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Die Grundsätze ordnungsmäßiger staatlicher ... - wuestemann

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Moderne Finanzkontrolle und<br />

öffentliche Rechnungslegung<br />

Denkschrift<br />

anlässlich der Verabschiedung von<br />

Herrn Prof. Dr. Manfred Eibelshäuser<br />

aus dem Amt des Präsidenten des<br />

Hessischen Rechnungshofs<br />

Herausgegeben von<br />

Walter Wallmann<br />

Karsten Nowak<br />

Peter Mühlhausen<br />

Karl-Heinz Steingässer


<strong>Die</strong> Grundsätze ordnungsmäßiger <strong>staatlicher</strong><br />

Bilanzierung und der Stand der Bilanztheorie<br />

JENS WÜSTEMANN/SONJA WÜSTEMANN<br />

A. PROBLEMSTELLUNG<br />

Im Jahre 2009 legten der damalige Ministerpräsident des Landes Hessen Roland Koch<br />

und der damalige Finanzminister Karlheinz Weimar die erste konsolidierte Eröffnungsbilanz<br />

eines deutschen Flächenstaates auf der Grundlage der Grundsätze<br />

ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung (GoB) vor, 11 Jahre nachdem diese<br />

durch das Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz (HRFG) Einzug in die öffentliche<br />

Rechnungslegung erhielten; testiert wurde sie von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />

und vom Hessischen Rechnungshof festgestellt. Seit der Verkündung des<br />

Gesetzes zur Modernisierung des Haushaltsgrundsätzegesetzes (Haushaltsgrundsätzemodernisierungsgesetz<br />

– HGrGMoG) im Jahre 2010 haben die GoB nunmehr<br />

gar »befreiende Wirkung«; ein zusätzliches kamerales Rechnungswesen ist mithin<br />

grundsätzlich nicht mehr erforderlich (§ 1a HGrG).<br />

Manfred Eibelshäuser hat diese Reform der öffentlichen Rechnungslegung maßgeblich<br />

mitgestaltet und in vielen Publikationen an ihrer Durchdringung mitgewirkt.<br />

Bilanzierungsgrundsätze für die öffentliche Rechnungslegung (Grundsätze ordnungsmäßiger<br />

<strong>staatlicher</strong> Bilanzierung) liegen Dank seiner Beiträge und der von<br />

ihm maßgeblich geprägten Denkschule in geschlossener Form vor. Das durch die<br />

Beiträge konturierte System der Bilanzierungsgrundsätze kann durch folgende<br />

Merkmale gekennzeichnet werden: (1) Fundiertes Nachdenken und adäquate Konkretisierung<br />

des Sinn und Zwecks öffentlicher Rechnungslegung. 1 (2) Ableitung von<br />

konsistenten Einzelnormen aus dem Sinn und Zweck öffentlicher Rechnungslegung.<br />

2 (3) Betonung der Objektivierung in der öffentlichen Rechnungslegung:<br />

1 Vgl. insbes. Eibelshäuser, M.: Bilanzierungsgrundsätze und öffentliche Rechnungslegung,<br />

in: Der Konzern, 4. Jg. (2006), S. 618–624 (619); Eibelshäuser, M./Nowak, K.: Ausgestaltung<br />

der Doppik für den öffentlichen Jahresabschluss, in: Heuer, E./Engels, D./Eibelshäuser,<br />

M. (Hrsg.): Kommentar zum Haushaltsrecht des Bundes und der Länder sowie der<br />

Vorschriften zur Finanzkontrolle, Köln: Loseblattsammlung (Stand: November 2012), Teil<br />

IV/3, Rn. 10–17; vgl. auch Kämpfer, G./Breidert, U.: Zweckentsprechende Bilanzierung in<br />

den Jahresabschlüssen der hessischen Landesverwaltung, in: WPg, 57. Jg. (2004), Sonderheft<br />

2/2004, S. S119–S129.<br />

2 Vgl. insbes. Eibelshäuser, M./Rüdinger, A.: Buchführung und Bilanzierung, in: Heuer/<br />

Engels/Eibelshäuser, 2012, a.a.O., Teil IV/4, Rn. 104 ff.; vgl. auch Nowak, K./Ranscht-<br />

Ostwald, A./Schmitz, S.: B 990 Öffentliches Rechnungswesen: Haushaltsplanung, Haushaltsrechnung<br />

und Haushaltssteuerung, in: Böcking, H.-J. et al. (Hrsg.): Beck-HdR,<br />

München: Loseblattsammlung (Stand: November 2012), Rn. 85 ff.<br />

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JENS WÜSTEMANN/SONJA WÜSTEMANN<br />

Denn nur durch Ermessensbegrenzung lassen sich die intendierten Schutzzwecke<br />

erfüllen und kann eine hinreichende Rechtssicherheit geboten werden. 3 (4) Absage an<br />

überbordende »Sonderregelungen« (i.S.v. Abweichungen von den GoB) für die<br />

Bilanzierung im Rahmen der staatlichen Doppik: Denn dies würde der Übertragbarkeit<br />

aufgrund der materiellen Zweckkongruenz von GoB und den Grundsätzen<br />

ordnungsmäßiger <strong>staatlicher</strong> Bilanzierung entgegenlaufen und im Ergebnis doch<br />

einer Entwicklung hin zu einem »Sonderrecht« den Boden bereiten; dieses kann<br />

nicht gewünscht werden und lässt sich mit den Besonderheiten der öffentlichen<br />

Haushaltswirtschaft auch nicht begründen. 4 (5) Skepsis gegenüber einem Rechnungslegungsgremium:<br />

Denn dieses ist, zumal in der jetzigen Zusammensetzung<br />

des Gremiums zur Standardisierung des staatlichen Rechnungswesens, nicht als<br />

»unabhängiges Fachgremium konzipiert«; und dies gefährdet nicht zuletzt die<br />

»Akzeptanz der Standards <strong>staatlicher</strong> Doppik in der Öffentlichkeit«. 5 (6) Daraus<br />

folgt, dass nach jetzigem Stand die International Public Sector Accounting Standards<br />

(IPSAS) und ihre Grundlage, die International Financial Reporting Standards (IFRS),<br />

nicht den Grundsätzen <strong>staatlicher</strong> Doppik überlegen sind oder als Modell gelten<br />

könnten, weil sie – zumindest in ihrer jetzigen Ausgestaltung – zu sehr von Zweckinadäquanz,<br />

Inkonsistenz und Entobjektivierung gekennzeichnet sind. 6<br />

Durch seine Beiträge hat Manfred Eibelshäuser auch in erheblichem Umfang zur<br />

Verwissenschaftlichung der Grundsätze <strong>staatlicher</strong> doppelter Buchführung beigetragen<br />

– immer mit Blick auf und Verständnis für ihre Anwendbarkeit bzw. Praktikabilität<br />

in der Verwaltungspraxis. 7 Demgegenüber war das ältere Schrifttum im<br />

Bereich des öffentlichen Rechnungswesens geradezu »vorwissenschaftlich[.]« 8 . <strong>Die</strong><br />

festzustellende Verwissenschaftlichung ist dabei nicht etwa nur aus akademischer<br />

Sicht bedeutsam; vielmehr verleiht sie auch der Sache selbst in erheblichem Maße<br />

Legitimität. Den Bilanzierungsgrundsätzen, wie sie von Manfred Eibelshäuser konkretisiert<br />

wurden und werden, kommt gerade auch im internationalen Vergleich ein<br />

Modellcharakter zu.<br />

Zu wünschen ist nun, dass zukünftig auch noch stärker die nächsten, folgerichtigen<br />

Schritte konsequent gegangen werden: Nämlich die Verbindung der öffentlichen<br />

Rechnungslegung (den Grundsätzen <strong>staatlicher</strong> Doppik) mit der (politischen) Steuerung:<br />

Einerseits eine »Haushaltssteuerung« 9 (»[o]utputorientierte Steuerung« 10 im<br />

Sinne einer »an Zielen und Ergebnissen orientierten Globalsteuerung durch den<br />

3 Vgl. insbes. Eibelshäuser, M./Nowak, K., 2012, a.a.O., Rn. 22; vgl. auch Nowak,<br />

K./Ranscht-Ostwald, A./Schmitz, S., 2012, a.a.O., Rn. 97.<br />

4 Vgl. hierzu insbes. Eibelshäuser, M./Rüdinger, A., 2012, a.a.O., Rn. 104 ff.<br />

5 Eibelshäuser, M./Rüdinger, A., 2012, a.a.O., Rn. 47 (beide Zitate).<br />

6 Vgl. zum Komplex insbes. Eibelshäuser, M./Nowak, K., 2012, a.a.O., Rn. 46; vgl. auch<br />

Moxter, A. in vorliegender Denkschrift S. 303 f. und 307.<br />

7 Vgl. insbes. Eibelshäuser, M.: Erfahrungen mit der Doppik auf Landes- und kommunaler<br />

Ebene, in: WPg, 65. Jg. (2012), Sonderheft 2/2012, S. S80–S84.<br />

8 Moxter, A.: Bilanzrechtsprechung, 6. Aufl., Tübingen 2007, S. 1, der dies historisch für das<br />

Bilanzrecht der Kaufleute festgestellt hat.<br />

9 Nowak, K./Ranscht-Ostwald, A./Schmitz, S., 2012, a.a.O., Rn. 220 ff.<br />

10 Nowak, K./Ranscht-Ostwald, A./Schmitz, S., 2012, a.a.O., vor Rn. 220.<br />

580


DIE GRUNDSÄTZE ORDNUNGSMÄßIGER STAATLICHER BILANZIERUNG<br />

Staat« 11 ), andererseits aber auch eine Verknüpfung mit dem Haushaltsplan und<br />

