<br />

auch bei der wirtschaftlichen Weiterentwicklung<br />

der Region.<br />

Essen und Trinken, was die Region<br />

uns bietet, ist der beste Umwelt- und Naturschutz.<br />

Wir schützen unsere Umwelt durch weniger Verkehr,<br />

erhalten und schützen alte Haustierrassen<br />

wie das Rhönschaf und unsere <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

mit all ihren Besonderheiten an seltenen vom Aussterben<br />

bedrohter Pflanzen- und<br />

Tierarten.<br />

Menschliche Eingriffe sind hier nicht erwünscht.<br />

Zu den Kernzonengebieten<br />

der Rhön zählen Moore, Wälder und<br />

Basaltblockhalden.<br />

Etwa 37% gehören zu den Pflegezonen<br />

um die Kernzonen herum, in<br />

denen nur naturnahe Nutzung erlaubt<br />

ist. Die <strong>Kulturlandschaft</strong> wird hier schonend<br />

erhalten. Eine behutsame Pflege<br />

gemeinsam mit landwirtschaftlichen<br />

Betrieben soll den typischen Charakter<br />

der Rhön als „Land der offenen Fernen“ erhalten.<br />

Die restlichen 60% sind Entwicklungszone. Hier<br />

befinden sich Gewerbegebiete und Siedlungen mit<br />

insgesamt 135 000 Einwohnern. Die Nutzung der<br />

Entwicklungszone soll umweltverträglich und zu-<br />

Das Biosphärenreservat Rhön<br />

Weltweit gibt es inzwischen in<br />

über 100 Ländern über 500 Biosphären-reservate.<br />

In Deutschland<br />

sind es 15 von der UNESCO anerkannte<br />

Gebiete. Die Rhön ist mit<br />

knapp 185.000 ha Fläche das<br />

viertgrößte Biosphärenreservat in<br />

der Bundesrepublik.<br />

3 % des 185.000 ha großen<br />

Gebietes sollen in der Rhön als<br />

Kernzone ausgewiesen werden,<br />

die dem Prozessschutz dienen.<br />

Abb. 1: Pflegezone im Biosphärenreservat Rhön<br />

Foto: J. Holzhausen<br />

47


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

48<br />

kunftsweisend sein. Nur die Menschen, die hier leben,<br />

können die Landschaft in ihrer Eigenart, Vielfalt<br />

und Schönheit bewahren.<br />

Jährlich besuchen etwa 3 Millionen Touristen die<br />

Rhön. Sie bringen rund 150 Millionen Euro in die<br />

Region.<br />

Entstehung und Erhaltung der<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong> Rhön<br />

Das Landschaftsbild der Rhön wurde vom tertiären<br />

Vulkanismus geformt. Durch später einsetzende Abtragungsprozesse<br />

modellierten sich die für die Rhön<br />

so typischen Bergkuppen und Kegel heraus.<br />

Aufgrund ihrer geringen Höhenlage wäre die<br />

Rhön natürlicherweise ein reines Laubwaldgebiet<br />

mit Mooren und Basaltblockhalden. Auf den Hochflächen<br />

dominierten Buchen- und Birkenwälder. Die<br />

Abb. 2: <strong>Kulturlandschaft</strong> Rhön<br />

Rhön galt in der Vergangenheit als kalt, düster und<br />

unwirtlich.<br />

Ab dem Mittelalter wurde die Rhön als Weideland<br />

genutzt. Es entstand durch Rodungen und Beweidungen<br />

eine parkähnliche Landschaft.<br />

Der <strong>Landwirtschaft</strong> kommt heute bei der Erhaltung<br />

der <strong>Kulturlandschaft</strong> Rhön, die durch Menschenhand<br />

nachhaltig mitgestaltet wurde, die wichtigste<br />

Rolle zu. Neben dem Schutz und der Pflege<br />

hochwertiger Landschaftsräume sind im Biosphärenreservat<br />

die Grundlagen für eine <strong>Landwirtschaft</strong><br />

zu entwickeln, die die <strong>Kulturlandschaft</strong> erhält und<br />

die den Prinzipien der Nachhaltigkeit und der Umweltverträglichkeit<br />

gerecht wird.<br />

Das Rhönschaf<br />

Die Rhönschafherden mit ihren schwarzköpfigen<br />

Tieren werben in stimmungsvollen<br />

Bildern für eine schon fast vergessene<br />

Landschaft in der Mitte<br />

Deutschlands.<br />

Das Rhönschaf, eine traditionelle<br />

und genügsame Schafrasse,<br />

war an das raue Klima der Rhön<br />

vorzüglich angepasst. Diese alte<br />

heimische Haustierrasse bewirtschaftete<br />

Bergwiesen und sorgte<br />

für offene Graslandschaften und<br />

einen außerordentlichen Artenreichtum.<br />

Das hochbeinige Tier<br />

mit dem „Nofretetekopf“ war allerdings<br />

in der zweiten Hälfte des<br />

20. Jahrhunderts durch die Industrialisierung<br />

stark bedroht. Nun<br />

wurden Tiere auf Gewicht gezüchtet.<br />

Mit diesem Trend konnte<br />

das schlanke Rhönschaf nicht mithalten.<br />

Von einst 400.000 Foto: K.-F. Arbe<br />

Tieren


Jürgen Holzhausen: Dachmarke Rhön <strong>–</strong> Das Beste aus dem Biosphärenreservat Rhön<br />

schrumpfte der Bestand auf einen<br />

kläglichen Rest zusammen und<br />

drohte sogar ganz auszusterben.<br />

Der Initiative des Würzburger<br />

Professors Gerhard Kneitz, dem<br />

Bund für Umwelt und Naturschutz<br />

Deutschland und Bund Naturschutz<br />

in Bayern e.V., aber auch<br />

der Unterstützung der Isler-Stiftung<br />

in Berlin durch den Bezirk<br />

Unterfranken, vieler Fachleute und<br />

großzügiger Spenden ist es zu verdanken,<br />

dass das Rhönschaf in seiner<br />

angestammten Heimat wieder<br />

richtig Fuß gefasst hat und zum<br />

alltäglichen Bild einer offenen<br />

Landschaft gehört.<br />

Abb. 3: Rhönschafherde<br />

Aus einem „tierischen“ Sorgenkind<br />

wurde durch den beherzten<br />

Einsatz engagierter Naturfreunde ein Aushängeschild<br />

und Sympathieträger für die Rhön.<br />

Die Wiederbelebung der Rhönschafherden ist ein<br />

Modellprojekt und dient bis heute bundesweit als<br />

eindrucksvolles Vorbild. Es ist ein Beispiel für die<br />

gelungene Symbiose von Ökonomie und Ökologie,<br />

von Naturschutz und Tourismus, aber auch<br />

von Landschaftspflege, Regionalvermarktung und<br />

Arbeitsplatzsicherung in einer ehemals benachteiligten<br />

Region.<br />

Nur 40 Tiere bildeten 1985 den Grundstock für<br />

die Wiederbelebung einer Rasse, die das Landschaftsbild<br />

der Rhön nachhaltig mitgestaltete. Die<br />

Pflege einzigartiger ökologischer Nischen im „Land<br />

der offenen Fernen“ mit seinen Quell- und Hochstaudenfluren,<br />

Bachläufen und Magerrasen war<br />

ohne das Rhönschaf langfristig kaum vorstellbar. Es<br />

wurde schnell klar, dass die Einzigartigkeit der Rhönidylle<br />

am besten zu erhalten war, wenn man sich auf<br />

diesen Mitgestalter der Rhön besann.<br />

Foto: J. Gombert<br />

Der Bund Naturschutz in Bayern e.V. und BUND<br />

erarbeiteten einen ökologischen Pflegeplan und die<br />

Nachzucht der vierbeinigen Landschaftspfleger. Die<br />

Rettungsaktion gelang. Mittlerweile ist die Rhönschafherde<br />

des BN auf ca. 400 Mutterschafe angewachsen.<br />

Über 4.000 Schwarzschöpfe mit der weißen<br />

Wollweste grasen nun wieder in der Rhön und<br />

sorgen lärmfrei und ohne Spritverbrauch nicht nur<br />

für die Erhaltung seltener Pflanzen und Tiere. Die<br />

Erhaltung und Neubelebung der Schafherden ist<br />

Ausgangspunkt eines Kreislaufssystems mit vielschichtigen<br />

Synergieeffekten. Mit der Erhaltung der<br />

abwechslungsreichen <strong>Kulturlandschaft</strong> ist auch ein<br />

ästhetischer Wert für Erholungssuchende entstanden.<br />

Das Rhönschaf ist nicht nur ein Landschaftspfleger<br />

und ein beliebtes Fotomotiv, sondern auch<br />

Lieferant von Wolle und Fleisch. Die Gastronomie<br />

entdeckte die vorzügliche Qualität des Rhönschaffleisches.<br />

Rhönlammfleisch mit seinem Wildbret<br />

ähnlichem Geschmack zählt neben anderen Gerichten<br />

inzwischen zu den regionalen Spezialitäten. Der<br />

49


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

50<br />

Abb. 4: Rhönschaf<br />

BN baute gemeinsam mit der heimischen Gastronomie<br />

neue Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen<br />

auf. Die Rückkehr und Erhaltung des<br />

Rhönschafes wurde schließlich zu einem Erfolgsprojekt<br />

mit einer vielschichtigen Wertschöpfung für die<br />

Region.<br />

Aus der Rhön <strong>–</strong> für die Rhön<br />

1991 wurde die Rhön von der UNESCO als Biosphärenreservat<br />

ausgewiesen. Die in der Rhön lebenden<br />

und arbeitenden Menschen standen somit vor einer<br />

länderübergreifenden Herausforderung. Es galt,<br />

dauerhaft nach umweltgerechten Prinzipien zu wirtschaften<br />

und die regionale Kreislaufwirtschaft künftig<br />

stärker zu berücksichtigen.<br />

1993 schlossen sich Gastwirte, Landwirte und<br />

handwerkliche Verarbeiter aus der Rhön im Bestreben<br />

um eine zukunftsfähige Entwicklung der Region<br />

zu einer länderübergreifenden Partnerschaft „Aus<br />

der Rhön <strong>–</strong> für die Rhön e.V.“ zusammen.<br />

Der Zusammenschluss sollte die Rahmenbedingungen<br />

verbessern und neue Strukturen schaffen.<br />

Das Ziel des Vereins bestand darin,<br />

gemeinsam mit Landwirten,<br />

handwerklichen Verarbeitern und<br />

Unternehmen in der Rhön zu<br />

einer Zusammenarbeit mit Modellcharakter<br />

für das gesamte<br />

UNESCO-Biosphärenreservat zu<br />

kommen und dessen Zielsetzungen<br />

<strong>–</strong> ein nachhaltiges Wirtschaften<br />

im Einklang mit der Natur <strong>–</strong><br />

möglichst wirkungsvoll zu unterstützen.<br />

Ihre wesentliche Aufgabe sieht<br />

die Partnerschaft „Aus der Rhön <strong>–</strong><br />

für die Rhön“ darin, auf die Qualitätsprodukte<br />

der Landwirte, Hand-<br />

Foto: J. Holzhausen<br />

werksbetriebe und Unternehmen<br />

aus der Rhön aufmerksam zu machen und zu zeigen,<br />

wie vielseitig und qualitativ hochwertig die regionalen<br />

Erzeugnisse verarbeitet und zubereitet<br />

werden können.<br />

Die Partnerschaft fördert insbesondere die Kultur<br />

der Rhön-Landgasthöfe und der regionalen Naturküche.<br />

Schwerpunkt des Angebots stellt die Vielfalt<br />

der heimischen Produkte aus Küche und Keller dar.<br />

Kontinuierlich erhöhte sich der Anteil bäuerlicher<br />

und handwerklicher Lieferanten aus der Region. Bei<br />

der Einführung neuer Produkte wurde darauf geachtet,<br />

dass eine naturverträgliche Produktion garantiert<br />

wurde und eine kontinuierliche Belieferung<br />

gewährleistet werden konnte. <strong>Regionale</strong> Produkte<br />

werden in Geschäften und Gaststätten besonders<br />

gekennzeichnet.<br />

Die Partnerbetriebe des Biosphärenreservats Rhön<br />

tragen mit ihrer Unternehmensphilosophie zur Verkehrs-<br />

und Abfallvermeidung, zur Energie- und Wassereinsparung,<br />

zur Emissionsminderung, zur Sicherung<br />

bäuerlicher Familienbetriebe und zur Erhaltung<br />

der <strong>Kulturlandschaft</strong> der Rhön bei.


Jürgen Holzhausen: Dachmarke Rhön <strong>–</strong> Das Beste aus dem Biosphärenreservat Rhön<br />

Qualitätskriterien des Vereins „Aus der Rhön <strong>–</strong><br />

für die Rhön“<br />

1. Konsequente Umsetzung des Mottos „Aus der<br />

Rhön <strong>–</strong> für die Rhön“ zur Förderung des Biosphärenreservats<br />

durch ständiges Bemühen<br />

um eine ökologische Betriebsführung auf allen<br />

Unternehmensebenen<br />

2. Verarbeitung von regional erzeugten Lebensmitteln<br />

sowie abwechslungsreiche jahreszeitliche<br />

Küche in den Gastronomiebetrieben<br />

3. Dauerhaftes Angebot von alkoholischen und<br />

nichtalkoholischen Getränken aus der Region<br />

4. Kennzeichnung der Produkte, Waren und<br />

Dienstleistungen aus der Rhön unter Angabe<br />

der Lieferanten<br />

Dachmarke Rhön<br />

Die Rhön wird auch als das „Land der offenen Fernen“<br />

bezeichnet. Die Rhön ist eine von Mensch und<br />

Tier geschaffene <strong>Kulturlandschaft</strong> und von einzigartigem<br />

Reiz.<br />

Mit der Dachmarke Rhön wird eine einheitliche<br />

Identität nach innen und ein hoher Wiedererkennungswert<br />

nach außen geschaffen. Für die Trägerschaft,<br />

Betreuung und die Vermarktung der Rhöner<br />

Regionalmarken ist die Dachmarke Rhön GmbH in<br />

Trägerschaft des Vereins Dachmarke Rhön e.V. zuständig.<br />

Der Verein „Dachmarke Rhön“ wurde im<br />

Herbst 2008 von den fünf Landkreisen der Arbeitsgemeinschaft<br />

Rhön sowie engagierten Rhöner Betrieben<br />

länderübergreifend gegründet.<br />

5. Unterstützung der Landwirte und Handwerker<br />

der Region durch konsequentes Einkaufsverhalten.<br />

So ist es möglich, den Gästen hochwertige<br />

Qualitätsprodukte anzubieten und gleichzeitig<br />

durch eine anspruchsvolle regionaltypische<br />

Küche einen Beitrag zur langfristigen Sicherung<br />

der <strong>Kulturlandschaft</strong> zu leisten.<br />

6. Förderung einer flächendeckenden, naturverträglichen<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> mit artgerechter<br />

Tierhaltung, dezentralen Vermarktungsstrukturen<br />

und kurzen Transportwegen. Initiativen<br />

zur Erhaltung bedrohter Nutztierrassen und<br />

Nutzpflanzen, wie zum Beispiel des Rhönschafes,<br />

der Bachforelle oder des Apfels von der<br />

Streuobstwiese, sollen dazu beitragen.<br />

7. Information der Gäste über die Partner aus<br />

<strong>Landwirtschaft</strong>, Gewerbe und Handwerk. Hier<br />

ist auch die Möglichkeit gegeben, sich bei den<br />

Betrieben direkt über deren Arbeitsweise zu<br />

informieren oder Produkte vor Ort zu kaufen.<br />

Die fünf Landkreise der Rhön in Thüringen, Bayern und<br />

Hessen<br />

51


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

52<br />

Ziele der Dachmarke<br />

Die Dachmarke Rhön ist eine Regionalmarke. Es<br />

geht darum, eine Identifikation der Menschen mit<br />

ihrer Heimat zu schaffen. Außerdem unterstützt die<br />

Dachmarke, dass es innerhalb der Rhön wieder<br />

funktionierende Wertschöpfungsketten gibt, und<br />

dass diese Wertschöpfung anschließend innerhalb<br />

der Region verbleibt. Letztlich ist die Dachmarke<br />

eine Art Klammer für die Rhön, denn mit ihr ist es<br />

gelungen, politische Grenzen zu überwinden. (Landrat<br />

Bernd Woide)<br />

Über 200 Unternehmen aus den Landkreisen Bad<br />

Kissingen, Fulda, Rhön-Grabfeld, Schmalkalden-<br />

Meiningen und Wartburgkreis haben sich als offizieller<br />

Partnerbetrieb der Dachmarke Rhön angeschlossen.<br />

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Die Dachmarke Rhön wendet sich an die Unternehmen<br />

in der Region. Zurzeit sind für 14 verschiedene<br />

Branchen Kriterien definiert, die bei einer Mitgliedschaft<br />

erfüllt werden müssen.<br />

Das betrifft zum einen die Gastronomie, aber<br />

auch Branchen wie Imkerei, <strong>Landwirtschaft</strong>, Metzgerei<br />

bis hin zu mittelständischen Handwerksbetrieben<br />

oder Umweltbildungseinrichtungen. Für all diese<br />

sind hohe Qualitätsstandards definiert. Die Dachmarke<br />

Rhön steht also für eine besondere Qualität,<br />

die es nur im Biosphärenreservat Rhön gibt.<br />

Identitäts- und Qualitätszeichen<br />

Die Dachmarke bedient sich dreier verschiedener<br />

Identitäts- und Qualitätszeichen zur Kommunikation,<br />

Hervorhebung, Klassifizierung und Herausstellung<br />

ihrer Produkte.<br />

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Identitätszeichen<br />

Das Identitätszeichen Rhön ist<br />

das Sinnbild für die gesamte<br />

Rhön und dient als Erkennungszeichen<br />

innerhalb der Region. Es<br />

soll Identität nach innen stiften<br />

und dient gleichzeitig zur einheitlichen<br />

Darstellung der Region<br />

nach außen. Die Nutzung<br />

dieses Zeichens ist kostenlos. Es<br />

ist ausschließlich ein Kommunikationszeichen<br />

und wird nicht<br />

für Produkte und Dienstleistungen<br />

verwendet. Die Nutzung


Jürgen Holzhausen: Dachmarke Rhön <strong>–</strong> Das Beste aus dem Biosphärenreservat Rhön<br />

unterliegt keinerlei Kriterien. Jeder Einheimische und<br />

Freund der Region kann das Zeichen als Aufkleber<br />

oder durch andere Werbeträger nutzen, um die<br />

Rhön bekannt zu machen.<br />

Qualitätszeichen<br />

Mit dem Qualitätszeichen<br />

Rhön werden nach<br />

klar definierten Kriterien<br />

ausgewählte Produkte<br />

und Dienstleistungen<br />

der Rhön gekennzeichnet.<br />

Ziel der Auszeichnung ist es, die Verbraucher für<br />

geprüfte Qualitätserzeugnisse und für Angebote aus<br />

der Rhön zu gewinnen. Gegenwärtig nutzen ca. 160<br />

Betriebe innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Rhön<br />

das Qualitätssiegel.<br />

Für die Nutzung werden Gebühren erhoben.<br />

Biosiegel Rhön<br />

Mit dem Biosiegel Rhön<br />

wird der regionale Rohstoffbezug,<br />

hervorragende<br />

Qualität und ökologische<br />

Erzeugung ausgezeichnet.<br />

Es kann von<br />

allen Betrieben, die ihren Sitz innerhalb der Arbeitsgemeinschaft<br />

Rhön haben und nach der EG-Ökoverordnung<br />

erzeugen und verarbeiten, genutzt werden.<br />

Für die Nutzung dieses Siegels werden Gebühren<br />

erhoben.<br />

Premiumprodukte der Dachmarke<br />

Zu den herausragenden Produkten der Rhön gehört<br />

neben Rhönlamm und Ziege eine Reihe anderer Erzeugnisse,<br />

die vor Ort hergestellt werden und als<br />

Premiumprodukte besondere Aufmerksamkeit in<br />

der Vermarktung erfahren:<br />

− Rhöner Äpfel & Säfte<br />

− Rhöner Hausmacherwurst<br />

− Rhöner Biosphärenrind<br />

− Rhöner Weideochse<br />

− Rhöner Wild & Geflügel<br />

− Rhöner Bienenhonig<br />

− Rhöner Mineralwasser<br />

− Rhöner Bier<br />

− Rhöner Edelbrände & Liköre<br />

− Rhöner Brot & Backwaren<br />

− Rhöner Holz und Handwerksprodukte<br />

Hausmacherkooperation<br />

Rhöner Hausmachererzeugnisse sind aus der langen<br />

Tradition der Hausschlachtung hervorgegangen. Bis<br />

in die Gegenwart bewahrten Landwirte und Metzger<br />

die Spitzenqualität ihrer Hausmacherprodukte.<br />

Um diese zu bewahren, wurde die Rhöner Hausmacher-Kooperation<br />

gegründet, der sich Landwirte,<br />

Metzger und zwei mittelständische Schlachthöfe<br />

angeschlossen haben. Die Landwirte lassen ihre<br />

Schweine im Schlachthof in ihrer Nähe schlachten,<br />

und die Metzger aus der Umgebung holen die<br />

Schlachtkörper dort direkt ab, um daraus Rhöner<br />

Wurstspezialitäten zu produzieren. Mit diesem System<br />

sind zum einen kurze Transportwege garantiert.<br />

Auf der anderen Seite bekommt der Verbraucher<br />

ein Erzeugnis mit regionaler Herkunft. Der<br />

Metzger hat sogar Einfluss auf die Fleischqualität,<br />

weil er seinen Produzenten persönlich kennt. Letztlich<br />

profitieren von diesem Wirtschaftskreislauf alle.<br />

Der Landwirt erhält eine Perspektive, auch in Zukunft<br />

in der Region produzieren zu können. Im<br />

Schlachthof werden Arbeitsplätze gesichert, und<br />

die Metzger mit ihren Kunden können auf Frische<br />

und Qualität vertrauen.<br />

53


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Leistungen und Aktivitäten der Dachmarke<br />

Die Dachmarke betreibt für ihre Partnerbetriebe das<br />

Innen- und Außenmarketing, organisiert Veranstaltungen<br />

und Weiterbildungen für ihre Mitglieder,<br />

kontrolliert und zertifiziert.<br />

Ausgewählte Marketingaktivitäten der Dachmarke:<br />

Abb. 5: Rhöner Spezialitäten<br />

Netzwerk der Partnerbetriebe<br />

Foto: BR-Archiv<br />

Anlass:<br />

Musical „Rhönpaulus“ in Dermbach<br />

(2009)<br />

Aktivität der Aktionswochen mit Gastronomen<br />

Dachmarke: und Produzenten<br />

Erstellung von Werbematerialien<br />

Organisation eines Rhönmarktes mit<br />

Verkaufsständen<br />

Pressearbeit<br />

Anlass:<br />

Darstellung der regionalen<br />

Gastronomie<br />

Aktivität der Herausgabe eines<br />

Dachmarke: Gastronomieführers<br />

„Rhöner Genusstour“<br />

Anlass:<br />

Lehrlingswettbewerb „So schmeckt’s<br />

in der Rhön“ (2009)<br />

Aktivität der<br />

Dachmarke:<br />

Pressearbeit<br />

54<br />

Erfolgsgeschichte Gastronomie<br />

Die Gastronomiebetriebe konnten innerhalb<br />

der Dachmarke ihre eigene<br />

Erfolgsgeschichte schreiben. Mit dem<br />

Projekt „Rhöner Genusstour“ werben<br />

Betriebe für regionale Spezialitäten auf<br />

ihren Speisekarten. Alle Partner erhalten<br />

neben Schulungsangeboten regelmäßige<br />

Informationen und Unterstützung<br />

in Marketing und Werbung. Betriebe,<br />

die sich der Dachmarke an-


Jürgen Holzhausen: Dachmarke Rhön <strong>–</strong> Das Beste aus dem Biosphärenreservat Rhön<br />

schließen, unterziehen sich einer zusätzlichen und<br />

freiwilligen Prüfung, die mit dem Zusatzprädikat<br />

„Silberdistel“ einhergeht.<br />

Kriterien der Dachmarke Rhön<br />

Getränke<br />

Der Betrieb bietet folgende Getränke, die aus dem<br />

Gebiet der <strong>Regionale</strong>n Arbeitsgemeinschaft Rhön<br />

kommen, ständig an:<br />

• Bier (Wenn ein langfristiger Vertrag mit einer<br />

nicht regionalen Brauerei besteht, kann z.B. ein<br />

Bio-Weizenbier oder ähnliches aus der Region<br />

angeboten werden.)<br />

• Mineralwasser<br />

• Spirituosen<br />

• Saft<br />

• Wein oder Apfelwein<br />

Speisen<br />

Der Betrieb bietet mindestens zwei regionaltypische<br />

Gerichte ganzjährig an. Die regionaltypischen Gerichte<br />

können während des Jahres variieren. Die<br />

Hauptzutaten der jeweiligen Gerichte werden aus<br />

der Region bezogen. In der Karte wird besonders<br />

auf diese Gerichte durch das Qualitätssiegel hingewiesen,<br />

und die Lieferanten aus der Region werden<br />

aufgeführt. Es werden keine Einweg- und Portionsverpackungen<br />

verwendet (Brotaufstriche, Kaffeemilch<br />

etc.).<br />

Aus- und Fortbildung<br />

Der Betrieb bildet sein Personal im Service so aus,<br />

dass es der Kundschaft fachkundig zu den Zielen der<br />

Dachmarke Rhön und der Herkunft und Verarbeitung<br />

der eingesetzten regionalen Produkte Auskunft<br />

geben kann. Einmal im Jahr nehmen Geschäftsführung<br />

und/oder Personal an einer von der Dachmarke<br />

organisierten Fortbildungsveranstaltung teil. Eine<br />

angemessene Beteiligung an den Kosten wird von<br />

den teilnehmenden Betrieben erhoben.<br />

Beispielhafte Schulungen, organisiert durch<br />

die Dachmarke Rhön:<br />

• Service vom Feinsten <strong>–</strong> Wir freuen uns, dass Sie<br />

da sind<br />

• Verkaufstraining <strong>–</strong> „Die Rhön als Verkaufsargument“<br />

• Beschwerdemanagement<br />

Gemeinsame Werbeaktionen<br />

Das Unternehmen hat die Möglichkeit, sich an öffentlichkeitswirksamen<br />

Aktionen der Dachmarke zu<br />

beteiligen (Themenwochen, Werbeaktionen/Kochen<br />

bei speziell initiierten Veranstaltungen, länderübergreifender<br />

Kochwettbewerb mit Rhöner Produkten<br />

für Azubis, etc.).<br />

Auszeichnung<br />

Der teilnehmende Betrieb erhält:<br />

• ein wertiges Schild und eine Urkunde mit dem<br />

Qualitätssiegel, damit der Kunde erkennen<br />

kann „Hier gibt es echt Rhön“<br />

• eine Rhönfahne und eine CD-ROM mit digitalen<br />

Vorlagen für die Speisekarte (Anzeigen etc.<br />

werden zur Verfügung gestellt)<br />

Überprüfung<br />

Die Teilnehmer müssen die Nachweise zur Einhaltung<br />

der vorgenannten Punkte jährlich unaufgefordert<br />

an das Dachmarken-Management einbringen.<br />

Qualitätssiegel für Gaststätten<br />

Die Auszeichnung mit „Silberdisteln“ ist Anreiz und<br />

zeigt dem Gast an, dass er schmackhafte regionale<br />

Produkte erwarten kann und mit seiner Wahl der<br />

Gaststätte zur wirtschaftlichen Stärkung der Region<br />

und zur Erhaltung der Rhönlandschaft beiträgt.<br />

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<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Kontaktadresse<br />

Dachmarke Rhön GmbH<br />

Oberwaldbehrunger Str. 4<br />

97656 Oberelsbach<br />

Tel. 09774/ 9102-16 und -35<br />

E-Mail: info@dachmarke-rhoen.de<br />

Internet: www.rhoen.de und www.marktplatzrhoen.de<br />

1 Silberdistel = 30 % regionale Produkte<br />

2 Silberdisteln = 40 % regionale Produkte<br />

3 Silberdisteln = 60 % regionale Produkte<br />

Quellennachweise bzw. Literaturverzeichnis<br />

Planungsbüro Grebe (1995): Biosphärenreservat Rhön.<br />

Rahmenkonzept für Schutz, Pflege und Entwicklung. <strong>–</strong><br />

Neumann-Verlag GmbH Radebeul.<br />

•<br />

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Sabine Behr: Vermarktungsinitiative „Genuss vom Pfrunger-Burgweiler Ried“ …<br />

Vermarktungsininitiative „Genuss vom<br />

Pfrunger-Burgweiler Ried“ <strong>–</strong> eine Regionalvermarktung<br />

mit Schwerpunkt <strong>Landwirtschaft</strong><br />

und Naturschutz stellt sich vor<br />

Sabine Behr<br />

Abb. 1: LOGO Vermarktungsinitiative<br />

In der heutigen schnelllebigen Zeit bieten Einkaufsmöglichkeiten<br />

eine Fülle von verschiedenen Produkten.<br />

Die schnelle Zubereitung von Gerichten<br />

steht oft im Vordergrund. Die<br />

Kochkunst an sich, das Wissen um<br />

regionale Produkte sowie der Genuss<br />

des Essens geraten dabei in<br />

den Hintergrund, und es werden<br />

Verwertungsmöglichkeiten im<br />

Blickwinkel der Ganzheitlichkeit<br />

nur noch wenig innerhalb der Familie<br />

gelehrt und weitergegeben.<br />

Die Vermarktungsinitiative „Genuss<br />

vom Pfrunger-Burgweiler<br />

Ried“ ist ein regionaler Zusammenschluss<br />

von sieben Landwirten,<br />

die ihren Schwerpunkt auf<br />

eine gute Fleischproduktion mit entsprechender<br />

Vermarktung ausgerichtet<br />

haben. Ein weiteres Merkmal ist die<br />

Aufklärungsarbeit, Verbraucher für<br />

eine ganzheitliche Verwertung von<br />

Fleischstücken zu sensibilisieren. Dabei<br />

wird besonderen Wert auf qualitativ<br />

hochwertige Produkte im Fleisch- und<br />

Wurstwarenbereich gelegt. Das Aufzeigen<br />

sowie die Verbesserung der regionalen<br />

Wertschöpfung und der Gründung<br />

einer Zweckgemeinschaft, bestehend<br />

aus landwirtschaftlichen Erzeugern, handwerklichen<br />

Verarbeitern, Gastronomen und<br />

Naturschutz, spielen dabei eine zentrale Rolle.<br />

Abb. 2: Beweidungsbeispiel: Scottish Highland in der Landschaftspflege<br />

Foto: P. Wilhelm<br />

57


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

58<br />

Basis<br />

Im September 2002 konnte das Naturschutzgroßprojekt<br />

Pfrunger-Burgweiler Ried von der neu gegründeten<br />

Stiftung Naturschutz Pfrunger-Burgweiler<br />

Ried übernommen werden. Als Projektträger gewährleistet<br />

diese die Sicherung der Erhaltung eines<br />

der bedeutendsten Moorgebiete Süddeutschlands.<br />

Das Gebiet dient als Lebensraum einer artenreichen,<br />

charakteristischen und zum Teil stark gefährdeten<br />

und seltenen Tier- und Pflanzenwelt sowie als Rastgebiet<br />

gefährdeter Vogelarten. Das Projekt ist Teil<br />

eines Programms des Bundesamts für Naturschutz,<br />

mit dem national bedeutsame Landschaften als Beitrag<br />

zum Schutz des Naturerbes Deutschland und<br />

zur Erfüllung internationaler Naturschutzverpflichtungen<br />

gefördert werden.<br />

Neben dem Hauptziel der Wiedervernässung der<br />

stark entwässerten Moorflächen wurden landwirtschaftliche<br />

Extensivierungsmaßnahmen in den<br />

Randgebieten des Naturschutzgroßprojektes Pfrunger-Burgweiler<br />

Ried angestrebt. Die ersten Flächen<br />

für eine extensive Beweidung mit Rindern konnten<br />

im Jahr 2005 bereitgestellt werden. Sieben Landwirte,<br />

welche sich für die Erhaltung dieser Flächen einsetzen,<br />

suchten gemeinsam mit der Stiftung Naturschutz<br />

geeignetes Tiermaterial und führten ein Beweidungssystem<br />

rund um das Pfrunger-Burgweiler<br />

Ried ein. Das Beweidungssystem wird mit den Rinderrassen<br />

Galloway, Belted Galloway, Heckrinder,<br />

Limousin, Pinzgauer und Scotish Highland je nach<br />

Standort durchgeführt und hat seinen Schwerpunkt<br />

auf einer naturnahen und ganzjährigen Freilandhaltung.<br />

Die Landwirte betreuen die Herden in Eigenregie.<br />

Für die tierärztliche Betreuung und Beratung<br />

aller Herden konnte die Großtierpraxis Bootz in Ostrach<br />

gewonnen werden. Die Stiftung Naturschutz<br />

Pfrunger-Burgweiler Ried berät die Landwirte im Bezug<br />

auf das Flächenmanagement und finanzierte<br />

bisher wichtige Einrichtungsgegenstände, wie Fanganlage,<br />

Klauenstand, Wiegeeinrichtung, frostsichere<br />

Wasserfässer und Treibwägen. Letztere sind überdacht<br />

und werden auch für kranke Tiere oder bei<br />

Problemen in der Mutterkuh-Kalb-Bindung zur besseren<br />

Kontrolle eingesetzt. Die Weideflächen verfügen<br />

über geeignete Rückzugsmöglichkeiten in Form<br />

von Wald. Wo keine Rückzugsmöglichkeit zur Verfügung<br />

gestellt werden konnte, sind entsprechende<br />

Unterstände für die Tiere bereitgestellt worden. Es<br />

werden derzeit circa 150 ha beweidet.<br />

Gründung einer Vermarktungsinitiative<br />

Im Spätsommer 2008 besaßen die Landwirte Rinderherden<br />

bei guter Gesundheit und suchten Absatzwege<br />

für ihre ersten Schlachttiere. Die Landwirte<br />

konnten ihre naturnah aufgewachsenen Tiere nur<br />

mit einer geringeren Entlohnung an den normalen<br />

Markt abgeben. Das Interesse an Robustrinderrassen,<br />

welche zwar qualitätsvolle Fleischstücke liefern,<br />

aber nicht den heute gängigen fleischfülligen Mastrassen<br />

entsprechen, sind wenig gefragt. Erschwerend<br />

hinzu kam das stressfreie Handling der Tiere in<br />

der Freilandhaltung, und es mussten andere Absatzwege<br />

gefunden werden.<br />

Die dem Ried angehörigen Gemeinden Wilhelmsdorf<br />

(Landkreis Ravensburg) und Ostrach (Landkreis<br />

Sigmaringen) sicherten hierfür Unterstützung zu. Mit<br />

Hilfe des Landschaftserhaltungsverbandes Höchsten-<br />

Dornacher Ried als Trägerschaft, dem die Gemeinde<br />

Wilhelmsdorf angehört, konnte eine Marketingkonzeption<br />

für Weiderinder aus dem Naturschutzgroß-<br />

Abb. 3: Logo Plenum / Logo LEV


Sabine Behr: Vermarktungsinitiative „Genuss vom Pfrunger-Burgweiler Ried“ …<br />

