Interview mit Dr.-Ing. Hermann Strub Transkription des Interviews ...
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ORAL HISTORY OF EUROPE IN SPACE<br />
<strong>Interview</strong> <strong>mit</strong> <strong>Dr</strong>.-<strong>Ing</strong>. <strong>Hermann</strong> <strong>Strub</strong><br />
<strong>Transkription</strong> <strong>des</strong> <strong>Interview</strong>s<br />
Das Gespräch führte Prof. <strong>Dr</strong>. Helmuth Trischler vom Deutschen<br />
Museum in München. Es fand am 2. Oktober 2010 im Haus von Helmuth<br />
Trischler in München-Solln statt.
00:00 HT: Vielen Dank Herr <strong>Strub</strong>, dass Sie sich bereit erklärt haben, dieses<br />
<strong>Interview</strong> zu führen. Die erste Frage, die ich in diesen <strong>Interview</strong>s immer stelle, ist die,<br />
wie Sie zur Weltraumforschung und zu Raumfahrt gekommen sind. Viele Wege<br />
führen in den Weltraum: Man kann in seiner Biografie relativ früh den Zugang finden,<br />
etwa über Science Fiction-Literatur, oder erst später im Beruf, der dann in die<br />
Raumfahrt führt. Wie war das bei Ihnen, wo sind Sie zum ersten Mal <strong>mit</strong> der<br />
Raumfahrt in Berührung gekommen? Erfolgte Ihre Sozialisation in die Raumfahrt<br />
hinein eher durch Zufall, oder war sie schon relativ früh in Ihrer Biografie angelegt?<br />
00:45 HS: Das war eigentlich in meiner Jugendzeit. Ich war noch nicht erwachsen,<br />
aber die Fliegerei hat mich bereits sehr interessiert. Mein Vater war bei der Luftwaffe,<br />
und ich konnte da gelegentlich einmal in einem Jagdflugzeug sitzen oder in ein<br />
größeres Flugzeug einsteigen, das Mitfliegen blieb leider immer nur ein Wunsch. Ich<br />
habe aber noch 1944, als 14-Jähriger, das erste Segelfliegerexamen gemacht. Der<br />
Abschuss eines ebenfalls jungen Segelflugschülers in der Ausbildung in einem<br />
Parallelkurs durch ein alliiertes Jagdflugzeug führte mir bleibend den Unsinn eines<br />
Krieges vor Augen, beeinträchtigte aber meine Luftfahrtbegeisterung nicht<br />
wesentlich. Nur von der Raumfahrt wusste ich gar nicht, dass es sie gibt. Als ich 1949<br />
in Freiburg das Studium anfing, gab es für mich noch keine Raumfahrt. Es gab<br />
Physik, und die Physik habe ich auch gewählt, weil meiner damaligen Freundin das<br />
Studium der Medizin zu lange dauerte. Denn die Medizin war eigentlich, wie ich<br />
glaube, meine richtige Begabung, was ich heute manches Mal wieder erlebe. Das<br />
Physikstudium in Freiburg war sehr theoretisch und nicht meinen Neigungen<br />
entsprechend, insbesondere in Mathematik und der Chemie bei dem Nobelpreisträger<br />
<strong>Hermann</strong> Staudinger von 1953, persönlichen Profit zog ich vom Studium Generale an<br />
dieser Universität <strong>mit</strong> Philosophie, Geschichte , Jura, Theologie und Medizin. Nach<br />
dem Vordiplom wechselte ich nach Karlsruhe an die Technische Hochschule, wo ich<br />
mich dann auf Technische Physik <strong>mit</strong> einer späteren Spezialisierung in Plasmaphysik<br />
verlegte. Damals wurde die Basis gelegt für das wissenschaftliche Arbeitsgebiet, das<br />
ich anschließend beruflich in der Forschung weiter verfolgte. Dieses hatte aber vorerst<br />
nichts <strong>mit</strong> Raumfahrt zu tun, auch nicht, als mein Instituts-Chef in den späten<br />
fünfziger Jahren ein Gutachten über Eugen Sänger schrieb. Nach Beendigung der<br />
Assistentenzeit und Abgabe der Doktorarbeit über ein Gebiet der Xenon-<br />
Hochdruckplasmen ging ich zur EG (heute EU) in das Zentrum Ispra (Italien) der<br />
Gemeinsamen Forschungsstelle. Die Promotionsprüfung erfolgte erst später, als ich<br />
bereits in Ispra war. Dort habe ich ein Labor zum Thema Direkte Konversion, also<br />
Direktumwandlung von Wärme in elektrische Energie <strong>mit</strong> aufgebaut und an<br />
entsprechender Versuchsforschung, auch im dortigen Reaktor, sieben Jahre in einem<br />
Team aus Deutschen, Franzosen, Holländern und Italienern und amerikanischen<br />
Gastwissenschaftlern gearbeitet. Erst zum Schluss ergab sich eine Verbindung zur<br />
Raumfahrt, als wir überlegten, ob Reaktoren, die thermische Energie direkt in<br />
elektrische Energie umwandeln können, vielleicht interessant für Satelliten wären.<br />
Das war meine erste gedankliche Berührung <strong>mit</strong> Raumfahrt.<br />
Die Entscheidungen, die damals im Bereich der Raumfahrt getroffen worden sind,<br />
haben mich nicht sehr berührt; das muss ich einfach so zugeben. Und zu dieser Zeit<br />
war ja auch noch nicht alles frei und zugänglich wegen der militärischen<br />
Zielsetzungen. Mit zwei anderen Wissenschaftlern, einem Amerikaner und einem<br />
Franzosen, entstand auch ein Grundlagenpatent für „Heat pipes“, auf Deutsch<br />
„Wärmerohre“. Sie arbeiten ohne Pumpen nur <strong>mit</strong> Kapillarkraft oder Schwerkraft und<br />
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transportieren Wärme von einer Wärmequelle <strong>mit</strong> Hilfe eines Mediums zu einer<br />
Stelle, wo nach Abgabe der Wärme das Medium als kondensierte Flüssigkeit wieder<br />
zur Wärmequelle zurückfließt. „Heat pipes“ verwendet man heute fast in jedem<br />
Satelliten, in Rennwagenmotoren, in großen Transformatoren und in Klimaanlagen.<br />
Schließlich stellte sich aber in Ispra heraus, dass es einfach nicht mehr so richtig<br />
weiter ging. Eine erst viele Jahre später erfolgende Neuausrichtung der Forschung und<br />
Umorganisation <strong>des</strong> Zentrums zeichnete sich auch nicht ansatzweise ab. Man hat<br />
manchmal bei der Abfahrt in den Weihnachtsurlaub nicht gewusst, ob man im<br />
Januar noch Geld für die wissenschaftliche Arbeit erwarten konnte. Ich hatte eine<br />
Familie und schon drei Töchter, und meine Frau hatte darüber hinaus Vorbehalte<br />
gegen spätere italienische Ehemänner der Töchter, weil sie in der Umgebung<br />
Beispiele gesehen hatte, die nicht ihren Vorstellungen entsprachen. Gut, sagte ich,<br />
suchen wir eine andere Stelle <strong>mit</strong> interessanten Aufgaben und verlassen diese schöne<br />
Gegend. Heute bemerkt meine Frau manchmal:“ Ach, wären wir doch dort geblieben,<br />
es war schöner. Du musstest dort weniger streng arbeiten“. Das stimmt auch.<br />
05:05 HT: Das heißt, Sie sind im Grunde Europäer gewesen und europäisch<br />
sozialisiert worden. Das ist wichtig für unser späteres Gespräch über die europäische<br />
Raumfahrt. Es interessiert mich auch in einem anderen Zusammenhang: Ich schreibe<br />
an einem Buch über Europa als Wissensgesellschaft. Die Leitfrage lautet, wie Europa<br />
durch die Zirkulation von Wissenschaftlern und wissenschaftlichem Wissen<br />
zusammengewachsen ist.<br />
05:47 HS: Aber dies hing immer intensiv von den Leuten ab, ob das funktionierte.<br />
Das habe ich auch in Ispra beispielhaft und positiv erlebt <strong>mit</strong> den Kollegen, <strong>mit</strong> denen<br />
ich dort zusammengearbeitet habe. Gutes Teamwork an einvernehmlichen<br />
Fragestellungen war die Regel. Schließlich bin ich 1968 dort weggegangen, nachdem<br />
ich in einer Zeitung, ich glaube, es war die Frankfurter Allgemeine, las, dass das<br />
Forschungsministerium in Bonn einen Referatsleiter für die Technik von Raketen-<br />
Triebwerken und Untersystemen (Energie- und Steuersysteme) suchte. Es war der<br />
gegebene Anlass, um von Ispra wegzugehen. Zudem häuften sich dort die für die<br />
Arbeit und die Arbeitsatmosphäre schädlichen Rangeleien <strong>mit</strong> den Gewerkschaftern,<br />
die auch alle Beamte werden wollten. Den europäischen Beamtenstatus habe ich dort<br />
aufgegeben, um dann in Deutschland plötzlich wieder Beamter, hoffentlich <strong>mit</strong><br />
Forschungsausrichtung, zu werden – was ich als Lan<strong>des</strong>beamter an der Universität<br />
auch schon einmal war.<br />
06:46 HT: In den 60er Jahren haben Sie also im Grunde Energieforschung im<br />
weitesten Sinne betrieben, europäisch in der Reaktortechnik. Und Sie haben schon<br />
angedeutet, was damals ansonsten in der Weltraumforschung und Raumfahrt alles<br />
lief: die ESRO- und ELDO-Gründung etc., worauf Italien durchaus auch Einfluss<br />
hatte. Das haben Sie am Rande wahrgenommen, aber das war nicht etwas, was Sie<br />
wirklich interessiert hat?<br />
07:13 HS: Es kamen gelegentlich Leute von der ESRO und fragten, ob wir etwas für<br />
sie Interessantes machten oder was sie gebrauchen könnten. Aber das waren<br />
Gespräche meistens auf höherem Hierarchieniveau. Die niedrigeren Chargen, die ihre<br />
Hauptaufgabe in Forschung und Labor sahen, saßen zwar auch gelegentlich dabei,<br />
wurden aber selten gefragt. Für mich bot dies jedoch nur einen ganz indirekten<br />
Zugang zur Raumfahrt, vorhandene Chancen blieben ungenutzt. Dieselben Besucher<br />
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habe ich später immer wieder unter erfreulicheren Umständen gemeinsamer<br />
Arbeitsinteressen getroffen.<br />
07:41 HT: Das heißt, es waren im Wesentlichen private Gründe, die Sie zurück nach<br />
Deutschland und in die ministerielle Laufbahn hinein führten, was bedeutete, von dem<br />
wissenschaftlichen Arbeitsfeld Abschied zu nehmen und in eine eher<br />
wissenschaftsverwaltende Tätigkeit hinein zu kommen?<br />
07:55 HS: Einige Veröffentlichungen hatte ich, mehrsprachig und promoviert war ich<br />
auch. Ich habe mich dann im Bun<strong>des</strong>ministerium für wissenschaftliche Forschung<br />
(Minister Gerhard Stoltenberg) beworben, allerdings gedacht, dass man dort noch viel<br />
<strong>mit</strong> Wissenschaft und Technik zu tun hat, denn ich hatte mich für ein technisches<br />
Referat beworben.<br />
08:15 HT: Das war genau die Phase, 1962, in der die Raumfahrt und die<br />
Weltraumforschung in die Zuständigkeit <strong>des</strong> Forschungsministeriums kamen, 1968<br />
dann auch die Luftfahrt.<br />
08:20 HS: Es gab damals auch schon das erste Programm für Weltraumforschung.<br />
08:25 HT: Ja, es gab die ersten Programme, aber dann geriet die Raumfahrt –<br />
europäisch aber auch in Deutschland – noch einmal in eine Krise, in der sie sich<br />
politisch und in ihren Organisationsstrukturen neu finden musste.<br />
08:45 ST: Das Ministerium hat sich in dieser Zeit personell sehr ausgeweitet. Zum<br />
Schluss gab es eine ganze Abteilung Raumfahrt, die aus zwei Unterabteilungen<br />
bestand.<br />
08:53 HT: In dieser Phase wurde das Ministerium neu aufgebaut, und es kam das<br />
Programm Neue Technologien hinzu.<br />
09:00 HS: Das war später, als ich bereits über ein Jahr dort war. Aber man hat<br />
natürlich bemerkt, dass es gewisse Unsicherheiten gab. Die Raumfahrt gehörte schon<br />
als neues Gebiet dazu, die Luftfahrt hatte damals im Ministerium noch keine<br />
Beachtung gefunden. Ich hatte mich zusammen <strong>mit</strong> neun anderen Kandidaten<br />
beworben, eine Absage wäre bei der damaligen wirtschaftlichen Situation nicht<br />
schlimm gewesen. Meines Erachtens spielte eine große Rolle, dass ich europäische<br />
Erfahrung hatte und mehrere Sprachen spreche: Französisch, Englisch, Italienisch<br />
natürlich, und ich hatte in Ispra schon an einem russisch-englischen Wörterbuch<br />
<strong>mit</strong>gearbeitet, das am Computer erstellt wurde. Das heißt, ich konnte auch fachliches<br />
Russisch lesen, allerdings nicht sprechen. Eine gewisse Bedeutung hatte vielleicht<br />
auch, dass Hans-Hilger Haunschild, der spätere Staatssekretär, bereits Einfluss auf<br />
Personalentscheidungen hatte. Er war vormals in Brüssel, aber auch in Ispra zu<br />
Besuch gewesen, woher wir uns aber nicht kannten. Da ich nur aus allgemein<br />
zugänglichen Informationen wusste, dass es ein Forschungsministerium und seine<br />
Zuständigkeiten gab, stellte ich mein Bewerbungsgespräch auf Interesse an Technik<br />
und Forschung und den Wunsch ab, sicherlich eine schöne Aufgabe zu finden. Ich<br />
habe dann die anderen acht aus dem Feld schlagen können, wobei die Sprachen,<br />
meine guten Examina, die Europa-Erfahrung und auch das Patent eine Rolle gespielt<br />
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haben mögen. Meine Kollegen meinten allerdings, da kommt jetzt einer, der schon<br />
viel Geld verdient hat und sich jetzt hier zur Ruhe setzen möchte<br />
10:47 HT: Das war auch die Phase, in der Max Mayer abgelöst wurde.<br />
10:50 HS: Noch nicht. Max Mayer war gerade vom Unterabteilungsleiter zum<br />
Abteilungsleiter hochgestiegen. Er kam ins Haus als Unterabteilungsleiter von der<br />
Verteidigung und ist dann durch die Ausdehnung – eine Unterabteilung hatte<br />
höchstens fünf Referate, aber er hatte es dann auf zehn Referate gebracht –<br />
Abteilungsleiter geworden. Dafür gab es zwei Unterabteilungsleiter. Bernhard<br />
Gaedke für den technischen und einen für den juristischen und internationalen<br />
Bereich.<br />
11:27 HT: Passte Mayer als ehemaliger Peenemünder, der in anderen<br />
Zusammenhängen groß geworden war, noch in dieses neue Ministerium? Ab 1969<br />
gab es ja nicht nur einen neuen Minister, sondern es gab eine Grundsatzabteilung, die<br />
Planung machte und dabei versuchte, das Ministerium umzukrempeln.<br />