Budgetrecht sowie ihrer Kontrolle durch die Parlamente.<br />

Manfred Eibelshäuser hat sich seit dem Beginn seines wissenschaftlichen Wirkens<br />

intensiv mit dem Verhältnis von Bilanztheorie und Bilanzinhalten beschäftigt. 12 <strong>Die</strong>s<br />

ermutigt die Verfasser, hier die Sachgerechtigkeit alternativer Bilanztheorien für die<br />

Grundsätze ordnungsmäßiger <strong>staatlicher</strong> Bilanzierung zu erörtern. Nach einer Diskussion<br />

des Sinn und Zwecks der öffentlichen Rechnungslegung (Teile B und C)<br />

werden im Folgenden Bilanzierungslösungen für drei in der öffentlichen Rechnungslegung<br />

besonders relevante und paradigmatische Sachverhalte (Investitionen in<br />

Straßeninfrastruktur, Bildungsinvestitionen und einseitige gesetzliche Verpflichtungen)<br />

auf der Grundlage konkurrierender Bilanztheorien abgeleitet und im Lichte der<br />

Zwecke öffentlicher Rechnungslegung gewürdigt (Teil D). <strong>Die</strong>se alternativen Bilanztheorien<br />

sind die auf Erfolgssteuerung ausgerichtete dynamische Bilanztheorie, die<br />

den IPSAS und IFRS zugrunde liegende zeitwertstatische Bilanztheorie und die<br />

Bilanztheorie des geltenden Handelsbilanzrechts (Ausschüttungsstatik). Es zeigt sich,<br />

dass das Leitbild der ausschüttungsstatischen Bilanztheorie am besten geeignet ist, die<br />

Zwecke öffentlicher Rechnungslegung zu erfüllen (Teil E). <strong>Die</strong> Maßgeblichkeit dieser<br />

Grundsätze für die staatliche Doppik ist damit auch aus konzeptioneller, bilanztheoretischer<br />

Sicht sinnvoll. Der Beitrag schließt mit einer thesenförmigen<br />

Zusammenfassung.<br />

Der Titel des Beitrags versteht sich als Referenz auf den akademischen Lehrer von<br />

Manfred Eibelshäuser, Adolf Moxter, dessen Aufsatz mit dem Titel »<strong>Die</strong> Grundsätze<br />

ordnungsmäßiger Bilanzierung und der Stand der Bilanztheorie« 13 aus dem Jahr<br />

1966 genau am Beginn jener Verwissenschaftlichung des Bilanzrechts steht, die auch<br />

der öffentlichen Rechnungslegung zu wünschen ist und für die die Arbeiten von<br />

Manfred Eibelshäuser ein bemerkenswert geeignetes Fundament bilden.<br />

B. ENTWICKLUNGSTENDENZEN IN DER ÖFFENTLICHEN<br />

RECHNUNGSLEGUNG: VON DER KAMERALISTIK ZUR DOPPELTEN<br />

BUCHFÜHRUNG<br />

<strong>Die</strong> doppelte Buchführung erhielt auf <strong>staatlicher</strong> Ebene im Zuge des Gesetzes zur<br />

Fortentwicklung des Haushaltsrechts von Bund und Ländern (Haushaltsrechts-<br />

Fortentwicklungsgesetz – HRFG) im Jahre 1998 Einzug in die öffentliche Rechnungslegung.<br />

Um die öffentliche Haushaltswirtschaft im Sinne der in § 6 HGrG<br />

nunmehr explizit niedergelegten Anforderungen nach Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit<br />

effizienter zu gestalten, wurde der öffentlichen Verwaltung in § 33a HGrG<br />

11 Wüstemann, G./Brixner, H. C.: Hochschul-Programmhaushalt in Hessen, in: Das Hochschulwesen,<br />

48. Jg. (2000), S. 171–175 (Teil 1) und 49. Jg. (2001), S. 2–7 (Teil 2), Zitat in<br />

Teil 1 auf S. 171.<br />

12 Vgl. bereits Eibelshäuser, M.: Der Bundesfinanzhof und die statische Bilanzauffassung, in:<br />

ZfbF, 33. Jg. (1981), S. 56–68.<br />

13 Vgl. Moxter, A.: <strong>Die</strong> Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung und der Stand der<br />

Bilanztheorie, in: ZfbF, 18. Jg. (1966), S. 28–59 (28).<br />

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JENS WÜSTEMANN/SONJA WÜSTEMANN<br />

a.F. die Möglichkeit eingeräumt, ihre Bücher zusätzlich zu den kameralistischen<br />

Regeln »nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung<br />

und Bilanzierung in sinngemäßer Anwendung des Handelsgesetzbuches« zu führen.<br />

14 Seit Verkündung des Gesetzes zur Modernisierung des Haushaltsgrundsätzegesetzes<br />

(Haushaltsgrundsätzemodernisierungsgesetz – HGrGMoG) 2010 hat die<br />

doppelte Buchführung nach handelsrechtlichen GoB »befreiende Wirkung«; ein<br />

zusätzliches kamerales Rechnungswesen ist mithin nicht mehr erforderlich (§ 1a<br />

HGrG). <strong>Die</strong> Vorteile der doppelten Buchführung gegenüber der Kameralistik<br />

werden nunmehr ausdrücklich anerkannt: 15 <strong>Die</strong> Periodisierung von Einnahmen<br />

und Ausgaben führe zur bilanziellen Berücksichtigung zukünftiger Versorgungslasten<br />

in Form von Rückstellungen und dem Verbrauch von Ressourcen auf dem<br />

Wege der Abschreibung; die Vermögensorientierung der doppelten Buchführung<br />

»stütze[.] eine nachhaltige Finanzpolitik und förder[.][e] die intergenerative Gerechtigkeit«;<br />

zudem erlaube sie Einblicke in die Schuldendeckungsfähigkeit der<br />

öffentlichen Verwaltung. 16<br />

Ein weiterer (impliziter) Grund für die Hinwendung zur doppelten Buchführung<br />

in der öffentlichen Verwaltung kann in der Einführung der sog. Schuldenbremse im<br />

Jahre 2009 gesehen werden. Mit dem Ziel, »die institutionellen Voraussetzungen für<br />

die Sicherung einer langfristigen Tragfähigkeit der Haushalte von Bund und Ländern<br />

zu verbessern«, 17 sind nach Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG »[d]ie Haushalte von Bund<br />

und Ländern […] grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen«;<br />

konkret dürfen Länder ab dem Jahr 2020 grundsätzlich keine neuen Schulden<br />

mehr zur Finanzierung ihrer Ausgaben aufnehmen (Art. 143d GG).<br />

C. SINN UND ZWECK DER ÖFFENTLICHEN RECHNUNGSLEGUNG<br />

I. Gewährleistung der langfristigen Tragfähigkeit (Nachhaltigkeit)<br />

der öffentlichen Haushalte<br />

Der Sinn und Zweck der öffentlichen Rechnungslegung ergibt sich unmittelbar aus<br />

den gesetzlichen Gründen für die Einführung der doppelten Buchführung. <strong>Die</strong><br />

Einhaltung der mit den Reformbestrebungen der vergangenen Jahre verankerten<br />

Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie der Schuldenbegrenzung<br />

14 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Haushaltsrechts von Bund und<br />

Ländern (Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz), BT-Ds. 13/8293 vom 24.07.1997,<br />

Begründung zur Einführung des § 33a.<br />

15 Vgl. zur Kritik an der Kameralistik Nowak, K./Ranscht-Ostwald, A./Schmitz, S., 2012,<br />

a.a.O., Rn. 2–7.<br />

16 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Haushaltsgrundsätzegesetzes (Haushaltsgrundsätzemodernisierungsgesetz<br />

– HGrGMoG), BT-Ds. 16/12060 vom 26.02.2009,<br />

S. 11 (auch Zitat).<br />

17 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, BT-Ds. 16/12410 vom<br />

24.03.2009, S. 1.<br />

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DIE GRUNDSÄTZE ORDNUNGSMÄßIGER STAATLICHER BILANZIERUNG<br />

setzt eine langfristige Tragfähigkeit (Nachhaltigkeit) der öffentlichen Haushalte<br />

voraus; 18 die stetige Aufgabenerfüllung (Bereitstellung öffentlicher Güter, sozialpolitische<br />

Leistungen usw.) muss bei jährlich ausgeglichenem Staatshaushalt gewährleistet<br />

sein. Ein ausgeglichener Haushalt liegt nach Art. 109 GG i.V.m. Art. 115 Abs. 2<br />

