Geschäftsbericht 2008
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BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Inhalt
4<br />
Vorwort<br />
6<br />
Beschäftigung<br />
22<br />
Soziale Sicherung<br />
46<br />
Arbeitsrecht<br />
70<br />
Tarifpolitik<br />
92<br />
Bildung<br />
118<br />
Europa und Internationales<br />
136<br />
Gesellschaftspolitik<br />
148<br />
Volkswirtschaft<br />
162<br />
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
170<br />
BDA-Organisation<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Inhalt
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
nach drei Jahren des Aufschwungs und einem<br />
noch erfreulichen Jahresauftakt <strong>2008</strong> befindet sich<br />
Deutschland nun auf dem Weg in die Rezession.<br />
Die globale Finanzmarktkrise hat in wachsender<br />
Intensität und Geschwindigkeit auch die deutsche<br />
Wirtschaft erfasst. In einigen Branchen ist die Auftragslage<br />
dramatisch eingebrochen und die Auswirkungen<br />
der Finanzmarktkrise schlagen sich<br />
nachhaltig auf die gesamte Wirtschaft nieder. Die<br />
Geschäftserwartungen haben sich verschlechtert<br />
und die Prognosen für die künftige wirtschaftliche<br />
Entwicklung sind von großer Ungewissheit geprägt.<br />
Die äußerst positive Entwicklung auf dem<br />
Arbeitsmarkt wird sich nicht fortsetzen können.<br />
Deutschland ist international vergleichsweise<br />
gut aufgestellt. Der konsequente Innovationskurs<br />
und strukturelle Anpassungen in den Betrieben,<br />
eine weitgehend verantwortungsvolle Lohnpolitik<br />
und der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische<br />
Reformkurs der Agenda 2010 haben zur Verbesserung<br />
unserer Wettbewerbsfähigkeit beigetragen.<br />
Die Tarifparteien haben auch im vergangenen Jahr<br />
insbesondere mit einer differenzierten Lohnpolitik<br />
ihren Teil geleistet, um die Wettbewerbsfähigkeit<br />
der deutschen Wirtschaft zu erhöhen und so die<br />
negativen Folgen der Finanzmarktkrise und der<br />
weltwirtschaftlichen Abschwächung zu begrenzen.<br />
Mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz<br />
und dem Maßnahmenpaket zur Stabilisierung der<br />
Konjunktur hat die Bundesregierung richtige Signale<br />
gesetzt. In der aktuellen ernsten Situation<br />
wird dies jedoch kaum ausreichen, um nachhaltige<br />
Wachstumsimpulse auszulösen. Die Bundesregierung<br />
darf sich nicht zu Aktionismus verleiten<br />
lassen. Sie muss überlegt, dosiert und gezielt handeln.<br />
Sinnvoll sind Maßnahmen, die kurzfristig wirken,<br />
uns aber auch langfristig helfen, das Wachstumspotenzial<br />
unserer Wirtschaft zu stärken:<br />
1.<br />
2.<br />
3.<br />
Öffentliche Investitionen zum Ausbau und zur<br />
Modernisierung unserer Infrastruktur sollten –<br />
wo immer möglich – vorgezogen werden.<br />
Die Bundesregierung sollte Signale setzen für<br />
mehr Netto vom Brutto für alle. Das geht am<br />
besten durch die Senkung der Sozialabgaben.<br />
In der Rentenversicherung kann der Beitragssatz<br />
ohne Abschmelzung der Rücklagen auf<br />
19,6 % abgesenkt werden, in der Arbeitslosenversicherung<br />
ist eine Absenkung auf 2,5 %<br />
möglich, wenn endlich der verfassungswidrige<br />
Eingliederungsbeitrag abgeschafft wird.<br />
Die Bundesregierung sollte die heimlichen<br />
Steuererhöhungen der kalten Progression<br />
begrenzen und mittelfristig abschaffen. Das<br />
entlastet die Leistungsträger. Gerade für sie<br />
wäre dies ein wichtiges Zeichen für mehr<br />
Netto vom Brutto.<br />
Die große Koalition hat zwar den Beitragssatz<br />
der Arbeitslosenversicherung deutlich gesenkt, was<br />
auch und vor allem ein Erfolg der BDA ist. Sie hat<br />
aber insgesamt in den letzten Monaten zu wenig<br />
getan, um ihr eigenes Ziel der Senkung des Sozialversicherungsbeitrags<br />
konsequent zu verfolgen.<br />
In weniger als zwölf Monaten hat sie in allen vier<br />
Zweigen der Sozialversicherung Leistungsauswei-<br />
<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Vorwort
tungen beschlossen und die Ausgaben um mehr<br />
als 10 Mrd. € erhöht. Sie hat nach der richtigen Entscheidung<br />
für die „Rente mit 67“ die Chance verpasst,<br />
in den Sozialversicherungszweigen die dringend<br />
notwendigen Strukturreformen anzupacken.<br />
Die von der Bundesregierung beschlossenen<br />
Gesetzentwürfe zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz<br />
und zum Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />
werden nicht, wie ursprünglich geplant, noch in<br />
diesem Jahr im Bundestag verabschiedet. Grund<br />
für die zeitliche Verzögerung der Verabschiedung<br />
ist die innerhalb der Koalition umstrittene Frage,<br />
welche der acht Branchen, die Interesse am Entsendegesetz<br />
angemeldet haben, aufgenommen<br />
werden sollen. Gegenüber den ursprünglichen<br />
Entwürfen des Bundesarbeitsministers sind zwar<br />
zwischenzeitlich einige wichtige Änderungen vorgenommen<br />
worden. Aber immer noch enthalten<br />
die Gesetze eine Ermächtigung, unter bestimmten<br />
Bedingungen Tarifverträge außer Kraft zu setzen.<br />
Diese möglichen Eingriffe in die Tarifautonomie<br />
sind gefährlich. Gesetzliche Mindestlöhne beinhalten<br />
immer die Gefahr, dass der Einstieg in Arbeit<br />
für gering Qualifizierte und Langzeitarbeitslose<br />
unmöglich gemacht wird.<br />
unserer freiheitlichen und sozialen Ordnung darzustellen<br />
und zu vermitteln. Wir stehen am Beginn<br />
einer neuen Debatte über unser Wirtschafts- und<br />
Gesellschaftssystem. Die BDA tritt für eine Kultur<br />
der unternehmerischen Nachhaltigkeit ein, wie sie<br />
von den meisten Unternehmen in Deutschland mit<br />
hoher Verantwortung gelebt wird. Und wir drängen<br />
darauf, dass auch die Politik sich wieder auf<br />
langfristige und zukunftsorientierte Strategien besinnt.<br />
Die BDA hat nachhaltige Konzepte in allen<br />
Bereichen der Sozialpolitik vorgelegt. Wir werden<br />
uns den grundlegenden Orientierungsfragen stellen<br />
und für unsere Konzepte offensiv werben.<br />
Dr. Reinhard Göhner<br />
Hauptgeschäftsführer der BDA<br />
Berlin, Dezember <strong>2008</strong><br />
Das Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft<br />
ist in den letzten Monaten rapide gesunken. Unsere<br />
Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist jedoch<br />
zwingend auf Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit<br />
angewiesen, weil sie überzeugend sein muss für<br />
die Menschen, die sie tragen und prägen. Alle<br />
Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft<br />
sind deshalb aufgerufen, die Attraktivität<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Vorwort
Agenda 2010 wirkt –<br />
Reformen fortsetzen<br />
Der Aufschwung am Arbeitsmarkt hat als Folge der<br />
konjunkturellen Eintrübung <strong>2008</strong> nachgelassen.<br />
Die Signale verdichten sich, dass er im nächsten<br />
Jahr auslaufen wird. Wenn der Arbeitsmarkt von<br />
globaler Wirtschaftsentwicklung und Finanzmarktkrise<br />
auch nicht abgekoppelt werden kann, so hat<br />
doch gerade der letzte Wirtschaftsaufschwung<br />
bewiesen, dass Strukturreformen zu mehr Beschäftigung<br />
führen. Deshalb kommt es jetzt darauf<br />
an, durch eine konsequente Fortsetzung der<br />
Strukturreformen Impulse gegen einen stärkeren<br />
Abschwung zu setzen und die Startrampe für den<br />
nächsten Aufschwung auszubauen.<br />
Die Reformen der Agenda 2010 waren nicht<br />
nur notwendig, sie haben auch gewirkt: mit mehr<br />
Arbeitsplätzen, weniger Arbeitslosen und mehr<br />
Chancen für alle. Eine derartig positive Wirkung<br />
hatte am Arbeitsmarkt noch kein Aufschwung seit<br />
den 1970er Jahren. Die Zahl der Erwerbstätigen<br />
überschritt <strong>2008</strong> zum ersten Mal nach der Wiedervereinigung<br />
im Jahresdurchschnitt die 40-Millionen-Marke.<br />
Die Arbeitslosigkeit sank insgesamt<br />
auf den niedrigsten Stand seit 16 Jahren. Erstmals<br />
ist es in diesem Konjunkturaufschwung gelungen,<br />
auch die vor allem aus Langzeitarbeitslosen bestehende<br />
Sockelarbeitslosigkeit zu reduzieren.<br />
Diese Erfolge am Arbeitsmarkt sind nicht nur<br />
wichtig, weil Arbeit der beste Schlüssel gegen Armut<br />
und für mehr Wohlstand ist. Sie beweisen vor<br />
allem: Die Strategie des Förderns und Forderns<br />
mit mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt ist ohne Alternative<br />
und muss von der Politik dringend fortgesetzt<br />
werden. Nur so kann<br />
die immer noch viel zu hohe Arbeitslosigkeit<br />
weiter abgebaut,<br />
die im internationalen Vergleich weiter enorm<br />
hohe Langzeitarbeitslosigkeit spürbar reduziert<br />
und<br />
mittelfristig auch das in der Politik zu Recht<br />
wieder anerkannte und verfolgte Ziel der Vollbeschäftigung<br />
erreicht werden.<br />
Ein zentraler Hebel für mehr Wachstum und<br />
Beschäftigung ist und bleibt die Senkung der in<br />
Deutschland viel zu hohen gesetzlichen Lohnzusatzkosten.<br />
Umso bemerkenswerter und wichtiger<br />
ist die Erfolgsstory in der Arbeitslosenversicherung.<br />
Hier wird der Beitrag von noch 6,5 % im<br />
Jahr 2006 und 3,3 % in diesem Jahr nächstes Jahr<br />
zunächst auf 2,8 % gesenkt. Der Beitragssatz zur<br />
Arbeitslosenversicherung liegt damit 2009 wieder<br />
unter dem Niveau von 1976. Derartige Entlastungen<br />
bei den gesetzlichen Lohnzusatzkosten<br />
sind das beste Konjunkturprogramm überhaupt.<br />
Die Entlastung der Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung<br />
wird so von 2007 bis 2010 rund<br />
84 Mrd. € betragen.<br />
Es war stets die BDA, die immer als Erste mit<br />
ihrem Präsidenten an der Spitze die nächste möglich<br />
gewordene Beitragssenkung eingefordert und<br />
ihre seriöse Umsetzbarkeit dargelegt hat. Leider<br />
ist die Entlastung in der Arbeitslosenversicherung<br />
aber durch Beitragssteigerungen in allen anderen<br />
Sozialversicherungszweigen zum größten Teil<br />
wieder zunichtegemacht worden. Umso wichtiger<br />
bleibt es, in der Arbeitslosenversicherung das gesamte<br />
Beitragssenkungspotenzial auszuschöpfen.<br />
Eine Senkung des Beitrags auf unter 2,5 %<br />
wäre hier sofort möglich, wenn die Politik die verfassungswidrige<br />
Belastung der Beitragszahler mit<br />
dem sog. Eingliederungsbeitrag beendet. Hiermit<br />
werden allein in diesem Jahr 5 Mrd. € der Beiträge<br />
zur Arbeitslosenversicherung für eine Mitfinanzierung<br />
der Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II<br />
missbraucht. Da die Politik sich bisher nicht durchringen<br />
konnte, diesen inakzeptablen Zustand zu<br />
beenden, muss jetzt das Bundesverfassungsgericht<br />
entscheiden. Hier wurden mehrere Verfassungsbeschwerden<br />
von Arbeitgebern und Arbeitnehmern<br />
mit Unterstützung der BDA eingelegt.<br />
Vereitelt werden konnten Bestrebungen des<br />
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales<br />
(BMAS), sich selbst als „Obersteuermann“ der<br />
Bundesagentur für Arbeit (BA) zu etablieren, um so<br />
die Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit<br />
der Arbeitslosenversicherung auszuhebeln. Entsprechende<br />
Pläne des BMAS waren im Zuge des<br />
„Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen<br />
Instrumente“ offenbar geworden. Der<br />
entschiedene Einsatz der BDA hat bewirkt, dass<br />
10 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Beschäftigung
eine kontraproduktive Ausweitung des Einflusses<br />
des BMAS auf die Arbeitslosenversicherung, die<br />
inzwischen erfolgreich im Sinne von Arbeitslosen,<br />
Gesamtwirtschaft und Beitragszahlern operiert,<br />
verhindert werden konnte.<br />
Die Bestrebungen des BMAS, seinen Einflussbereich<br />
auszubauen, erscheinen umso widersinniger,<br />
als die größten Probleme am deutschen<br />
Arbeitsmarkt im Bereich der staatlichen Fürsorgeleistung<br />
Arbeitslosengeld II fortbestehen. Auch<br />
hier will sich das BMAS bei der Neuorganisation<br />
der Arbeitslosengeld-II-Verwaltung eine eigene<br />
Dominanz sichern und hat hierzu „Zentren für Arbeit<br />
und Grundsicherung“ aus Arbeitsagenturen<br />
und Kommunen vorgeschlagen. Letztlich würde<br />
damit aber die kontraproduktive Mischverwaltung<br />
der jetzigen verfassungswidrigen Arbeitsgemeinschaften<br />
fortgesetzt. Es ist mehr als zweifelhaft,<br />
ob damit die dringend notwendige Aktivierung der<br />
Langzeitarbeitslosen durch ein konzentriertes Fordern<br />
und Fördern geleistet werden kann. Kommunen,<br />
die in einem Mega-Bundessozialamt lediglich<br />
Zulieferer für die Arbeitsagenturen sind, erhalten<br />
keine ausreichenden Anreize für die unerlässliche<br />
Eigenverantwortung und Eigeninitiative. Ohne die<br />
zielgerichtete Entfaltung der kommunalen Netzwerke<br />
ist bei der Langzeitarbeitslosigkeit aber kein<br />
Durchbruch zu erreichen. Deshalb haben sich die<br />
Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft BDA,<br />
BDI, DIHK und ZDH für eine kommunale Lösung<br />
ausgesprochen. Die BDA hat dazu dargelegt, wie<br />
diese mit ausreichender Transparenz und einer<br />
Steuerung nach Wirkung und Wirtschaftlichkeit<br />
verbunden werden kann, so dass die Erfolge in<br />
der Arbeitslosenversicherung auch in der Fürsorgeleistung<br />
Arbeitslosengeld II erreicht werden<br />
können.<br />
Wenn der im internationalen Vergleich viel<br />
zu hohe Anteil der Langzeitarbeitslosen drastisch<br />
reduziert werden soll, dann darf auch der Niedriglohnbereich<br />
nicht verteufelt werden. Da die Hälfte<br />
der Langzeitarbeitslosen nur gering qualifiziert<br />
ist, besitzen viele von ihnen nur die Chance, mit<br />
einfachen Arbeiten wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen.<br />
Dieses Kalkül ist in den letzten Jahren<br />
erfolgreich aufgegangen. Hier haben viele aus<br />
der Langzeitarbeitslosigkeit neue Chancen zum<br />
Ein- und Aufstieg erhalten. Auf keinen Fall dürfen<br />
diese Menschen durch marktwidrige gesetzliche<br />
Mindestlöhne vom Arbeitsmarkt dauerhaft ausgesperrt<br />
werden.<br />
Warnsignale vom<br />
Arbeitsmarkt ernst nehmen<br />
Der Arbeitsmarkt hat sich <strong>2008</strong> insgesamt noch<br />
weiterhin positiv entwickelt. Die Unternehmen<br />
haben auch in diesem Jahr kräftig eingestellt<br />
und viele neue Arbeitsplätze geschaffen. Erstmals<br />
in der Geschichte der Bundesrepublik waren<br />
im Jahresschnitt mehr als 40 Mio. Menschen in<br />
Deutschland erwerbstätig. Die Zahl der registrierten<br />
Arbeitslosen sank im Oktober erstmals seit<br />
16 Jahren wieder unter die Drei-Millionen-Marke.<br />
Die nach wie vor positive Entwicklung darf<br />
jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich<br />
die Signale verdichten, dass der Aufschwung am<br />
Arbeitsmarkt ausläuft. Viele Unternehmen verzeichneten<br />
in der zweiten Jahreshälfte <strong>2008</strong> zum<br />
Teil stark sinkende Auftragseingänge. Obgleich<br />
der Arbeitsmarkt mit Verzögerung auf Veränderungen<br />
bei der Auftragslage reagiert, hat der Abbau<br />
der Arbeitslosigkeit bereits im Jahresverlauf<br />
spürbar an Schwung verloren und verlief insgesamt<br />
nicht mehr so dynamisch wie im letzten Jahr:<br />
Während die Zahl der Arbeitslosen im Februar<br />
noch um 630.000 unter dem Niveau von 2007 lag,<br />
schrumpfte der Vorjahresabstand bis November<br />
auf weniger als 400.000 zusammen. Zwischen<br />
2005 und <strong>2008</strong> sind rund 1,3 Mio. neue sozialversicherungspflichtige<br />
Arbeitsplätze aufgebaut<br />
worden. Trotzdem wurde der Höchststand an Beschäftigung<br />
aus dem Jahr 2000 im Schnitt noch<br />
um 370.000 unterschritten. Das heißt, der Verlust<br />
von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung<br />
nach 2000 ist immer noch nicht wettgemacht.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Beschäftigung 11
Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung im Aufschwung<br />
Anzahl sozialversicherungspflichtiger<br />
Beschäftigungsverhältnisse<br />
28.000.000<br />
27.800.000<br />
27.825.624 27.817.114<br />
27.600.000<br />
27.400.000<br />
27.482.584<br />
27.571.147<br />
27.451.900<br />
27.200.000<br />
27.207.804<br />
27.000.000<br />
26.800.000<br />
26.954.686<br />
26.854.566<br />
26.600.000<br />
26.400.000<br />
26.523.982<br />
26.354.336<br />
26.200.000<br />
26.000.000<br />
26.178.266<br />
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 <strong>2008</strong><br />
Jahr<br />
Stichtag jeweils 30. Juni<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit; Darstellung: BDA<br />
12 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Beschäftigung
Auch im Jahr <strong>2008</strong> ist der Abbau der Arbeitslosigkeit<br />
bei geringer Qualifizierten und Langzeitarbeitslosen,<br />
die die staatliche Fürsorgeleistung<br />
Arbeitslosengeld II beziehen, erneut zu langsam<br />
vorangekommen. Diese stellten im November <strong>2008</strong><br />
fast 70 % aller Arbeitslosen. Immerhin gab es hier<br />
aber erste Fortschritte: Die Zahl der arbeitslosen<br />
Hartz-IV-Empfänger lag im November um 12 % unter<br />
dem Niveau des Vorjahres. Dies ist jedoch weniger<br />
ein Erfolg der noch immer nicht hinreichend<br />
funktionierenden Aktivierung und Vermittlung durch<br />
die zuständigen Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen.<br />
Es ist vielmehr eher darauf zurückzuführen,<br />
dass im Aufschwung mehr Beschäftigungsperspektiven<br />
auch im Bereich einfacher<br />
Arbeit entstanden sind. Umso unverständlicher<br />
ist, dass im Zuge der kontraproduktiven Mindestlohndebatte<br />
die Diskussion über die Entlohnung<br />
einfacher Tätigkeiten an Schärfe zugenommen hat.<br />
Jahrelang bestand in weiten Teilen von Politik und<br />
Wissenschaft Konsens darüber, dass Deutschland<br />
einen funktionierenden Niedriglohnbereich braucht,<br />
um Beschäftigungspotenziale im Bereich einfacher<br />
Arbeit zu erschließen und gerade auch gering qualifizierten<br />
Menschen Chancen zur Arbeit zu geben.<br />
Aber auch über den Niedriglohnbereich hinaus<br />
sind <strong>2008</strong> insgesamt die Stimmen lauter geworden,<br />
den Arbeitsmarkt wieder stärker zu regulieren<br />
– und das, obwohl angesichts sich eintrübender<br />
Konjunkturaussichten das Gegenteil richtig und<br />