11:46 HS: Da passte er nicht mehr richtig. Aber in der Zeit, als ich kam, passte er zu<br />
dem, was man sich vorstellte, nämlich, dass das Ministerium expandierte und neue<br />
Aufgaben an sich zog. Aber ich passte in einer anderen Weise nicht: Er wollte mich<br />
nämlich gar nicht als Mitarbeiter haben. Er dachte an Leute <strong>mit</strong> Peenemünde-<br />
Erfahrung, und die hatte ich schon altersmäßig natürlich nicht. Die später von Hans-<br />
Hilger Haunschild, aber auch schon vom damaligen Staatssekretär Hans von Heppe<br />
und der Personalabteilung vertretene Auffassung spielte bei Personaleinstellungen<br />
eine große Rolle: Wir brauchen neue Leute, die ein breiteres technisches Wissen und<br />
Europa-Erfahrung haben. Das sah Max Mayer aber etwas anders. Er hatte in meiner<br />
Akte von einem Literaturpreis gelesen, den ich einmal bekommen hatte. In Baden-<br />
Württemberg gibt es für das beste Abitur in Deutsch den Scheffel-Preis, den ich<br />
erhalten hatte. Unabhängig davon studierte ich Physik, obwohl alle anderen<br />
Abiturnoten besser waren als die 16 von 20 Punkten in Physik. Als Max Mayer nun<br />
unter <strong>Dr</strong>uck kam, mich nehmen zu müssen, sagte er sich: Wenn er so gut schreiben<br />
kann, nehme ich ihn eben, er kann dann immer die Jahresberichte schreiben.<br />
13:23 HT: Das sind Personen, die mir über ganz unterschiedliche Zugänge<br />
<strong>mit</strong>tlerweile ans Herz gewachsen sind, und nun gewinnen sie Konturen.<br />
13:38 HS: Max Mayer hat sich dann rasch an mich gewöhnt, nicht nur durch meine<br />
Fähigkeiten im Schreiben. Er schrieb oft <strong>mit</strong> seinem blauen Abteilungsleiter-Stift in<br />
die Vorlagen auf dem Weg zum Minister oder Staatssekretär seine Meinung hinein –<br />
was als Vorgesetzter sein Recht war – und sandte dann das Papier <strong>mit</strong> dem Wunsch<br />
zurück, seinen Text zu übernehmen. Ich vertrat jedoch die Meinung, dass ich das<br />
nicht gewöhnt sei und nicht wolle. Man solle meine und seine Meinung sehen. Das<br />
war aber nach wenigen Konflikten in meinem Sinne bereinigt und begegnete mir in<br />
meiner Ministeriumszeit nie mehr, so dass wir danach unter gegenseitiger<br />
Hochachtung sogar auch ein gutes persönliches Verhältnis entwickelten. In engere<br />
persönliche Beziehung zu ihm und seiner Familie kam ich aber erst später, als er<br />
schon lange nicht mehr im Ministerium war.<br />
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14:25 HT: Ich versuche nun, diese in vielerlei Hinsicht als Umbruch zu bezeichnende<br />
Phase zu konturieren: Im Ministerium kommen plötzlich neue Ideen auf, Rolf Berger<br />
<strong>mit</strong> seinen Planungsideen und so weiter.<br />
14:40 HS: Ja, Rolf Berger kam dann. Dazwischen liegt etwas, das für meine<br />
Entscheidung wichtig war. Als ich an den Reaktor-Versuchen <strong>mit</strong>gearbeitet hatte, die<br />
vielleicht auch für den Weltraum relevant werden sollten, mussten wir zur Kenntnis<br />
nehmen, dass diese Technik sehr empfindlich war und furchtbar teuer werden würde.<br />
Im Ministerium war in der Reaktor-Abteilung Wolf Schmidt-Küster, der sich<br />
Ähnliches überlegt hatte. Ich habe dann min<strong>des</strong>tens argumentativ <strong>mit</strong>geholfen, die<br />
Entwicklung von Reaktoren für den Weltraum nicht mehr in Betracht zu ziehen.<br />
Interessanter und un<strong>mit</strong>telbarer für mich als zu“ Heat pipes“ zu beantragen. Da konnte<br />
ich sagen, sie sollten die Veröffentlichungen darüber lesen, an denen ich<br />
<strong>mit</strong>gearbeitet hatte. Man ist dann furchtbar erschrocken, an einen Spezialisten geraten<br />
zu sein, der wusste, dass es das alles schon gab.<br />
Ich hatte das große Glück zwei hervorragende Mitarbeiter zu haben, die in anderen<br />
technischen Gebieten der Referatszuständigkeit sehr gut Bescheid wussten. Allerdings<br />
waren sie aber auch sehr ins Detail verliebt, was meine fachliche Koordination<br />
forderte. Einer der beiden hatte sogar, obwohl das nie Aufgabe <strong>des</strong> Ministeriums<br />
gewesen ist, Flugbahnen von Satelliten und Raketen selbst berechnet, damals noch<br />
von Hand <strong>mit</strong> mechanischem Rechner.<br />
Ich habe also günstige Bedingungen vorgefunden und bekam auch gleich<br />
Verbindungen zur Industrie, die mir Respekt verschafften, obwohl ich noch kein<br />
Experte für Raumfahrt und kein Peenemünder war. Damals lief alles noch wunderbar<br />
und ich dachte mir, ich hätte das Richtige gefunden. Aber dann ging es los: Berger<br />
war kein Freund der Raumfahrt und Wolfgang Finke im Planungsstab war<br />
außerordentlich kritisch eingestellt gegenüber der Raumfahrt; da fing es an, schwierig<br />
zu werden. Dann wurde Mayer entlassen, was bei den alten Raumfahrern natürlich<br />
tiefe Spuren hinterlassen hat. Bei mir war das weniger der Fall, denn so etwas konnte<br />
natürlich passieren. Ich fand nur die Art, wie das vollzogen wurde, nicht schön und<br />
stillos. Darauf kam plötzlich Fritz-Rudolf Güntsch, ihn kennen Sie wahrscheinlich<br />
nicht mehr.<br />
17:03 HT: Doch. War er nicht für die Informatik zuständig?<br />
17:10 HS: Ja, aber erst später. Er kam zuerst zu uns als Nachfolger von Max Mayer<br />
für die Abteilung Weltraum, die später den internationalen Teil abtreten musste in<br />
eine Abteilung, die nach Hans-Hilger Haunschilds Vorstellungen alles Internationale<br />
zusammenfassen sollte, später <strong>mit</strong> Wolf Schmidt-Küster und Reinhard Loosch.<br />
Weltraum war dann nur noch eine Unterabteilung, in der ich <strong>mit</strong> meinem Referat<br />
unter neuer Bezeichnung „Luftfahrtforschung“ figurierte. Mit der Idee, ein erstes<br />
Luftfahrtforschungsprogramm als neue Aufgabe <strong>des</strong> BMBF zu entwerfen, berief ich<br />
1971/72 einen Arbeitsausschuss ALF (Ausschuss Luftfahrtforschungsprogramm) ein,<br />
dem Sachverständige aus Forschung und Industrie wie P.G. Grüninger (DFVLR),<br />
Wolfgang Heilmann (MTU), Hans-Peter Reerink (BGT), Ernst Simon (DLH), Fred<br />
Thomas (DFVLR) und andere angehörten. Als Horst Hertrich aus dem Ausland<br />
zurück kam, wo er bei der NATO war, übernahm er das Referat und verarbeitete die<br />
ALF-Ansätze. Das erste Programm hat er dann geschrieben unter Verwendung der<br />
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ALF-Empfehlungen und zur Verabschiedung und Förderung gebracht. Er wird als<br />
Begründer <strong>des</strong> BMFT-Luftfahrtforschungsprogramms angesehen, wenn auch die Idee<br />
und ALF auf mich zurückgehen. Ich wurde dann 1973 als Unterabteilungsleiter „Luft-<br />
und Raumfahrt“ wieder für den Weltraumbereich zuständig.<br />
Fritz-Rudolf Güntsch hat mich in Sachen Weltraum nicht beeindruckt, was nicht<br />
verwunderlich ist bei seiner Herkunft aus der Entwicklung Datenverarbeitung. Seine<br />
besondere Gedächtnisleistung ist mir in Erinnerung geblieben, wie er zur<br />
Vorbereitung von Sitzungen alle nötigen Fakten der Aktenlage in einem Tag<br />
aufnahm und speicherte, um fast alles nach der Sitzung wieder völlig im Gedächtnis<br />
zu löschen. Güntsch war ein völlig anderer Typ als der sehr stan<strong>des</strong>bewusste<br />
(Flugzeugbaumeister, Testpilot) Max Mayer, der zudem, ohne das abwertend zu<br />
sagen, deutschnational eingestellt war, was mich aber nicht gestört hat.<br />
17:43 HT: Insofern passte er auch nicht mehr in dieses neue sozialdemokratische<br />
Ministerium.<br />
17:58 HS: Ja, das könnte man sagen und ich war natürlich europäisch eingestellt. Nie<br />
hatte ich Probleme, <strong>mit</strong> anderen Leuten in deren Sprache zu sprechen. Ärgerlich<br />
waren nur die Bun<strong>des</strong>forschungsberichte, für die ich Beiträge schreiben musste und<br />
zur „Abstimmung“ nämlich <strong>mit</strong> dem ganzen Haus sprechen musste. Alle Kollegen<br />
erlagen der Versuchung, darin herum zu pfuschen. Die Bun<strong>des</strong>forschungsberichte<br />
kamen auf, als man festgestellt hatte, dass im Bereich der Planung etwas<br />
unternommen werden musste. Das war ein Umbruch, auch im politischen Denken.<br />
Die politischen Planungen (Forschung und Technologie) waren allerdings manchmal<br />
so anspruchsvoll, dass man sie gar nicht hätte erfüllen können und <strong>mit</strong> den Finanzen<br />
passten sie auch nicht zusammen. Und sie passten auch nicht zusammen <strong>mit</strong> dem<br />
großen Interesse, das plötzlich die Bildung – Stichwort Georg Picht – gewann. Da gab<br />
es echte Konflikte; damals hatte ich eine recht schwere Zeit, kann ich sagen.<br />
18:40 HT: Sie haben dann die Bun<strong>des</strong>berichte Forschung geschrieben?<br />
18:53 HS: Nur den Teil zur Raumfahrt, aber nicht die ganzen Berichte. Und ich<br />
musste natürlich auch das 2. und 3. Programm zur Weltraumforschung – es gab nur<br />
drei Programme – schreiben. Das war keine reizvolle und dankbare Aufgabe, und es<br />
war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte, nämlich dass man im Ministerium mehr<br />
über die Technik <strong>mit</strong>reden könne. Ich habe dann allerdings gelernt, dass es gute Leute<br />
außerhalb gibt, die das viel besser wissen. Die damalige GfW (Gesellschaft für<br />
Weltraumforschung) war schon in Auflösung, aber die Leute waren noch da und<br />
haben dann in der DFVLR weiter gearbeitet. Ants Kutzer (dann deutscher<br />
Projektleiter Sonnensonde HELIOS) und andere Mitarbeiter der GfW waren ja extra<br />
nach USA geschickt worden, um die dortigen Strukturen und die Planung zu lernen.<br />
Unter diesem Eindruck habe ich mir gesagt, es könne eigentlich nicht sein – im<br />
Konflikt <strong>mit</strong> meinen beiden technisch guten Mitarbeitern –, dass wir noch selbst<br />
technische Vorschriften erstellten. Wir sollten andere, nämlich konzeptionelle Arbeit<br />
machen.<br />
19:59 HT: Kommen wir auf diesen Paradigmenwechsel in der Steuerung der<br />
Raumfahrt zu sprechen, von der Gesellschaft für Weltraumforschung, die, wie Sie<br />
sagen, 1969 aufgelöst und als Raumfahrttechnischer Bereich in die neue fusionierte<br />
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Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Raumfahrt integriert wurde. War das<br />
aus Ihrer damaligen Sicht und aus Ihrer heutigen Sicht, falls diese sich unterscheidet,<br />
eine sinnvolle Reorganisation <strong>des</strong> Raumfahrtmanagements?<br />
20:25 HS: Sie war sinnvoll, aber sie war nur halbherzig. Sie ist nicht so durchgezogen<br />
worden, wie sie es hätte sein sollen, um wirklich erfolgreich sein zu können und das<br />
auszunutzen, was die dortigen Mitarbeiter konnten. Das Ministerium hätte sich<br />
zurückziehen müssen und sich sagen: Lasst doch diese Leute das machen, aber wir<br />
sagen ihnen, wo sie hin müssen und wie viel Geld dafür zur Verfügung steht. Das<br />
hat das Ministerium nicht richtig befolgt. Das war ich von Europa her ein bisschen<br />
anders gewohnt.<br />
20:59 HT: Sie erwähnten, dass Sie Beziehungen und gute Kontakte zur Industrie<br />
hatten. Für die Industrie war es ja auch ein Problem, dass das Management der<br />
Raumfahrtprojekte jetzt in der nationalen Forschungsanstalt angesiedelt war, die in<br />
diesem Sinne eine etwas unglückliche Rolle hatte und in Konkurrenz zur Industrie<br />
stand. Nahmen Sie diese kritische Stimmung so wahr und konnten Sie das<br />
moderieren?<br />
21:20 HS: Ich habe das wahrgenommen. Die Auflösung der GfW ist während meiner<br />
Zeit passiert. Sie wurde im Wesentlichen im Ministerium bearbeitet von Leuten, die<br />
nicht gerade zu den Freunden von Max Mayer zählten, auch in seiner juristischen<br />
Unterabteilung. Von oben gesehen, hat Hans-Hilger Haunschild das vielleicht auch<br />
stärker unterstützt. Ich muss Ihnen sagen, als Referatsleiter habe ich überhaupt nie<br />
Einfluss auf solche Dinge nehmen können. Aber ich habe ihn auch nicht gesucht. Mir<br />
war das manchmal suspekt, wie da alles ablief. Ich habe mich um die<br />
programmatischen und technologischen Fragen in meinem begrenzten Fachbereich<br />
gekümmert, und wenn ich einen Auftrag bekam, etwas zu schreiben, habe ich das<br />
eben geschrieben.<br />
22:15 HT: Nun war das in vielerlei Hinsicht eine spannende Zeit. Eine andere<br />
Spannung im wahrsten Sinne <strong>des</strong> Wortes kam durch das Post-Apollo-Programm dazu.<br />
Wir springen da<strong>mit</strong> zum Anfang der 70er Jahre und auch in eine veränderte politische<br />
Konstellation der Raumfahrt hinein. Wie hat sich das ausgewirkt?<br />
22:41 HS: Ich konnte nur das vollziehen, was von oben vorgegeben war. Fritz-Rudolf<br />
Güntsch hat sich um solche Sachen überhaupt nie tiefgehend gekümmert, und als<br />
Wolfgang Finke später kam, war das alles schon beschlossen. Ich habe an diesen<br />
Beschlüssen nie <strong>mit</strong>gewirkt, darf ich sagen. Wolfgang Finke war damals auch<br />
ziemlich unzufrieden darüber, dass alles schon beschlossen war. Ich hatte seinerzeit<br />
auf allgemeine Aufforderung hin zur Amtsaufnahme von Minister Horst Ehmke aus<br />
meiner Erfahrung einen Organisationsvorschlag gemacht, der darauf hinauslief, dass<br />