GG vor, wenn die Ausgaben von Bund und Ländern vollständig durch Einnahmen<br />

finanziert werden, d.h. für die Ausgabendeckung keine Kreditaufnahme (Neuverschuldung)<br />

notwendig ist.<br />

Bilanziell betrachtet liegt ein ausgeglichener Haushalt vor, wenn das Reinvermögen<br />

erhalten, also eine mögliche Neuverschuldung durch die Schaffung von<br />

Vermögenswerten in mindestens gleicher Höhe kompensiert wird und somit das<br />

bilanzielle Eigenkapital konstant bleibt. 19<br />

II. Sicherung der intergenerativen Gerechtigkeit<br />

Als weiteren Grund für die Einführung der doppelten Buchführung nennt der<br />

Gesetzgeber die Sicherung der intergenerativen Gerechtigkeit. (1) Aus gewinnbzw.<br />

budgetorientierter Sichtweise bedeutet dies, dass jede Generation ihren Konsum<br />

selbst erwirtschaften muss, die Aufwendungen (öffentlichen Ausgaben) einer Periode<br />

innerhalb der gleichen Periode durch Steuern und Abgaben und nicht durch<br />

Kreditaufnahme ersetzt werden. 20 (2) Aus vermögensorientierter Sichtweise setzt<br />

die intergenerative Gerechtigkeit voraus, dass das von der Vorgänger-Generation<br />

empfangene Vermögen uneingeschränkt der Nachfolger-Generation übergeben<br />

werden kann; Reinvermögensminderungen (Ressourcenverbrauch) einer Periode<br />

dementsprechend durch Reinvermögenserhöhungen (Ressourcensteigerung) gedeckt<br />

werden. 21 <strong>Die</strong> Belastung zukünftiger Generationen mit Schulden vorheriger Generationen<br />

ist nur zulässig, wenn den Neuschulden ein gleichwertiger zukünftiger<br />

Nutzen gegenübersteht (Vermögenserhaltung).<br />

III. Information über die wirtschaftliche Lage der öffentlichen Haushalte<br />

1. Wirtschafts- und fiskalpolitische Steuerung<br />

Das Ziel der Vermittlung von Informationen über die Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns<br />

für die wirtschafts- und fiskalpolitische Steuerung 22 steht in engem<br />

Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit der öffentlichen Haushalte: Ein langfristig<br />

18 Vgl. Bergmann, A./Rauskala, I.: Anforderungen an die Rechnungslegung der öffentlichen<br />

Hand vor dem Hintergrund der Staatsschuldenkrise, in: WPg, 65. Jg. (2012), Sonderheft 2/<br />

2012, S. S70–S73 (S71).<br />

19 Vgl. Eibelshäuser, M./Nowak, K.: Perspektiven: Entwicklungspotentiale durch die Doppik,<br />

in: Heuer/Engels/Eibelshäuser, 2012, a.a.O., Teil IV/5, Rn. 25.<br />

20 Ähnlich Kämpfer, G./Breidert, U., 2004, a.a.O., S. 121.<br />

21 Vgl. Lüder, K.: Konzeptionelle Grundlagen des Neuen Kommunalen Rechnungswesens<br />

(Speyerer Verfahren), Stuttgart 1999, S. 7 f.<br />

22 Vgl. zum Ziel Kämpfer, G./Breidert, U., 2004, a.a.O., S. 120.<br />

583


JENS WÜSTEMANN/SONJA WÜSTEMANN<br />

ausgeglichener Haushalt legt nahe, dass die Haushaltspolitik auf diese Weise unter<br />

Finanzierungsaspekten fortgesetzt werden kann; dauerhafte Verluste zeigen hingegen<br />

die Notwendigkeit politischer Korrekturmaßnahmen, wie Steuererhöhungen oder<br />

Ausgabenkürzungen, an. 23 Um zu gewährleisten, dass das bilanzielle Haushaltsergebnis<br />

über die »Wirtschaftlichkeit« der öffentlichen Verwaltung und ihre Kehrtwendungen<br />

informiert, muss das Ergebnis (der Gewinn) periodenübergreifend<br />

vergleichbar sein. 24 Informationsvorteile werden von der Umstellung auf die doppelte<br />

Buchführung allerdings nicht nur für interne Steuerungszwecke erhofft, sondern<br />

auch im Hinblick auf die Information der Öffentlichkeit über Wirtschaftlichkeit<br />

und Effizienz der Budgetverwendung (Rechenschaftslegung). 25<br />

2. Darstellung des »wahren« Schuldenstands<br />

Ein weiterer informationeller Mehrwert der doppelten Buchführung wird in der<br />

bilanziellen Darstellung des »wahren« Schuldenstands und Schuldendeckungspotenzials<br />

durch vorhandenes Vermögen gesehen. In diesem Sinne wird nach Lüder »eine<br />

über den Vollzug des Haushaltsplans hinausgehende Rechnungslegung [angestrebt],<br />

die ein ‘den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-,<br />

Finanz- und Ertragslage […] vermittelt’« 26 . Ähnlich wird im Entwurf des Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetzes<br />

behauptet, »[d]ie doppelte kaufmännische<br />

Buchführung erlaub[e][.] den lückenlosen Ausweis der aktuellen Vermögenswerte,<br />

der Verbindlichkeiten und der Forderungen aufgrund einer kontinuierlichen<br />

Ergebnisrechnung, so dass eine zuverlässige Beurteilung der Finanzlage und des<br />

Werteverzehrs möglich ist« 27 .<br />

<strong>Die</strong> zweifelsfreien informationellen Vorteile der doppelten Buchführung – die<br />

Berücksichtigung zukünftiger Ausgabenbelastungen zum Zeitpunkt ihrer wirtschaftlichen<br />

Verursachung sowie die systematische Gegenüberstellung von Vermögensgegenständen<br />

und Schulden – dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass<br />

dem bilanziellen Einblick in die wirtschaftliche Lage der öffentlichen Verwaltung<br />

aufgrund von Objektivierungs- und Vereinfachungserfordernissen enge Grenzen<br />

gesetzt sind. 28 <strong>Die</strong>se sind aber dem Grunde nach heilbar durch zusätzliche Angaben<br />

23 Vgl. Müller-Marqués Berger, T.: Aktuelles Arbeitsprogramm des International Public<br />

Sector Accounting Standards Boards (IPSASB), in: WPg, 65. Jg. (2012), Sonderheft 2/2012,<br />

S. S74–S79 (S78).<br />

24 Vgl. Schmalenbach, E.: Dynamische Bilanz, bearb. von Bauer, R., 13. Aufl., Köln und<br />

Opladen 1962, S. 53–54, der dies analog für die Rechnungslegung der Kaufleute feststellte<br />

(vgl. zu Einzelheiten unten, Abschnitt D.II.).<br />

25 Vgl. Eibelshäuser, M., 2006, a.a.O., S. 619.<br />

26 Lüder, K.: Zur Reform des öffentlichen Rechnungswesens in Europa, in: WPg, 57. Jg.<br />

(2004), Sonderheft 1/2004, S. S11–S18 (S11).<br />

27 Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Haushaltsrechts von Bund und Ländern<br />

(Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz), a.a.O., S. 20.<br />

28 Vgl. zu den Aussagegrenzen von Bilanzen insbes. Moxter, A.: Bilanzlehre Band I.<br />

Einführung in die Bilanztheorie, 3. Aufl., Wiesbaden 1984, S. 149–155; Moxter, A.:<br />

Rechnungslegungsmythen, in: BB, 55. Jg. (2000), S. 2143–2149; vgl. insbes. auch Moxter,<br />

A. in vorliegender Denkschrift, S. 304.<br />

584


DIE GRUNDSÄTZE ORDNUNGSMÄßIGER STAATLICHER BILANZIERUNG<br />

und ergänzende (verbale und/oder numerische) Erläuterungen, bspw. (aber nicht<br />

ausschließlich) durch Anhang und Lagebericht. 29<br />

D. ABLEITUNG ZWECKADÄQUATER BILANZIERUNGSGRUNDSÄTZE AUS<br />

DEN BILANZTHEORIEN<br />

I. Bedeutung von Bilanztheorien<br />

Nach Moxter erforscht die Bilanztheorie, »welchen Sinn und Zweck Vermögensund<br />

Gewinnermittlung haben können und welche Bilanznormen eine sinn- und<br />

zweckadäquate Bilanzierung gewährleisten«; zudem folgen aus unterschiedlichen<br />

Bilanzaufgaben regelmäßig auch unterschiedliche (zweckadäquate) Bilanzierungsnormen.<br />

30 Zur Bestimmung zweckadäquater Bilanzierungsregeln für die öffentliche<br />

Rechnungslegung kann auf die für die kaufmännische Rechnungslegung in mehr als<br />

100 Jahren entwickelten Bilanztheorien zurückgegriffen werden.<br />

II. Dynamische Bilanztheorie<br />

1. Leitbild<br />

In der von Schmalenbach geprägten wirkungsmächtigen dynamischen Bilanztheorie<br />

steht die »richtige« Gewinnermittlung im Vordergrund. Der Periodengewinn soll<br />

für Steuerungszwecke als Maßstab der Wirtschaftlichkeit einer Unternehmung dienen. 31<br />

