Frankfurt in Takt Frankfurt in Takt - HfMDK Frankfurt
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10 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Das Andere stärkt das Eigene<br />
Ohne <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Vernetzung bleiben Musik wie musikalische (Aus-)Bildung Stückwerk<br />
Von Gerhard R. Koch, bis 2003 Musikredakteur<br />
der <strong>Frankfurt</strong>er Allgeme<strong>in</strong>en Zeitung<br />
Vor e<strong>in</strong>igen Jahren erzählte e<strong>in</strong> renommierter Musikwissenschaftler<br />
e<strong>in</strong>er großen deutschen Universität: Er habe e<strong>in</strong> Sem<strong>in</strong>ar über die<br />
Messen Joseph Haydns angekündigt – und sich gewundert, wie<br />
wenige Anmeldungen e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>gen. Bei den Studierenden stieß er auf<br />
folgende Gründe für das Des<strong>in</strong>teresse: Haydn möge ja e<strong>in</strong> bedeutender<br />
Komponist se<strong>in</strong>, se<strong>in</strong>e historische Rolle für die Entwicklung<br />
von S<strong>in</strong>fonie und Streichquartett unbestritten. Doch se<strong>in</strong>e Messen<br />
seien wenig bekannt, also vermutlich eher Nebenwerke, mit denen<br />
man sich nicht unbed<strong>in</strong>gt beschäftigen müsse. Se<strong>in</strong> Argument,<br />
gerade mit dem Unvertrauten solle man sich befassen, zumal es<br />
gerade bei großen Künstlern schwer, ja bisweilen unstatthaft sei,<br />
Zentrales und angeblich Peripheres sauber separieren zu wollen,<br />
fruchtete kaum. Dann hieß es, der Messe-Text sei schließlich<br />
late<strong>in</strong>isch; man habe zwar die obligaten Grundkenntnisse, aber das<br />
Ganze sei doch mühsam. Se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wand, das Messe-Late<strong>in</strong> sei nicht<br />
übermäßig kompliziert, zudem gebe es gute Übersetzungen, verf<strong>in</strong>g<br />
ebenfalls nicht. Massiver war der andere Vorbehalt: Mit den<br />
christlichen Inhalten, um die es <strong>in</strong> der Messe g<strong>in</strong>g, habe man nichts<br />
mehr im S<strong>in</strong>n. Darauf der Professor: Er sei völlig areligiös; gleichwohl<br />
sei nun e<strong>in</strong>mal die Geschichte der europäischen, eurozentrischen<br />
Hochkultur, also auch der Musik sogar noch bis <strong>in</strong>s 19.<br />
Jahrhundert durch christliche Themen bestimmt. Bei jeder<br />
Kirchenbesichtigung, jedem Museumsbesuch würde man darauf<br />
stoßen. Antwort: Aus Kirchen oder Museen mache man sich auch<br />
nichts.<br />
Die Erzählung, offenkundig aus der Enttäuschung heraus satirisch<br />
überspitzt, provoziert natürlich Widerspruch. Selbstverständlich<br />
gibt es andere Blicke auf die Kunst als den oft engen, ja kunstfremden<br />
des wissenschaftlichen Historikers. Musik- und Theaterstudien<br />
s<strong>in</strong>d eher praxisorientiert. Vor allem aber: Das „christliche Abendland“,<br />
der Werte-Kanon des deutschen Bildungsbürgertums s<strong>in</strong>d im<br />
21. Jahrhundert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er multikulturellen Gesellschaft nicht mehr<br />
Maß aller D<strong>in</strong>ge. Schon wer aus christlich-orthodoxen, jüdischen,<br />
muslimischen oder buddhistischen Traditionen kommt, br<strong>in</strong>gt ganz<br />
andere Perspektiven, auch auf Kunst, mit. Ganz abgesehen von<br />
zunehmend liberal-freigeistigen wie atheistischen Tendenzen.<br />
Insofern ist das erwähnte Beispiel selber schon historisch, ja<br />
anachronistisch. In ihrer Gesamtheit haben sie e<strong>in</strong>en heilsamen<br />
Effekt: Der, nicht zuletzt deutsche, Glaube an hehre „Kunstreligion“,<br />
Konzert oder Theater als Gottesdienst-Ersatz, der Kult des „Erhabenen“<br />
ist im Schw<strong>in</strong>den, und auch die „Meisterwerke“ der Klassik<br />
s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>em Entmythologisierungs-Prozess unterworfen. Liest man<br />
ältere Texte etwa über Beethoven, so ist kaum mehr nachvollziehbar,<br />
wer oder was damit geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong> sollte. Dass der Zug zur<br />
Versachlichung durch den neokonservativen Trend zu „Größe“,<br />
„Würde“, „Weihe“ – wie ihn etwa der Dirigent Christian Thielemann<br />
repräsentiert – konterkariert wird, versteht sich.<br />
von oben nach unten:<br />
E<strong>in</strong> Stummfilm-Projekt mit Filmmusik im Kle<strong>in</strong>en Saal der <strong>HfMDK</strong>.<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>äre Performance im Rahmen des ersten<br />
Symposions „THE ARTIST`S BODY“ im Herbst 2009. Foto: Udo Hesse<br />
E<strong>in</strong> prom<strong>in</strong>entes Beispiel spartenübergreifender Bühnenpräsentation:<br />
Aloys Kontarsky als Begleitpianist zu e<strong>in</strong>em Stummfilm. Im H<strong>in</strong>tergrund<br />
die Projektion e<strong>in</strong>er Collage aus F. W. Murnaus „Nosferatu – E<strong>in</strong>e<br />
Symphonie des Grauens“, produziert vom Schweizer Fernsehen DRS.<br />
Leistung als Gebot der Stunde<br />
Gleichwohl heißt „Leistung“ das Gebot der Stunde: Das Normative<br />
der Feier des Kunstwerkes ist zur Norm der Aufführungs-Perfektion<br />
mutiert. Dieses Rad zurückdrehen zu wollen, ist so unmöglich wie<br />
uns<strong>in</strong>nig: Ke<strong>in</strong>e Hochschule würde es sich heute leisten wollen oder<br />
auch können, technische Standards zugunsten om<strong>in</strong>öser „Tiefe“<br />
oder „persönlicher Aussage“ h<strong>in</strong>tanzustellen. Neu ist die Entwicklung<br />
natürlich nicht, denn auch früher galt zuverlässiges Funktionieren<br />
des Apparates als wesentliches Kriterium. Und ke<strong>in</strong>eswegs<br />
zufällig haben die gerne geschmähten „Achtundsechziger“ die<br />
Exponenten professioneller Selbstgenügsamkeit als „Fachidioten“<br />
kritisiert, die über ihrem Expertentum den Rest der Welt – künstlerisch<br />
aber auch politisch – vergaßen.