wichtig wäre: Schließlich haben gerade auch die<br />
mit der Agenda 2010 angestoßenen Reformen, mit<br />
denen auch flexible Beschäftigungsformen wie die<br />
Zeitarbeit teilweise von staatlicher Überregulierung<br />
befreit wurden, den anhaltenden Aufschwung am<br />
Arbeitsmarkt überhaupt erst mit möglich gemacht.<br />
Es wäre daher fatal, die gerade jetzt dringend benötigten<br />
Spielräume für eine flexible Anpassung an<br />
die schwankende Auftrags- und Wirtschaftslage<br />
durch eine Re-Regulierung wichtiger Instrumente<br />
wie der Zeitarbeit wieder zu vernichten.<br />
Vielmehr ist eine konsequente Fortsetzung<br />
des Reformkurses ohne Alternative: Jedem muss<br />
klar sein, dass sich der Arbeitsmarkt nicht von<br />
der schlechter werdenden gesamtwirtschaftlichen<br />
Entwicklung abkoppeln kann. Zwar sind verlässliche<br />
Prognosen zur Arbeitsmarktentwicklung<br />
2009 schwierig, die Tendenz ist gegen Jahresende<br />
aber eindeutig: Alle wichtigen Forschungsinstitute<br />
haben ihre Prognosen nach unten korrigiert. Die<br />
führenden Wirtschaftsforschungsinstitute gehen in<br />
ihrem Mitte Oktober vorgelegten Herbstgutachten<br />
davon aus, dass der Abbau der Arbeitslosigkeit im<br />
nächsten Jahr zum Erliegen kommt und die Arbeitslosenzahl<br />
im Jahresdurchschnitt 2009 auf dem<br />
Niveau von <strong>2008</strong> stagniert. Aufgrund des niedrigen<br />
Niveaus der Arbeitslosigkeit Ende <strong>2008</strong> bedeutet<br />
aber selbst eine im Schnitt unveränderte Arbeitslosenzahl<br />
eine im Jahresverlauf 2009 spürbar ansteigende<br />
Arbeitslosigkeit.<br />
Es ist bedauerlich, dass die Politik den bis Mitte<br />
<strong>2008</strong> anhaltenden konjunkturellen Rückenwind<br />
nicht genutzt hat, um wichtige Reformprojekte auf<br />
den Weg zu bringen. Umso wichtiger ist es, dass<br />
sie sich den drängenden Herausforderungen jetzt<br />
stellt.<br />
BDA erfolgreich beim Beitragssatz<br />
Noch bis 2006 stand der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung<br />
über viele Jahre bei 6,5 %. Erfreulicherweise<br />
wird der Beitragssatz jetzt ab 2009<br />
erneut und damit im dritten Jahr in Folge kräftig<br />
abgesenkt: Bis Mitte 2010 erfolgt eine Absenkung<br />
auf 2,8 %, danach wird der Beitragssatz mit 3,0 %<br />
fortgesetzt. Für die Beitragszahler bedeutet dies<br />
von 2007 bis 2010 in der Arbeitslosenversicherung<br />
eine Entlastung um insgesamt rund 84 Mrd. €. Die<br />
erneute und von der BDA frühzeitig geforderte<br />
Absenkung des Beitragssatzes ist auch dringend<br />
notwendig, um wenigstens zum Teil die Erhöhung<br />
der Lohnzusatzkosten durch steigende Krankenversicherungsbeiträge<br />
zu kompensieren. Die Senkung<br />
des Beitrags könnte aber noch erheblich<br />
stärker ausfallen, wenn die Politik endlich auf die<br />
verfassungswidrige Belastung der Beitragszahler<br />
mit dem Eingliederungsbeitrag verzichten würde.<br />
5 Mrd. € oder fast ein Fünftel der Beitragseinnahmen<br />
der BA werden derzeit für die Finanzierung<br />
von Aufgaben im Fürsorgebereich Arbeitslosengeld<br />
II zweckentfremdet. Ohne den Eingliederungsbeitrag<br />
könnte der Beitragssatz auf unter 2,5 %<br />
gesenkt werden.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Beschäftigung 13
Ein funktionierender Niedriglohnbereich<br />
bietet Chancen auf Einstieg in Arbeit<br />
In den vergangenen Monaten ist in der öffentlichen<br />
Debatte die Entwicklung des Niedriglohnsektors<br />
kritisiert und der unrichtige Eindruck erweckt worden,<br />
dass immer mehr Menschen in Deutschland<br />
nicht von ihrer Arbeit leben könnten. Dabei ist<br />
Arbeit nach wie vor der beste Schutz vor Armut.<br />
Für viele Arbeitslose, vor allem gering Qualifizierte<br />
und Langzeitarbeitslose, bietet überhaupt nur eine<br />
Tätigkeit im Niedriglohnbereich die Chance auf<br />
Einstieg in Beschäftigung.<br />
Außerdem ist es falsch und irreführend, Arbeit im<br />
Niedriglohnbereich mit Armut gleichzusetzen. Ein<br />
Vollzeitbeschäftigter gilt bereits bei einem Monatslohn<br />
von weniger als rund 1.700 € als Geringverdiener<br />
(Zahlen für 2006, Westdeutschland, WSI-<br />
Mitteilungen 8/<strong>2008</strong>). Dies folgt allein aus einer<br />
abstrakten Definition, die jeden Lohn als Niedriglohn<br />
abstempelt, der weniger als 67 % des sog. Medianlohns<br />
(eines gewichteten Durchschnittslohns)<br />
beträgt. Dabei bleiben bei einem Alleinstehenden<br />
von einem 1.700-€-Bruttolohn netto ca. 1.140 €<br />
übrig. Im Vergleich dazu liegt das Einkommen, das<br />
die Bundesregierung in ihrem Armuts- und Reichtumsbericht<br />
als Grenze zur Armutsgefährdung<br />
mit 781 € definiert, fast ein Drittel niedriger. Dass<br />
Erwerbstätigkeit das beste Mittel gegen Armut ist,<br />
wird durch aktuelle Zahlen eindeutig bestätigt. Im<br />
Zuge des aktuellen Beschäftigungsaufbaus ging<br />
auch die Armutsrisikoquote von 18 % im Jahr 2006<br />
auf 16,5 % im Jahr 2007 zurück. Damit ist die Zahl<br />
der vom Armutsrisiko betroffenen Menschen um<br />
über 1 Mio. zurückgegangen (DIW-Wochenbericht<br />
38/<strong>2008</strong>). Hiervon profitieren erfreulicherweise<br />
gerade auch gering Qualifizierte, die verstärkt in<br />
Beschäftigung gekommen sind.<br />
Statt über Mindestlöhne den Arbeitsmarkt gerade<br />
auch für gering Qualifizierte wieder zuzuriegeln,<br />
müssen vielmehr weitere Beschäftigungspotenziale<br />
im Niedriglohnbereich erschlossen werden.<br />
Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund eines<br />
auslaufenden Aufschwungs am Arbeitsmarkt. Nur<br />
so kann verhindert werden, dass sich gerade für<br />
geringer Qualifizierte die Chancen auf Integration<br />
in den Arbeitsmarkt wieder verschlechtern.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema die argumente<br />
„Niedriglohnbereich: Sprungbrett in Beschäftigung“<br />
veröffentlicht.<br />
14 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Beschäftigung
Beitrag zur Arbeitslosenversicherung<br />
sinkt auf das Niveau Ende der 1970er Jahre<br />
Prozent<br />
8<br />
7<br />
6,8<br />
6,3<br />
6,5<br />
6<br />
5<br />
4<br />
4,0<br />
4,6<br />
4,1<br />
4,0<br />
4,3<br />
4,2<br />
3,3<br />
3<br />
3,0<br />
2,8<br />
3,0<br />
2<br />
1,3<br />
1,7<br />
2,0<br />
1<br />
0<br />
1969<br />
bis<br />
1971<br />
1972<br />
bis<br />
1974<br />
1975 1976<br />
bis<br />
1981<br />
1982 1983 1985 1986 1987 1991 1992 1994 2007 <strong>2008</strong> 2009 ab<br />
bis<br />
bis<br />
bis bis<br />
Mitte<br />
1984<br />
1990<br />
1993 2006<br />
2010<br />
Jahr<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit; Darstellung: BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Beschäftigung 15
Die Politik hat leider auch in diesem Jahr<br />
nicht der Versuchung widerstehen können, zur<br />
Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben<br />
und politischer Geschenke noch tiefer in die derzeit<br />
gut gefüllte Kasse der Arbeitslosenversicherung<br />
zu greifen. Dies betrifft insbesondere:<br />
die neue und in weiten Teilen überflüssige Subventionierung<br />
von Ausbildungsplätzen durch<br />
den viel zu weit gefassten Ausbildungsbonus<br />
den von der Koalition beschlossenen Rechtsanspruch<br />
zur Finanzierung von Kursen zum<br />
Nachholen des Hauptschulabschlusses, dessen<br />
Finanzierung in dreistelliger Millionenhöhe<br />
nicht Sache der Arbeitslosenversicherung,<br />
sondern der Schulpolitik ist<br />
Mehrbelastungen infolge der nach kopflosem<br />
Hin und Her jetzt wieder gestrichenen Beiträge<br />
des Bundes für Kindererziehungszeiten<br />
in der Arbeitslosenversicherung in Höhe von<br />
rund 300 Mio. € pro Jahr<br />
die arbeitsmarktpolitisch völlig verfehlte, erneute<br />
Verlängerung des Arbeitslosengeldanspruchs<br />
auf bis zu 24 Monate für Ältere,<br />
die allein zu einer Mehrbelastung von bis zu<br />
1 Mrd. € jährlich führt<br />
Statt neue und arbeitsmarktpolitisch zum Teil<br />
sogar regelrecht kontraproduktiv wirkende Belastungen<br />
für die Arbeitslosenversicherung zu schaffen,<br />
muss die Politik zu einem konsequenten Reformkurs<br />
zurückfinden.<br />
Eingliederungsbeitrag:<br />
Jetzt muss das Bundesverfassungsgericht<br />
entscheiden<br />
Mit dem <strong>2008</strong> eingeführten sog. Eingliederungsbeitrag<br />
greift der Bund den Beitragszahlern zur Finanzierung<br />
von Leistungen beim Arbeitslosengeld II<br />
noch stärker in die Tasche, als dies seit 2005 mit<br />
dem sog. Aussteuerungsbetrag schon der Fall war.<br />
Jetzt werden 5 Mrd. € jährlich und damit derzeit<br />
rund ein Fünftel aller Beitragseinnahmen zweckentfremdet<br />
mit dem Ziel, den Bundeshaushalt zu<br />
entlasten. Nachdem alle Gespräche auf politischer<br />
Ebene zur Beseitigung der verfassungswidrigen<br />
Belastungen gescheitert waren, musste juristisch<br />
gehandelt werden.<br />
Mehrere Unternehmen haben mit Unterstützung<br />
der BDA Verfassungsbeschwerden vor dem<br />
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erhoben.<br />
Über die Annahme der Verfassungsbeschwerden<br />
hat das Gericht noch nicht entschieden, jedoch<br />
bereits allen Beteiligten einschließlich Bundesregierung,<br />
Bundestag, Bundesrat, Bundesländern,<br />
BA sowie DGB und BDA Gelegenheit zur Stellungnahme<br />
gegeben. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht<br />
auch das von BDA und DGB<br />
beauftragte Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit<br />
der Vorgängerregelung des Aussteuerungsbetrags<br />
angefordert. Parallel zu den Verfassungsbeschwerden<br />
unterstützt die BDA mehrere<br />
Verfahren mit dem Ziel, ein Sozialgericht zu veranlassen,<br />
die Frage der Verfassungsmäßigkeit des<br />
Eingliederungsbeitrags dem Bundesverfassungsgericht<br />
vorzulegen.<br />
Auch in der Politik werden kaum noch Zweifel<br />
daran geäußert, dass am Ende dieser Verfahren<br />
die Verfassungswidrigkeit der Zweckentfremdung<br />
von Beitragsmitteln festgestellt werden wird. Allerdings<br />
spielt die Politik anscheinend auf Zeit und<br />
versucht Gelder abzuzweigen, solange die Arbeitslosenversicherungskasse<br />
noch gut gefüllt ist.<br />
Arbeitslosenversicherung<br />
klagt gegen neue versicherungsfremde<br />
Lasten<br />
Mit einer einfachen Änderung seiner Rechtsansicht<br />
versucht das BMAS der Arbeitslosenversicherung<br />
Rentenversicherungsbeiträge für Beschäftigte in<br />
Werkstätten für behinderte Menschen aufzulasten.<br />
Auf Kosten der Beitragszahler würde damit<br />
der Bund um jährlich 120 Mio. € entlastet. Es geht<br />
dabei um einen sozialpolitisch motivierten Aufstockungsbetrag<br />
auf 80 % des Durchschnittseinkommens<br />
in der Rentenversicherung, den Beschäftigte<br />
in Werkstätten seit 1975 auch dann erhalten, wenn<br />
sie tatsächlich ein geringeres oder überhaupt kein<br />
Arbeitsentgelt erzielen. Über 30 Jahre war unbestritten,<br />
dass der Bund zu Recht die Kosten für<br />
diejenigen Rentenversicherungsbeiträge zahlt,<br />
die nicht auf einer eigenen Arbeitsleistung der<br />
behinderten Menschen beruhen. Hiervon will das<br />
16 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Beschäftigung
BMAS sich jetzt unter Berufung auf den Wortlaut<br />
der Erstattungsvorschrift aus dem Jahre 1992 (!)<br />
lösen, obwohl nach der Gesetzesbegründung die<br />
bis dahin bestehenden Erstattungsregeln inhaltlich<br />
ausdrücklich unverändert übernommen werden<br />
sollten. Dabei stammen sowohl der frühere<br />
Gesetzeswortlaut als auch die aktuelle Gesetzesbegründung<br />
aus der Feder des Arbeitsministeriums<br />
selbst. Es kann nicht sein, dass das BMAS<br />
den Willen des Gesetzgebers nachträglich nach<br />
eigenem Gutdünken interpretiert. Die BDA hat<br />
diese Widersprüchlichkeit und unhaltbare juristische<br />
Argumentation des BMAS aufgedeckt. Auf<br />
Beschluss des Verwaltungsrats hat die BA Klage<br />
gegen das BMAS mit dem Ziel erhoben, die<br />
Rechtswidrigkeit des Vorgehens festzustellen und<br />
die Belastung der Beitragszahler abzuwehren.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Arbeitslosenversicherung“ veröffentlicht.<br />
Rückfall in ausgabenorientierte<br />
Arbeitsmarktpolitik verhindert<br />
Mit dem im Dezember verabschiedeten Gesetz<br />
zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen<br />
Instrumente sollte das Versprechen der Koalition<br />
eingelöst werden, unwirksame Förderinstrumente<br />
abzuschaffen und insgesamt die Vielzahl der Förderinstrumente<br />
spürbar zu verringern. Stattdessen<br />
versuchte das federführende BMAS mit dem zunächst<br />
vorgelegten Gesetzentwurf vor allem in die<br />
erfolgreiche BA-Steuerung einzugreifen und diese<br />
mit eigenen Zielvorgaben zu versehen. Hierzu<br />
hatte das BMAS sich selbst an Stelle der Bundesregierung<br />
zum Vertragspartner von Zielvereinbarungen<br />
mit der BA im Gesetzentwurf vorgesehen.<br />
Das BMAS hätte sich damit faktisch zum „Obersteuermann“<br />
in der bisher eigenständigen Arbeitslosenversicherung<br />
berufen. Die erfolgreiche<br />
jetzige Steuerung der Arbeitsförderung nach Wirkung<br />
und Wirtschaftlichkeit wäre durch ministerialbürokratische<br />
Plan- und Zielvorgaben für das<br />
operative Geschäft weit weg vom Marktgeschehen<br />
ausgehebelt worden. Mit negativen Folgen<br />
für den Arbeitsmarkt: Von der Ministerialbürokratie<br />
nach Belieben gesetzte neue Nebenziele bergen<br />
die Gefahr, dass die BA von ihrer Kernaufgabe abgelenkt<br />
wird, Menschen zu helfen, so schnell wie<br />
möglich wieder in den Arbeitsmarkt zurückzufinden.<br />
Damit hätten bei einer Umsetzung der Pläne<br />
des BMAS ein Rückfall in die alte ausgabenorientierte<br />
Arbeitsmarktpolitik und eine neue Milliardenverschwendung<br />
von Beitragsgeldern gedroht.<br />
Durch den entschiedenen Einsatz der BDA konnte<br />
erreicht werden, dass es in dem vom Bundestag<br />
letztlich beschlossenen Gesetz doch bei der Bundesregierung<br />
als Partner von Zielvereinbarungen<br />
mit der BA geblieben ist.<br />
Dieser erfreuliche Teilerfolg ändert jedoch<br />
leider nichts daran, dass die eigentlich mit dem<br />
Gesetz verfolgte Zielsetzung einer nachhaltigen<br />
Vereinfachung des Instrumentenkastens für einen<br />
effektiveren Instrumenteneinsatz durch die<br />
Arbeitsvermittler vor Ort weitgehend verfehlt wird.<br />
Fast durchgehend hält das Gesetz am Prinzip der<br />
Einzelregelung fest. Selbst bei dem richtigen Ansatz<br />
eines Vermittlungsbudgets für unterstützende<br />
Leistungen zur Beschäftigungsaufnahme hat das<br />
BMAS im Gegenzug sich noch selbst eine Verordnungsermächtigung<br />
zur Regelung kleinster Details<br />
ins Gesetz geschrieben.<br />
Arbeitslosengeld II:<br />
Erfolglose Mischverwaltung<br />
soll fortgesetzt werden<br />
Vor einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht<br />
die derzeitige Mischverwaltung der Arbeitsgemeinschaften<br />
aus Arbeitsagenturen und Kommunen<br />
für Arbeitslosengeld II für verfassungswidrig erklärt.<br />
Angesichts unüberbrückbarer Meinungsgegensätze<br />
zwischen Vertretern einer kommunalen<br />
und einer BA-Lösung haben sich Bund und Länder<br />
darauf verständigt, die bestehende Mischverwaltung<br />
mit einer geteilten Leistungsträgerschaft<br />
verfassungsrechtlich abzusichern. Dies trotz der<br />
Erkenntnis, dass gerade auch angesichts der<br />
massiven Aktivierungsprobleme Langzeitarbeitsloser<br />
eine „Leistung aus einer Hand“ dringend<br />
notwendig ist. Schnell klar wurde immerhin, dass<br />
der erste Schnellschuss des BMAS vom Februar<br />
<strong>2008</strong> für sog. „Kooperative Jobcenter“ von Anfang<br />
an rechtlich Unmögliches und politisch Abzulehnendes<br />
anstrebte. Ohne Verfassungs- und sogar<br />
ohne Gesetzesänderung sollten die Kommunen<br />
unter dem Dach der Arbeitsagenturen ihre Leistungen<br />
erbringen, was direkt auf ein Mega-Bundessozialamt<br />
hinausgelaufen wäre. Auch an den<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Beschäftigung 17
vom BMAS jetzt vorgeschlagenen „Zentren für<br />
Arbeit und Grundsicherung“ (ZAG) werden jedoch<br />
die bestehenden Probleme der Mischverwaltung<br />
fortgesetzt. Zwar wird unter dem Dach des ZAG<br />
optisch der Eindruck der „Leistung aus einer<br />
Hand“ erweckt. Tatsächlich besteht aber einerseits<br />
ein Letztentscheidungsrecht jedes Trägers<br />
über die von ihm zu erbringenden Leistungen.<br />
Andererseits müssen die arbeitsförderungsrechtlichen<br />
Instrumente der Arbeitsagenturen und die<br />
sozialintegrativen Leistungen der Kommunen optimal<br />
zusammenwirken, damit der Hilfebedürftige<br />
eine ganzheitliche Leistung und nicht zwei unzureichende<br />
und somit nicht zielführende Teilleistungen<br />
erhält. Dabei kann ein Träger sich jeweils<br />
unter Verweis auf unzureichende Leistungen des<br />
anderen Trägers seiner Verantwortung entziehen.<br />
Deshalb ist mehr als zweifelhaft, ob mit dem neuen<br />
Vorschlag für ZAG die bisherigen Aktivierungsdefizite<br />
im SGB II überwunden werden können.<br />
Weil keiner der beiden Leistungsträger alleine für<br />
die angestrebte Gesamtleistung garantieren kann,<br />
bestehen auch die verfassungsrechtlichen Bedenken<br />
einer unklaren Verantwortungszuordnung fort.<br />
Wo der Bürger keine klare Verantwortung politisch<br />
einfordern kann, droht weiterhin ein Verstoß gegen<br />
das Demokratieprinzip.<br />
Das Modell der ZAG ist nicht nur ungeeignet,<br />
die dringend notwendige Arbeitsfähigkeit der Arbeitslosengeld-II-Organisation<br />
herzustellen. Darüber<br />
hinaus versucht das BMAS weiterhin, sich<br />
selbst eine möglichst weitgehende Steuerungsmacht<br />
zu sichern. Da die Arbeitsagenturen die<br />
Federführung für die Arbeitsmarktintegration besitzen,<br />
werden die Kommunen faktisch in die Rolle<br />
eines Zulieferers gedrängt, der mit seinen sozialintegrativen<br />
Instrumenten lediglich unterstützende<br />
Funktion hat. Das ohnehin schon vorhandene<br />
Übergewicht würde noch durch die Rechts- und<br />
Fachaufsicht über die Trägerversammlung verstärkt.<br />
Auch vor den Optionskommunen machen<br />
die Steuerungsbestrebungen des BMAS nicht halt.<br />
Der Bund soll ein „inhaltliches, verfassungsrechtliches<br />
Prüfungsrecht“ sowie die „Aufsicht“ über die<br />
Optionskommunen erhalten, deren Zahl entgegen<br />