Da es nach Schmalenbach nicht auf die absolute Gewinngröße, sondern die Gewinnveränderung<br />

im Vergleich zur Vorperiode ankommt (»Auf und Ab der Wirtschaftlichkeit«<br />

32 ), ist die Periodenvergleichbarkeit einer der zentralen Bilanzierungsgrundsätze. 33<br />

Aus der Konzeption des Gewinns als Überschuss der Leistung eines Betriebs über<br />

seinen Aufwand ergibt sich die Notwendigkeit der Periodenabgrenzung. 34 Der<br />

Bilanz kommt dabei die Rolle eines »Ausgleichspuffer[s]« bzw. eines »verknüpfende[.][n]<br />

Band[es]« zwischen Ausgaben und Aufwand sowie Einnahmen und<br />

Leistung (Ertrag) zu; 35 eine eigenständige Informationsfunktion der Bilanz ist aus<br />

dynamischer Sicht wegen der Unvereinbarkeit von »richtiger« Gewinn- und Vermögensermittlung<br />

nicht möglich. 36<br />

Aktiva repräsentieren in der Dynamik Vorleistungen im Zusammenhang mit der<br />

Schaffung von Werten, an denen zukünftige Jahre noch ihren Nutzen haben. Gemäß<br />

29 Vgl. auch Nowak, K./Ranscht-Ostwald, A./Schmitz, S., 2012, a.a.O., Rn. 101.<br />

30 Vgl. Moxter, A., 1984, a.a.O., S. 1 (auch Zitat).<br />

31 Vgl. Schmalenbach, E., 1962, a.a.O., S. 53 f.<br />

32 Schmalenbach, E.: Grundlagen dynamischer Bilanzlehre, in: ZfhF, 13. Jg. (1919), S. 1–50 (9).<br />

33 Vgl. Schmalenbach, E., 1962, a.a.O., S. 54.<br />

34 Vgl. Schmalenbach, E., 1919, a.a.O., S. 3.<br />

35 Vgl. Schmalenbach, E., 1919, a.a.O., S. 14–16 (auch Zitate).<br />

36 Vgl. Schmalenbach, E., 1962, a.a.O., S. 44 f.<br />

585


JENS WÜSTEMANN/SONJA WÜSTEMANN<br />

dem Periodisierungsgrundsatz tragen die zukünftigen Perioden durch Aktivierung<br />

im Zugangszeitpunkt und Abschreibung in den Folgeperioden an den Kosten dieser<br />

Werte den ihnen zukommenden Anteil. 37 Passiva stellen im Wesentlichen Nachleistungen<br />

dar, d.h. rückständige (Zahlungs-)Leistungen. 38 Zufallsaufwand (sog. allgemeines<br />

Wagnis) stört nach dynamischem Verständnis die periodenübergreifende<br />

Gewinnvergleichbarkeit und somit auch die gerechte Kostenverteilung; er ist durch<br />

Rückstellungsbildung zu glätten. 39<br />

2. Überprüfung anhand von Einzelsachverhalten<br />

a) Investitionen in Straßeninfrastruktur<br />

Nach dem Prinzip der Periodenabgrenzung sind in der dynamischen Bilanztheorie<br />

die aus der Errichtung neuer Straßen resultierenden Ausgaben durch Aktivierung<br />

und Abschreibung eines aktivischen Verrechnungspostens auf die zukünftigen Geschäftsjahre<br />

zu verlagern, in denen die neuen Straßen der Bevölkerung zur Nutzung<br />

zur Verfügung stehen (= Leistung).<br />

b) Bildungsinvestitionen<br />

Vergleichbar mit den Investitionen in die Straßeninfrastruktur werden auch Ausgaben<br />

für Bildung in der dynamischen Bilanztheorie aktiviert und erst in denjenigen<br />

Geschäftsjahren auf dem Wege der Abschreibung aufwandswirksam erfasst, in denen<br />

der Leistungszufluss erfolgt, wenn also die Gesellschaft von der (mutmaßlich)<br />

verbesserten Bildung profitiert.<br />

c) Einseitige gesetzliche Verpflichtungen: Kindergeld<br />

<strong>Die</strong> Besonderheit einseitiger gesetzlicher, meist sozialpolitisch motivierter Verpflichtungen,<br />

bspw. zur Zahlung von Kindergeld, ist, dass sie von der öffentlichen Hand<br />

ohne Gegenleistung gewährt werden. 40 Da die Berechtigten den Nutzen aus dem<br />

Kindergeld unmittelbar mit der monatlichen Auszahlung ziehen, sind die hiermit<br />

verbundenen Ausgaben direkt aufwandswirksam zu erfassen.<br />

3. Würdigung im Hinblick auf den Bilanzzweck der<br />

öffentlichen Rechnungslegung<br />

<strong>Die</strong> dynamische Bilanzaufgabe der Betriebssteuerung ist mit dem Zweck der wirtschaftsund<br />

fiskalpolitischen Steuerung in der öffentlichen Rechnungslegung durchaus vereinbar.<br />

Und auch die intergenerative Gerechtigkeit ist mit den Bilanzierungsprinzipien der<br />

37 Vgl. Schmalenbach, E., 1962, a.a.O., S. 67 f.<br />

38 Vgl. Schmalenbach, E., 1962, a.a.O., S. 70 f.<br />

39 Vgl. Schmalenbach, E., 1962, a.a.O., S. 169–171.<br />

40 Vgl. Eibelshäuser, M./Rüdinger, A., 2012, a.a.O., Rn. 213 f. m.w.N.<br />

586


DIE GRUNDSÄTZE ORDNUNGSMÄßIGER STAATLICHER BILANZIERUNG<br />

dynamischen Bilanztheorie zu einem gewissen Grade erreichbar, denn durch die<br />

periodengerechte Zuordnung der Ausgaben zu dem generierten Nutzen (Leistungen)<br />

der öffentlichen Verwaltung werden die Ausgaben denjenigen Generationen angelastet,<br />

die auch von diesen profitieren. Aufgrund der fehlenden Objektivierung 41 besteht<br />

allerdings die Gefahr, dass Investitionen in nicht greifbar werthaltige bzw. nicht verlässlich<br />

bewertbare Nutzenpotenziale, wie Bildung oder innere Sicherheit, zukünftigen<br />

Generationen zugerechnet werden, obwohl das generierte Nutzenpotenzial dem Grunde<br />

und der Höhe nach nicht willkürfrei feststellbar ist. 42 Zudem fehlt es der dynamischen<br />

Bilanztheorie an Aussagekraft hinsichtlichderSchuldenbegrenzung,weilPassivaohne<br />

tatsächlichen Schuldcharakter angesetzt werden, bspw. Rückstellungen zur Antizipation<br />

und Glättung von Zufallsaufwendungen (sog. Selbstversicherungen, wie sie im öffentlichen<br />

Sektor etwa beim Fuhrpark vorkommen können).<br />

III. Zeitwertstatische Bilanztheorie (IFRS/IPSAS)<br />

1. Leitbild<br />

Der Bilanzzweck der Zeitwertstatik besteht in der »Gewährung einer Übersicht über<br />

die Vermögenslage« 43 , die den Adressaten eine »Einschätzung der Höhe, des Zeitpunkts<br />

und der Unsicherheit der (Aussichten auf) künftige(n) Nettomittelzuflüsse<br />

beim Unternehmen« ermöglichen soll (IASB-RK.OB3 i.V.m. OB12). Der Gewinn<br />

resultiert aus den »Änderungen der wirtschaftlichen Ressourcen eines und Ansprüche<br />

gegen ein […] Unternehmen« (IASB-RK.OB15) und ist somit im Rahmen<br />

der zeitwertstatischen Bilanztheorie ein »zwangsläufig anfallendes Nebenprodukt<br />

der jährlichen Vermögensermittlung« 44 ; ihm kann aber durch entsprechende Gliederung<br />

und Erläuterung im Anhang auch ein eigenständiger Informationswert hinsichtlich<br />

der Unternehmensertragslage zukommen (IASB-RK.OB15–OB17).<br />

Aus der Vermögensorientierung folgt, dass in der statischen Bilanz nur positive<br />

und negative Vermögenswerte ansetzbar sind; die Bilanzierung reiner Verrechnungsposten<br />

ist hingegen ausgeschlossen, weil diese keine wirtschaftlichen Ressourcen<br />

oder Verpflichtungen verkörpern. 45 Da die Bestimmung des Gewinns durch<br />

Reinvermögensvergleich eine »Vergegenständlichung des Bilanzinhalts« 46 bewirken<br />

soll, unterliegt die Vermögensermittlung zumindest bezüglich des Ansatzes einer<br />

strengen Objektivierung; die Abbildung aller positiven und negativen Vermögensbestandteile<br />

wird hierdurch je nach Grad der geforderten Objektivierung erheblich<br />

41 Vgl. Moxter, A., 1984, a.a.O., S. 51.<br />

42 Vgl. Breidert, U./Rüdinger, A., 2008, a.a.O., S. 34.<br />

43 Vgl. stilbildend bereits Simon, H. V.: <strong>Die</strong> Bilanzen der Aktiengesellschaften und der<br />

Kommanditgesellschaften auf Aktien, 3. Aufl., Berlin 1899, S. 1–3 (Zitat auf S. 2).<br />