projekt Pfrunger-Burgweiler Ried in Auftrag gegeben<br />

werden. PLENUM Allgäu-Oberschwaben unterstützte<br />

diese Konzeption durch ihre Mittel aus der Regionalförderung,<br />

den restlichen Anteil übernahmen die Gemeinden.<br />

Produkte<br />

Die Landwirte stellten für den Aufbau einer Produktpalette<br />

folgende Kriterien auf:<br />

• die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe<br />

und diesen nachgelagerte Sicherung von<br />

Arbeitsplätzen durch eine regionale Erzeugung<br />

• Verarbeitung und Vertrieb qualitativ hochwertiger<br />

Fleisch- und Wurstwaren über Direktvermarktung<br />

an den Einzelhandel mit bestehender<br />

regionaler Produktpalette<br />

• Vernetzung mit der hiesigen Gastronomie<br />

• Produkte müssen sich gegenüber gängigen<br />

Produkten absetzen<br />

• die Schlachtkörper werden mindestens 9 Tage<br />

gereift<br />

Im Rahmen der Marketingkonzeption<br />

wurden die bestehenden<br />

regionalen Strukturen erarbeitet<br />

und entsprechende Absatzwege<br />

gesucht. Die erschwerte Tierentnahme<br />

der frei lebenden Herden<br />

machte den Kugelschuss, ausgeführt<br />

durch den betreuenden Tierarzt<br />

und Jäger auf der Weide, notwendig.<br />

In Abstimmung mit den<br />

zuständigen Veterinärbehörden<br />

und Kreisjagdämtern beider Landkreise<br />

konnte eine Sondergenehmigung<br />

mit Widerrufvorbehalt erwirkt<br />

werden.<br />

In der Metzgerei Hans Lallathin,<br />

Großschönach-Egg fand man einen<br />

Abb. 4: Heckstier in der Beweidung<br />

verlässlichen Partner, der alle geforderten Kriterien<br />

erfüllt, und sein Betrieb entspricht den heutigen EU-<br />

Hygiene-Anforderungen. Die Schlachtung, Zerlegung,<br />

Verpackung und Vermarktung erfolgt innerhalb<br />

der Region mit kurzen Transportwegen.<br />

Für die Vermarktung von Fleischwaren konnten<br />

zwei Gastronomiebetriebe gewonnen werden. Das<br />

Landhotel „Alte Mühle“ in Waldbeuren hat seinen<br />

Schwerpunkt in der Abnahme ganzer Schlachtkörper<br />

und bietet zwei- bis dreimal im Jahr Spezialwochen<br />

an. Dabei wird die jeweilige Rasse des geschlachteten<br />

Rindes in einer Spezialkarte beschrieben<br />

und die Vorteile der extensiven Beweidung in<br />

den Randbereichen des Pfrunger-Burgweiler Rieds<br />

werden erklärt. Das Gasthaus „Zum Goldenen<br />

Kreuz“ in Pfrungen/Wilhelmsdorf bietet regelmäßig<br />

auf seiner Speisekarte Gerichte von den Riedrindern<br />

an und weist ebenfalls auf die Besonderheiten hin.<br />

Auch Vesperteller werden von den Verbrauchern<br />

gerne angenommen. Die Gastronomiepartner bekommen<br />

von der Vermarktungsinitiative Malvorlagen<br />

für die Kinder sowie Informationsmaterial und<br />

Foto: P. Wilhelm<br />

59


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

60<br />

das Logo der Vermarktungsinitiative zur Bewerbung<br />

der Rindfleischgerichte gestellt.<br />

Die Landwirte selbst haben sich eine Vermarktung<br />

ab Hof aufgebaut. Hierbei wird Wert auf Transparenz<br />

für den Kunden, nicht nur im Bereich Tieraufzucht,<br />

gelegt. Die einzelnen Fleischpakete werden<br />

so gepackt und ausgezeichnet, dass man zu<br />

Hause die Einzelteile wieder erkennt. In einer beigefügten<br />

Anleitung können die ursprüngliche Lage<br />

und die Verwendungsmöglichkeit der Fleischware<br />

nachvollzogen werden. Menuvorschläge werden immer<br />

ausgelegt. Zu 80 % können so ausschließlich<br />

Abb. 5: Einzelhandel „Müllers Frischemarkt“: Inhaber Herr<br />

Müller bei der Bewerbung von Produkten der<br />

Vermarktungsinitiative „Genuss vom Pfrunger-Burgweiler<br />

Ried“<br />

Foto: P. Wilhelm<br />

10-kg-Fleischpakete verkauft und die Kunden auf<br />

eine ganzheitliche Verwertung sensibilisiert werden.<br />

Im Bereich des Wurstwarensortiments wird Wert<br />

auf eine Produktion mit hohem Rindfleischanteil gelegt.<br />

Es gibt Wurstwaren, welche rein aus Rindfleisch<br />

hergestellt werden, wie zum Beispiel Rinderlyoner, Saitenwürste<br />

oder Rote Grillwürste. Die gerauchten Rohwürste<br />

enthalten höchsten 20% Schweinefleischanteil<br />

und es wird beim Zukauf des Schweinefleisches auf<br />

Qualität geachtet. Derzeit wird eine eigene Schweine-<br />

Freilandhaltung angestrebt, um dem Verbraucher ein<br />

geschlossenes Konzept anbieten zu können.<br />

Alle Wurstwaren werden frei von Gluten, Glutamat<br />

und Laktose hergestellt. Besonders für Allergiker<br />

sind diese Wurstwaren interessant. Das Aushängeschild<br />

der Wurstwarenpalette ist der sogenannte<br />

„Riedschmecker“. Es handelt sich hierbei um eine<br />

90 g schwere gerauchte Rohwurst. Die Namensgebung<br />

soll an das umgangssprachlich genannte<br />

„Riedmeckerle“, die Bekassine erinnern, welche sich<br />

ihren Lebensraum gerne auf beweideten Flächen<br />

sucht. Es ist ein Watvogel, der in der Rote-Arten-Liste<br />

geführt ist.<br />

Die Vermarktung der Wurstwaren wird durch die<br />

Landwirte selbst durchgeführt. Als feste Vermarktungspartner<br />

konnten die Einzelhandelsgeschäfte<br />

„Müllers Frischemarkt“, Familie Müller in Wilhelmsdorf<br />

und EDEKA Aktivmarkt, Familie Eberhardt innerhalb<br />

der Region gewonnen werden. Ihr Sortiment<br />

ist mit dem Schwerpunkt „<strong>Regionale</strong> Produkte“<br />

aufgestellt. Sie werden regelmäßig mit Wurstwaren<br />

beliefert und legen entsprechendes<br />

Infomaterial aus. So kann der Verbraucher jederzeit<br />

auf das Wurstwarenagebot zugreifen und muss<br />

nicht separat einen Hofladen anfahren.<br />

Die ansässigen Gemeinden nutzen das Wurstwarenangebot<br />

ebenfalls, sei es als kleine Gastgeschenke<br />

oder auch zur Verpflegung in Form von Vespertellern,<br />

kombiniert mit anderen regionalen Produk-


Sabine Behr: Vermarktungsinitiative „Genuss vom Pfrunger-Burgweiler Ried“ …<br />

ten. Zu Jubilaren bietet die Vermarktungsinitiative<br />

Gutscheine für<br />

ein Fleischpaket oder Geschenkkörbe<br />

an.<br />

Öffentlichkeitsarbeit<br />

Die Vermarktungsinitiative „Genuss<br />

vom Pfrunger-Burgweiler<br />

Ried“ informiert ihre Kunden über<br />

das Zusammenspiel zwischen<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> und Naturschutz.<br />

Die Bedeutung der tiergebundenen<br />

Landschaftspflege mit ihren<br />

strukturreichen Flächen werden im<br />

Zusammenhang mit der dadurch<br />

entstehenden Artenvielfalt in Flora<br />

und Fauna erklärt, und auch auf<br />

den einzelnen Wurstwaren werden<br />

regelmäßig Infos angebracht.<br />

Für Fragen nehmen sich die Landwirte<br />

bei der Direktvermarktung ab Hof viel Zeit.<br />

Als Auftakt zur Vermarktung und als Informationsveranstaltung<br />

wurde am 19. Oktober 2008 der<br />

erste Ried-Weidetag durchgeführt. Dies war eine<br />

Veranstaltung der Vermarktungsinitiative mit den<br />

Gemeinden Ostrach und Wilhelmsdorf in Kooperation<br />

mit der Stiftung Naturschutz Pfrunger-Burgweiler<br />

Ried und dem SHB-Naturschutzzentrum Wilhelmsdorf<br />

und wurde ebenfalls von PLENUM Allgäu-<br />

Oberschwaben gefördert. Der Ried-Weidetag ist<br />

generell ein Angebot an die Bevölkerung, insbesondere<br />

für Kinder und Familien. Mit einem vielfältigen<br />

Programm und Erlebnisspielen für die Kinder informierte<br />

die Vermarktungsinitiative über ihre Arbeit.<br />

Die Veranstaltung ist vergleichbar mit einem Hoffest,<br />

nur dass sie draußen auf der offenen Fläche bei<br />

den Herden stattfindet. Die Kooperationspartner<br />

bieten Informationen zu ihrer derzeitigen Arbeit im<br />

Naturschutzgroßprojekt Pfrunger-Burgweiler Ried.<br />

Abb. 6: Vesperteller für die Gemeinde Wilhelmsdorf, kombiniert mit regionalen<br />

Produkten<br />

Foto: K. Puk<br />

Der erste Ried-Weidetag bot Wanderungen durch<br />

das gesamte Projektgebiet an, und es gab an jeder<br />

Weide einen Informationsstand, organisiert durch<br />

die Landwirte. Hier konnte man verweilen und die<br />

ersten Produkte der Vermarktungsinitiative im Gespräch<br />

mit den Landwirten geniesen. Auch ein<br />

Transportsystem mit Kutsche, Traktor und Feuerwehrbussen<br />

wurde bereitgestellt, und die Besucher<br />

nahmen dieses Angebot sehr gerne wahr. Der Gastronomiepartner<br />

„Alte Mühle“ in Waldbeuren bot an<br />

diesem Tag eine Spezialkarte zu Rindfleischgerichten<br />

aus dem Ried an und informierte ebenfalls über die<br />

regionale Vernetzung der Produktion, Verarbeitung<br />

und Vermarktung. Mit circa 1000 Besuchern war die<br />

Veranstaltung sehr gut besucht und hat auch über<br />

die Region hinaus großen Anklang gefunden.<br />

Das große Interesse hat die Veranstalter ermutigt,<br />

den Ried-Weidetag im zweijährigen Rhythmus zu<br />

wiederholen. Der Ried-Weidetag soll sich in dem je-<br />

61


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

62<br />

weiligen Veranstaltungsjahr eines bestimmten Themas<br />

annehmen und auch schwerpunktmäßig eine<br />

Teilgebiet des Naturschutzgroßprojektes Pfrunger-<br />

Burgweiler Ried mit seinen Besonderheiten vorstellen.<br />

Im Jahr 2010 ist der zweite Ried-Weidetag im<br />

nördlichen Bereich bei Waldbeuren/Ostrach geplant.<br />

Er wird unter dem Motto „Heckrinder-Urahnen des<br />

Rindes“ stattfinden und die Zuchtgeschichte der<br />

vom Aussterben bedrohten Heckrinder vorstellen.<br />

Dabei werden beide Gastronomiepartner die Besucher<br />

mit Gerichten der Riedrinder verwöhnen.<br />

nach erzeugten „Riedschmecker“ (eine luftgetrocknete<br />

Hartwurst) erhielten im Rahmen des von der<br />

PLENUM-Geschäftsstelle Ravensburg ausgerichteten<br />

Wettbewerbes „Regio-Schmecker“ eine lobende<br />

Anerkennung.<br />

Besonders stolz sind die Landwirte auf den Pro-<br />

Tier-Förderpreis für artgerechte Nutztierhaltung. Die<br />

Allianz für Tiere in der <strong>Landwirtschaft</strong> hat die Vermarktungsinitiative<br />

nicht nur für ihr Weidemanagement<br />

mit hohem Tierschutz bei der Tierentnahme,<br />

sondern auch für ihre regionale Vernetzung mit Vermarktungspartnern<br />

und Kooperationen bezüglich<br />

der Öffentlichkeitsarbeit im Jahr 2009 gewürdigt.<br />

Preise<br />

Die Vermarktungsinitiative hat inzwischen mehrere<br />

Auszeichnungen für Ihre Bemühungen erhalten: Für<br />

die gelungene Verbindung von Naturschutz und Regionalvermarktung<br />

erhielt das Projekt den <strong>Kulturlandschaft</strong>spreis<br />

2009 des Schwäbischen Heimtbundes<br />

e.V. und des Sparkassenverbandes; Die von dem<br />

Metzgereipartner Lallathin in Herdwangen-Schö-<br />

Zukünftige Entwicklung<br />

Seit Sommer 2010 wird nun an der weiteren Umsetzung<br />

dieses Projektes gearbeitet. Dabei gilt es,<br />

die Vermarktungswege den allgemein geltenden<br />

EU-Hygiene-Anforderungen anzupassen. Es wird<br />

derzeit gemäß geltendem Recht ein Lager- und Verpackungsraum<br />

errichtet und es<br />

werden entsprechende Investitionen<br />

in Maschinen getätigt. Als<br />

weiterer wichtiger Punkt ist die Öffentlichkeitsarbeit<br />

zu nennen. Sie<br />

beschäftigt sich mit der Erstellung<br />

einer Homepage, Weiterentwicklung<br />

von Werbe- und Infomaterialien<br />

sowie der Erarbeitung besonderer<br />

Angebote wie Themenführungen,<br />

Kochkursen, etc. um das<br />

Projekt langfristig in der Region zu<br />

verankern und zu sichern. Auch<br />

die Einbindung von „Randgruppen<br />

der Gesellschaft“ (Menschen<br />

mit Behinderung, Patienten der<br />

Suchtkrankenhäuser vor Ort) in die<br />

Verpackungs- und Vermarktungsabläufe<br />

Abb. 7: Galloway im Ried<br />

Foto: M. Ackermann<br />

soll stattfinden. Die Ver-


Sabine Behr: Vermarktungsinitiative „Genuss vom Pfrunger-Burgweiler Ried“ …<br />

marktungsinitiative wird immer in<br />

Abhängigkeit zu der zur Verfügung<br />

gestellten Fläche nur begrenzt<br />

Fleisch- und Wurstwaren<br />

anbieten können, jedoch kombiniert<br />

mit anderen regionalen Produkten<br />

soll sie ein attraktives Angebot<br />

für die Bevölkerung sein.<br />

Fazit<br />

Ein Projekt, das seinen Schwerpunkt<br />

auf regionaler Lebensmittelverarbeitung<br />

und der Förderung<br />

der regionalen Wertschöpfung<br />

hat, ist in der heutigen global geprägten<br />

Weltanschauung von großer<br />

Bedeutung. Die Menschen sollen<br />

auch weiterhin die Möglichkeit<br />

haben, in ihrer Region Regionalprodukte<br />

zu beziehen. Einhergehend<br />

mit Aufklärungsarbeit durch<br />

die Erzeuger selbst wird die Vermittlung von Basiswissen<br />

im Bezug auf <strong>Landwirtschaft</strong> und Naturschutz<br />

gefördert und eine Akzeptanz gesichert. Es<br />

erfordert immer ein hohes Maß an Eigeninitiative<br />

und viel Feingefühl der beteiligten Personen <strong>–</strong> aber<br />

Abb. 8: Präsentkorb mit Produkten der Vermarktungsinitiative „Genuss vom<br />

Pfrunger-Burgweiler Ried“<br />

Foto P. Wilhelm<br />

es ist ein Regionalprojekt, von dem alle profitieren<br />

können. Hervorzuheben ist das Engagement der zuständigen<br />

Gemeinden, die diese Projekte nicht nur<br />

finanziell unterstützen, sondern regionale Produkte<br />

auch aktiv in das Gemeindeleben einbinden. •<br />

63


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Die Labertaler Schmankerlmesse<br />

Rainer Pasta<br />

64<br />

Ein Experiment 2007 zur regionalen<br />

Küche <strong>–</strong> Ideen, Probleme und<br />

Erfahrungen aus der Praxis<br />

ine Genussmesse mit Volksfest-<br />

<strong>–</strong> das sollte sie sein,<br />

„Echarakter“<br />

die Labertaler Schmankerlmesse 2007,<br />

die erstmalig <strong>–</strong> und bisher einmalig <strong>–</strong><br />

am 27. und 28. Oktober im Hart bei Laberweinting<br />

stattfand. Mit einem neuen<br />

Format der „regionalen Verbrauchermesse“<br />

wagten sich die Veranstalter an<br />

die Öffentlichkeit.<br />

Genuss gab es sicher, denn Essen und Trinken wurden<br />

ausschließlich mit Produkten aus der Region abgedeckt,<br />

jedenfalls frisch und auch in Bioqualität. Als<br />

Schmankerlbier 2007 präsentierten die Organisatoren<br />

aus dem Arbeitskreis „WIR IM LABERTAL“ das<br />

Zoigl-Bier der Mallersdorfer Klosterbrauerei. Dazu<br />

gab es Apfelmost, Apfelsaft und Schorle sowie aufbereitetes<br />

Trinkwasser aus der Region. Natürlich durften<br />

Schnäpse und Liköre aus Obst und Ei nicht fehlen.<br />

Angeboten wurde eine Fülle regionaler Produkte<br />

und Gerichte, die von Fleisch und Wurst über Gemüse,<br />

Milch, Käse, Fisch, Eiernudeln und Kartoffeln<br />

reichte. Weiterhin konnten sich die Besucher an<br />

Schmalzgebäck, Maultaschen und Obst satt essen.<br />

Essen und Trinken gab es also reichlich, und keiner<br />

der auch von weit her angereisten Besucher (auch<br />

der Bayerische Rundfunk bewarb die Labertaler<br />

Schmankerlmesse) ging hungrig nach Hause. Kleine<br />

Portionen zu günstigen Preisen ermöglichte es den<br />

Gästen, viel zu probieren.<br />

Ein interessantes Rahmenprogramm rund um<br />

die Labertaler Schmankerl (es muss nicht immer etwas<br />

Essbares sein) sorgte für Unterhaltung.<br />

Und die Musik spielte ohne<br />

Lautsprecher und Verstärker. Die in der<br />

Region ansässigen Musikanten konnten<br />

eine feine Wirtshausmusik spielen<br />

und brauchten keine Showeinlagen<br />

oder Gassenhauer, um zu überzeugen.<br />

Die der Messe angeschlossene<br />

Kunstausstellung des Mallersdorfer<br />

Malkreises im Obergeschoss der Halle<br />

erfreute zusätzlich das Auge. Der angrenzende<br />

Waldspielplatz im Hart begeisterte<br />

die Kinder, und das angebotene Rahmenprogramm<br />

mit Kräuterwanderung, Kochshows und<br />

das Eintreffen der Wanderreiter ergänzte das Angebot<br />

aufs Beste.<br />

Vision oder Schnapsidee<br />

Im Vorfeld von vielen äußerst skeptisch beobachtet,<br />

erfüllte die erste Labertaler Schmankerlmesse<br />

die in sie gesetzten Erwartungen. Schirmherr Landrat<br />

Alfred Reisinger betonte in seiner Ansprache<br />

den Mut und die Notwendigkeit, eine solche Messe<br />

anzubieten <strong>–</strong> auch als Exportmodell für andere<br />

Regionen.<br />

Die Region Labertal, eingebunden zwischen dem<br />

Hopfenanbaugebiet Hallertau und dem Gäuboden,<br />

der Kornkammer Bayerns, hat keine Weideschafe,<br />

Ochsen oder Mutterkühe, die es zu vermarkten gilt.<br />

Es gibt außer Mais-, Weizen- und Zuckerrübenfeldern<br />

auch wenig Natur, die sich schützen lassen<br />

kann. Deshalb gibt es auch wenige Touristen, die<br />

eine regionale Küche nachfragen könnten. Hinzu<br />

kommt, dass die Menschen vor Ort seit Jahrhunder-


Rainer Pasta: Die Labertaler Schmankerlmesse<br />

ten ein gutes und sicheres Leben führen konnten<br />

und deshalb nie gezwungen waren, sich Gedanken<br />

über neue Lebenswege zu machen. Mit Curry-Wurst<br />

und Leberkäs-Semmel, mit Grillhendl und Schweinshax‘n<br />

ist es aber bei weitem nicht getan, um die Region<br />

kulinarisch zu positionieren.<br />

Internationale Standardgerichte, die man inzwischen<br />

zum Aufwärmen im Supermarkt bekommt,<br />

locken auch niemanden hinterm Ofen hervor. Die<br />

„Schmankerl-Kompetenz“ war eine der Zielvorgaben<br />

der Veranstalter <strong>–</strong> aber wer hatte die in der Region<br />

Labertal<br />

Neben den wenigen Direktvermarktern und Bio-<br />

Bauern kamen vor allem die heimischen Metzger<br />

und Bäcker dafür in Frage. Mit der Kochkunst der<br />

heimischen Gastwirte sollte regionale <strong>Esskultur</strong> vorgestellt<br />

werden. Einerseits ist dies gelungen, zum<br />

anderen aber auch gehörig schief gegangen. Hört<br />

man oft die Frage „Was bringt die Vermarktung regionaler<br />

Produkte der erhaltenswerten <strong>Kulturlandschaft</strong>“,<br />

so musste man sich bei uns im Nachhinein<br />

fragen: „Braucht es eine besondere Landschaft, um<br />

eine regionale <strong>Esskultur</strong> zu entwickeln“.<br />

Die Idee zur Schmankerlmesse ist in den ersten<br />

Gesprächen zwischen Brauereien, Gastwirten und<br />

regionalen Lebensmittelproduzenten aus dem Labertal<br />

entstanden, diese Gespräche standen unter<br />

dem Motto „Das Wirtshaus im Labertal“, um die beteiligten<br />

Gruppen zusammenzuführen und die regionale<br />

Identität und das Naherholungsangebot im<br />

Labertal zu fördern. Allein der Versuch, naturtrüben<br />

Apfelsaft aus der Region in den Gasthäusern zu etablieren,<br />

scheiterte an den Vorbehalten der Wirte:<br />

„Das trinken unsere Gäste nicht!“<br />

Nachdem sich die regionalen Brauereien, insgesamt<br />

vier an der Zahl, von der Idee einer gemeinsamen<br />

Aktion distanzierten und die Bereitschaft der<br />

heimischen Gastronomie zur Teilnahme äußerst gering<br />

war, glaubte kaum noch jemand mehr daran,<br />

Abb. 1: Ein Ziel des Projektes WIR IM LABERTAL war es, die<br />

regionalen Wirtschafts-Kreisläufe wieder aufzubauen<br />

und zu festigen. Die Kette Produktion <strong>–</strong> Verarbeitung<br />

<strong>–</strong> Absatz sollte wieder mehr regional gesteuert<br />

werden. Dazu sollten Produzenten, Verarbeiter und<br />

Händler an einen Tisch geholt und ihre Beziehungen<br />

untereinander gestärkt werden. Neben dem<br />

Handwerk sollten vor allem die regionalen Direktvermarkter<br />

davon profitieren.<br />

dass die Schmankerlmesse zustande kommen würde,<br />

ist doch solch eine Veranstaltung mit hohen Kosten<br />

für beispielsweise Organisation, Werbung, Musik<br />

und Showküche verbunden.<br />

Konzept und Unpassendes<br />

Die Brauereien wollten <strong>–</strong> oder konnten <strong>–</strong> nicht miteinander<br />

agieren und ruhten sich auf ihren Erfolgen<br />

aus. Ein Brauer verwies stolz auf die Tatsache, dass<br />

65


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

66<br />

sein Bier nun auch am Gardasee zu haben sei, ein<br />

anderer war mit seinen erst kürzlich erteilten EU-Prämierungen<br />

zufrieden. Ein großer Mineralwasserkonzern<br />

direkt aus der Region nahm an den Gesprächen<br />

nicht teil, „spiele er doch in einer anderen Liga und<br />

verhandele derzeit mit ALDI-Nord“. Die Gastronomie<br />

reagierte äußerst verständnislos, und letztendlich<br />

unterstützte nur eine Gastwirtin das Vorhaben.<br />

Es ging sogar so weit, dass den Veranstaltern in<br />

einem Wirtshaus Hausverbot erteilt wurde, weil sich<br />

der Wirt „von den Laien nicht erklären lassen wolle,<br />

wie er sein Restaurant zu führen habe“. (Die Gastwirtschaft<br />

musste später leider schließen).<br />

Die Durchführung<br />

Doch das Engagement der Klosterbrauerei Mallersdorf<br />

unter Leitung von Sr. Doris (in Bayern aus dem<br />

Fernsehen bekannt), die vielfältigen Angebote der<br />

Abb. 2:<br />

Das Schmankerl-Angebot 2007<br />

Hirsch, Gans/Pute, Lamm<br />

Reh-Ragout mit Semmeln<br />

Geflügel-Ragout, Mini-Knödl,<br />

Kartoffelpuffer, Blaukraut,<br />

Sauerkraut, Krautsalat,<br />

Endiviensalat ...<br />

Käse aus eigener Produktion,<br />

Kartoffelkas, O´batzta ...<br />

Blechkuchen ...<br />

Obst ...<br />

Brot, Maultaschen, Rohrnudeln ...<br />

Hopfengeräuchertes,<br />

Hopfenwurst,<br />

Blut- und Leberwurst,<br />

Leberkäs, Fleisch- und Wurstprodukte,<br />

Hühnersuppe,<br />

Schmankerlbrote mit Geräuchertem oder<br />

Damwildsalami,<br />

Nudelsalat, Brotzeiteier,<br />

Marmeladen,<br />

Getrocknete Erdbeeren,<br />

Erdbeermarmelade,<br />

Kaltgepresste Speise-Öle,<br />

Honigprodukte,<br />

Kartoffelschmarrn mit Kraut und<br />

Geselchtem,<br />

Semmel- und Kaiserschmarrn mit Waldbeeren-<br />

oder Apfelkompott,<br />

Quark-Kartoffeln,<br />

gebr. Hühnerflügel,<br />

Rouladen-Spieße,<br />

Pichelsteiner,<br />

„Greilsburger“ (veget. oder mit Rindfleisch),<br />

Kartoffelsalat,<br />

Labertaler Körberl<br />

(mit regionalen Lebensmitteln),<br />

Labertaler Tragerl<br />

(mit dem Schmankerlbier 2007),<br />

frische Brezen,<br />

geräucherte Forellen,<br />

Schweinefleisch, Leberwurst,<br />

Leberkäs im Glas,<br />

eingelegter Käse,<br />

Salami ...


Rainer Pasta: Die Labertaler Schmankerlmesse<br />

regionalen Produzenten, die Erfahrung und Leistungsfähigkeit<br />

von Marianne Pritscher (Gasthof Pritscher,<br />

Bayerbach) und Xaver Holzer (Waldgasthof<br />

Hart) mit ihren Mitarbeitern, zusammen mit Durchhaltewillen<br />

und der Überzeugung von der eigenen<br />

Idee und der des Organisatorenteams, machten<br />

doch das „Unmögliche möglich“. Wesentlich beigetragen<br />

hierzu haben die DB Regio Ostbayern und<br />

eine Handvoll ehrenamtlicher HelferInnen. Ohne<br />

diese Unterstützung wäre die Veranstaltung nicht<br />

durchführbar gewesen.<br />

Doch für die Anbieter und Organisatoren brachte<br />

die Messe eine Fülle neuer Erfahrungen und Erkenntnisse<br />

über die Vermarktung regional erzeugter<br />

Lebensmittel und die Erwartungshaltung der Verbraucher<br />

mit sich. Auch die Besucher nahmen so<br />

manches Aha-Erlebnis mit nach Hause, das sich<br />

beim Besuch der Schmankerlmesse so heraus kristallisierte.<br />

Waren dies zum einen die Vielfalt und Qualität<br />

der regionalen Angebote, zum anderen aber<br />

auch der enge Handlungsspielraum der bäuerlichen<br />

Familienbetriebe, wenn es darum geht, zusätzliche<br />

Maßnahmen für Vertrieb und Absatz durchzuführen,<br />

wie beispielsweise diese Messe. Wer täglich auf<br />

den Märkten in den umliegenden Städten präsent<br />

sein muss und dabei zu Hause die nötigen Waren<br />

produziert, kann einfach nicht zwei weitere Tage<br />

präsent sein.<br />

Ähnliches gilt für Metzger und Bäcker, die damit<br />

argumentierten und darauf pochten, dass die Bevölkerung<br />

eigentlich ja sehr genau wisse, welche<br />

Qualität sie wo kaufen könnte. Eine weitere Feststellung,<br />

die die Veranstalter machen mussten:<br />

Unsere Köche können zwar super kochen, und sie<br />

können auch gut erklären, was sie dabei machen <strong>–</strong><br />

nur nicht gleichzeitig! Was Tim Mälzer oder Alfred<br />

Schuhbeck im Fernsehen zelebrieren, ließ sich nicht<br />

unbedingt in der Schauküche der Schmankerlmesse<br />

realisieren.<br />

„Das trinkt mein Kind nie!“<br />

Doch auch die Erwartungshaltung der Verbraucher<br />

sei hier erwähnt: „Alles, und das zu jeder Zeit“ sind<br />

Aussagen aus der Werbung, die wir als Verbraucher<br />

<strong>–</strong> da nimmt sich der Verfasser nicht aus <strong>–</strong> inzwischen<br />

so verinnerlicht haben, dass wir gar nicht mehr erkennen,<br />

dass regionale Angebote endlich und saisonabhängig<br />

sind und angeboten werden müssen (so sie<br />

in bäuerlichen Strukturen produziert werden wollen<br />

und sollen), wenn sie angeboten werden können.<br />

Auch die allzeit vorhandene Unendlichkeit der<br />

Angebote funktioniert auf regionaler Ebene einfach<br />

nicht <strong>–</strong> muss sie auch nicht! Ist man gewohnt, Cola,<br />

Spezi, Fanta und die verschiedensten Biersorten zu<br />

trinken, dass Hirsch und Gänse <strong>–</strong> natürlich frisch gebraten<br />

und mit allen Beilagen <strong>–</strong> rund um die Uhr auf<br />

den Tisch kommen, so war die Labertaler Schmankerlmesse<br />

ganz sicher eine Erfahrung zum Nachdenken.<br />

Wenn man aber offen für die präsentierten Angebote<br />

war, so konnte man mit dem Schmankerlbier<br />

(ein qualitativ hochwertiges, inhaltsreiches Zoigl-<br />

Bier), dem trüben Apfelsaft (aus echten Äpfeln und<br />

nicht aus chemisch hergestelltem Konzentrat), mit<br />

Fleisch, Wurst und Käse (auch in Bio-Qualität, aber<br />

auf jeden Fall verantwortungsvoll hergestellt), mit<br />

frischem Gebäck (mit echter Butter und frischen Zutaten),<br />

mit Nudeln, Kartoffeln, Senf, Ölen oder mit<br />

den erstklassigen Schnäpsen und Likören die eigene<br />

Region ganz neu und mit allen Sinnen erleben. Wer<br />

dazu bereit war, für den war die Messe nicht nur gelungen,<br />

sondern auch ein echtes Erlebnis. So manches<br />

Kind (und seine Eltern) lernte erstmals naturtrüben<br />

Apfelsaft kennen <strong>–</strong> und konnte gar nicht<br />

genug davon bekommen, auch wenn die Mutter<br />

vorher überzeugt war: „Das trinkt mein Kind nie!“<br />

Besonders überrascht <strong>–</strong> positiv überrascht <strong>–</strong> war<br />

man von der Einhaltung des Nichtrauchergebotes,<br />

lange bevor das „Nichtraucherschutzgesetz“ hohe<br />

Wellen schlug. Mit „Gebrauchsanweisungen“, die<br />

67


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

68<br />

auf den Tischen lagen, wurde u.a. darum gebeten,<br />

in der Halle nicht zu rauchen, denn Schmankerln<br />

und Rauchen vertragen sich nicht. Bis auf ein paar<br />

wenige Ausnahmen hielten sich alle daran. Auch<br />

die Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen<br />

„Alkohol und Jugendliche“ war den Veranstaltern<br />

wichtig.<br />

. . . und letztendlich<br />

Anbieter und Organisatoren waren davon überzeugt,<br />

dass es gelungen sei, die Menschen zu erreichen<br />

und für die regionalen Schmankerln zu sensibilisieren.<br />

Alle wünschten sich, dass die Labertaler<br />

Schmankerlmesse <strong>–</strong> an wechselnden<br />

Standorten in der Region Labertal<br />

<strong>–</strong> zum Selbstläufer werden<br />

würde und dass Verbraucher, aber<br />

auch Gastronomen, die Vielfalt,<br />

Qualität und die gebotenen Möglichkeiten<br />

tatsächlich nutzen und<br />

entsprechend handeln würden.<br />

Doch <strong>–</strong> leider haben sich diese<br />

Erwartungen nicht erfüllt.<br />

Es gibt leider immer noch keinen<br />

naturtrüben Apfelsaft aus der<br />

Region in den Gasthäusern, es ist<br />

bequemer, den Gästen fertige Getränke<br />

aus dem Großhandel anzubieten.<br />

Es gibt keine regionalproduzierten<br />

Schnäpse und Liköre in<br />

den Gasthäusern, weil es billiger<br />

und einfacher ist, Massenprodukte<br />

einzukaufen. Es gibt immer<br />

noch kein Restaurant, das regionale<br />

und saisonale Gerichte anbietet<br />

(obwohl z.B. der größte Spargelanbauer<br />

Bayerns hier ansässig<br />

ist), und es gibt niemanden, der<br />

Aufwand und Risiko einer weiteren<br />

Schmankerlmesse tragen will, weil sich die Rahmenbedingungen<br />

bei den Direktvermarktern und<br />

Gastronomen nicht geändert haben. Es gibt dafür<br />

aber noch mehr Pizzerien, Kebap-Buden und wieder<br />

weniger Dorfwirtshäuser, Dorfmetzger und kleine<br />

Bäckereien.<br />

Eine positive Entwicklung ist jedoch erkennbar: es<br />

gibt bei den jährlich stattfindenden Regionaltagen<br />

des Landkreises eine „Schmankerlmeile“, und es<br />

gibt eine Reihe von neuen „Party-Diensten“, die inzwischen<br />

auch regionale Schmankerl anbieten.<br />

Auch ein paar Kräuterpädagoginnen ließen sich<br />

mittlerweile ausbilden und bereichern das eine oder<br />

Abb. 3: Die Region Labertal im Einflussbereich von Straubing, Regensburg,<br />

Ingolstadt und Landshut mit dem Veranstaltungsort der 1. Labertaler<br />

Schmankerlmesse


Rainer Pasta: Die Labertaler Schmankerlmesse<br />

andere Fest mit ihren Ideen. Weitere regionale Initiativen<br />

wie der „Europäische Pilgerweg VIA NOVA“<br />

und die „Ochsenstraße“ lassen ebenfalls hoffen,<br />

sind beide Projekte doch ein guter Ansatz, regionale<br />

Produkte anzubieten.<br />

Hoffnung macht auch die Aussage eines anderen<br />

Referenten: „Dass sich eine regionale <strong>Esskultur</strong> auch<br />

dann entwickeln kann, wenn es sie noch nicht gibt“.<br />

Wenn keine passenden Rezepte zu finden sind,<br />

dann können neue entwickelt werden. Anregungen<br />

gäbe es in einer Region, in der Bauern und Herrschaften<br />

so eng aufeinander saßen, sicherlich genug.<br />

Es ist eigentlich eine Schande, dass zwischen<br />

Kornkammer und Hopfenanbaugebiet keine regionale<br />

<strong>Esskultur</strong> entstehen konnte oder kann <strong>–</strong> oder<br />

einfach noch nicht entdeckt wurde.<br />

•<br />

69


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Apfelsaft aus Streuobst<br />

Ulfried Miller<br />

70<br />

Zusammenfassung<br />

Streuobstbestände sind seit Jahrzehnten<br />

aufgrund ihrer Artenvielfalt<br />

im Fokus der Naturschützer. Sie<br />

sind Teil einer traditionellen <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

und erlebten ihre größte Verbreitung<br />

in Mitteleuropa im 19. und<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts. Bis in die<br />

Mitte des letzten Jahrhunderts waren<br />

sie die wichtigste Obstkultur und wurden<br />

dann zunehmend durch Plantagen<br />

ersetzt. Ihr Rückgang ist seitdem anhaltend, da sich<br />

ihre Bewirtschaftung ohne Förderung oder deutlich<br />

bessere Mostobst-Preise nicht rechnet. Außerdem<br />

ist der Konsum von Apfelsaft, Most und Cidre rückläufig.<br />

Noch wird die regionale Wertschöpfung und<br />

ihre Möglichkeiten durch Streuobst unterschätzt<br />

Abb. 1: Blühende Streuobstwiese im Emmelhofer Moos bei<br />

Ravensburg<br />

Foto: U. Miller<br />

und viel zu wenig bewusst genutzt.<br />

Gerade in der Verknüpfung von Tourismus,<br />

Gastronomie und <strong>Landwirtschaft</strong><br />

liegen Potentiale für eine nachhaltige<br />

<strong>Regionale</strong>ntwicklung. Ein Ausbau<br />

gelingt nur durch mutige Partner<br />

in Verarbeitung, Handel und Dienstleistung<br />

und ein engagiertes Regionalmanagement,<br />

das Netzwerke knüpft<br />

und Fördermittel in die Region holt.<br />

Inzwischen liegen umfangreiche Erfahrungen<br />

in der Streuobst-Vermarktung vor. Klare<br />

Trends zeichnen sich ab, die es konsequent zu nutzen<br />

gilt.<br />

Lebensraum und Verbreitung Streuobst<br />

Streuobstwiesen gehören zu den artenreichsten Lebensräumen<br />

Mitteleuropas. Über 5.000 verschiedene<br />

Tier- und Pflanzenarten und mehr als 3.000 Apfel-,<br />

Birnen-, und Steinfrucht-Sorten wurden allein in<br />

Deutschlands Streuobstbeständen nachgewiesen<br />

(RÖSLER 2010). Wiesen und Äcker mit verstreut stehenden<br />

Hochstamm-Obstbäumen stellen damit<br />

einen Genpool von beachtlichem wirtschaftlichem<br />

Wert dar. Im Albvorland südlich von Stuttgart wurde<br />

ein europaweit bedeutendes Vogelschutzgebiet ausgewiesen<br />

und damit der ökologische Wert von<br />

Streuobstbeständen am Rande der Schwäbischen<br />

Alb unterstrichen. In Hochstamm-Obstwiesen Oberschwabens<br />

sind in den neunziger Jahren zahlreiche<br />

Tierarten neu entdeckt und weltweit erstmalig beschrieben<br />

worden. Eine Trauermücken-Art trägt nun<br />

den Namen ihres Fundortes: „Bradysia ravensburgensis“.