der Vorstellung vieler Länder auf die bestehenden<br />
69 festgeschrieben werden soll.<br />
Vorzuziehen bleibt deshalb weiterhin die von<br />
den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft<br />
empfohlene einheitliche Leistungsträgerschaft durch<br />
die Kommunen. Hierzu müssen vollständige Transparenz<br />
über Kosten und Wirkungen von Maßnahmen<br />
sowie ein finanzielles Eigeninteresse der<br />
Kommunen hergestellt werden.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Arbeitslosengeld II“ veröffentlicht.<br />
Zuwanderung – Deutschland<br />
verschenkt Wachstumspotenziale<br />
Angesichts des demografischen Wandels und in<br />
vielen Bereichen zum Teil massiven Fachkräftemangels<br />
ist eine stärkere Öffnung des deutschen<br />
Arbeitsmarktes für qualifizierte Zuwanderer<br />
dringend notwendig. Mit den Änderungen im<br />
Zuwanderungsrecht durch das Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz<br />
und das Aktionsprogramm der<br />
Bundesregierung „Beitrag der Arbeitsmigration zur<br />
Sicherung der Fachkräftebasis in Deutschland“ sollen<br />
dazu einige weitere Schritte umgesetzt werden.<br />
Zu begrüßen sind insbesondere die geplante<br />
Absenkung der Gehaltsgrenze für Hochqualifizierte<br />
von derzeit 86.400 € auf 63.600 € und<br />
die vollständige Öffnung des Arbeitsmarktes für<br />
Akademiker aus den neuen EU-Mitgliedstaaten.<br />
Allerdings bleiben die geplanten Änderungen leider<br />
noch deutlich hinter den Anforderungen des<br />
Arbeitsmarktes zurück. So ist die zukünftige Gehaltsgrenze,<br />
ab der Hochqualifizierte eine Niederlassungserlaubnis<br />
erhalten sollen, auch nach Ansicht<br />
des Bundesrats – der aus diesem Grund den<br />
Vermittlungsausschuss angerufen hat – immer<br />
noch zu hoch angesetzt. Besser wäre aus Sicht<br />
der BDA eine weitere Absenkung auf das Niveau<br />
der Niederlande (45.000 €).<br />
Es fehlt leider immer noch ein ganzheitlicher<br />
Ansatz bei der Zuwanderungssteuerung mit einem<br />
bedarfs- und qualifikationsorientierten Punktesystem,<br />
wie es die BDA seit langem fordert. In<br />
Ländern, die ihre Zuwanderung über ein an Qualifikationen<br />
ausgerichtetes Punktesystem steuern,<br />
liegt der Anteil der hochqualifizierten Zuwanderer<br />
zum Teil deutlich über der Hochqualifiziertenquote<br />
der im Inland geborenen Menschen.<br />
18 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Beschäftigung
BMAS-Vorschlag zur Arbeitslosengeld-II-Organisation<br />
Die BA soll wie bisher die Leistungen zum Lebensunterhalt<br />
sowie die Leistungen zur Eingliederung in<br />
den Arbeitsmarkt, die Kommunen die Leistungen<br />
für Unterkunft und Heizung sowie die sozialintegrativen<br />
Leistungen erbringen. Die Finanzierungsverteilung<br />
für die Leistungen nach dem<br />
SGB II bleibt im Grundsatz unverändert.<br />
Die „Zentren für Arbeit und Grundsicherung“ (ZAG)<br />
führen die Aufgaben für BA und Kommunen im eigenen<br />
Namen durch einheitliche Verwaltungsakte<br />
aus. Das ZAG ist gemeinsame Bundes- und Landesbehörde.<br />
Das bisherige Arbeitsgemeinschaftsmodell<br />
einer geteilten Leistungsträgerschaft wird<br />
so mit einer Grundgesetzänderung fortgeführt. Eine<br />
mit Vertretern der Kommunen und Arbeitsagenturen<br />
paritätisch besetzte Trägerversammlung entscheidet<br />
u. a. über organisatorische, personelle und<br />
personalvertretungsrechtliche Fragen des ZAG<br />
sowie das örtliche Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm<br />
und bestellt den Geschäftsführer. Rechtsund<br />
Fachaufsicht über die Trägerversammlung soll<br />
das BMAS erhalten.<br />
Kommunen und BA haben jeweils gegenüber<br />
dem ZAG das „Letztentscheidungsrecht“, d. h. die<br />
Rechts- und Fachaufsicht mit Weisungsrechten für<br />
die von ihnen zu erbringenden Leistungen im ZAG.<br />
BA und Kommunen sollen jedoch wiederum der<br />
Rechts- und Fachaufsicht jeweils des BMAS bzw.<br />
der zuständigen Landesbehörden unterstehen,<br />
die ihrerseits auch Weisungen erteilen können.<br />
De facto würden danach die Letztentscheidungsrechte<br />
beim BMAS und den entsprechenden Landesbehörden<br />
liegen.<br />
Nur die bestehenden 69 Optionskommunen sollen<br />
verfassungsrechtlich abgesichert werden. Der<br />
Bund erhält ein „inhaltliches, verfassungsrechtliches<br />
Prüfungsrecht“ sowie die „Aufsicht“, soweit<br />
die Optionskommune Bundesleistungen (Arbeitslosengeld<br />
II, Sozialgeld, Arbeitsförderung) erbringt.<br />
Das Personal der ZAG besteht aus Mitarbeitern<br />
der BA und der Kommunen. BA und Kommunen<br />
bleiben Dienstherren, weisen ihre Mitarbeiter aber<br />
(dauerhaft) den ZAG zu. Dennoch soll „faktisch“ ein<br />
einheitlicher Personalkörper geschaffen werden.<br />
Hierzu soll u. a. der Geschäftsführer dienst- und<br />
aufsichtsrechtliche Weisungsbefugnisse („Quasi-<br />
Dienstherreneigenschaft“) erhalten, solange nicht<br />
das Grundverhältnis berührt wird.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Beschäftigung 19
In Deutschland ist es umgekehrt: Die Zuwanderer<br />
sind im Durchschnitt schlechter qualifiziert<br />
als die hier geborenen Menschen. Deutschland<br />
verschenkt damit durch seine Zuwanderungspolitik<br />
Wachstumspotenziale. Denn von einer gesteuerten<br />
Zuwanderung Hochqualifizierter sind höhere<br />
Wachstumsraten, insgesamt mehr wirtschaftliche<br />
Dynamik und damit positive Beschäftigungseffekte<br />
für alle zu erwarten. Auch die Wirtschaftsministerkonferenz<br />
hat sich klar für die umgehende Einführung<br />
eines Punktesystems ausgesprochen. Der<br />
Bundesrat hat zumindest empfohlen, die Einführung<br />
eines Punktesystems zu prüfen.<br />
Zu zaghaft ist die Bundesregierung leider<br />
auch bei der Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus<br />
den neuen EU-Mitgliedstaaten. Bis 2011 soll die<br />
Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit gegenüber<br />
den 2004 der EU beigetretenen Staaten<br />
Mittel- und Osteuropas (EU-8) grundsätzlich fortgeschrieben<br />
und der Arbeitsmarkt nur für Akademiker<br />
aus den neuen EU-Mitgliedstaaten geöffnet<br />
werden. Da ab 2011 für diese Staaten ohnehin<br />
eine unbegrenzte Freizügigkeit gelten wird, sollten<br />
jetzt die mit einer Öffnung des Arbeitsmarktes verbundenen<br />
Chancen gezielt genutzt werden. Die<br />
Erfahrungen anderer EU-Länder haben gezeigt,<br />
dass Ängste vor einer Öffnung des Arbeitsmarktes<br />
gegenüber diesen Staaten unbegründet sind.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Zuwanderung und Integration“ und den kompakt<br />
„Arbeitnehmerfreizügigkeit“ veröffentlicht.<br />
Noch nicht genügend erkannt hat die Politik<br />
den Nutzen für den deutschen Arbeitsmarkt, wenn<br />
international tätige deutsche Unternehmen Personal<br />
von ihren Standorten z. B. im Rahmen von kurzfristigen<br />
Projekten oder zur Weiterbildung flexibel<br />
und schnell in Deutschland einsetzen können. Für<br />
eine effiziente betriebliche Personalpolitik internationaler<br />
Unternehmen ist der flexible Einsatz ihrer<br />
Mitarbeiter von entscheidender Bedeutung. Dies<br />
ist eine zwingende Voraussetzung dafür, dass der<br />
Standort Deutschland für global agierende Unternehmen<br />
attraktiv bleibt.<br />
Die BDA hat deshalb eine Initiative zur Erleichterung<br />
des internationalen Personalaustausches<br />
gestartet. Konkret sieht der Vorschlag vor – ähnlich<br />
dem US-amerikanischen Modell der „Blanket-Petition“<br />
–, das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen.<br />
Eine erhebliche Verfahrensstraffung<br />
soll durch die Erteilung einer Vorabgenehmigung<br />
für die Beschäftigung aller im Rahmen des internationalen<br />
Personalaustausches beschäftigten ausländischen<br />
Mitarbeiter erreicht werden. Im Gegenzug<br />
muss das Unternehmen als „Bürge“ für seine<br />
Mitarbeiter eintreten und notfalls für Lebensunterhalt<br />
und Krankenversicherung während der Dauer<br />
des Aufenthaltes der ausländischen Arbeitnehmer<br />
und für gegebenenfalls anfallende Rückführungskosten<br />
aufkommen.<br />
20 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Beschäftigung
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Beschäftigung 21
Sozialbeiträge:<br />
40 %-Ziel wegen falscher Weichenstellungen<br />
wieder verfehlt<br />
CDU/CSU und SPD werden ihr im Koalitionsvertrag<br />
vom 11. November 2005 vereinbartes Ziel,<br />
den Gesamtsozialversicherungsbeitrag unter 40 %<br />
zu senken, zum 1. Januar 2009 verfehlen. Im Vorjahresvergleich<br />
wird sich die Beitragsbelastung<br />
für Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch die Sozialversicherung<br />
von knapp 39,9 % auf über 40,2 %<br />
erhöhen. Dabei wäre vor dem Hintergrund der immer<br />
stärkeren Abschwächung der konjunkturellen<br />
Dynamik eine Ent- und keine Belastung der Betriebe<br />
und Beschäftigten ökonomisch sinnvoll und<br />
notwendig.<br />
Dass es der großen Koalition nicht gelingt,<br />
den Wiederanstieg der Beitragssätze zu verhindern,<br />
liegt an den von ihr selbst beschlossenen milliardenschweren<br />
Leistungsausweitungen in allen<br />
Sozialversicherungszweigen. In den zurückliegenden<br />
Wochen und Monaten sind insbesondere die<br />
folgenden sozialpolitischen Fehlentscheidungen<br />
getroffen worden:<br />
Mit der Begründung, die Rentner angemessen<br />
am Wirtschaftsaufschwung beteiligen zu<br />
wollen, hat die Koalition zum 1. Juli <strong>2008</strong> per<br />
Gesetz in die Rentenformel eingegriffen und<br />
damit das Vertrauen in eine regelgebundene<br />
Rentenanpassung nachhaltig erschüttert. Der<br />
Eingriff in die Rentenanpassungsformel, der<br />
die Rentner in diesem und im nächsten Jahr<br />
mit einer Sonder-Rentenerhöhung von jeweils<br />
0,6 % begünstigt, wird in den Jahren <strong>2008</strong> bis<br />
2013 zusätzliche Rentenausgaben von rund<br />
12 Mrd. € verursachen, für die überwiegend<br />
die Beitragszahler aufkommen müssen.<br />
Die Bundesregierung hat ihr ebenfalls im Koalitionsvertrag<br />
fixiertes Ziel, die Beiträge in<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung „mindestens<br />
stabil zu halten und möglichst zu<br />
senken“, meilenweit verfehlt. Lag der durchschnittliche<br />
Beitragssatz zu Beginn der Legislaturperiode<br />
noch bei 14,2 %, wird für die<br />
Absicherung des Krankheitsrisikos im kommenden<br />
Jahr der neue Rekordbeitragssatz<br />
von 15,5 % fällig. Nach Schätzungen des<br />
Bundesgesundheitsministeriums werden die<br />
Krankenkassen allein 2009 rund 11 Mrd. € an<br />
zusätzlichen Mitteln ausgeben, insbesondere<br />
für die Krankenhäuser (3,5 Mrd. €) und die<br />
niedergelassenen Ärzte (2,5 Mrd. €). Es sind<br />
vor allem diese politisch gewollten Mehrausgaben<br />
– und nicht wie teilweise fälschlich dargestellt<br />
der Gesundheitsfonds –, die für den<br />
Beitragssatzsprung um 0,6 Prozentpunkte<br />
zum 1. Januar 2009 verantwortlich sind.<br />
Mit dem „Pflege-Weiterentwicklungsgesetz“,<br />
das zum 1. Juli <strong>2008</strong> in Kraft getreten ist,<br />
wurden die Leistungen ausgeweitet und es<br />
ist die Chance verpasst worden, die soziale<br />
Pflegeversicherung auf den demografischen<br />
Wandel vorzubereiten. Vor allem ist die<br />
im Koalitionsvertrag vereinbarte „Ergänzung<br />
des Umlageverfahrens durch kapitalgedeckte<br />
Elemente als Demografiereserve“ nicht<br />
Bestandteil der Pflegereform <strong>2008</strong> geworden.<br />
Hinzu kommt, dass die Leistungsausweitungen<br />
der sozialen Pflegeversicherung –<br />
trotz der Anhebung des Beitragssatzes um<br />
0,25 Prozentpunkte bzw. Beitragsmehreinnahmen<br />
von 2,5 Mrd. € auf Jahresbasis –<br />
nicht dauerhaft finanziert werden können.<br />
Ohne durchgreifende Strukturreformen auf<br />
der Leistungs- und Finanzierungsseite drohen<br />
bereits nach 2014 weitere Beitragssatzanhebungen.<br />
Und schließlich hat die Koalition die maximale<br />
Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I für Ältere<br />
rückwirkend zum 1. Januar <strong>2008</strong> von 18 auf bis zu<br />
24 Monate verlängert. Dadurch sinken zum einen<br />
die Chancen, ältere Arbeitslose in den Arbeitsmarkt<br />
zu reintegrieren, und zum anderen wird dadurch<br />
der Haushalt der Bundesagentur für Arbeit<br />
dauerhaft belastet.<br />
Die Zielsetzung der großen Koalition, den Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz<br />
unter 40 %<br />
zu senken, bleibt richtig und unverzichtbar. Der<br />
Senkung der lohnbezogenen Sozialabgaben<br />
kommt – darauf haben die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute<br />
in ihrem jüngsten Herbstgutachten<br />
ebenfalls hingewiesen – entscheidende<br />
Bedeutung für die Schaffung neuer Beschäftigung<br />
zu.<br />
26 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung
Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz steigt 2009 wieder über 40 %<br />
jeweils zum Stichtag 1. Januar im Bundesdurchschnitt<br />
Prozent<br />
45<br />
40<br />
35,8<br />
41,1<br />
1,70<br />
6,5<br />
42,0 42,0<br />
1,77 1,77<br />
6,5 6,5<br />
40,7<br />
1,77<br />
4,2<br />
39,9 40,2<br />
1,77 2,02<br />
3,3 2,8<br />
35<br />
30<br />
26,5<br />
32,4<br />
3,0<br />
11,4<br />
4,3<br />
12,8<br />
13,6<br />
14,2<br />
14,2<br />
14,8 14,9 15,5<br />
25<br />
1,3<br />
8,2<br />
20<br />
15<br />
17,0<br />
18,0<br />
18,7 19,3<br />
19,5 19,5 19,9 19,9 19,9<br />
10<br />
5<br />
0<br />
1970 1980 1990 2000 2005 2006 2007 <strong>2008</strong> 2009<br />
Jahr<br />
Pflegeversicherung (inkl. Zuschlag für Kinderlose)<br />
Arbeitslosenversicherung<br />
Krankenversicherung (inkl. Zusatzbeitrag der Mitglieder)<br />
Rentenversicherung<br />
Quellen: Bundesministerium für Gesundheit und Deutsche Rentenversicherung Bund; Darstellung: BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung 27
Zur Einhaltung des 40 %-Ziels müssen jedoch<br />
dringend weitere Schritte unternommen werden.<br />
Die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung<br />
um 0,5 Prozentpunkte zum 1. Januar<br />
2009 für 18 Monate (ab 1. Juli 2010 nur noch um<br />
0,3 Prozentpunkte) reicht unter dem Strich nicht<br />
aus, die gleichzeitig stattfindende Erhöhung des<br />
einheitlichen Beitragssatzes zur gesetzlichen Krankenversicherung<br />
um 0,6 Prozentpunkte sowie die<br />
bereits zur Jahresmitte <strong>2008</strong> wirksam gewordene<br />
Beitragssatzanhebung in der Pflegeversicherung<br />
um 0,25 Prozentpunkte zu kompensieren. Sowohl<br />
in der Kranken- wie in der Pflegeversicherung<br />
bedarf es grundsätzlicher struktureller Reformen.<br />
Dazu zählen in beiden Versicherungszweigen die<br />
Abkoppelung der Finanzierung vom Arbeitsverhältnis,<br />
ein wirksamer Wettbewerb, eine stärkere<br />
Eigenbeteiligung und insbesondere in der Pflegeversicherung<br />
der Aufbau von Kapitaldeckung. In<br />
der Rentenversicherung kann der Beitragssatz ab<br />
2009 von 19,9 auf 19,6 % reduziert werden, ohne<br />
dass dafür auf die Rentenrücklagen zurückgegriffen<br />
werden müsste.<br />
Gesetzliche Rentenversicherung:<br />
Mehrausgaben durch<br />
Sonder-Rentenerhöhung<br />
Das am 1. Juli <strong>2008</strong> in Kraft getretene „Gesetz zur<br />
Rentenanpassung <strong>2008</strong>“ sieht vor, die sog. Riester-<br />
Treppe, welche die finanziellen Belastungen der<br />
Erwerbstätigen aus der zusätzlichen privaten Altersvorsorge<br />
auf die Rentner überträgt und deshalb<br />
den Rentenanstieg pro Jahr um gut 0,6 Prozentpunkte<br />
dämpft, in diesem und im nächsten Jahr<br />
auszusetzen und erst in den Jahren 2012 und<br />
2013 nachzuholen. Dadurch stiegen die Renten<br />
zur Jahresmitte <strong>2008</strong> um 1,1 statt um 0,5 %, und<br />
auch zum 1. Juli 2009 wird der aktuelle Rentenwert<br />
nochmals außerordentlich angehoben. Damit<br />
sollen die Rentner – so die Begründung der Bundesregierung<br />
– „angemessen“ am Wirtschaftsaufschwung<br />
beteiligt werden.<br />
Der beschlossene Eingriff in die Rentenformel<br />
öffnet einer Rentenpolitik nach Wahlterminen und<br />
Kassenlage Tür und Tor. Das Abweichen von der<br />
gesetzlichen Rentenformel sendet die Botschaft,<br />
dass die Rentenhöhe weniger von klaren Regeln<br />
als von politischer Opportunität abhängt. Wer zur<br />
Finanzierung zusätzlicher Rentenanpassungen<br />
kurzfristig in die Rentenformel eingreift, darf sich<br />
nicht wundern, wenn bei künftigen Rentenanpassungen<br />
erneut eine zusätzliche Anhebung gefordert<br />
wird.<br />
Für die Kosten der geplanten zusätzlichen<br />
Rentenleistungen – rund 12 Mrd. € in den Jahren<br />
<strong>2008</strong> bis 2013 im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
– müssen vor allem die Beitragszahler<br />
aufkommen. So werden die Beitragssätze<br />
nicht wie geplant in den nächsten Jahren sinken.<br />
Die Folge sind höhere Personalzusatzkosten für<br />
die Arbeitgeber und weniger Netto für die Beschäftigten.<br />
Mit den zusätzlichen Rentenerhöhungen <strong>2008</strong><br />
und 2009 führt die Koalition ihre eigene Rentenpolitik<br />
ad absurdum: Das mit der „Rente mit 67“<br />
verfolgte Ziel, die nachhaltige Finanzierbarkeit der<br />
Rentenversicherung zu verbessern, wird durch<br />
den beschlossenen Eingriff konterkariert. Bis zum<br />
Jahr 2020 sind die aus dem Eingriff in die Rentenanpassungsformel<br />
resultierenden Belastungen<br />
größer als die Entlastungen, die mit der schrittweisen<br />
Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters<br />
verbunden sind.<br />
Die zusätzlichen Rentenleistungen in den<br />
Jahren <strong>2008</strong> bis 2013 führen zu einer einseitigen<br />
Besserstellung der heutigen Rentner zu Lasten<br />
der heutigen Beitragszahler: Sie müssen mit höheren<br />
Beiträgen dafür aufkommen, dass die heutigen<br />
Rentner zusätzliche Leistungen erhalten,<br />
werden dafür aber selber keine zusätzlichen Anwartschaften<br />
erwerben, weil das langfristige Rentenniveau<br />
durch die jetzt geplanten zwischenzeitlichen<br />
Rentenerhöhungen nicht verändert wird.<br />
Es ist schwer begreiflich, warum die Jüngeren<br />
angesichts des derzeitigen gesetzlichen Rentenniveaus<br />
von rund 50 % über mehrere Jahre hinweg<br />
höhere Rentenleistungen finanzieren sollen,<br />