44 Moxter, A., 1984, a.a.O., S. 5 (auch Zitat).<br />

45 Vgl. Moxter, A.: Grundsätze ordnungsgemäßer Rechnungslegung, Düsseldorf 2003,<br />

S. 19 f.<br />

46 Beisse, H.: Zum neuen Bild des Bilanzrechtssystems, in: Ballwieser, W. et al. (Hrsg.):<br />

Bilanzrecht und Kapitalmarkt, Festschrift für Adolf Moxter, Düsseldorf 1994, S. 5–31 (17).<br />

587


JENS WÜSTEMANN/SONJA WÜSTEMANN<br />

eingeschränkt. 47 In der älteren Statik von Simon und der neueren Statik des IASB lässt<br />

sich eine Objektivierung durch Abstellen auf vertragliche Rechte und Pflichten<br />

feststellen. 48<br />

Entsprechend dem Bilanzzweck der Stichtagsvermögensermittlung sind Vermögenswerte<br />

und Schulden zu ihrem beizulegenden Zeitwert (Fair Value) zu bewerten,<br />

d.h. dem »Preis, den man in einer gewöhnlichen Transaktion zwischen Marktteilnehmern<br />

am Bewertungsstichtag beim Verkauf eines Vermögenswerts erhalten würde<br />

oder bei der Übertragung einer Schuld zu zahlen hätte« (IFRS 13.9). Unrealisierte<br />

Wertsteigerungen am ruhenden Vermögen wirken sich grundsätzlich gewinnerhöhend<br />

aus, sofern die Zeitwertermittlung nicht objektivierungsbedingt scheitert. 49<br />

2. Überprüfung anhand von Einzelsachverhalten<br />

a) Investitionen in Straßeninfrastruktur<br />

In der zeitwertstatischen Bilanztheorie setzt die Aktivierung von Vermögenswerten<br />

das Vorhandensein von Ressourcen voraus, die den Zufluss zukünftigen wirtschaftlichen<br />

Nutzens erwarten lassen (Einnahmenpotenzial) (IASB RK.4.4(a); IPSAS 1.7).<br />

Bei Investitionen in die Straßeninfrastruktur ist dies insofern kritisch, als dass mit den<br />

neuen Straßen keine zukünftigen Einnahmen generiert werden, 50 die zentrale Ansatzvoraussetzung<br />

des positiven Ertragswertbeitrags mithin nicht erfüllt ist. Da der<br />

Staat mit Investitionen oftmals keine Einnahmenerzielung verfolgt, die geschaffenen<br />

Ressourcen aber dennoch im Hinblick auf die Beurteilung einer effizienten staatlichen<br />

Vermögensverwaltung als wichtig eingestuft werden, lassen die IPSAS auch die<br />

Aktivierung solcher Ressourcen zu, die »lediglich« <strong>Die</strong>nstleistungspotenzial (»service<br />

potential«) haben, also die Kapazität, Güter oder <strong>Die</strong>nstleistungen in Einklang mit<br />

den staatlichen Zielsetzungen bereitzustellen (IPSAS 1.11 i.V.m. IPSAS 17.14(a)).<br />

<strong>Die</strong> Bewertung erfolgt in der Zeitwertstatik definitionsgemäß zum beizulegenden<br />

Zeitwert (Fair Value). <strong>Die</strong>ser entspricht im Zugangszeitpunkt regelmäßig den Anschaffungs-<br />

und Herstellungskosten. In den Folgeperioden müsste grundsätzlich zum<br />

Bilanzstichtag jeweils eine Neubewertung vorgenommen und Wertänderungen in der<br />

Gewinn- und Verlustrechnung verbucht werden. <strong>Die</strong> Zeitwertstatik in der beschriebenen<br />

»Reinform« ist im Rahmen der IFRS und IPSAS bspw. bei biologischen<br />

Erzeugnissen zwingend und bei als Finanzinvestition gehaltenen Immobilien wahlrechtsweise<br />

verwirklicht (IAS 41.12 und 41.26; IPSAS 27.16 und 27.30; IAS 40.33 und<br />

40.35; IPSAS 16.42 und 16.44). Bei Sachanlagevermögen ist nach IFRS und IPSAS<br />

hingegen grundsätzlich eine planmäßige Abschreibung über die voraussichtliche<br />

47 Vgl. Wüstemann, J./Wüstemann, S.: The Asset/Liability Theory – AContributiontothe<br />

Revived Debate on Normative Accounting Theory, Arbeitspapier, Mannheim 2012, S. 16 f.<br />

48 Vgl. zur Statik nach Simon Moxter, A., 1984, a.a.O., S. 25–28; vgl. zur Statik des IASB<br />

Wüstemann, S.: Does Faithful Representation Mean Reliability, Arbeitspapier, Frankfurt<br />

(Oder) 2012, S. 26 f.<br />

49 Vgl. Simon, H. V., 1899, a.a.O., S. 335–337.<br />

50 Vgl. zu den handelsrechtlichen GoB und der entsprechenden öffentlichen Rechnungslegung<br />

Eibelshäuser, M., 2006, a.a.O., S. 621.<br />

588


DIE GRUNDSÄTZE ORDNUNGSMÄßIGER STAATLICHER BILANZIERUNG<br />

Nutzungsdauer vorgesehen (IAS 16.15 und 16.30; IPSAS 17.16 und 17.43). Allerdings<br />

erlauben beide Systeme eine regelmäßige Neubewertung zum Fair Value (IAS 16.31;<br />

IPSAS 17.44); mögliche Wertsteigerungen sind – anders als in der reinen Zeitwertstatik<br />

– erfolgsneutral im Eigenkapital zu verbuchen (IAS 16.39; IPSAS 17.54).<br />

b) Bildungsinvestitionen<br />

Investitionen in Bildung sind mit der Erwartung verbunden, in zukünftigen Perioden<br />

einen positiven wirtschaftlichen Nutzen in Form eines erhöhten Bildungsniveaus zu<br />

generieren. Da sich ein objektivierter Nachweis über den tatsächlich geschaffenen<br />

Nutzen sowie dessen Höhe wohl nur schwerlich erbringen lässt, ist der Ansatz des<br />

erhofften »Ausgabengegenwerts« als Vermögensbestandteil im Hinblick auf die<br />

Objektivierungsfunktion der Statik fraglich. 51 In diesem Sinne scheidet auch nach<br />

IAS 38 Immaterielle Vermögenswerte bzw. dem faktisch identischen IPSAS 31 ein<br />

Bilanzansatz für Bildungsinvestitionen objektivierungsbedingt aus. Interessanterweise<br />

sieht das Europäische System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung 2010, das im<br />

Jahre 2014 eingeführt werden soll, eine Aktivierung des »Kapitalstock[s] an Wissen«<br />

vor. 52 Aufgrund der erheblichen Entobjektivierung des Bilanzansatzes lässt sich dieser<br />

Bilanzierungsvorschlag kaum mit der statischen Bilanztheorie in Einklang bringen.<br />

c) Einseitige gesetzliche Verpflichtungen: Kindergeld<br />

<strong>Die</strong> gesetzliche und damit unentziehbare Verpflichtung zur Zahlung von Kindergeld<br />

ist mit zukünftigen Zahlungsmittelabflüssen verbunden, die im Hinblick auf die<br />

Gesamthöhe unsicher sind. Nach zeitwertstatischen Grundsätzen ist zwingend eine<br />

Rückstellung in Höhe des beizulegenden Zeitwerts der erwarteten Auszahlungen zu<br />

bilden. 53 Auch nach den Kriterien des IAS 37 Rückstellungen, Eventualverbindlichkeiten<br />

und Eventualforderungen bzw. IPSAS 19 müsste grundsätzlich eine Rückstellung<br />

für derartige Sozialleistungen passiviert werden. Da jedoch Uneinigkeit<br />

hinsichtlich des Ansatzzeitpunkts sowie der konkreten Bewertung bestehen, sind<br />

Verpflichtungen für Sozialleistungen vom Anwendungsbereich des IPSAS 19 vorläufig<br />

ausgenommen; es besteht derzeit ein Passivierungswahlrecht (IPSAS 19.7–<br />

19.11). 54 Der Standardentwurf ED 34 Social Benefits: Disclosure of Cash Transfers to<br />

Individuals and Households aus dem Jahre 2008 sieht allerdings für auf Sozialleistungen<br />

beruhende Zahlungs- oder Leistungsverpflichtungen eine Pflicht zur Angabe<br />

des Barwerts der gesamten zukünftigen Zahlungen vor (ED 34.30).<br />

51 Vgl. zu den handelsrechtlichen GoB und der entsprechenden öffentlichen Rechnungslegung<br />

Eibelshäuser, M./Rüdinger, A., 2012, a.a.O., Rn. 16–19.<br />

52 Vgl. Radermacher, W.: Studie zur Eignung der IPSAS für die europäischen Mitgliedstaaten,<br />

in: WPg, 65. Jg. (2012), Sonderheft 2/2012, S. S85–S89 (S86) (auch Zitat).<br />

53 Vgl. zur Schuldenbewertung in der Zeitwertstatik Wüstemann, J./Bischof, J.: Der Grundsatz<br />

der Fair-Value-Bewertung von Schulden nach IFRS: Zweck, Inhalte und Grenzen, in:<br />