im Haus für neue Ideen und Ziele sogenannte „Mistbeete“ gegründet werden sollten.<br />
Er hat mich daraufhin gemeinsam <strong>mit</strong> Staatssekretär Hans-Hilger Haunschild<br />
kommen lassen und mich nach dieser Idee gefragt. Diese durfte ich ihm kurz<br />
erläutern. Das war das erste Mal, dass ich etwas anderes als Technik gemacht habe. Er<br />
war aufgeschlossen und sagte wörtlich, das sei eine tolle Idee. Wie es dann<br />
verwirklicht worden ist, oder ob andere das „zerrissen“ haben, weiß ich nicht mehr<br />
genau, aber es gab in jedem Fall eine Umorganisation <strong>des</strong> Ministeriums, die sogar<br />
mehrere folgende Minister überdauert hat. Jedenfalls hat das Wort „Mistbeet“ und<br />
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<strong>des</strong>sen Bedeutung bei Horst Ehmke einen Eindruck hinterlassen. Er wohnte später<br />
schräg gegenüber von mir und hat dann herübergerufen: „Na, was ist<br />
Mistbeetgärtner?“<br />
24:00 HT: Ehmke war ja auch der große Planer.<br />
24:05 HS: Er war tatsächlich ein großer Planer. Er hat mich auch später einmal <strong>mit</strong><br />
Hans-Hilger Haunschild kommen lassen und sagte: Sie übernehmen die<br />
Unterabteilung Weltraum; ich will nämlich den gesamten Weltraumbereich<br />
zusammen haben, und das bisschen Internationale stecken wir in die internationale<br />
Abteilung, in der Wolf Schmidt-Küster Abteilungsleiter und Reinhard Loosch<br />
Unterabteilungsleiter wurde. Letzterer war übrigens <strong>mit</strong> Haunschild (wohl auch aus<br />
gemeinsamer Zeit in Brüssel) eng verbunden. Damals war Güntsch noch mein<br />
Abteilungsleiter; ob er einen Einfluss darauf gehabt hat, weiß ich nicht.<br />
24:07 HT: Haunschild war die große personelle Konstante, die sich durch einen<br />
langen Zeitraum hindurch zog.<br />
24:45 HS: Er kannte jeden von uns und jedermanns Lebenslauf und hat daraus auch<br />
seine Beurteilungen geschöpft; natürlich waren da<strong>mit</strong> auch ein paar Vorurteile<br />
verbunden. Aber sie waren immer sehr gut begründet, sogar die Vorurteile. Als Horst<br />
Ehmke, wie gerade erwähnt, mich zu sich bestellte, gab ich ihm zu bedenken: Also<br />
hören Sie mal, ich bin nicht in der Sozialdemokratischen Partei. Außerdem, was Sie<br />
vielleicht zum Lachen bringt, bin ich ein aktiver Kirchgänger. Da hat er nur gegrinst<br />
und geantwortet: Das ist mir alles egal. Die Politik mache ich, Sie sollen für mich<br />
arbeiten. Da<strong>mit</strong> war es passiert, ich profitierte von dieser außergewöhnlichen, und bis<br />
heute meist seltenen Haltung eines Ministers. Kurze Zeit später wurde dann aber<br />
Wolfgang Finke mein Abteilungsleiter, er sagte mir offen, er hätte sich seinen<br />
Unterabteilungsleiter für diesen neuen Bereich gerne selbst ausgesucht. Dann hat er<br />
aber gesehen, dass ich ihm in technischen Dingen weiterhelfen konnte, obwohl er<br />
einen großen technischen Verstand hatte. Aber in Details, in denen ich dann doch<br />
besser Bescheid wusste, half ich dann immer ganz vorsichtig weiter, ohne ihn spüren<br />
zu lassen, dass er da<strong>mit</strong> noch nicht so vertraut war. Ich glaube, es war meine größte<br />
Stärke in allen Bereichen, in denen ich bisher tätig war, auch in Ispra, dass ich <strong>mit</strong><br />
Personen gut umgehen konnte und auch nie Scheu nach oben hatte. Aber Loyalität<br />
und eine soziale und moderierende Rolle in einem Team war mir immer wichtig. Mit<br />
Wolfgang Finke verbindet mich bis heute eine enge menschliche und freundschaftlich<br />
liebenswürdige Verbundenheit. Wir nehmen gegenseitig Anteil an Dingen <strong>des</strong><br />
täglichen Lebens, besonders auch die das Altern <strong>mit</strong> sich bringt, und wir kennen die<br />
Familien.<br />
Nach kurzer Zeit hat er die Aussage, er hätte sich seinen Unterabteilungsleiter gerne<br />
selbst ausgesucht, nicht mehr vertreten. Wir haben wirklich intensiv<br />
zusammengearbeitet, wenn auch seine Verärgerung vorhielt über die politischen<br />
Dinge, die schon beschlossen waren. Hierbei versuchte er stetig, in<br />
gesamtbetrachtender Hinsicht noch das Beste daraus zu machen. Aber ich habe mich<br />
da auch nie so richtig eingemischt, wahrscheinlich hat mir dazu politische Erfahrung<br />
und Befähigung gefehlt und weil ich wusste, nötigenfalls würde er mich fragen. Denn<br />
wir waren ja nur durch ein gemeinsames Vorzimmer getrennt, und das meist <strong>mit</strong><br />
offenen Türen.<br />
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27:20 HT: Eines der Projekte, die ihm nicht so gelegen kamen und die er sich anders<br />
gewünscht hätte, war SPACELAB, ein großes, kostenfressen<strong>des</strong> Projekt, das im<br />
wahrsten Sinne <strong>des</strong> Wortes auf die Schiene gesetzt worden ist. Wie haben Sie das<br />
erlebt? Wir kommen auch noch auf die bemannte Raumfahrt zu sprechen und all die<br />
Probleme, die sich daraus ergaben.<br />
27:44 HS: Ich habe <strong>mit</strong>erlebt, dass das politisch entschieden worden ist. Man war<br />
damals irgendwie zweigeteilt. Man hat immer gesagt, wir müssen nationale Dinge<br />
machen, da<strong>mit</strong> wir wieder <strong>mit</strong>reden können. Dabei war Deutschland aber natürlich<br />
höchstens auf Brusthöhe der anderen wichtigen weltraumtreibenden Länder. Ich habe<br />
mich dann auf den technischen Bereich konzentriert und mir gesagt. Wenn etwas<br />
entschieden ist, werde ich eben <strong>mit</strong>machen und schauen, dass die technischen Dinge,<br />
aber auch die personellen Beziehungen funktionieren. Unter Minister Heinz<br />
Riesenhuber hatte ein Unterabteilungsleiter im technischen, nichtpolitischen Bereich<br />
keinen Einfluss auf politische Entscheidungen. Die oberen Chefs wie Helmut Ulke,<br />
Hans Hoffmann oder die Münchener Firmenoberen der Raumfahrtindustrie, die ich<br />
später dann besser kennengelernt habe, waren meist direkte Gesprächspartner für<br />
Wolfgang Finke. Er hielt mich aber immer informiert. Ich war einzig und allein <strong>mit</strong><br />
den Franzosen auf der obersten Ebene oft <strong>mit</strong> eingeschaltet. Das lag unter anderem<br />
allerdings daran, dass ich <strong>mit</strong> den Herren französisch reden konnte, ohne einen<br />
deutschen Akzent zu haben. Das hatte ich von meiner Mutter, die Schweizerin war,<br />
eine sprachgewaltige Frau, die vier oder fünf Sprachen gesprochen hat. Nebenbei: ich<br />
habe <strong>des</strong>halb Sprachen leicht gelernt, sehr hilfreich war Latein als Basis. Das war<br />
meine Aufgabe: zu schauen, dass es einigermaßen funktioniert und einvernehmliche<br />
Lösungen zustande kamen. Aber an den definitiven Beschlüssen habe ich überhaupt<br />
nie direkt <strong>mit</strong>wirken können. Einer, der es immer mal versucht hat, war der Gottfried<br />
Greger, der Referatsleiter bei mir war. Ich war der Meinung: Ich bin hier zwar<br />
Unterabteilungsleiter, aber wenn das oben abschließend so beschlossen worden ist,<br />
können Sie sich nur eine blutige Nase holen. Ich habe sie mir nicht geholt, sondern<br />
darauf geachtet, dass im Vorfeld etwas nach meiner Ansicht Richtiges herauskam und<br />
sehr viele Beziehungen <strong>mit</strong> den Leuten der zweiten Ebene gepflegt, auch <strong>mit</strong> der<br />
Industrie, ohne großen Einfluss zu nehmen, aber um Vertrauen zu schaffen. Das ist<br />
immer ein bisschen – ich weiß nicht, ob das einmal jemand gesagt hat – als „Low<br />
Profile“ ausgelegt worden. Aber ich habe mich in diesem Status wohlgefühlt, weil das<br />
meiner persönlichen Vorliebe entspricht, die zwar der Technik gilt, aber auch dem<br />
Bemühen, <strong>mit</strong> Leuten auszukommen, intern als eine gewisse Klammer um die<br />
Mitarbeiter, nach außen Vertrauen zu bilden.<br />
30:12 HT: Wir wissen ja heute, dass Politik auf Vertrauen und Technik auf Vertrauen<br />
basiert. Vertrauen ist wichtig für Netzwerke und überhaupt für die Machbarkeit von<br />
Projekten.<br />
30:20 HS: Mit den leitenden Wissenschaftlern, auch all den Max-Planck-Leuten, hatte<br />
Finke als der strategische Kopf zu tun. Ich saß dabei, als <strong>mit</strong> Joachim Tümper der<br />
nationale Röntgensatellit ROSAT auf unserer Ebene „abgesegnet“ wurde, oder <strong>mit</strong><br />
Hubert Curien und Frédéric d’Allest bei ARIANE-Fragen oder früher <strong>mit</strong> Michel<br />
Bignier in verschiedenen hohen Funktionen bei CNES und ESA, <strong>mit</strong> dem mich später<br />
eine enge Freundschaft über die nationalen Grenzen hinweg verband. Als er starb,<br />
baten mich die Franzosen, eine Gedenkrede in Französisch zu halten. Das fand ich<br />
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sehr ehrenvoll. Das waren die Dinge, die mir lagen. Wolfgang Finke hat den anderen<br />
Part übernommen. Wir haben uns sicherlich nicht immer verstanden, aber wir haben<br />
sehr gut zusammengearbeitet, und wir konnten uns gut leiden, auch wenn wir<br />
verschiedener Meinung waren. Aber ich habe zum Beispiel in politischen<br />
strategischen Fragen, von denen er einfach viel mehr als ich verstand, nicht versucht,<br />
etwas zu ändern, auch wenn ich vielleicht eine andere Einschätzung hatte. Wenn ich<br />
doch einmal ein gutes Argument hatte, hat er es sogar noch <strong>mit</strong> einbezogen. Aber das<br />
war nicht die Regel.<br />
31:35 HT: Wir sind kurz auf die USA zu sprechen gekommen, die andere Seite.<br />
31:40 HS: Das war aber die politische Ebene. Es kam von oben, dass man unbedingt<br />
etwas <strong>mit</strong> den Amerikanern machen wollte. Ein Teil der Deutschen wollte das und ein<br />
anderer wollte nur europäisch vorgehen. Ich hatte weder gegen das eine noch gegen<br />
das andere etwas. Ich fand die europäische Kooperation von vorn herein angemessen<br />
und politisch notwendig. Man musste meines Erachtens nur schauen, dass man bei<strong>des</strong><br />
<strong>mit</strong>einander verbinden konnte.<br />
32:09 HT: Das Oszillieren der Politik zwischen den zwei Polen, der Förderung der<br />
europäischen Integration durch die ESA einerseits und der transatlantischen<br />
Kooperation <strong>mit</strong> den USA andererseits, das sich durch die ganze<br />
Raumfahrtentwicklung hindurch zieht, war in den <strong>mit</strong>tleren 70er Jahren besonders<br />
ausgeprägt. Sie sagen, es gab zwei Gruppen, nicht nur in der hohen Politik und nicht<br />
nur in der Industrie, sondern auch bei Ihnen im Ministerium. Wie hat sich diese<br />
Spannung gezeigt?<br />
32:44 HS: Die Trennung lief eigentlich nicht durch die Fachunterabteilung, in der es<br />
um die Technik ging, auf unserem Arbeitslevel. Ein gutes Beispiel waren meine<br />
Referatsleiter Gottfried Greger und Walter Regula, die, europäisch und international<br />
<strong>mit</strong> USA, Projekte betreuten und in jedem ihrer Referatsaufgaben sehr gut ihren Mann<br />
standen. In der Technik machten wir das eine und das andere gerne. Auf Wolfgang<br />
Finkes Ebene war das schon schwieriger zu handhaben. Und bei den Leuten der<br />
internationalen Unterabteilung, die aber zu einer anderen Abteilung gehörte, in der<br />
von Reinhard Loosch und anderen auch Raumfahrtpolitik gemacht wurde, kam es<br />
ebenfalls zu dieser Trennung. Reinhard Loosch versuchte, beidem <strong>mit</strong> großem<br />
Reiseaufwand und der Sache nützlichen Verbindungen gerecht zu werden, unsere<br />
gute persönliche Beziehung half ihm aber leider dabei nicht.<br />
33:20 HT: Aber am Ende ist es dann immer auch eine Ressourcenfrage und eine<br />
Frage der Priorität?<br />
33:30 HS: Die Ressourcenfrage war eine andere, bei der man möglichst <strong>mit</strong> guten<br />
technischen Argumenten gekämpft hat, um diese Ressourcen zu bekommen. Da<br />
musste man dann auch gelegentlich in den Haushaltsausschuss, in dem aber nur<br />
wenige Leute saßen, die sich für den Weltraum interessierten. Aber <strong>mit</strong> diesen<br />
Wenigen konnte man gut reden und argumentieren, und die anderen, die dagegen<br />
waren, konnten unsereinen auch persönlich nicht leiden, egal von welcher Partei sie<br />
waren.<br />
11
34:00 HT: Jetzt zu Frankreich, dem bis heute wichtigsten Partner in der europäischen<br />
Kooperation. Frankreich hat ja ein ganz anderes politisches Verständnis von<br />
Raumfahrt. War das für Sie ein Vorbild, wie die Franzosen <strong>mit</strong> dem CNES die<br />
Raumfahrt gemanagt haben, und natürlich auch die Prioritätensetzung, <strong>mit</strong> der<br />
ARIANE einen starken nationalen Schwerpunkt zu haben? Diente das als<br />
Orientierung oder rieb man sich daran? Wie war die Rolle von Frankreich?<br />
34:30 HS: Das hat mich schon interessiert, aber CNES war für mich immer das<br />
Beispiel, was wir bei der Neuorganisation <strong>des</strong> raumfahrttechnischen Bereichs, die wir<br />
vorhin besprochen haben, nicht voll durchgezogen haben. Und ich bin dann später<br />
auch schwer aufgelaufen, als so etwas nochmals zur Debatte stand. Es so, wie die<br />
Franzosen zu machen, hätte ich schon gut gefunden. Aber ich fand in Frankreich nicht<br />
immer gut, wie die Leute von der École Polytechnique oder von der École Nationale<br />