obwohl bei ihrem Renteneintritt das Rentenniveau<br />
unvermeidlich deutlich niedriger liegen wird (46 %<br />
im Jahr 2020 und 43 % im Jahr 2030 nach letzten<br />
Vorausberechnungen).<br />
Der Fall zeigt erneut: Finanzielle Rücklagen<br />
verführen zu Leistungsausweitungen, denn sie<br />
ermöglichen, kurzfristig höhere Leistungen ohne<br />
28 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung
Rentenanpassung <strong>2008</strong> –<br />
Beitragszahler werden 2011 und 2012 zur Kasse gebeten 1)<br />
Szenario 2:<br />
Szenario 3:<br />
Jahr Szenario 1:<br />
Rentenerhöhung 2) Rentenerhöhung 3) Plan des BMAS 4)<br />
Ohne Sonder-<br />
Mit Sonder-<br />
Ursprünglicher<br />
Rücklage<br />
Rücklage<br />
Beitragssatz<br />
Beitragssatz<br />
Beitragssatz<br />
Rücklage<br />
<strong>2008</strong><br />
2009<br />
2010<br />
19,9<br />
19,9<br />
19,9<br />
0,88<br />
1,12<br />
1,45<br />
19,9<br />
19,9<br />
19,9<br />
0,83<br />
0,92<br />
1,05<br />
19,9<br />
19,9<br />
19,9<br />
0,8<br />
0,9<br />
1,1<br />
2011<br />
2012<br />
2013<br />
19,3<br />
19,1<br />
19,1<br />
1,52<br />
1,56<br />
1,52<br />
19,9<br />
19,5<br />
19,1<br />
1,35<br />
1,52<br />
1,50<br />
19,9<br />
19,9<br />
19,9<br />
1,3<br />
1,7<br />
2,1<br />
2014<br />
2015<br />
2016<br />
19,1<br />
19,1<br />
19,1<br />
1,37<br />
1,14<br />
0,82<br />
19,1<br />
19,1<br />
19,1<br />
1,40<br />
1,15<br />
0,83<br />
19,7<br />
19,3<br />
19,3<br />
2,5<br />
2,6<br />
2,5<br />
2017<br />
2018<br />
2019<br />
19,1<br />
19,6<br />
19,9<br />
0,41<br />
0,25<br />
0,21<br />
19,1<br />
19,6<br />
19,9<br />
0,43<br />
0,26<br />
0,23<br />
19,3<br />
19,3<br />
19,3<br />
2,2<br />
1,9<br />
1,5<br />
2020<br />
20,0<br />
0,21<br />
20,0<br />
0,22<br />
19,3<br />
1,0<br />
2025<br />
21,0<br />
0,25<br />
20,9<br />
0,23<br />
20,9<br />
0,5<br />
2030<br />
21,9<br />
0,25<br />
21,8<br />
0,21<br />
21,9<br />
0,5<br />
1) Beitragssatz in %, Nachhaltigkeitsrücklage in Monatsausgaben<br />
2) Szenario 1 = nach altem Recht, d. h. mit einer Rentenanpassung von 0,46 % zum 1. Juli <strong>2008</strong> in West- und Ostdeutschland<br />
3) Szenario 2 = nach dem „Gesetz zur Rentenanpassung <strong>2008</strong>“, d. h. mit einer Rentenanpassung von 1,10 % zum 1. Juli <strong>2008</strong><br />
in West- und Ostdeutschland<br />
4) Szenario 3 = nach der „Formulierungshilfe für ein Gesetz über die Bestimmung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli <strong>2008</strong>“, d. h.<br />
mit Sonder-Rentenerhöhung, Anhebung der Höchstnachhaltigkeitsrücklage von 1,5 auf 2,5 Monatsausgaben und Verschiebung<br />
des Anpassungsfaktors zur Nachholung unterbliebener Rentendämpfungen um zwei Jahre auf 2013<br />
Quellen: „Entwurf eines Gesetzes zur Rentenanpassung <strong>2008</strong>“ vom 8. April <strong>2008</strong> und „Formulierungshilfe für ein Gesetz über die<br />
Bestimmung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli <strong>2008</strong>“ vom 20. März <strong>2008</strong>; Darstellung: BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung 29
höheren Beitragssatz zu finanzieren. Die zusätzlichen<br />
Rentenerhöhungen <strong>2008</strong> und 2009 wären<br />
kaum beschlossen worden, wenn die Höhe der<br />
Nachhaltigkeitsrücklage dafür nicht ausgereicht<br />
hätte und eine Beitragssatzanhebung hierfür erforderlich<br />
gewesen wäre. Für die Zukunft kann das<br />
nur heißen, die Rücklagen der Sozialversicherung<br />
zwar immer so hoch wie nötig, aber immer auch<br />
so knapp wie möglich zu halten.<br />
Verfehlt ist insbesondere, dass das „Gesetz<br />
zur Rentenanpassung <strong>2008</strong>“ – entgegen seinem<br />
Namen – gleich auch für das nächste Jahr eine<br />
Zusatzsteigerung vorsieht. Schließlich ist bereits<br />
auf der Grundlage des geltenden Rechts und der<br />
Annahmen der Bundesregierung davon auszugehen,<br />
dass die Renten im kommenden Jahr so<br />
stark steigen wie seit 15 Jahren nicht mehr. Wenn<br />
dennoch eine zusätzliche Rentensteigerung 2009<br />
erfolgen soll, lässt sich dies nur mit kurzsichtigen<br />
wahltaktischen Überlegungen erklären.<br />
Ursprünglich wollte das BMAS die Sonder-<br />
Rentenerhöhung mit weiteren rentenpolitischen<br />
Maßnahmen verknüpfen. So war daran gedacht, die<br />
Höchstnachhaltigkeitsrücklage von 1,5 auf 2,5 Monatsausgaben<br />
anzuheben und die erstmalige Anwendung<br />
des Anpassungsfaktors zur Nachholung<br />
unterbliebener Rentendämpfungen von 2011 auf<br />
2013 zu verschieben.<br />
Die BDA konnte durch ihre umgehende Intervention<br />
erreichen, dass die Bundesregierung zumindest<br />
von diesen weiter gehenden Rentenplänen<br />
Abstand genommen hat. Allein die beabsichtigte<br />
Anhebung der Höchstnachhaltigkeitsrücklage hätte<br />
die Ansammlung zusätzlicher Beitrags- und Steuermittel<br />
in Höhe von rund 16 Mrd. € erforderlich<br />
gemacht und dadurch künftige Beitragssatzsenkungen<br />
in der Rentenversicherung stark erschwert.<br />
In Anbetracht der konjunkturell schwierigen<br />
Situation sollte der Beitragssatz zur allgemeinen<br />
Rentenversicherung zum 1. Januar 2009 auf<br />
19,6 % gesenkt werden. Damit könnten Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer im kommenden Jahr um<br />
rund 2,5 Mrd. € entlastet und das Konjunkturpaket<br />
der Bundesregierung wirkungsvoll ergänzt werden.<br />
Die moderate Beitragssatzsenkung wäre –<br />
wie der gerade veröffentlichte Rentenversicherungsbericht<br />
der Bundesregierung eindrucksvoll<br />
belegt – auch aus Sicht der Rentenversicherungsträger<br />
gut vertretbar. Selbst mit einem Beitragssatz<br />
von 19,6 % könnten die Rentenausgaben im<br />
kommenden Jahr finanziert werden, ohne auf die<br />
Rücklagen der Rentenversicherung zurückgreifen<br />
zu müssen. Die lägen auf der Grundlage der Annahmen<br />
der Bundesregierung Ende des kommenden<br />
Jahres dann immer noch bei ausreichenden<br />
16 Mrd. €. Es wäre absurd, in Zeiten der Rezession<br />
einerseits Konjunkturpakete zu schnüren und<br />
andererseits den Bürgern und Betrieben eine unnötig<br />
hohe Abgabenlast aufzubürden.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Gesetzliche Rentenversicherung“ veröffentlicht.<br />
Betriebliche Altersvorsorge:<br />
weiteren Zuwachs sichern<br />
Die betriebliche Altersvorsorge (BAV) befindet sich<br />
weiter auf Wachstumskurs. Nach Angaben der<br />
Bundesregierung hatten Ende 2007 ca. 17,5 Mio.<br />
Beschäftigte einen Anspruch auf betriebliche Altersvorsorge,<br />
gegenüber 14,5 Mio. Anfang 2002.<br />
Dies entspricht einem Zuwachs von insgesamt<br />
21 %, wobei sich der Zuwachs im Jahr 2007 in Anbetracht<br />
der damals ungeklärten Frage nach der<br />
Fortführung der beitragsfreien Entgeltumwandlung<br />
über <strong>2008</strong> hinaus etwas verlangsamt hatte.<br />
Mit dem Ende 2007 verabschiedeten Gesetz zur<br />
Förderung der zusätzlichen Altersvorsorge, in<br />
dem die unbefristete Beitragsfreiheit beschlossen<br />
wurde, haben die Arbeitnehmer und Arbeitgeber<br />
nun die notwendige Planungssicherheit. Die wichtige<br />
Rolle der betrieblichen Altersvorsorge innerhalb<br />
des deutschen Alterssicherungssystems wird<br />
auch im Sozialbudget 2007 des BMAS deutlich.<br />
Hiernach haben deutsche Unternehmen 2007 Betriebsrenten<br />
in Höhe von insgesamt 20,7 Mrd. €<br />
an die Berechtigten ausgezahlt, was seit 2000 einer<br />
Zunahme von 18,1 % entspricht. Auch diese<br />
Entwicklung zeigt, dass die betriebliche Altersvorsorge<br />
weiterhin die wichtigste Sozialleistung der<br />
deutschen Arbeitgeber bleibt.<br />
Der BDA ist es erfreulicherweise gelungen,<br />
eine zusätzliche Steuerbelastung der betrieblichen<br />
Altersvorsorge zu verhindern, die mit dem Jahressteuergesetz<br />
2009 eingeführt werden sollte.<br />
30 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung
Insbesondere konnten die ursprünglichen Pläne<br />
des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), die<br />
Besteuerung von Erträgen aus Streubesitzbeteiligungen<br />
(Beteiligung an Unternehmen von unter<br />
10 %) auszuweiten, vereitelt werden. Die geplante<br />
Gesetzesänderung hätte die Rentabilität der betrieblichen<br />
Altersvorsorge spürbar beeinträchtigt.<br />
Im Ergebnis wären Kapitalerträge aus Streubesitzbeteiligungen,<br />
die von den Unternehmen zur Abdeckung<br />
von Pensionszusagen gebildet wurden,<br />
zunächst in voller Höhe auf betrieblicher Ebene<br />
zu versteuern gewesen und anschließend erneut<br />
von den Betriebsrentnern im Rahmen der nachgelagerten<br />
Besteuerung. Diese Mehrbelastung, von<br />
der sowohl Arbeitgeber als auch – bei beitragsorientierten<br />
Zusagen – Arbeitnehmer direkt betroffen<br />
gewesen wären, hätte die betriebliche Altersvorsorge<br />
deutlich geschwächt.<br />
Mehrbelastung der Unternehmen<br />
durch Reform des Versorgungsausgleichs<br />
auf Mindestmaß<br />
beschränken<br />
Derzeit wird im Bundestag der Gesetzentwurf<br />
zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs<br />
behandelt, den die Bundesregierung am 21. Mai<br />
<strong>2008</strong> beschlossen hat. Diese Reform wird auch<br />
Auswirkungen auf die betriebliche Altersvorsorge<br />
und somit unmittelbare Belastungen der Arbeitgeber<br />
zur Folge haben. Zwar hat die Bundesregierung<br />
zahlreiche von der BDA im Vorfeld des<br />
Gesetzgebungsverfahrens eingebrachte Forderungen<br />
berücksichtigt. Dennoch enthält der jetzige<br />
Gesetzesvorschlag vermeidbare bürokratische<br />
Mehrbelastungen für die betriebliche Altersvorsorge.<br />
Deshalb wird sich die BDA im anstehenden<br />
Gesetzgebungsverfahren weiterhin für Nachbesserungen<br />
einsetzen.<br />
Vor allem im Hinblick auf die vorgesehene<br />
obligatorische Realteilung sieht der Vorschlag vermeidbare<br />
Belastungen vor. Die geplante zwangsweise<br />
Aufnahme von geschiedenen Ehegatten<br />
in betriebliche Versorgungssysteme würde diese<br />
zusätzlich aufblähen und zu mehr Bürokratie führen.<br />
Um dies zu vermeiden, sollten ausgleichsberechtigte<br />
Personen regelmäßig – unabhängig<br />
vom betroffenen Durchführungsweg – ohne Betragsobergrenzen<br />
abgefunden werden können.<br />
Insoweit ist zu begrüßen, dass der Gesetzentwurf<br />
bei den internen Durchführungswegen (Direktzusage,<br />
Unterstützungskasse) den Forderungen<br />
der BDA entgegenkommt. In diesem wurde die<br />
Betragsgrenze für das einseitige Abfindungsrecht<br />
der Arbeitgeber (externe Realteilung) – im Gegensatz<br />
zum Referentenentwurf – erheblich nach<br />
oben erweitert (von 5.964 € auf 63.600 €, bezogen<br />
auf das Jahr <strong>2008</strong>). Bei den externen Durchführungswegen<br />
(Pensionskassen, Pensionsfonds und<br />
Direktversicherung) muss aber noch deutlich<br />
nachgebessert werden, da hier weiterhin nur<br />
Kleinstanwartschaften (bis zu 50 € Monatsrente)<br />
einseitig abgefunden werden dürfen.<br />
Im Interesse einer Vereinfachung ist weiterhin<br />
erforderlich, dass verfallbare Betriebsrenten-Anwartschaften<br />
nicht in den Versorgungsausgleich<br />
einbezogen werden. Zudem sollten<br />
sämtliche Kosten des Versorgungsausgleichs verursachergerecht<br />
auf die Ehegatten umgelegt werden<br />
können – unabhängig davon, ob die Anrechte<br />
im Wege der internen oder externen Realteilung<br />
geteilt werden. Zu begrüßen ist, dass Vorschläge<br />
der BDA für weitere Erleichterungen, wie z. B.<br />
der Verzicht auf einen Versorgungsausgleich bei<br />
geringen Ausgleichswerten und bei einer kurzen<br />
Ehedauer, aufgegriffen wurden.<br />
Zusätzliche Pensionsgutachten<br />
durch Bilanzrechtsreform<br />
verhindern<br />
Aktuell wird im Bundestag der Gesetzentwurf zur<br />
Bilanzrechtsreform beraten, den die Bundesregierung<br />
am 21. Mai <strong>2008</strong> beschlossen hat. Durch das<br />
neue HGB-Bilanzrecht droht der betrieblichen Altersvorsorge<br />
zusätzliche Bürokratie, da die neuen<br />
handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften nicht<br />
auf das Steuerrecht übertragen werden.<br />
Positiv ist, dass in der HGB-Bilanz die tatsächlichen<br />
Belastungen der Unternehmen durch<br />
Pensionsverpflichtungen realistischer ausgewiesen<br />
werden sollen. So ist im Gesetzentwurf vorgesehen,<br />
dass Pensionsverpflichtungen mit einem<br />
marktüblichen Durchschnittszinssatz bewertet sowie<br />
künftige Inflations- und Gehaltstrends berücksichtigt<br />
werden müssen.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung 31
Auszahlungen von Betriebsrenten durch Arbeitgeber<br />
seit 2000 stark gestiegen<br />
Leistungen der BAV in Deutschland in Mrd. €<br />
21<br />
20,7<br />
20,4<br />
20,1<br />
20<br />
19,9<br />
19<br />
18<br />
17,5<br />
17<br />
2000 2004 2005 2006 2007 Jahr<br />
Quellen: BMAS, Sozialbudget 2007; Darstellung: BDA<br />
32 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung
Zu begrüßen ist auch, dass einige Hinweise<br />
der BDA zum Referentenentwurf im Gesetzentwurf<br />
berücksichtigt wurden. So wurde z. B. klargestellt,<br />
dass Unternehmen ihre Pensionsverpflichtungen<br />
auch mit einem pauschalen Zinssatz für das gesamte<br />
Unternehmen bewerten dürfen. Dadurch<br />
konnte zusätzlicher Aufwand vermieden werden,<br />
der durch die Zugrundelegung eines laufzeitadäquaten<br />
Zinssatzes für jede einzelne Betriebsrentenanwartschaft<br />
entstanden wäre.<br />
Wenn aber eine steuerrechtliche Flankierung<br />
der Bilanzreform ausbleibt, wird das zu einem Auseinanderfallen<br />
von steuer- und handelsbilanzieller<br />
Bewertung von Pensionsverpflichtungen führen, so<br />
dass die Unternehmen regelmäßig ihre Pensionsverpflichtungen<br />
zweimal gutachterlich bewerten lassen<br />
müssen. Nach derzeitigem Handelsbilanzrecht ist<br />
die Bewertung nach steuerrechtlichen Vorschriften<br />
ausreichend.<br />
Die zusätzliche bürokratische Belastung der<br />
Unternehmen wird auch im Gesetzentwurf eingeräumt,<br />
allerdings liegt die Schätzung der Mehrkosten<br />
mit ca. 50 Mio. € im Jahr deutlich zu niedrig.<br />
Realistischer sind hingegen Kostensteigerungen<br />
um das Zwei- bis Dreifache pro Jahr. Dabei vermögen<br />
die in der Vergangenheit angeführten fiskalischen<br />
Argumente, denen zufolge erhebliche<br />
Steuerausfälle zu befürchten sind, wenn auch in<br />
der Steuerbilanz eine Bewertung der Pensionsverpflichtungen<br />
nach marktüblichem Zinssatz erfolgt,<br />
nicht zu überzeugen. Zum einen würde der<br />
zusätzliche Rückstellungsbedarf nicht zu endgültigen<br />
Steuerausfällen führen, sondern lediglich zu<br />
Steuerstundungen, da die Rückstellungen bei Betriebsrentenauszahlung<br />
wieder gewinnerhöhend<br />
aufgelöst werden müssen. Zum anderen ließen<br />
sich die mittelfristigen fiskalischen Auswirkungen<br />
durch eine angemessene Übergangsregelung<br />
nahezu auf null minimieren. Die steuerliche Berücksichtigung<br />
der tatsächlichen Belastung der<br />
Unternehmen durch Pensionsverpflichtungen entspräche<br />
zudem dem Prinzip der Besteuerung<br />
nach der Leistungsfähigkeit, wonach eine erhöhte<br />
Belastung auch die Besteuerungsgrundlage vermindert.<br />
Die BDA hat zu diesen Themen den kompakt<br />
„Betriebliche Altersvorsorge“ veröffentlicht.<br />
Belastungen durch Solvency II<br />
vermeiden<br />
Derzeit wird zwischen dem Europäischen Parlament<br />
(EP), der EU-Kommission und den EU-Finanzministern<br />
ein Richtlinienvorschlag der EU-<br />
Kommission vom 26. Februar <strong>2008</strong> zur Aufnahme<br />
und Ausübung der Versicherungstätigkeit (Solvency<br />
II) beraten. Im Zentrum des Vorschlages<br />
stehen neue Eigenkapitalvorschriften für Versicherungsunternehmen<br />
(Solvabilitätsvorschriften)<br />
sowie Regelungen zum Risikomanagement und<br />
zu Berichtspflichten. Erfreulicherweise haben sowohl<br />
die EU-Finanzminister in ihrer Sitzung am<br />
2. Dezember <strong>2008</strong> als auch zuvor der zuständige<br />
EP-Ausschuss für Wirtschaft und Währung<br />
(ECON-Ausschuss) am 7. Oktober <strong>2008</strong> beschlossen,<br />
dass Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge<br />
vom Anwendungsbereich der geplanten<br />
Richtlinie ausgenommen werden sollen. Für diese<br />
Beschlüsse haben sich die BDA und BUSINESS-<br />
EUROPE intensiv und mit Erfolg eingesetzt.<br />
Eine Anwendung der geplanten Richtlinie auf<br />
Pensionskassen und Pensionsfonds – wie derzeit<br />
noch im Kommissionsvorschlag vorgesehen – würde<br />
der betrieblichen Altersvorsorge erheblichen<br />
Schaden zufügen. Denn im Gegensatz zum bisherigen<br />
europäischen Aufsichtsregime Solvency I<br />
soll sich die Eigenkapitalausstattung nicht nur am<br />
Volumen des Geschäfts orientieren, sondern darüber<br />
hinaus stärker am Marktrisiko. Diese Anforderung<br />
ist für Versicherungsunternehmen durchaus<br />
nachvollziehbar, nicht hingegen für Einrichtungen<br />
der betrieblichen Altersvorsorge, die aufgrund der<br />
bis zu 30 % höheren Eigenkapitalanforderungen<br />
deutlich verteuert und zudem durch umfangreiche<br />
zusätzliche Berichtspflichten belastet würden. Das<br />
zusätzliche Eigenkapital könnten diese Einrichtungen<br />
entweder nur durch Leistungskürzungen<br />
zu Lasten der Betriebsrentner oder durch höhere<br />
Beiträge der Trägerunternehmen aufbringen.<br />
Auch wenn der Beschluss des ECON-Ausschusses<br />
zu begrüßen ist, ist die Gefahr einer<br />
Anwendung von Solvency II auf Einrichtungen der<br />
betrieblichen Altersvorsorge noch nicht gebannt.<br />
Deshalb wird die BDA in den anstehenden Beratungen<br />
weiter darauf hinwirken, dass keine Verschärfungen<br />
für die betriebliche Altersvorsorge<br />
beschlossen werden.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung 33
Anwendung von Solvency II würde Pensionskassen<br />
und Pensionsfonds mit zusätzlicher Bürokratie belasten<br />
Solvency II beruht auf einem 3-Säulen-Konzept, dessen 2. und 3. Säule bereits teilweise heute schon<br />
Anwendung auf Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge (Pensionskassen und -fonds) finden:<br />
1. Eigenkapitalanforderung: strengere Anforderung an die Eigenkapitalausstattung (Solvabilität) für<br />
Versicherer, stärkere Einbeziehung von Marktrisiken der Kapitalanlagen und striktere Anforderungen<br />
an versicherungsmathematische Rückstellungen<br />