ZfB, 76. Jg. (2006), Sonderheft 6/2006, S. 77–110.<br />

54 Vgl. zu Einzelheiten Müller-Marqués Berger, T.: Verpflichtungen aus Sozialpolitik und<br />

deren bilanzielle Abbildung, in: WPg, 57. Jg. (2004), Sonderheft 1/2004, S. S41–S49.<br />

589


JENS WÜSTEMANN/SONJA WÜSTEMANN<br />

3. Würdigung im Hinblick auf den Bilanzzweck<br />

Je nachdem, wie weit die Objektivierung auf der Ansatzebene zurückgedrängt wird,<br />

hat die Zeitwertstatik im Hinblick auf die Sicherstellung der intergenerativen Gerechtigkeit<br />

den Vorteil, zukünftige Nutzen- und Belastungspotenziale, wie etwa<br />

Bildungsvorteile und Verpflichtungen zur Zahlung von Kindergeld, möglichst weitreichend<br />

zu erfassen. Bei einer Zurückdrängung der Objektivierung besteht allerdings<br />

die Gefahr, zukünftige Generationen mit Ausgaben für unsichere<br />

Nutzenpotenziale zu belasten. 55 Zudem werden in der zeitwertstatischen Bilanztheorie<br />

auf der Bewertungsebene zum Teil erhebliche Ermessensspielräume eingeräumt,<br />

da die Bewertung zum beizulegenden Zeitwert oftmals auf subjektiven<br />

Schätzungen beruht und folglich manipulationsanfällig ist. 56 Schließlich ist der als<br />

Effektivvermögenszuwachs konzipierte Gewinn für Zwecke der Beurteilung der<br />

Tragfähigkeit des Haushalts und der Steuerung wenig geeignet.<br />

IV. Ausschüttungsstatische Bilanztheorie (handelsrechtliche GoB)<br />

1. Leitbild<br />

In der das geltende deutsche Bilanzrecht prägenden ausschüttungsstatischen Bilanztheorie<br />

besteht der primäre Zweck in der Ermittlung des Betrags, der bei Erhaltung des<br />

Reinvermögens an die Anspruchsberechtigten ausgeschüttet werden kann; das Vermögen<br />

wird folglich zum Zweck der Bemessung des verteilbaren Gewinns ermittelt. 57<br />

Gemäß dem die Gewinnermittlung dominierenden Realisationsprinzip ist der<br />

verteilbare Gewinn umsatzgebunden zu ermitteln: <strong>Die</strong>s erfordert zum einen, den<br />

Anschaffungs- bzw. Herstellungsvorgang durch Verlagerung der Investitionsausgaben<br />

in die Perioden des Ertragszuflusses erfolgsneutral zu halten, zum anderen<br />

folgt aus dem übergeordneten Vorsichtsprinzip, dass Umsatzerlöse erst bei Zugang<br />

des quasi-sicheren Anspruchs realisiert und die zukünftig erwarteten Kosten im<br />

Umsatzzeitpunkt aufwandswirksam zu antizipieren sind. 58 Während Wertsteigerungen<br />

am ruhenden Vermögen wegen der Gefahr der Wertumkehr vor dem Umsatzakt<br />

als nicht hinreichend sicher gelten, 59 gebietet das Imparitätsprinzip die Berücksichtigung<br />

entstandener Verluste bereits im Zeitpunkt der Entstehung. 60<br />

55 Vgl. Eibelshäuser, M., 2006, a.a.O., S. 622; vgl. zum Problem der fehlenden Objektivierung<br />

auch Nowak, K./Ranscht-Ostwald, A./Schmitz, S., 2012, a.a.O., Rn. 161.<br />

56 Vgl. insbes. Moxter, A.: Betriebswirtschaftliche Gewinnermittlung, Tübingen 1982,<br />

S. 31–33.<br />

57 Vgl. insbes. Moxter, A., 1984, a.a.O., S. 156–159.<br />

58 Vgl. Moxter, A.: Periodengerechte Gewinnermittlung und Bilanz im Rechtssinne, in:<br />

Knobbe-Keuk, B./Klein, F./Moxter, A. (Hrsg.): Handelsrecht und Steuerrecht, Festschrift<br />

für Georg Döllerer, Düsseldorf 1988, S. 447–458 (449 f.).<br />

59 Vgl. Moxter, A., 2003, a.a.O., S. 41.<br />

60 Vgl. Wüstemann, J.: Funktionale Interpretation des Imparitätsprinzips, in: ZfbF, 47. Jg.<br />

(1995), S. 1029–1043.<br />

590


DIE GRUNDSÄTZE ORDNUNGSMÄßIGER STAATLICHER BILANZIERUNG<br />

<strong>Die</strong> umsatzgebundene Gewinnermittlung wird in der ausschüttungsstatischen<br />

Bilanztheorie durch das Objektivierungsgebot eingeschränkt. Der Ansatz von Vermögensgegenständen<br />

und Schulden in der Bilanz setzt objektiviert greifbare und<br />

selbständig bewertbare Einnahmen- bzw. Ausgabenpotenziale voraus. 61 Der Gewinn<br />

ist in der Ausschüttungsstatik demzufolge als realisierter, objektivierter Reinvermögenszugang<br />

konzipiert. 62<br />

2. Überprüfung anhand von Einzelsachverhalten<br />

a) Investitionen in Straßeninfrastruktur<br />

Ebenso wie in der Zeitwertstatik ist in der ausschüttungsstatischen Bilanztheorie die<br />

Aktivierung eines Vermögensgegenstands an das Vorhandensein eines vermögenswerten<br />

Vorteils in Form eines Einnahmenüberschusspotenzials gebunden. 63 Bei<br />

engem Verständnis erfüllen die im Auftrag der öffentlichen Hand errichteten Straßen<br />

wegen der fehlenden direkten Einnahmenerzielung dieses Kriterium nicht. 64 Allerdings<br />

könnte argumentiert werden, dass mit der öffentlichen Aufgabenerfüllung<br />

(Schaffung gesellschaftlichen Nutzens), bspw. durch steuerfinanzierte Investitionen<br />

in Straßeninfrastruktur, die Erhebung zukünftiger Steuereinnahmen legitimiert werden<br />

soll. Ein derart weites Verständnis des vermögenswerten Vorteils ist nicht<br />

unüblich in der Ausschüttungsstatik: Auch betriebliche Sozialleistungen, wie etwa<br />

die Einrichtung eines Betriebskindergartens, führen nicht zu direkt zuordenbaren<br />

und messbaren Zuflüssen; dennoch wird die Existenz eines vermögenswerten Vorteils<br />

und damit die Vermögensgegenstandseigenschaft bejaht. Weiterhin ist Straßeninfrastrukturvermögen<br />

grundsätzlich einnahmenwirksam verwertbar, z.B. durch<br />

Erhebung von Mautgebühren oder Veräußerung im Rahmen von Privatisierungen. 65<br />

Neu errichtete Straßen sind folglich gemäß dem ausschüttungsstatischen Realisationsprinzip<br />

in Höhe der Anschaffungs- und Herstellungskosten zu aktivieren und<br />

über die voraussichtliche Nutzungsdauer abzuschreiben.<br />

b) Bildungsinvestitionen<br />

Bei Bildungsinvestitionen lässt sich die Existenz eines vermögenswerten Vorteils<br />

ebenfalls bei Zugrundelegung eines breiten Verständnisses nachweisen: Zum einen<br />

lässt ein erhöhter Bildungsstandard der Arbeitnehmer zukünftig auf erhöhte Steuereinnahmen<br />

hoffen; zum anderen kann in einem guten staatlichen Bildungsprogramm<br />

ein Wettbewerbsvorteil gesehen werden, der qualifizierte Arbeitnehmer (Steuerzahler)<br />

aus anderen Ländern anzieht. Da sich aber der Zusammenhang zwischen<br />

61 Vgl. zur Einschränkung der periodengerechten Gewinnermittlung durch Objektivierungsund<br />

Vereinfachungsprinzipien Moxter, A., 1988, a.a.O., S. 450–457.<br />

62 Vgl. Kämpfer, G./Breidert, U., 2004, a.a.O., S. 121.<br />

63 Vgl. Moxter, A., 2007, a.a.O., S. 6.<br />

64 Vgl. Eibelshäuser, M., 2006, a.a.O., S. 621; Nowak, K./Ranscht-Ostwald, A./Schmitz, S.,<br />

2012, a.a.O., Rn. 111.<br />

65 Vgl. Eibelshäuser, M./Rüdinger, A., 2012, a.a.O., Rn. 157.<br />

591


JENS WÜSTEMANN/SONJA WÜSTEMANN<br />

den getätigten Investitionen und dem erhofften Mehrwert nicht annähernd objektiviert<br />

feststellen lässt, ist der ausschüttungsstatische Vermögensgegenstandsbegriff<br />

nicht erfüllt. 66 Ein Hauptunterschied zu den neu errichteten Straßen ist in der<br />