Ulfried Miller: Apfelsaft aus Streuobst<br />

Streuobstbestände sind europaweit verbreitet. In<br />

Deutschland sind die Bundesländer Baden-Württemberg<br />

(Produkte: Apfelsaft, Destillate und Most), Hessen<br />

(Produkte: Apfelsaft und Äppelwoi) und Rheinland-<br />

Pfalz (Produkte: Apfelsaft und „Viez“) Hochburgen<br />

des Streuobstanbaus. Baden-Württemberg nimmt mit<br />

seinen 9<strong>–</strong>10 Millionen Bäumen auf ca. 110.000 Hektar<br />

ein Drittel der bundesweiten Streuobstfläche ein. In<br />

Österreich ist vor allem das Mostviertel bekannt für seine<br />

Birnen- und Produktvielfalt. In Frankreich und England<br />

ist die Cidre- bzw. Cider-Produktion eng mit dem<br />

Streuobstanbau verknüpft. Allerdings ist überall ein<br />

Rückgang der Streuobstbestände feststellbar. Allein in<br />

Baden-Württemberg hat sich die Fläche trotz aller<br />

Schutzbemühungen seit 1965 halbiert (SCHMIEDER &<br />

KÜPFER 2010; RÖSLER 2010).<br />

Ernährung und Streuobst<br />

Das Verschwinden der Streuobstbestände hängt signifikant<br />

mit dem Rückgang des Saft- und Mostkonsums,<br />

mit den zunehmenden Billigimporten und den<br />

unwirtschaftlichen Erzeugerpreisen zusammen.<br />

Derzeit werden in Deutschland jährlich 750 Millionen<br />

Apfelsaft getrunken. Das entspricht einem<br />

aktuellen Pro-Kopf-Verbrauch von 9 Litern pro Jahr<br />

(RÖSLER 2009). 85 % der Äpfel für diesen Saft stammen<br />

aus Import- (China, Osteuropa) oder Plantagen-Obst,<br />

nur 15 % kommen aus heimischem<br />

Streuobst (ELLINGER 2010).<br />

Die jährliche Streuobsternte in Deutschland<br />

liegt bei durchschnittlich 560.000 Tonnen.<br />

400.000 Tonnen gehen in die Saftherstellung. Davon<br />

wird der größte Teil für den Eigenbedarf gekeltert.<br />

Etwa 80.000 bis 110.000 Tonnen werden<br />

für Destillate und 50.000 bis 80.000 Tonnen zu<br />

Apfelwein und Most vergoren (ELLINGER 2010,<br />

DIETRICH 2007).<br />

Untersuchungen eines Forschungsverbundes der<br />

Universitäten Kaiserslautern, Heidelberg, Dresden<br />

und Jena haben in den letzten Jahren neue Erkenntnisse<br />

zur Bedeutung alter Streuobstsorten für<br />

die Gesundheit erbracht. So enthält vor allem naturtrüber<br />

Apfelsaft aus Streuobst nicht nur besonders<br />

viel Vitamine, sondern auch Ballaststoffe und<br />

Polyphenole (sekundäre Pflanzenstoffe mit krankheitsvorbeugender<br />

Wirkung). Polyphenole und Ballaststoffe<br />

schützen vor Darmkrebs. Hohe Gehalte<br />

wurden vor allem in den alten Apfelsorten Brettacher,<br />

Boskoop und Bittenfelder nachgewiesen.<br />

Täglicher Genuß von naturtrübem Streuobst-Apfelsaft<br />

ist neben regelmäßigen Konsum von Obst und<br />

Gemüse eine wichtige Krebsvorsorge. Naturtrüber<br />

Apfelsaft enthält mindestens 30 Prozent mehr<br />

Polyphenole als klarer Saft. In punkto Gesundheitsschutz<br />

ist mancher Streuobstsaft <strong>–</strong> etwa von den<br />

Sorten Bittenfelder und Bohnapfel <strong>–</strong> dem Rotwein<br />

überlegen! (DIETRICH 2007; STIFTUNG WARENTEST<br />

2007)<br />

Abb. 2: Im 19. Jahrhundert hat ein Knecht bei der Heuernte 5 Liter Most pro Tag getrunken (BOHNENBERGER 1915)<br />

71


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Wirtschaftlichkeit von Streuobst<br />

Die landwirtschaftlichen Deckungsbeiträge pro Hektar<br />

sind beim Streuobstbau stark abhängig vom<br />

Obst- und Grünlandertrag und der Erntetechnik. Sie<br />

sind deutlich geringer als bei Ackerbau und Grünlandwirtschaft<br />

ohne Bäumen.<br />

In der Regel liegen die erzielbaren Stundenlöhne<br />

bei den aktuellen Mostobst-Marktpreisen unter 5 €.<br />

Akzeptable Preise sind nur bei der Bio- und Aufpreisvermarktung<br />

möglich. Wirtschaftlich ist auch der<br />

Eigenkonsum und die Direktvermarktung von Saft<br />

durch den Obsterzeuger. Verbesserungen sind nur<br />

möglich durch Aufpreise auf hochwertiges Streuobst,<br />

durch Senkung der Erntekosten durch den<br />

überbetrieblichen Einsatz von Auflesemaschinen,<br />

die Lohnverarbeitung mit anschließender Direktvermarktung<br />

des Saftes und eine höhere Flächenförderung<br />

über Agrarumweltprogramme.<br />

Wirtschaftlichkeitsberechnungen gehen davon<br />

aus, dass sich der Streuobstbau erst ab Mostobst-<br />

Preisen von 17,50 € bis 20 €/Dezitonne rechnet<br />

(MlR 2004). Deshalb versuchen seit Ende der achtziger<br />

Jahre Naturschutzverbände, über sogenannte<br />

Aufpreisvermarktungsprojekte den Landwirten höhere<br />

Erzeugerpreise für ihr Streuobst zu garantieren.<br />

Alleine in Baden-Württemberg gibt es über 50 solche<br />

regionale Initiativen, die von Naturschutzgruppen,<br />

Kreis- und Stadtverwaltungen und Landschaftspflegeverbänden<br />

und -vereinen getragen werden.<br />

Partner sind immer örtliche Fruchtsaftkeltereien, der<br />

Handel und die Gastronomie. Eines der ältesten und<br />

größten Apfelsaftprojekte hat sich nördlich vom Bodensee<br />

etabliert.<br />

<strong>Regionale</strong> Wertschöpfung von Streuobst<br />

Viel zu wenig werden die regionalwirtschaftlichen<br />

Aspekte des Streuobstbaus betrachtet. Mit Anbau,<br />

Ernte, Verarbeitung und Handel sind zahlreiche<br />

Arbeitsplätze verbunden <strong>–</strong> von der Baumschule über<br />

den Landwirt bis zur Kelterei und dem Getränkefachhandel.<br />

Auch der Tourismus profitiert von blühenden<br />

Obstbäumen.<br />

Dabei erfolgt die Verwertung der Äpfel im Streuobstbau<br />

in Deutschland regional sehr unterschiedlich.<br />

Im Kreis Ravensburg kaufen die Keltereien jährlich<br />

15.000 bis 20.000 Tonnen Streuobst für über<br />

1 Million Euro. 8.000 bis 10.000 Tonnen werden<br />

durch die ca. 800 Kleinbrenner verarbeitet. 40 bis 50<br />

72<br />

Abb. 3 und 4: Die Streuobsternte erfolgt in der Regel von Hand <strong>–</strong> durch Auflesen vom Boden<br />

Fotos: U. Miller


Ulfried Miller: Apfelsaft aus Streuobst<br />

Gastronomiebetriebe schenken<br />

Streuobst-Apfelsaft aus. In<br />

jeder Gemeinde führen Getränkefachmärkte<br />

Streuobstsäfte,<br />

die es im Supermarkt<br />

nicht zu kaufen gibt.<br />

Vorbildlich gelingt die Einbeziehung<br />

des Streuobstbaus in<br />

den Tourismus im Biosphärengebiet<br />

Rhön (www.rhoen.de)<br />

und im Mostviertel (www.<br />

moststrasse.at) in Österreich.<br />

Hier werden nicht nur Urlaub<br />

am Bauernhof und Streuobstprodukte<br />

angeboten, sondern<br />

Veranstaltungen wie Verkostungsaktionen,<br />

Mostseminare,<br />

Sensenmähkurse, Obstblütenfeste,<br />

Besuche im MostBirn-<br />

Haus, Most-Rad- und Wandertouren.<br />

Die Vermarktung wird<br />

über Internetplattformen, durch<br />

Messeauftritte und Fernsehportraits<br />

professionell betrieben.<br />

Abb. 5: Vier Fruchtsaftkeltereien, BUND und NABU garantieren 200 Vertrags-Landwirten<br />

17,90 €/Dezitonne Streuobst-Äpfel <strong>–</strong> statt der marktüblichen 6 bis 7 €.<br />

Damit sind 25.000 Hochstämme auf 360 Hektar gesichert. Jährlich werden<br />

600.000 Liter Apfelsaft verkauft.<br />

Ausblick <strong>–</strong> Perspektiven für Streuobstprodukte<br />

Um Streuobstbestände dauerhaft sichern zu können,<br />

müssen die Produkte besser vermarktet werden.<br />

Dazu gehören auch faire Preise und Gewinnmöglichkeiten<br />

für Landwirte, Verarbeiter und Handel.<br />

Aus den Aktivitäten der letzten Jahre zeichnen<br />

sich klare Tendenzen und Chancen ab.<br />

Trends beim Saft<br />

• Verbraucher kaufen ihre Getränke zunehmend<br />

im Supermarkt statt im Fachhandel. Streuobst-<br />

Produkte müssen deshalb ähnlich wie Bio-Produkte<br />

auch im Supermarkt angeboten werden.<br />

Deutschland<br />

Kreis Ravensburg<br />

Eigenkonsum & Lohnverarbeitung 30<strong>–</strong>40 % 30<strong>–</strong>40 %<br />

Destillate 5<strong>–</strong>10 % 25<strong>–</strong>30 %<br />

Verkauf an Keltereien zum Marktpreis 40<strong>–</strong>50 % 20<strong>–</strong>30 %<br />

Aufpreis- und Biovermarktung 5 % 10<strong>–</strong>20 %<br />

Dörr- und Tafelobst, Apfelmus, Gelee 10<strong>–</strong>15 % 5<strong>–</strong>10 %<br />

Keine Ernte 10<strong>–</strong>15 % 5<strong>–</strong>10 %<br />

Abb. 6: Verwertung der Streuobsternte am Beispiel des Landkreises Ravensburg (RÖSLER 2009, eigene Schätzungen)<br />

73


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

74<br />

Abb. 7: Europas größtes Streuobstgebiet wirbt mit diesem Alleinstellungsmerkmal<br />

• Verbraucher akzeptieren höhere Produktpreise,<br />

wenn damit für sie ein klarer Zusatznutzen erkennbar<br />

ist. Regionalität allein reicht nicht aus.<br />

Wichtig sind umweltfreundlicher Anbau<br />

ohne chemisch-synthetische Pestizide<br />

und Agro-Gentechnik und mit<br />

glaubwürdigen Kontrollen. Das kann<br />

vor allem der Bio-Anbau gewährleisten.<br />

Streuobstprodukte tragen deshalb<br />

immer öfter ein Biosiegel (EU-Bioverordnung,<br />

Bio-Anbauverbände) oder<br />

entstehen in Zusammenarbeit mit Naturschutzverbänden.<br />

• Schorle sind bessere und kalorienärmere<br />

Durstlöscher als reiner Saft. Verbraucher,<br />

Gastronomen und Kantinen<br />

wünschen auch fertig gemischte<br />

Schorle in kleinen Flaschen.<br />

• Säfte in der praktischen „Bag in Box“-<br />

Abfüllung halten Einzug in Privathaushalte,<br />

Kantinen und Gastronomie.<br />

Beim Eigenkonsum und bei (mobilen)<br />

Kleinmostereien spielt diese Verpackung<br />

inzwischen eine tragende Rolle.<br />

• Saft-Mix mit Beerenobst ist seit Jahren<br />

klar im Trend. Mischungen mit Wildund<br />

Beerenfrüchten (Holunder, Johannisbeere,<br />

Heidelbeere) und<br />

Tropenfrüchten aus fairem<br />

Handel (Mango) erfreuen<br />

sich großer Beliebtheit und<br />

sind oft Alleinstellungsmerkmale<br />

von Streuobstinitiativen,<br />

mittelständischen<br />

Keltereien und Getränkefachhändlern.<br />

• Neue Produkte entstehen<br />

vor allem im Premium-Segment.<br />

Seit kurzem bietet die<br />

Waldburger „Vom Faß AG“<br />

einen in Eichenfässern gereiften Apfel-Essigbalsam<br />

an, der von der gehobenen Gastronomie<br />

stark nachgefragt wird (www.vomfaß.de).<br />

Abb. 8: Das Fairhandelsunternehmen<br />

„dritte welt partner Ravensburg“<br />

hatte 2002 die Idee für diesen<br />

oberschwäbisch-phillipinischen<br />

Saftmix.<br />

Abb. 9: Vergorenes und<br />

Destillate aus Streuobstbirnen<br />

sind die besten Möglichkeiten,<br />

hochstämmige Birnenbäume in<br />

der Landschaft zu erhalten.


Ulfried Miller: Apfelsaft aus Streuobst<br />

Trends bei Most und Vergorenem<br />

• Kleine Manufakturen und mittelständische Keltereien<br />

entwickeln in den letzten Jahren leckere<br />

Schaumweine und Cidre aus Streuobst. In<br />

Schlatt bei Bad Boll (Landkreis Esslingen) bietet<br />

die Manufaktur Geiger sogar einen Internetversand<br />

an (www.manufaktur-joerg-geiger.de).<br />

Jürgen Krenzer in der Rhön überrascht seine<br />

Gäste seit Jahren mit neuen Kreationen rund<br />

ums Streuobst (www.rhoenerlebnis.de und<br />

www.rhoenapfel.de).<br />

• Apfel-Radler nennen sich Bier-Streuobstapfelsaft-Mischungen<br />

aus der Rhön und aus der Region<br />

Allgäu-Oberschwaben. Dieses neue Geschmackserlebnis<br />

überzeugte in Baden-Württemberg<br />

auch eine Jury, die diesen Mix mit<br />

dem „Regio-Schmecker-Preis“ der Naturschutzinitiative<br />

des Landes „PLENUM Allgäu-<br />

Oberschwaben“ auszeichnete.<br />

• Destillate aus Streuobst sichern in manchen<br />

Gemeinden ein Drittel der Streuobstbestände<br />

und bieten vor allem für Mostbirnen eine lukrative<br />

Verwertungsmöglichkeit an. Ein Streuobstler<br />

schmeckt fruchtig und hat bei Verkostungen<br />

oft die Nase vorn. Leider gibt es bei den<br />

Destillaten noch kaum getrennte Vermarktungswege<br />

von Plantagenobst (Williams!) und<br />

Streuobst-Produkten.<br />

Literatur<br />

BIRNBAUM, G. (2004): Aktuelle Trends und Entwicklungen in<br />

der Getränke-Nachfrage. Vortrag beim Streuobst-Vernetzungstreffen<br />

am 7.12.2004 in Freudenstadt.<br />

BOHNENBERGER (1915): Beschreibung des Oberamts Tettnang.<br />

Herausgegeben vom K. Statistischen Landesamt, 2.<br />

Bearbeitung, Stuttgart, Kohlhammer (1915). Kapitel „Sitte<br />

und Brauch“, S. 442.<br />

DIETRICH, H. (2007): Alte Mostapfelsorten und deren Wirkung<br />

auf die Gesundheit. Vortrag bei einer Streuobst-<br />

Fachtagung im Rahmen der Europomm 2007 in Luxemburg.<br />

ELLINGER, W. (2010): Die Bedeutung des Streuobstbaus für<br />

den Obst- und Getränkemarkt. Vortrag bei der Streuobsttagung<br />

am 18.3.2010, Universität Hohenheim.<br />

MINISTERIUM LÄNDLICHER RAUM BA-WÜ (2004): Antwort auf<br />

große Anfrage der Fraktion GRÜNE zu Situation und Perspektiven<br />

des Streuobstbaus in Baden-Württemberg. Landtagsdrucksache<br />

13/3517.<br />

RÖSLER, M. (2009): VDF und NABU: Streuobstapfelernte<br />

2009 nur ca. 500.000 Tonnen. NABU-Streuobstrundbrief<br />

3/2009; S. 1+5.<br />

RÖSLER, M. (2010): Streuobstbau in Europa. Vortrag bei der<br />

Streuobsttagung am 18.3.2010, Universität Hohenheim.<br />

SCHMIEDER, K. & KÜPFER, C. (2010): Automatisierte Erfassung<br />

von Streuobstbäumen aus Lidar-Daten. Vortrag bei der<br />

Streuobsttagung am 18.3.2010, Universität Hohenheim.<br />

STIFTUNG WARENTEST (2007): Apfelsaft <strong>–</strong> Vorteil für Naturtrüb.<br />

Heft 9/2007, S. 18.<br />

WELLER, F. (2006): Streuobstwiesen. In: Konold, W., Böcker,<br />

R: Hampicke, U. (Hrsg.): Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege.<br />

Kapitel XI-2.11. <strong>–</strong> Landsberg. •<br />

Internet<br />

www.bund-ravensburg.de<br />

www.streuobst-ravensburg.de<br />

75


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Sorten-Erhaltungskonzept<br />

Baden-Württemberg<br />

Manfred Büchele<br />

Die Streuobstbestände in Baden-<br />

Württemberg gehen aufgrund von<br />

Flächenverbrauch, fehlender wirtschaftlicher<br />

Anreize, mangelnder Pflege und<br />

fehlender Neupflanzungen bzw. Überalterung<br />

stark zurück. Mit dem Rückgang<br />

ist ebenfalls der Verlust dieser alten<br />

Obstsorten verbunden.<br />

Durch den Verlust alter Obstsorten<br />

droht ein Verlust an genetischer Vielfalt<br />

und regionaler Identität. In der Arbeitsgruppe<br />

Streuobst des Landesverbandes für Obstbau,<br />

Garten und Landschaft (LOGL) wurde ein Sortenerhaltungskonzept<br />

entwickelt mit dem ersten wichtigen<br />

Ziel, eine zentrale Erfassung alter Obstsorten in<br />

Baden-Württemberg zu erreichen.<br />

Dieses Konzept wurde dem Ministerium für Ländlichen<br />

Raum (MLR) vorgestellt, und durch die Finanzierungszusage<br />

des Ministeriums konnte<br />

die Sortenerhaltungszentrale für Baden-Württemberg<br />

im Mai 2001 an der<br />

Universität Hohenheim am Institut für<br />

Obst-, Gemüse- und Weinbau eingerichtet<br />

werden.<br />

Seit Oktober 2006 ist die Sortenerhaltungszentrale<br />

als Daueraufgabe an<br />

das Kompetenzzentrum für Obstbau<br />

(KOB) in Bavendorf übertragen worden.<br />

Das Ministerium für Ländlichen<br />

Raum (MLR) hat dafür entsprechende Finanzmittel<br />

zur Verfügung gestellt. Ausschlaggebend für die<br />

Einrichtung der Sortenerhaltungszentrale am Standort<br />

Bavendorf war unter anderem die gute Infrastruktur:<br />

das Labor zur Bestimmung der wertgebenden<br />

Inhaltsstoffe und zur Durchführung des „genetischen<br />

Fingerabdrucks“ alter Kernobstsorten. Da-<br />

76


Manfred Büchele: Sorten-Erhaltungskonzept Baden-Württemberg<br />

rüber hinaus besitzt das KOB bereits seit 1996 einen<br />

umfangreichen Sortenerhaltungsgarten von ca. 350<br />

Sorten. Neben dem Apfelsortenerhaltungsgarten<br />

am KOB steht ein Sortenerhaltungsgarten für Wirtschaftsbirnen<br />

am „Unteren Frickhof“ bei Owingen-<br />

Billafingen und für Tafelbirnen an der Universität<br />

Stuttgart-Hohenheim.<br />

Aufgaben und Dienstleistungen der Sortenerhaltungszentrale<br />

• Sortensuche und Bestimmung alter Sorten<br />

• Erhaltung alter Sorten<br />

• Fortführung der Datenbank „phänotypische<br />

Merkmale alter Sorten“<br />

• Aufnahme des genetischen Fingerabdrucks<br />

eindeutig bestimmter Sorten in die Datenbank<br />

• Charakterisierung der Sorteneigenschaften<br />

und Untersuchung auf wertgebende Inhaltsstoffe<br />

• Kontrollierte Abgabe von Reisermaterial<br />

• Bestandsaufnahme und Überprüfung der Sorten<br />

in bereits bestehenden Sortengärten mittels<br />

phänologischer Bestimmung oder genetischem<br />

Fingerprinting (von der Jahreszeit<br />

unabhängig)<br />

• Eine Art „Zertifizierung“ überprüfter<br />

Sortengärten als Voraussetzung<br />

für die Abgabe von Reisermaterial<br />

• Beratung von kommunalen und<br />

privaten Trägern beim Aufbau<br />

neuer Sortengärten<br />

• Mitwirkung bei der Organisation<br />

landesweiter Sortenausstellungen<br />

• Mitwirkung bei der Öffentlichkeitsarbeit<br />

(Erstellung von Broschüren,<br />

Durchführung von Führungen)<br />

77


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

• Fachwartausbildung im Bereich „Pomologie“<br />

• Ausgleichsmaßnahmen durch Streuobst: Konzepte<br />

zur Durchführung und Pflege<br />

• Sanierungskonzepte für bestehende Streuobstbestände<br />

Kontakt:<br />

Dr. Ulrich Mayr,<br />

Kompetenzzentrum Obstbau <strong>–</strong> Bodensee,<br />

Schuhmacherhof 6, 88213 Ravensburg,<br />

Tel.: 0751-7903 301, Fax: 0751-7903 322,<br />

Internet: www.kob-bavendorf.de<br />

Bildnachweis: Alle Aufnahmen vom Verfasser<br />

•<br />

78


Geschichte und Kultur der<br />

oberschwäbischen Weiher 1<br />

Werner Konold<br />

Werner Konold: Geschichte und Kultur der oberschwäbischen Weiher<br />

Zusammenfassung<br />

Die oberschwäbische Landschaft ist<br />

bis auf den heutigen Tag von Weihern,<br />

also künstlich geschaffenen Stillgewässern,<br />

geprägt. Entstanden sind<br />

sie ganz überwiegend im Mittelalter,<br />

angelegt von weltlichen und geistlichen<br />

Herren sowie später von den Patriz<br />

iern der Städte. Ganz alte Weiher<br />

dürften die (Burg-)Mühlweiher sein.<br />

Der Hauptzweck war jedoch die Fischereiwirtschaft,<br />

deren Rendite enorm hoch war. Fisch<br />

galt als Luxusspeise. Manche Weiher dienten als<br />

Speicherbecken für die Wiesenbewässeru ng, als<br />

Bleicheweiher, Flachsröstgruben, Deic<br />

hel weiher (zum Lagern der Holzröhren/Deichel)<br />

oder Schwellweiher im<br />

Rahmen des Holztransports. Genutzt<br />

wur de der Weiherschlamm, wenn der<br />

Weiher gewintert oder gesömmert<br />

wurde, die Weiherpflanzen, Frösche,<br />

Blutegel und die Wasservögel. Weiher<br />

waren also polykulturelle Systeme. Der<br />

30-jährige Krieg leitete den Niedergang<br />

ein er hoch entwickelten Weiherwirtschaft<br />

ein. Steigende Getreide- und sinkende<br />

Fischpreise sowie die Säkularisierung der Klöster<br />

und die territoriale Neuordnung des Südwestens<br />

durch Napoleon führten zur Auflassung<br />

zahlreicher Weiher und zu<br />

Nutzungsumwandlungen (Acker,<br />

Wald, Streu- und Futterwie se). Ein<br />

kleiner Aufschwung im späten 19.<br />

Jahrhundert konnte den drastischen<br />

Rückgang nicht aufhalten.<br />

Die verbliebe nen Weiher sind in<br />

ihrem Bestand gesichert, wenn<br />

auch nicht alle in einem guten Zustand,<br />

und wichtiger Teil der<br />

Eigenart der oberschwäbischen<br />

<strong>Kulturlandschaft</strong>.<br />

Abb. 1: Oberer Atzenberger Weiher in der Nähe der damaligen Freien Reichsstadt<br />