2. Aufsichtsrecht: neue Anforderungen an Risikobestimmung und -management, Verpflichtung der<br />
Versicherer zur Einrichtung von internen Steuerungs- und Kontrollsystemen und einer internen Revision<br />
3. Berichtswesen: erweiterte Veröffentlichungspflichten gegenüber der Aufsicht und der Öffentlichkeit<br />
insbesondere zum Risikomanagement und der Unternehmensstrategie<br />
Der überwiegende Teil der neuen Vorschriften (insbesondere die 1. Säule) soll bis zum 31. Oktober 2012<br />
in nationales Recht umgesetzt werden. Derzeit würde auch die 1. Säule von Solvency II aufgrund eines<br />
Verweises in der Pensionsfondsrichtlinie für Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge gelten.<br />
Gesetzliche Krankenversicherung:<br />
Beitragssatzanhebung auf 15,5 %<br />
ist ein gesundheitspolitischer<br />
Offenbarungseid<br />
Die große Koalition ist zu Beginn der Legislaturperiode<br />
mit der Zusage angetreten, den Beitragssatz<br />
in der gesetzlichen Krankenversicherung „mindestens<br />
stabil zu halten und möglichst zu senken“<br />
(Koalitionsvertrag vom 11. November 2005). Passiert<br />
ist jedoch das genaue Gegenteil.<br />
Lag der durchschnittliche Beitragssatz zu<br />
Beginn der Legislaturperiode noch bei 14,2 %,<br />
wird für die Absicherung des Krankheitsrisikos ab<br />
1. Januar 2009 der Rekordbeitragssatz von 15,5 %<br />
fällig. Das ist ein gesundheitspolitischer Offenbarungseid.<br />
Allein in den Jahren 2006 und 2007 haben<br />
sich die Gesamtausgaben der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung um 10 Mrd. € erhöht, während<br />
die übrigen Sozialleistungen um 5 Mrd. € zurückgingen.<br />
Im deutschen Sozialstaat ist die gesetzliche<br />
Krankenversicherung damit inzwischen<br />
der mit Abstand größte Kostentreiber.<br />
Statt die Herausforderungen und Probleme,<br />
vor denen das deutsche Gesundheitswesen steht,<br />
endlich mittels durchgreifender Strukturreformen<br />
auf der Finanzierungs- und Leistungsseite zu lösen,<br />
hat die Bundesregierung lediglich beschlossen,<br />
im kommenden Jahr zusätzliches Geld in das<br />
Gesundheitssystem zu geben. Herausgekommen<br />
ist das teuerste sozialpolitische Paket der gesamten<br />
Legislaturperiode: Nach Schätzungen des<br />
Bundesgesundheitsministeriums werden die Kran-<br />
34 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung
kenkassen 2009 rund 11 Mrd. € an zusätzlichen<br />
Mitteln ausgeben, vor allem für die Krankenhäuser<br />
(3,5 Mrd. €) und die niedergelassenen Ärzte<br />
(2,5 Mrd. €). Mit ihren Vorabzusagen zu Krankenhausfinanzierung<br />
und Ärztehonorarreform hat die<br />
Koalition die zu erwartenden Kostensteigerungen<br />
maßgeblich selbst zu verantworten.<br />
Es sind vor allem diese politisch gewollten<br />
Mehrausgaben, die den ab 1. Januar 2009 geltenden<br />
einheitlichen Beitragssatz in der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung auf 15,5 % in die Höhe treiben,<br />
und nicht etwa – wie fälschlicherweise in der<br />
Öffentlichkeit immer wieder behauptet – der Gesundheitsfonds.<br />
Er löst zwar keines der großen<br />
Probleme des deutschen Gesundheitswesens und<br />
ist durch das Festhalten an der lohnbezogenen<br />
Finanzierung vor allem auch keine Antwort auf<br />
die voranschreitenden demografischen Veränderungen.<br />
Aber der Gesundheitsfonds ist auch nicht<br />
das „bürokratische Monster“ bzw. der Kostentreiber,<br />
zu dem ihn viele machen wollen.<br />
Perspektivisch bieten die Einführung des<br />
kassenindividuellen Zusatzbeitrages und die Vereinheitlichung<br />
des Beitragssatzes durchaus Chancen.<br />
Mit der Einführung von Zusatzbeiträgen wird<br />
gewährleistet, dass zumindest ein Teil der künftigen<br />
Beitragsmehrbelastung nicht zu Lasten der<br />
Arbeitgeber und damit der Personalzusatzkosten<br />
geht. Zudem wird eine spätere – auch im Rahmen<br />
des BDA-Gesundheitsprämienmodells erforderliche<br />
– Auszahlung des Arbeitgeberbeitrags in den<br />
Bruttolohn erleichtert.<br />
Die von der BDA unterbreiteten Vorschläge<br />
zur Sicherung der Beitragssatzstabilität in der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung sind von der Politik<br />
größtenteils ignoriert worden. Insbesondere<br />
ist der Vorschlag, auf die Sonderregelung für das<br />
Einführungsjahr 2009, die eine 100 % - ige Ausgabendeckung<br />
vorsieht, zu verzichten, nicht aufgegriffen<br />
worden. Gleiches gilt für die Forderung,<br />
kostendeckende Beiträge des Bundes für Empfänger<br />
von Arbeitslosengeld II vorzusehen. Demgegenüber<br />
ist die Bundesregierung der BDA jedoch<br />
darin gefolgt, die Liquiditätsreserve beim Gesundheitsfonds<br />
durch eine vierjährige Ansparphase<br />
weitgehend beitragssatzneutral aufzubauen.<br />
Insolvenzfähigkeit von Krankenkassen<br />
sachgerecht geregelt<br />
Das am 17. Oktober <strong>2008</strong> vom Bundestag und am<br />
7. November <strong>2008</strong> vom Bundesrat beschlossene<br />
„Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen<br />
in der gesetzlichen Krankenversicherung“<br />
(GKV-OrgWG), das mit der Herstellung der<br />
Insolvenzfähigkeit aller Krankenkassen eine wesentliche<br />
Voraussetzung für gleiche Wettbewerbsbedingungen<br />
unter den Krankenkassen schafft, ist<br />
zu begrüßen.<br />
Positiv zu werten ist insbesondere, dass die<br />
bisher aufgelaufenen Versorgungsverpflichtungen<br />
der Krankenkassen für den Fall einer Insolvenz<br />
einer Krankenkasse im System der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung abgesichert werden sollen<br />
und der von den Arbeitgebern finanzierte Pensions-Sicherungs-Verein<br />
VVaG (PSVaG) insoweit<br />
ausschließlich für Versorgungsverpflichtungen, die<br />
nach dem 31. Dezember 2009 entstanden sind,<br />
einstehen muss. Damit ist gewährleistet, dass die<br />
Arbeitgeber im Insolvenzfall nicht für die bis zu diesem<br />
Datum aufgelaufenen Versorgungsverpflichtungen<br />
(Altlasten) der Krankenkassen haften müssen.<br />
Eine Übernahme der Haftung für die Altlast<br />
durch den PSVaG wäre nicht gerechtfertigt gewesen:<br />
zum einen, weil die bislang nicht insolvenzfähigen<br />
Krankenkassen für die Vergangenheit keine<br />
Beiträge an den PSVaG gezahlt haben, zum anderen,<br />
weil der PSVaG mit den milliardenschweren,<br />
nicht ausfinanzierten Altlasten der Krankenkassen<br />
ein hohes Risiko übernommen hätte.<br />
Reform der Krankenhausfinanzierung<br />
enttäuschend<br />
Enttäuschend sind dagegen die Pläne der Bundesregierung<br />
zur Reform der Krankenhausfinanzierung.<br />
Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf werden<br />
finanzielle Belastungen der Krankenkassen bewirkt<br />
und keinerlei strukturelle Änderungen in<br />
der Krankenhausfinanzierung herbeigeführt. Die<br />
Krankenkassen sollen die Tariflohnerhöhungen im<br />
Krankenhausbereich der Jahre <strong>2008</strong> und 2009,<br />
die über der Grundlohnsummensteigerung liegen,<br />
anteilig finanzieren. Für die schrittweise Neueinstellung<br />
von insgesamt 21.000 Pflegekräften in<br />
den Jahren 2009 bis 2011 wird zu Lasten der<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung 35
BDA-Forderungen zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
Gesundheits- von den Arbeitskosten<br />
abkoppeln<br />
Zentraler Reformschritt muss die Entkopplung der<br />
Krankheitskostenfinanzierung vom Arbeitsverhältnis<br />
sein. Der beste Weg hierfür ist die Umstellung<br />
der Finanzierung auf einkommensunabhängige<br />
Gesundheitsprämien mit Auszahlung des Arbeitgeberanteils<br />
in den Bruttolohn und steuerfinanziertem<br />
Sozialausgleich für Einkommensschwache.<br />
Wettbewerb verstärken<br />
Der Ausbau von Wettbewerbselementen ist eines<br />
der wirksamsten Mittel zur Begrenzung der Ausgabenentwicklung<br />
und hier insbesondere zur Vermeidung<br />
von Ineffizienzen im Leistungsgeschehen<br />
und in den Organisationsstrukturen sowie von<br />
Fehlanreizen für Versicherte und Leistungsanbieter.<br />
Erforderlich sind deshalb vorrangig mehr<br />
Vertragsfreiheiten für die Krankenkassen bei der<br />
Aushandlung von Preisen, Mengen und Qualitäten<br />
mit den Leistungsanbietern sowie größere Gestaltungsspielräume<br />
für die Krankenkassen beim<br />
Angebot unterschiedlicher Versorgungsformen an<br />
die Versicherten.<br />
Eigenverantwortung der Versicherten<br />
ausbauen<br />
Ein staatlich organisiertes und über Zwangsabgaben<br />
finanziertes Gesundheitssystem muss sich auf<br />
eine Basissicherung mit Kernleistungen beschränken,<br />
um allen Systembeteiligten genügend große<br />
Handlungsspielräume zu belassen. Selbstbeteiligung<br />
setzt zudem Anreize für ein gesundheits- sowie<br />
kostenbewusstes Verhalten der Versicherten<br />
und trägt dem Grundsatz Rechnung, dass eine<br />
Sozialversicherung entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip<br />
ausschließlich Leistungen erbringen<br />
sollte, die der Einzelne nicht selbst tragen kann.<br />
Kapitalgedeckte Risikovorsorge aufbauen<br />
Zur langfristigen Sicherung der Finanzierbarkeit<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung ist der<br />
Aufbau einer ergänzenden kapitalgedeckten Risikovorsorge<br />
unverzichtbar. Im heutigen Umlagesystem<br />
kommt es angesichts der demografischen<br />
Entwicklung zu massiven Beitragssatzsteigerungen<br />
und damit zu gravierenden intergenerationellen<br />
Umverteilungen.<br />
36 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung
Krankenkassen ein krankenhausindividueller Zuschlag<br />
erhoben, der ab 2012 in das pauschalierte<br />
DRG-Vergütungssystem überführt werden soll. Die<br />
zusätzlichen Mehrkosten für diese beiden Maßnahmen<br />
belaufen sich nach dem Gesetzentwurf<br />
auf ca. 2,0 Mrd. €. Eine gesetzliche Regelung,<br />
wonach die Länder ihrer Investitionsverpflichtung<br />
nachkommen müssen, ist am Widerstand der Länder<br />
gescheitert. Damit besteht weiterhin die Gefahr,<br />
dass notwendige Investitionen unterbleiben<br />
und die Krankenkassen über die Betriebskosten<br />
dafür geradestehen müssen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Gesetzliche Krankenversicherung“ veröffentlicht.<br />
Soziale Pflegeversicherung:<br />
Finanzierungsprobleme bleiben<br />
ungelöst<br />
Das am 14. März <strong>2008</strong> vom Bundestag beschlossene<br />
„Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung<br />
der Pflegeversicherung“ (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz)<br />
besteht im Wesentlichen aus<br />
Leistungsausweitungen. Das Maßnahmenpaket<br />
umfasst insbesondere die stufenweise Anhebung<br />
der ambulanten Sachleistungsbeträge und des<br />
Pflegegeldes in allen drei Pflegestufen sowie die<br />
schrittweise Erhöhung der stationären Sachleistungsbeträge<br />
in der Pflegestufe III und in Härtefällen<br />
jeweils in den Jahren <strong>2008</strong>, 2010 und<br />
2012. Die Chance, die soziale Pflegeversicherung<br />
dauerhaft leistungsfähig und finanzierbar zu gestalten,<br />
wurde hingegen verpasst.<br />
Zur Finanzierung der Leistungsausweitungen<br />
wurde der Beitragssatz zur Pflegeversicherung<br />
zum 1. Juli <strong>2008</strong> von 1,7 auf 1,95 % (bzw. für Kinderlose<br />
von 1,95 auf 2,2 %) angehoben. Dadurch<br />
werden die Versicherten und Betriebe mit rund<br />
2,5 Mrd. € auf Jahresbasis belastet. Trotz dieser<br />
Beitragserhöhung können die Leistungen der Pflegeversicherung<br />
laut Gesetzesbegründung jedoch<br />
nur bis „Ende 2014 / Anfang 2015“ finanziert werden.<br />
Dann sollen die Rücklagen der Pflegekassen<br />
gerade auf die gesetzlich definierte Mindestreserve<br />
von 1,0 Monatsausgaben abgeschmolzen sein.<br />
Wie die ab 2015 vorgesehene Dynamisierung<br />
der Pflegeleistungen finanziert werden soll, bleibt<br />
damit unklar.<br />
Wegen der umfangreichen Leistungsausweitungen<br />
wird die finanzielle Schieflage der sozialen<br />
Pflegeversicherung weiter verschärft. Denn bei<br />
einer rückläufigen Zahl potenzieller Beitragszahler<br />
werden die zu schulternden Finanzierungslasten<br />
nun nicht nur durch die steigende Zahl der Pflegefälle,<br />
sondern zusätzlich durch höhere Kosten<br />
je Pflegefall zunehmen. Gerade vor diesem Hintergrund<br />
hätte die Vermeidung einer Beitragssatzanhebung<br />
oberstes Ziel der Pflegereform sein<br />
müssen.<br />
Bestandteile einer zukunftsweisenden Reform<br />
der Pflegeversicherung müssen insbesondere<br />
die Abkopplung der Pflegekosten vom Arbeitsverhältnis,<br />
eine strukturelle beitragssatzneutrale<br />
Ausrichtung des Leistungskatalogs sowie ein wirksamer<br />
Wettbewerb sowohl zwischen den Pflegekassen<br />
als auch zwischen den Pflegekassen und<br />
Leistungserbringern sein. Außerdem sind eine<br />
stärkere Eigenbeteiligung der Versicherten ebenso<br />
wie der Aufbau von Kapitaldeckung unbedingt<br />
erforderlich.<br />
Der BDA ist es allerdings gelungen, einige<br />
Erfolge im Gesetzgebungsverfahren zu erzielen.<br />
So hätte die bundesweit verpflichtende Einführung<br />
von Pflegestützpunkten zur wohnortnahen Beratung,<br />
Versorgung und Betreuung der Versicherten<br />
die Einrichtung von bundesweit über 4.000 Pflegestützpunkten<br />
mit rund 16.000 Pflegebegleitern zur<br />
Folge gehabt. Dies konnte verhindert werden. Die<br />
Pflegestützpunkte werden nun von den Pflegeund<br />
Krankenkassen nur dann eingerichtet, wenn<br />
die zuständige oberste Landesbehörde dies bestimmt.<br />
Dabei ist auf vorhandene Beratungsstrukturen<br />
zurückzugreifen. Die Anschubfinanzierung<br />
zur Errichtung der Pflegestützpunkte ist auf eine<br />
Gesamthöhe von 60 Mio. € (im Gegensatz zur<br />
zuvor vorgesehenen Gesamthöhe von 80 Mio. €)<br />
limitiert. Zudem besteht der Anspruch auf Pflegezeit<br />
von bis zu sechs Monaten nur bei Arbeitgebern<br />
mit mehr als 15 Beschäftigten und nicht – wie<br />
ursprünglich vorgesehen – bei Arbeitgebern mit<br />
mehr als zehn Beschäftigten.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Soziale Pflegeversicherung“ veröffentlicht.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung 37
Neue Leistungen in der Pflegeversicherung (ab dem 1. Juli <strong>2008</strong>)<br />
Stufenweise Anhebung der ambulanten Sachleistungsbeträge und des Pflegegeldes in allen<br />
drei Pflegestufen in den Jahren <strong>2008</strong>, 2010 und 2012<br />
Schrittweise Erhöhung der stationären Sachleistungsbeträge in der Pflegestufe III sowie in<br />
Härtefällen in den Jahren <strong>2008</strong>, 2010, 2012<br />
Anhebung des zusätzlichen Leistungsbetrages für Menschen mit erheblich eingeschränkter<br />
Alltagskompetenz (z. B. Demenzkranke)<br />
Dynamisierung der Leistungen der Pflegeversicherung in dreijährigem Rhythmus ab 2015<br />
Stärkung der ambulanten Versorgung (Pflegestützpunkte, Fallmanagement, Förderung betreuter<br />
Wohnformen)<br />
Ausbau des Anspruchs auf Tagespflege<br />
Anspruch auf bis zu sechsmonatige unbezahlte Freistellung von der Arbeit („Pflegezeit“), dabei<br />
zahlt die Pflegeversicherung für die Zeit der Freistellung Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung<br />
für die Pflegeperson und gewährt einen Beitragszuschuss in Höhe des Mindestbeitrages<br />
zur Kranken- und Pflegeversicherung, soweit keine andere Absicherung (z. B. Familienversicherung)<br />
besteht.<br />
Gesetzliche Unfallversicherung:<br />
ausgesparte Reform des Leistungsrechts<br />
umgehend nachholen<br />
Nachdem der Bundestag am 26. Juni <strong>2008</strong> das<br />
„Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung“<br />
(UVMG) beschlossen hat, ist das<br />
UVMG am 19. September <strong>2008</strong> auch vom Bundesrat<br />
gebilligt worden. Am 5. November <strong>2008</strong> ist<br />
das Gesetz grundsätzlich in Kraft getreten. Es enthält<br />
insbesondere Regelungen zur Organisation<br />
der Unfallversicherungsträger, zur Verteilung von<br />
Altlasten zwischen den Berufsgenossenschaften,<br />
zu neuen Meldepflichten der Arbeitgeber und zu<br />
rechtlichen Grundlagen der Gemeinsamen Deutschen<br />
Arbeitsschutzstrategie (GDA).<br />
Das Leistungsrecht wird – im Gegensatz zu<br />
den Festlegungen im Koalitionsvertrag – gänzlich<br />
ausgespart. Das BDA-Präsidium hat dies zuletzt<br />
im Januar <strong>2008</strong> als sehr enttäuschend kritisiert.<br />
Die Koalition verpasst damit das selbst gesteckte<br />
Ziel, die Unfallversicherung umfassend zu reformieren<br />
und ein zielgenaueres Leistungsrecht<br />
einzuführen. Nur eine Reform des Leistungsrechts<br />
ermöglicht die überfällige Beitragsentlastung der<br />
Unternehmen. Mit dem jetzt verabschiedeten Reformstückwerk<br />
wird nun jedoch sogar ein großer<br />
Teil der Wirtschaft belastet. Durch die geänderte<br />
Verteilung von Altlasten zwischen den Berufsgenossenschaften<br />
führt die Reform für viele Unternehmen<br />
zu höheren statt zu niedrigeren Beiträgen.<br />
Die ausgesparte Reform des Leistungsrechts muss<br />
daher baldmöglichst nachgeholt werden.<br />
38 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung
Die BDA begrüßt, dass bei der Reform der<br />
Organisation der Unfallversicherung weitgehend<br />
die Vorschläge der Selbstverwaltung der gewerblichen<br />
Berufsgenossenschaften aufgegriffen<br />
wurden. Das gilt vor allem für den notwendigen<br />
Fusionsprozess und das Konzept für einen Überaltlastausgleich.<br />
Anders als im Gesetz vorgesehen, sollte die<br />
Überaltlast allerdings hälftig nach Neurenten und<br />
Entgelten verteilt werden, denn die Abwägung der<br />
unterschiedlichen Argumente rechtfertigt keine<br />
Übergewichtung eines der beiden Verteilkriterien.<br />
Erfreulich ist in diesem Zusammenhang jedoch,<br />
dass der Bundestag zur zeitlichen Streckung der<br />
Mehrbelastung der betroffenen Branchen durch<br />
den neuen Überaltlastausgleich – wie von der BDA<br />
gefordert – eine Verdoppelung der Übergangsfrist<br />
beschlossen hat.<br />
Die BDA begrüßt ferner, dass die von der<br />
Selbstverwaltung der gesetzlichen Unfallversicherung<br />
Mitte 2007 gegründete neue Spitzenorganisation,<br />
die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung<br />
(DGUV), bestehend aus den früheren<br />
Organisationen des Hauptverbandes der gewerblichen<br />
Berufsgenossenschaften (HVBG) und des<br />
