Download - KAROLA - Internationaler Treffpunkt für Frauen und ...
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„Bei uns ist es so.“<br />
Ein Vorwort von Marily Stroux<br />
S. kommt rein <strong>und</strong> ruft schon beim Tür aufmachen:<br />
„Schääätzchen! Ich brauch dich!“<br />
Sie hält eine Rechnung in der Hand, die sie dann sofort, mit einer <strong>für</strong> sie befreienden Geste,<br />
auf den Schreibtisch von Regina <strong>und</strong> Christine legt. Wie eine heiße Kartoffel oder wie ein<br />
Ball, der wandern soll.<br />
„Guck mal Schätzchen, Wasserrechnung so hoch! Ruf da an, biiiiteeeee.“<br />
Frau P. beim Sozialamt versteht nicht, wie eine einzige Familie soviel Wasserverbrauch haben<br />
kann. Sie fragt S. <strong>und</strong> die antwortet:<br />
„Bei uns ist es so!“<br />
Wir möchten mit dem Buch mitteilen, was wir mit den <strong>Frauen</strong> erleben, die bei <strong>KAROLA</strong> zum<br />
Teil neu, zum Teil seit vielen Jahren, zum Teil in zweiter Generation am Unterricht teilnehmen<br />
oder hier ihre Freizeit verbringen. Oder sie kommen spontan vorbei, um akute Probleme mit<br />
Behörden zu besprechen <strong>und</strong> <strong>KAROLA</strong> als Puffer zu nutzen. Bei den Gesprächen versuchen<br />
wir Dinge nachzuvollziehen, wenn wir Fragen stellen, die nicht anderes beantwortet werden<br />
können, als mit der immer wiederkehrenden Antwort:<br />
„Bei uns ist es so!“<br />
In diesem Punkt werden Roma-<strong>Frauen</strong>, aber auch Männer oft<br />
missverstanden. Die „anderen“ vermuten, dass sie starr an einer<br />
Minderheitskultur aus anderen Ländern festhalten wollen, die nicht<br />
kompatibel wäre mit dem Leben in Deutschland 2012.<br />
Aber das „Bei uns!“ ist kein geographischer Ort, kein Land.<br />
Roma wurden <strong>und</strong> werden immer vertrieben. Sie sind, egal in welchem<br />
Land sie wie lange leben, nicht willkommen. Müssen um ihr<br />
Bleiberecht kämpfen, auch wenn sie in dem Land, in dem sie leben,<br />
geboren <strong>und</strong> aufgewachsen sind. Als Roma in Hamburg geboren,<br />
hängt dein Bleiberecht von Arbeit <strong>und</strong> Ausbildung ab.<br />
Und dann werden die Leute gezwungen zu flüchten in ein „Bei uns“.<br />
Wo sie wissen, dass sie willkommen, zu Hause sind. Angenommen<br />
werden, so wie sie sind. Und dieser Ort ist die Familie.<br />
Die Großfamilien der Roma, mit ihren<br />
Traditionen, ihren eigenen Ritualen.<br />
Trotz des ständigen Gefühls, hier, egal<br />
wo dieses hier ist - ob Deutschland,<br />
Frankreich, Griechenland oder Serbien<br />
- auch in dritter Generation nicht dazuzugehören,<br />
schaffen die Menschen es<br />
langsam <strong>und</strong> gegen alle Hindernisse,<br />
die ihnen in den Weg gelegt werden,<br />
weiterzukommen.<br />
Ein Beispiel ist der, in diesem Buch geäußerte<br />
Wunsch aller <strong>Frauen</strong>, die am<br />
Schreib- <strong>und</strong> Lesekurs teilnehmen,<br />
dass ihre Kinder unbedingt zur Schule<br />
gehen sollen.<br />
Als ein Teil derer, die sich den „Bei<br />
uns“ sehr nah fühlt, haben wir beschlossen, mit den <strong>Frauen</strong> Gespräche über ihren Alltag,<br />
über das, was sie „bei uns“ nennen, zu führen. Gespräche, die wir miteinander seit Jahren<br />
täglich führen, in eine konzentrierte Form zu bringen <strong>und</strong> daraus ein Buch zu machen, um<br />
den Menschen, die nur wenig oder gar keinen Kontakt zu Roma haben, Verständnis aufzubauen<br />
<strong>und</strong> vielleicht auch den Mut zu finden, einen Schritt auf die <strong>Frauen</strong> zu zugehen <strong>und</strong><br />
eigene Gespräche anzufangen.<br />
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