Wangen; Ausschnitt aus der Karte zum Wohmbrechtser Urbar von 1752<br />

Quelle: Stadtarchiv Wangen in JENSCH, R. (2008): Die Weiherwirtschaft der<br />

ehemaligen Reichsstadt Wangen. Im Oberland 19(2): 12<strong>–</strong>20<br />

Die ältesten Weiher<br />

Die oberschwäbische Glaziallandschaft<br />

ist <strong>–</strong> erdgeschichtlich betrachtet<br />

<strong>–</strong> noch jung und unreif.<br />

Die Grund- und Oberflächenwas-<br />

79


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

serverhältnisse sind instabil, schwer zu fassen und<br />

können durch menschliche Eingriffe leicht verändert<br />

werden. Wir finden zum Beispiel zahlreiche Talwasserscheiden<br />

in alten Schmelzwasserrinnen, in denen<br />

man das Wasser durch geringe wasse rbauliche Manipulation<br />

in die eine oder andere Richtung lenken<br />

kann, etwa zu dem Zweck, das Wassereinzugsgebiet<br />

für einen Weiher oder eine Mühle vergrößern. Die<br />

Oberflächenformen lassen es an zahlreichen Stellen<br />

zu, mithilfe eines Dammes künstliche Gewässer aufzustauen.<br />

Wann auf diese Weise die ersten Weiher in Oberschwaben<br />

entstanden sind, wissen wir nicht, da uns<br />

die schriftlichen Quellen fehlen. Es ist jedoch anzunehmen,<br />

dass zunächst Mühlweiher gebaut wurden,<br />

das heißt, man staute mit Hilfe eines We hres<br />

ein Fließgewässer auf und leitete das Wasser in<br />

einem Mühlbach oder Kanal zum Wasserrad. Um<br />

Staubecken zu bauen, genügte nicht mehr ein Wehr,<br />

sondern man musste Dämme anlegen.<br />

Den ältesten Na chweis für eine Mühle im heutigen<br />

Kreis Ravensburg besitzen wir aus der Mitte des<br />

8. Jahrhunderts (SCHÄFER 1966). Im 13. Jahrhundert<br />

verdichten sich die Nennungen von Mühlen. Für alle<br />

genannten Orte sind in späteren Zeiten auch Weiher<br />

nachweisbar.<br />

Ebenfalls sehr alte Weiher dürften die Burg- bzw.<br />

Burgmühlenweiher sein. Die ersten Burgen wurden<br />

im 10./11. Jahrhundert gebaut; der Höhepunkt des<br />

Burgenbaus lag im 12./13. Jahrhundert. Üblicherweise<br />

gehörten zu einer Burg ein Bauhof, also ein<br />

Wirtschaftshof, sowie eine Mühle (KOEHNE 1907,<br />

ERNST 1916), und zur Mühle wiederum ein Mühlweiher,<br />

der jedoch außer als Staubecken auch eine<br />

militärstrategische Bedeutung haben konnte.<br />

Auch wenn die Quellenlage etwas dünn ist, so<br />

können wir wohl davon ausgehen, dass es in Oberschwaben<br />

seit dem hohen Mittelalter bereits eine<br />

ganze Reihe von Weihern gab, darunter auch zahlreiche<br />

Hof- und Dorfweiher, Feuerlöschweiher, Wetten<br />

usw. Exakte Belege beginnen<br />

im 13. Jahrhundert, sehr dicht<br />

werden dann die Nachweise im<br />

14. Jahrhundert. Es tauchen in den<br />

Quellen einige Weiher auf, die<br />

heute noch existieren; andere Weiher<br />

sind als Flurnamen überkommen,<br />

wiederum andere längst vergessen.<br />

Aufschwung der<br />

Weiherwirtschaft<br />

Ab etwa 1400 hatte ein regelrechter<br />

Weiherboom eingesetzt, der<br />

das Landschaftsbild nachhaltig<br />

beeinflusst hat. Wie kam dieser<br />

Boom zustande, wer hatte Interesse<br />

am Weiherbau <strong>–</strong> Es soll darauf<br />

nur ganz pauschal eingegan-<br />

80<br />

Abb. 2: Der Elfenweiher, Gemeinde Wolfegg<br />

Foto: W. Konold


Werner Konold: Geschichte und Kultur der oberschwäbischen Weiher<br />

gen werden: Trotz einiger Rückschläge<br />

durch Pestepidemien war<br />

die Bevölkerungszahl über einen<br />

langen Zeitraum hinweg angestiegen,<br />

es bildeten sich Städte und<br />

Dörfer; Arbeitsteilung, Handel<br />

und Geldverkehr bestimmten zunehmend<br />

die Wirtschaftsabläufe;<br />

in der Bürgerschaft entstand eine<br />

neue kapitalkräftige und risikofreudige<br />

Schicht, die mit Waren<br />

und Immobilien handelte; die<br />

Klöster stiegen in die aktive Wirtschaftspolitik<br />

ein, nachdem sie<br />

viele Jahrhunderte lang überwiegend<br />

Schenkungen verwaltet hatten<br />

(MAURER 1973, DUBY 1984).<br />

Die Kaufkraft der herrschenden<br />

Schichten nahm zu, wodurch eine<br />

verstärkte Nachfrage nach Luxusgütern<br />

entstand. Und zu diesen Luxuskonsumgütern<br />

gehörte auch der Fisch, der beileibe nicht nur<br />

an den Fastentagen auf den Tisch kam. Fisch brachte,<br />

verglichen mit Rind- oder Schweinefleisch, ein<br />

Mehrfaches ein (HOFMANN 1935). In der Fischzucht<br />

des Spitals Biberach betrug das Verhältnis zwischen<br />

Kosten und Einnahmen in den besten Jahren 1:18,<br />

im Durchschnitt von 130 Jahren (1500<strong>–</strong>1629) 1:8<br />

(HEIMPEL 1966).<br />

Fisch war ein ausgesprochenes Herrenessen und<br />

hatte ein hohes gesellschaftliches Ansehen (HEIMPEL<br />

1964). Auch in der Heilkunst besaß er eine große<br />

Bedeutung. Um beispielsweise starke Fieber zu vertreiben,<br />

legte man sich halbierte Schleien auf Pulsadern<br />

und Fußsohlen; gegen Kopfschmerzen wurde<br />

empfohlen, das Herz eines lebenden Hechtes zu verschlucken<br />

(SURBECK 1902).<br />

Wahrscheinlich hatte man zunächst die Weiher in<br />

Mooren und verlandenden Seen gebaut oder aber<br />

Abb. 3: Der Holzmühleweiher, Gemeinde Kisslegg<br />

Foto: W. Konold<br />

bestehende Seen höher gestaut. Zahlreiche Namen<br />

legen dafür Zeugnis ab („-moosweiher“, „Weiher<br />

und See“). Zunehmend ging man jedoch auch daran,<br />

Äcker und Wiesen, also landwirtschaftlich wertvollere<br />

Flächen zu überstauen. Angesichts hoher Gewinnerwartungen<br />

fiel die Entscheidung sicher nicht<br />

allzu schwer. Der Pater Werli vom Kloster Weingarten<br />

hat dies im 16. Jahrhundert so zum Ausdruck<br />

gebracht: „Erstlich wo einer eine Weiherstatt hat<br />

(und) daraus einer einen Weiher machen will, es<br />

mag der Grund Getreide oder Gras (tragen), wie gut<br />

es woll, es ist zu wissen, daß er … mit den Fischen<br />

mehr genießen mag, denn mit der Frucht. Denn je<br />

besser der Grund, je nützlicher das Fischen“ (HStA<br />

Stgt B 515 BÜ 68).<br />

Es ist klar, dass es angesichts des rücksichtslosen<br />

Weiherbaus seitens der Grundherren Schwierigkeiten<br />

mit den Bauern geben musste, denen wichtige<br />

Produktionsflächen entzogen wurden. Vom Fischertrag<br />

hatten sie nichts, aber sie wurden zu Fron-<br />

81


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

82<br />

Abb. 4: Plan von der Trockenlegung des Lacher Weihers bei<br />

Wangen im Allgäu; Flurkartenausschnitt von 1825<br />

Quelle: Stadtarchiv Wangen in JENSCH, R. (2008):<br />

Die Weiherwirtschaft der ehemaligen Reichsstadt<br />

Wangen. Im Oberland 19(2): 12<strong>–</strong>20<br />

diensten herangezogen für den Weiherbau, die<br />

Weiherpflege, das Abfischen und für Fischfahrten,<br />

etwa vom Weiher zum Kloster. Die Weiher waren<br />

also Symbole der Unterdrückung und Ausbeutung.<br />

Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, wenn<br />

auch die Weiher in Bauernaufständen und vor allem<br />

im Bauernkrieg von 1525 eine gewisse Rolle spielten.<br />

Die Bauern beklagten sich, sie müssten „visch<br />

fiern“ und „weyer hawen“ und: „ir hend uns ein<br />

weier gemacht auf den hals…“ (FRANZ 1980). Der<br />

Fürstabt von Kempten erklärt vor dem Memminger<br />

Schiedsgericht im September 1525, die Bauern hätten<br />

auch „visch uß den kaltern und gruben“ geplündert,<br />

„öttlich des gotthaus weyer abgelassen<br />

[…] und frevenlich gefischt“ (BAUMANN 1877,<br />

S. 331/32; HEIMPEL 1964). Die wenigen Andeutungen<br />

mögen zeigen, dass Weiher auch mit politischen<br />

und gesellschaftlichen Verhältnissen durchaus etwas<br />

zu tun hatten.<br />

Weihernutzungen<br />

Bei der Nutzung der Weiher stand die Fischerei an<br />

allererster Stelle, aber es gab auch andere Nutzungen,<br />

die im folgenden nur stichwortartig aufgeführt<br />

werden sollen: Es gab Weiher, die als Staubecken für<br />

die Wiesenbewässerung dienten; in diesen Becken<br />

erwärmte sich das Wasser; gegebenenfalls konnte<br />

man Jauche und Kot einleiten, um die Düngewirkung<br />

des Wassers zu erhöhen. Vom Bodenweiher<br />

bei Isny ist die Bewässerung bereits im Jahre 1337<br />

belegt (Reg. Kl. Isny). Andere, meist kleine Weiher<br />

oder Gruben, wurden gebaut, um Flachs zu rösten,<br />

d.h. die Faser durch einen Gärungsprozess vom übrigen<br />

Gewebe zu trennen. Auch diese Nutzung geht<br />

vermutlich weit ins Mittelalter zurück. Es gab Bleicheweiher,<br />

aus denen die Bleichknechte Wasser<br />

schöpften, um die ausgelegte Leinwand mit Wasser<br />

zu benetzen. Es gab zahlreiche Feuerlöschweiher. Es<br />

gab Deichelweiher <strong>–</strong> etwa in Isny, Wurzach und Ravensburg<br />

<strong>–</strong>, in denen die durchbohrten Holzröhren,<br />

Deichel genannt, gelagert wurden, damit sie nicht<br />

rissen. Viele Eisweiher wurden angelegt, als man begonnen<br />

hatte, neben den Weißbieren auch untergärige<br />

Braunbiere zu brauen, die für die Gärung und<br />

die Lagerung gleichbleibende, niedrige Temperaturen<br />

verlangten. Das Kühlmittel in den Kellern war<br />

das Eis vom Eisweiher, das zerhackt bis in den nächsten<br />

Winter hinein seine Funktion erfüllte.<br />

Historisch besonders interessant sind die Floßoder<br />

Schwellweiher, in denen Wasser angesammelt<br />

wurde, um dann auf einer Flutwelle Stammabschnitte<br />

bach- und flussabwärts zu ihrem Bestimmungsort<br />

triften zu können. Zahlreiche Weiher erfüllten eine<br />

Funktion als Hochwasserrückhaltebecken. Soweit<br />

die Weiher gewintert, also im Herbst abgelassen<br />

und im Frühjahr wieder bespannt wurden, standen<br />

sie zur Zeit der Schneeschmelze als Staubecken zur<br />

Verfügung. Die gesömmerten Weiher <strong>–</strong> die Sömmerung<br />

fand alle 5 bis 7 Jahre statt <strong>–</strong> konnten in der


Werner Konold: Geschichte und Kultur der oberschwäbischen Weiher<br />

Hauptniederschlagszeit große Wassermengen aufnehmen.<br />

Darüber hinaus hatte auch jeder bespannte<br />

Weiher eine gewisse Wasseraufnahmekapazität.<br />

Sehr begehrt war der Weiherschlamm als Düngemittel<br />

für die Äcker. Einer der ersten neuzeitlichen<br />

Agrarökonomen war Abraham von Thumshirn, der<br />

in seiner „Oeconomia“ 1616 ausdrücklich betonte,<br />

man solle Teiche anlegen „nicht allein um des<br />

Fisches, der jetzunder sehr teuer, sondern auch um<br />

des Ackerbauers willen“ (SCHRÖDER-LEMBKE 1965,<br />

S. 99).<br />

Kommen wir zu den Weiherpflanzen und -tieren:<br />

Diese waren früher natürlich nicht Objekte des Artenschutzes,<br />

sondern der Haus- und Betriebswirtschaft<br />

und der Jagd. Eine bedeutende Einnahmequelle<br />

für die kleinen Leute war der Fang des medizinischen<br />

Blutegels, den die Bader und Ärzte zum<br />

Aderlassen benötigten. Außerdem wurden in den<br />

Weihern Frösche gefangen sowie zahlreiche Pflanzen<br />

gesammelt, die man als Nahrung (Wildgemüse),<br />

als Futter, als Gewürze, als Genussmittel, für vielerlei<br />

technische und handwerkliche<br />

Zwecke, in der Heilkunst und als<br />

Zierpflanzen verwendete. Manche<br />

Pflanzen gelangten so vom Status<br />

der Wildpflanze in den Status der<br />

Kulturpflanze. Sie wurden gehegt,<br />

von Konkurrenten befreit und vielleicht<br />

auch bei einem Ortswechsel<br />

mitgenommen (siehe z.B. BROCK-<br />

MANN-JEROSCH 1917). Es ist keine<br />

Frage, dass der Mensch auf diese<br />

Art und Weise die Vegetation auch<br />

an den Weihern stark beeinflusst<br />

und gesteuert hat. Und wenn wir<br />

uns vergegenwärtigen, dass in der<br />

Jungmoränenlandschaft des Kreises<br />

Ravensburg die Zahl der künstlichen<br />

Weiher die der natürlichen<br />

Gewässer bei Weitem übersteigt und dass in der Altmoränenlandschaft<br />

nur künstliche Weiher vorhanden<br />

sind, die allesamt menschlichen Bedürfnissen<br />

gedient haben, dann können wir uns vorstellen, wie<br />

nachhaltig diese Steuerung von Anbeginn war. Die<br />

Weiher und ihre Verlandungsbereiche sind in einem<br />

umfassenden Sinn echte Kulturobjekte.<br />

Neben den genannten Nutzungen waren viele<br />

Weiher Glieder ausgeklügelter Weiher- und Kanalsysteme,<br />

aus rein ökonomischen Erwägungen heraus<br />

angelegt und zugleich verbindende Feuchtstrukturen<br />

und -flächen, die Talräume miteinander verknüpften,<br />

natürliche Wasserscheiden überbrückten<br />

und durch das Fließmittel Wasser die Ausbreitung<br />

von Pflanzen und Tieren begünstigten.<br />

Niedergang der Weiherwirtschaft<br />

Treten wir nun wieder in den historischen Zeitablauf<br />

ein. Der Dreißigjährige Krieg bedeutete in jeder Hinsicht<br />

einen schweren Einbruch. Mit ihm ging auch<br />

die Blütezeit der Weiher- und Fischereiwirtschaft zu<br />

Abb. 5: Der Stockweiher, Gemeinde Kisslegg<br />

(Foto: W. Konold)<br />

83


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

84<br />

Ende. Viele Weiher wurden von den regelmäßig<br />

durchziehenden Soldaten zerstört. Manche Weiher<br />

setzte man nur notdürftig oder auch gar nicht mehr<br />

instand. Auch wenn nach dem Krieg zunächst noch<br />

kaum ein Rückgang der Weiherflächen zu verzeichnen<br />

war, so war doch bei der Bewirtschaftung mangelnde<br />

Professionalität und Sorgfalt zu verspüren.<br />

Zum Beispiel wich der Jahresklassenbetrieb dem extensiven<br />

Femelbetrieb. Die Erträge näherten sich allmählich<br />

einem Tiefpunkt, zumindest bei einigen<br />

Weihern (SCHERER 1969). Der Niedergang der Weiherwirtschaft<br />

hatte mehrere Gründe; der Dreißigjährige<br />

Krieg war nur ein markanter Punkt. Da sind zunächst<br />

die Änderungen in den Ernährungsgewohnheiten zu<br />

nennen. Die barocke Lebensart, die allmählich von<br />

Frankreich herüberschwappte, verlangte für die Tafeln<br />

der Herren ausgefallenere und exotische Speisen<br />

(BARCZYK 1981), die man nun wegen der Ausweitung<br />

des Handels auch leichter beziehen konnte. Der Bedarf<br />

an Fischen ging zurück, die Preise verfielen. Der<br />

zweite Grund ist in der Entwicklung der <strong>Landwirtschaft</strong><br />

zu suchen. Im 18. Jahrhundert zogen die Getreidepreise<br />

an, so dass es opportun wurde, die<br />

Ackerbauflächen auszudehnen auf Kosten anderer<br />

Nutzungen. Gleichzeitig setzte mit dem Geist der<br />

Aufklärung ein Innovationsschub ein, der hinführte<br />

zum Anbau der Brache („verbesserte Freifelderwirtschaft“),<br />

zum Futterbau, zu verbesserter Düngung,<br />

letztlich zu höheren Steuereinnahmen. Dabei nahm<br />

Oberschwaben eine besondere Stellung ein, denn<br />

schon vor 1750 hatte ein intensiver Getreidehandel<br />

mit der Nordostschweiz begonnen, der die Flächenproduktion<br />

zunehmend bestimmte (FLAD 1982). Man<br />

legte Moore und auch Weiher trocken, um sie mit<br />

Gras oder Getreide einzusäen.<br />

Hinzu kam in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts<br />

die sogenannte Vereinödung, eine auf freiwilliger<br />

Basis beruhende Grundstückszusammenlegung<br />

mit Ausbau <strong>–</strong> heute würde man sagen eine Flurbereinigung<br />

mit Aussiedlung <strong>–</strong>, die die Zwänge der<br />

Dreifelderwirtschaft beseitigte und produktiveres<br />

und selbstständigeres, innovatives Wirtschaften ermöglichte<br />

(DORN 1904, NOWOTNY 1984). In die Umlegungsmasse<br />

wurden auch Weiher einbezogen, die<br />

damit aus der Landschaft eliminiert wurden.<br />

Von großer Tragweite war auch die politische<br />

Neuordnung des Südwestens durch die Säkularisierung<br />

und die Mediatisierung. An die Stelle der eher<br />

traditionsverbundenen Klosterverwaltungen und<br />

der Organe der selbstbewussten reichsfreien Stadtstaaten<br />

traten nüchterne Beamte auswärtiger Fürstenhäuser.<br />

Die vorderösterreichischen Länder der<br />

glanzvollen habsburgischen Dynastie wurden zerschlagen.<br />

Die neuen Herren hatten es eilig, aus ihren<br />

Besitztümern möglichst viel Kapital zu schlagen.<br />

Ein Resultat dieser Zeit des Umbruchs und des<br />

Aufbruchs war unter anderem die Trockenlegung<br />

zahlreicher, überwiegend großer Weiher. Die Wertschätzung<br />

des Fisches war auf dem Tiefpunkt angekommen.<br />

Folgerichtig war deshalb die Aussage<br />

des Kameralamtsleiters von Weingarten: „Viele<br />

stehende Gewässer zeugen von der minderen Kultur<br />

des Landes; wo der Mensch wohnt, da muss<br />

Fisch und Wasser weichen“. Innerhalb von ein,<br />

zwei Jahren legte man beispielsweise von den ehemals<br />

445 ha klösterlich-weingartischen Weiher<br />

270 ha trocken und verpachtete sie an Bauern. In<br />

anderen Herrschaftsgebieten sah es nicht anders<br />

aus. Man könnte sagen, dass Oberschwaben damals<br />

innerhalb kürzester Zeit entwässert wurde,<br />

weil jede andere Nutzung mehr Geld einbrachte als<br />

die Fischerei.<br />

Folgenutzungen; die Weiher werden<br />

überflüssig<br />

Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war Oberschwaben<br />

eine fast reine Ackerbaulandschaft. Der Kornhandel<br />

mit der Nordostschweiz florierte nach wie


Werner Konold: Geschichte und Kultur der oberschwäbischen Weiher<br />

Abb. 6: Oberer Eintürner Weiher, Gemeinde Wolfegg<br />

Foto: W. Konold<br />

vor. Doch allmählich vollzog sich<br />

eine Umstellung in Richtung<br />

Grünland-, Milch- und Käsereiwirtschaft,<br />

wobei der Futterbau<br />

zunächst noch nicht auf Kosten<br />

der Äcker ging, sondern man erschloss<br />

sich die Anbauflächen<br />

durch Weihertrockenlegungen<br />

und Moorkultivierung (FLAD<br />

1953). Einen gewaltigen Aufschwung<br />

erfuhr der neue Produktionszweig<br />

1850 durch die Fertigstellung<br />

der Eisenbahnlinie Ulm<strong>–</strong><br />

Friedrichshafen, die neue Absatzmärkte<br />

für Käse erschloss. Auf<br />

der anderen Seite nutzten die<br />

Konkurrenten die neue Infrastruktur<br />

der Eisenbahn. 1860 kam<br />

die erste Weizenlieferung von<br />

Ungarn in die Schweiz. Die Getreidepreise verfielen,<br />

und Oberschwaben verlor nach und nach seinen<br />

traditionellen Absatzmarkt. Die Umstellung<br />

auf die Grünlandwirtschaft beschleunigte sich (FLAD<br />

1982).<br />

Wachsende Viehbestände einerseits und weniger<br />

Ackerflächen andererseits führten zu einem schwerwiegenden<br />

Mangel an Streu, also an Einstreumaterial<br />

für den Stall. Man versuchte dies zunächst mit<br />

der Gewinnung von Waldstreu zu kompensieren,<br />

wogegen sich aber von Beginn an die Forstleute<br />

sträubten, denn man war in dieser Zeit auch bestrebt,<br />

den Waldbau auf eine ordentliche und nachhaltige<br />

Produktionsgrundlage zu stellen. Deshalb<br />

traten immer stärker die ehemaligen Weiher als<br />

Streugewinnungsflächen in den Vordergrund. Noch<br />

bestehende Weiher ließ man bewusst verlanden.<br />

Der Hohenheimer Wiesenbaumeister Häfener<br />

schrieb 1847: „In einigen Gegenden von Oberschwaben<br />

[…] lässt man, um recht viel Streu zu gewinnen,<br />

oft die besten Wiesen absichtlich versumpfen,<br />

und nicht selten werden solche um viel höhere<br />

Preise als die besten Futterwiesen bezahlt“ (HÄFENER<br />

1847, S. 4).<br />

Wie wir eingangs gesehen haben, wurden im<br />

Mittelalter viele Weiher in Mooren angelegt. Man<br />

überflutete bzw. konservierte sozusagen die Torflagerstätten.<br />

Dies war ökonomisch richtig, denn Fischereiwirtschaft<br />

brachte viel ein und Torfstechen<br />

nichts, solange noch halbwegs genügend Brennholz<br />

vorhanden war. Erst im 18. Jahrhundert, als akuter<br />

Holzmangel drohte (steigende Bevölkerungszahl,<br />

höherer gewerblicher Bedarf, übernutzte Wälder),<br />

ging man daran, die Torflagerstätten systematisch<br />

zu erfassen und auszubeuten (dazu LIEBEL 1911). Da<br />

es vielfach Probleme mit der Entwässerung gab, verlief<br />

der Prozess der Moorkultivierung sehr schleppend<br />

<strong>–</strong> glücklicherweise, müssen wir heute sagen <strong>–</strong><br />

und zog sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Die<br />

ehemaligen Weiher wurden ganz in die Planungen<br />

85


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

einbezogen. Alleine für den Oberamtsbezirk Wangen<br />

wurden 1000 Morgen (etwa 330 ha) Weiherflächen<br />

ermittelt, in denen sich der Torfabbau lohnen<br />

würde (FRAAS 1860). Da der Rohstoff Torf zunehmen<br />

für gewerbliche Zwecke verwendet wurde<br />

(Torfkohle, Torföl, Ruß, Isoliermaterial), wird auch<br />

hier deutlich, wie eng die Weihergeschichte und die<br />

Wirtschaftsgeschichte zusammenhängen.<br />

Auch wenn die Weiherwirtschaft gegen Ende des<br />

19. Jahrhunderts wieder zu einem gewissen Ansehen<br />

kam und einige Weiher neu gebaut oder wiederhergestellt<br />

wurden, so ist doch zu sehen, dass<br />

sich an der generellen Entwicklungslinie nichts änderte.<br />

Die Mühlweiher verloren ihre Funktion mit<br />

dem Ausbau der Elektrizitätswirtschaft, die auf der<br />

Verstromung fossiler Brennstoffe basierte. Die Fortschritte<br />

in der Wasserversorgung machen die Hof-,<br />

Dorf- und Feuerlöschweiher überflüssig. Die Wässerungsweiher<br />

wurden überflüssig, weil an die Stelle<br />

der düngenden Bewässerung zunehmen der Einsatz<br />

von Gülle und mineralischem Dünger trat, die Röstgruben,<br />

weil der Flachsanbau zurückging, die Eisweiher<br />

wurden überflüssig, weil statt des Eises Kältemaschinen<br />

in den Brauereikellern eingesetzt wurden,<br />

die Deichelweiher, weil man die Holzrohre<br />

durch Eisenrohe ersetzte, und die Floßweiher<br />

schließlich wurden überflüssig, weil man das Holz<br />

billiger und schneller mit der Eisenbahn transportieren<br />

konnte.<br />

Weihergeschichte ist Landschaftsgeschichte,<br />

Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Unsere Vorfahren<br />

haben gewirtschaftet, manipuliert, ökonomischen<br />

und gesellschaftlichen Zwängen nachgegeben oder<br />

solche Zwänge ausgeübt und damit eine <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

geschaffen. Überformt wurden Böden, Flora,<br />

Fauna, das Mikroklima, der Wasserhaushalt, das gesamte<br />

Bild.<br />

Diese „Evolution“ der oberschwäbischen Landschaft,<br />

deren Identität und Unverwechselbarkeit<br />

sehr eng mit den Feuchtgebieten verknüpft ist, ist<br />

auch die Geschichte der Menschen, die in ihr leben<br />

und die sie erleben. Die gewachsene <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

als solche zu erkennen, ist deshalb auch ein<br />

Akt der Selbsterkenntnis.<br />

Literatur und Quellen<br />

BARCZYK, M. (1981): Essen und Trinken im Barock. <strong>–</strong> Sigmaringen.<br />

BAUMANN, F.L. (1877): Akten zur Geschichte des deutschen<br />

Bauernkrieges in Oberschwaben. <strong>–</strong> Freiburg.<br />

BROCKMANN-JEROSCH, H. (1917): Die ältesten Nutz- und Kulturpflanzen.<br />

Vierteljahresschrift der Naturforschenden Gesellschaft<br />

Zürich 62: 80<strong>–</strong>102.<br />

DORN, H. (1904): Die Vereinödung in Oberschwaben. <strong>–</strong><br />

Kempten und München.<br />

DUBY, G. (1984): Krieger und Bauern. <strong>–</strong> Frankfurt.<br />

ERNST, V. (1916): Die Entstehung des niederen Adels. <strong>–</strong> Berlin,<br />

Stuttgart, Leipzig.<br />

FLAD, M. (1953): Die agrarwirtschaftliche Entwicklung des<br />

württembergischen Allgäus seit 1840. <strong>–</strong> Diss. Universität<br />

Hohenheim.<br />

FLAD, M. (1982): Der Kornhandel Oberschwabens in früherer<br />

Zeit. <strong>–</strong> Ostfildern.<br />

FRAAS, O. (1860): Die nutzbaren Minerale Württembergs.<br />

<strong>–</strong> Stuttgart.<br />

FRANZ, G., Hg. (1980): Der deutsche Bauernkrieg, Aktenband,<br />

5. Aufl. <strong>–</strong> Darmstadt.<br />

HÄFENER, F. (1847): Der Wiesenbau in seinem ganzen Umfange.<br />

<strong>–</strong> Reutlingen und Leipzig.<br />

HEIMPEL, C. (1966): Die Entwicklung der Einnahmen und<br />

Ausgaben des Heiliggeist-Spitals Biberach an der Riß von<br />

1500 bis 1630. Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte<br />

15. <strong>–</strong> Stuttgart.<br />

HEIMPEL, H. (1964): Fischerei und Bauernkrieg. Festschrift f.<br />

Percy Ernst Schramm: 353<strong>–</strong>372. <strong>–</strong> Wiesbaden.<br />

HELD, W. (1970): Die ehemaligen Fischweiher und Seen der<br />

Benediktinerabtei Weingarten. Unveröff. Zulassungsarbeit,<br />

PH Weingarten. <strong>–</strong> Weingarten.<br />

86


Werner Konold: Geschichte und Kultur der oberschwäbischen Weiher<br />

HOFMANN, J. (1935): Die Geschichte der Teichwirtschaft im<br />

Aischgrunde. Archiv für Fischereigeschichte 19. <strong>–</strong> Berlin.<br />

KOEHNE, C. (1907): Mühlenbau und Burgenbau. Zeitschr. d.<br />

Savigny Stiftung f. Rechtsgeschichte, Germ. Abt., 28: 63<strong>–</strong><br />

68.<br />

LIEBEL, F. (1911): Die württembergische Torfwirtschaft. Diss.<br />

München. <strong>–</strong> Stuttgart.<br />

MAURER, H.-M. (1973): Die Ausbildung der Territorialgewalt<br />

oberschwäbischer Klöster vom 14. bis zum 17. Jahrhundert.<br />

Blätter für deutsche Landesgeschichte 109: 151<strong>–</strong>195.<br />

SCHÄFER, A. (1966): Weißenburger Fiskalzehnt und fränkisches<br />

Königsgut im Heistergau und Rammagau in Oberschwaben.<br />

Zeitschr. f. württ. Landesgeschichte 25: 13<strong>–</strong>24.<br />

SCHERER, P. (1969): Reichsstift und Gotteshaus Weingarten<br />

im 18. Jahrhundert. Veröff. d. Kommission f. geschichtliche<br />

Landeskunde Bad.-Württ., Reihe B, 57. <strong>–</strong> Stuttgart.<br />

SCHRÖDER-LEMBKE, G., Hg. (1965): Martin Grosser, Anleitung<br />

zu der <strong>Landwirtschaft</strong>. Abraham von Thumbshirn, Oeconomia.<br />

Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 12:<br />

63<strong>–</strong>109.<br />

SURBECK, G. (1902): Die Verwendung unserer einheimischen<br />

Fische in der Arzneikunst des 16.<strong>–</strong>18. Jahrhunderts.<br />

Zeitschr. f. Fischerei und deren Hilfswissenschaften 1902:<br />

124<strong>–</strong>129.<br />

Reg. Kl. Isny = Urkundenregest des Klosters Isny aus der<br />

Regestenkartei Dr. Eisele, Kreisarchiv Ravensburg<br />

HStA Stgt = Hauptstaatsarchiv Stuttgart<br />

StA Sig = Staatsarchiv Sigmaringen<br />

StA Bad Wurzach = Stadtarchiv Bad Wurzach<br />

WUB = Wirtembergisches Urkundenbuch<br />

1 Ausführlich dazu: KONOLD, W., 1987: Oberschwäbische<br />

Weiher und Seen. Geschichte, Kultur, Vege tation, Limnologie,<br />

Naturschutz. Beih. Veröff. Naturschutz Landschaftspflege<br />

Bad.-Württ. 52 (2 Teile): 634 S. <strong>–</strong> Karlsruhe. •<br />

87


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Weiherwirtschaft und Fischzucht<br />

in oberschwäbischen Weihern<br />

Anton Jung<br />

88<br />

Zur Begriffsbestimmung: Weiher<br />

sind in Oberschwaben alle ablassbaren<br />

Gewässer, gleich welcher Größe.<br />

Alles was nicht ablassbar ist, sind Seen.<br />

Vom kleinsten Toteisloch, über den<br />

Baggersee, bis zum Federsee. Außerhalb<br />

der Grenzen von Oberschwaben<br />

sind zum Beispiel Weiher kleine Seen.<br />

In Bayern wiederum werden bewirtschaftete<br />

ablassbare Gewässer als Teiche<br />

bezeichnet. Dort wird auch heute<br />

noch, im Gegensatz zu Baden-Württemberg, die<br />

Fischzucht wesentlich mehr vom Staat gefördert.<br />

Unter anderem durch die Bezuschussung beim Anlegen<br />

von Teichen, durch das Kulap-Programm, welches<br />

die extensive Teichwirtschaft mit 200,- Euro<br />

Abb. 1: Der Stockweiher bei Wolfegg<br />

pro Hektar fördert, durch die Ausbildungsbeihilfe<br />

für Fischwirt-Azubis und<br />

vieles mehr.<br />

Ich möchte den Wandel in der Teichwirtschaft<br />

in den letzten 50 Jahren am<br />

Beispiel der ehemaligen fürstlichen<br />

Teichwirtschaft erläutern. Noch bis Mitte<br />

des 19. Jahrhunderts wurden von<br />

der fürstlichen Herrschaft Wolfegg<br />

rund 450 ha Teichfläche bewirtschaftet.<br />

Die größten Weiher besaßen eine<br />

Fläche von etwa 90 ha. Diese Weiher wurden zum<br />

größten Teil im 14. und 15. Jahrhundert in Senken<br />

und ehemaligen Moorflächen, durch Frondienste,<br />

angelegt. In diesen wurde dann das Wasser durch<br />

angelegte Dämme gestaut. Die Großweiher wurden<br />

in der Regel nur alle paar Jahre abgelassen.<br />

Die kleinen Weiher, so<br />

genannte Jungweiher, wurden jedes<br />

Jahr einmal abgelassen.<br />

Diese Weiher waren nährstoffarm.<br />

Deshalb war der Fischzuwachs<br />

in dieser Zeit im Vergleich<br />

zumheutigen noch sehr gering.<br />

Pro Hektar konnten damals circa<br />

20<strong>–</strong>50 kg Karpfenfleisch erzielt<br />

werden. Heute sind es in flachen<br />

Weihern, die von Wiesen umgeben<br />

sind, 250<strong>–</strong>300 kg. Mit Getreidezufütterung<br />

kann um die 1.000<br />

kg/ha und mehr erzielt werden.<br />

Mit Mischfutterzugaben lassen<br />

Foto: D. Gotzmann sich noch höhere Erträge erzielen.


Anton Jung: Weiherwirtschaft und Fischzucht in oberschwäbischen Weihern<br />

Abb. 2: Der Rohrsee bei Bad Wurzach<br />

Durch diese Bewirtschaftung kommt es jedoch zu<br />

einem erheblichen Nährstoffeintrag in die Weiher.<br />

Interessant ist, dass bei noch verträglicher Getreidezufütterung<br />

die Nährstoffwerte im Auslauf geringer<br />

sind als im Zulauf. Dies zeigt, dass bei sachgemäßer<br />

Bewirtschaftung, das heißt Besatz mit Kleinfischen<br />

und herbstlicher Entnahme<br />

der Gesamtmenge, ein erheblicher<br />

Beitrag zur Erhaltung der Gewässer<br />

geleistet wird.<br />

In diesen Weihern wurden<br />

hauptsächlich Karpfen gehalten,<br />

die damals noch nicht so tellergerecht<br />

hochrückig, sondern eher<br />

lang und mehr beschuppt waren.<br />

Nebenfische waren Schleie, Barsch<br />

und Hecht. Eine nicht unerhebliche<br />

Menge an Fischen wurde vom<br />

damaligen fürstlichen Hoffischer<br />

aus den Bächen, allen voran die<br />

Wolfegger Aach, entnommen. Die<br />

Aach war damals von Kißlegg bis<br />

Rötenbach, aufgrund der vielen<br />

Mäander, sehr langsam fließend.<br />

Das Wasser war in den Sommermonaten<br />

sehr warm und trotzdem<br />

sauerstoffreich. Das warme Oberflächenwasser<br />

der Seen war Ursache<br />

dieses Phänomens. Dies war<br />

für den Deutschen Edelkrebs das<br />

ideale Umfeld. Die Aach war für<br />

diese Delikatesse bereits damals<br />

weit bekannt. So konnten die sehr<br />

großen Edelkrebse aus der Wolfegger<br />

Aach sogar 1958 bei der<br />

Brüsseler Weltausstellung bestaunt<br />

werden. Bachforellen gab<br />

Foto: D. Gotzmann es erst ab Wolfegg bis zur Einmündung<br />

in die Wolfegger Aach bei<br />

Baienfurt. Die Aach hatte ab Wolfegg<br />

mehr Gefälle und war deshalb schnellfließender.<br />

Einige Quellbäche sorgten für eine Temperaturabnahme.<br />

Bachforellen wurden jeden Donnerstagabend der<br />

fürstlichen Hofküche für die Herrschaft und deren<br />

Abb. 3: Der Fünfeckweiher im Pfrunger-Burgweiler Ried<br />

Foto: D. Kölzer<br />

89


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Gäste geliefert. Das gemeine Volk durfte, wenn<br />

überhaupt, nur minderwertigen Fisch, wie die Karausche,<br />

auch Bauernkarpfen genannt, essen. Es<br />

wurde aber versucht, dem Großteil der Bevölkerung<br />

Fisch und auch Wild vorzuenthalten, damit diese<br />

nicht auf den Geschmack kommen konnte und anfangen<br />

würde zu wildern.<br />

Die in den Weihern abgefischten Fische wurden<br />

zum großen Teil kurz vor Weihnachten, in so genannten<br />

Schüttelfässern, mit der Bahn nach München<br />

versandt. Da es zu dieser Zeit noch keine<br />

Sauerstoffflaschen gab, mussten immer einige<br />

Arbeiter mitfahren, um das Wasser in den Behältern,<br />

zwecks Sauerstoffzufuhr, ständig in Bewegung zu<br />

halten. Noch in den 50er Jahren dieses Jahrhunderts<br />

wurden Forellen nur an das fürstliche Haus und höher<br />

gestellte Beamte geliefert. Karpfen und Schleien<br />

konnten in der Zeit von Herbst bis Frühjahr jedermann<br />

erwerben. Ich kann mich noch gut daran erinnern,<br />

dass es keine Freude war, Karpfen zu essen.<br />

Man kannte nur das einfache Braten des ganzen Fisches,<br />

ausschließlich mit Salz und Pfeffer gewürzt.<br />

Erst ab der Zeit, als das Mischfutter in Pelletform<br />

auf dem Markt war, konnte jeder Forellen erwerben.<br />

Ein nicht ausgenommenes Kilogramm Forelle kostete<br />

Anfang der 60er Jahre 4,<strong>–</strong> DM, das Kilogramm<br />

Karpfen 2,<strong>–</strong> DM. Heute gehen ausgenommene Forellen<br />

für 8,50 Euro und Karpfen für 5,<strong>–</strong> bis 6,<strong>–</strong> Euro<br />

über die Ladentheke.<br />

Forelle, Karpfen und andere einheimische Fischarten<br />

werden heute veredelt angeboten. Sei es als<br />

Filet, heiß oder kalt geräuchert, in Maultaschen oder<br />

als Fischsalat. Der einheimische Fisch lässt sich sehr<br />

gut auf Wochenmärkten absetzen.<br />

Abb. 4: Der Fünfeckweiher im Pfrunger-Burgweiler Ried<br />

Foto: D. Gotzmann<br />

Ein Großteil der Fische aus unseren extensiv genutzten<br />

Weihern wird jedoch als Besatzfische für<br />

Angelteiche verkauft. Der Nachfrage nach Besatzfischen<br />

kann oftmals nicht ausreichend nachgekommen<br />

werden. Derzeitiger Modefisch ist der<br />

Zander.<br />

•<br />

90


Albrecht Trautmann, Anton Jung: Sanierung und Bewirtschaftung von Weihern in Oberschwaben<br />

