14.11.2012 Aufrufe

Frankfurt in Takt Frankfurt in Takt - HfMDK Frankfurt

Frankfurt in Takt Frankfurt in Takt - HfMDK Frankfurt

Frankfurt in Takt Frankfurt in Takt - HfMDK Frankfurt

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

24 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Mit dem Mut zum Tabu-Bruch<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität und Instrumentalpädagogik<br />

Von Gerhard Mantel, Prof. em. für Violoncello an der <strong>HfMDK</strong><br />

Lernen ist Verknüpfen, Vergleichen und E<strong>in</strong>prägen. Da zum Verglei-<br />

chen immer m<strong>in</strong>destens zwei Gegenstände (zwei E<strong>in</strong>drücke,<br />

Aspekte, Methoden etc.) erforderlich s<strong>in</strong>d, stellt sich nicht die<br />

Frage, ob Interdiszipl<strong>in</strong>arität als „Pflicht oder Kür“ anzusehen sei,<br />

so als ob es im Ermessen des Lernenden oder Lehrenden stünde,<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität zu akzeptieren oder zu ignorieren. E<strong>in</strong>e gewisse<br />

„Interdiszipl<strong>in</strong>arität“, wenn man den Begriff etwas weiter fasst, ist<br />

vielmehr e<strong>in</strong> Aspekt jedes erfolgreichen Lernprozesses.<br />

Andererseits bedarf es e<strong>in</strong>es geistigen, ja sogar emotionalen<br />

Aufwands, um künstlerisch wirksame Methoden von anderen<br />

Instrumenten, anderen pädagogischen Feldern <strong>in</strong> analoge Bezie-<br />

hung zu setzen zur eigenen Arbeit. Wie kl<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> bestimmter<br />

Flöten-Ansatz auf e<strong>in</strong>em Cello? Wie kann e<strong>in</strong> Pianist e<strong>in</strong> Crescendo<br />

des Streichers simulieren? Wie macht e<strong>in</strong> Cembalist e<strong>in</strong>en Akzent?<br />

Wie imitiere ich als Streicher die klare Anschlags-Artikulation e<strong>in</strong>es<br />

Tasten<strong>in</strong>struments? Kann ich e<strong>in</strong>e Übemethode von e<strong>in</strong>em anderen<br />

Instrument übernehmen? Warum berührt mich der Vortrag e<strong>in</strong>es<br />

Sängers, das Spiel des „fremden“ Instrumentalisten?<br />

Solche Fragen müssen allerd<strong>in</strong>gs zuerst e<strong>in</strong>mal gestellt werden.<br />

Von dem bedeutenden britischen Mathematiker Georg Cantor<br />

stammt der Satz: „In mathematics the art of propos<strong>in</strong>g a question<br />

must be held of higher value than solv<strong>in</strong>g it“. Diesen Satz können<br />

wir ohne weiteres für unsere Kunst übernehmen. Fragen und die<br />

vielleicht zunächst nur vorläufigen Antworten br<strong>in</strong>gen übergeord-<br />

nete E<strong>in</strong>sichten, erweitern unser methodisches Arsenal und<br />

fördern darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>e Haltung, die man „Forschendes Üben“<br />

nennen kann.<br />

Nun tauchen allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der Praxis allerlei Widerstände gegen<br />

e<strong>in</strong> solches Ideal <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Fragestellung auf: Da wir<br />

Musiker meistens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em System von Fehlervermeidung soziali-<br />

siert wurden, verfallen wir oft e<strong>in</strong>er gefährlichen „Richtig falsch“-<br />

Dichotomie. Dies führt leicht dazu, dass mancher sich auf e<strong>in</strong>er<br />

verme<strong>in</strong>tlich sicheren Position häuslich e<strong>in</strong>richtet und tunlichst<br />

alles abwehrt, was diese Sicherheit stören könnte. Ungewohnte<br />

Gedanken, unorthodoxe E<strong>in</strong>stellungen, Tabu-Brüche, fremd<br />

ersche<strong>in</strong>ende Methoden, ja sogar ganz neue Lernziele können alle<strong>in</strong><br />

schon durch ihre „Neuheit“ als Bedrohung empfunden werden.<br />

Dem ist entgegen zu halten: Die Entwicklung e<strong>in</strong>es Musikers<br />

braucht die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit neuen Ideen, um Authentizität<br />

zu erwerben. Merke: Nicht alles, was anders ist, ist falsch! Das<br />

Neuartige, das anfangs Fremde fügt neue Blickw<strong>in</strong>kel h<strong>in</strong>zu, liefert<br />

neue Werkzeuge für unsere künstlerische Werkstatt.<br />

Wir betrachten uns als Künstler. Eigenartigerweise liegt im<br />

landläufigen Begriff der „Kunst“ selbst e<strong>in</strong> Keim des Widerstands<br />

gegen Interdiszipl<strong>in</strong>arität: Kunst soll ja idealerweise immer<br />

e<strong>in</strong>zigartig, <strong>in</strong>dividuell schöpferisch se<strong>in</strong>. Doch müssen wir uns<br />

fragen: Gibt es nicht auch übergeordnete, allgeme<strong>in</strong> gültige,<br />

überpersönliche ästhetische Regeln, aus denen verb<strong>in</strong>dliche<br />

Kriterien entstehen?<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität unterstützt das Auff<strong>in</strong>den solcher allgeme<strong>in</strong><br />

verb<strong>in</strong>dlicher Regeln. Sie ermöglichen es uns, Informationen als<br />

Transfermöglichkeit zu verwenden und nicht nur als „kasuistische“<br />

E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>formationen zu speichern. So muss es doch e<strong>in</strong>en Grund<br />

haben, warum Version „a“ besser ist als Version „b“! Zu wissen,<br />

warum e<strong>in</strong> F<strong>in</strong>gersatz, e<strong>in</strong> Ausdruck, e<strong>in</strong> dynamischer Prozess<br />

besser ist, ist wichtiger, als nur zu me<strong>in</strong>en, dass er besser ist.<br />

Und selbst dort, wo solche Widerstände überw<strong>in</strong>dbar ersche<strong>in</strong>en,

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!