Bundesverbandes der Unfallkassen (BUK), in<br />
ihrer privatrechtlichen Ausgestaltung weiter bestehen<br />
bleibt und nicht in eine öffentlich-rechtliche<br />
Körperschaft umgewandelt wird. Zudem ist positiv<br />
zu bewerten, dass der Bundestag – auch hier entsprechend<br />
der Forderung der BDA – den Gesetzentwurf<br />
dahingehend abgeändert hat, dass auf<br />
die Einführung von Fachaufsicht über die DGUV<br />
durch das BMAS verzichtet wird und es bei einer<br />
Rechtsaufsicht im hoheitlichen Aufgabenbereich<br />
bleibt.<br />
Es ist zu begrüßen, dass der Bundestag auf<br />
Initiative der BDA vorgesehen hat, dass die DGUV<br />
künftig auf die Verminderung von Verwaltungsund<br />
Verfahrenskosten bei den gewerblichen<br />
Berufsgenossenschaften hinzuwirken hat. Dies<br />
bleibt jedoch leider deutlich hinter den ursprünglichen<br />
Plänen im Arbeitsentwurf des BMAS und<br />
der Vereinbarung von Bund und Ländern in den<br />
Eckpunkten aus dem Jahre 2006 zurück. Hier war<br />
noch vorgesehen, dass die Verwaltungs- und Verfahrenskosten<br />
der Berufsgenossenschaften von<br />
2009 bis 2014 um 20 % zu senken sind.<br />
Der BDA ist es auch gelungen, die Folgen<br />
der mit dem UVMG vorgesehenen neuen Meldepflichten<br />
zumindest deutlich zu entschärfen. Kritisch<br />
war insbesondere die erst in letzter Minute<br />
durch einen Änderungsantrag in das Gesetz aufgenommene<br />
Pflicht der Arbeitgeber, künftig für<br />
jeden einzelnen Arbeitnehmer die „geleisteten Arbeitsstunden“<br />
an die Krankenkassen (Einzugsstellen)<br />
zu melden. Eine solche Meldepflicht hätte die<br />
Unternehmen vor erhebliche Schwierigkeiten gestellt.<br />
Viele Unternehmen erfassen die Arbeitszeit<br />
ihrer Beschäftigten nicht durch eine Zeiterfassung<br />
und müssen dies auch nicht. Die BDA hat sich daher<br />
mit großem Einsatz gegen die Einführung einer<br />
solchen Meldung eingesetzt, zumal die Meldung<br />
der Arbeitsstunden weder aus beitragsrechtlichen<br />
noch aus statistischen Gründen notwendig ist. Sie<br />
hat sich nach der dennoch erfolgten Gesetzesverabschiedung<br />
beim BMAS und den Sozialversicherungsträgern<br />
für korrigierende Maßnahmen auf<br />
untergesetzlicher Ebene eingesetzt. Die Überzeugungsarbeit<br />
hat sich gelohnt: Inzwischen kann davon<br />
ausgegangen werden, dass die Unternehmen<br />
die Arbeitsstunden in einem verwaltungstechnisch<br />
unbürokratischen Verfahren melden können.<br />
Die BDA wird sich weiterhin für eine umfassende<br />
Reform der gesetzlichen Unfallversicherung<br />
einsetzen. Eine Strukturreform muss zu einer Konzentration<br />
der Leistungen auf betriebsspezifische<br />
Risiken führen, bestehende Überversorgung abbauen<br />
sowie die Wirtschaftlichkeit verbessern.<br />
Rechtsvereinfachung bei der<br />
arbeitsmedizinischen Vorsorge<br />
sicherstellen<br />
Der Bundesrat hat am 10. Oktober <strong>2008</strong> die „Verordnung<br />
zur Rechtsvereinfachung und Stärkung<br />
der arbeitsmedizinischen Vorsorge“ verabschiedet.<br />
Mit der Verordnung soll ein kohärentes Vorschriften-<br />
und Regelwerk zur arbeitsmedizinischen<br />
Vorsorge geschaffen werden. Wie im geltenden<br />
Recht soll eine Differenzierung nach Pflicht- und<br />
Angebotsuntersuchungen, je nach Gefährdungspotenzial<br />
des Untersuchungsanlasses, erfolgen.<br />
Zur Konkretisierung der Verordnung und zur Erarbeitung<br />
von Regeln und Erkenntnissen ist die<br />
Einrichtung eines Ausschusses für Arbeitsmedizin<br />
vorgesehen.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung 39
Stand der Fusionen bei den<br />
gewerblichen Berufsgenossenschaften<br />
Rohstoffe<br />
Bergbau-BG<br />
Chemie-BG<br />
Steinbruchs-BG<br />
Papiermacher-BG<br />
Lederindustrie-BG<br />
Zucker-BG<br />
Fusionsvertrag<br />
unterzeichnet 14.10.<strong>2008</strong><br />
Fusion zum 01.01.2010<br />
Nahrungsmittel und<br />
Gaststätten<br />
BGN<br />
Fleischerei-BG<br />
Bauwirtschaft<br />
BG Bau<br />
Metall<br />
BGMS Fusion am<br />
NMBG<br />
}<br />
30.03.2007<br />
Masch-BG<br />
HüWa-BG<br />
Handel<br />
}<br />
GroLa-BG<br />
Einzel-<br />
Fusion am<br />
handels-BG 01.01.<strong>2008</strong><br />
Verwaltungen und<br />
Dienstleistungen<br />
Verwaltungs-BG<br />
BG Glas und<br />
Keramik<br />
BG Bahnen<br />
Fusion<br />
01.01.2009<br />
01.01.2010<br />
Verarbeitendes<br />
Gewerbe<br />
BGFE Fusion am<br />
Textil-BG<br />
}<br />
01.01.<strong>2008</strong><br />
BGDP<br />
Holz-BG<br />
BGFW<br />
Transport, Verkehr<br />
BG Farhzeughaltungen<br />
Fusion am<br />
See-BG<br />
}<br />
01.01.2010<br />
Gesundheitsdienst,<br />
Wohlfahrtspflege<br />
BGW<br />
Darstellung: BDA<br />
40 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung
Die BDA begrüßt grundsätzlich das mit der<br />
Verordnung verfolgte Ziel, die in unterschiedlichen<br />
Gesetzen, Verordnungen und Unfallverhütungsvorschriften<br />
enthaltenen Regelungen zur arbeitsmedizinischen<br />
Vorsorge zusammenzuführen.<br />
Allerdings wird dieses Ziel nur bedingt erreicht,<br />
da Untersuchungsanlässe aus einschlägigen<br />
Rechtsbereichen (z. B. Strahlenschutz, Nachtarbeit)<br />
nicht einbezogen werden. Kritisch beurteilt<br />
die BDA zudem die Einrichtung eines weiteren<br />
staatlichen Ausschusses. Da zu den Aufgaben<br />
des Ausschusses die Erarbeitung von technischen<br />
Regeln und Erkenntnissen gehören soll, besteht<br />
die Gefahr, dass das Ziel der Rechtsvereinfachung<br />
konterkariert wird.<br />
Die BDA hat zu diesen Themen den kompakt<br />
„Unfallversicherung und Arbeitsschutz“ veröffentlicht.<br />
Selbstverwaltung stärken<br />
statt schwächen<br />
Das im April <strong>2008</strong> vom Bundesministerium für<br />
Arbeit und Soziales vorgelegte Gutachten zur<br />
„Geschichte und Modernisierung der Sozialversicherungswahlen“<br />
enthält im Wesentlichen keine<br />
geeigneten Vorschläge zur Reform der sozialen<br />
Selbstverwaltung. Die BDA hat die darin unterbreiteten<br />
Empfehlungen weitgehend abgelehnt.<br />
Insbesondere der Vorschlag, die Mitwirkung der<br />
Arbeitgeber in den Selbstverwaltungsorganen<br />
auf ein Drittel zu beschränken, ist nachdrücklich<br />
abzulehnen. Dies gilt schon deshalb, weil der als<br />
Begründung gegebene Hinweis auf einen geringeren<br />
Beitragsanteil der Arbeitgeber nicht zutreffend<br />
ist. Richtig ist vielmehr, dass die Arbeitgeber in<br />
den meisten Sozialversicherungszweigen sogar<br />
höhere Beiträge als die Versicherten zahlen.<br />
Ohnehin ist der tragende Grund für die paritätische<br />
Selbstverwaltung jedoch nicht der jeweilige<br />
Finanzierungsanteil: Andernfalls wäre<br />
z. B. eine Mitwirkung von Arbeitnehmervertretern<br />
in der Selbstverwaltung der Unfallversicherung<br />
überhaupt nicht zu erklären. Vielmehr beruht die<br />
paritätische Mitwirkung vor allem darauf, dass<br />
die Beiträge zur Sozialversicherung nach wie vor<br />
ganz überwiegend über lohnbezogene Beiträge<br />
aufgebracht werden. Zudem soll mit der gleichberechtigten<br />
Einbindung der Arbeitgeber in die<br />
Selbstverwaltung der Sozialversicherung auch<br />
ihre Mitverantwortung für die Sozialversicherung<br />
zum Ausdruck gebracht und eingefordert werden.<br />
Bei einer bloßen Mitwirkung der Arbeitgeber in der<br />
Selbstverwaltung ohne tatsächliche Gestaltungsmöglichkeiten<br />
würde diese wesentliche Aufgabe<br />
und Rolle der paritätischen Selbstverwaltung<br />
durch Arbeitgeber und Versicherte hingegen aufgegeben.<br />
Kritisch zu sehen sind auch Überlegungen<br />
der Gutachter hinsichtlich einer Ausweitung des<br />
aktiven und passiven Wahlrechts auf Personen,<br />
die selbst nicht Mitglied der Sozialversicherung<br />
sind. Es darf nicht sein, dass weitere Personen in<br />
den Selbstverwaltungsorganen mitwirken, die nicht<br />
selbst mit eigenen Beiträgen an der Finanzierung<br />
der Sozialversicherung beteiligt sind und damit<br />
kein Interesse an einem möglichst wirtschaftlichen<br />
Einsatz der Beitragsmittel haben, sondern ausschließlich<br />
an höheren Leistungen. Des Weiteren<br />
fehlt im Gutachten ein überzeugender Vorschlag<br />
zur Modernisierung der Organisationsstrukturen.<br />
Im Hinblick auf das Gutachten und die aktuelle<br />
Diskussion über eine Reform der Selbstverwaltung<br />
hat die BDA im März <strong>2008</strong> das aktualisierte Positionspapier<br />
„Autonomie stärken – Organisationsstrukturen<br />
modernisieren“ mit Reformvorschlägen<br />
zur sozialen Selbstverwaltung vorgelegt. Die BDA<br />
hat sich darin klar für eine Reform der sozialen<br />
Selbstverwaltung ausgesprochen. Der in den letzten<br />
Jahren insgesamt gewachsene Staatseinfluss<br />
auf die Sozialversicherung muss gestoppt und zurückgedrängt<br />
werden. Dafür ist die Autonomie der<br />
Selbstverwaltung zu stärken, ihre Gestaltungsmöglichkeiten<br />
sind zu erweitern. Es muss sichergestellt<br />
werden, dass Versicherte und Arbeitgeber<br />
die von ihnen finanzierten Sozialversicherungen<br />
verantwortlich und aktiv mitgestalten können. Um<br />
die Effizienz der Arbeit der sozialen Selbstverwaltung<br />
zu erhöhen, sollten außerdem die historisch<br />
gewachsenen, teilweise aufgeblähten Organisationsstrukturen<br />
der Sozialversicherung durch ein<br />
einheitlich für alle Zweige der Sozialversicherung<br />
geltendes schlankes Verwaltungsratsmodell ersetzt<br />
werden. Ferner muss die paritätische Selbstverwaltung<br />
der Sozialversicherung durch Arbeitgeber<br />
und Versicherte auch dort eingeführt werden,<br />
wo sie heute noch fehlt.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung 41
Entgegen der ursprünglichen Absicht des<br />
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales<br />
(BMAS) soll es in dieser Legislaturperiode – die<br />
Vorlage eines Gesetzentwurfs war für den Herbst<br />
dieses Jahres vorgesehen – doch keine gesetzlichen<br />
Änderungen im Bereich der Sozialwahlen<br />
mehr geben. Grund für den vorläufigen Verzicht<br />
auf ein Gesetzgebungsverfahren ist, dass die<br />
Vorbereitungen für die Ermöglichung von Onlinewahlen<br />
noch nicht abgeschlossen und die<br />
ansonsten geplanten Gesetzesänderungen für<br />
ein eigenständiges Gesetzgebungsverfahren laut<br />
BMAS nicht ausreichend sind.<br />
Die BDA wird sich weiter nachdrücklich für<br />
eine Reform der Selbstverwaltung einsetzen, die<br />
ihre Autonomie stärkt und ihre Organisationsstrukturen<br />
modernisiert.<br />
Aktiver Sozialer Dialog macht<br />
Stress-Richtlinie überflüssig<br />
Die europäischen Sozialpartner sind mit Erfolg<br />
den Richtlinienüberlegungen der EU-Kommission<br />
zum Thema „Stress“ entgegengetreten und haben<br />
sich in einer im Jahr 2004 abgeschlossenen Rahmenvereinbarung<br />
zu arbeitsbedingtem Stress zu<br />
Umsetzungsaktivitäten verpflichtet. <strong>2008</strong> endete<br />
die Umsetzungsphase dieser Vereinbarung.<br />
Die BDA hat während der Umsetzungsfrist die<br />
Fachdiskussion mit allen relevanten Präventionsverantwortlichen<br />
zum Thema „Psychische Belastung<br />
und arbeitsbedingter Stress“ in Deutschland<br />
in Symposien, Vorträgen und Druckschriften maßgeblich<br />
geprägt. Die Reihe der BDA-Symposien<br />
wurde mit der dritten Veranstaltung „Umgang mit<br />
psychischer Belastung im Unternehmen: betriebliche<br />
Konzepte und externe Unterstützung“ am<br />
5. März <strong>2008</strong> fortgesetzt. Im Mittelpunkt der<br />
Beiträge standen die Auswahl einer betriebsspezifischen<br />
Vorgehensweise sowie Unterstützungsangebote<br />
Externer. Dabei wurden vor allem die<br />
praktischen Erfahrungen der Präventionsarbeit<br />
der Kranken- und Unfallversicherung unter besonderer<br />
Berücksichtigung des Einflusses psychischer<br />
Belastungen diskutiert. Daneben sind<br />
betriebsspezifische Herangehensweisen durch<br />
Beispiele zur Berücksichtigung psychischer Belastung<br />
im Rahmen von Gesundheitsprogrammen<br />
bis hin zu einem Gesundheitsmanagement behandelt<br />
worden.<br />
Aus der psychischen Belastung bei der Arbeit<br />
wird in der Öffentlichkeit fälschlicherweise die alleinige<br />
Begründung für den Anstieg der Fehlzeiten<br />
aufgrund psychischer Erkrankungen abgeleitet.<br />
Tatsächlich wird bei der insoweit postulierten Kausalbeziehung<br />
jedoch deutlich zu kurz gesprungen.<br />
Bei Berichten über den Anstieg von Fehlzeiten in<br />
diesem Bereich wird insbesondere oft außer Acht<br />
gelassen, dass der Anstieg der Arbeitsunfähigkeitszeiten<br />
wegen psychischer Störungen zu mehr<br />
als zwei Dritteln aus Krankschreibungen bei Arbeitslosen<br />
beruht (Quelle: Techniker Krankenkasse).<br />
Dies zeigt, dass insbesondere Menschen, denen<br />
sinngebende und anerkennende Arbeit fehlt,<br />
besonders anfällig für psychische Krisen sind.<br />
Außerdem ist festzustellen, dass die Fallzahlen<br />
psychischer Erkrankungen von Beschäftigten<br />
stabil bzw. nur leicht angestiegen sind.<br />
Aufgrund längerer Erkrankungsdauern bei dieser<br />
Indikation führt dies jedoch zu einem überproportionalen<br />
Anstieg bei der Zahl von Abwesenheitstagen.<br />
Unter Berücksichtigung der in den letzten<br />
Jahren stark gesunkenen Gesamtzahl bei den<br />
Abwesenheitstagen wirkt dieser Effekt statistisch<br />
gesehen noch signifikanter, d. h., bei relativ konstanter<br />
Zahl psychisch Erkrankter nimmt lediglich<br />
der Anteilswert zu.<br />
Die BDA wird dieses fachlich komplexe, gegenüber<br />
den psychischen Belastungen bei der Arbeit<br />
erweiterte Feld der psychischen Gesundheit<br />
weiter intensiv bearbeiten.<br />
ELENA-Verfahren ausbauen –<br />
Leistungsgesetze harmonisieren<br />
Derzeit berät der Bundestag den „Entwurf eines<br />
Gesetzes über das Verfahren des elektronischen<br />
Entgeltnachweises“ (ELENA-Verfahrensgesetz),<br />
den die Bundesregierung am 25. Juni <strong>2008</strong> beschlossen<br />
hat. Mit dem ELENA-Verfahren soll<br />
die Verpflichtung der Arbeitgeber zur schriftlichen<br />
Ausstellung von Entgeltbescheinigungen für ihre<br />
Arbeitnehmer (vor allem als Grundlage für die<br />
Berechnung von Sozialleistungen, z. B. Arbeitslosengeld<br />
oder Elterngeld) durch die Verpflichtung<br />
42 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung
So funktioniert das ELENA-Verfahren<br />
Beispiel: Ausstellung einer Arbeitsbescheinigung<br />
Arbeitgeber<br />
1<br />
zentrale<br />
Speicherstelle<br />
startet<br />
Datenabfrage<br />
3<br />
Agentur<br />
für Arbeit<br />
meldet<br />
monatlichen<br />
Datensatz<br />
4<br />
erhält Arbeitsbescheinigung<br />
2<br />
Teilnehmer<br />
gibt Datenabruf frei<br />
5<br />
erhält Leistung<br />
Zeitplan:<br />
ab 1. Januar 2009: Aufbau der zentralen Speicherstelle<br />
ab 1. Januar 2010: monatliche Entgeltmeldungen der Arbeitgeber – Aufbau des Datenpools<br />
ab 1. Januar 2012: Datenabrufe durch die leistungsgewährenden Stellen<br />
Darstellung: BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung 43
zur monatlichen elektronischen Meldung von Entgeltdaten<br />
an eine zentrale Speicherstelle ersetzt<br />
werden.<br />
Die BDA setzt sich bereits seit Jahren für die<br />
Einführung des ELENA-Verfahrens ein, weil es die<br />
Grundlage für den Wegfall der zahlreichen von den<br />
Arbeitgebern zu erfüllenden Entgeltbescheinigungspflichten<br />
liefert. Sie hat ihre Zustimmung aber immer<br />
davon abhängig gemacht, dass die Entlastung der<br />
Arbeitgeber durch den Wegfall von Entgeltbescheinigungspflichten<br />
größer ist als der administrative<br />
Aufwand der Arbeitgeber durch die mit dem ELENA-<br />
Verfahren verbundene monatliche Meldung.<br />
Die BDA konnte erreichen, dass sich das<br />
ELENA-Verfahren nicht mehr nur auf drei Bescheinigungen<br />
der Bundesagentur für Arbeit beschränkt<br />
(Referentenentwurf), sondern nunmehr<br />
von Beginn an der Wegfall von sechs Bescheinigungspflichten<br />
der Arbeitgeber – zur Leistungsberechnung<br />
für das Arbeitslosen-, Wohn- und<br />
Elterngeld – vorgesehen ist. Das Potenzial des<br />
neuen Verfahrens wird jedoch auch mit dem vorliegendem<br />
Gesetzentwurf bei weitem nicht ausgeschöpft.<br />
Die Arbeitgeber müssen heute über 100<br />
Auskunfts-, Melde- und Bescheinigungspflichten<br />
nachkommen, darunter rund 45 Entgeltbescheinigungspflichten.<br />
Der Minderaufwand durch die<br />
entfallenden Bescheinigungspflichten übertrifft<br />
bislang allerdings nur in begrenztem Umfang den<br />
Aufwand der Arbeitgeber, der mit der Einführung<br />
des ELENA-Verfahrens verbunden ist.<br />
Die BDA setzt sich im Rahmen der parlamentarischen<br />
Beratung des Gesetzes daher weiter<br />
dafür ein, dass ein klarer Fahrplan zur zeitnahen<br />
Ersetzung aller Entgeltbescheinigungspflichten<br />
der Arbeitgeber festgelegt wird, so wie ihn zu<br />
Recht auch der Nationale Normenkontrollrat<br />
(NKR) in seinem Gutachten zum ELENA-Verfahren<br />
fordert. Ein Hinweis in der Gesetzesbegründung,<br />
weitere Bescheinigungen in das Verfahren<br />
mit einbeziehen zu wollen, reicht nicht aus. Zudem<br />
müssen auch die jeweiligen Leistungsgesetze,<br />
die die Abfrage von Entgeltdaten erfordern, besser<br />
aufeinander abgestimmt werden (einheitliche<br />
Entgeltbegriffe etc). Nur dann kann der vom Arbeitgeber<br />
monatlich für jeden Arbeitnehmer zu<br />
übermittelnde ELENA-Datensatz tatsächlich auf<br />
ein Minimum reduziert werden.<br />
Einführung einer Sofortmeldung<br />
zur Sozialversicherung: neue<br />
bürokratische Belastungen<br />
Der Gesetzentwurf eines „Zweiten Gesetzes zur<br />
Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und<br />
anderer Gesetze“ (2. SV-ÄndG) ist am 13. November<br />
<strong>2008</strong> vom Bundestag beschlossen worden. Das<br />
Gesetz soll zum 1. Januar 2009 in Kraft treten.<br />
Der Gesetzentwurf sieht u. a. die Einführung<br />
einer Sofortmeldung zur Sozialversicherung zum<br />
1. Januar 2009 in neun Branchen vor, für die heute –<br />
bis auf die Fleischwirtschaft – die Mitführungspflicht<br />
für den Sozialversicherungsausweis gilt:<br />
1. Baugewerbe<br />
2. Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe<br />
3. Personenbeförderungsgewerbe<br />
4. Speditions-, Transport- und damit verbundenes<br />
Logistikgewerbe<br />
5. Schaustellergewerbe<br />
6. Unternehmen der Forstwirtschaft<br />