d’Administration (ENA) – wo ich gelegentlich einen Vortrag gehalten habe – Dinge<br />
auf der Basis der Kameraderie in den nationalen Hohen Schulen beschlossen, die<br />
noch nicht einmal <strong>mit</strong> der Politik abgestimmt waren. Man konnte <strong>mit</strong> den Franzosen<br />
prima argumentieren. Wenn wir in einer Gruppe zusammen tagten, waren natürlich<br />
Dolmetscher dabei, während die dolmetschten, was ich nicht benötigte, hatte ich Zeit<br />
zum Nachdenken über die weiteren Verhandlungsschritte. Schon in Ispra hatte ich<br />
erkannt, dass die leitenden Leute aus Frankreich sehr stark ihre nationalen Interessen<br />
verfolgten. Ich hatte dann immer das Gefühl, es wäre gut, wenn wir Deutsche das<br />
auch so könnten. Aber so gute Leute hatten wir nur <strong>mit</strong> wenigen Ausnahmen, zu<br />
denen gehörte Wolfgang Finke.<br />
36:20 HT: Wir sind schon auf die Spannung und die schwierige Balance zwischen der<br />
transatlantischen und der europäischen Integration zu sprechen gekommen. Eine<br />
zweite Spannung, die sich ebenfalls, wie ich finde, durch die bun<strong>des</strong>deutsche<br />
Raumfahrtgeschichte hindurch zieht, ist die, eine Balance zwischen dem nationalen<br />
Programm und dem europäischen Programm zu finden. Für die Industrie war das<br />
nationale Programm immer zu schwach ausgeprägt, für die internationale Abteilung<br />
Ihres Hauses war es eher wichtig, das europäische Programm zu stärken. Wie haben<br />
Sie versucht, diese Balance zu halten?<br />
36:56 HS: Das habe ich, glaube ich, ganz ordentlich gemacht. Vielleicht hat das Geld<br />
nicht immer gereicht. Die Industrie kam häufig zu mir und sagte, wir müssen viel<br />
mehr machen. Dann habe ich gefragt: Warum denn? Und das beste Argument, das ich<br />
zu hören bekam, war, wir müssten in der Technologie – meinem Lieblingskind – neue<br />
Dinge anpacken. Diese Technologien müssten nicht immer kompliziert sein, aber so<br />
gut, dass wir besser als die Franzosen <strong>mit</strong> ihrem nationalen Programm seien – das ist<br />
uns dann in einigen Fällen sogar gelungen. Wenn wir das einmal wirklich ganz<br />
großartig könnten, dann könnten wir vielleicht auch <strong>mit</strong> den Amerikanern<br />
kooperieren. Aber das war schon außerhalb meines Bereichs. Ich fand, wir sollten uns<br />
zuerst einmal bemühen, dass wir technologisch eine gute Rolle in dem beginnenden<br />
europäischen Konzert spielen könnten. Das war meine Richtung, bei der der Europäer<br />
in mir wieder stark zur Geltung kam.<br />
Allerdings redete ich auch <strong>mit</strong> den Amerikanern gerne. Dazu eine Geschichte: Weil<br />
ich gut Englisch sprach und vielleicht für die hohe Politik nicht gebraucht wurde, war<br />
ich abgeordnet, die Frau <strong>des</strong> NASA-Chefs James Beggs anlässlich einer Konferenz in<br />
Wien zu begleiten. Eine sympathische Dame, die neben den Sehenswürdigkeiten der<br />
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Stadt auch für fachliche Gespräche Interesse zeigte. Minister Heinz Riesenhuber hatte<br />
sich aus europäischer Verpflichtung dafür stark gemacht, dass auch der ESA-<br />
Astronaut Wubbo Ockels neben den beiden deutschen Astronauten in der D-1-<br />
Spacelabmission 1985 <strong>mit</strong>fliegen sollte. Die dazu laufenden Verhandlungen waren<br />
nicht ganz einfach, denn es ging darum, ihn als achtes Besatzungs<strong>mit</strong>glied <strong>mit</strong>fliegen<br />
zu lassen. Üblich waren sieben. Ich wusste, dass die Amerikaner in der Überzahl<br />
bleiben wollten. Ich brachte <strong>des</strong>halb vor, dass die doch keinen Boxkampf <strong>mit</strong>einander<br />
machen wollten. Zu meiner Überraschung fragte sie dann, wie das aber <strong>mit</strong> den<br />
Betten sei, da es im Space Shuttle nur vier Betten gäbe. Ich sagte, das sei wie in einem<br />
U-Boot: Der Kommandant hat ein einzelnes Bett, aber die anderen müssen sich die<br />
Betten teilen. Und Wubbo Ockels hatte mir schon im Vertrauen gesteckt, er wolle gar<br />
nicht in einem Bett schlafen: „Ich schlafe in der Schleuse und habe mir selbst etwas<br />
Aufblasbares aus Gummi angefertigt. Da mache ich den Reißverschluss zu und kann<br />
wunderbar schlafen.“ Das gebe also kein Problem, dass könne man doch lösen,<br />
meinte ich. Abschließend meinte die Dame, ich solle das <strong>mit</strong> dem für das<br />
Flugprogramm der NASA Verantwortlichen, James Alan Abrahamson besprechen,<br />
der unter ihrem Mann Deputy Administrator war. Ich hatte dann ein Gespräch <strong>mit</strong><br />
ihm, und da er ein Militär (ehemals Luftwaffengeneral) war, sagte ich an die schon<br />
erwähnte Besetzung der Flug-Crew denkend zu ihm: „Hör mal, wir wollen doch keine<br />
Gefechte dort oben führen, oder etwa nicht?“ Wie bekannt, flog Ockels bei D 1 <strong>mit</strong>.<br />
Das waren Gespräche, die mir lagen und die ich machen durfte, aber das war keine<br />
hohe Politik.<br />
40:05 HT: Das war Diplomatie.<br />
40:10 HS: Ich habe immer gerne etwas <strong>mit</strong> den Amerikanern zusammen gemacht,<br />
aber in die Entscheidungen war ich nicht einbezogen. HELIOS war längst gelaufen,<br />
da durfte ich noch nicht einmal in die Akten hineinschauen. Da hieß es, ich sei wohl<br />
verrückt, da gehe es nicht mehr um Technologie, alles sei schon längst fertig.<br />
40:28 HT: Was war dann Ihre Rolle? Sie sagten ja, für Sie war es wichtig, dass wir als<br />
Deutsche auf diese Art und Weise technische Kompetenz und<br />
Technologieführerschaft gewinnen konnten?<br />
40:40 HS: Zumin<strong>des</strong>t auf gewissen Gebieten.<br />
40:43 HT: Wie konnte man das aus dem Ministerium heraus in die Wege leiten? Was<br />
war Ihre moderierende Rolle dabei?<br />
40:50 HS: Natürlich sind die Leute aus der Industrie zu mir gekommen. Dann habe<br />
ich deutlich gemacht, wir könnten darüber reden, aber wir sollten das <strong>mit</strong> dem<br />
Raumfahrttechnischen Bereich abstimmen, ob die das ebenfalls gut und brauchbar<br />
fänden. Etwas, das auch Wolfgang Finke sehr interessierte, obwohl er davon Details<br />
sicher nicht kennen konnte, waren die Wanderfeldröhren. Ich habe das dann richtig<br />
zum wichtigen Thema beim gemeinsamen TV-Sat gemacht. Die Franzosen meinten,<br />
Thomson-Röhren seien viel besser und Frankreich bestehe darauf. Dann habe ich in<br />
der Sitzung <strong>des</strong> gemeinsamen Projekt-Aufsichtsgremiums, das Wolfgang Finke mir<br />
anvertraut hatte, gesagt: „Also, mein lieber d’Allest, so geht das nicht. Wir<br />
unterbrechen die Sitzung, ein Streit vor allen Beteiligten passt nicht in die<br />
Kooperation. Frédéric, komm, wir beide gehen nach draußen, um darüber zu reden“.<br />
13
Danach sind wir wieder reingegangen, und er hat verkündet, wir hätten das geklärt. Es<br />
kämen zur Hälfte deutsche und zur Hälfte französische Röhren in die Satelliten. Es<br />
war zwar ein Kompromiss, aber solche Dinge konnte ich machen, denn bis heute sind<br />
es die deutschen Wanderfeldröhren, die für gewisse Felder der Satelliten-<br />
Kommunikation beherrschende Technologie sind.<br />
42:00 HT: Das bringt uns jetzt wirklich nach Europa und in die ESA als Institution<br />
hinein. Wir brauchen hier nicht über die schwierige Geburt der ESA zu reden, die<br />
Package Deals und so weiter.<br />
42:15 HS: Ich hoffe, dass Sie dazu von Wolfgang Finke genügend erfahren haben,<br />
und da war ich auch wirklich nicht aktiv. Man hat mir auch bedeutet, dass ich da<br />
nichts verloren habe; das würden andere schon machen. Vor allem die internationale<br />
Abteilung, war da<strong>mit</strong> gemeint. Trotz unvermeidlicher Reibereien, muss ich zugeben.<br />
dass sie viel besser <strong>mit</strong> den internationalen juristischen Finessen vertraut waren, aber<br />
das war eben so. Reinhard Loosch war hier die herausragende Figur für das<br />
Ministerium und ich schätzte ihn sehr, doch erst <strong>mit</strong> der Zeit entwickelte sich ein<br />
gutes und loyales Verhältnis zwischen uns. Wenn Sie ein <strong>Interview</strong> <strong>mit</strong> Reinhard<br />
Loosch führen könnten, das verspreche ich Ihnen, fänden Sie eine wahre Fundgrube.<br />
42:41 HT: Aber Sie haben dann doch Verantwortung übernommen, übernehmen<br />
müssen, und waren in den Gremien der ESA tätig. Berichten Sie bitte einmal darüber,<br />
was Ihre Erfahrungen waren, wie Sie diese Ebene der europäischen Kooperation<br />
wahrgenommen haben, vielleicht auch über die Probleme, die es nach wie vor gab,<br />
etwa <strong>mit</strong> dem Juste Retour-Prinzip, dass immer wieder bis auf die Ebene der<br />
einzelnen Projekte herunter durchdekliniert wurde. Mich würde dabei Ihre<br />
Wahrnehmung der europäischen Kooperation auf der Alltagsebene interessieren.<br />
43:13 HS: Der Zusammenschluss der ELDO und ESRO – über den Misserfolg der<br />
Rakete, warum beim letzten Start die dritte Stufe der Rakete nicht funktioniert hat,<br />
haben Ihnen sicherlich schon andere etwas erzählt – war ohne mein Zutun geschehen.<br />
Aber nach dem Zusammenschluss wurde ja dann Wolfgang Finke 1975 Ratspräsident<br />
– es gab ein großes Hin- und Her, und da waren die Juristen viel mehr gefragt als ich<br />
und meine Mitarbeiter – und ich musste an seiner Stelle in den ESA-Rat. Professor<br />
<strong>Hermann</strong> Jordan war mein Begleiter, gelegentlich war es Reinhard Loosch oder einer<br />
seiner Mitarbeiter. Und je nach Problemen aus den ESA-Fach- und Unterko<strong>mit</strong>ees<br />
kamen auch zuständige kompetente Mitarbeiter aus den Fachreferaten der<br />
Unterabteilung dazu. Wir haben dort die deutsche Haltung vertreten, von der wir,<br />
nachdem sie zuhause festgelegt worden war, nicht abweichen sollten. Wolfgang<br />
Finke hat in dem sogenannten „Büro“ am Vorabend der Ratssitzung die Dinge, die<br />
wir von Deutschland aus machen durften, schon vorab geklärt <strong>mit</strong> einigen<br />
Ausnahmen, bei denen er ein Scheitern befürchtet hat. Und das hat man ihm dann<br />
angemerkt. Er konnte auch als Ratspräsident gehässig werden, sehr elegant gehässig,<br />
wenn etwas nicht geklappt hat. Dann standen wir als deutsche Delegation natürlich<br />
wenig glücklich da.<br />
Wenn es noch keine intern vereinbarte deutsche Haltung gab, oft weil unser<br />
Abstimmungssystem kompliziert und zeitaufwendig war, habe ich danach <strong>mit</strong> den<br />
französischen, italienischen und Kollegen aus kleineren Ländern geredet, und die<br />
anderen Rats-Mitglieder gebeten, noch ein bisschen Geduld zu haben. Ich habe mich<br />
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gegenüber der deutschen Haltung <strong>mit</strong> dieser Bitte nicht immer ganz loyal verhalten,<br />
sondern manchmal gesagt, das sei eigentlich Nonsens und das tue mir leid.<br />
45:20 HT: Woran lag es, dass die nationale Entscheidungsfindung oft schwierig war;<br />
an der Vielzahl der beteiligten Ministerien, am Interministeriellen Ausschuss?<br />
45:35 HS: Sehr stark an der Beteiligung der Ministerien, und zwar nicht immer an der<br />
obersten politischen Ebene der Minister, sondern oft an der zweiten Ebene, die<br />
häufiger nur reine typische Ressortinteressen vertreten hat, nicht nur Auswärtiges<br />
Amt, Postministerium und Innenministerium. Das war erschreckend. Dann sagten die<br />
ausländischen Kollegen, ich müsse doch wohl zuhause anrufen können, was für diese<br />
verständlicher gewesen wäre, aber kaum gelingen konnte.<br />
46:00 HT: Das war eben der Unterschied zu Frankreich.<br />
46:07 HS: Ich habe die Franzosen gefragt, wie es bei Ihnen sei: der Staatspräsident<br />
oder der Ministerpräsident, und man antwortete mir: „Nein, das sind wir aus der<br />
École, wir machen das schon, da wir genau wissen, was für Frankreich gut ist.“ Wir<br />
durften nicht immer wissen, was für Deutschland gut war. Ich bin dann in die ESA<br />
stark hineingewachsen, in meiner Position, von der aus wir ein paar Dinge gestalten<br />
konnten. Aber es war keine gloriose Zeit, das kann man nicht sagen. Finke war<br />
manchmal etwas unglücklich darüber, aber er hat es <strong>mit</strong> Power zu versuchen gemacht.<br />
Sein Ruf als Ratspräsident ist heute noch ausgezeichnet. Als sein Nachfolger kam<br />
1978 bis 1981der Skandinavier Jan Stiernstedt. Da hieß es dann, der <strong>Strub</strong> hat sich<br />
immer gut bewährt und nie einen Riesenkrach gemacht; er hat zwar das verfolgt, was<br />
er musste, aber vor allem konnte er immer <strong>mit</strong> jedem reden. Deshalb haben sie mich<br />
dann zum Vizepräsidenten gemacht. Aber als Vizepräsident hat man noch nicht mal<br />
eine Ratssitzung leiten dürfen; das bedeutete nicht viel. Mehr beschäftigt war ich in<br />
dieser Zeit als Vorsitzender <strong>des</strong> ESA Industriepolitik-Ko<strong>mit</strong>ees (IPC). Damals ging es<br />
gerade wieder um Rückflüsse und solche Verteilungsprobleme, wie Sie sie vorher<br />
angesprochen haben. Die konnte ich als Vorsitzender kaum alle lösen. Aber wenn es<br />
um ein ganz spezifisches Problem ging, konnte ich das auf meine Art irgendwie<br />