Sanierung und Bewirtschaftung<br />

von Weihern in Oberschwaben<br />

Albrecht Trautmann, Anton Jung<br />

In der Landschaft nördlich des Bodensees<br />

(Landkreise Biberach, Ravensburg,<br />

Sigmaringen) gibt es fast 2.300<br />

stehende Wasserflächen. Diese Stillgewässer<br />

(natürlich entstandene Seen und<br />

künstlich geschaffene Weiher) wurden<br />

vor allem ab den 1950er Jahren in hohem<br />

Maße mit Stoffeinträgen (insbesondere<br />

Pflanzennährstoffen) belastet,<br />

was zu erheblichen Eutrophierungserscheinungen<br />

und rasanter Verlandung<br />

führte.<br />

Seit 1989 führt das „Aktionsprogramm<br />

zur Sanierung oberschwäbischer<br />

Seen“ (SOS) an fast 100 Seen und<br />

Weihern Oberschwabens Untersuchungen<br />

durch, entwickelt angepasste Sanierungskonzepte<br />

und setzt diese mit<br />

den jeweils Beteiligten um. Wichtigster<br />

Grundsatz des SOS ist, durch Beseitigung<br />

von Nährstoffquellen die eigentlichen<br />

Ursachen der Eutrophierung und<br />

Verlandung zu beheben (Abwasserentsorgung,<br />

landwirtschaftliche Beratung, Extensivierung kritischer<br />

landwirtschaftlicher Flächen, Renaturierung<br />

der Zuflüsse, Pflege der Verlandungsbereiche).<br />

Auch die fischereiliche Bewirtschaftung der Gewässer<br />

kann einen wichtigen Beitrag zur Sanierung<br />

leisten, da sich bei hohen Nährstoffeinträgen häufig<br />

die Fischbestände ungünstig entwickeln. Nicht angepasste<br />

Fischbestände wirken aber stark auf das<br />

Nahrungsnetz eines Gewässers ein, so dass sich Algen<br />

massenhaft vermehren können und andere Gewässernutzungen<br />

beeinträchtigt werden.<br />

Die zahlreichen ablassbaren Weiher<br />

Oberschwabens werden heutzutage<br />

überwiegend angelfischereilich genutzt.<br />

Die früher übliche teichwirtschaftliche<br />

Nutzung mit kurzen Ablassintervallen<br />

ist dadurch in den Hintergrund<br />

getreten. Oft haben sich dadurch<br />

Fischarten wie Brachsen,<br />

Rotauge oder Rotfedern massenhaft<br />

entwickelt und einen beträchtlichen<br />

Anteil der Fischbiomasse eingenommen,<br />

so dass auch die von Anglern angestrebten<br />

Fischarten zurückgegangen<br />

sind. Dies zeigen die Abfischergebnisse<br />

an Vergleichsgewässern in unterschiedlich<br />

langen Ablassintervallen.<br />

Mit der Beratung des Seenprogrammes<br />

konnte an vielen Weihern erreicht<br />

werden, dass diese wieder regelmäßig<br />

Abb. 1: Weiße Seerose (Nymphaea alba) Foto: A. Trautmann<br />

91


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

abgelassen und in einer Mischung von teich- und<br />

angelfischereilicher Nutzung bewirtschaftet werden.<br />

Die Weiher sollten in Abständen von 3 bis 6 Jahren<br />

abgefischt und möglichst anschließend gewintert<br />

(über Winter leer gelassen) werden. Sofern möglich,<br />

kann eine sich anschließende Sömmerung die Mineralisierung<br />

des Weiherschlammes noch stärker forcieren.<br />

Bei fast jedem gesömmerten Weiher konnte<br />

darüber hinaus auch eine artenreiche und mit sehr<br />

seltenen Pflanzen durchsetzte Teichbodenvegetation<br />

kartiert werden.<br />

Bei vielen Seen und Weihern haben die im Rahmen<br />

des Seenprogrammes umgesetzten Maßnahmen<br />

teils erhebliche Verbesserungen der Trophie ermöglicht.<br />

Mit einer an ökologische und fischerei liche<br />

Belange angepassten Weiherbewirtschaftung kann<br />

dazu ebenfalls ein Beitrag geleistet werden. •<br />

Abb. 3: Abfischen des Alten Weihers Altshausen<br />

Foto: A. Trautmann<br />

Abb. 4: Aalfang im Lindenweiher<br />

Foto: A. Trautmann<br />

92<br />

Abb. 2: Renaturisierter Bachabschnitt (Rohrbach)<br />

Foto: A. Trautmann<br />

Abb. 5: Der Ellerachofer Weiher Leutkirch Foto: F. Hofmann


Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische<br />

Zeitreise durch Europa<br />

Gerhard Ermischer<br />

Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />

Persönliche Vorbemerkung<br />

Für die Tagung „<strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong>“<br />

sollte ich einen Vortrag halten,<br />

um Erfahrungen aus verschiedenen<br />

europäischen Projekten zur <strong>Kulturlandschaft</strong><br />

zu dem Thema „<strong>Regionale</strong><br />

<strong>Esskultur</strong>“ zusammenzufassen.<br />

Bei den zahlreichen Besuchen bei<br />

europäischen Partnerprojekten war<br />

die regionale Küche immer wieder auf<br />

den Tisch gekommen <strong>–</strong> nicht nur als<br />

kulinarische Besonderheiten, die den Kollegen<br />

vorgestellt werden sollten, sondern auch mit<br />

ihrem historischen und kulturellen Hintergrund:<br />

warum hat sich eine bestimmte Speise gerade hier<br />

entwickelt, welche Geschichten stecken dahinter,<br />

wie kamen die einzelnen Zutaten ursprünglich in<br />

diese Gegend, oder waren sie hier immer schon<br />

heimisch Was haben lokale Spezialitäten mit den<br />

historisch gewachsenen Strukturen der Landschaft,<br />

der <strong>Landwirtschaft</strong>, der Wirtschaft und des<br />

Handels zu tun, mit örtlichen Verkehrswegen,<br />

Handelsbeziehungen oder mit den Strömen von<br />

Aus- und Einwanderung Gleichzeitig hat es mich<br />

schon lange gereizt, bei einer Tagung des BHU<br />

auch einmal einen Asterix-Vortrag zu halten und<br />

auf amüsante Weise historische Zusammenhänge<br />

darzustellen. Dieses Thema schien wie geschaffen<br />

für eine solche Kombination zu sein <strong>–</strong> und so entstand<br />

ein Vortrag zu regionaler <strong>Esskultur</strong>, in dem<br />

Asterix (oder doch eher Obelix) als Reiseführer<br />

fungierte.<br />

Warum gerade Asterix<br />

Asterix eignet sich wie kaum ein anderer<br />

Comic als Reiseführer durch die Geschichte<br />

<strong>–</strong> und ganz besonders die kulinarische.<br />

Das Besondere an den Asterix-Geschichten<br />

ist ihre Verknüpfung<br />

verschiedener Zeitebenen. Die Geschichten<br />

spielen im Gallien zur Zeit<br />

unmittelbar nach der Eroberung durch<br />

Caesar <strong>–</strong> allerdings ist dies kein konkreter<br />

Zeitpunkt, schließlich spielen über<br />

30 Hefte in einem in der historischen Realität äußerst<br />

kurzen Zeitraum zwischen dem Abschluss der<br />

Eroberung Galliens (52 v.Chr.) und der Ermordung<br />

Caesars (44 v.Chr.). Die Hefte sind zwar reich an<br />

archäologischen und historischen Details, die oft<br />

von exzellenter Qualität sind, aber diese sind auch<br />

nicht archäologisch korrekt auf die Zeit um 50 vor<br />

Christus konzentriert, sondern bedienen sich der<br />

Funde und Darstellung von Kelten und Römern aus<br />

einem langen Zeitraum. So ist die Darstellung Roms<br />

am gut rekonstruierten Modell des Roms des 3. Jahrhunderts<br />

nach Christus orientiert, nicht am Rom zur<br />

Zeit Caesars. Trotzdem ist der Reichtum an Informationen<br />

zu Kelten und Römern erstaunlich, auch<br />

wenn sie eben nicht auf einen konkreten, genau definierten<br />

Zeitpunkt fokussiert sind.<br />

Daneben reflektieren die Asterix-Hefte die Zeit<br />

der Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg und<br />

spiegeln die aktuellen zeitgeschichtlichen Entwicklungen<br />

in der Entstehungszeit der Hefte wider. Das<br />

erste Abenteuer erschien 1959, die meisten Hefte<br />

entstanden in den 60er und 70er Jahren. Dabei kari-<br />

93


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Abb. 1: In „Asterix und die Olympischen Spiele“ erklärt der Druide Miraculix seinem Freund Obelix die Bedeutung einer<br />

wohlausgewogenen Diät…<br />

94<br />

kieren sie auf amüsante Weise die Vorurteile der<br />

(französischen) Leser über ihre Nachbarn. Das Kulinarische<br />

bietet dabei ein besonders weites Feld der<br />

Charakterisierung der europäischen Nationen. Auch<br />

hier sind einige hübsche Anspielungen auf die römische<br />

Küche der Antike enthalten, weitgehend aber<br />

spielen die kulinarischen Zitate auf die Gegenwart<br />

an und sind somit ein Reiseführer in die regionalen<br />

Besonderheiten der von Asterix und Obelix bereisten<br />

Länder <strong>–</strong> bzw. die Vorurteile und Klischees darüber.<br />

Fiktion und Realität bei Asterix<br />

Wer die Asterix-Hefte gelesen hat, der weiß, was<br />

Gallier dereinst so zu essen pflegten. Insbesondere<br />

der starke Esser Obelix, der, wie er stets betont, keineswegs<br />

dick ist, sondern nur etwas untersetzt, ernährt<br />

sich von einer ausgewogenen Diät, die ausschließlich<br />

aus Wildschwein besteht. Selbiges verzehrt<br />

Obelix im Ganzen als gebratenes Wildschwein<br />

direkt vom Spieß und gerne in wahrer Fließbandarbeit<br />

in großer Stückzahl. Dieses Bild hat sich bei<br />

den zahllosen Lesern der Hefte derart eingeprägt,<br />

dass es bei vielen Menschen heute zur historischen<br />

Wahrheit gehört, dass sich die Gallier hauptsächlich<br />

von Wildschweinen ernährten. Hält diese Meinung<br />

jedoch einer näheren Betrachtung stand<br />

Im Falle der Ernährungsgewohnheiten von Obelix<br />

und seiner Freunde in dem bekannten gallischen<br />

Dorf an der bretonischen Küste muss man leider sagen<br />

<strong>–</strong> nein! Die Gallier zur Zeit Caesars waren eine<br />

hoch entwickelte Kultur, zwischen den Hochkulturen<br />

Griechenlands und Italiens auf dem Weg zu<br />

einer eigenen Hochkultur. Es war eine agrarisch geprägte<br />

Gesellschaft, die Ernährungsgrundlage wurde<br />

also durch die <strong>Landwirtschaft</strong> geliefert. Getreide<br />

und Hülsenfrüchte waren Hauptnahrungsmittel,<br />

wobei das Getreide nicht nur zu Brei und Brot verarbeitet<br />

wurde, sondern ganz wesentlich auch zu<br />

Cervisia, also Bier. Daneben spielte auch Fleisch eine<br />

wichtige Rolle in der Ernährung, doch war dies vorwiegend<br />

das Fleisch von Haustieren <strong>–</strong> darunter auch<br />

dem Schwein. Auch wenn Hausschweine bis in das<br />

19. Jahrhundert hinein weitgehend behaart, hochbeinig<br />

und mit einer relativ langen Schnauze ausgestattet<br />

waren und damit den Wildschweinen weit<br />

näher standen als moderne Zuchtschweine, lassen<br />

sie sich doch genau von ihren wildlebenden Verwandten<br />

unterscheiden <strong>–</strong> und das auch an den Knochenresten,<br />

die man in Siedlungen noch heute, über<br />

2.000 Jahre später, nachweisen kann. Tatsächlich<br />

war die keltische Gesellschaft auch eine stark hierarchisch<br />

gegliederte Gesellschaft, mit einer standesbe-


Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />

wussten Oberschicht kriegerischer Adliger. Und wie<br />

in vielen anderen Kulturen war anscheinend auch<br />

bei den Kelten die Jagd ein Herrenprivileg. Jedenfalls<br />

finden sich in bäuerlichen Siedlungen nur wenige<br />

Knochen von Wildtieren, während auf den Adelssitzen<br />

offenbar weit mehr jagdbares Wild verzehrt<br />

wurde. Somit wäre also der Handwerker Obelix in<br />

der historischen Realität kaum je in den Genuss von<br />

Wildschwein gekommen, eher schon sein kriegerischer<br />

Freund Asterix.<br />

Aber auch die Zubereitungsart des Fleisches entspricht<br />

nicht dem historischen Gebrauch. Heute<br />

stellen in unserer Überflussgesellschaft Grillen und<br />

Braten die üblichen Arten der Zubereitung von<br />

Fleisch dar. Dies liegt daran, dass in den hochentwickelten<br />

Industriestaaten Tiere speziell für ihr Fleisch<br />

gezüchtet und jung geschlachtet werden. Daneben<br />

werden bei uns heute nur noch die besten Teile des<br />

Tieres direkt verarbeitet. Innereien, Teile mit wenig<br />

Muskelfleisch und bestimmte Partien mit eher fettem<br />

Fleisch werden entweder verwurstet <strong>–</strong> oder billig<br />

in Entwicklungsländer exportiert, wo sie den lokalen<br />

Fleischmarkt verderben. Doch noch bis weit in<br />

das 20. Jahrhundert hinein war das auch bei uns<br />

anders, wurde alles Fleisch verarbeitet und auch das<br />

von Tieren, die nicht speziell für die Fleischproduktion<br />

gezüchtet und in hohem Alter geschlachtet<br />

wurden. Bis in das 19. Jahrhundert hinein war eine<br />

solche Spezialisierung ohnehin kaum üblich. Tiere<br />

wurden wegen ihrer vielen verschiedenen Eigenschaften<br />

gehalten: Kühe und Ochsen wurden als<br />

Zugtiere gebraucht, Kühe, Schafe und Ziegen für<br />

ihre Milch, Schafe auch für ihre Wolle, Hühner für<br />

ihre Eier <strong>–</strong> und das Fleisch stammte damit meist von<br />

alten Tieren, die für die anderen Nutzungen nicht<br />

mehr taugten. Nur sehr reiche Menschen konnten<br />

sich das leckere Fleisch von Jungtieren leisten <strong>–</strong> und<br />

lange Zeit war jagdbares Wild ohnehin dem Adel<br />

vorbehalten. Es war also ein Zeichen der gehobenen<br />

Küche, dass sie qualitativ hochwertiges Fleisch<br />

durch Braten und Grillen zubereitete, während die<br />

Masse der Menschen, wenn sie Fleisch zu essen bekamen,<br />

dieses langsam garen mussten, um es genießbar<br />

zu machen. Die bäuerliche <strong>–</strong> und weitgehend<br />

auch die bürgerliche <strong>–</strong> Küche war also eine<br />

Küche der gekochten, gedünsteten und gesottenen<br />

Fleischspeisen.<br />

Hier bietet es sich für mich als Österreicher an,<br />

einen Exkurs zu zwei Gerichten einzufügen, die als<br />

typisch österreichisch und somit als Prototypen regionaler<br />

Küche gelten: das Wiener Schnitzel und der<br />

Tafelspitz. Wenden wir uns zuerst dem Wiener<br />

Schnitzel zu, das vor allem als Schnitzel Wiener Art<br />

auch in ganz Deutschland weite Verbreitung gefunden<br />

hat und sich großer Beliebtheit erfreut.<br />

Das Wiener Schnitzel ist eigentlich ein Mailänder<br />

Schnitzel. Damit ist es durchaus typisch für viele regionale<br />

Spezialitäten: es hat eine bewegte Geschichte,<br />

im wahrsten Sinne des Wortes. In beiden Namen<br />

steckt ein konkreter Ortsbezug: Mailand bzw. Wien.<br />

Das Wiener Schnitzel ist also eine spezifisch wienerische<br />

Spezialität, auch wenn sie in der Außenwahrnehmung<br />

für ganz Österreich steht. Dabei unterscheiden<br />

sich die kulinarischen Regionen in Österreich<br />

sehr stark <strong>–</strong> auch das ist typisch für sehr bekannte<br />

regionale Spezialitäten, die gerne für sehr<br />

viel größere Regionen in Beschlag genommen werden.<br />

So spricht man üblicherweise einfach von der<br />

italienischen Küche, auch wenn sich die venezianische,<br />

die toskanische, römische oder apulische Küche<br />

stark unterscheiden, von den Marken oder dem<br />

Friaul einmal ganz abgesehen. Auch hält man die<br />

Pizza für ein italienisches Gericht, dabei stammt sie<br />

aus Neapel und ist in Norditalien ebenso importiert<br />

wie in Deutschland. Doch zurück zum Wiener<br />

Schnitzel, das ja eigentlich aus Mailand kommt. Dort<br />

macht man allerdings bis heute die Panade nur aus<br />

Ei und Mehl und serviert es inzwischen gerne mal<br />

zusammen mit Spaghetti <strong>–</strong> als Piccata Milanese, zu<br />

Deutsch, Mailänder Schnitzel.<br />

95


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

96<br />

Es soll der berühmte Feldmarschall Radetzky gewesen<br />

sein, der von seinem Italienfeldzug 1848/49<br />

das Mailänder Schnitzel mit nach Wien gebracht<br />

hat. Dort wurde die Panade durch Bröseln ergänzt,<br />

und es entstand so der knusprige Überzug des<br />

Wiener Schnitzels. Das wichtige bei beiden Varianten<br />

ist jedoch die goldgelbe Farbe dieses Überzugs.<br />

Denn sie ist der Tupfen auf dem i, der das panierte<br />

Schnitzel zu einer so außergewöhnlichen Speise<br />

macht. Die Zutaten sind schließlich vom Feinsten:<br />

das Wiener Schnitzel ist ein zartes Kalbsschnitzel.<br />

Kalbfleisch ist heute noch teuer, daher wird es oft<br />

durch Schweinefleisch ersetzt und dann wandelt<br />

sich das Wiener Schnitzel zum Schnitzel Wiener<br />

Art. Im 19. Jahrhundert war Kalbfleisch ein Luxusprodukt.<br />

Schließlich war es extrem unwirtschaftlich,<br />

ein Rind als Kalb zu schlachten, lange bevor es<br />

das volle Schlachtgewicht erreicht hat <strong>–</strong> selbst<br />

dann, wenn es speziell für die Fleischproduktion<br />

gedacht war und nicht erst nach Jahren der Milchproduktion<br />

oder als Zugtier geschlachtet wurde.<br />

Der goldgelbe Überzug imitierte dazu noch die<br />

„goldene Küche“. Diese Luxusvariation findet sich<br />

schon in der römischen Antike, in der gelegentlich<br />

Speisen wie Eier mit hauchdünner Goldfolie überzogen<br />

wurden, um bei den Gelagen eines Lucullus<br />

oder mancher römischer Kaiser die Gäste mit opulentem<br />

Luxus zu beeindrucken. Im Barock feierte<br />

diese Verschwendungssucht fröhliche Urstände <strong>–</strong><br />

und letzte Ausläufer reichten bis in das 18. Jahrhundert.<br />

Die goldene Panade war an einen solchen<br />

Überzug mit Goldfolie angelehnt. Sie hatte dazu<br />

den Vorteil, dass sie auch noch schmackhaft war,<br />

während die Goldfolie geschmacksneutral ist und<br />

zwar bedenkenlos gegessen werden kann, vielleicht<br />

aber doch zwischen Zähnen nicht ganz angenehm<br />

ist. So wurde das Wiener Schnitzel in Zeiten<br />

des zunehmenden Wohlstandes im Wirtschaftswunder<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg zum klassischen<br />

Sonntagsgericht und trägt seinen zweiten<br />

Namen, Kaiserschnitzel, nicht nur, weil Kaiser Franz<br />

Josef es so besonders geschätzt haben soll.<br />

Ist das Wiener Schnitzel schon vom Aussehen<br />

eine klassische Herrenspeise, so stellt der Tafelspitz<br />

eine kulinarische Besonderheit dar. Auch hier ist das<br />

Rohmaterial von erlesener Qualität, sogar noch<br />

mehr als beim Wiener Schnitzel. Schließlich ist der<br />

Tafelspitz ein ganz besonderer Teil des Filets, so dass<br />

aus einem schlachtreifen Rind nur maximal 8 Portionen<br />

Tafelspitz gewonnen werden können. Dieses<br />

besonders zarte Fleisch würde sich nun optimal zum<br />

kurzen Braten eignen <strong>–</strong> und wird stattdessen gekocht,<br />

also so behandelt wie das zähe Fleisch alter,<br />

abgearbeiteter Rinder. Natürlich ist das Resultat von<br />

unglaublicher Zartheit. Aber die Art der Zubereitung<br />

setzt auch ein Zeichen des äußersten Luxus: seht her,<br />

wir können es uns leisten, das absolut beste Fleisch<br />

zu nehmen, und es nicht zu grillen oder zu braten <strong>–</strong><br />

sondern zu kochen.<br />

Doch kehren wir zurück zu Asterix und Obelix.<br />

Das Hauptnahrungsmittel in dem gallischen Dorf ist<br />

also Wildschwein. <strong>Landwirtschaft</strong>liche Produktion<br />

kommt in den Heften nur selten und am Rande vor.<br />

Erst in einem sehr späten Heft, nämlich in „Der Sohn<br />

des Asterix“, erscheint ein Bauer als eigenständige<br />

Figur <strong>–</strong> und dieser ist eine extrem Dialekt sprechende,<br />

nicht besonders kluge und nicht besonders reinliche<br />

Karikatur eines Landmanns. Dagegen spielt<br />

Fisch eine nicht unwesentliche Rolle. Allerdings<br />

mehr als Gegenstand permanenter Streitereien, da<br />

den Fisch, den der Fischhändler Verleihnix verkauft,<br />

sich üblicherweise nicht gerade durch besondere Frische<br />

auszeichnet. Das Geschäft des Fischhändlers<br />

darf mit Fug und Recht als reichlich anrüchig bezeichnet<br />

werden.<br />

Dies ist im Hinblick auf die historische Realität in<br />

zweifacher Hinsicht interessant. Tatsächlich ist das<br />

Dorf unserer gallischen Freunde an der Küste Aremoricas,<br />

also der heutigen Bretagne, angesiedelt.


Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />

Und bei archäologischen Ausgrabungen konnte<br />

festgestellt werden, dass sich die Bewohner keltischer<br />

Siedlungen an der Küste sehr wesentlich von<br />

Fisch und Meeresfrüchten ernährten. Dies ist eigentlich<br />

nicht überraschend, da die maritimen Ressourcen,<br />

auch des oft eher rauen Meeres vor der Küste<br />

der Bretagne, schon sehr viel früher in der Urgeschichte<br />

genutzt wurden. Dabei dürften es eher die<br />

Fischer selbst gewesen sein, die ihren Fisch, soweit<br />

er nicht dem Eigenbedarf diente, auch verkauften.<br />

Ein spezieller Fischhändler in einem keltischen Dorf<br />

an der Küste dürfte eher unwahrscheinlich sein. Dafür<br />

gibt die Figur des Verleihnix den Autoren Gelegenheit,<br />

die Zustände ihrer eigenen Zeit kritisch zu<br />

beleuchten. Natürlich bietet der unangenehm riechende,<br />

faule Fisch einen guten Vorwand für viele<br />

komische Dialoge und die beliebten Schlägereien im<br />

Dorf. Doch in dem Heft „Die große Überfahrt“ gibt<br />

Verleihnix auch einmal eine interessante Erklärung<br />

dafür, warum sein Fisch nicht frisch aus dem Meer<br />

kommt, sondern mit Ochsenkarren aus Lutetia (Paris)<br />

herangeschafft wird: „Ich verkaufe Fische aus<br />

Lutetia, mein Herr! Ich weiß doch, was ich meinen<br />

Kunden schuldig bin! Ich decke mich bei den renommiertesten<br />

Grossisten ein. Ich verkauf´ doch<br />

Fisch nicht einfach aus dem Wasser! Und ohne Qualitätsgarantie!“<br />

Das erinnert doch sehr an moderne<br />

Zustände, in denen Lebensmittel kreuz und quer<br />

durch Europa transportiert werden und mancher<br />

Gourmet sich seine Zutaten direkt vom Großmarkt<br />

in Paris per Kurier bringen lässt. Dumm nur, wenn,<br />

wie hier, die Lastwagenfahrer, pardon die Ochsenkarrenfahrer,<br />

streiken.<br />

Allerdings, auch wenn man erwartet, dass Fisch in<br />

Küstenregionen immer frisch auf den Tisch kommt,<br />

so war natürlich auch hier der Fischfang nicht während<br />

des ganzen Jahres möglich, und bestimmte Fische,<br />

wie etwa der Hering, können ohnehin nur<br />

dann gefangen werden, wenn sie in großen Schwärmen<br />

auf ihren jährlichen Wanderungen durch die anliegenden<br />

Gewässer ziehen. So musste nicht nur für<br />

den Handel und die Verpflegung auf den Schiffen<br />

Fisch konserviert werden, sondern auch für den<br />

Eigenbedarf. Neben den bekannten Methoden des<br />

Räucherns, Trocknens und Einsalzens hat sich in<br />

Schweden eine ganz eigene Art der Konservierung<br />

entwickelt, das Fermentieren. So wurde der Hering<br />

ursprünglich in großen Mengen in Gruben am Strand<br />

gelegt und mit Rasensoden abgedeckt, um so die<br />

Fermentation in Gang zu setzen. Solche Gruben<br />

zeichnen sich noch heute etwa am Strand von Hallands<br />

Väderö, einer Insel vor der südschwedischen<br />

Stadt Halmstad, ab. Heute kann man den „Surströmming“<br />

in Dosen kaufen. Markenzeichen der Dosen<br />

ist der nach oben gewölbte Deckel, da der Fisch auch<br />

noch in der Dose weiter fermentiert und dabei Gase<br />

freisetzt. Letztere machen das Öffnen einer solchen<br />

Dose auch zu einem besonderen Erlebnis. Es empfiehlt<br />

sich, sie nur im Freien und gegen die Windrichtung<br />

zu öffnen. Immerhin bestätigte das Landgericht<br />

Köln 1984 die fristlose Kündigung einer Mieterin, die<br />

Lake aus einer Dose Surströmming im Treppenhaus<br />

vergossen hatte <strong>–</strong> nachdem zur Beweisführung eine<br />

solche Dose im Gericht geöffnet worden war. Der<br />

Geschmack ist süßlich, die Konsistenz des Fisches<br />

eher geleeartig. In Island wendet man das Verfahren<br />

nicht für Heringe, sondern für den Grönlandhai an,<br />

das Resultat nennt sich hákarl. Eine Besonderheit ist<br />

der isländische kæst skata, der Gammelrochen, bei<br />

dem die Fermentation notwendig ist, um im Fleisch<br />

gespeicherte Giftstoffe zu neutralisieren. Zum Surströmming<br />

wird Aquavit genossen. Der professionelle<br />

Schwede trinkt ihn nach dem Genuss des fermentierten<br />

Herings, dem Laien sei eine gute Quantität Aquavit<br />

als Aperitif empfohlen. Wer sich allerdings eine<br />

Dose aus Schweden mitnehmen möchte, sollte nicht<br />

mit British Airways oder Air France fliegen: diese<br />

Luftlinien verbieten die Mitnahme von Surströmming-Dosen<br />

wegen möglicher Explosionsgefahr.<br />

97


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

98<br />

Abb. 3: Surströmming im Eigenversuch <strong>–</strong> die lieben Kollegen<br />

aus Halmstad haben für unsere Projektteilnehmer in<br />

„Pathways to Cultural Landscapes“ eine kulinarische<br />

Überraschung auf der Exkursion vorbereitet…<br />

Neben Fisch gehören auch Meeresfrüchte zu den<br />

archäologisch nachgewiesenen Nahrungsmitteln<br />

der Küstenregion. In den Asterix-Heften kommen sie<br />

recht selten vor, meist in Zitaten der antiken römischen<br />

Küche. Nur Austern scheinen Asterix und<br />

Obelix recht gern zu essen, wie wir in dem Heft „Asterix<br />

und die Normannen“ erfahren. Dies erscheint<br />

passend, da doch die Bretagne noch heute für ihre<br />

besonders guten Austern berühmt ist. Allerdings ist<br />

die Art, in der Obelix sie verzehrt, etwas gewöhnungsbedürftig.<br />

Dazu ein kurzer Wortwechsel von<br />

Asterix und Obelix. Asterix: „Ich hab dir schon mal<br />

gesagt, Obelix, mit den Austern ist es wie mit den<br />

Nüssen: man isst nur das Innere“. Antwort Obelix:<br />

„Aber ich machs ja mit den Nüssen wie mit den Austern:<br />

ich ess sie mit der Schale“. Mahlzeit. Entscheidend<br />

an der Szene ist jedoch, dass Obelix in gewohnter<br />

Weise eine überaus große Zahl an Austern<br />

verdrückt. Dies verbindet sich hübsch mit der kulinarischen<br />

Geschichte der Auster. Diese gilt ja geradezu<br />

als Inbegriff der Luxusspeise. Allerdings hängt dies<br />

stark von der Gegend ab, in der die Austern genossen<br />

werden. In Zeiten langsamer und teurer Transporte<br />

stieg auch der Preis der Austern mit der Entfernung<br />

von der Küste sehr stark an. So waren sie im<br />

Binnenland immer etwas Besonderes, an der Küste<br />

teilweise aber regelrecht ein Arme-Leute-Essen.<br />

Faszinierender Weise war das Transportsystem bei<br />

den Römern schon so gut entwickelt, dass sich Austernschalen<br />

unter den Abfällen der Legionslager am<br />

Hadrianswall (etwa in Vindonissa) ebenso finden wie<br />

in Nida (Frankfurt a.M.) oder in Nordafrika. Wie<br />

Holztäfelchen mit Abrechnungen aus Vindolanda in<br />

Nordengland zeigen, waren die Austern im „Offizierskasino“<br />

des Legionslagers zu kaufen. Sie waren<br />

also auch hier sicher nicht für alle erschwinglich,<br />

aber auch nicht als extravaganter Luxus anzusprechen.<br />

Im Mittelalter und der Neuzeit gehörten Austern<br />

im Binnenland dagegen eindeutig zu den Luxusgütern.<br />

Deshalb entwickelte sich hier ein wahrer<br />

Kult um die Auster <strong>–</strong> der bis heute anhält. Allerdings<br />

erinnert die Menge, die etwa im 18. Jahrhundert<br />

von denen verdrückt wurde, die es sich leisten konnten,<br />

eher an Obelix als an Nouvelle Cuisine. So empfiehlt<br />

ein zeitgenössisches Kochbuch, nicht mehr als<br />

60 Austern auf einmal zu essen, da sie danach nicht<br />

mehr so gut schmecken würden. Maria Lezcynska,<br />

die Frau des französischen Königs Ludwig XV., vertilgte<br />

jedoch einmal statt fünf gleich fünfzehn Dutzend<br />

Austern (180!), wonach es ihr allerdings so<br />

schlecht ging, dass man ihr die letzte Ölung erteilte.<br />

Sie erholte sich glücklicherweise wieder von dieser<br />

Schlemmerei.<br />

Da war Herr Laperte schon aus anderem Holz geschnitzt.<br />

Über ihn berichtet der Barde genüsslicher<br />

kulinarischer Gelehrsamkeit Brillat-Savarin in seinem<br />

wunderbaren Werk „Physiologie des Geschmacks“<br />

folgende Anekdote: Als Brillat-Savarin 1798 in Versailles<br />

weilte, speiste er mit seinem Bekannten, der<br />

sich darüber beklagte, nie genug Austern zu bekommen,<br />

um sich einmal nach Herzenslust an ihnen zu


Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />

sättigen. Während Brillat-Savarin drei Dutzend Austern<br />

verspeiste, brachte es Herr Laperte auf 32 Dutzend<br />

(384!). Leider war der Diener, dessen Aufgabe<br />

es war, die Schalen zu öffnen, recht ungeschickt, so<br />

dass sich dieser Vorgang lange hinzog. Brillat-Savarin<br />

verlor deshalb die Geduld und nötigte seinen Bekannten,<br />

wenn auch mit Bedauern, zum nächsten<br />

Gang überzugehen, so dass er sich auch dieses Mal<br />

nicht an den Austern satt essen konnte.<br />

Noch ärger trieb es der Graf Wermuth in der gesellschaftskritischen<br />

Tragikomödie „Der Hofmeister“<br />

von Jakob Lenz (1774), der gleich 600 Austern vertilgte<br />

<strong>–</strong> als literarische Übertreibung und Karikatur des<br />

verschwenderischen Adligen. Die selbe Zahl von Austern<br />

taucht jedoch auch in einer Rechnung für ein<br />

Diner des dänischen Königs vom 1. Januar 1716 zu<br />

Mölln im Herzogtum Lauenburg auf. Und ein geistlicher<br />

Würdenträger in Straßburg soll es ebenfalls auf<br />

die Rekordzahl von 600 Austern gebracht haben. Er<br />

liebte die Muscheln so sehr, dass ihm seine Freunde<br />

folgendes Epitaph gesetzt haben: „Wenn ihn die<br />

Trompeten des Jüngsten Gerichts nicht wecken, so<br />

ruft einfach frische Austern, dann wacht er schon<br />

auf.“ Die Vorliebe gerade geistlicher Herren für Austern<br />

ließ sich auch in Aschaffenburg nachweisen, wo<br />

sich unter den Überresten eines großen Festes im Dekanat<br />

des Stiftes St. Peter und Alexander, das die<br />

Stiftsherren um 1740 gefeiert hatten, auch zahlreiche<br />

Austernschalen fanden. Selbst Brillat-Savarin bringt<br />

die Freude des Austernessens mit den Geistlichen in<br />

Verbindung und unterstellt den französischen Abbés<br />

aus der Zeit vor der Revolution, sie hätten nie weniger<br />

als ein Gros (also 12 Dutzend = 144) Austern auf einmal<br />

verspeist. Eine Vorliebe, die doch etwas verwundern<br />

darf, wenn man an die aphrodisierende Wirkung<br />

denkt, die den Austern nachgesagt wird…<br />

Umgekehrt waren Austern etwa in Südengland<br />

und Irland im 19. Jahrhundert so allgegenwärtig,<br />

dass sie als Nahrungsmittel der armen Leute galten.<br />

Während sich die Ernährungssituation der Bevölkerung<br />

in England durch die Einführung der Fish-and-<br />

Chips-Buden laut eines Regierungsberichts verbesserte,<br />

waren die Angehörigen der Unterschicht in<br />

Irland so arm, dass sie sich weiter von Austern ernähren<br />

mussten. Dies wird durch eine Bemerkung in<br />

den Pickwick Papers von Charles Dickens deutlich:<br />

„Es ist ein sehr bemerkenswerter Umstand, dass<br />

Austern und Armut stets Hand in Hand zu gehen<br />

scheinen […] Je ärmer ein Ort ist, desto größer<br />

scheint das Verlangen nach Austern zu sein. Sehen<br />

Sie hier Sir, hier kommt eine Austernbude auf jedes<br />

halbes Dutzend Häuser. Die Straße ist voll mit ihnen.<br />

Ich denke, wenn ein Mann sehr arm ist, dann rennt<br />

er aus seiner Wohnung und isst regelmäßig Austern<br />

aus reiner Verzweiflung.“ „Sicher tut er das.“ sagte<br />

Mr. Weller der Ältere; „und es ist genau dasselbe mit<br />

eingelegtem Lachs!“ (Kapitel 22).<br />

Nicht nur Austern, sondern auch noch Lachs als<br />

Armenspeise Aber ja, und nicht erst zur Zeit von<br />

Charles Dickens. So wurde in vielen Verträgen mit<br />

Lehrlingen und Hausangestellten in den norddeutschen<br />

Hansestätten vom 16. bis ins 19. Jahrhundert<br />

ein Absatz aufgenommen, der die Verpflegung regelte<br />

und festlegte, dass den Betroffenen nicht öfter<br />

als drei bis fünf mal in der Woche Lachs vorgesetzt<br />

werden durfte. Oder Hummer: so entschuldigte sich<br />

1633 der Gouverneur von Plymouth (damals eine<br />

neuenglische Kolonie) bei einer Gruppe neuer Siedler,<br />

dass man ihnen zur Begrüßung aufgrund einer<br />

Nahrungsmittelknappheit nur Hummer anbieten<br />

könne. Noch in den 50er Jahren galt in bestimmten<br />

Küstenregionen der USA-Hummer als Arme-Leute-<br />

Speise, bis durch den zunehmenden Tourismus aus<br />

New York Hummer immer teurer wurde. Für die ersten<br />

Touristen war das Hummeressen im Urlaub noch<br />

ein tolles Schnäppchen, doch mit der zunehmenden<br />

Nachfrage und angesichts der offensichtlichen Wertschätzung<br />

durch die Touristen stieg der Preis bald<br />

99


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

100<br />

Abb. 4: Die Geheimnisse um den Zaubertrank werden gleich im ersten Heft „Asterix<br />

der Gallier“ nicht verraten<br />

rapide an. Dies zeigt auch, dass oft der Preis oder die<br />

Verfügbarkeit ausschlaggebend für die Einordnung<br />

eines Lebensmittels als besonders erstrebenswert ist<br />

und nicht primär der Geschmack.<br />

<strong>Regionale</strong> Besonderheiten in der <strong>Esskultur</strong> dienen<br />