Immaterialität sowie der fehlenden rechtlichen Absicherung des Bildungsvorteils<br />

zu sehen. Auch eine potenzielle einnahmengenerierende Veräußerung oder anderweitige<br />

finanzielle Verwertung des Vorteils ist, anders als bei Straßen, nicht möglich.<br />

Bildungsinvestitionen sind aus diesen Gründen in der Ausschüttungsstatik sofort<br />

aufwandswirksam zu erfassen.<br />

c) Einseitige gesetzliche Verpflichtungen: Kindergeld<br />

Einseitige gesetzliche, sozialpolitisch motivierte Verpflichtungen, wie Kindergeld,<br />

führen nach einem engen Verständnis zu zukünftigen Ausgaben, die nicht durch<br />

direkt zurechenbare zukünftige Erträge kompensiert werden. 67 Gemäß dem Realisationsprinzip<br />

ist im Falle einer solchen unkompensierten Vermögenslast eine Rückstellung<br />

zu bilden. 68<br />

3. Würdigung im Hinblick auf den Bilanzzweck<br />

Das ausschüttungsstatische Leitbild der Reinvermögenserhaltung ist grundsätzlich<br />

vereinbar mit dem öffentlichen Ziel der Sicherung der intergenerativen Gerechtigkeit.<br />

Zwar bedingt die strenge Objektivierung eine erhebliche Einschränkung der Aktivierung<br />

zukünftiger Nutzenpotenziale und somit auch der intergenerativen Gerechtigkeit;<br />

andererseits schützt sie aber auch zukünftige Generationen vor der Belastung mit<br />

Ausgaben für höchst unsichere Nutzenpotenziale. 69 Durch die umsatzgebundene<br />

Rückstellungsbildung werden zukünftige unkompensierte Vermögenslasten (Schulden),<br />

bspw. aus der gesetzlichen Verpflichtung zur Zahlung von Kindergeld, in der<br />

Bilanz in voller Höhe ersichtlich; im Hinblick auf das Ziel des »vollen« Schuldenausweises<br />

und der Schuldenbegrenzung ist dies zweckadäquat. Bezüglich der intergenerativen<br />

Gerechtigkeit wäre wohl eher der dynamische Verteilungsansatz<br />

zweckentsprechend: Mit der ausschüttungsstatisch gebotenen Einbuchung des vollen<br />

Aufwands zum Zeitpunkt der Geburt wird der korrespondierende Aufwand der<br />

Generation angelastet, die die Kindergeldzahlung durch politische Legitimation verursacht<br />

hat, und nicht der von den laufenden Zahlungen profitierende »zukünftigen«<br />

Generation.<br />

Vorsichts- und objektivierungsbedingt wird zwar über die »wahre« wirtschaftliche<br />

Vermögenslage der öffentlichen Haushalte in der Ausschüttungsstatik bilanziell<br />

66 Vgl. Eibelshäuser, M./Rüdinger, A., 2012, a.a.O., Rn. 137–140.<br />

67 Vgl. Eibelshäuser, M./Rüdinger, A., 2012, a.a.O., Rn. 213–214 mit umfangreichen<br />

Nachweisen.<br />

68 Vgl. Moxter, A., 2003, a.a.O., S. 98–104. Vgl. zur praktischen Handhabung in der<br />

öffentlichen Rechnungslegung Viehweger, C.: Bilanzielle Behandlung von gesellschaftlichen<br />

Verpflichtungen des öffentlichen Sektors, in: Bolsenkötter, H. (Hrsg.): <strong>Die</strong> Zukunft<br />

des Öffentlichen Rechnungswesens, Baden-Baden 2007, S. 193–208.<br />

69 Vgl. Breidert, U./Rüdinger, A., 2008, a.a.O., S. 34.<br />

592


DIE GRUNDSÄTZE ORDNUNGSMÄßIGER STAATLICHER BILANZIERUNG<br />

unvollständig informiert. <strong>Die</strong> bilanztheoretischen Entwicklungen seit Ende des 19.<br />

Jahrhunderts haben jedoch gezeigt, dass die Verfolgung verschiedener Zwecke<br />

mit zum Teil widersprüchlichen Folgeprinzipien nicht sinnvoll möglich ist<br />

(so bezeichnete etwa bereits Schmalenbach dualistische Bilanzauffassungen als<br />

»unwissenschaftlich« 70 ); zum anderen besteht der »Rechnungslegungsmythos«, mit<br />

Hilfe der Bilanz das Stichtagsvermögen angemessen abbilden zu können, nur in der<br />

internationalen Rechnungslegung fort. Aufgrund der breiten Aufklärung über die<br />

Informationsgrenzen der einwertigen bilanziellen Größen wird im ausschüttungsstatisch<br />

geprägten deutschen Bilanzrecht die Gewinnermittlung von der Informationsvermittlung<br />

abgekoppelt: 71 Gemäß den Informations-GoB sind die<br />

Gewinnkomponenten im Anhang durch Gliederung und Erläuterung so aufzubereiten,<br />

dass sie Anhaltspunkte für die Prognose zukünftiger Ausschüttungen liefern<br />

und so zumindest einen gewissen Mindesteinblick in die »tatsächliche« Vermögens-,<br />

Finanz- und Ertragslage des Unternehmens gewähren. 72<br />

Der vorsichtig und objektiviert ermittelte realisierte Reinvermögenszugang (Gewinn)<br />

ist grundsätzlich aussagefähig in Bezug auf die langfristige Tragfähigkeit des<br />

öffentlichen Haushalts. Wegen der starken Objektivierung ist er zwar ungeeignet für<br />

Steuerungszwecke, die Bereitstellung von Informationen für die »Betriebssteuerung«<br />

ist aber ohnehin nicht Aufgabe der Bilanz, sondern des Controllings bzw.<br />

Produkthaushalts. 73<br />

E. MAßGEBLICHKEIT DER HANDELSRECHTLICHEN GOB FÜR DIE<br />

STAATLICHE DOPPELTE BUCHFÜHRUNG<br />

Bei der Entscheidung, welche Rechnungslegungsgrundsätze der staatlichen doppelten<br />

Buchführung in Deutschland zugrunde zu legen sind, standen aus Sicht des<br />

Gesetzgebers sowohl die ausschüttungsstatischen handelsrechtlichen GoB als auch<br />

die zeitwertstatischen IFRS/IPSAS zur Wahl. 74 Auf die Entwicklung eigenständiger<br />

Bilanzierungsgrundsätze wurde von Vornherein verzichtet. Im Zuge des Haushaltsgrundsätzemodernisierungsgesetzes<br />

erklärte der Gesetzgeber schließlich die handelsrechtlichen<br />

GoB für maßgeblich: Nach § 7a Abs. 1 Satz 1 HGrG folgt die staatliche<br />

doppelte Buchführung »den Vorschriften des Ersten und des Zweiten Abschnitts<br />

70 Vgl. Schmalenbach, E., 1962, a.a.O., S. 44 f. (auch Zitat).<br />

71 Vgl. Moxter, A.: Zum Verhältnis von handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger<br />

Bilanzierung und True-and-fair-view-Gebot bei Kapitalgesellschaften, in: Förschle, G.<br />

et al. (Hrsg.): Rechenschaftslegung im Wandel, Festschrift für Wolfgang <strong>Die</strong>ter Budde,<br />

München 1995, S. 419–429.<br />

72 Vgl. zu den Informations-GoB Moxter, A., 2003, a.a.O., S. 223−300. Vgl. zur Übertragbarkeit<br />

auf die öffentliche Rechnungslegung Eibelshäuser, M., 2006, a.a.O., S. 621;<br />

Nowak, K./Ranscht-Ostwald, A./Schmitz, S., 2012, a.a.O., Rn. 101.<br />

73 Vgl. zur Rolle des Controlling im ganzheitlichen Rechnungswesen Eibelshäuser, M./<br />

Nowak, K., 2012, a.a.O., Rn. 9.<br />

74 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Haushaltsgrundsätzegesetzes (Haushaltsgrundsätzemodernisierungsgesetz<br />

– HGrGMoG), a.a.O., S. 13 f.<br />

593


JENS WÜSTEMANN/SONJA WÜSTEMANN<br />

Erster und Zweiter Unterabschnitt des Dritten Buches Handelsgesetzbuch und den<br />

Grundsätzen der ordnungsmäßigen Buchführung und Bilanzierung«. Begründet<br />

wird die Wahl mit der Verwendung der entsprechenden Vorschriften des HGB in<br />

den gegenwärtigen doppischen Reformmodellen der Länder; zudem gäbe es<br />

zwischen HGB und IPSAS »keine wesentlichen oder grundsätzlichen Abweichungen<br />

in den Rechnungslegungszielen«. 75 Überzeugen mag dieses Argument nur unter<br />

pragmatischen, 76 nicht jedoch unter konzeptionellen Gesichtspunkten. Bereits im<br />