regeln. Da musste ich auch nicht die deutschen Interessen vertreten, sondern die<br />
allgemeinen europäischen Interessen. Ein Beispiel: Es gab Probleme <strong>mit</strong> den Iren, die<br />
meinten, sie bekämen Krach <strong>mit</strong> der Politik im Land, weil der Rückfluss nicht<br />
stimme. Ich bin der Sache nachgegangen. Das waren rund 800.000<br />
Rechnungseinheiten. Dann habe ich <strong>mit</strong> den ERNO-Leuten als Hauptauftragnehmer<br />
geredet. ERNO hat von ihrem sehr großen Auftragsanteil diese Schnitte der irischen<br />
Firma abgegeben und da<strong>mit</strong> war das Problem gelöst. Wolfgang Finke hat mir<br />
zugetraut, das schon richtig zu machen und ihn bei solch kleineren Dingen zu<br />
entlasten. Er hat mich nie im Regen stehen lassen oder zur Ordnung gerufen; das kam<br />
in unserer ganzen gemeinsamen Zeit nicht vor.<br />
Dann kam als ESA-Generaldirektor Reimar Lüst, der sich als Wissenschaftler immer<br />
stärker in die Wissenschaftspolitik hinein begeben hatte. Als Referatsleiter im<br />
Ministerium war man für Reimar Lüst keine Figur, die eine Rolle spielte. Bei der ESA<br />
hat er dann aber plötzlich meine internationale und europäische Ader bemerkt. Dann<br />
sagte er: „Herr <strong>Strub</strong>“ – er hatte <strong>mit</strong> Wolfgang Finke geredet, und der war nicht<br />
dagegen –, „könnten Sie nicht AFC-Vorsitzender werden?“ Er schlug mich dann zum<br />
Vorsitzenden <strong>des</strong> Administrativ- und Finanzausschusses (AFC) vor, und ich bin zu<br />
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meiner großen Überraschung <strong>mit</strong> großer Mehrheit gewählt worden. Das habe ich<br />
dann, glaube ich, sehr ordentlich machen können. Jede Sitzung, ob <strong>mit</strong> oder ohne<br />
Probleme und gewichtige Entschlüsse für den ESA-Haushalt, bereitete ich <strong>mit</strong> den<br />
Mitarbeitern im Büro Lüsts vor und sprach die Delegationen, auf deren Stimme es<br />
ankam, zuvor an, entweder um Lösungen zu finden oder zumin<strong>des</strong>t unnötige Schärfen<br />
in der Ausschuss-Diskussion zu vermeiden. Reimar Lüst, der mich früher übersehen<br />
hatte, sagte dann hinter meinem Rücken, so etwas könne er gebrauchen. So war das<br />
die Art, eine gewisse Rückenfreiheit zu haben.<br />
Ich habe auch immer versucht, allgemein, aber auch in der ESA, nicht zu scharf<br />
antiamerikanisch zu sein, obwohl ich schlechte Erfahrungen <strong>mit</strong> SYMPHONIE bei<br />
der Trägerbeschaffung (Delta 2914) gemacht hatte. Bei SYMPHONIE war Max<br />
Mayer der deutsche Aufsichtsratschef, dann kam Fritz-Rudolf Güntsch für kurze Zeit,<br />
ohne größere Spuren zu hinterlassen, und als er weg war, wollte Wolfgang Finke das<br />
nicht mehr übernehmen. Das Projekt war beschlossen, und die Satelliten waren schon<br />
fertig gebaut. Er sagte:“ Machen Sie das, Sie reden ja ohnehin <strong>mit</strong> den Franzosen.“<br />
Da<strong>mit</strong> hatte ich SYMPHONIE, und dann bekamen wir diese Schwierigkeiten <strong>mit</strong> der<br />
Rakete und auch viel Ärger <strong>mit</strong> den Franzosen, die versuchten, andere ein bisschen<br />
gegen die Amerikaner aufzustacheln. Ich war der Meinung, wir sollten bewusst<br />
Europäer sein, aber ohne <strong>mit</strong> den anderen Krach zu haben. Denn die Wissenschaftler<br />
hätten eine antiamerikanische Haltung grundsätzlich nicht <strong>mit</strong>getragen, weil sie<br />
immer gemeinsame Projekte machten. In amerikanischen Wissenschaftssatelliten<br />
waren immer wieder deutsche Wissenschaftler <strong>mit</strong> Experimenten beteiligt, die zur<br />
Hälfte die MPG, gelegentlich auch Hochschulinstitute, und zur anderen Hälfte das<br />
Forschungsministerium finanzierte. Das waren Ereignisse, bei denen ich versuchte,<br />
zu ver<strong>mit</strong>teln, und das ist mir, glaube ich, oft auch ganz ordentlich gelungen. Mit<br />
Reimar Lüst habe ich, was mich erstaunt hat, seither ein gutes Verhältnis gehabt, weil<br />
ich ihm gute Dienste geleistet habe.<br />
52:00 HT: Jetzt sind wir bei der Mitte der 80er Jahre angelangt. Gehen wir auf die<br />
Ära Lüst als Generaldirektor ein, die ja von der Konstellation her eine glückliche war,<br />
weil er in einer Phase die Verantwortung übernahm, als die Budgets noch wuchsen.<br />
Aber er hatte auch eine sehr glückliche Hand. Alle, <strong>mit</strong> denen man über ihn redet,<br />
sind immer noch begeistert davon, wie er die Dinge nach vorne gebracht und in<br />
diesem Sinne auch europäisch integrierend gewirkt hat.<br />
52:30 HS: Obwohl die Wissenschaftler manchmal äußerten, er sei kein<br />
Wissenschaftler mehr. Das hat er aber auch nicht mehr gebraucht. Vielleicht<br />
bedauerte er es, dass er nie nobelpreisverdächtig war. Das kann ich mir vorstellen,<br />
von seinem ursprünglichen Selbstverständnis her, aber seine Persönlichkeit hat sich in<br />
eine andere bedeutende und eindrucksvolle Richtung entwickelt. Das<br />
naturwissenschaftlich-logische und erfolgsgerichtete Denken hat er dabei aber<br />
behalten, was <strong>mit</strong> verantwortlich für seine glückliche Hand geworden war.<br />
52:50 HT: Bevor wir auf die Ära Lüst zu sprechen kommen, würde mich nochmals<br />
interessieren, wie sie den Lernprozess der ESA, den Entwicklungsprozess von einer<br />
schwierigen Geburt hin zu einer immer stärker integrierten europäischen Institution<br />
wahrgenommen haben. War das tatsächlich ein Lernprozess <strong>mit</strong> den<br />
Kinderkrankheiten einer zu starken Betonung nationaler Interessen?<br />
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53:15 HS: Er hat zu meiner Zeit immer stattgefunden, aber diese Betonung ist dann<br />
<strong>mit</strong> der Zeit zurückgetreten, weil man die Regeln etwas geändert hat. Ursprünglich<br />
war es so: Wenn man ein neues Projekt aufgelegt hat, eines von den freiwilligen, die<br />
nicht zu den Pflichtprojekten im Wissenschaftsprogramm gehörten, dann wurde es<br />
nicht begonnen, oder man musste es verschieben, bis 100 Prozent Finanzbeteiligung<br />
der Teilnehmerländer gesichert war. Dann hat man die Regeln geändert, und es wurde<br />
etwa auf der politischen Ebene geklärt, wer noch ein paar Prozent dazugeben sollte.<br />
Dann kam auch die ARIANE dazu, bei der man immer befürchtet hat, die Franzosen<br />
würden uns majorisieren. Wir Deutschen konnten dazu auch immer mal zusätzliche<br />
Anteile dazu beitragen. Mit der späteren ARIANE-Entwicklung war es dann<br />
schwieriger, weil sich unsere Regierung nicht zu weiteren Finanzbeiträgen<br />
entschließen konnte, zum Beispiel die Turbopumpen <strong>mit</strong> über 11.000 Umdrehungen<br />
pro Minute zu machen, oder ähnliches. Da waren wir dann diejenigen, die eine<br />
Rückflussdebatte zu unseren Gunsten führen wollten, obwohl wir zuvor immer<br />
Industrieanteile für die Raumfahrtindustrie (dort beliebt als Arbeitsbeschaffung, wenn<br />
auch nicht immer höchste Technologie) zurückbekommen hatten, was zuvor aber<br />
durch die europäische Rechnungseinheit erschwert war. Aber davon hat Wolfgang<br />
Finke viel mehr verstanden als ich und sich auch darum gekümmert.<br />
Es hat aber immer noch Diskussionen über die Rückflüsse gegeben, obwohl man die<br />
Regeln schon geändert hatte. Wenn bei einem Projekt 80 Prozent gesichert und 20<br />
Prozent noch offen waren, hat man das ein bisschen angepasst. Mit der Industrie<br />
wurde dann eindringlich gesprochen, noch etwas mehr Arbeitspakete zu übernehmen.<br />
Auch für regionale Politiker manchmal interessant: Das Ministerium würde noch<br />
etwas Finanz<strong>mit</strong>tel drauflegen, und dadurch würden Arbeitsplätze gesichert. Das war<br />
immer ein ganz wichtiges Argument, in allen Ländern, <strong>mit</strong> Ausnahme von Frankreich.<br />
Die Franzosen haben immer gesagt, sie hätten das CNES <strong>mit</strong> seinem Budget, das das<br />
regeln würde.<br />
55:20 HT: Sie als politisch handelnde Person befanden sich ja auch in dem<br />
Spannungsfeld, auf der einen Seite immer die nationale Position innerhalb der ESA-<br />
Gremien vertreten zu müssen, auf der anderen Seite aber für die Integration in die<br />
Pflicht genommen zu werden, von Lüst und anderen. Wie haben Sie versucht, das zu<br />
meistern?<br />
55:40 HS: Der nationalen Technologieseite, die ich ja <strong>mit</strong> zu vertreten hatte, war das<br />
nie genug. Es gab daneben natürlich auch Technologie-Entwicklungsvorhaben, die<br />
vor allem das technische ESA-Zentrum ESTEC in Holland aufnahm und bei denen<br />
wir auch <strong>mit</strong>machten, etwa Wanderfeld-Röhren und Solarzellen. Ich habe dann<br />
vorgeschlagen, dass wir das doch auch einmal im Wettbewerb machen könnten. Das<br />
hat aber beiden Seiten nicht gefallen, und ESA-Vertreter drohten, andere Länder<br />
gegen uns aufzubringen, wenn wir in den ESTEC-Vorhaben nicht <strong>mit</strong>machen würden.<br />
Es gab immer Diskussionen, aber sie sind am Ende irgendwie gelöst worden. Ob es<br />
immer glückliche und gute Lösungen waren, das kann man nicht sagen – ich habe<br />
mich allerdings immer bemüßigt gefühlt, <strong>mit</strong> allen Leuten zu reden –, und es gab auch<br />
Dinge, die gescheitert sind. Wenn ich da an den Fernsehdirektsatelliten TV-SAT<br />
denke, musste ich erst ein ganzes Jahr lang <strong>mit</strong> den Italienern reden, die immer gesagt<br />
haben, sie seien interessiert, aber es ist nie etwas passiert. Zum Schluss haben die<br />
Franzosen gemeint, ich würde doch <strong>mit</strong> denen vergeblich reden, wie das denn nun sei<br />
– sie spielten deutlich auf das sonst immer enge Verhältnis <strong>mit</strong> ihnen an. Dann habe<br />
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ich geantwortet: „Europäisch wollt Ihr TV-SAT nicht machen, und wir sind auch<br />
schon so weit, dass wir technische Dinge entwickelt haben, die ESTEC noch gar nicht<br />
kann. Lasst uns das vielleicht einmal zusammen machen.“ Daraufhin wurden wir im<br />
Oktober 1979 <strong>mit</strong> Frankreich über ein gemeinsames Projekt einig, aber zu viel<br />
wertvolle Zeit für den nützlichen und sinnvollen Einsatz dieser Art Satelliten war<br />
da<strong>mit</strong> vergeudet, als der erste TV-SAT am 27. November 1987 <strong>mit</strong> einer ARIANE<br />
gestartet wurde und dann aber aus technischen Gründen versagte –nach meiner<br />
Meinung infolge Verharzens der Schmier<strong>mit</strong>tel an der Entfaltmechanik der<br />
Solarzellenausleger in der fast ein Jahr dauernden Lagerzeit <strong>des</strong> fertigen Satelliten.<br />
Ich habe den Eindruck – allerdings hatte ich dann schon nichts mehr da<strong>mit</strong> zu tun<br />
gehabt –, <strong>mit</strong> dem Euro ist das Geschäft in der ESA einfacher und besser geworden,<br />
obwohl es auch damals immer eine Tendenz zur Besserung gab. Und man hat die<br />
Regeln hinsichtlich der Projekt-Beteiligung weiterhin geändert. Aber diese Phase<br />
entzieht sich meiner Beurteilung.<br />
58:00 HT: Die zweite Hälfte der 80er Jahre ist die Zeit der Präsidentschaft von Lüst in<br />
der ESA. Hat es Ihre Position in Deutschland beeinflusst, dass es plötzlich einen<br />
ESA-Generaldirektor gab, der aus Deutschland kam und dem man vielleicht<br />
unterstellt hat, dass er besonders deutsche Interessen vertritt? Musste man, wenn man<br />
europäisch unterwegs war, besonders internationale Positionen als Gegengewicht<br />
vertreten?<br />
58:25 HS: Auf meinem Gebiet und für mich persönlich hat es überhaupt keine Rolle<br />
gespielt. Das ist mein Eindruck. Vielleicht haben andere das Gefühl gehabt, aber an<br />
mich ist es nie herangetragen worden.<br />
58:40 HT: Was würden Sie, wenn Sie die Präsidentschaft von Lüst nochmals Revue<br />
passieren lassen, konturieren und hervorheben? Was waren seine Verdienste und<br />
Stärken, und was hat er nach vorne gebracht in dieser Phase, in der wichtige<br />
Entscheidungen gefallen sind: HERMES, COLUMBUS, ARIANE 5, das war ja eine<br />
wichtige Phase?<br />
58:57 HS: Er hat natürlich auch versucht, Kompromisse zu schließen, zum Beispiel<br />
dass es dann plötzlich neben dem HERMES den englischen Vorschlag HOTOL und<br />
den deutschen SÄNGER gab. Ich weiß nicht, ob das in jedem Fall, die<br />
Kompromissphase zu verlängern, noch ganz richtig war. Kurz gesagt, das erschwerte<br />
das Geschäft. Die Dinge sind, weil nicht genug Geld vorhanden war und weil man zu<br />
hohe Ansprüche stellte, im Endeffekt gescheitert. Vielleicht hatte Reimar Lüst das<br />
sogar gesehen und sich <strong>des</strong>halb nicht mehr so reinhängen müssen. Er hat aber dann<br />
doch gesehen, dass Wolfgang Finke zum Beispiel sehr gut und überzeugend in<br />
Sachen ARIANE <strong>mit</strong>geredet hat, und ich habe mich auch darum <strong>mit</strong> gekümmert. Als<br />
wir im schwäbischen Bereich Lampoldshausen für die Entwicklungstests neuer<br />
Triebwerke aufbauten, waren plötzlich die Franzosen geweckt. ARIANE war schon<br />
ein wirkungsvolles Argument, das uns Europäer gestärkt hat, obwohl immer wieder<br />
gesagt wurde, die Franzosen würden uns und andere Partner majorisieren. Aber ohne<br />