oft auch dazu, ein ganzes Volk oder Land zu<br />

charakterisieren. Mit diesen Klischees spielen die<br />

Autoren von Asterix und Obelix besonders gerne.<br />

Auf jeder ihrer Reisen wird die regionale Küche,<br />

oder was man dafür hält, als Markenzeichen für<br />

das bereiste Land karikiert. In dem Heft „Asterix<br />

auf Korsika“ treffen sich Freunde, die unsere Helden<br />

in den vergangenen Abenteuern erworben<br />

haben, in dem Dorf in Aremorica zum Feiern. Rollenklischeegerecht<br />

treffen sich die begleitenden<br />

Damen bei Gutemine, der Frau des Häuptlings<br />

Majestix und First Lady des Dorfes, um Küchengeheimnisse<br />

auszutauschen. So erklärt die Frau des<br />

spanischen Häuptlings, sie koche nur mit Olivenöl.<br />

Darauf kommt von ihrer englischen Kollegin die<br />

Antwort: „Was tut Ihr sagen! Ich nehme nur kochendes<br />

Wasser. Ich finde, es gibt einen köstlichen<br />

Geschmack zu allem.“ Treffender lässt sich die englische<br />

Küche nicht karikieren.<br />

In dem Heft „Asterix bei<br />

den Briten“ werden alle Vorurteile<br />

und Klischeebilder der<br />

Franzosen über die Engländer<br />

ausgebreitet <strong>–</strong> ganz besonders<br />

aber die kulinarischen. So<br />

machen diese stets um 5 Uhr<br />

eine nette kleine Pause, um<br />

heißes Wasser mit einem Tropfen<br />

Milch zu trinken (Tee war<br />

noch unbekannt) und dazu<br />

Röstbrot mit Marmelade zu<br />

essen. Im Pub sorgt der Wirt<br />

für eine strikte Einhaltung der<br />

Sperrstunde <strong>–</strong> und serviert<br />

heißes Wasser, laufwarmes<br />

Bier oder eiskalten Rotwein. Dazu gibt es gekochtes<br />

Wildschwein mit Pfefferminzsoße und reichlich verkochtem<br />

Gemüse. Die englische Küche animiert<br />

Obelix zu einem verzweifelten Stoßseufzer: „…gekocht<br />

und dazu noch mit Pfefferminzsoße! Das<br />

arme Schwein!“ Auch hier wird die Vorliebe von<br />

Obelix für gebratenes und gegrilltes Fleisch deutlich,<br />

während die in England beliebte Methode des Kochens<br />

ja in Wahrheit für den größten Teil der Ge-<br />

Abb. 5: „Asterix bei den Briten“ Das kulinarische Angebot in<br />

britischen Gasthäusern stößt nicht bei allen<br />

Beteiligten auf ungeteilte Zustimmung…


Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />

schichte die weitaus üblichere Zubereitungsart für<br />

Fleisch war, wie wir ja bereits erörtert haben. Umgekehrt<br />

dürfen auch die Vorurteile der Engländer<br />

gegenüber der französischen Küche nicht fehlen. So<br />

fragen sich die britischen Krieger, denen Asterix mit<br />

Hilfe einiger Teeblätter einen Ersatz für den Zaubertrank<br />

bereitet: „Ouuuu! Ich misstraue der gallischen<br />

Küche.“ Oder: „Ist denn wenigstens kein Knoblauch<br />

drin“ Nun, immerhin pflegt die Queen auf ihren<br />

Staatsreisen nicht nur ihren eigenen Koch mitzubringen,<br />

sondern auch ihre eigene Mayonnaise. Und<br />

dies selbst zum Staatsdiner im Elysee-Palast <strong>–</strong> der<br />

französische Präsident war „not amused“, heißt es.<br />

Die Deutschen kommen kulinarisch in den Asterix-Heften<br />

ebenfalls nicht besonders gut weg. Dabei<br />

haben sie auch ihr beliebtes Urlaubsland Spanien<br />

schon kolonisiert, wie sich in dem Heft „Asterix in<br />

Spanien“ nachlesen lässt. Da sitzen gotische Touristen<br />

glatzköpfig oder mit Pickelhelmen auf dem Kopf<br />

mit ihren wohlgenährten, blondbezopften Ehegefährtinnen<br />

lustig an langen Tischen in der spanischen<br />

Herberge und verzehren das Tagesmenü:<br />

Würstchen, Kraut und Speck. Dazu gibt es Cervisia,<br />

also Bier.<br />

Ähnlich knapp wird übrigens die spanische Küche<br />

selbst abgehandelt. Hier werden die arabischen Einflüsse<br />

betont, da Hähnchen oder (Wild-)Schwein auf<br />

Couscous serviert werden. Bezeichnend ist allerdings<br />

die gelbe Färbung der Beilage und die Bemerkung<br />

eines römischen Offiziers, er sei das zu stark<br />

gewürzte spanische Essen nicht mehr gewöhnt. Dies<br />

erinnert an die Berichte der Gräfin d‘ Aulnoy vom<br />

spanischen Hof aus dem Jahr 1691, die sich über die<br />

viel zu stark gewürzten Speisen beklagte. Besonders<br />

der heftige Gebrauch von Safran zu allem und jedem<br />

Gericht erzürnt sie und beleidigt ihre Geschmacksnerven.<br />

Die Erklärung für diese Unsitte lag<br />

nicht nur in einer frühen Abkehr Frankreichs von<br />

den stark gewürzten Speisen des Mittelalters, sondern<br />

hatte auch einen anderen Grund: Safran war<br />

das kostbarste Gewürz und Symbol für den Indienhandel.<br />

Daher galt es am spanischen Hof als königliches<br />

Gewürz <strong>–</strong> und seine reiche Verwendung als<br />

Beweis für den Reichtum des Hofes und die nach<br />

wie vor ungebrochene Handelsmacht Spaniens. Erneut<br />

wird die Verbindung von gehobener Küche mit<br />

dem Prinzip der Repräsentation deutlich, wonach<br />

weniger der Geschmack als der Preis der Speisen,<br />

die Ausgefallenheit der Rezepte und die Seltenheit<br />

der Ingredienzien wichtig sind.<br />

Die Küche Skandinaviens wird in dem Heft „Asterix<br />

und die Normannen“ aufs Korn genommen. Dass<br />

die Normannen, oder Wikinger, zu Zeiten des Asterix<br />

noch gar nicht existierten und erst mehr als sieben<br />

Jahrhunderte später das Rampenlicht der Weltgeschichte<br />

betreten, ist ein kleiner Anachronismus,<br />

den sich die Autoren immer wieder einmal gönnen.<br />

Abb. 7: Faule Ausrede: in „Asterix in Spanien“ bemüht ein<br />

Zenturio die spanische Küche als Ausrede für einen<br />

Anfall von Panik, als er entdeckt, dass die ihm<br />

anvertraute Geisel wieder auf dem Weg zurück in ihr<br />

Dorf ist.<br />

101


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

102<br />

Jedenfalls trinken sie Calva aus den Schädeln der Besiegten<br />

<strong>–</strong> womit dann gleich die Verbindung von<br />

den Nordmännern zur modernen Normandie geschlagen<br />

wird, wo der aus Äpfeln gebrannte Calvados<br />

zu Hause ist. Diese Verbindung wird etwas versteckter<br />

in einem kleinen Wortspiel noch einmal hergestellt:<br />

da erklärt ein Normanne, der nach der Landung<br />

in der Normandie tiefe Löcher für das Lager<br />

auszuheben hat, er mache gute, normannische Löcher<br />

<strong>–</strong> trou Normand, das normannische Loch, ist<br />

eine Umschreibung für einen Calvados, ein normannisches<br />

Loch machen, bedeutet also, einen Calvados<br />

zu trinken. Kulinarisch zeichnen sich die Normannen<br />

durch ihre Vorliebe für das Essen à la crème aus <strong>–</strong><br />

egal ob Würstchen, Schnitzel, Hähnchen oder Scholle<br />

<strong>–</strong> alles wird mit reichlich Sahne zubereitet.<br />

Ausführlich werden auch die Besonderheiten der<br />

Schweizer Küche vorgestellt. Neben einer Vorliebe<br />

für Pflümli, den Pflaumenschnaps, ernähren sich die<br />

Schweizer bei Asterix hauptsächlich von Käsefondue.<br />

Zwar ist es umstritten, wie, wann und wo genau<br />

sich das Käsefondue entwickelt hat. Vorläufer<br />

mögen sich tatsächlich in den Fastenspeisen von<br />

Mönchen und in Käsesuppen alpiner Sennhütten<br />

finden. Immerhin erzählt bereits Brillat-Savarin eine<br />

hübsche Geschichte über einen Geistlichen aus Paris,<br />

der gegen Ende des 17. Jahrhunderts zum Bischof<br />

von Belley ernannt wurde, und der das ihm zur<br />

Begrüßung vorgesetzte Fondue für eine Creme hielt<br />

<strong>–</strong> und zum Erstaunen der Einheimischen mit dem<br />

Löffel verspeiste. Allerdings besteht das Rezept für<br />

ein Fondue, das Brillat-Savarin zitiert, vor allem aus<br />

Eiern, die geschlagen werden, und mit Emmentaler<br />

von einem Drittel ihres Gewichts, sowie noch einmal<br />

halb soviel Butter vermischt werden. Kräftig gepfeffert<br />

wird dieses Fondue in der Pfanne zubereitet. Als<br />

Schweizer Nationalgericht wurde das moderne Käsefondue<br />

jedenfalls ganz bewusst kreiert, und zwar<br />

für die Weltausstellung in New York 1939. Von dort<br />

kam es in die Schweizer Armeekochbücher und verbreitete<br />

sich so in den 50er Jahren in der ganzen<br />

Schweiz. Heute sind Schweiz und Käsefondue untrennbar<br />

miteinander verbunden, auch wenn man in<br />

Savoyen hartnäckig die Erfindung dieses Gerichts für<br />

die eigene Region in Anspruch nimmt. Dass aber<br />

schon die Römer in Helvetien ihre Orgien mit Käsefondue<br />

im großen Kessel gefeiert hätten, ist eine<br />

reine Erfindung der Autoren von Asterix und Obelix<br />

<strong>–</strong> auch wenn Käse seit dem Neolithikum als eine Methode<br />

der Konservierung von Milch auf dem Speiseplan<br />

der Menschen stand und man in Rom durchaus<br />

Verwendung für verschiedene Käsesorten hatte.<br />

Auch die griechische Küche wird uns nicht in ihrer<br />

antiken Form vorgestellt, sondern als die Küche des<br />

modernen Griechenlandtouristen. Sie besteht also<br />

vornehmlich aus gefüllten Weinrebenblättern, Oliven,<br />

Wassermelonen, Fleischspießchen (Souflaki)<br />

und geharztem Wein (Retsina). Dabei wurde die<br />

Wassermelone in Griechenland wahrscheinlich erst<br />

mit der osmanischen Eroberung, also durch die Türken<br />

im 16. Jahrhundert eingeführt. Oliven dagegen<br />

waren ein Grundnahrungsmittel im antiken Griechenland.<br />

Auch hier wurde Fleisch mehr gekocht als<br />

gegrillt, aber Fleischspieße waren zumindest in der<br />

Küche der Oberschicht stark vertreten. Jedenfalls<br />

tauchen eiserne Fleischspieße häufig in Gräbern der<br />

frühen griechischen Fürsten als Statussymbol auf <strong>–</strong><br />

und dienten eine Zeit lang sogar als normiertes Zahlungsmittel,<br />

als eine frühe Form des Geldes.<br />

Auch der Wein hat in Griechenland eine große<br />

Tradition. Die antiken griechischen Weine waren berühmt,<br />

besonders die schweren und süßen Weine<br />

der griechischen Inseln, wie etwa Kos, erfreuten sich<br />

in Rom großer Beliebtheit und erzielten Spitzenpreise.<br />

Auch war es schon in der griechischen Antike<br />

üblich, Wein zu harzen <strong>–</strong> aus Gründen der besseren<br />

Haltbarkeit und um den Wein transportfähig zu machen.<br />

Doch damals wie heute war dies eine Metho-


Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />

de für Massenweine, nicht für Spitzenweine. In der<br />

einfachen Taverne dürfte aber auch zur Zeit von Asterix<br />

der griechische Wein harzig geschmeckt haben.<br />

Allerdings wurde Wein bei den Griechen wie<br />

Römern nie unverdünnt getrunken, sondern immer<br />

mit Wasser gemischt. Das Mischungsverhältnis<br />

konnte stark variieren. Wein gänzlich ohne Wasser<br />

zu trinken, galt als Zeichen von Alkoholismus. Dass<br />

man in der griechischen Taverne bei Asterix auch Sirtaki<br />

tanzt, muss eigentlich gar nicht mehr extra erwähnt<br />

werden.<br />

Besonderes Interesse verdient in dem Band „Asterix<br />

bei den Olympischen Spielen“ eine Szene im<br />

Speisesaal der griechischen Athleten. Diese werden<br />

durch die Bratendüfte gereizt, welche von den kulinarischen<br />

Hochleistungen von Asterix und Obelix<br />

herrühren, während die griechischen Athleten eine<br />

strenge Diät zu halten haben. Als ausgerechnet ein<br />

spartanischer Athlet dagegen als Erster protestiert,<br />

wird ihm von seinem Trainer vorgeworfen, die Spartaner<br />

seien doch Entsagung gewöhnt. Er selbst beschreibt<br />

darauf die heimatliche Küche so: „Mag ja<br />

sein, dass wir in Sparta nichts als Olivenkerne und<br />

fettes Fleisch essen“. Einmal abgesehen von der<br />

Übertreibung mit den Olivenkernen ist dieser Satz<br />

wegen der Nennung von fettem Fleisch bemerkenswert.<br />

Dies entspricht unserer heutigen Sichtweise, in<br />

der wir mageres Fleisch bevorzugen. In der Vergangenheit,<br />

als das Problem der Menschen noch nicht<br />

im Übergewicht, sondern in der ständigen Gefahr<br />

der Unterernährung lag, galt das fette Fleisch als das<br />

gute Fleisch. Tatsächlich gibt es ein Gericht, das für<br />

die Griechen der Antike die sprichwörtlich spartanische<br />

Küche charakterisierte: die Blutsuppe. Einmal<br />

wöchentlich versammelten sich die Spartaner zu<br />

einem öffentlichen und gemeinsamen Essen, bei<br />

dem die Blutsuppe auf dem Speiseplan stand. Manche<br />

moderne Archäologen meinen, sie sei eigentlich<br />

ganz wohlschmeckend gewesen. Immerhin bestand<br />

sie nicht nur aus Blut, sondern auch aus reichlich<br />

Schweinefleisch, Essig und Salz. Friedrich Schiller<br />

verdichtete die Meinung der Athener zu diesem typisch<br />

spartanischen Gericht in dem Satz: „Unter den<br />

Speisen der Spartaner ist die schwarze Suppe berühmt;<br />

ein Gericht, zu dessen Lobe gesagt wurde,<br />

die Spartaner hätten gut tapfer sein, weil es kein so<br />

großes Übel wäre, zu sterben, als ihre schwarze Suppe<br />

zu essen“ (Die Gesetzgebung des Lykurgus und<br />

Solon, 1790).<br />

Die Autoren der Asterix-Hefte lassen in dem Heft<br />

„Asterix auf Korsika“ ganz besondere Vorsicht walten<br />

<strong>–</strong> schließlich sind die Korsen leicht beleidigt, und<br />

das Verhältnis der Franzosen zu der erst vor etwa<br />

200 Jahren einverleibten Insel, beziehungsweise<br />

ihren Einwohnern, ist bekanntlich nicht frei von<br />

Spannungen. Dies führte auch zu besonderer Sorgfalt<br />

bei der Charakterisierung der kulinarischen Besonderheiten<br />

Korsikas. Da wäre zuallererst der korsische<br />

Käse zu erwähnen, dessen intensive Duftnote<br />

nur der wahre Korse zu würdigen weiß. Dieser Käse<br />

existiert wirklich, inklusive der liebevoll im Bild dargestellten<br />

Maden, die zu seiner Konservierung beitragen<br />

(nur unwissende Touristen versuchen sie hilflos<br />

aus der weichen Käsemasse heraus zu pulen).<br />

Auch hier macht ein Fermentierungsvorgang den<br />

Käse haltbarer, wodurch er einen süßlichen Geschmack<br />

erhält. Solche süßen Käsesorten waren übrigens<br />

tatsächlich schon im antiken Rom bekannt<br />

und dienten dort als wichtige Grundlage zur Herstellung<br />

von Süßspeisen <strong>–</strong> schließlich hatte man ja<br />

noch keinen Zucker als Süßstoff.<br />

Eine Szene in diesem Heft dürfte von den meisten<br />

Lesern nicht verstanden werden, ist jedoch eine der<br />

überraschendsten Hinweise auf eine echte lokale<br />

Spezialität. Als Asterix und Obelix sich mit ihrem korsischen<br />

Führer dessen Dorf nähern, sehen sie<br />

schwarze, behaarte Schweine auf der Straße. Entzückt<br />

ruft Obelix aus „Oh, schau mal da! Gezähmte<br />

103


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Abb. 8: „Asterix auf Korsika“ und die Freuden des korsischen Käses und ihre unterschiedliche<br />

Wahrnehmung bei Einheimischen und Touristen…<br />

Wildschweine!“ Und der Korse antwortet: „Nein,<br />

das sind ungezähmte Hausschweine!“ Tatsächlich<br />

leben auf Korsika Wildschweine, deren Chromosomensatz<br />

nicht dem der europäischen, sondern der<br />

kleinasiatischen Wildform entspricht. Es handelt sich<br />

hier also um Nachfahren von Hausschweinen, die<br />

von den ersten Ackerbauern und Viehzüchtern zu<br />

Beginn des Neolithikums von ihrem Herkunftsgebiet<br />

in Kleinasien mitgebracht worden waren. Einige dieser<br />

Hausschweine verwilderten und wurden zu den<br />

Vorfahren der heutigen Wildschweinpopulation auf<br />

Korsika.<br />

Besonders ausführlich werden die Essgewohnheiten<br />

der belgischen Nachbarn bei Asterix aufs Korn<br />

genommen <strong>–</strong> schließlich ist das Verhältnis zwischen<br />

Franzosen und Belgiern sehr komplex. Dabei zeichnet<br />

sich die belgische Küche durch ihre Reichhaltigkeit<br />

aus <strong>–</strong> die selbst Obelix in Erstaunen und Entzücken<br />

versetzt. Tatsächlich sind die Portionen in belgischen<br />

Lokalen häufig von beeindruckender Größe.<br />

Ausnahmsweise gibt es in diesem Heft auch Anspielungen<br />

auf echte regionale,<br />

nicht nur nationale Küche.<br />

Denn in einer Szene, in der<br />

Asterix und Obelix in einem<br />

einsamen Bauernhaus inmitten<br />

weiter Felder zu Gast<br />

sind, wird darauf angespielt,<br />

dass es sich hier um den<br />

Standort des späteren Brüssel<br />

handelt. So werden als<br />

Spezialität „hiesische Kohlköppchen“<br />

serviert, bei<br />

denen es sich eindeutig um<br />

Kohlsprossen handelt, deren<br />

englischer Name auf ihre<br />

Herkunft verweist: Brussels<br />

sprouts. Dazu gibt es lokales<br />

Geuze-Bier, eine weitere<br />

104<br />

Abb. 9: Verwilderte Hausschweine in der idyllischen<br />

Umgebung eines korsischen Dorfes in „Asterix auf<br />

Korsika“


Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />

Abb. 6: „Asterix bei den Belgiern“ und die Anspielungen auf das zukünftige Brüssel:<br />

Manneken Pis (hier am Tisch sitzend mit Lätzchen <strong>–</strong> schließlich wird auch das<br />

Original gerne mal unterschiedlich angezogen), Brüsseler Kohlsprossen und<br />

Geuze-Bier.<br />

Spezialität aus Brüssel. Die Besonderheit des Geuze<br />

besteht darin, dass es ohne Zusatz künstlicher Hefe<br />

gebraut wird. Im Raum Brüssel kommen natürliche<br />

Hefen vor, die eine Spontangärung auslösen. Daneben<br />

sind im Sud auch noch Milchsäuren vorhanden,<br />

die den typisch säuerlichen Geschmack des Geuze<br />

bewirken. Daneben hat auch noch der Manneken<br />

Pis einen Gastauftritt. Der kleine Kerl wird bei der<br />

ersten Begegnung in seiner klassischen Beschäftigung<br />

gezeigt, dank der er als Brunnenfigur in Brüssel<br />

zur Berühmtheit gelangte. Im weiteren Verlauf<br />

der Szene muss er bald wieder dringend austreten,<br />

weshalb sein Vater ihn verdächtigt, heimlich an das<br />

selbstgebraute Geuze zu gehen <strong>–</strong> eine kleine Pointe<br />

am Rande, da diesem Bier nachgesagt wird, dass es<br />

einen besonders starken Harntrieb auslöst. Natürlich<br />

ist Belgien ohnehin das Land der tausendundeins<br />

Biere, ein Paradies für Bierliebhaber, in dem man<br />

selbst aus Kirschen Bier braut und dabei für jede der<br />

unzähligen Biersorten auch noch das passende Glas<br />

bereit hält.<br />

Aber auch der ständige Konflikt zwischen Flamen<br />

und Walonen schlägt sich in kulinarischen Bemerkungen<br />

wider. So streiten die beiden Anführer der<br />

Belgier, Egmontix (der Menapier)<br />

und Stellartoix (der Nervier),<br />

als Prototypen des Flamen<br />

und des Walonen um<br />

den besten Happen, der nur<br />

eines Häuptlings würdig ist<br />

(einen Schlag Zunge <strong>–</strong> und<br />

man muss ja nicht jedes<br />

Wortspiel kommentieren).<br />

Am Vorabend der großen<br />

Schlacht mit Caesar, die natürlich<br />

als Parodie auf Waterloo<br />

zelebriert wird, bestimmen<br />

die Flamen den Speiseplan<br />

und bestellen ihr Nationalgericht<br />

<strong>–</strong> Waterzooi. Dies<br />

wird vom walonischen Häuptling mit den Worten<br />

quittiert: „Waterzooi, schlappes Essen in trauriger<br />

Terrine.“ Immerhin kann er sich dabei auf die Bedeutung<br />

des Namens jenes Gerichts berufen, das<br />

übersetzt etwa wässriges Durcheinander bedeutet.<br />

Doch was wäre die belgische (respektive holländische)<br />

Küche heute ohne Pommes Frites Und so darf<br />

der zündende Gedanke zum Frittieren von Kartoffelstäbchen<br />

auch in dem Heft „Asterix bei den Belgiern“<br />

nicht fehlen. Schließlich, wer hat sie erfunden<br />

<strong>–</strong> richtig, die Belgier! Auch wenn das wieder einmal<br />

ein hübscher Anachronismus ist. Schließlich stammt<br />

die Kartoffel aus Amerika und wurde erst im 16.<br />

Jahrhundert nach Europa eingeführt <strong>–</strong> und zwar als<br />

Zierpflanze, wegen ihrer schönen Blüten. Erst allmählich<br />

wurde auch ihr Nährwert erkannt, und der<br />

Siegeszug der Kartoffel als Grundnahrungsmittel<br />

begann im 18. Jahrhundert. Immerhin findet sich<br />

aber schon 1781 ein Hinweis auf Pommes Frites in<br />

Belgien, und die sollen da schon stattliche hundert<br />

Jahre alt gewesen sein. In diesem Jahr schrieb Joseph<br />

Gérard, Sekretär der österreichischen Kaiserin<br />

Maria-Theresia: „Die Einwohner von Namur, Huy<br />

und Dinant haben die Gewohnheit, in der Maas zu<br />

105


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

106<br />

Abb. 11: In „Asterix bei den Belgiern“ erfahren die Leser, wie<br />

die Belgier die Pommes Frites erfanden.<br />

fischen, diesen Fang dann zu frittieren, um ihren<br />

Speisezettel zu erweitern (vor allem arme Leute).<br />

Wenn die Gewässer zugefroren sind und das Angeln<br />

nur schwer möglich ist, schneiden die Einwohner<br />

Kartoffeln in Fischform und frittieren diese dann.<br />

Diese Vorgehensweise ist mehr als hundert Jahre<br />

alt.“ Also auch die in England so beliebten Fish and<br />

Chips stammen ursprünglich aus Belgien.<br />

Wesentlich befördert wurde die Verbreitung der<br />

Kartoffel durch Zwangsmaßnahmen despotischer<br />

Regenten, etwa in Preußen durch König Friedrich<br />

den Großen oder in Russland durch Zar Peter den<br />

Großen, die das Potential der Kartoffel als relativ anspruchslose<br />

Nahrungspflanze zur Schaffung einer<br />

stabilen Ernährungsgrundlage erkannten. Die Kartoffel<br />

wurde vor allem in solchen Gegenden angebaut,<br />

wo die Bedingungen schlecht waren und der<br />

Anbau etwa von Weizen nicht möglich war oder<br />

jedenfalls nur wenig Ertrag brachte. Dies war vor allem<br />

in den Mittelgebirgslandschaften Europas der<br />

Fall. So wurde die Kartoffel zum Grundnahrungsmittel<br />

in Schlesien ebenso wie im Spessart oder in Irland.<br />

In Irland führte die zwangsweise Einführung<br />

der Kartoffel durch die Engländer allerdings auch zu<br />

besonders dramatischen Hungersnöten, als die Ernte<br />

über mehrere Jahre schlecht ausfiel <strong>–</strong> ein Trauma<br />

der irischen Geschichte. Im Spessart stellte dagegen<br />

Rudolf Virchow 1852 in seiner berühmten Studie<br />

„Die Noth im Spessart“ fest, dass die Kartoffel die<br />

Ernährungsgrundlage der Spessarter deutlich verbessert<br />

habe. Tatsächlich haben sich viele unterschiedliche<br />

Rezepte und Zubereitungsarten für Kartoffeln<br />

im Spessart entwickelt, die teils sehr spezifische,<br />

lokale Eigenheiten darstellen. Heute werden<br />

sie langsam wieder entdeckt und können zu einer<br />

eigenständigen gastronomischen Landschaft Spessart<br />

beitragen.<br />

Gerade an den Kartoffeln wird deutlich, dass viele<br />

Nahrungsmittel und daraus hergestellte Gerichte,<br />

die uns heute als typisch für eine bestimmte Region<br />

erscheinen, im Laufe der Geschichte eingewandert<br />

sind und ursprünglich gar nicht in dieser Region heimisch<br />

waren. Wer könnte sich eine italienische Küche<br />

ohne Tomaten vorstellen, oder eine ungarische<br />

Abb. 12: <strong>Regionale</strong> Küche und Neophyten <strong>–</strong> was wäre die<br />

toskanische Küche ohne Tomaten Blick in die<br />

Auslage eines Restaurants in Florenz.


Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />

ohne Paprika Und doch kommen Tomaten und Paprika<br />

genau wie die Kartoffel aus Amerika und sind<br />

somit erst langsam, seit dem 16. Jahrhundert, in die<br />

verschiedenen europäischen kulinarischen Landschaften<br />

eingeführt worden. Was wäre Wien ohne<br />

seine Kaffeehäuser mit ihren zahlreichen Varianten<br />

des Kaffegenusses Der kleine Schwarze (Espresso),<br />

der große Braune (doppelter Espresso mit Obers [für<br />

deutsche Leser = Sahne), der Verlängerte (Espresso<br />

mit extra viel Wasser), der Einspänner (ein Verlängerter<br />

mit Schlag [Schlagobers = Schlagsahne] im Glas)<br />

oder der Verkehrte (mehr Milch als Kaffee) Und<br />

doch stammt der Kaffee aus Arabien (oder vielleicht<br />

doch aus Abessinien, da streiten sich die Gelehrten)<br />

und kam ebenfalls im 16. Jahrhundert Schritt für<br />

Schritt über die Osmanen nach Europa, besonders<br />

natürlich nach Wien.<br />

Regionalität kann dabei gelegentlich auch zu<br />

einer Posse des Nationalismus werden. Der Türkische<br />

Kaffe, sprich der auf dem Satz gekochte Kaffee,<br />

serviert in einem Messingkännchen und getrunken<br />

aus einem Köppchen, also der ursprünglichen<br />

Form der kleinen, henkellosen Kaffeetasse (womit<br />

sie typologisch gesehen ein Becher ist, da die Tasse<br />

ja eigentlich als Becher mit Henkel definiert ist, aber<br />

dieser kleine Widerspruch nur am Rande und in<br />

Klammern) kann in seiner Benennung ganz schön<br />

schwierig werden. Als wir vor etwa 25 Jahren einmal<br />

in Athen versehentlich einen Türkischen Kaffee bestellt<br />

haben, wurde er uns mit verbissener Miene<br />

krachend auf den Tisch gestellt und der gezischte<br />

Kommentar „hier haben Sie Ihren Türkischen Kaffee“<br />

(Betonung auf Türkisch) hätte fast schon als<br />

Körperverletzung gelten können (jedenfalls als Androhung<br />

der selbigen). Also gut, einen Griechischen<br />

Kaffee bitte. Oder anderen Ortes einen Arabischen<br />

Kaffee, und bitte seien Sie sehr vorsichtig, wie Sie<br />

den nennen, sicherheitshalber also lieber gleich in<br />

Marokko einen Marokkanischen Kaffee. Und wie<br />

Abb. 13: Kulinarischer Ausklang in Marseille mit arabischem<br />

Kaffee in italienischer Espressotasse.<br />

sagt man, wenn der Kellner Berber ist Diplomatische<br />

Verwicklungen ohne Ende. Am Besten, man<br />

bestellt einen neutralen Mokka. Dabei ist es immer<br />

das gleiche Getränk, und wenn man nicht aufpasst,<br />

auch immer mit viel zu viel Zucker (weil der teure<br />

Zucker ja in den insgesamt grundsätzlich ausgesprochen<br />

gastfreundlichen Ländern in denen man diese<br />

Kaffeespezialität zubereitet, ja dem lieben Gast besonders<br />

reichlich zuteil werden soll). Nur eben, wenn<br />

man gerade den falschen Terminus erwischt hat,<br />

dann ist das bitter, da hilft auch noch so viel Zucker<br />

nichts. Beim Namen ist die Globalisierung und die<br />

Völkerverständigung also noch nicht angekommen.<br />

Da ist es dann wiederum besonders nett, wenn man<br />

in Marseille in einem marokkanischen Restaurant<br />

am alten Hafen zum Abschluss eines köstlichen Essens<br />

<strong>–</strong> Taschin mit kandierten Zitronen und arabische<br />

Leckereien <strong>–</strong> einen Mokka in einer italienischen<br />

Espressotasse mit der Aufschrift „Firenze“ serviert<br />

bekommt.<br />

Apropos Globalisierung. Natürlich bekommt man<br />

heute alles überall. Das heißt, man bekommt nicht<br />

nur französisches, italienisches, spanisches, marok-<br />

107


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

108<br />

kanisches, tunesisches, algerisches, türkisches, österreichisches<br />

oder griechisches Essen, sondern auch<br />

indische, chinesische, vietnamesische, koreanische,<br />

thailändische, japanische und afrikanische Restaurants<br />

sprießen überall aus dem Boden. Allerdings ist<br />

das Essen dann meist auch einfach italienisch <strong>–</strong> also<br />

Pasta und Pizza, und die ganze Überraschung liegt<br />

darin, ob es hier auch die Pizza Hawaii oder doch die<br />

mit einem Spiegelei obenauf gibt <strong>–</strong> Mahlzeit. Man<br />

muss schon suchen, bis man in einem Restaurant in<br />

Deutschland oder England toskanische, venezianische<br />

oder umbrische Spezialitäten findet (und ich<br />

meine damit nicht nur eine Auswahl an Antipasti).<br />

Und was heißt hier Chinesisch In Wahrheit handelt<br />

es sich um die europäische standardisierte Variante<br />

der kantonesischen Küche. Selbst die berühmten<br />

Glückskekse stammen eigentlich aus Japan und<br />

wurden durch einen über Japan nach Amerika ausgewanderten<br />

Chinesen zum Inbegriff chinesischer<br />

<strong>Esskultur</strong>. Aber wie oft hat man das Glück, etwa in<br />

Soho in London, durch einen guten Freund, der sich<br />

wirklich auskennt, einmal in ein chinesisches Restaurant<br />

zu kommen, wo einem dann gedünsteter Fisch,<br />

würzige Würstchen und andere Leckereien serviert<br />

werden, die nichts mit den üblichen Acht Schätzen<br />

und Hühnchen/Schweinefleisch/Rindfleisch Sezuan<br />

zu tun haben. In Zeiten der globalisierten Einheitsküche<br />

wird also selbst die exotische Küche erst wieder<br />

als regionale Küche interessant. Nicht der Standardchinese<br />

oder Standarditaliener, der überall auf<br />

der Welt gleich ist, sondern jenes Restaurant, in dem<br />

man tatsächlich die Spezialitäten einer Region genießen<br />

kann, seien es die Marken oder die Küche<br />

von Hu Nan.<br />

Und dann noch Sushi. Wir sprachen ja bereits von<br />

fermentiertem Fisch. Sushi entstand genau daraus <strong>–</strong><br />

Fisch und Reis wurden zusammen fermentiert, um<br />

den Fisch so haltbar zu machen. Das Resultat war<br />

ein typischer säuerlicher Geschmack. Im 18. Jahrhundert<br />

entwickelte sich daraus in der japanischen<br />

Hochküche das moderne Sushi, indem man frischen<br />

Fisch mit Reis kombinierte, der mittels Reisessig gesäuert<br />

wurde. Man imitierte also den säuerlichen<br />

Geschmack des fermentierten Fisches, verwendete<br />

aber frischen, das heißt qualitativ sehr hochwertigen<br />

und teuren, Fisch. In dieser Form kam Sushi nun<br />

auch nach Europa, und wird hier recht allgemein für<br />

japanische Küche oder doch zumindest für japanische<br />

Gerichte mit rohem Fisch verwendet. Das kann<br />

wirklich lecker sein, und auch die Fließbänder, auf<br />

denen die Gerichte an einem vorbeigleiten, sind in<br />

japanischen Schnellrestaurants erfunden worden.<br />

Aber das Euro-English, in dem heute in dänischen,<br />

deutschen und anderen europäischen Restaurants<br />

für Sushi am Fließband geworben wird, kann einem<br />

wirklich den Appetit verderben. Oder wollen Sie<br />

wirklich „Running Sushi“ Roher Fisch, der Beine<br />

bekommt oder <strong>–</strong> eine Assoziation, die sich beim<br />

deutschsprachigen Leser unweigerlich einstellt <strong>–</strong><br />

schon am Rinnen ist Also wirklich! Die Volkskundler<br />

kennen den Begriff der gesunkenen Kultur <strong>–</strong> tiefer<br />

kann ein einst kaiserliches Gericht kaum noch<br />

sinken.<br />

Abb. 14: Running Sushi in Kopenhagen


Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />

Bleiben wir kurz beim Fisch. Sushi war also ursprünglich<br />

fermentierter, sprich haltbar gemachter<br />

Fisch. Eine verbreitete und besonders einfache Art<br />

der Konservierung ist das Trocknen. Der bekannteste<br />

getrocknete Fisch ist wohl der Stockfisch, hauptsächlich<br />

luftgetrockneter Kabeljau. Aber auch viele<br />

andere Fischsorten werden so haltbar gemacht.<br />

Wird der Fisch zusätzlich mit Salz konserviert spricht<br />

man von Klippfisch. Stockfisch und Klippfisch wurden<br />

und werden in großer Menge in Skandinavien<br />

und auf den Inseln im Nordatlantik hergestellt. Da<br />

dieser Fisch durch den Entzug des Wassers sehr<br />

leicht, gleichzeitig sehr hart ist, lässt er sich besonders<br />

gut transportieren. Seine große Haltbarkeit<br />

macht ihn dazu auch als Schiffsproviant auf langen<br />

Reisen ideal geeignet. In Wasser gelegt wird er wieder<br />

weich, behält seinen Geschmack und ist, wenn<br />

gesalzen, auch schon vorgewürzt <strong>–</strong> sozusagen ein<br />

klassisches Produkt der Convenience Food<strong>–</strong>Kultur.<br />

Seinen kulinarischen Siegeszug trat der Fisch<br />

aber erst in den Mittelmeerländern an, vor allem<br />

Portugal, Spanien und Venedig, wohin er bereits im<br />

Mittelalter durch die engen Handelsbeziehungen<br />

dieser Großmächte des Seehandels gelangte. Während<br />

in Skandinavien die Gerichte mit Stock- oder<br />

Klippfisch zwar sättigend, aber doch eher einfach<br />

sind, entwickelte sich in den Küstenregionen Portugals<br />

und Spaniens sowie in Venedig eine Vielzahl<br />

überaus wohlschmeckender Speisen mit dem Bacalhau<br />

(Portugal), Bacalao (Spanien), Baccalà oder<br />

Stoccafisso (Venedig) als Star. Begünstigt wurde<br />

diese Entwicklung durch den Reichtum an Gewürzen,<br />

der diesen Handelsnationen zur Verfügung<br />

stand, aber auch an einheimischen und im Laufe<br />

der Geschichte eingeführten Gemüsen (hier vor allem<br />

der Tomate), die in den südlichen Ländern<br />

ebenfalls reichlich vorhanden waren <strong>–</strong> und somit erlaubten,<br />

