Frankfurt in Takt Frankfurt in Takt - HfMDK Frankfurt
Frankfurt in Takt Frankfurt in Takt - HfMDK Frankfurt
Frankfurt in Takt Frankfurt in Takt - HfMDK Frankfurt
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
30 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
CuP<br />
Der Studiengang Choreographie und Performance (CuP)<br />
wurde als Kooperationsstudiengang der Justus-Liebig-<br />
Universität Gießen (JLU) und der Hochschule für Musik und<br />
Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> (<strong>HfMDK</strong>) von<br />
Prof. He<strong>in</strong>er Goebbels und Prof. Dieter Heitkamp entwickelt.<br />
Angesiedelt ist er am Institut für Angewandte Theater-<br />
wissenschaft <strong>in</strong> Gießen. Bis Ende 2010 wird er noch von<br />
Tanzlabor_21, e<strong>in</strong>em Projekt der Kulturstiftung des Bundes,<br />
im Rahmen des Tanzplans Deutschland f<strong>in</strong>anziert. Für das<br />
kommende Jahr hat die JLU die F<strong>in</strong>anzierung übernommen.<br />
Ob der Studiengang über die bewilligten drei Jahre h<strong>in</strong>aus<br />
weitergeführt werden wird, steht zurzeit noch nicht fest.<br />
Fest steht aber, dass er schon jetzt e<strong>in</strong>e wichtige Rolle im<br />
Konzert der drei Tanzstudiengänge <strong>in</strong> der Region spielt.<br />
Wer sich um e<strong>in</strong>en Studienplatz bei CuP bewirbt, ist nicht <strong>in</strong><br />
erster L<strong>in</strong>ie an der Perfektionierung von Tanztechniken oder<br />
an der Vermittlung tanzpädagogischer Konzepte <strong>in</strong>teressiert.<br />
CuP bietet vielmehr e<strong>in</strong> die Tanz- und Aufführungspraxis<br />
reflektierendes Studium, das die Frage nach der Aktualität<br />
von Tanz und se<strong>in</strong>er Umsetzung auf der Bühne immer wieder<br />
neu und anders stellen muss. Dass der Studiengang zwischen<br />
den Hochschulen angesiedelt ist, bietet für die Studierenden<br />
die Chance, die Lehrangebote beider Institutionen zu nutzen<br />
und sich auf ihre Studienleistungen anrechnen zu lassen. Dies<br />
erlaubt verschiedene und differenzierte Ausrichtungen und<br />
Schwerpunktsetzungen <strong>in</strong>nerhalb des Lehrplans, die den<br />
eigenen Interessen der Studierenden gerecht werden können.<br />
Zwischen den Künsten<br />
Seit se<strong>in</strong>er Entwicklung an den oberitalienischen Fürstenhöfen war<br />
der Tanz als Kunstform e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Phänomen. So g<strong>in</strong>gen<br />
<strong>in</strong>s Hofballett der französischen und englischen Könige im 16. und<br />
17. Jahrhundert ebenso Dialoge e<strong>in</strong> wie aufwendig gestaltete<br />
Bühnenmasch<strong>in</strong>en, musikalische Darbietungen und getanzte<br />
Figuren, die allesamt Teile e<strong>in</strong>er Handlung waren. Erst die Purifikati-<br />
onen der Modernen seit der Wende zum 20. Jahrhundert haben<br />
den Tanz auf se<strong>in</strong>e verme<strong>in</strong>tlich eigentlichen, der Kunstform<br />
spezifischen Mittel zu reduzieren versucht. Dabei spielte es ke<strong>in</strong>e<br />
Rolle, ob es sich um den freien Tanz e<strong>in</strong>er Isadora Duncan, den<br />
absoluten Tanz e<strong>in</strong>er Mary Wigman, George Balanch<strong>in</strong>es Revolution<br />
des klassischen Balletts oder Merce Cunn<strong>in</strong>ghams von Zufallspr<strong>in</strong>-<br />
zipien geleitete Arbeiten handelte. Tanz durfte nicht mehr se<strong>in</strong> als<br />
die Bewegung von Körpern <strong>in</strong> Raum und Zeit. Dagegen steht e<strong>in</strong>e<br />
andere Traditionsl<strong>in</strong>ie der Moderne, die neben der Revuetänzer<strong>in</strong><br />
Loie Fuller und ihren Experimenten mit elektrischem Licht auch<br />
Oskar Schlemmers raumplastische Figuren und die Gesamtkunst-<br />
werke des Ballets Russes be<strong>in</strong>haltet. Doch sowohl Waslaw Nij<strong>in</strong>sky<br />
als auch Isadora Duncan haben sich für ihre revolutionären Bewe-<br />