die Franzosen wäre es nicht so geworden, und vor allem nicht ohne ihr technisches<br />
Verständnis und die straffe technische Leitung, die sie <strong>mit</strong> CNES übernommen haben.<br />
Sie hatten den METEOSAT früher einfach einmal kalt lächelnd an sich gezogen. Da<br />
waren Sie nicht besser, aber sie haben ihn eben an sich gezogen. Wir waren vor<br />
Wolfgang Finkes Zeit noch nicht kräftig genug, um Widerstand zu leisten, und es hat<br />
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uns auch im europäischen Bereich niemand unterstützt. Bei der ARIANE gab es dann<br />
auch – abgesehen von MAN, die gerade bei den Pumpen sehr gut waren, aber nicht<br />
immer angekommen sind – Triebwerksprojekte, wo wir gute Leute hatten, die<br />
aufgrund der ihnen noch verfügbaren Erfahrung aus der Kriegszeit wussten, wie man<br />
so etwas machen konnte. Und dann kam natürlich auch die Beteiligung an<br />
amerikanischen Projekten wieder ins Spiel, weil man meinte, Europa sei auf gutem<br />
Weg, aber wenn wir einmal wieder richtig kräftig wären, könnten wir <strong>mit</strong> den<br />
Amerikanern kooperieren. Ich hatte nie ein schlechtes Gefühl dabei, dass man<br />
versucht hat, <strong>mit</strong> den Amerikanern zusammen zu arbeiten, denn in der Politik lief das<br />
gut, ohne meine Beteiligung. Für mich war es immer von Bedeutung, soviel wie<br />
möglich international zu machen. Aber es gab auch Leute, die dann immer weniger<br />
geworden sind, die sagten, das wäre im <strong>Dr</strong>itten Reich noch anders gewesen. Das habe<br />
ich dann einfach nicht mehr hören können.<br />
1:02:10 HT: Damals gab es einen Generationswechsel, der uns zurück in den<br />
deutschen Bereich bringt. Wir sind in unserem Vorgespräch schon kurz darauf zu<br />
sprechen gekommen: Die ESA-Präsidentschaft von Lüst überlappt sich <strong>mit</strong> dem<br />
Ministerwechsel zu Riesenhuber als Forschungsminister. Wie haben Sie <strong>des</strong>sen Stil<br />
erlebt, Raumfahrtpolitik zu machen, er war ja dann in der Verantwortung?<br />
1:02:35 HS: Wenn er Reden hielt, dachte man, er sei ein glühender Verfechter der<br />
Raumfahrt. Wenn es dann um Geld ging oder noch schlimmer, nicht nur um Geld –<br />
denn das Geld wurde vom Finanzministerium verteilt –, sondern um direkte, konkrete<br />
und rasche Entscheidungen ging, hatte man das Gefühl, daran zu zweifeln. Heinz<br />
Riesenhuber war ein sehr gebildeter und intelligenter Mann, aber auch<br />
außerordentlich vorsichtig, was ihm entweder angeboren oder anerzogen war. In der<br />
Ära von Minister Heinz Riesenhuber kam die Idee auf, <strong>mit</strong> den Amerikanern im<br />
Bereich der geplanten Raumstation zusammenzuarbeiten. Gottfried Greger war da der<br />
engagierteste Mitarbeiter; er hat auch, glaube ich in Zusammenarbeit <strong>mit</strong> dem von<br />
ihm als Referatsleiter schon früh aufgebauten Netzwerk, wie man heute sagen würde,<br />
das Wort COLUMBUS geprägt. Wir sagten, ja wir können zusammenarbeiten, weil<br />
SPACELAB uns zwar wahnsinnig viel Geld gekostet, aber auch eine Menge<br />
Kenntnisse gebracht hat, wie man so etwas macht. Und das SPACELAB hat<br />
eigentlich immer funktioniert, es ist nur nicht mehr zu Ende nützlich gebraucht<br />
worden. Heinz Riesenhuber sagte dann zu Wolfgang Finke, Gottfried Greger und mir:<br />
Wenn wir jetzt etwas gemeinsam <strong>mit</strong> den Amerikaner machen, dann stehen wir<br />
nachher prima da, und wir haben die Kenntnisse dafür. Darauf hat Greger ein großes<br />
Projekt-Programm geschrieben, in dem COLUMBUS als Name erstmals aufgetaucht<br />
ist. Ich weiß nicht mehr, ob es zu Karneval war, da sind ja die deutschen Minister<br />
immer ins Ausland gereist, oder zu einer anderen Zeit. Jedenfalls ich war der Einzige,<br />
der ihn nach USA begleiten sollte. Nach einem üblichen Reden- und<br />
Besuchsprogramm, folgte als Hauptpunkt der Besuch bei der NASA, wohin ich ihn<br />
allein begleitete. Heinz Riesenhuber hat dort dann selbst in Englisch – er sprach sehr<br />
gut Englisch – dargestellt, dass wir an einen wesentlichen Anteil an einer Raumstation<br />
planen würden, und er sagte, wir würden sie COLUMBUS nennen. Da fiel einigen<br />
NASA-Leuten die Kinnlade runter; sie wollten nämlich ihre ganze Station<br />
COLUMBUS nennen. Aber Heinz Riesenhuber hatte schon das Recht der ersten<br />
Nacht. Sie hatten das noch nicht publiziert, aber er hatte schon darüber geredet. Und<br />
die Amerikaner waren von dem wortreichen Heinz Riesenhuber und seinem großen<br />
Wissen richtig beeindruckt. Er hatte die Vorlage dazu intensiv gelesen, zwar erst im<br />
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Flugzeug, aber er hatte sie, wie von ihm gewohnt, ganz gelesen. Auf dem Rückflug<br />
sagte er dann: „Mensch <strong>Strub</strong>, was habe ich da bloß gemacht? Was ich da eingefädelt<br />
habe, kostet ja richtig Geld, und den Namen COLUMBUS hätten die selber gerne<br />
haben wollen.“ Der Rückflug war für mich nicht erfreulich nach dem tollen Auftritt<br />
bei der NASA. Er schien verunsichert, was ich bei diesem Minister noch nie erlebt<br />
hatte. Da war plötzlich von seiner Begeisterung, die er rhetorisch glänzend dargelegt<br />
hatte, nichts mehr vorhanden. Da hatte er Furcht vor der eigenen Courage bekommen:<br />
„Und wie erzähle ich das dem Bun<strong>des</strong>kanzler und wie mach ich das?“ Ich wusste<br />
keinen Rat, obwohl ich überlegte, ich müsste ihn irgendwie psychologisch stützen.<br />
Das wäre von einem Untergebenen vermessen gewesen und hätte sich nach meiner<br />
Einschätzung kontraproduktiv ausgewirkt. Solch ein Fall persönlicher Nähe zu ihm<br />
war für mich höchst selten und endete nach meiner selbst gemachten Erfahrung<br />
immer abrupt, indem er selbstbewusst vor allem in Gegenwart anderer deutlich wieder<br />
der Chef wurde. Ich habe dann gesagt, ich glaube, wir sollten jetzt ein bisschen<br />
ausruhen. Nach einer längeren Pause, bevor wir dann zuhause ankamen, habe ich<br />
versucht, ihn etwas zu besänftigen und gesagt, die Amerikaner seien doch noch gar<br />
nicht so weit. Und er hat das Projekt später ja auch nicht aufgehalten. Zudem hatte er<br />
eine saubere Vorlage. Es wogte dann mehrfach hin und her, die Amerikaner<br />
beschnitten uns Europäer auf das COLUMBUS-Modul, und wir bekamen außerdem<br />
nicht ganz so viel Geld wie geplant, aber die Begeisterung für unseren Beitrag zur<br />
Raumstation blieb bei vielen Leuten groß.<br />
1:07:15 HT: Das Ende der 80er Jahre war auch die Phase einer intensiven Debatte in<br />
Deutschland um die Rolle der bemannten Raumfahrt, verbunden <strong>mit</strong> der Angst gerade<br />
auch von Wissenschaftlern wie Trümper, Pinkau und wie sie alle hießen, dass von<br />
ihren Projekten zugunsten der bemannten Raumfahrt Mittel abgezogen würden und<br />
sie zu kurz kämen. Das ist dann intensiv diskutiert worden.<br />
1:07:42 HS: Auch Reimar Lüst war eher gegen die bemannte Raumfahrt, glaube ich,<br />
er hat aber gesehen, dass da in Europa einiges Verbindende läuft. Da war er dann<br />
nicht so ganz loyal gegenüber seinen früheren Kollegen.<br />
1:07:55 HT: Absolut nicht, und er musste damals häufig gegen seine eigene Meinung<br />
eine befürwortende Position beziehen. So hat er es auch im <strong>Interview</strong> <strong>mit</strong> mir<br />
dargestellt. Aber kommen wir kurz zu der Entschließung der Deutschen<br />
Physikalischen Gesellschaft gegen die bemannte Raumfahrt?<br />
1:08:10 HS: Da war er dann allein anderer Meinung.<br />
1:08:15 HT: Die dann intensiv diskutiert worden ist. Hat Ihnen das das Leben im<br />
Ministerium erschwert, oder wie sind Sie da<strong>mit</strong> umgegangen, zumal Sie ja intensive<br />
Kontakte zu diesen Wissenschaftlern hatten?<br />
1:08:25 HS: Nur unwesentlich. Man wusste, die Richtung ist ja auch allgemein<br />
politisch gesehen diskutiert worden. Es ist viel argumentiert worden, und es ging aber<br />
häufig nur ums Geld bei den Wissenschaftlern. Aber als AFC-Vorsitzender habe ich<br />
sie, soweit möglich, immer beruhigen können, indem ich gesagt habe: Ihr habt doch<br />
das Pflichtprogramm, und da könnt ihr doch in den Abstimmungen Vorschläge<br />
machen, und dann wird das der Reihe nach realisiert. Man sieht ja heute, dass das<br />
ESA-Wissenschaftsprogramm richtiggehend langfristig aufgebaut worden ist. Es gibt<br />
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heute Projekte, die erst in 15 Jahren umgesetzt werden. Das hat sich so entwickelt.<br />
Man konnte sagen, Ihr habt doch einen gewissen Betrag. Aber es müsste noch mehr<br />
sein, hieß es dann. Da haben meine Gespräche schon etwas bewirkt. Wolfgang Finke<br />
hat die übergeordneten Gespräche geführt, aber dann habe ich <strong>mit</strong> den einzelnen<br />
Leuten geredet und konnte sagen: Seht doch, dass Ihr die Hälfte <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> vom Land<br />
oder von einer Bank bekommt, und dann geben sie Euch aus dem nationalen<br />
Programm die andere Hälfte dazu. Wir konnten immer sagen: Ihr habt doch das<br />
Pflichtprogramm der ESA, und Ihr erhaltet für die Experimente vom BMFT immer<br />
min<strong>des</strong>tens die Hälfte <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> dafür. Oft haben Sie sogar mehr bekommen.<br />
Walter Regula, bis 1980 Referatsleiter Weltraumwissenschaft, der übrigens noch lebt<br />
und über 95 Jahre alt ist, war seinerzeit schon gegen die bemannte Weltraumfahrt<br />
eingestellt. Die Tradition hielt sich nach ihm weiter in dem Netzwerk der<br />
Weltraumwissenschaft. Schon damals bemerkte er gelegentlich, wenn es um das<br />
Gesamtbudget Weltraum ging: “Immer diese Wissenschaftler“. Als ehemaliger<br />
Meteorologe favorisierte er genauso die Erderkundung, die auch bemannt ihre<br />
Facetten bekam.<br />
1:10:11 HT: Da spielen viele Fragenkomplexe hinein. Einer, den wir an dieser Stelle<br />
abarbeiten können, ist, dass Deutschland im Bereich der Weltraumforschung stark<br />
war. Sie haben die ROSAT-Mission erwähnt, <strong>mit</strong> der man wirklich international<br />
glänzen konnte.<br />
1:10:30 HS: Im wissenschaftlichen ESA-Gremium, dem Science Programme<br />
Com<strong>mit</strong>tee, wurden die deutschen Projekte wirklich favorisiert. Die einzigen, die<br />
auch einmal <strong>mit</strong> guten Vorschlägen kamen, waren holländische Wissenschaftler, und<br />
die Italiener haben später sich auch gerührt, sie würden gerne zum Zuge kommen. Die<br />
Franzosen haben immer zurückhaltend gesagt, sie machen <strong>mit</strong>, denn sie hatten das<br />
Gefühl, dass die Deutschen besser waren. Wir waren in diesem Bereich wirklich<br />
überragend und haben sogar die Amerikaner beeindruckt. Wir sind auch jüngst wieder<br />
bei dem Langfristprogramm wieder gut weggekommen, was ich allerdings nicht mehr<br />
verfolge. Ich bin ja dann 1998 ausgeschieden.<br />
1:11:19 HT: Das war vor allem das Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik<br />
hier in München, aber auch Katlenburg-Lindau. Mit anderen Worten spielte die Max-<br />
Planck-Gesellschaft schon eine wichtige Rolle. War für Sie die MPG der richtige Ort,<br />
diese Forschung zu betreiben, die ein bisschen in Richtung Großforschung geht.<br />
Zudem kommen anwendungsorientierte Dinge und Industriekontakte <strong>mit</strong> hinein. Das<br />
ist ja nicht unbedingt das, was nach dem tradierten Harnack-Prinzip der MPG, die<br />
sich an der Grundlagenforschung orientiert, auf den Leib geschneidert war. War die<br />
MPG für Sie der richtige Ort in Deutschland, um Weltraumforschung zu betreiben? In<br />
anderen Staaten in Europa, in Frankreich zum Beispiel, war das ja anders.<br />
1:12:11 HS: Ich kann Ihnen diese Frage <strong>mit</strong> nein beantworten. Die MPG als<br />
Organisation insgesamt war für mich nicht der richtige Ort, aber in einzelnen<br />
Instituten waren die richtigen Leute. Ich musste mich um das da oben – um die MPG,<br />
die Industrie und all das – überhaupt nicht kümmern, das hätte schlimmstenfalls<br />
Wolfgang Finke oder der Staatssekretär übernommen. Ich war allerdings später dann<br />
als Abteilungsleiter, nicht mehr für Weltraum, auch für die Finanzierung der MPG<br />
zuständig. Aber einzelne Institute, fand ich, durfte man da nicht herausnehmen, sonst<br />
21
wäre Deutschland nicht mehr präsent gewesen, denn die Hochschulinstitute spielten<br />
erst später zunehmend <strong>mit</strong> guten Experimenten eine Rolle. Das kann ich für den<br />
Zeitpunkt klar sagen.<br />
1:13:02 HT: Das interessiert mich vor dem Hintergrund, dass die MPG im<br />
kommenden Jahr 100 Jahre alt wird. Sie feiert sich gerade <strong>mit</strong> einer Ausstellung in<br />
Berlin und reflektiert sich auch selbst. In diesem Rahmen muss ich, eine Woche nach<br />
Herrn Lüst, über die Rolle der Großforschung in der MPG vortragen. Zu diesem<br />
Thema gab es gerade in den 80er Jahren viele Diskussionen.<br />
1:13:20 HS: Es gab dort einfach tolle Leute in MPG-Instituten. Aber nur weil es da<br />
ein paar hervorragende Leute gibt, kann man nicht sagen, dass die ganze MPG das<br />
machen muss. Nein, sondern das einzelne Institut.<br />