aus einem einfachen Hauptbestandteil raffinierte<br />

Gerichte zu kreieren.<br />

Nachdem wir Asterix und Obelix auf ihren Reisen<br />

durch Europa begleitet haben, wenden wir uns<br />

schließlich ihrem Heimatland zu. Gut <strong>–</strong> ihrem Heimatland<br />

im Comic. Denn dort sind das Gallien Caesars<br />

und das moderne Frankreich ein und das Selbe.<br />

Auf allen Karten, die das antike Gallien zeigen sollen,<br />

ist deutlich das heutige Frankreich zu erkennen<br />

<strong>–</strong> und wenn in „Asterix und Kleopatra“ ein ägyptischer<br />

Seemann eine Hieroglyphe für Gallien verwendet,<br />

so hat diese den Umriss Frankreichs. Gleich ein<br />

ganzes Heft ist der gallischen, pardon, französischen<br />

Küche gewidmet: „Le Tour de Gaule“, in der deutschen<br />

Fassung übersetzt als „Tour de France“. Das<br />

französische Original spricht also von der Tour durch<br />

Gallien, spielt dabei gleich noch auf den Namen des<br />

damaligen Staatspräsidenten Charles de Gaulle an,<br />

und zeigt auf dem Titelbild eine Karte Frankreichs.<br />

Gewisse Anlehnungen an das berühmte Radrennen,<br />

nach dem die deutsche Version benannt ist, sind<br />

zwar auch im Original unübersehbar, aber das wichtigste<br />

ist eben das Spiel mit der Gleichsetzung von<br />

Gallien und Frankreich, das es erlaubt, die Zeitgeschichte<br />

in der Verkleidung der historischen Geschichte<br />

zu kommentieren.<br />

In diesem Heft wollen Asterix und Obelix beweisen,<br />

dass es ihnen trotz aller Gegenmaßnahmen der<br />

römischen Besatzungsmacht möglich ist, sich frei<br />

durch ganz Gallien zu bewegen. Die Anspielungen<br />

auf die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg<br />

und auf die Resistance sind in diesem Heft besonders<br />

deutlich ausgeprägt. Als Beweis für diese Reise sollen<br />

die Beiden aus allen besuchten Orten die dortigen<br />

kulinarischen Spezialitäten mitbringen. Diese Aufgabenstellung<br />

ist nicht nur typisch für die Art, in der<br />

zeitgeschichtliche Anspielungen in den Asterix-Heften<br />

immer ironisch gebrochen werden, sondern auch<br />

für die besondere Bedeutung, die die Franzosen ihrer<br />

nationalen <strong>Esskultur</strong> zumessen. Dieser Band ist also<br />

ganz der regionalen Küche Frankreichs gewidmet.<br />

109


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

110<br />

Deshalb wird auch hier nicht mit Anachronismen<br />

gespart. Etwa wenn unsere Freunde aus Camaracum<br />

(Cambrais) Backpfeifen mitbringen sollen. Die<br />

lokale Spezialität sind Pralinen, Bêtises de Cambrai<br />

genannt, wörtlich übersetzt, Dummheiten aus Cambrais.<br />

In der deutschen Übersetzung des Heftes werden<br />

daraus die Backpfeifen <strong>–</strong> weil dieser Name zu<br />

(für den Leser) reizvollen Verwechslungen mit einer<br />

Lieblingstätigkeit von Obelix (das Verteilen eben solcher)<br />

führt. Die Pralinen werden in Cambrais in<br />

hübsch gestalteten Läden feilgeboten. Dumm nur,<br />

dass sie aus karamellisiertem Zucker bestehen. Zucker<br />

kannte man in römischer Zeit zwar schon, allerdings<br />

wurde er in winzigen Mengen aus dem Osten<br />

importiert und war so extrem teuer, dass er nur gelegentlich<br />

für medizinische Zwecke genutzt wurde.<br />

Die Bonbons hätte man also mit Gold aufwiegen<br />

können.<br />

Und was werden unsere Helden wohl in Durocortorum<br />

gekauft haben Der Ort heißt heute Reims<br />

und ist das Zentrum der Champagner-Produktion <strong>–</strong><br />

und worauf wäre man in Frankreich wohl stolzer, als<br />

Abb. 15: Die Szene beim Weinhändler in Reims aus der „Tour de France“. Man<br />

beachte die Fässer als Auflage für die Theke, die mit Weidenruten<br />

gebunden sind. Fässer als Lager- und Transportgefäß für Wein waren<br />

eine keltische Erfindung. Die Amphoren im Hintergrund stehen im Regal<br />

wie moderne Champagnerflaschen. In römischen Geschäften lagen sie in<br />

ähnlichen Holzregalen, wie Funde aus Pompeji zeigen.<br />

auf den König der Weine, die perlende Krone französischer<br />

Winzerkunst. Klar also, dass Asterix und<br />

Obelix hier Wein kaufen sollen. Die Frage von Asterix<br />

an den rotnasigen Weinhändler „Ist Euer Wein<br />

auch gut“ wird denn auch mit einem begeisterten<br />

Vortrag beantwortet: „Ihr scherzt wohl Das ist der<br />

Wein der Weine! Er ist besonders spritzig, perlt sogar,<br />

und man verwendet ihn bei großen Anlässen <strong>–</strong><br />

bei Galeerentaufen zum Beispiel…“. Kommentar<br />

überflüssig. Verkauft wird er in den modernen Geschmacksrichtungen<br />

Herb, Trocken, Halbtrocken<br />

und Süß <strong>–</strong> und zwar in niedlichen kleinen Amphoren<br />

mit Champagnerkorken (die leicht herausfliegen)<br />

und Etiketten, die ganz an moderne Champagnerflaschen<br />

erinnern.<br />

Den Wein hatten zwar schon die Griechen in Gallien<br />

eingeführt, und die ersten Weinberge legten sie<br />

im Umfeld ihrer Gründung Massilia (Marseille) an.<br />

Die Römer verbreiteten dann im Zuge ihrer Eroberungen<br />

und dem Ausbau einer römischen Provinzverwaltung<br />

den Weinbau im restlichen Gallien. Somit<br />

darf man den Anbau von Wein in Reims ruhig<br />

mit den Römern in Verbindung<br />

bringen <strong>–</strong> aber zum Sekt wurde<br />

der Wein erst viele Jahrhunderte<br />

später vergoren. Zur Zeit Caesars<br />

waren die Gallier ohnehin noch<br />

weitaus stärkere Weinkonsumenten<br />

denn Weinproduzenten. So<br />

berichten die griechischen Autoren<br />

von der Trinkfreude der Kelten,<br />

der Begeisterung der keltischen<br />

Fürsten und Adligen für den<br />

Wein, den sie teuer importieren<br />

mussten und für den sie bereit waren,<br />

selbst absurde Phantasiepreise<br />

zu bezahlen. Caesar machte<br />

sich diese Leidenschaft gallischer<br />

Krieger für den Wein zunutze, indem<br />

er feindliche Häuptlinge zu


Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />

Gesprächen einlud, ihnen ein wahres Festmahl bereitete,<br />

bei dem der Wein in Strömen floss <strong>–</strong> um sie<br />

in völlig berauschtem Zustand dann hilflos niedermetzeln<br />

zu lassen. Nachzulesen in seinem eigenen<br />

Bericht über den gallischen Krieg, De bello Gallico.<br />

Hier noch ein kleiner Einschub zur den kleinen<br />

Amphoren, in denen unsere Freunde den Champagner<br />

kaufen. Aus Ton gefertigte Amphoren waren<br />

das Transportbehältnis der Antike. In Ihnen wurden<br />

Wein wie Olivenöl oder Fischsoße (Garum) transportiert,<br />

aber sogar Getreide und andere feste Substanzen.<br />

Es gab sie in allen möglichen Formen, von den<br />

bekannten länglichen und spitz zulaufenden Exemplaren<br />

bis zu bauchigen, gedrungenen, ja kugelrunden<br />

Amphoren. Sie alle waren groß und schwer.<br />

Und wer Wein nicht im Krug in der Taverne kaufen<br />

wollte, der musste beim Weinhändler eine ganze<br />

Amphore kaufen. Da auch im antiken Rom Spitzenweine<br />

ihren Preis hatten, konnte das ganz schön<br />

teuer werden. Deshalb hatten Weinhändler tatsächlich<br />

Miniamphoren auf Vorrat, aus denen Kostproben<br />

der besten Weine ausgeschenkt werden konnten,<br />

bevor sich ein potenter Kunde für den Kauf<br />

einer oder auch mehrerer Amphoren entschied. Erst<br />

mit der Entwicklung des Weinbaus in den neu eroberten<br />

Provinzen Galliens betrat das Fass die Bühne<br />

der Önologie <strong>–</strong> als Transportmittel ebenso wie für<br />

den Reifungsprozess des Weins, der sich in Italien<br />

wie Griechenland ebenfalls in keramischen Großgefäßen,<br />

den sogenannten Dolien, abspielte.<br />

Doch zurück zu unserer kulinarischen Reise durch<br />

Gallien. In Nicae (Nizza) schlendern unsere Freunde<br />

über die Promenade der Bretonen <strong>–</strong> und kaufen<br />

eine Amphore voll Salat zum Mitnehmen. Dieses<br />

Mal ist es Obelix, der die Frage stellt: „Ist der gut,<br />

der Salat Nicaeoise“. Auch dies ist ein netter Anachronismus.<br />

Wenn es auch viele Rezepte für den<br />

„Salade niçoise gibt, das älteste übrigens aus dem<br />

Jahr 1893, so enthält er in jedem Fall Kartoffeln und<br />

Tomaten, die bekanntlich ja erst aus Amerika eingeführt<br />

wurden.<br />

Von Nizza geht es weiter nach Marseille. Natürlich<br />

sollen Asterix und Obelix von hier eine Bouillabaisse<br />

mitbringen. Immerhin ist eine Fischsuppe in<br />

der Hafenstadt Marseille auch in römischer Zeit zu<br />

erwarten, und selbst die wichtigste Zutat für die<br />

Bouillabaisse, der Safran, wurde von den Römern<br />

bereits importiert <strong>–</strong> er war allerdings auch in römischer<br />

Zeit ausgesprochen teuer. Natürlich machte<br />

ihn diese Eigenschaft auch zu einer so wichtigen Zutat<br />

für die historische Bouillabaisse, ein Zeichen dafür,<br />

dass man sich in einer reichen Handelsmetropole<br />

eine solche Extravaganz leisten konnte. Allerdings ist<br />

auch die Bouillabaisse in ihrer heutigen Form recht<br />

jung, das erste Rezept stammt aus dem Jahr 1830<br />

und enthielt vor allem teure Edelfische. Damit gehört<br />

dieses Gericht eindeutig der Hochküche an.<br />

Sollte es tatsächlich, wie manche behaupten, auf<br />

eine einfache Grundform zurückgehen, die aus kleinen<br />

Fischen und Fischresten zubereitet wurde, so ist<br />

in den historischen Rezepten davon nichts zu spüren.<br />

In römischer Zeit wurden solche Fischlein und<br />

Fischreste übrigens zu Garum verarbeitet, der berühmten<br />

Fischsauce, die von den Römern wie heute<br />

Ketchup zu fast allen Speisen genommen wurde.<br />

Immerhin war Massilia für sein qualitätsvolles und<br />

teures Garum bekannt. Die Bouillabaisse enthält übrigens<br />

auch wieder Tomaten <strong>–</strong> man sieht, unsere<br />

heutige Küche wäre ohne die Entdeckung Amerikas<br />

einfach undenkbar.<br />

Zur Bouillabaisse genießen die Massilioten bei Asterix<br />

auch noch Pastis. Zwar ist dies heute ein beliebtes<br />

Getränk in Frankreich, und Anisschnäpse sind<br />

allgemein im Mittelmeerraum weit verbreitet, aber<br />

hochprozentige Spirituosen gibt es erst seit dem<br />

Mittelalter durch die Entwicklung der Destillationstechnik,<br />

nicht zuletzt dank des hohen Interesses an<br />

der Alchemie. Bezeichnender Weise gelten die mit-<br />

111


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

112<br />

Abb. 16: Szene im Speisesaal einer römischen Kaserne in „Asterix als Legionär“. Die<br />

Unzufriedenheit der Rekruten aus Ägypten, Makedonien, Belgien, Germanien<br />

und Gallien mit dem Essen wird deutlich zum Ausdruck gebracht. Einzige<br />

Ausnahme: der Brite. Die bunte Zusammensetzung der Truppe ist an der<br />

französischen Fremdenlegion orientiert, allerdings waren alle diese Völker auch<br />

in der römischen Armee vertreten, wenn auch in sogenannten Auxiliarien<br />

(Hilfstruppen), die meist aus Angehörigen einer Region bestanden.<br />

telalterlichen Klöster als Geburtsort der ersten Brände<br />

und Schnäpse.<br />

Die Tour de France bietet sich also durchaus als<br />

kulinarischer Reiseführer durch Frankreich an, wenn<br />

auch nicht als historische Lektüre zu den Essgewohnheiten<br />

von Galliern oder Römern. Für Uderzo<br />

und Goszinny bestand das größte Problem allerdings<br />

in der Beschränkung auf die 48 Seiten eines Comic-<br />

Albums. Sie hätten so gerne noch viel mehr Spezialitäten<br />

aus ganz Frankreich vorgestellt…<br />

Neben der klassischen regionalen Küche erzählen<br />

die Asterix-Hefte aber auch einiges über die antike<br />

Küche, etwa über die Verpflegung in der römischen<br />

Armee. Besonders schön wird diese in dem Band<br />

„Asterix als Legionär“ dargestellt. Hier speisen die<br />

eben angeworbenen Rekruten in einem großen<br />

Speisesaal und bekommen da einen Eintopf vorgesetzt,<br />

der keineswegs Begeisterung auslöst (außer<br />

bei dem britischen Kameraden, der ihn für köstlich<br />

hält…). Durch den Gehilfen des Kochs erfahren wir,<br />

dass es sich dabei um die tägliche Ration aus Korn,<br />

Speck und Käse handelt, die aus Rationalisierungsgründen<br />

zusammen gekocht werden. Tatsächlich<br />

waren Dörrfleisch, Korn, saurer Wein und Olivenöl<br />

die Grundration römischer Soldaten. Diese mussten<br />

sie üblicherweise selbst zubereiten. Allerdings haben<br />

sich in großen Legionslagern mit dauerhafter Einrichtung,<br />

etwa in Mainz, auch „Kantinen“ gefunden,<br />

in denen die Soldaten offensichtlich gemeinschaftlich<br />

aus einer Großküche verpflegt wurden.<br />

Die Zahl von acht Rekruten, die in diesem Heft zu<br />

einem Team zusammengestellt werden, entspricht<br />

ebenso der römischen Realität. Diese Achtergruppen,<br />

Contubernium genannt, stellten die kleinste<br />

taktische Einheit der römischen<br />

Armee dar und teilten<br />

sich ein Zelt, eine Handmühle<br />

zum Mahlen des Getreides,<br />

das Kochgeschirr <strong>–</strong><br />

und einen Esel oder<br />

Maultier zum Tragen des<br />

sperrigen Gepäcks, das sie<br />

nicht selbst auf dem Rücken<br />

(bzw. der Schulter)<br />

transportieren konnten.<br />

Wie wir in dem Band<br />

„Asterix und der Avernerschild“<br />

erfahren, bleibt die<br />

ständige Völlerei selbst für<br />

hartgesottene Gallier nicht<br />

ohne Konsequenzen. Auch<br />

hier spielen die Autoren mit<br />

antiken Motiven. So beschreiben<br />

griechische wie<br />

römische Autoren die Gallier<br />

als der Völlerei zugetan.<br />

Sie lieben Festmahle und


Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />

sind im Essen wie Trinken<br />

maßlos. Als der Häuptling<br />

Majestix sich deshalb ein<br />

Leberleiden zuzieht, wird<br />

er vom Druiden des Dorfes<br />

auf Kur geschickt <strong>–</strong> nach<br />

Aquae Calidae, dem heutigen<br />

Vichy. Aquae Calidae<br />

ist eine römische Gründung.<br />

Der Name, übersetzt<br />

„die heißen Wasser“, verweist<br />

bereits auf die Heilquellen<br />

vor Ort. Tatsächlich<br />

hatten die Römer eine Leidenschaft<br />

für Heilbäder,<br />

man denke nur an Badenweiler<br />

oder Aachen, wo<br />

ebenfalls große Thermen<br />

und regelrechte Kurbetriebe<br />

von den Römern angelegt wurden.<br />

Abb. 17: „Asterix und der Arverschild“. Der Kurbetrieb in Aquae Calidae (Vichy) in all<br />

seinen gesundheitsfördernden Aspekten…<br />

Die Reise nach Aquae Calidae wird zum gastronomischen<br />

Streifzug, gewissermaßen in Kurzform<br />

eine Wiederholung der Tour der France. Besonders<br />

hübsch ist die Darstellung des Heilbads selbst, in<br />

dem Majestix nicht nur das heilende Wasser zu trinken<br />

hat (in regelmäßigen Abständen, wie es dem<br />

modernen Kurbetrieb entspricht), sondern auch<br />

einer Kaltwasserkur unterzogen wird. Letztere erinnert<br />

an moderne Kneippkuren, allerdings hatte der<br />

Leibarzt des Kaisers Augustus, Antonius Musa, eine<br />

solche Kur für seinen hohen Patienten entwickelt <strong>–</strong><br />

was um die Zeitenwende in Rom in der besseren Gesellschaft<br />

zu einem frühen Boom der Kneippkultur<br />

führte. Kern der Kur aber ist die ausgeklügelte Diät<br />

(bestehend aus im Wasser gedünstetem Gemüse),<br />

die bei dem fleischliebenden Majestix nicht gerade<br />

auf Begeisterung stößt.<br />

Zwar kannte die Antike unsere modernen Fastendiäten<br />

noch nicht, allerdings hatte sich in der griechischen<br />

und römischen Medizin eine eigenständige<br />

Lehre, die Diätetik, entwickelt. Sie basierte auf der<br />

Viersäfte-Lehre, wonach im Körper des Menschen<br />

vier Säfte regieren, Blut, Schleim (Lymphe), schwarze<br />

und gelbe Galle. Diesen Säften wurden wieder die<br />

vier Grundeigenschaften trocken, feucht, kalt und<br />

warm zugeordnet. Gerieten sie aus dem Gleichgewicht,<br />

wurde der Mensch krank. Gesunden konnte<br />

er nur, indem die Eigenschaften wieder ausbalanciert<br />

wurden <strong>–</strong> durch eine Diät, die wiederum darauf<br />

fußte, dass auch allen Lebensmitteln diese vier<br />

Grundeigenschaften zugeschrieben wurden. Wurde<br />

also die Konstitution eines Menschen als zu trocken<br />

und zu warm beschrieben, musste er Speisen zu sich<br />

nehmen, die als nass und kalt eingestuft wurden.<br />

Eine solche Verpflegung konnte sehr kompliziert<br />

und teuer sein, weshalb etwa der stets zornige Cato<br />

der Ältere (der Cato, der alle seine Reden mit der<br />

Aufforderung beendete, doch endlich das lästige<br />

Karthago zu zerstören) in seinem Buch über die<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> solche griechischen Kinkerlitzchen<br />

113


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

114<br />

auch rundweg ablehnt. Für<br />

ihn gibt es ein einfaches,<br />

ländliches Allheilmittel <strong>–</strong><br />

den Kohl. Ob gegessen, als<br />

Blätter auf Wunden oder<br />

Geschwüre gelegt, oder als<br />

ein Absud zum Trinken<br />

oder Einreiben <strong>–</strong> alle Leiden<br />

lassen sich damit bekämpfen.<br />

Und wenn nicht, dann<br />

soll man den Dingen eben<br />

ihren Lauf lassen und nicht<br />

unsinnig viel Geld, Zeit und<br />

Energie in absurd langwierige<br />

und komplizierte Heilmethoden<br />

stecken. Da<br />

passt es gut, dass es in<br />

dem Heft „Asterix bei den<br />

Belgiern“ zu einem Konflikt<br />

zwischen Caesar und einem römischen Senator<br />

kommt, dessen Rede zur Not der Brassica-Bauern<br />

(Brassica = Kohl) wegen einer anhaltenden Dürreperiode<br />

von Caesar rüde unterbrochen wird. Nach<br />

mehreren Einwänden des unterbrochenen Redners<br />

ruft Caesar erzürnt aus: „Weißt du, wohin du deine<br />

Brassica pflanzen kannst“ gefolgt von der Anweisung<br />

an den Stenographen:<br />

„Streich den letzten Zwischenruf<br />

Caesars! Als Zitat für die Nachwelt<br />

denkbar ungeeignet!“ (Exkurs:<br />

Ciceros Privatsekretär Tiro<br />

hatte die erste Kurzschrift der<br />

Geschichte entwickelt, die „notae<br />

Tironis“. Berichte aus den Senatssitzungen<br />

wurden in Rom in<br />

Form von Wandzeitungen, den<br />

„Acta Diurnia“, das heißt Tagesnachrichten,<br />

veröffentlicht. Eingeführt<br />

hatte sie kein anderer als<br />

Gaius Julius Caesar.)<br />

Abb. 18: In „Asterix bei den Belgiern“ spielt sich diese Szene im römischen Senat ab, bei<br />

der die Brassica (der Kohl) die Hauptrolle spielt.<br />

Auch zur römischen Küche selbst wissen die Asterix-Hefte<br />

manches zu erzählen. Im Band „Asterix<br />

und der Kupferkessel“ sehen wir unsere Freunde<br />

beim Frühstück in ihrer Herberge. Die Szene mutet<br />

auf den ersten Blick sehr modern an, sie sitzen am<br />

Tisch mit einem Korb voll Brötchen, und der Wirt<br />

schenkt ihnen ein heißes, bräunliches Getränk ein.<br />

Abb: 19: Darstellung einer römischen Herberge mit Frühstückstisch in „Asterix als<br />

Gladiator“. Man beachte im Hintergrund das Colosseum <strong>–</strong> das erst ein<br />

Jahrhundert nach Caesar von den Flaviern erbaut wurde.


Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />

Abb. 20: In den „Lorbeeren des Caesar“ findet sich diese hübsche Darstellung einer<br />

römischen Taverne <strong>–</strong> einschließlich der steinernen Rundtische, wie sie<br />

etwa in der Taverne am Haus der Julia Felix in Ostia gefunden wurden.<br />

Tatsächlich gab es Herbergen für Reisende in römischer<br />

Zeit, auch wenn ihre Qualität oft zu wünschen<br />

übrig ließ. Dort lag man auch nicht zu Tisch, wie es<br />

in einem römischen Privathaus üblich, oder auch in<br />

manchen guten Lokalen möglich war, sondern man<br />

saß auf Stühlen, oder wie hier, eher auf Hockern an<br />

einem runden Tisch. Brötchen gab es wirklich, sie<br />

sind auf den Grabsteinen von Bäckern dargestellt<br />

und haben sich in Pompeji in Negativform im Bims<br />

des Vulkanausbruchs erhalten. Und wenn man bei<br />

dem Heißgetränk aus der Kanne auch an Kaffee<br />

denkt, so könnte es sich dabei ebenso gut um Pulsum<br />

handeln, ein aus Essig und Wasser zubereitetes<br />

Getränk, das morgens auch gerne heiß<br />

getrunken wurde. Das römische Frühstück<br />

war eher frugal: Brot, Oliven und<br />

Käse gehörten dazu, aber auch Fleisch<br />

war nicht ausgeschlossen. Zwar eher in<br />

Form von Dörrfleisch, aber es sei Obelix<br />

gegönnt, dass er sich lieber eine Wildschweinkeule<br />

geschnappt hat.<br />

Die feudale Version des Imbiss wird<br />

uns in „Asterix als Gladiator“ vorgeführt.<br />

Hier stehen in einem offenen<br />

Raum drei Klinen (Liegen) U-förmig um<br />

den Tisch <strong>–</strong> die klassische Anordnung<br />

im Esszimmer der Römer. Auf<br />

einer Kline können bis zu drei Personen<br />

Platz nehmen. Daher galt<br />

in Rom die Regel: zum Essen nie<br />

weniger als drei Personen (damit<br />

jede Kline belegt ist) und nicht<br />

mehr als neun Personen (damit<br />

alle um einen Tisch liegen können).<br />

Natürlich waren viele<br />

Abendessen in reichen römischen<br />

Haushalten formale Angelegenheiten<br />

mit sehr viel mehr Gästen,<br />

doch entstand so eine klare<br />

Unterscheidung zwischen wichtigen<br />

und unwichtigen Gästen, die immer weiter weg<br />

vom Tisch des Gastgebers Platz nehmen mussten.<br />

Wurden dann noch unterschiedliches Essen und<br />

Weine verschiedener Qualität gereicht, so galt dies<br />

als besonders unfein <strong>–</strong> wird aber von den römischen<br />

Autoren des ersten Jahrhunderts immer wieder als<br />

durchaus übliche Vorgehensweise gebrandmarkt.<br />

Die römische Küche ist heute berühmt für ihre<br />

ausgefallenen Speisen. Wer jedoch das Kochbuch<br />

des Apicius durchliest, wird viele Rezepte finden, die<br />

auch heute noch nachgekocht werden können und<br />

als wohlschmeckend gelten dürfen. Manche Zutaten<br />

oder auch bestimmte Tiere werden heute nicht<br />

Abb. 21: „Asterix als Gladiator“ <strong>–</strong> Darstellung eines römischen Esszimmers<br />

(Triclinium <strong>–</strong> abgeleitet von Drei Klinen).<br />

115


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

116<br />

mehr gegessen <strong>–</strong> aber dies ist, wie etwa bei den gemästeten<br />

Haselmäusen, mehr eine Frage der jeweiligen<br />

<strong>Esskultur</strong>. Dagegen werden in gesellschaftskritischen<br />

Romanen, wie etwa dem Satyricon des Petronius,<br />

auch wirklich ausgefallene und manchmal eher<br />

ekelhafte Spezialitäten aufgeführt, mit denen sich<br />

besonders Neureiche zu produzieren suchen. Wenn<br />

unseren Freunden in Rom hier aber Pasteten nach<br />

einem völlig neuen Rezept aus Nachtigallenzungen<br />

aus Nordgallien, Kaviar aus dem Inneren des Barbarenlandes<br />

sowie Krabbenzahnfleisch aus der Mongolei<br />

angeboten werden, so ist dies natürlich seinerseits<br />

eine satirische Überspitzung eines gängigen<br />

Vorurteils. Der Kommentar von Obelix, auf die Frage<br />

wie es denn geschmeckt habe, wäre ganz im Sinne<br />

des Petronius <strong>–</strong> kurz und bündig lautet sein Urteil:<br />

„salzig“.<br />

Solche Spielereien kommen denn auch öfter in<br />

den Asterix-Heften vor. In der „Trabantenstadt“<br />

träumen städtische Römer in der gallischen Provinz<br />

von Wurstpellenmarmelade, Anchoviskonfitüre und<br />

Makrelenaugen in Aspik. Und in den „Lorbeeren des<br />

Caesar“ präsentiert der neureiche Schwager von<br />

Majestix in Lutetia (Paris) den Verwandten aus dem<br />

Dorf voller Stolz Spezialitäten wie Rinderfüße à la<br />

Abb. 2: In „Die Trabantenstadt“ träumen Römer von den heimischen Leckereien im<br />

gallischen Exil.<br />

créme und Biberschwänze in Himbeersoße. Die luxuriöseste<br />

Schlemmerei von fraglichem Geschmack<br />

leistet sich allerdings in „Asterix und Kleopatra“ die<br />

berühmte ägyptische Königin: Perlen in Essig aufgelöst.<br />

Diese Verschwendung wird ihr tatsächlich nachgesagt.<br />

Zumindest technisch ist es möglich <strong>–</strong> Perlen<br />

lösen sich in Säure auf, und Essig war auch in der<br />

Antike schon bekannt. Ob das daraus resultierende<br />

Getränk wirklich perlt und wie es schmeckt <strong>–</strong> das<br />

muss der geneigte Leser schon im Selbstversuch herausfinden.<br />

Die Masse der Ägypter lebte sehr viel einfacher.<br />

Laut Asterix ernähren sie sich vor allem von Linsen.<br />

Diese gehören tatsächlich zu den ältesten Kulturpflanzen<br />

und werden sogar in der Bibel erwähnt <strong>–</strong><br />

für ein Linsengericht verkauft Esau sein Erstgeburtsrecht<br />

an Jakob. Aus verschiedenen Quellen wissen<br />

wir, dass die ägyptischen Arbeiter etwa beim Bau<br />

der Pyramiden oder der neuen Hauptstadt von Ramses<br />

II., dem Großen, mit einer Ration von Korn,<br />

Zwiebeln, Bier und Speiseöl bezahlt wurden. Aus<br />

Ägypten ist auch der erste Streik der Geschichte<br />

überliefert: weil die Arbeiter an den Königsgräbern<br />

unter Pharao Ramses III., im 12. Jahrhundert vor<br />

Christus, nicht genügend dieser Grundnahrungsmitteln<br />

erhielten, legten sie die Arbeit<br />

nieder, bis ihre Beschwerden behoben<br />

wurden.<br />

Einige ganz besondere Rezepte<br />

verdienen noch Erwähnung. Vor<br />

allem natürlich das Rezept des berühmten<br />

Zaubertranks. Leider<br />

wird dieses Rezept nur von Druidenmund<br />

zu Druidenohr weitergegeben.<br />

Deshalb kann darüber<br />

nur soviel gesagt werden, dass<br />

sich unter den Zutaten Misteln befinden,<br />

die mit einer goldenen Sichel<br />

geschnitten werden müssen.


Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />

Der einzige weitere gesicherte<br />

Inhaltsstoff ist Erdöl,<br />

das in dem Heft „Die Odyssee“<br />

schließlich umweltfreundlich<br />

(und auch geschmacksverbessernd)<br />

durch Rote-Rübensaft ersetzt<br />

werden kann. Hummer<br />

wird nur zur Geschmacksverbesserung<br />

beigefügt<br />

<strong>–</strong> und Erdbeeren<br />

sind eine Erfindung von Asterix<br />

im allerersten Band,<br />

um die Römer in die Irre zu<br />

führen.<br />

Anders das Rezept<br />

gegen Kater, das Asterix<br />

und Obelix zufällig während<br />

ihres Abenteuers in<br />

Rom in den „Lorbeeren des<br />

Caesar“ erfinden. Es enthält:<br />

Marmelade, Pfeffer, Salz, Nieren,<br />

Feigen, Kernseife, ein ungerupftes<br />

Huhn, Honig, Pfefferschoten,<br />

Blutwurst, Eier, Granatapfelkerne<br />

und noch mehr Pfeffer und Pfefferschoten.<br />

Dies wird alles in einem<br />

Topf verkocht. Das Resultat ist als<br />

Katermittel überaus wirksam. Wegen<br />

der Nebenwirkungen lesen Sie<br />

bitte „Die Lorbeeren des Caesar“<br />

oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.<br />

Ganz nebenbei wird uns in<br />

dieser Szene ein guter Einblick in die<br />

Küche eines reichen römischen<br />

Haushalts gegeben, inklusive römischer<br />

Herdstelle, Feuerrost und Anschluss<br />

an den örtlichen Aquädukt<br />

mit fließendem Wasser in der Küche.<br />

Abb. 22: In den „Lorbeeren des Caesar“ bekommen wir auch einen guten Einblick in die<br />

Küche eines wohlhabenden römischen Haushalts <strong>–</strong> mit viel Liebe zum Detail: Man<br />

beachte den Brunnen in der Ecke mit fließend Wasser, den gemauerten Herd mit<br />

Bratrost oder die zweizinkige Gabel auf dem Tisch.<br />

Abb. 23: In „Die Lorbeeren des Caesar“ entdecken Asterix und Obelix zufällig das<br />

perfekte Katermittel <strong>–</strong> hier der Beipackzettel mit den üblichen Nebenwirkungen.<br />