gungssprachen bei der bildenden Kunst bedient. Griechische<br />
Vasenbilder und ägyptische Reliefs standen Pate für ihre die Kon-<br />
ventionen sprengenden Bewegungskonzepte. Nimmt man diese<br />
E<strong>in</strong>sicht ernst, so folgt daraus, dass der Körper e<strong>in</strong> kulturelles<br />
Konstrukt ist, dessen physiologische Möglichkeiten immer im Dialog<br />
mit der kulturellen Sphäre erfahrbar werden und Bedeutung erlan-<br />
gen. E<strong>in</strong> solches Körperverständnis, das auf Essenzialismen verzich-<br />
tet, macht e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Arbeiten geradezu notwendig.<br />
Ist der Körper selbst das Resultat gesellschaftlicher Diskurse und<br />
Praktiken, so existiert er nie ohne Bilder, Texte und technische<br />
Apparate, die ihn durch Repräsentationsmuster unterschiedlicher<br />
Art hervorbr<strong>in</strong>gen und darstellen.<br />
Für die Arbeit am Master-Studiengang „Choreographie und Perfor-<br />
mance“ bedeutet das, jene medial erzeugten Repräsentationen des<br />
Körpers zu untersuchen. Der Körper selbst ist <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är. Tanz als<br />
Bühnenform ist daher nicht von Entwicklungen <strong>in</strong> der bildenden<br />
Kunst, dem Theater oder der Musik isoliert zu betrachten. Bild, Text,<br />
Klang, Raum und Licht s<strong>in</strong>d ebenso Mittel, die den Studierenden zur<br />
Verfügung stehen, um über den Körper nachzudenken, wie die<br />
Bewegung selbst. Auch wenn, wie <strong>in</strong> L<strong>in</strong>dheimers Projekt, über weite<br />
Strecken nicht getanzt wird, bleibt der Körper und dessen Potenzial<br />
zur Bewegung doch das Zentrum ihres Interesses. Vor diesem<br />
H<strong>in</strong>tergrund entstehen Stücke, die nicht mehr, wie <strong>in</strong> der Moderne,<br />
aufs Absolute zielen, sondern sich als körperliche Interventionen <strong>in</strong><br />
aktuelle gesellschaftliche Diskurse und tanzrelevante Fragestellungen<br />
verstehen. In diesem S<strong>in</strong>ne ist Choreographie auch immer als soziale<br />
Choreographie zu verstehen, die die körperlichen Verhaltensmuster<br />
der Menschen <strong>in</strong> gesellschaftlichen Kontexten zu ihrem Gegenstand<br />
macht.<br />
Zwischen Theorie und Praxis<br />
Vielleicht die größte <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Herausforderung für den<br />
Studiengang ist die Brücke, die er zwischen Theorie und Praxis<br />
schlägt. Auch die Theorie ist e<strong>in</strong>e Praxis, e<strong>in</strong>e Praxis des Denkens, die<br />
regelmäßig ausgeführt und geübt werden muss. Das unterscheidet<br />
sie also nicht von der praktischen Arbeit im Studio oder auf der<br />
Probebühne, die ebenfalls des Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bedarf. Vom Denker und<br />
Forscher zum Macher und Choreographen zu werden, bedeutet,<br />
traditionelle Grenzen der Diszipl<strong>in</strong>en und der Tätigkeitsfelder h<strong>in</strong>ter<br />
sich zu lassen. Beides zusammen zu lernen, ermöglicht es den<br />
Studierenden, die Selbstverständlichkeiten des e<strong>in</strong>en Feldes durch<br />
das andere Feld <strong>in</strong> Frage zu stellen. Aufführungskonventionen können<br />
ebenso wie habitualisierte Wahrnehmungsweisen als solche erkannt<br />
und <strong>in</strong> Frage gestellt werden. Im Vorfeld nicht zu wissen, wie das<br />
Stück, an dem man gerade arbeitet, aussehen wird, sondern immer<br />
wieder andere Formen zu f<strong>in</strong>den, die sich aus den eigenen Fragen an<br />
den Tanz ergeben, machen aus der künstlerischen Praxis e<strong>in</strong>e Art<br />
Forschung an den Möglichkeiten von Tanz und Theater. Praxis ist <strong>in</strong><br />
diesem S<strong>in</strong>ne theoretisierbar, während sich umgekehrt die Theorie<br />
aufgrund praktischer Ause<strong>in</strong>andersetzungen verändern wird. E<strong>in</strong>e<br />
solche Grenzüberschreitung bietet die Chance, genauer zu wissen,