1:13:27 HT: Auf der Institutsebene hat das funktioniert?<br />
1:13:30 HS: Und es hat sich später, als die DARA sich in Richtung<br />
Raumfahrttechnischer Bereich <strong>des</strong> DLR entwickelt hat, ein bisschen normalisiert.<br />
1:13:44 HT: Kommen wir auf die DARA-Gründung und die Reorganisation <strong>des</strong><br />
Raumfahrtmanagements in Deutschland zu sprechen. Wie waren sie am Aufbau der<br />
DARA beteiligt, wie hat sich aus Ihrer Sicht der Aufbau und dann unter Rüttgers der<br />
Wiederabbau entwickelt?<br />
1:14:04 HS: Minister Jürgen Rüttgers habe ich nicht mehr erlebt. Damals war ich nur<br />
noch Vizepräsident <strong>des</strong> CERN-Rates, in der wichtigsten Phase der Genehmigung <strong>des</strong><br />
Baus von LHC <strong>mit</strong> Hubert Curien als Präsident, der zum Schluss sich <strong>mit</strong> mir<br />
anfreundete. Nach meiner Pensionierung habe ich ein Jahr Verlängerung bekommen,<br />
aber nicht als bediensteter Beamter, sondern nur für diese Aufgabe aus meiner<br />
vorherigen Abteilungsverantwortung.<br />
In der Diskussion, wie man den Raumfahrttechnischen Bereich und das<br />
Projektmanagement gestalten sollte, hatte ich, wie gesagt, immer die Vorstellung, es<br />
müsse so selbstständig wie das CNES organisiert werden: Ich hatte auch keine<br />
Schwierigkeiten – das liegt vielleicht an meinem beschränkten Vorstellungsvermögen<br />
–, zu sagen, wenn die Forschung, die doch öffentlich gefördert wird, plötzlich in<br />
Konkurrenz zur Industrie steht, dann soll sie sich doch wehren; Geld haben sie doch<br />
alle. Man hat immer versucht, mir klarzumachen, dass wir kein so reiches Land seien,<br />
das einfach etwas neu gründen könne, und das konnte ich natürlich nie akzeptieren.<br />
Aber da gab es dann eben Diskussion im Haus.<br />
Ich sage Ihnen jetzt etwas, von dem ich nicht weiß, ob es darüber im Ministerium<br />
noch irgendwo etwas Schriftliches gibt. Ich habe Heinz Riesenhuber persönlich (was<br />
eigentlich gegen die Regel war) meinen Vorschlag vorgetragen – damals war schon<br />
Jan-Baldem Mennicken im Haus als Abteilungsleiter –, ich sei der Meinung, man<br />
brauche eine unabhängige Organisation, egal wie sie heißt, die das<br />
Raumfahrtmanagement nach Art <strong>des</strong> CNES mache, aber eng verbunden <strong>mit</strong> der<br />
Wissenschaft, um ständig Honig aus dem DLR saugen zu können. Heinz Riesenhuber<br />
hat mich in dem Gespräche gefragt, wie man das machen könne. Ich habe<br />
geantwortet, das müsse völlig selbstständig sein. Er meinte, das gäbe<br />
22
Verfassungsprobleme. Und dann habe ich gesagt, dann sollte das nicht mehr beim<br />
Forschungsministerium sein, sondern beim Bun<strong>des</strong>kanzleramt. Dann ist es<br />
unabhängig. Und im Ministerium bräuchten wir dann nicht einmal mehr ein Referat,<br />
das das Geld bewilligte. Das ist dann auch so nicht gekommen, denn die DARA hat<br />
nicht funktioniert, da sie im Endeffekt nicht selbständig geworden ist. „Was haben<br />
Sie denn für Ideen“, sagte der Minister. Ich antwortete, es gäbe die Geheimdienste,<br />
die auch unabhängig seien. „Aber das kriegen wir doch nie durch“, meinte er. Ich<br />
habe gelegentlich <strong>mit</strong> ein paar Oppositions-Abgeordneten geredet, die meinten, man<br />
könnte die notwendige Verfassungsänderung <strong>mit</strong> Mehrheit erwirken. Aber dann<br />
kamen Michael Hackenbroch und Abteilungsleiter Jan-Baldem Mennicken als<br />
Juristen. Sie meinten dann, man könne den Minister, der in der CDU ohnehin schon<br />
nicht mehr so unangefochten dastehe, nicht noch <strong>mit</strong> diesem Problem belasten. Sie<br />
haben dann juristische Vermerke geschrieben, dass so etwas gar nicht gehe und man<br />
es auf eine andere Art machen müsse. Das entsprach meinen Erwartungen von ihnen,<br />
und im Endeffekt war ich dann froh, den Weltraumbereich verlassen zu können.<br />
Vielleicht haben die Juristen diesen Vorschlag auch <strong>mit</strong> Hilfe von anderen, wie Herrn<br />
Kröll, zu Fall gebracht, der sagte, er würde das schon machen, wenn sie ihm alles<br />
übertragen würden.<br />
Ich hatte eine ganz andere Idee, aber ich bin da<strong>mit</strong> überhaupt nicht weiter gekommen.<br />
Das Referat, das da<strong>mit</strong> zu tun hatte, und auch Mennicken selbst, waren nicht sehr<br />
mutig in diesen Dingen. Viel später, als Mennicken die Aufgabe, die DARA<br />
abzuwickeln, schon hinter sich hatte, gestand er mir beiläufig, dass ich wohl recht<br />
gehabt hätte.<br />
Ich sage jetzt etwas „off the record“: Als Wolfgang Finke in den vorzeitigen<br />
Ruhestand versetzt wurde und Jan-Baldem Mennicken als sein Nachfolger wieder ins<br />
Haus kam, habe ich den für mich schwerwiegenden Fehler gemacht, im<br />
Weltraumbereich unter ihm als Unterabteilungsleiter zu bleiben. Wissen Sie, warum<br />
ich geblieben bin? Weil ich bei dem Gebiet Weltraum, <strong>mit</strong> den vielen hervorragenden<br />
und engagierten Persönlichkeiten und den da<strong>mit</strong> verbundenen interessanten<br />
Aufgaben, das Gefühl verspürte, dies ist mein Hobby, und wenn man dafür noch<br />
bezahlt wird, ist das ein großer und vielleicht sogar seltener Glücksfall für einen<br />
Menschen, vor allem wenn er wissenschaftlich vorgebildet ist. Ich habe gedacht, dass<br />
Jan-Baldem Mennicken vom Fach als Jurist nicht viel versteht, was nötig macht, dass<br />
seine Mitarbeiter ihm außerordentlich zuarbeiten und ihm alles verständlich machen<br />
müssen, und wenn ich verbindend und hilfreich dazwischen stehe würde, wäre das<br />
wahrscheinlich der Sache dienlicher. Aber das war bei aller Liebe zur Sache ein<br />
schwerer Fehler von mir, denn Heinz Riesenhuber hat später, nachdem das <strong>mit</strong> der<br />
DARA anders lief, selbst die für mich richtige, aber zu späte Entscheidung getroffen,<br />
mich zu versetzen.<br />
1:20:00 HT: Das hat Ihre Position im Ministerium dann schwierig gemacht. Wie<br />
haben Sie die Demission Finkes empfunden? Sie haben sie ja schon angesprochen.<br />
Das war aus Ihrer Sicht nicht wirklich eine glückliche Situation.<br />
1:20:15 HS: Es war eine Besprechung in Wolfgang Finkes Büro über die<br />
Europäisierung von HERMES angesetzt in Hinblick auf eine folgende ESA-<br />
Ratssitzung. ESA stellte sich unter dem <strong>Dr</strong>uck der Franzosen HERMES vor als<br />
langfristige europäische Nachfolge <strong>des</strong> amerikanischen Space Shuttle. Es ging um das<br />
23
Vorziehen einer deutschen Beteiligung vor dem ins Auge gefassten Zeitpunkt im<br />
November 1986. Nebenthemen waren noch die Projekte HOTOL und SÄNGER. Aber<br />
bei SÄNGER ging es, glaube ich, nur noch um Technologie, und HOTOL war in<br />
England schon fast gestorben.<br />
Im BMFT engagierte sich Horst Hertrich, Referatsleiter Luftfahrtforschung, dafür,<br />
SÄNGER <strong>mit</strong> Technologieförderungen zu stärken, die rein aus der Luftfahrt kamen.<br />
Als Luftfahrtmann war er kompetent. Viele der technischen Vorentwicklungen für<br />
den Überschallbereich von SÄNGER hatte er im Referats-Programm ohne direkten<br />
Projektbezug <strong>mit</strong> eingebracht. Horst Hertrich hat da<strong>mit</strong> politisch versucht, einer<br />
neuartigen Technologie unter stark nationalen Gesichtspunkten Grundlagen zu<br />
verschaffen, die nicht europäisch in der Raumfahrt, vielleicht aber beschränkt in der<br />
Luftfahrt, zum Zuge kamen.<br />
Aber das nur nebenbei. Zurück zu Wolfgang Finke, zum 16. Juni 1986: Wir haben<br />
darüber geredet und wie üblich diskutiert und festgestellt, dass wir noch keine<br />
einheitliche Meinungen hatten. Er fragte mich, wie das <strong>mit</strong> der Technik sei. Plötzlich<br />
ging das Telefon, er solle zum Minister kommen. Ich habe mir nichts dabei gedacht.<br />
Nach ganz kurzer Zeit kam er wieder und sagte; “Ich bin raus!“. Er war in den<br />
Einstweiligen Ruhestand versetzt. Es war, glaube ich, beim Minister noch ein<br />
Staatssekretär als Zeuge dabei. Finke hatte mir persönlich in Gesprächen gelegentlich<br />
geschildert, er habe immer wieder zu Heinz Riesenhuber gesagt, wenn es nicht so<br />
gemacht würde, wie er meine, könne er ihn ja rausschmeißen. Und Heinz Riesenhuber<br />
sagte dann immer zu ihm, er brauche ihn und so weiter. Aber dann kam Wolfgang<br />
Finke an diesem Nach<strong>mit</strong>tag aus dem Ministerbüro zurück und berichtete,<br />
Riesenhuber hätte gesagt: „Jetzt akzeptiere ich Ihren schon mehrfach gemachten<br />
Vorschlag.“ Das war für mich, wie ich sagen muss, sehr hart. Ich hatte ein sehr<br />
freundschaftliches Gefühl für ihn und konnte so prima <strong>mit</strong> ihm zusammenarbeiten,<br />
ohne dass ich buckeln musste. Er hat mich zudem <strong>mit</strong> den Franzosen auf der zweiten<br />
Ebene viel verhandeln lassen; Amerika hat er gern selbst übernommen, zumin<strong>des</strong>t<br />
was die Politik angeht. Diese Entlassung war für mich eine große Enttäuschung, und<br />
sie hat mir Heinz Riesenhuber an dem Tag unsympathischer gemacht. Dass ein Mann<br />
<strong>mit</strong> seiner überragenden Intelligenz, der auch immer daran dachte, was gut für<br />
Deutschland ist, so etwas macht! Und dann habe ich auch Zweifel daran bekommen,<br />
ob er überhaupt raumfahrtinteressiert ist. Ab 1990 war ich dann auch weg vom<br />
Fenster, aber aus anderen Gründen.<br />
1:24:05 HT: Wir haben vorher schon erwähnt, dass es Ende der 80er Jahre <strong>mit</strong><br />
Glasnost und Perestroika eine weitere politische Option gab, nämlich die Möglichkeit<br />
der Kooperation <strong>mit</strong> der Sowjetunion, GUS und Russland dann, die am Anfang<br />
sicherlich politisch schwierig anzubahnen war, aber neue Chancen eröffnete. Wie hat<br />
sich das Ihnen dargestellt?<br />
1:24:25 HS: Für mich, der wenig politisch dachte, war das gewagt. Ich hatte seinerzeit<br />
auch gedacht, dass Willy Brandt <strong>mit</strong> diesen Kommunisten ein großes Risiko eingeht.<br />
Aber das hat sich dann in mir irgendwie beruhigt, und ich war ja niemandem<br />
verpflichtet. Ich hatte mich <strong>mit</strong> dem damaligen ersten deutschen Astronauten<br />
Sigmund Jähn in Tokio getroffen, weil ich das in Europa nicht durfte. Und dann<br />
plötzlich, als Finke schon im Ruhestand war, ging es um den Mitflug von<br />
Astronauten, trotz propagierter Zurückhaltung und Geheimverpflichtung. Michail<br />
24
Sergejewitch Gorbatschow war zu einem Besuch in Bonn, und während <strong>des</strong> Essens<br />
hieß es, wir sollen da hin und <strong>mit</strong> den Russen reden über Mitfluggelegenheiten<br />
deutscher Astronauten. Danach war ich häufiger in der Sowjetunion und habe<br />
gemerkt, wie sich auch auf der russischen Seite manches lockerte. Anekdotisches<br />
Beispiel: Anfangs durfte man nicht alleine austreten, man meldete sich, dann wurde<br />
die Sitzung unterbrochen. Ein Bewaffneter ging <strong>mit</strong> zur Toilette. Er blieb nicht<br />
draußen im Gang, sondern direkt vor meiner Toilettentür stehen. Da dachte ich, ich<br />
hätte damals doch Recht gehabt zu denken, was der Brandt <strong>mit</strong> diesen Leuten<br />
gemacht hatte. Ein paar Wochen später musste ich <strong>mit</strong> einem neuen mich<br />
festlegenden, aber nicht genügenden Angebot von Heinz Riesenhuber wieder hin. Da<br />
blieb der Bewaffnete dann draußen im Gang stehen. Als ich bei meinem dritten<br />
Besuch den Finger streckte, hieß es, ob ich denn immer noch nicht wisse, wo die<br />
Toilette sei. Ich sagte, doch, aber sie würden ja immer einen Bewaffneten <strong>mit</strong>schicken<br />
– das war in Kaliningrad im Raumfahrtzentrum/Flugleitstelle, nicht in Moskau. Dann<br />
sagten sie: „Geh, bevor Du in die Hosen machst.“ Dann durfte ich alleine im Gebäude<br />
herumlaufen und dachte mir, so unmenschlich sind die gar nicht.<br />
Ich habe einmal <strong>mit</strong> dem Astronauten German Titow, der geraucht hat, ein Gläschen<br />
zusammen getrunken, als ein Journalist dazu kam. Er hat ihn sofort rausgeschmissen<br />
und hat gesagt, das müsse jetzt alles weggeräumt werden, auch die Zigaretten, die er<br />
geraucht hatte, durften nicht mehr im Aschenbecher sein. Er meinte ernstlich: „Wenn<br />
der mich fotografiert, bin ich erledigt.“ Danach durfte der Journalist reinkommen,<br />
wobei wir <strong>mit</strong>einander diskutiert haben. Da war für mich plötzlich eine Schwelle<br />
beseitigt. Ich kann es nur so gefühlsmäßig erklären, denn die Politik hat mich nicht in<br />
dem Maße interessiert, obwohl ich Leute kenne, die immer ängstlich waren vor den<br />
Russen, das konnte ich zumin<strong>des</strong>t nach meiner Erfahrung <strong>mit</strong> den Raumfahrt-<br />
Kollegen nicht bestätigen, für diese konnte ich sagen, dass das nicht stimme.<br />
1:28:30 HT: Aber es war eine ganz andere Art, Raumfahrt zu betreiben, <strong>mit</strong> einer eher<br />
robusten Technik.<br />
1:28:39 HS: Ja, diese robuste Art habe ich aber schon vorher gekannt, durch die<br />
Beziehung zu China. Ich war schon einmal <strong>mit</strong> Minister Volker Hauff in China<br />