7. Gebäudereinigungsgewerbe<br />
8. Unternehmen, die sich am Auf- und Abbau<br />
von Messen und Ausstellungen beteiligen<br />
9. Fleischwirtschaft<br />
Der Gesetzgeber ist nicht der grundsätzlichen<br />
BDA-Forderung gefolgt, angesichts der hohen<br />
Bürokratiekosten einer Sofortmeldung, diese<br />
zunächst nur in der besonders von Schwarzarbeit<br />
betroffenen Bauwirtschaft einzuführen und die<br />
hier gesammelten Erfahrungen abzuwarten. Gerade<br />
in personalintensiven Branchen wirft eine Sofortmeldung<br />
zahlreiche Probleme auf. Die oftmals<br />
notwendigen zügigen Einstellungen (z. B. Helfer<br />
bei Veranstaltungen, Bedienung in der Gastronomie)<br />
werden durch bürokratische Hemmnisse<br />
erschwert. Die Sofortmeldung wird zudem – ausweislich<br />
des Gesetzentwurfes – die Kosten jeder<br />
Neueinstellung um mindestens 7 € in die Höhe<br />
treiben.<br />
Das Gesetz geht nicht an die Ursachen von<br />
Schwarzarbeit heran – vor allen Dingen in Form<br />
von niedrigeren Sozialversicherungsbeiträgen sowie<br />
weniger Bürokratie und Regulierung –, sondern<br />
setzt „allein“ auf ein Bündel von Maßnahmen aus<br />
verstärkter Kontrolle und höherer Abschreckung.<br />
44 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung
Der BDA ist es im Gesetzgebungsverfahren allerdings<br />
gelungen, die für die Sofortmeldepflicht<br />
vorgesehenen Branchen von zunächst 16 auf<br />
nunmehr neun nahezu zu halbieren. Auch die<br />
noch im Referentenentwurf vorgesehene tägliche<br />
Überprüfungspflicht des Arbeitgebers bezüglich<br />
der Mitführung von Ausweispapieren durch die<br />
Arbeitnehmer konnte die BDA verhindern. Die nunmehr<br />
vorgesehene einmalige Hinweispflicht auf die<br />
Ausweismitführungsobliegenheit entspricht dem<br />
Vorschlag der BDA.<br />
Sozialversicherung wird in<br />
den Bürokratieabbauprozess<br />
einbezogen<br />
Die Initiative der Bundesregierung zum Bürokratieabbau<br />
hat bislang die von den Sozialversicherungsträgern<br />
geschaffenen Verwaltungsvorschriften, die<br />
auch Bürokratieaufwand in den Unternehmen verursachen,<br />
nicht berücksichtigt. Dies haben sowohl<br />
der Nationale Normenkontrollrat (NKR) als auch<br />
die BDA bereits im Herbst letzten Jahres kritisiert<br />
und eine Einbeziehung der Sozialversicherung in<br />
den Bürokratieabbauprozess gefordert. Der NKR<br />
schreibt in seinem Jahresbericht 2007: „Länder,<br />
Kommunen, Sozialversicherungsträger und andere<br />
öffentliche Körperschaften sind alle aufgerufen,<br />
die von ihnen verantworteten Verfahren und Abläufe<br />
auf den Prüfstand zu stellen und entsprechende<br />
Belastungen für Bürger und Wirtschaft abzubauen.<br />
In dieser Hinsicht gibt es noch viel zu tun.“<br />
Ende Februar <strong>2008</strong> fand auf Einladung der<br />
Bundesregierung und des NKR-Vorsitzenden ein<br />
Gespräch mit den hauptamtlichen Vorständen<br />
der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger<br />
und den zuständigen Staatssekretären des<br />
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und<br />
des Bundesministeriums für Gesundheit statt. Die<br />
Teilnehmer haben einmütig die Initiative der Bundesregierung<br />
begrüßt. Das Ob der Einbeziehung<br />
der Sozialversicherung in den Bürokratieabbauprozess<br />
wurde von keinem der Eingeladenen in<br />
Frage gestellt. Es sollen nunmehr konkrete Bürokratieabbauprojekte<br />
vorangetrieben werden. Die<br />
BDA hat den im Sommer <strong>2008</strong> gebildeten Arbeitsgruppen<br />
konkrete Bürokratieabbauvorschläge<br />
unterbreitet und in den Arbeitsgruppensitzungen<br />
auf eine schnelle Umsetzung gedrungen.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Soziale Sicherung 45
Arbeitsrecht beschäftigungsfördernd<br />
kodifizieren<br />
Das deutsche Arbeitsrecht gleicht einem Dschungel.<br />
Es ist unübersichtlich, teils widersprüchlich<br />
und daher häufig nur mithilfe eines Fachmanns<br />
durchschaubar. Im Jahr 2009 sind allein durch das<br />
Pflegezeitgesetz eine Vielzahl von nicht geklärten<br />
neuen Fragen aufgeworfen worden, die die Unternehmen<br />
mit großer Rechtsunsicherheit belasten,<br />
obwohl es für dieses Gesetz keine Veranlassung<br />
gegeben hat. Neben der Gesetzgebung trägt die<br />
Rechtsprechung ihren Anteil dazu bei, dass bereits<br />
im Ansatz unklare gesetzliche Regelungen weiter<br />
verkompliziert und undurchschaubarer werden.<br />
So hat es z. B. das Landesarbeitsgericht Berlin-<br />
Brandenburg als eines von 15 Obergerichten des<br />
Arbeitsrechts in Deutschland als Indizbeweis für<br />
eine Diskriminierung anerkannt, wenn in einem<br />
Unternehmen mit schlanken Führungsstrukturen<br />
von wenigen Mitarbeitern in bestimmten Positionen<br />
in erster Linie Mitarbeiter des einen Geschlechts<br />
eingesetzt werden, während in anderen<br />
Positionen Mitarbeiter des anderen Geschlechts<br />
in der Überzahl sind. Entscheiden muss nun das<br />
Bundesarbeitsgericht.<br />
Das sind nur zwei Entwicklungen aus der<br />
zweiten Jahreshälfte <strong>2008</strong>, die schlaglichtartig belegen,<br />
dass das deutsche Arbeitsrecht vor allem<br />
Rechtsunsicherheit und Unklarheit hervorruft.<br />
Diese Rechtsunsicherheit und Unklarheit führen<br />
im Ergebnis dazu, dass das Arbeitsrecht keine<br />
positiven Beschäftigungsimpulse aussendet. Arbeitsrecht<br />
sollte aber als zentraler Baustein der<br />
Gesamtwirtschaftsordnung in besonderem Maße<br />
einen Beitrag dazu leisten, dass Arbeitsplätze geschaffen<br />
werden können.<br />
Ein Weg zu mehr Rechtssicherheit und Klarheit<br />
im Arbeitsrecht kann die Kodifizierung des<br />
deutschen Arbeitsrechts, vor allem des Arbeitsvertragsrechts,<br />
in einem Gesetzbuch sein. Eine<br />
solche Kodifikation kann nur dann Beschäftigungsimpulse<br />
setzen, wenn sie klare und übersichtliche<br />
Rechtsregeln für die Arbeitsbeziehung zwischen<br />
Arbeitnehmer und Arbeitgeber schafft.<br />
Die BDA hat sich daher intensiv an dem Diskussionsprozess<br />
um den im Auftrag der Bertelsmann<br />
Stiftung erstellten Diskussionsentwurf eines<br />
Arbeitsvertragsgesetzes beteiligt. Wir sind dabei<br />
zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser Diskussionsentwurf<br />
in seinem jetzigen Stadium nicht die<br />
Voraussetzungen erfüllt, das Arbeitsrecht beschäftigungsfördernd<br />
weiterzuentwickeln. Er kann in der<br />
nunmehr vorliegenden dritten Aufarbeitung noch<br />
keine Grundlage für die Kodifikation des Arbeitsvertragsrechts<br />
sein.<br />
Der Entwurf enthält zahlreiche neue Regelungen,<br />
die bereits allein dadurch, dass die<br />
bestehende Systematik und die Wortwahl verändert<br />
werden, neue Rechtsfragen und Risiken für<br />
das Arbeitsrecht mit sich bringen. Ein Beispiel:<br />
Kündigungen, die während der ersten sechs<br />
Monate des Bestehens des Arbeitsverhältnisses<br />
ausgesprochen werden, sollen auf ihre Verhältnismäßigkeit<br />
überprüft werden können. Selbst wenn<br />
die Entwurfsverfasser keine Änderungen der<br />
geltenden Rechtslage gewollt haben, haben sie<br />
eine solche aber mit der gewählten Formulierung<br />
und vor allem der neuen Systematik geschaffen.<br />
Eine solche Regelung bedeutete die Einführung<br />
eines Kündigungsschutzes während der heute<br />
noch bestehenden Wartezeit. Eine bewusste Verschlechterung<br />
bedeutet demgegenüber der Vorschlag,<br />
den Bezugspunkt für den Schwellenwert<br />
durch eine Neuregelung im Entwurf zu ändern.<br />
Der Schwellenwert von zehn Arbeitnehmern für<br />
die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzes wird<br />
zwar beibehalten. Allerdings sieht der Entwurf vor,<br />
dass bei der Ermittlung der Arbeitnehmerzahl auf<br />
das Unternehmen und nicht wie bisher auf den<br />
Betrieb abzustellen ist. Dies würde zu einer massiven<br />
Ausdehnung des Anwendungsbereiches<br />
des Kündigungsschutzes führen.<br />
Ein für die Arbeitsbeziehungen und die gesamte<br />
Wirtschaftsordnung zentrales Vorhaben<br />
wie die Kodifikation des Arbeitsrechts bedarf nach<br />
alldem vielfältiger, systematischer und abgewogener<br />
Vorarbeiten, um die mit seiner Umsetzung<br />
verbundene Rechtsunsicherheit so gering wie<br />
möglich zu halten und gleichzeitig stringente und<br />
in sich schlüssige Regelungen zu schaffen, die<br />
sich widerspruchsfrei in das Gesamtkonzept des<br />
Arbeitsrechts mit seinen vielfältigen auch kollektivrechtlichen<br />
Bezügen einpassen. Die Kodifikation<br />
des Arbeitsvertragsrechts darf nicht über das Knie<br />
gebrochen werden.<br />
50 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht
Auswirkung von Regulierung auf die Arbeitslosenzahlen<br />
Prozent<br />
12<br />
3<br />
8<br />
2<br />
4<br />
1<br />
0<br />
Österreich Dänemark Frankreich Deutschland Irland Italien Spanien<br />
0<br />
Arbeitslosenzahl (linke Zahl)<br />
Regulierungsindex (rechte Skala)<br />
Regulierungsindex von 1 (gering) bis 4 (hoch)<br />
Quelle: OECD, basierend auf der letzten Datenerhebung zum Regulierungsindex 2003; Darstellung: BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht 51
Für eine moderne Arbeitsmarktordnung<br />
Abfindungsoption für mehr Rechtssicherheit<br />
einführen<br />
Die Arbeitsvertragsparteien entscheiden<br />
selbst, ob, unter welchen Bedingungen und<br />
in welcher Höhe eine Abfindung am Ende des<br />
Arbeitsverhältnisses gezahlt werden soll. Im<br />
Vereinbarungsweg können am ehesten Lösungen<br />
gefunden werden, die den jeweiligen<br />
Bedürfnissen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer<br />
gerecht werden.<br />
Die Abfindungsoption, die zu jedem Zeitpunkt<br />
des Arbeitsverhältnisses vereinbart werden<br />
kann, trägt zu einer erheblichen Stärkung<br />
der Rechtssicherheit bei. Sie ist aus diesem<br />
Grund dem klassischen Aufhebungsvertrag<br />
oder dem Abwicklungsvertrag überlegen.<br />
Je früher ein Abfindungsschutz vereinbart<br />
wird, desto eher kennen Arbeitgeber und Arbeitnehmer<br />
die Umstände, unter denen das<br />
Rechtsverhältnis endet. Das führt zu einer erhöhten<br />
Kalkulierbarkeit und Rechtssicherheit<br />
zu einem möglichst frühen Zeitpunkt.<br />
Eine Abfindungsoption geht weiter als die in<br />
§ 1a KSchG vorgesehene zu enge Regelung,<br />
wonach der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer<br />
lediglich für den Fall, dass der Ausspruch<br />
einer betriebsbedingten Kündigung ansteht,<br />
die Zahlung einer Abfindung für den Fall anbieten<br />
kann, dass der Arbeitnehmer auf die<br />
Erhebung der Kündigungsschutzklage verzichtet.<br />
Diese Abfindungsregelung sieht ein<br />
Abfindungsangebot des Arbeitgebers nur für<br />
den Zeitraum im unmittelbaren Zusammenhang<br />
mit dem Ausspruch der Kündigung vor.<br />
Erst nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist<br />
erlangt der Arbeitgeber Rechtssicherheit<br />
über die wirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses.<br />
Da es der freien Verhandlung der Vertragspartner<br />
obliegt, zwischen Abfindung und Bestandsschutz<br />
zu wählen, können die Parteien<br />
auch frei darüber entscheiden, ob sie neben<br />
betriebsbedingten auch verhaltens- oder<br />
personenbedingte Kündigungen durch einen<br />
Abfindungsschutz erfassen wollen.<br />
Eine Abfindungsvereinbarung kommt auch in<br />
Fällen in Betracht, in denen der Arbeitnehmer<br />
Sonderkündigungsschutz genießt. Allerdings<br />
sollte ein Arbeitnehmer dann nicht an einer<br />
Abfindungsvereinbarung festhalten, wenn<br />
der den Sonderkündigungsschutz auslösende<br />
Sachverhalt (wie z. B. eine Schwerbehinderung)<br />
erst nach dem Abschluss der Vereinbarung<br />
eintritt. Aufgrund der regelmäßig<br />
erheblich veränderten persönlichen Situation<br />
des Arbeitnehmers, die zu seinem Sonderkündigungsschutz<br />
führt, ist es vielmehr angemessen,<br />
dem Arbeitnehmer in diesem Fall<br />
ein Wahlrecht einzuräumen. Er kann gegenüber<br />
dem Arbeitgeber erklären, ob er an der<br />
Abfindungsvereinbarung festhalten möchte<br />
oder nicht. Damit bleibt ihm offen, sich für<br />
den Sonderkündigungsschutz auf Basis der<br />
gesetzlichen Regelungen zu entscheiden.<br />
Weil die Abfindung auf einer vertraglichen<br />
Grundlage basiert, bedarf es keiner gesetzlichen<br />
Vorgaben für die Abfindungshöhe. Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer können sie vielmehr<br />
individuell aushandeln. Dadurch kann<br />
Branchenunterschieden, der Wirtschaftskraft<br />
des Unternehmens oder einer besonderen<br />
Wettbewerbssituation im Einzelfall Rechnung<br />
getragen werden. Gleichzeitig können die<br />
Parteien vereinbaren, dass eine Anrechnung<br />
der vereinbarten Abfindung auf eine eventuelle<br />
Sozialplanabfindung erfolgt.<br />
52 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht
Mit der Vereinbarung des Abfindungsschutzes<br />
können Prozesskosten reduziert werden, da<br />
der Arbeitnehmer im Rahmen einer Abfindungsvereinbarung<br />
auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage<br />
verzichtet. Das Institut<br />
der deutschen Wirtschaft Köln hat in seiner<br />
Umfrage ermittelt, dass fast jede dritte arbeitgeberseitige<br />
Kündigung mit der Kündigungsschutzklage<br />
angegriffen wird.<br />
Bestandsschutz praxistauglich<br />
weiterentwickeln<br />
Anhebung des Schwellenwertes für die Anwendung<br />
des Kündigungsschutzgesetzes<br />
auf 20 Arbeitnehmer<br />
Moderne Arbeitsformen unterstützen<br />
Streichung des Ersteinstellungserfordernisses;<br />
eine Wartezeit von sechs Monaten zwischen<br />
zwei Arbeitsverhältnissen ist sachgerecht und<br />
genügt dem anwendbaren Europarecht.<br />
Einführung einer Befristungsmöglichkeit für<br />
den Fall der drohenden Arbeitslosigkeit unabhängig<br />
vom Alter<br />
Keine neuen Reglementierungen in der Zeitarbeit<br />
Anhebung der Wartezeit auf 24 Monate<br />
Möglichkeit eines gerichtlichen Auflösungsantrages<br />
für beide Parteien des Arbeitsverhältnisses<br />
bei allen Unwirksamkeitsgründen<br />
Anpassungsfähigkeit erleichtern<br />
Nachvollziehbare Kriterien für die Kontrolle<br />
vertraglicher Gestaltungsoptionen durch eine<br />
klare Eingrenzung des AGB-Rechts<br />
Gesetzliche Fixierung von Freiwilligkeits- und<br />
Widerrufsvorbehalten, um für Krisenzeiten<br />
eine flexible Gestaltung von Arbeitsvertragsbestandteilen<br />
zu ermöglichen<br />
Reform der Änderungskündigung, damit diese<br />
ein wirksames Instrument für den Erhalt<br />
von Arbeitsplätzen werden kann<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht 53
Die BDA wird sich weiter intensiv in den Diskussionsprozess<br />
um die Kodifikation des Arbeitsrechts<br />
einbringen. Forderungen nach weiterer<br />
Regulierung und damit einer massiven Einschränkung<br />
der Chance, neue Beschäftigung zu schaffen,<br />
werden wir uns entschieden entgegenstellen.<br />
Wir werden auch weiter für Regelungen werben,<br />
die neue Chancen eröffnen, die Beschäftigung stimulieren<br />
und das Arbeitsrecht zu einem Unterstützungsmotor<br />
für neue Beschäftigung machen. Es<br />
bedarf neuer Strukturen, die die Anpassungsfähigkeit<br />
des Arbeitsrechts verbessern und damit den<br />
Anforderungen an eine globalisierte, im ständigen<br />
Wettbewerb stehende Wirtschaft gerecht werden.<br />
Für eine moderne Arbeitsmarktordnung<br />
– Beschäftigungsbremse<br />
Arbeitsrecht lösen<br />
Das Präsidium der BDA hat daher im Sommer<br />
2007 die Kommission „Für eine moderne Arbeitsmarktordnung“<br />
unter dem Vorsitz von Herrn<br />
Lauer, Mitglied des Vorstands der Lufthansa und<br />
des Präsidiums der BDA sowie Vorsitzender des<br />
Arbeitsrechtsausschusses der BDA, eingesetzt.<br />
Die Kommission, an deren Arbeit Vertreter aus<br />
Unternehmen, Verbänden und der Wissenschaft<br />
als Mitglieder teilgenommen haben, hat das Arbeitsrecht<br />
und seine Folgen für das Arbeitsmarktgeschehen<br />
intensiv untersucht und dabei weitere<br />
wissenschaftliche Expertise herangezogen. Die<br />
Kommission hält grundlegende gesetzliche Regelungen<br />
zum Arbeitsvertragsrecht für zwingend.<br />
Diese müssen Klarheit und Übersichtlichkeit im<br />
Arbeitsrecht fördern. Wer Beschäftigungschancen<br />
erhalten und verbreitern will, muss das Arbeitsvertragsrecht<br />
verändern.<br />
Im Rahmen der Kommissionsarbeit wurden<br />
die Arbeitsmarktordnungen Dänemarks und<br />
Österreichs eingehend analysiert und ihre Vergleichbarkeit<br />
und Übertragbarkeit diskutiert. Die<br />
Kommission ist einvernehmlich zu dem Ergebnis<br />
gekommen, dass beide Rechtsordnungen interessante<br />
Elemente enthalten, als Gesamtrechtssystem<br />
jedoch nicht auf den deutschen Arbeitsmarkt<br />
übertragen werden können. In einer groß angelegten,<br />
in ihrem Umfang und in ihrer Datenfülle<br />
bisher einmaligen Studie zu den Auswirkungen<br />
des Kündigungsrechts hat die Kommission zahlreiche<br />
Anhaltspunkte für mögliche Reformansätze<br />
für das Arbeitsrecht erhalten.<br />
Für mehr Rechtssicherheit und Kalkulierbarkeit<br />
im Kündigungsschutz hat die Kommission das<br />
Konzept einer Abfindungsoption entwickelt. Die<br />
Option fügt sich in das bestehende System des<br />
Kündigungsschutzes ein und entwickelt es fort.<br />
Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen die Möglichkeit<br />
erhalten, von dem Prinzip des Bestandsschutzes<br />
einvernehmlich durch eine Abfindungsvereinbarung<br />
abzuweichen. Für den Fall der Kündigung wird dem<br />
Arbeitnehmer eine Abfindung zugesagt; dieser<br />
verzichtet im Gegenzug auf die Möglichkeit, Klage<br />
gegen die Kündigung zu erheben.<br />
Der Kommissionsbericht wurde vom Präsidium<br />
der BDA am 15. September <strong>2008</strong> zustimmend<br />
zur Kenntnis genommen. Er kann im Internet unter<br />
www.arbeitgeber.de in der Rubrik „Initiativen“ abgerufen<br />
werden.<br />
Insolvenzsicherung von Arbeitszeitkonten<br />
– Flexibilität sichern<br />
Arbeitszeitkonten sind ein integraler Bestandteil<br />
der betrieblichen Personalpolitik und aus Unternehmen<br />
und Betrieben nicht wegzudenken. Dies<br />
gilt sowohl für Konten, mit denen schwankende<br />
Auftragslagen ausgeglichen werden sollen (Flexikonten),<br />
wie für Konten, mit denen langfristige<br />
Ziele, insbesondere die individuelle und betriebliche<br />