Zu den dekadenten Spätfolgen gehört auch der Untergang Roms.<br />

117


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

118<br />

Eine eher makabere Pointe leisten sich die Autoren,<br />

nachdem unsere Freunde im selben Heft zum Tod<br />

„ad bestias“ in der Arena verurteilt wurden. Im Kerker<br />

werden ihnen alle möglichen Leckereien gebracht,<br />

was vom Kerkerwärter so kommentiert wird: „Ja, das<br />

ist der Vorteil, wenn man verurteilt wird, den Bestien<br />

vorgeworfen zu werden: Da gibt’s immer leckere Sachen<br />

zu essen. Wogegen die Leute, die vom Tarpeischen<br />

Felsen hinuntergestürzt werden, vorher nur<br />

schwere, magenfüllende Sachen zu essen bekommen.“<br />

Der Sturz vom Tarpeischen Felsen (hinter dem<br />

Kapitol gelegen) war für Verräter vorgesehen. Eine<br />

besondere Diät für Verurteilte gab es bei den Römern<br />

natürlich nicht, auch eine Henkermahlzeit war nicht<br />

vorgesehen <strong>–</strong> und die Haftbedingungen vor der Vollstreckung<br />

waren alles andere als angenehm.<br />

Wenn am Ende des Heftes Majestix seinen arroganten<br />

Schwager allerdings mit einem Kinnhaken<br />

ins Reich der Träume schickt, nachdem dieser das<br />

mit den Lorbeeren Caesars gewürzte Ragout kritisiert<br />

und statt Lorbeeren Fenchel empfohlen hatte,<br />

passt dies wieder gut zu den antiken Quellen. Betonen<br />

diese doch die Streitlust der Gallier, die bei<br />

wein- und bierseligen Gelagen leicht zu Handgreiflichkeiten<br />

führte. Und worüber ließe sich im Land<br />

der Haut Cuisine auch trefflicher streiten, als über<br />

die richtigen Gewürze.<br />

Eine eher abgelegene Nutzung der Nahrungsmittel<br />

wird in dem Heft „Der Seher“ vorgeführt, in dem<br />

ein Scharlatan, der sich als Seher ausgibt, aus wirklich<br />

allem, das ihm angeboten wird, die Zukunft lesen<br />

möchte: aus dem Fisch des Fischhändlers Verleihnix<br />

(der schon etwas stark riecht und nicht mehr<br />

die allerneusten Nachrichten enthält), ebenso wie<br />

aus Idefix (was Obelix zu verhindern weiß) oder aus<br />

Cervisia, also Bier, am besten frisch gezapft. Die Sitte,<br />

aus den Eingeweiden von Opfertieren die Zukunft<br />

zu lesen, war in Rom zwar etabliert, galt aber<br />

als etruskische Eigenart und wurde von einem Haruspex<br />

ausgeübt, dessen etruskisches Gewand seine<br />

Fremdheit betonte. Typisch römisch waren die Interpretation<br />

des Vogelfluges, von Blitz und Donner und<br />

Beobachtung des Aufpickens speziell ausgestreuter<br />

Körner durch die heiligen Hühner.<br />

Da bei den zahlreichen Tieropfern üblicherweise<br />

nur die Eingeweide auf dem Opferaltar verbrannt<br />

wurden, konnte das Fleisch der Opfertiere günstig<br />

verkauft oder sogar an Bedürftige verschenkt werden<br />

<strong>–</strong> eine karitative Maßnahme der Tempel. Da Opfertiere<br />

jung und makellos sein sollten, handelte es<br />

sich um Fleisch sehr guter Qualität <strong>–</strong> eine seltene Gelegenheit<br />

für viele ärmere Römer. So fand dieser<br />

Brauch sogar in den Briefen des Apostels Paulus seinen<br />

Niederschlag, angesichts der Frage, ob gläubige<br />

Christen dieses Opferfleisch essen dürften oder<br />

nicht. Er kommt zu einer überaus pragmatischen<br />

Antwort: da die heidnischen Götter nicht existierten,<br />

sei im Opferfleisch prinzipiell nur ein billiges Fleisch<br />

zu sehen, das man unbedenklich essen könne. Da<br />

dies aber zu Zwistigkeiten in der Gemeinde führen<br />

könne, solle man es unterlassen <strong>–</strong> im Interesse derer,<br />

die nicht so gefestigt im Glauben seien.<br />

Man sieht, mit Asterix lässt sich eine überaus<br />

unterhaltsame und geschmackvolle Reise durch die<br />

Welt des Kulinarischen machen <strong>–</strong> historisch, regional<br />

und soziologisch voller Überraschungen, unerwarteter<br />

Volten und erstaunlicher Einsichten. Die Begeisterung<br />

unserer gallischen Freunde für gutes Essen,<br />

ihre Erfahrungen mit der regionalen Küche fast aller<br />

Gegenden Europas (und in einigen jüngeren Heften<br />

auch darüber hinaus, doch darauf sollte hier nicht<br />

näher eingegangen werden) und ihre Unbekümmertheit<br />

mit den Grenzen von Zeit und Raum (man<br />

denke an all die hübschen Anachronismen) sollten<br />

uns ermutigen, der regionalen Küche auch heute<br />

den ihr gebührenden Raum zu geben. Nicht in dem<br />

Versuch, die Küche einer ganz bestimmten Zeit museal<br />

zu konservieren, sondern mit derselben Phanta-


Gerhard Ermischer: Tastescapes <strong>–</strong> Kulinarische Zeitreise durch Europa<br />

sie und Aufgeschlossenheit, die<br />

den Reichtum unserer vielen kulinarischen<br />

Regionen in Europa erst<br />

ermöglichte. Schließlich <strong>–</strong> wo wären<br />

wir heute ohne all die im Laufe<br />

der Geschichte eingeführten Lebensmittel<br />

Ohne Tomaten, Paprika,<br />

Pute, Schokolade aus Amerika,<br />

ohne Zucker, Safran, Pfeffer und<br />

viele andere Gewürze aus Indien<br />

und Ceylon, ohne Kaffee aus Arabien<br />

und Tee aus China Daneben<br />

lassen sich aber auch viele alte<br />

Kräuter und Pflanzen wieder entdecken,<br />

alte Hausrassen und spezielle<br />

Zubereitungsarten, die typisch<br />

für eine bestimmte Landschaft<br />

sind. Es lassen sich Speisen<br />

entdecken (und bewahren), die<br />

eine Geschichte zu erzählen haben, über alte Handelsbeziehungen<br />

ebenso wie über die klimatischen<br />

Bedingungen, soziale Gegebenheiten und historischen<br />

Ereignisse, denen sie zu verdanken sind. Für<br />

die Väter von Asterix und Obelix, für Albert Uderzo<br />

und Rene Goszinny, war die <strong>Esskultur</strong> ganz offensichtlich<br />

ein äußerst wichtiger Bestandteil der Kultur<br />

und Geschichte, die sie erzählen wollten. So gesehen,<br />

können die Geschichten um die beiden munteren<br />

Gallier auch ein Beispiel für die Entwicklung der<br />

regionalen Küche setzen <strong>–</strong> mutig, frech und unbeschwert<br />

<strong>–</strong> und immer mit gutem Appetit.<br />

Quellen:<br />

Madame d’Aulnoy (Marie-Catherine Baronne d’Aulnoy).<br />

Mémoires de la cour d’Espagne. Paris 1692<br />

Apicius (Marcus Gavius Apicius zugeschrieben). De re coquinaria:<br />

Über die Kochkunst. Die Rezeptsammlung geht<br />

möglicherweise auf ein Werk des Apicius aus der ersten<br />

Hälfte des 1. Jhs. n.Chr. zurück und wurde wahrscheinlich<br />

Abb. 24: Eine Werbung, die kürzlich die Franzosen empörte: Die munteren Gallier<br />

feiern ein Fest unter den goldenen Bögen einer amerikanischen<br />

Fast-Food-Kette.<br />

im 3. bis 4. Jh. überarbeitet und ergänzt. U.a. bei Reclam,<br />

Stuttgart 1991, herausgegeben von Robert Maier<br />

Jean Anthèlme Brillat-Savarin. Physiologie des Geschmacks<br />

oder Gedanken zur transzendenten Gastronomie. Im Original<br />

erschienen im Todesjahr des Autors, 1826. Deutsche<br />

Ausgabe etwa als Insel-Taschenbuch 423.<br />

Marcus Portius Cato. De agricultura: Über den Ackerbau.<br />

Um 150. Zum Kohl: 156, und zum wilden Kohl: 157. U.a.<br />

bei Reclam, Stuttgart 2009. Online-Text unter: http://la.wikisource.org/wiki/De_agri_cultura<br />

Charles Dickens. The Pickwick Papers. Erstveröffentlichung<br />

als Serie 1836<strong>–</strong>37, als Buch 1837. Als Online-Text unter:<br />

http://www.online-literature.com/dickens/pickwick/<br />

Joseph Gérard. Curiosités de la table dans les Pays-Bas Belgiques.<br />

Manuskript 1781. Veröffentlicht in Paul Ilegems,<br />

De Frietkotcultuur. Loempia 1993<br />

Jakob Michael Reinhold Lenz. Der Hofmeister oder Vorteile<br />

der Privaterziehung. Eine Komödie. Leipzig 1774. Als Online-Text<br />

im Projekt Gutenberg unter: http://gutenberg.<br />

spiegel.de/id=5&xid=1596&kapitel=1#gb_found<br />

Paulus, 1. Korintherbrief, Kapitel 8<br />

Petronius Arbiter. Satyricon. Entstanden vor 66 n.Chr. U.a.<br />

bei Reclam, Stuttgart 1975, herausgegeben von Harry C.<br />

Schnur<br />

119


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Friedrich Schiller. Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon.<br />

Universalhistorische Vorlesungen auf der Universität<br />

Jena, erstmals erschienen in der Thalie, Heft 11, 1790. Online-Text<br />

im Projekt Gutenberg unter: http://gutenberg.<br />

spiegel.de/id=5&xid=2419&kapitel=1#<br />

Rudolf Virchow. Die Noth im Spessart: Eine medicinischgeographisch-historische<br />

Skizze. Verhandlungen der<br />

phys.-med. Gesellschaft, Band III. Würzburg 1852. Reprint<br />

Bad Orb 1998.<br />

Sekundärliteratur:<br />

ANDRÉ, J. (1998): Essen und Trinken im alten Rom. <strong>–</strong> Stuttgart.<br />

BRODERSEN, K. (Hrsg.) (2001): Asterix und seine Zeit: Die<br />

große Welt des kleinen Galliers. <strong>–</strong> München.<br />

BIRLEY, R. (1978): Vindolanda: Eine römische Grenzfestung<br />

am Hadrianswall: Neue Entdeckungen der Archäologie. <strong>–</strong><br />

Bergisch Gladbach.<br />

BIRLEY, R. (1982): Roman Vindolanda: Offical guide to the<br />

Roman remains and the museum. <strong>–</strong> Carvoran.<br />

ERMISCHER, G. (1994): Die Funde aus der „Alten Dechantei“.<br />

In: Jenderko-Sichelschmidt, I., Marquart, M. u. Ermischer,<br />

G.: Stiftsmuseum der Stadt Aschaffenburg, S. 69<strong>–</strong>73. <strong>–</strong><br />

München.<br />

KOBBE, P. v. (1837): Geschichte und Landesbeschreibung<br />

des Herzothums Lauenburg: Dritter Theil, S. 140. <strong>–</strong><br />

Altona.<br />

PACZENSKY, G. V., DÜNNBIER, A. (1994): Leere Töpfe, volle<br />

Töpfe: Die Kulturgeschichte des Essens und Trinkens. <strong>–</strong><br />

München.<br />

PLETICHA, H., Schönberger, O. (Hrsg.) (1980): Die Römer: Ein<br />

enzyklopädisches Sachbuch zur frühen Geschichte Europas.<br />

<strong>–</strong> Gütersloh.<br />

ROYEN, R. VAN, VEGT, S. VAN DER (1998): Asterix: Die ganze<br />

Wahrheit. <strong>–</strong> München.<br />

ROYEN, R. VAN, VEGT, S. VAN DER (2001): Asterix: Auf großer<br />

Fahrt. <strong>–</strong> München.<br />

REYNETTE, F. (1997): Un petit voyage ethnographique dans<br />

L´Exposition Asterix. <strong>–</strong> Paris.<br />

WEEBER, K.-W. (1993): Die Weinkultur der Römer. <strong>–</strong> Zürich.<br />

WELLS, P. S. (1995): Identities, Material Culture, and<br />

Change: „Celts“ and „Germans“ in Late-Iron-Age Europe.<br />

<strong>–</strong> London.<br />

Zu Asterix online zu empfehlen das deutsche Asterix-<br />

Archiv unter: http://www.comedix.de/<br />

Zu den Kuriosa rund um den Surströmming: http://de.wikipedia.org/wiki/Surströmming<br />

•<br />

120


Pia Wilhelm: Exkursion ins Naturschutzgroßprojekt Pfrunger-Burgweiler Ried<br />

Exkursion ins Naturschutzgroßprojekt<br />

Pfrunger-Burgweiler Ried<br />

Pia Wilhelm<br />

Eine Exkursion führte die Tagungsteilnehmer<br />

ins Pfrunger-Burgweiler<br />

Ried. Bernd Reißmüller, Projektleiter<br />

des Naturschutzgroßprojekts, gab zuerst<br />

eine Einführung in die Zielsetzung<br />

und Organisation des Naturschutzgroßprojekts.<br />

Pia Wilhelm, Leiterin des SHB-<br />

Naturschutzzentrums in Wilhelmsdorf<br />

und Mitarbeiterin der Projektleitung,<br />

stellte den Exkursionsteilnehmern die<br />

Entstehungs- und Nutzungsgeschichte<br />

des zweitgrößten Moores in Südwestdeutschland<br />

vor.<br />

Um dem zu begegnen, wies das<br />

Land Baden-Württemberg bereits 1981<br />

das 800 ha große Naturschutzgebiet<br />

„Pfrunger und Burgweiler Ried“ aus.<br />

Gemeinsam stellten das Land, die<br />

Landkreise Sigmaringen und Ravensburg,<br />

die Gemeinden Ostrach, Wilhelmsdorf,<br />

Königseggwald und Riedhausen<br />

sowie der Schwäbische Heimatbund<br />

beim Bundesamt für Naturschutz<br />

in Bonn den Antrag auf<br />

Im Jahr 2002 wurde das Pfrunger-Burgweiler<br />

Ried in das Förderprogramm des Bundes für „Gebiete<br />

mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung“<br />

aufgenommen, um es vor weiterer Zerstörung<br />

zu bewahren. In Mitleidenschaft gezogen<br />

wurde das Ried vor allem durch die seit dem 19.<br />

Jahrhundert immer weiter vorangetriebene Entwässerung<br />

und die Intensivierung der Landnutzung,<br />

um im von Hungersnot und Armut geschüttelten<br />

württembergischen Landesteil Nahrungsmittel<br />

zu produzieren. Auch der Torfabbau hinterließ<br />

seine Spuren. Große Bereiche von Nieder- und<br />

Hochmoor wurden seit der ersten Hälfte des 19.<br />

Jahrhunderts abgetorft <strong>–</strong> zuerst als Brenn- und<br />

Streutorf, dann vorwiegend als Gartentorf und<br />

Rohstoff für Blumenerde. Die stetige Entwässerung<br />

führte zu massiver Torfsackung und Torfschwund.<br />

Düngung und mehrschürige Mahd führten im 20.<br />

Jahrhundert zum Schwund vieler moortypischer<br />

Tier- und Pflanzenarten.<br />

Abb. 1: Heckrind mit Kalb<br />

Foto: P. Wilhelm<br />

121


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

122<br />

Abb. 2: Vermarktungsleiterin Sabine Behr erläutert den<br />

Exkursionsteilnehmern die extensive Beweidung und<br />

die Vermarktung der „Riedrinder“ Foto: P. Wilhelm<br />

Aufnahme in das Förderprogramm für Naturschutzgroßprojekte.<br />

Die Antragsteller gründeten die Stiftung<br />

Naturschutz Pfrunger-Burgweiler Ried als Trägerin<br />

des gleichnamigen Naturschutzgroßprojekts.<br />

Ein Pflege- und Entwicklungsplan wurde erarbeitet,<br />

und eine landwirtschaftliche Analyse gab Aufschluss<br />

über die Perspektiven der <strong>Landwirtschaft</strong> im Ried<br />

und in den angrenzenden Bereichen.<br />

Die Exkursion führte durch die randlichen, landwirtschaftlich<br />

mehr oder weniger intensiv genutzten<br />

Grünlandbereiche weiter hinein in das Projektkerngebiet<br />

zu einer der sieben Herden von Robustrindern,<br />

die im Rahmen des Naturschutzgroßprojekts<br />

Flächen offenhalten. Die extensive Beweidung wurde<br />

vor allem auf Naturschutzflächen eingeführt, auf<br />

denen eine Mähnutzung nicht mehr wirtschaftlich<br />

durchzuführen ist. Die extensive Beweidung mit maximal<br />

1 GV (= 500 kg Lebendgewicht) pro Hektar<br />

hat den ökologischen Nebeneffekt, dass strukturreiche<br />

dynamische Flächen entstehen, die für Insekten<br />

und insektenfressende Tierarten sehr attraktiv sind.<br />

So kehren z. B. Vogelarten wie Schwarzkehlchen,<br />

Braunkehlchen, Neuntöter, Kiebitze und Bekassinen<br />

wieder, die vom Nahrungsangebot auf den Weiden<br />

profitieren. Die Hufe der Rinder verursachen Störstellen<br />

in der Grasnarbe, die wiederum von neuen<br />

Pflanzenarten besiedelt werden können, die in der<br />

dichten Grasdecke auf gemähten Wiesen keine<br />

Chance hätten, sich durchzusetzen. Sieben Landwirte<br />

wagten das Experiment und stiegen in die extensive<br />

Beweidung ein, die sie zumeist zusätzlich zu<br />

ihren normalen landwirtschaftlichen Betrieben betreiben<br />

und organisieren. Die Landwirte sind für ihre<br />

Tiere eigenverantwortlich und konnten ihre bevorzugte<br />

Rinderrasse frei wählen. Seitens des Großprojekts<br />

gab es im Rahmen einer Vortragsveranstaltung<br />

lediglich Empfehlungen, welche Rassen für eine<br />

ganzjährige Freilandhaltung geeignet sind. So kann<br />

der Riedbesucher nun folgende Rinderrassen im gesamten<br />

Projektgebiet beobachten: Heckrinder (1<br />

Herde), Scottish Highland (2 Herden), Galloway in<br />

verschiedenen Farbschlägen (2 Herden), Pinzgauer<br />

(1 Herde) und Limousin (1 Herde). Diese sieben Herden<br />

stellen auch im Sinne des sanften Tourismus<br />

eine große Bereicherung für das Projektgebiet dar.<br />

Sabine Behr, Leiterin der Vermarktungsinitiative<br />

„Genuss vom Pfrunger-Burgweiler Ried“, stellte das<br />

Vermarktungsprojekt für die „Riedrinder“ vor, das<br />

über das Projekt des Landes zur Förderung von Na-<br />

Abb. 3: Blühende Besenheide Calluna vulgaris am Rand des<br />

Hochmoors Großer Trauben Foto: P. Wilhelm


Pia Wilhelm: Exkursion ins Naturschutzgroßprojekt Pfrunger-Burgweiler Ried<br />

tur und Umwelt (PLENUM), über den regionalen<br />

Landschaftserhaltungsverband Höchsten-Dornacher<br />

Ried, durch die Gemeinde Wilhelmsdorf und die Gemeinde<br />

Ostrach gefördert wird. An der Weide der<br />

Heckrinder wurden ganz praktische Fragen zur Vermarktung<br />

vom Tier auf der Weide bis zum Fleischprodukt<br />

diskutiert, nachdem die Tagungsteilnehmer<br />

die Produkte bereits am Vortag genießen konnten.<br />

Danach ging die Wanderung weiter zum Hochmoor,<br />

wo Projektleiter Bernd Reißmüller die Maßnahmen<br />

zur Wiedervernässung vorstellte. Ein wesentliches<br />

Projektziel ist es, durch Eingriffe in die Entwässerungsstrukturen<br />

(begradigte Bäche, Gräben<br />

und Dränagen) wieder eine naturnahe hydrologische<br />

Entwicklung zu initiieren und dort, wo es möglich ist,<br />

den Grundwasserpegel wieder bis knapp unter Geländeniveau<br />

anzuheben. Hierzu werden auf den von<br />

der Stiftung Naturschutz, vom Land Baden-Württemberg<br />

oder von den Naturschutzverbänden<br />

(Schwäbischer Heimatbund, NABU) erworbenen<br />

Abb. 5: Über ein Pegel-Messnetz werden die Wasser-Abflussmengen<br />

aus dem Moor erfasst Foto: P. Wilhelm<br />

Abb. 7: Der Fünfeckweiher bei Waldbeuren<br />

Foto: P. Wilhelm<br />

Grundstücken Stauwehre eingebaut, um den Wasserabfluss<br />

zu verzögern oder umzuleiten. Ergänzend<br />

hierzu werden die das Grünland durchziehenden<br />

Dränagerohre gekappt und dadurch unwirksam gemacht.<br />

Zwei Teilgebiete, die Hochmoore „Tisch“ und<br />

„Großer Trauben“, wurden bereits 2007 und 2008<br />

wiedervernässt. Nun ist das Durchströmungsmoor<br />

„Obere Schnöden“ an der Reihe, das sich zwischen<br />

den beiden Hochmooren vom Westrand her zur Ostrach<br />

hin neigt. Weitere Teilgebiete werden sich anschließen.<br />

Die Wiedervernässung von Mooren ist<br />

nicht nur ein wichtiger Beitrag zum Naturschutz,<br />

sondern sie ist auch unter Aspekten des Klimaschutzes<br />

von großer Bedeutung, da hierdurch die Emission<br />

großer Mengen an Kohlendioxid verhindert wird.<br />

Am so genannten „Fünfeckweiher“ gab es Informationen<br />

zum Besucherkonzept, das der Verknüpfung<br />

von Naturschutz, Naherholung und Tourismus<br />

dient. Ein attraktives Wegenetz mit Informationstafeln<br />

und Beobachtungsplattformen wird es den Besuchern<br />

aus Nah und Fern ermöglichen, diese ganz<br />

besondere Landschaft hautnah zu erleben, ohne im<br />

Moor zu versinken und ohne besonders empfindliche<br />

Bereiche zu beeinträchtigen.<br />

•<br />

123


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Eindrücke von der Exkursion „<strong>Landwirtschaft</strong><br />

<strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong>“<br />

Exkursion im Landkreis Sigmaringen bei<br />

Ostrach-Waldbeuren<br />

Das Pfrunger-Burgweiler Ried ist das<br />

zweitgrößte zusammenhängende Moorgebiet<br />

in Süddeutschland. Die Exkursion<br />

wurde geleitet von Pia Wilhelm vom SHB-<br />

Naturschutzzentrum Wilhelmsdorf und<br />

Bernd Reißmüller von der Stiftung Naturschutz<br />

Pfrunger-Burgweiler Ried. Des Weiteren<br />

berichtete Sabine Behr von der Vermarktungsinitiative<br />

„Genuss vom Pfrunger-Burgweiler<br />

Ried“, über die extensive Beweidung<br />

im Naturschutzgroßprojekt durch robuste<br />

Rinderrassen. Weitergehende Ausführungen<br />

zur Exkursion finden Sie im Beitrag von Pia<br />

Wilhelm.<br />

Abb. 1: Exkursion im Naturschutzgroßprojekt Pfrunger-Burgweiler Ried<br />

mit den Exkursionsleitern Pia Wilhelm, rechts, und Bernd<br />

Reißmüller<br />

Foto: D. Gotzmann<br />

124<br />

Abb. 2: <strong>Kulturlandschaft</strong> bei Burgweiler<br />

Foto: D. Kölzer


Eindrücke von der Exkursion „<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong>“<br />

Abb. 3: Exkursions-Standort am durch Torfabbau entstandenen Fünfeckweiher<br />

Foto: D. Kölzer<br />

Abb. 4: Extensive Beweidung mit Rindern im Pfrunger-Burgweiler<br />

Ried Foto: D. Gotzmann Abb. 5: Riedlehrpfad Foto: D. Gotzmann<br />

125


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Exkursion im Landkreis Ravensburg<br />

Die Weiher in Oberschwaben sind ein wichtiger<br />

Teil unserer <strong>Kulturlandschaft</strong> und bieten einen<br />

Lebensraum für eine Vielzahl von Pflanzen- und<br />

Tierarten. Unter der Leitung von Prof. Dr. Werner<br />

Konold, Albrecht Trautmann und Anton Jung fand<br />

eine Bus-Exkursion im Landkreis Ravensburg mit<br />

Besichtigung mehrerer Weiher und Seen statt.<br />

Neben einer Einführung in die historische Weiherwirtschaft<br />

in Oberschwaben, wurde den Exkursionsteilnehmern<br />

die Naturschutzbedeutung sowie<br />

die Sanierung und Bewirtschaftung oberschwäbischer<br />

Weiher erläutert.<br />

126<br />

Abb. 6 + 7: Vesper im Bauernhaus-Museum Wolfegg. Hierbei wurden Forellen von Anton Jung, dem größten Teichbewirtschafter<br />

der Region, verkostet<br />

Fotos: D. Kölzer


Eindrücke von der Exkursion „<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong>“<br />

Abb. 8: Nutzgärten im Bauernhaus-Museum Wolfegg<br />

Foto: D. Kölzer<br />

Abb. 9: Diskussionsrunde am Stockweiher bei Wolfegg<br />

Foto: D. Gotzmann<br />

127


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Abb. 10: Der Rohrsee bei Bad Wurzach <strong>–</strong> ein klassischer Flachsee, in dem Fischzucht betrieben wird<br />

Foto: D. Kölzer<br />

Obstbrandverkostung<br />

Bei einer Obstbrandverkostung erfuhren die Tagungsteilnehmer<br />

Wissenswertes über die Herkunft<br />

und den Werdegang des Obstes, das Brennverfahren<br />

und die Unterschiede von Bränden, Wässern<br />

und Geisten. Kontakt: info@edelbrände-metzler.de<br />

•<br />

128<br />

Abb. 11: Destillateurmeister und Brenner Andreas Metzler<br />

bei der Verkostung<br />

Foto: A. Metzler


Autorenverzeichnis<br />

Autorenverzeichnis<br />

Behr, Sabine<br />

Vermarktungsinitiative „Genuss vom Pfrunger-<br />

Burgweiler Ried“<br />

Höhreute 10, 88271 Wilhelmsdorf<br />

E-Mail: behrsa@web.de<br />

Börnsen, Wolfgang<br />

Bund Heimat und Umwelt in Deutschland<br />

Adenauerallee 68, 53113 Bonn<br />

Büchele, Dr. Manfred<br />

Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee<br />

Schuhmacherhof 6, 88213 Ravensburg<br />

E-Mail: buechele@kob-bavendorf.de<br />

Bürckmann, Hannes<br />

neuland+<br />

Tourismus-, Standort-, <strong>Regionale</strong>ntwicklung<br />

GmbH & Co. KG<br />

Esbach 6, 88326 Aulendorf<br />

E-Mail: buerckmann@neulandplus.de<br />

Ermischer, Dr. Gerhard<br />

Archäologisches Spessartprojekt<br />

Treibgasse 3, 63739 Aschaffenburg<br />

E-Mail: ermischer@spessartprojekt.de<br />

Gotzmann, Dr. Inge<br />

Bund Heimat und Umwelt in Deutschland<br />

Adenauerallee 68, 53113 Bonn<br />

E-Mail: inge.gotzmann@bhu.de<br />

Griesinger, Fritz-Eberhard<br />

Schwäbischer Heimatbund e.V.<br />

Weberstraße 2, 70182 Stuttgart<br />

E-Mail: info@schwaebischer-heimatbund.de<br />

Gundelach, Dr. Herlind<br />

Bund Heimat und Umwelt in Deutschland<br />

Adenauerallee 68, 53113 Bonn<br />

Holterman, Dr. Dirk<br />

Gundermannschule<br />

Kirchstr. 26<strong>–</strong>28, 53343 Wachtberg-Adendorf<br />

E-Mail: dirk@holterman.de<br />

Holzberger, Dr. Rudi<br />

LandZunge<br />

Panoramastraße 32, 88284 Wolpertswende<br />

E-Mail: holzberger@landzunge.info<br />

Holzhausen, Jürgen<br />

Biosphärenreservat Rhön, Verwaltung Thüringen<br />

Propstei Zella<br />

Goethestraße 1, 36452 Zella/Rhön<br />

E-Mail: Juergen.Holzhausen@br-np.thueringen.de<br />

Jung, Anton<br />

Teich- und Seenfischerei<br />

Brunnen, 88353 Kißlegg<br />

E-Mail: fischjung@t-online.de<br />

Kölzer, Daniel<br />

Bund Heimat und Umwelt in Deutschland<br />

Adenauerallee 68, 53113 Bonn<br />

E-Mail: daniel.koelzer@bhu.de<br />

Konold, Prof. Dr. Werner<br />

Institut für Landespflege<br />

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg<br />

Tennenbacher Straße 4, 79106 Freiburg<br />

E-Mail: werner.konold@landespflege.uni-freiburg.de<br />

129


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Krieglstein, Bruno<br />

Ministerium für Ländlichen Raum, Ernährung<br />

und Verbraucherschutz Baden-Württemberg<br />

Referat 22 <strong>–</strong> Vermarktung, Marketing, Ernährungswirtschaft<br />

-<br />

Kernerplatz 10, 70182 Stuttgart<br />

E-Mail: bruno.krieglstein@mlr.bwl.de<br />

Küster, Prof. Dr. Hansjörg<br />

Nienburger Straße 17, 30167 Hannover<br />

E-Mail: kuester@geobotanik.uni-hannover.de<br />

Miller, Ulfried<br />

Geschäftsführer des BUND Ravensburg<br />

Leonhardstr. 1, 88212 Ravensburg<br />

E-Mail: bund.ravensburg@bund.net<br />

Pasta, Rainer<br />

Wir im Labertal<br />

Wittelbacher Straße 3, 94333 Geiselhöring<br />

E-Mail: rainer.pasta@freenet.de<br />

Trautmann, Albrecht<br />

PRO REGIO Oberschwaben GmbH<br />

Frauenstraße 4, 88212 Ravensburg<br />

E-Mail: albrecht.trautmann@landkreis-ravensburg.de<br />

Wilhelm, Pia<br />

SHB-Naturschutzzentrum Pfrunger-Burgweiler<br />

Ried<br />

Riedweg 3, 88271 Wilhelmsdorf<br />

E-Mail: wilhelm@schwaebischer-heimatbund.de<br />

130


Anschriften<br />

Anschriften BHU und Landesverbände<br />

Bund Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU)<br />

Bundesverband für Natur- und Denkmalschutz,<br />

Landschafts- und Brauchtumspflege e. V.<br />

Adenauerallee 68, 53113 Bonn<br />

Tel. (02 28) 22 40 91, Fax (02 28) 21 55 03<br />

E-Mail: bhu@bhu.de, Internet: www.bhu.de<br />

Bankverbindung: Kreissparkasse Köln<br />

Konto 100 007 855, BLZ 370 502 99<br />

Präsidentin: Senatorin Dr. Herlind Gundelach<br />

Bundesgeschäftsführerin: Dr. Inge Gotzmann<br />

BHU-Landesverbände<br />

Landesverein Badische Heimat e. V.<br />

Landesvorsitzender: Regierungspräsident a. D.<br />

Dr. Sven von Ungern-Sternberg<br />

Geschäftsführer: Karl Bühler<br />

Hansjakobstraße 12, 79117 Freiburg i. Br.<br />

Tel. (07 61) 73 72 4, Fax (07 61) 70 75 50 6<br />

E-Mail: info@badische-heimat.de<br />

Internet: www.badische-heimat.de<br />

Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e. V.<br />

1. Vorsitzender: Landtagspräsident a. D.<br />

Johann Böhm<br />

Geschäftsführer: Martin Wölzmüller<br />

Ludwigstraße 23, 80539 München<br />

Tel. (0 89) 28 66 29 0, Fax (0 89) 28 24 34<br />

E-Mail: info@heimat-bayern.de<br />

Internet: www.heimat-bayern.de<br />

Verein für die Geschichte Berlins gegr. 1865 e. V.<br />

Vorsitzender: Dr. Manfred Uhlitz<br />

Geschäftsstelle: Henning Nause<br />

Lichterfelder Ring 103, 12279 Berlin<br />

E-Mail: nause@DieGeschichteBerlins.de<br />

Internet: www.DieGeschichteBerlins.de<br />

Bremer Heimatbund <strong>–</strong> Verein für Niedersächsisches<br />

Volkstum e. V.<br />

Vorsitzer: Wilhelm Tacke<br />

Geschäftsführer: Karl-Heinz Renken<br />

Friedrich-Rauers-Straße 18, 28195 Bremen<br />

Tel. (04 21) 30 20 50<br />

Verein Freunde der Denkmalpflege e. V.<br />

(Denkmalverein Hamburg)<br />

Vorsitzender: Helmuth Barth<br />

Alsterchaussee 13, 20149 Hamburg,<br />

Tel. (0 40) 41 35 41 52<br />

E-Mail: info@denkmalverein.de<br />

Internet: www.denkmalverein.de<br />

Gesellschaft für Kultur- und Denkmalpflege <strong>–</strong><br />

Hessischer Heimatbund e. V.<br />

Vorsitzende: Dr. Cornelia Dörr<br />

Geschäftsführerin: Dr. Irene Ewinkel<br />

Gutenbergstraße 3, 35037 Marburg<br />

Tel. und Fax (0 64 21) 68 11 55<br />

E-Mail: info@hessische-heimat.de<br />

Internet: www.hessische-heimat.de<br />

Lippischer Heimatbund e. V.<br />

Vorsitzender: Bürgermeister a. D. Friedrich Brakemeier<br />

Geschäftsführer: Burkhard Meier<br />

Felix-Fechenbach-Straße 5 (Kreishaus), 32756 Detmold<br />

Tel. (0 52 31) 62 79 11/-12, Fax (0 52 31) 62 79 15<br />

E-Mail: info@lippischer-heimatbund.de<br />

Internet: www.lippischer-heimatbund.de<br />

Landesheimatverband Mecklenburg-<br />

Vorpommern e. V.<br />

Präsident: Prof. Dr. Horst Wernicke<br />

Geschäftsführer: Karl-Ludwig Quade<br />

Friedrichstraße 12, 19055 Schwerin<br />

Tel. (03 85) 59 08 30, Fax (03 85) 59 08 31 5<br />

E-Mail: lhv-sn@landesheimatverband-mv.de und<br />

lhv-nb@landesheimatverband-mv.de<br />

Internet: www.landesheimatverband-mv.de<br />

131


<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Kulturlandschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Regionale</strong> <strong>Esskultur</strong><br />

Niedersächsischer Heimatbund e. V.<br />

Präsident: Prof. Dr. Hansjörg Küster<br />

Geschäftsführer: Dr. Wolfgang Rüther<br />

Landschaftstraße 6 A, 30159 Hannover, Tel. (05 11)<br />

36 81 25 1, Fax (05 11) 36 32 78 0<br />

E-Mail: heimat@niedersaechsischer-heimatbund.de<br />

Internet: www.niedersaechsischer-heimatbund.de<br />

Rheinischer Verein für Denkmalpflege und<br />

Landschaftsschutz e. V.<br />

Vorsitzender: Landrat Frithjof Kühn<br />

Geschäftsführerin: Dr. Heike Gregarek<br />

Ottoplatz 2, 50679 Köln<br />

Tel. (02 21) 80 92 80 4/-05, Fax (02 21) 80 92 14 1<br />

E-Mail: gregarek@rheinischer-verein.de<br />

Internet: www.rheinischer-verein.de<br />

Institut für Landeskunde im Saarland e. V.<br />

Direktor: apl. Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne<br />

Zechenhaus, Am Bergwerk Reden 11,<br />

66578 Schiffweiler<br />

Tel. (0 68 21) 9 14 66 30, Fax (0 68 21) 9 14 66 40<br />

E-Mail: institut@iflis.de<br />

Internet: www.iflis.de<br />

Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V.<br />

Präsident: Prof. Dr. habil. Konrad Breitenborn<br />

Geschäftsführer: Dr. Jörn Weinert<br />

Magdeburger Straße 21, 06112 Halle (Saale)<br />

Tel. (03 45) 29 28 60, Fax (03 45) 29 28 62 0<br />

E-Mail: info@lhbsa.de<br />

Internet: lhbsa.de<br />

Landesverein Sächsischer Heimatschutz e. V.<br />

Vorsitzender: Prof. Dr. Hans-Jürgen Hardtke<br />

Geschäftsführerin: Susanna Sommer<br />

Wilsdruffer Straße 11/13, 01067 Dresden<br />

Tel. (03 51) 49 56 15 3, Tel./Fax (03 51) 49 51 55 9<br />

E-Mail: landesverein@saechsischer-heimatschutz.de<br />

Internet: www.saechsischer-heimatschutz.de<br />

Schleswig-Holsteinischer Heimatbund e. V.<br />

Vorsitzende: Jutta Kürtz<br />

Geschäftsführer: Dirk Wenzel<br />

Hamburger Landstraße 101, 24113 Molfsee<br />

Tel. (04 31) 98 38 40, Fax (04 31) 98 38 42 3<br />

E-Mail: info@heimatbund.de<br />

Internet: www.heimatbund.de<br />

Schwäbischer Heimatbund e. V.<br />

Vorsitzender: Fritz-Eberhard Griesinger<br />

Geschäftsführer: Dr. Siegfried Roth<br />

Weberstraße 2, 70182 Stuttgart<br />

Tel. (07 11) 23 94 20, Fax (07 11) 23 94 24 4<br />

E-Mail: info@schwaebischer-heimatbund.de<br />

Internet: www.schwaebischer-heimatbund.de<br />

Heimatbund Thüringen e. V.<br />

Vorsitzender: Dr. Burkhardt Kolbmüller<br />

Geschäftsführerin: Barbara Umann<br />

Hinter dem Bahnhof 12, 99427 Weimar<br />

Tel. (0 36 43) 77 91 92, Fax (0 36 43) 49 19 45<br />

E-Mail: info@heimatbund-thueringen.de<br />

Internet: www.heimatbund-thueringen.de<br />

Westfälischer Heimatbund e. V.<br />

Vorsitzender: Landesdirektor Dr. Wolfgang Kirsch<br />

Geschäftsführerin: Dr. Edeltraud Klueting<br />

Kaiser-Wilhelm-Ring 3, 48145 Münster<br />

Tel. (02 51) 20 38 10 0, Fax (02 51) 20 38 10 29<br />

E-Mail: westfaelischerheimatbund@lwl.org<br />

Internet: www.westfaelischerheimatbund.de<br />

gegenseitige Mitgliedschaft:<br />

Deutsche Burgenvereinigung e. V.<br />

Präsident: Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Sayn<br />

Geschäftsführer: Gerhard A. Wagner<br />

Marksburg, 56338 Braubach am Rhein<br />

Tel. (0 26 27) 53 6, Fax (0 26 27) 88 66<br />

E-Mail: dbv.marksburg@deutsche-burgen.org<br />

Internet: www.deutsche-burgen.org<br />

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