gewesen, damals durfte man nicht viel sehen. Aber danach war ich noch oft in China<br />
und habe mich <strong>mit</strong> den Chinesen gut verstanden und wurde auch in deren<br />
Raumfahrtzentren, sogar auch zum Raketenstartzentrum, hinein gelassen. Ich sollte<br />
dies wieder anekdotisch erzählen: Da war ich, glaube ich, einmal der erste Europäer<br />
überhaupt. Das war ein Ort, an dem in vielen Tunnels im Berg vormals<br />
wahrscheinlich militärische Großraketen vor dem Abschuss gelagert wurden. Das war<br />
in Südchina, in der Nähe von Chengdu, glaube ich. Dorthin durfte man noch nicht<br />
einmal fliegen und landen, denn der benachbarte zum Startgelände gehörende<br />
Flugplatz war ein Militärflugplatz. Ich reiste zwei Tage lang <strong>mit</strong> einem Zug von<br />
Peking dort hin. Nachts musste ich zwar nicht auf einem Strohsack schlafen, und ich<br />
war auch nicht in einem Waggon, in dem Männer getrennt von Frauen und Kindern<br />
fahren mussten. Ich hatte ein Abteil <strong>mit</strong> fünf Chinesen, die offensichtlich ein bisschen<br />
besser gestellt waren. Im Startzentrum ging es um das chinesische Bemühen, aus<br />
militärischen Raketen zivile zu machen, und man fragte mich, ob ich einen Rat geben<br />
könne, wie man Raketenstarts kommerzialisiert. Ich konnte dann nur antworten<br />
angesichts meiner Besichtigungen: „Das ist schön, was Ihr da bastelt, aber Ihr habt ja<br />
keine Cleanroom-Technik und gar nichts. Wenn Ihr amerikanische Satelliten starten<br />
25
wollt, wird kein Amerikaner da reingehen, das machen die nicht.“ Außerdem gab es<br />
nur kasernenähnliche Unterkünfte, kein Hotel <strong>mit</strong> klimatisierten Zimmern. Ich wurde<br />
zwar im Generalszimmer einquartiert, aber die Dusche hat nicht einmal funktioniert.<br />
Dann war ich bei Startvorbereitungen dabei und habe gesehen, dass Hühner und<br />
Schweine unter der Abschussrampe frei herum liefen. Da fiel mir nur die Bemerkung<br />
ein: „Auch das geht nicht, wenn Ihr Europäer oder Amerikaner als Kunden haben<br />
wollt.“<br />
Ich wollte <strong>mit</strong> meiner alten Contax-Kamera, die mein Vater schon im Krieg bei sich<br />
gehabt hatte, ein paar Fotos machen. Mein Kontaktmann sagte, ich dürfe ruhig<br />
fotografieren, auch die Tunnel-Öffnungen im Berg aus der militärischen Zeit <strong>des</strong><br />
Startplatzes, das würde nichts ausmachen. Als ich nach Deutschland zurückgekehrt<br />
war, kam dann jemand von einer mir weniger bekannten deutschen Institution und<br />
sprach mich auf die Fotos an.<br />
1:31:50 HT: Gegen Ende der 80er Jahre wurde es dann für die Raumfahrt wieder<br />
etwas schwieriger. Wir haben von der Wiedervereinigung und den sich dadurch<br />
eröffnenden neuen Möglichkeiten gesprochen, aber das Geld wurde nach der<br />
Wiedervereinigung natürlich immer knapper. Kommen wir nun auf die Endphase<br />
Ihrer Tätigkeit in der Raumfahrt zu sprechen.<br />
1:32:40 HS: Damals war ich schon nicht mehr involviert, denn 1990 war ich aus der<br />
Raumfahrt weg. Ich musste für Heinz Riesenhuber zunächst die<br />
Lebenswissenschaften u.a. <strong>mit</strong> der Medizintechnik übernehmen. Diese Fächer waren<br />
mir ziemlich fremd. Glücklicherweise hatte ich dort aber wiederum gute Mitarbeiter,<br />
sonst wäre ich verloren gewesen. Heute bin ich durch meine eigene Krankheit selbst<br />
ein medizinischer Experte, ein so seltener Krebstumor, dass ich für einen der wenigen<br />
Spezialisten, den es dafür in Deutschland gibt, Versuchsperson für ein Medikament<br />
war und auch an einer Statistikstudie über den Verlauf dieser Erkrankung <strong>mit</strong>wirke.<br />
Aber das nur nebenbei. Danach wurde ich 1991 auf persönlichen Wunsch <strong>des</strong><br />
Ministers Nachfolger von Josef Rembser als Abteilungsleiter 5,<br />
Grundlagenforschung, Forschungskoordinierung und Internationale Zusammenarbeit,<br />
wofür meine Sprachkenntnisse und vielleicht auch meine umgängliche Art im<br />
internationalen und wissenschaftlichen Bereich eine Rolle gespielt haben mögen. Ich<br />
war aber durch den früheren Fehler, bei Weltraum zu bleiben, schon zu alt, um zum<br />
Ministerialdirektor befördert werden zu können, da ein Kollege nicht bereit war, ohne<br />
selbst Schaden zu erleiden, für mich die Stelle früher frei zu geben. Ab da hatte ich<br />
keinen dienstlichen Einblick in die Raumfahrt mehr, die Liebe zu diesem Gebiet<br />
blieb aber erhalten. Ich war als Abteilungsleiter an der Auflösung der Akademie der<br />
Wissenschaften der DDR beteiligt. Mit Weltraum hatte das aber nichts mehr zu tun.<br />
1:33:12 HT: Das führt mich zu einer weiteren Frage: Das Institut für<br />
Kosmosforschung in Berlin war ein starkes Institut <strong>mit</strong> einem Schwerpunkt im<br />
Instrumenten- und Kamerabau. Wenn man die ganze Diskussion um die<br />
Wiedervereinigung und die Abwicklung der DDR-Forschung betrachtet, war das ein<br />
kleines Juwel, <strong>des</strong>sen Kompetenzen übernommen und über die DARA eingespeist<br />
wurden. Wie haben Sie diesen Prozess der Wiedervereinigung der<br />
Weltraumforschung und der Raumfahrttechnik erlebt?<br />
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1:33:40 HS: Die Industrie hat davon die besten Leute abgefischt. Die<br />
Wiedervereinigung ging für mich in der gesamten Evaluierung der Institute der<br />
Akademie durch den Wissenschaftsrat fast unter, obwohl sie mich als Faktum in<br />
ihrem Verlauf natürlich beeindruckte. Ich bin zu einem Zeitpunkt dazu gekommen,<br />
als die Auflösung aufgrund der Empfehlungen schon im Gang war und hatte als<br />
Abteilungsleiter <strong>mit</strong> meinen Mitarbeitern zu exekutieren, was der Wissenschaftsrat<br />
empfohlen hatte.<br />
Also war ich eher an der Aufarbeitung der direkten Folgen der Wiedervereinigung<br />
beteiligt gewesen, und ich muss offen lassen, wie es gegangen wäre, wenn ich von<br />
Anfang an dabei gewesen wäre, denn ich habe noch zu dieser späten Zeit eine<br />
Meinungsverschiedenheit <strong>mit</strong> dem Bun<strong>des</strong>kanzleramt gehabt. Da war im selben<br />
Arbeitsausschuss ein Kollege Horst Köhler, damals Staatssekretär im<br />
Bun<strong>des</strong>finanzministerium. Mit ihm war ich immer einer Meinung, wie man das <strong>mit</strong><br />
der Auflösung der Akademie und besonders eines Instituts machen sollte. Geplant<br />
erschien im Ausschuss dann ein Vertrauter <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzlers Helmut Kohl, <strong>mit</strong> dem<br />
wir den Fall gerne besprechen wollten, aber er sagte nur knapp: „Nein, das brauchen<br />
wir gar nicht, Herr Kohl will das anders.“<br />
1:35:45 HT: Zwei resümierende Fragen. Die erste: Wenn Sie die bun<strong>des</strong>deutsche<br />
Raumfahrtpolitik in Ihrer Zeit Revue passieren lassen, wo gab es Highlights, wo eher<br />
verpasste Chancen, wo sind die Dinge gut gelaufen und wo weniger gut?<br />
1:36:07 HS: Generell ist es im Durchschnitt gut gelaufen und gut aufwärts gegangen.<br />
Immer mal wieder gab es auch irgendwelche Zacken. Europa ist gestärkt worden <strong>mit</strong><br />
einem Schwergewicht bei den Franzosen, die ihre Führungsrolle spielen wollten, aber<br />
in der Wissenschaft hatten wir eindeutig die Führungsrolle. Und im nationalen<br />
Programm konnten wir eine ganze Reihe von Erfolgen erringen, die vielleicht nicht<br />
immer, im Gegensatz zum internationalen Weltraumbereich, das nötige Echo hatten.<br />
Ich verfolge heute nicht mehr richtig, wo wir Spitze sind oder sein könnten. Das<br />
einzige, wo<strong>mit</strong> ich mich zurzeit noch in Sachen Raumfahrt beschäftige, ist, dass ich<br />
mir aktuelle Bücher und Zeitschriftenartikel anschaue, die alle in Englisch sind, neue<br />
Ausdrücke und Begriffe heraussuche, die ich nicht kenne. Dies <strong>mit</strong> dem Ziel, weil ich<br />
am vielsprachigen Wörterbuch Weltraumterminologie der IAA (International<br />
Academy of Astronautics), <strong>mit</strong>arbeite. Diese Begriffe führe ich dann ein, da<strong>mit</strong> wir<br />
sie in die neue dritte Auflage <strong>des</strong> Wörterbuchs der Akademie bringen. Das ist alles,<br />
was ich mache. Und Mediziner wollen immer so viele medizinische Ausdrücke<br />
haben, weil die bemannte Raumfahrt eine so große Rolle spielt. Deshalb habe ich mir<br />
das renommierte Klinische Wörterbuch Pschyrembel gekauft und geprüft, was ein<br />
praktischer Hals-Nasen-Ohren-Arzt für die vielen Menschen, die da<strong>mit</strong><br />
Schwierigkeiten haben, kennen muss. Diese Ausdrücke gehören üblicherweise nicht<br />
in die Weltraumterminologie, aber es gibt medizinische Fachausdrücke, die man für<br />
den Weltraum braucht, vor allem über den Kreislauf und das Gleichgewichtsorgan.<br />
Ich habe vertreten, nur die sollte man aufnehmen, aber andere Wörterbuch-<br />
Mitarbeiter, vor allem aus dem chinesischen Medizinbereich wollten viel zu viele<br />
medizinische Standard-Ausdrücke aufgenommen haben. Die chinesischen Medizin-<br />
Professoren konnte ich <strong>mit</strong> Hilfe anderer internationaler Experten schließlich<br />
umstimmen, und die 2.000 gesammelten Begriffe auf überblickbare und notwendige<br />
ca. 850 zu reduzieren. Aber das ist das einzige, wo<strong>mit</strong> ich in Sachen Weltraum im<br />
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Augenblick noch zu tun habe und einen ganz kleinen Überblick da<strong>mit</strong> bewahre, der<br />
meiner fortbestehenden Neigung für Weltraum genügen sollte.<br />
1:38:32 HT: Letzte Frage: Wie hat sich Europa aus Ihrer Erfahrung der 70er und 80er<br />
Jahre in der Raumfahrt entwickelt, wo lagen die Stärken und wo die Schwächen?<br />
Vielleicht versuchen Sie nochmals Bilanz zu ziehen <strong>mit</strong> Blick auf die Positionierung<br />
Europas als wissenschaftsgetriebener Verbund von Staaten und <strong>mit</strong> Blick auf die<br />
Kooperation <strong>mit</strong> den USA und die Abgrenzung gegenüber den USA?<br />
1:39:10 HS: Die militärische Seite durfte in Europas Raumfahrt zu meiner Zeit nie<br />
eine Rolle spielen, was ich nicht immer verstanden habe, weil die Amerikaner aus der<br />
militärischen Forschung und Anwendung der Raumfahrttechnik viel Nutzen gezogen<br />
haben. Nur kurz nochmals zurück zur deutschen Seite: In der Erderkundung und in<br />
der Wissenschaft sind wir wirklich international Spitze, und das zählt für unsere Rolle<br />
in Europa. Aber nur <strong>mit</strong> den Amerikanern zu kooperieren und darüber zu vergessen,<br />
was sie militärisch machen, das ist mir zu wenig. Ich glaube, inzwischen muss man<br />
weltweit arbeiten. Ich hatte immer die Vision, international zu kooperieren, und ging<br />
dabei von meiner europäischen Haltung aus. Europa hat sich auch recht ordentlich<br />
entwickelt, wobei ich in eine Richtung ganz große Bedenken habe, nicht in der<br />
bemannten Raumfahrt, aber im Umgang <strong>mit</strong> der bemannten Raumfahrt. Man kann<br />
nämlich inzwischen, vor allem die Amerikaner, gewisse Dinge, die für die<br />
Menschheit akut werden, in der Raumstation entwickeln und erforschen, aber über die<br />
Entfernung zum Mond sollte man nicht hinausgehen. Es muss international viel<br />
weiter gehen als nur <strong>mit</strong> den Amerikanern. Ich würde noch gerne erleben, wie man<br />
das heute verwirklichen wird.<br />
Ich habe einige Freunde unter den Astronauten – sie laden mich noch ein, wenn sie<br />
ein Treffen oder eine Konferenz haben. Der Astronaut und Professor Ernst<br />
Messerschmid hat einmal ein Buch über „Space Stations, Systems and Utilization“<br />
veröffentlicht und es mir geschenkt <strong>mit</strong> einer handschriftlichen Widmung als<br />
Kollegen und Mentor. Ob dies voll gerechtfertigt ist, weiß ich nicht, aber ich war<br />
wahnsinnig stolz darauf. Ernst Messerschmid und seine Astronautenkollegen von<br />
heute werden nicht zustimmen oder böse sein, dass ich einen bemannten Marsflug für<br />
nicht wünschenswert halte, <strong>mit</strong> meinen heutigen medizinischen Einsichten, sogar<br />
ohne die unermesslichen Kosten für die notwendige und vielleicht vergebliche<br />
Lebenserhaltung für die <strong>mit</strong>fliegenden Menschen zu berücksichtigen. In Sachen eines<br />
bemannten Raumflugs zum Mars bin ich anderer Meinung als sämtliche Astronauten.<br />
Geld kostet das ohnehin, viel mehr Geld, als die ganze Welt derzeit dafür ausgeben<br />
will und kann. Ich glaube, der Mensch ist dafür überfordert, und es würden entweder<br />
halbe Tote oder Verrückte zurückkehren, trotz aller Langzeit- und Isolations-<br />
Versuche, die man derzeit dazu in Moskau oder im EAC macht. Glücklicherweise<br />
dienen die auch den Vorhaben im erdnahen Raum. Zur Meinung, den Marsflug müsse<br />
man machen, sage ich immer, von den heutigen Astronauten fliegt ohnehin keiner<br />
mehr, die nötigen Fortschritte wird die Robot- und Automatisierungstechnik machen,<br />
die Eure Nachfolger ersetzen wird. Dafür wären die hohen Kosten gerechtfertigt.<br />
01:42:05 HT: Das war eine klare Position, Herr <strong>Strub</strong>. Vielen Dank für dieses<br />
Gespräch.<br />
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