Jahre 1967 lehnte der Bundesfinanzhof in einer Grundsatzentscheidung die induktive,<br />

an der Kaufmannsübung orientierte Ermittlung von Bilanzierungsregeln ab und<br />

stellte klar, dass Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung aus den gesetzlichen<br />

Zwecken der Bilanz abzuleiten sind (GoB »sind die Regeln, nach denen der<br />

Kaufmann zu verfahren hat, um zu einer dem gesetzlichen Zweck entsprechenden<br />

Bilanz zu gelangen, nicht aber die Regeln, die tatsächlich eingehalten werden«). 77<br />

<strong>Die</strong> Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen GoB für die staatliche doppelte Buchführung<br />

ist aber dennoch aus konzeptioneller Sicht sinnvoll, wenn auch aus anderen<br />

als den vom Gesetzgeber genannten Gründen. <strong>Die</strong> bilanztheoretischen Ausführungen<br />

haben verdeutlicht, dass das vorsichts- und objektivierungsgeprägte ausschüttungsstatische<br />

GoB-System für die Erreichung der Zwecke der öffentlichen<br />

Rechnungslegung durchaus geeignet ist. 78 Unter Berücksichtigung dieser Systemkonformität<br />

lassen sich die nach § 7a Abs. 2 HGrG vorgesehenen Abweichungen von<br />

den GoB, »die aufgrund der Besonderheiten der öffentlichen Haushaltswirtschaft<br />

erforderlich sind«, allenfalls politisch begründen. Vollkommen zu Recht hat das<br />

Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in einem öffentlichen Brief an das Bundesministerium<br />

der Finanzen fast alle der bislang von dem nach § 49a HGrG eingesetzten<br />

Gremium zur Standardisierung des staatlichen Rechnungswesens entwickelten Sondervorschriften<br />

verworfen, weil sich diese »nicht zwingend mit Besonderheiten des<br />

öffentlichen Sektors begründen lassen«. 79<br />

<strong>Die</strong> IFRS bzw. IPSAS, deren Einführung vor allem auf europäischer Ebene diskutiert<br />

wird, 80 weichen – anders als vom Gesetzgeber angenommen – ganz grundsätzlich<br />

von den Zwecken und übergeordneten Prinzipien der handelsrechtlichen GoB ab.<br />

75 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Haushaltsgrundsätzegesetzes (Haushaltsgrundsätzemodernisierungsgesetz<br />

– HGrGMoG), a.a.O., S. 14 (auch Zitat).<br />

76 Vgl. zu den »praktischen Vorteilen« Eibelshäuser, M./Rüdinger, A., 2012, a.a.O., Rn. 6<br />

m.w.N.<br />

77 Vgl. BFH vom 31.05.1967, I 208/63, BStBl. III 1967, S. 607–609 (609) (auch Zitat).<br />

78 Vgl. Eibelshäuser, M., 2006, a.a.O., S. 621–623; Breidert, U./Rüdinger, A., 2008, a.a.O.,<br />

S. 35–42.<br />

79 Vgl. IDW: Standards <strong>staatlicher</strong> Doppik nach § 7a HGrG i.V.m. § 49a HGrG, IDW –<br />

Fachnachrichten Nr.12/2012, S. 674–677 (Zitat S. 675); vgl. auch Ellerich, M.: Standards<br />

<strong>staatlicher</strong> Doppik – Zum Stand der Entwicklung einheitlicher Grundsätze für die<br />

Rechnungslegung des Bundes und der Länder, in: WPg, 65. Jg. (2012), S. 1131–1138.<br />

80 Vgl. Radermacher, W., 2012, a.a.O., S. S85–S89.<br />

594


DIE GRUNDSÄTZE ORDNUNGSMÄßIGER STAATLICHER BILANZIERUNG<br />

Sie sind durch ihre, die Objektivierung zurückdrängende zeitwertstatische Prägung zur<br />

Konkretisierung der öffentlichen Schutzzwecke gänzlich ungeeignet. 81 Insbesondere<br />

vor dem Hintergrund der zumindest auf EU-Ebene geplanten Zusammenführung von<br />

Finanzstatistik und öffentlicher Rechnungslegung ist eine starke Objektivierung unverzichtbar.<br />

82 <strong>Die</strong>se Wertung scheint der Gesetzgeber zumindest implizit zu teilen:<br />

Anders lässt sich bspw. die Einschränkung des handelsrechtlichen Wahlrechts zur<br />

Aktivierung selbst erstellter immaterieller Vermögensgegenstände, 83 mit dem gerade<br />

eine Annäherung der handelsrechtlichen Gewinnermittlung an die IFRS erreicht<br />

werden sollte, kaum begründen.<br />

F. THESENFÖRMIGE ZUSAMMENFASSUNG<br />

(1) Im Zuge der gesetzlichen Maßnahmen zur Schuldenbegrenzung vollzieht sich in<br />

der öffentlichen Rechnungslegung auf nationaler sowie EU-Ebene ein Wandel von<br />

der Kameralistik zur doppelten Buchführung. Eine bilanztheoretische Einordnung<br />

der öffentlichen Rechnungslegung anhand der Schutzzwecke lässt insbesondere im<br />

Hinblick auf die angestrebte Sicherung der intergenerativen Gerechtigkeit zunächst<br />

eine Übernahme der dynamischen Bilanztheorie reizvoll erscheinen. Bei<br />

näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass die Dynamik aufgrund der mangelnden<br />

Objektivierung sowie der fehlenden Aussagekraft der Passivposten ohne Schuldcharakter<br />

für Zwecke der öffentlichen Schuldenmessung ungeeignet ist. <strong>Die</strong> von<br />

Schmalenbach propagierte Betriebssteuerung ist in der modernen Betriebswirtschaftslehre<br />

ohnehin Aufgabe des Controllings (und nicht der Bilanz).<br />

(2) <strong>Die</strong> innerhalb der IFRS und IPSAS zum Teil verwirklichte zeitwertstatische<br />

Bilanztheorie hat den Vorteil eines annäherungsweise vollständigen Vermögensund<br />

Schuldenausweises. Aufgrund der mit der Zeitwertbewertung einhergehenden<br />

Erfassung unrealisierter Vermögenszuwächse und Entobjektivierung ist die Zeitwertstatik<br />

in Bezug auf das Ziel der Schuldenbegrenzung wenig geeignet. <strong>Die</strong>s gilt<br />

umso mehr im Zuge der geplanten Zusammenführung von Finanzstatistik und<br />

Rechnungslegung, die gerade Vorsichts- und Objektivierungsaspekte in den Vordergrund<br />

rückt. <strong>Die</strong> von einigen geforderte verbindliche Einführung der IPSAS<br />

innerhalb der EU sollte vor diesem Hintergrund noch einmal überdacht werden.<br />

(3) <strong>Die</strong> ausschüttungsstatisch geprägten handelsrechtlichen GoB erweisen sich hingegen<br />

als grundsätzlich vereinbar mit den Zwecken der öffentlichen Rechnungslegung.<br />

Ihre vom Gesetzgeber in § 7a Abs. 1 HGrG erklärte Maßgeblichkeit für<br />

die staatliche doppelte Buchführung ist insofern auch aus bilanztheoretischer<br />

Sicht rechtfertigbar. Abzulehnen sind hingegen die von dem Gremium zur<br />

Standardisierung des staatlichen Rechnungswesens entwickelten Sondervorschriften,<br />

die gegen die Voraussetzungen des § 7a Abs. 2 HGrG verstoßen und<br />

81 Vgl. Moxter, A. in vorliegender Denkschrift, S. 303 f. und 308; Nowak, K./Ranscht-<br />

Ostwald, A./Schmitz, S., 2012, a.a.O., Rn. 161, 187.<br />

82 Vgl. Eibelshäuser, M., 2012, a.a.O., 2012, S. S80.<br />

83 Vgl. zur Wahlrechtseinschränkung Eibelshäuser, M./Rüdinger, A., 2012, a.a.O., Rn. 135 f.<br />

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JENS WÜSTEMANN/SONJA WÜSTEMANN<br />

nicht der Regelungsintention des Gesetzgebers entsprechen. Abweichungen von<br />

den handelsrechtlichen GoB sind unter Berücksichtigung der weitgehenden<br />

Zweckkonformität aus bilanztheoretischer Sicht grundsätzlich nicht geboten.<br />

(4) Manfred Eibelshäuser hat die Reform der öffentlichen Rechnungslegung maßgeblich<br />

mitgestaltet. Durch seine Beiträge hat er – die Anwendbarkeit und die<br />

Praktikabilität der öffentlichen Verwaltung immer im Blick – auch in erheblichem<br />

Umfang zur Verwissenschaftlichung der Grundsätze <strong>staatlicher</strong> doppelter<br />

Buchführung beigetragen. Dem sich so abzeichnenden System der Grundsätze<br />

ordnungsmäßiger <strong>staatlicher</strong> Bilanzierung kommt Modell- und Vorbildcharakter<br />

zu – auch und gerade im internationalen Vergleich.<br />

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