Gestaltung des Erwerbslebens, geplant werden<br />
(Lang- und Lebensarbeitszeitkonten).<br />
Ohne Flexikonten können die im internationalen<br />
Vergleich zu kurzen Arbeitszeiten der Arbeitnehmer<br />
nicht ausgeglichen werden. Flexikonten<br />
sind daher unverzichtbar. Die BDA begrüßt ausdrücklich,<br />
dass sie aus dem Anwendungsbereich<br />
des Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen<br />
für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen<br />
ausgenommen sind. Das Gesetz<br />
soll am 1. Januar 2009 in Kraft treten.<br />
54 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht
Arbeitszeitkonten: große Unternehmen flexibler<br />
So viel Prozent der Unternehmen boten ihren Mitarbeitern im Jahr 2004<br />
folgende Formen der Arbeitszeitflexibilisierung<br />
Prozent<br />
55<br />
50<br />
50<br />
49<br />
50<br />
52<br />
45<br />
40<br />
39<br />
35<br />
30<br />
32<br />
25<br />
26<br />
20<br />
18<br />
15<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
8<br />
7<br />
5<br />
3<br />
2<br />
1<br />
1– 9 10 –19 20 –199 200 – 999 1.000 und mehr Beschäftigte<br />
Jahresarbeitszeitkonten<br />
Lebensarbeitszeitkonten<br />
keine flexiblen Arbeitszeiten<br />
Befragung von mehr als 20.000 deutschen Unternehmen im Herbst 2004; Mehrfachnennungen;<br />
Rest zu 100: sonstige Flexibilisierungsformen wie etwa Telearbeit und Gleitzeit; Quelle: DIHK; Darstellung: BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht 55
Insolvenzsicherung von Arbeitszeitkonten –<br />
BDA erreicht positive Veränderungen<br />
Der wichtigste Erfolg ist, dass Flexikonten auch weiterhin von bürokratischen Einschränkungen befreit<br />
bleiben. Dies ist ein erheblicher Fortschritt gegenüber den noch im Referentenentwurf enthaltenen<br />
Vorstellungen. Die klare Unterscheidung bei der Definition von Wertguthaben muss unbedingt erhalten<br />
bleiben. Flexikonten und Langzeitkonten sind verschiedene Instrumente mit unterschiedlichen<br />
Zielsetzungen.<br />
Grundsätzlich sind Wertguthaben unter Ausschluss der Rückführung durch einen Dritten zu führen,<br />
der im Fall der Insolvenz des Arbeitgebers für die Erfüllung der Ansprüche aus dem Wertguthaben<br />
für den Arbeitgeber einsteht. Als gleichwertiges Sicherungsmittel sieht das Gesetz nunmehr auch<br />
ein Versicherungsmodell oder schuldrechtlich ein Verpfändungs- oder Bürgschaftsmodell mit ausreichender<br />
Sicherung gegen Kündigung an. Mit dieser Öffnung für liquiditätserhaltende Sicherungsmittel<br />
wie die Bankbürgschaft konnte die BDA einen Fortschritt gegenüber dem Referentenentwurf<br />
erzielen. So können die Unternehmen weiterhin Sicherungsmittel gegen Insolvenz wählen, die die<br />
Liquidität im Unternehmen belassen.<br />
Die BDA konnte die Einführung einer Zwangsportabilität verhindern. Der Arbeitnehmer soll sein<br />
Wertguthaben zu einem neuen Arbeitgeber mitnehmen können, wenn dieser zustimmt. Anderenfalls<br />
kann er es auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragen, will er es sich nicht auszahlen<br />
lassen. Die BDA konnte so verhindern, dass ein folgender Arbeitgeber verpflichtet wird, ein bestehendes<br />
Wertguthaben seines neuen Arbeitnehmers zu übernehmen.<br />
Hat der Arbeitgeber ein nach Feststellung der Rentenversicherung nicht ausreichendes Insolvenzsicherungsmittel<br />
gewählt, hat er die Möglichkeit, innerhalb von zwei Monaten eine ausreichende<br />
Insolvenzsicherung vorzunehmen. Die BDA konnte erreichen, dass die Frist jedenfalls von einem<br />
Monat auf zwei verlängert wurde.<br />
Es wurde an der Regelung festgehalten, dass Wertguthaben zukünftig als Arbeitsentgeltguthaben<br />
zu führen sind. Auf Drängen der BDA ist für bestehende Wertguthaben allerdings nunmehr eine Bestandsschutzregelung<br />
in § 116 Abs. 1 SGB IV enthalten. Diese sieht vor, dass Wertguthaben, die zum<br />
Zeitpunkt des Inkrafttretens als Zeitguthaben geführt werden, auch weiterhin als Zeit- oder Entgeltguthaben<br />
geführt werden können. Dies gilt auch für neu vereinbarte Wertguthabenvereinbarungen<br />
auf der Grundlage früherer Vereinbarungen.<br />
56 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht
Das Interesse der Arbeitnehmer an einer ausreichenden<br />
Insolvenzsicherung von Langzeitkonten<br />
ist nachvollziehbar und verständlich und wird<br />
von den Arbeitgebern ausdrücklich unterstützt.<br />
Eine Verbesserung des Insolvenzschutzes sollte<br />
aber nicht ohne Berücksichtigung der Interessen<br />
von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an einer<br />
praktikablen Führung von Wertguthaben verfolgt<br />
werden. Das vorliegende Gesetz sieht dagegen<br />
vielfältige Beschränkungen für die Führung von<br />
Wertguthaben vor. Das betrifft insbesondere die<br />
geplante Werterhaltgarantie und weit reichende<br />
Anlagebeschränkungen.<br />
Nach der Werterhaltgarantie ist der Arbeitgeber<br />
verpflichtet, dem Arbeitnehmer bei einer<br />
Inanspruchnahme des Kontos das Guthaben<br />
in demselben Umfang zu garantieren, in dem<br />
es eingezahlt wurde. Das führt dazu, dass jede<br />
Inanspruchnahme des Wertguthabens die Garantiepflicht<br />
des Arbeitgebers auslöst. Durch die<br />
geplante Anlagebeschränkung, nach der das<br />
Wertguthaben zu nicht mehr als 20 % in Aktien<br />
oder Aktienfonds angelegt werden darf, werden<br />
Renditechancen von Kapitalanlagemöglichkeiten<br />
unnötig geschmälert. Gleiches gilt für den Verweis<br />
auf die Anlagevorschriften in §§ 80 ff. SGB IV.<br />
Noch gravierender schlägt zu Buche, dass<br />
es an Übergangsregelungen fehlt. Gerade auf<br />
Wunsch der Arbeitnehmer sind häufig Anlagemodelle<br />
gewählt worden, die durch die Gesetzesänderung<br />
jetzt schlagartig in Frage gestellt werden.<br />
Es droht die Gefahr, dass überstürzte Umschichtungen<br />
insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen<br />
Finanzmarktkrise zu erheblichen finanziellen<br />
Verlusten bei Wertguthaben führen. Die BDA<br />
wird sich weiter für eine handhabbare Übergangslösung<br />
einsetzen. Wir werden darauf hinwirken, in<br />
dem Anwendungsschreiben der Sozialversicherungsträger<br />
zu dem Gesetz und in dem Schreiben<br />
des Bundesministeriums der Finanzen zur steuerrechtlichen<br />
Flankierung Klarstellungen zu erreichen,<br />
die die Betriebe bei der Umstellung auf das<br />
neue System entlasten.<br />
betriebliche Altersversorgung zu übertragen. Einer<br />
solchen Beschränkung hätte es nicht bedurft.<br />
Ebenfalls abzulehnen ist, dass das Gesetz<br />
im Falle eines Arbeitgeberwechsels ausschließlich<br />
eine Übertragung des Guthabens auf die Deutsche<br />
Rentenversicherung (DRV) Bund zulässt,<br />
wenn der folgende Arbeitgeber nicht bereit ist,<br />
ein bestehendes Wertguthaben zu übernehmen.<br />
Sinnvoll wäre es gewesen, alternativ eine Übertragung<br />
an private Treuhänder vorzusehen oder zu<br />
ermöglichen, dass ein Wertguthaben beim alten<br />
Arbeitgeber verbleibt.<br />
Unpraktikabel ist schließlich, dass der Arbeitgeber<br />
einen einmal gewählten Insolvenzsicherungsweg<br />
nur mit Zustimmung jedes einzelnen<br />
Arbeitnehmers wechseln kann. Das gilt selbst<br />
dann, wenn der Arbeitgeber ein für seinen Betrieb<br />
besser geeignetes Sicherungsmodell findet, das<br />
den Arbeitnehmern den gleichen Schutz bietet<br />
und den gesetzlichen Vorgaben für eine adäquate<br />
Insolvenzsicherung entspricht. Die Zustimmung<br />
des Betriebsrats muss in einem solchen Fall ausreichend<br />
sein.<br />
AGG: Bürokratie, Kosten und<br />
Rechtsunsicherheit<br />
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)<br />
ist ein gewaltiger Kosten-, Bürokratie- und Unsicherheitsfaktor.<br />
Es fördert missbräuchliche Klagen.<br />
Durch das AGG werden die Unternehmen mit<br />
einem bürokratischen und kostenträchtigen Begründungs-<br />
und Dokumentationsaufwand belastet.<br />
Der Rechtfertigungsdruck geht so weit, dass viele<br />
Unternehmen sich genötigt sehen, sog. AGG-Policen<br />
bei Versicherungen abzuschließen, um Schadensersatzforderungen<br />
entgegenzuwirken. Diese<br />
Ausgaben und weitere Kosten für Schulungen und<br />
die übrige Gesetzesimplementierung haben dazu<br />
geführt, dass die Unternehmen alleine im ersten<br />
Jahr nach Inkrafttreten des AGG 1,73 Mrd. € zusätzlich<br />
ausgegeben haben.<br />
Darüber hinaus soll es in Zukunft nicht mehr<br />
möglich sein, Wertguthaben, die nicht mehr durch<br />
Freistellungen abgebaut werden können, unter<br />
bestimmten Voraussetzungen beitragsfrei in die<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht 57
AGG: Bürokratie, Kosten und Rechtsunsicherheit<br />
1 %<br />
4 %<br />
7 %<br />
Sonstige<br />
Zusätzl. Aufwand<br />
Stammbelegschaft<br />
22 %<br />
Dokumentation<br />
Screening, Standards<br />
Schulungen<br />
Strategie<br />
31 %<br />
35 %<br />
Verteilung der Gesamtkosten nach Kostenblöcken<br />
Quelle: Empirische Erhebungen der Gesetzesfolgekosten aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz<br />
(AGG) im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft; Darstellung: BDA<br />
58 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht
Die am 14. August <strong>2008</strong> von der Antidiskriminierungsstelle<br />
des Bundes veröffentlichten<br />
Einschätzungen, die die Kosten infolge der Umsetzung<br />
des AGG lediglich mit einer Höhe von<br />
26 Mio. € in Ansatz bringen, haben sich als unseriöser<br />
Schnellschuss erwiesen. Mittlerweile räumt<br />
selbst Prof. Dr. Priddat, Mitglied der wissenschaftlichen<br />
Kommission der Antidiskriminierungsstelle<br />
des Bundes, ein, dass er – ohne eigene Daten zu<br />
erheben – die in der Studie der Initiative Neue Soziale<br />
Marktwirtschaft bei 501 Unternehmen ermittelten<br />
Belastungen in Höhe von 26 Mio. € nicht auf<br />
die gesamte deutsche Volkswirtschaft hochgerechnet<br />
hat. Das ist politischer Aktionismus, der unter<br />
dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit immer<br />
neue Belastungen für die Wirtschaft schafft.<br />
Die Arbeitsgerichte werden zunehmend durch<br />
Klagen wegen Verstößen gegen das AGG belastet.<br />
Der Vorsitzende des Bundes der Richterinnen<br />
und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit sagte bei<br />
der Delegiertenversammlung am 9. Oktober <strong>2008</strong><br />
in Rostock, dass dabei Klagen von sog. AGG-Hoppern,<br />
die sich hundertfach auf Stellen bewerben<br />
und dann die Firmen bei Ablehnung verklagen,<br />
auffallend seien. AGG-Hopper würden sich gezielt<br />
auf solche Annoncen bewerben, die Differenzierungen<br />
vornehmen, und dann auf Entschädigung<br />
in Höhe von drei Monatsgehältern klagen.<br />
Die Rechtsprechung sowohl auf nationaler<br />
als auch auf europäischer Ebene zeigt die Richtigkeit<br />
der allgemeinen Kritik am AGG. Allein durch<br />
einzelne Entscheidungen von Arbeitsgerichten<br />
wird deutlich, dass enorme Rechtsunsicherheit<br />
nicht nur bei den Unternehmen besteht. Sogar die<br />
Zulässigkeit der so wichtigen Bildung von Altersgruppen<br />
im Rahmen einer Sozialauswahl wird angezweifelt.<br />
Erfreulicherweise hat sich das Bundesarbeitsgericht<br />
in der Rechtssache „Karmann“ mit<br />
Urteil vom 6. November <strong>2008</strong> (2 AZR 701/07) zur<br />
Altersgruppenbildung bekannt. Die aktuelle Entscheidung<br />
des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg<br />
vom 26. November <strong>2008</strong> zeigt hingegen,<br />
mit welch weit reichenden Konsequenzen Unternehmen<br />
infolge der Beweislastumkehr rechnen<br />
müssen. Das Landesarbeitsgericht geht davon<br />
aus, dass eine Statistik über die Geschlechtsverteilung<br />
auf den einzelnen Hierarchieebenen bereits<br />
als Indiz für eine Geschlechtsdiskriminierung bei<br />
der Beförderung herangezogen werden kann. Als<br />
Schadensersatz hat das Landesarbeitsgericht die<br />
Vergütungsdifferenz zu derjenigen Position, und<br />
zwar auch unbegrenzt für die Zukunft, zugesprochen,<br />
in die die Klägerin nicht befördert worden<br />
war. Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht<br />
der Klägerin wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts<br />
eine Entschädigung wegen immateriellen<br />
Schadens in Höhe von 20.000 € zugesprochen.<br />
Noch deutlicher werden die möglichen<br />
Gefahren des unbegrenzten Schadensersatzes in<br />
einem Rechtsstreit gegen die R+V-Versicherung.<br />
Die Klägerin macht einen Schadensersatz in Höhe<br />
von annähernd 500.000 € geltend.<br />
Auf nationaler wie europäischer Ebene besteht<br />
daher Handlungsbedarf. Die Bundesregierung<br />
ist aufgefordert, endlich aus der derzeitigen<br />
Rechtsprechung Konsequenzen zu ziehen. Wie<br />
die aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts<br />
Berlin-Brandenburg zeigt, führt die faktische<br />
Beweislastumkehr des § 22 AGG zu abstrusen<br />
Ergebnissen. Ebenso ist die Beschränkung der<br />
Höhe des Schadensersatzes entsprechend dem<br />
Rechtsgedanken des § 628 Abs. 2 BGB bis zum<br />
Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist für eine<br />
ordentliche Kündigung klarzustellen, um eine<br />
Ausweitung ins Uferlose zu verhindern, die fatale<br />
nicht kalkulierbare finanzielle Folgen für Arbeitgeber<br />
hätte.<br />
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) als<br />
oberstes Gericht der Gemeinschaft stärkt die<br />
ohnehin vorhandene Rechtsunsicherheit noch.<br />
In seinem Urteil in der Rechtssache „Feryn“ vom<br />
10. Juli <strong>2008</strong> (C-54/07) hat der EuGH entschieden,<br />
dass eine Diskriminierung auch dann vorliegen<br />
kann, wenn es gar keine Diskriminierten gibt. In<br />
diesem Fall könnten Antidiskriminierungsvereinen<br />
Schadensersatzansprüche zustehen. In der Rechtssache<br />
„Coleman“ vom 17. Juli <strong>2008</strong> (C-303/06)<br />
hat der EuGH entschieden, dass eine Diskriminierung<br />
wegen einer Behinderung auch dann<br />
vorliegen kann, wenn der Arbeitnehmer selbst nicht<br />
behindert ist.<br />
Die EU hat aus diesen Rechtsunsicherheit<br />
verursachenden Entscheidungen nichts gelernt<br />
und beabsichtigt sogar, die Antidiskriminierungsrichtlinien<br />
auf EU-Ebene auszuweiten, was die Anwendung<br />
des Grundsatzes der Gleichbehandlung<br />
ungeachtet der Religion oder der Weltanschau-<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht 59
ung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen<br />
Ausrichtung außerhalb des Arbeitsmarktes,<br />
also im allgemeinen Zivilrecht, zur Folge hätte.<br />
Die BDA lehnt eine solche Ausweitung ab. Diese<br />
steht insbesondere aufgrund der vorgesehenen<br />
faktischen Beweislastumkehr im Widerspruch zur<br />
geplanten Entbürokratisierung auf EU-Ebene. Die<br />
Bundesregierung muss daher die Verabschiedung<br />
der neuen Richtlinie unbedingt verhindern.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Antidiskriminierung“ veröffentlicht.<br />
Betriebsverfassung<br />
bleibt reformbedürftig<br />
Am 13. August <strong>2008</strong> sind Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes<br />
aufgrund des „Gesetzes<br />
zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen<br />
verbundenen Risiken“ in Kraft getreten. Zu den<br />
wirtschaftlichen Angelegenheiten, über die das<br />
Unternehmen den Wirtschaftsausschuss rechtzeitig<br />
und umfassend unter Vorlage der erforderlichen<br />
Unterlagen unterrichten muss, gehört nun<br />
ausdrücklich auch die Übernahme des Unternehmens,<br />
wenn hiermit der Erwerb der Kontrolle verbunden<br />
ist.<br />
Die BDA konnte im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens<br />
verhindern, dass Unternehmensübernahmen<br />
in den Katalog der Betriebsänderungstatbestände<br />
in § 111 BetrVG aufgenommen wurden.<br />
Trotzdem ist auch die nun erfolgte Neuregelung<br />
überflüssig und bringt neue Rechtsunsicherheit<br />
durch Vermischung betriebsverfassungsrechtlicher<br />
und gesellschaftsrechtlicher Vorgänge mit sich. Die<br />
Neuregelung ist überflüssig, weil entsprechende<br />
Informationspflichten – sofern unmittelbare Auswirkungen<br />
für die Arbeitnehmer bestehen – bereits<br />
heute im Betriebsverfassungsgesetz und z. B. bei<br />
Betriebsübergängen verankert sind.<br />
Statt dieser neuen Bürokratisierung wäre ein<br />
Schritt in Richtung Flexibilisierung und Verhandlungsoffenheit<br />
der betrieblichen Mitbestimmung<br />
dringend erforderlich. Diese muss schnell, flexibel<br />
und passgenau sein. Die BDA setzt sich deshalb<br />
dafür ein, dass stärker als bisher Abweichungen<br />
von gesetzlichen Betriebsratsstrukturen ermöglicht<br />
werden. Gerade die Dauer von Mitbestimmungsverfahren<br />
führt oft zu erhöhten Kosten für die Unternehmen,<br />
weil die Umsetzung dringend erforderlicher<br />
geplanter Vorhaben verzögert wird. Deswegen sollte<br />
eine allgemeine Beschleunigungsvorschrift dem<br />
Arbeitgeber vorläufige Entscheidungen ermöglichen.<br />
Auch die Einigungsstellenverfahren müssen durch<br />
die Einführung von Fristen beschleunigt werden.<br />
BDA unterstützt ihre Mitglieder<br />
Die BDA erleichtert mit zahlreichen Serviceleistungen ihren Mitgliedern<br />
den Umgang mit den Auswirkungen des AGG<br />
Die BDA hat eine Übersicht über Gerichtsentscheidungen zum AGG und EuGH-Entscheidungen<br />
zu den Antidiskriminierungsrichtlinien erstellt, die fortlaufend aktualisiert wird. Mitglieder können dadurch<br />
besser eigene Prozessrisiken einschätzen und haben einen Überblick über die Auslegung<br />
des AGG.<br />
Herausgabe einer Broschüre zum AGG<br />
Merkblätter für Mitarbeiter<br />
Vorträge bei Mitgliedern zum AGG<br />
60 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht
Gesellschaftsrecht an europäischen<br />
Maßstab anpassen<br />
Grundlegender Flexibilisierungs- und Modernisierungsbedarf<br />
besteht auch in der Unternehmensmitbestimmung.<br />
Sie muss vereinbarungsoffen nach<br />
dem Vorbild der europäischen Mitbestimmungsregelungen<br />
ausgestaltet werden. Positive Erfahrungen<br />
bei der Gründung einer Europäischen Gesellschaft<br />
(SE) zeigen deutlich, dass Vereinbarungsoptionen<br />
unternehmensindividuell – z. B. zur Verkleinerung<br />
des Aufsichtsrates – genutzt werden können und<br />
zu einer besseren Positionierung im Wettbewerb<br />
führen.<br />
Die BDA begrüßt den „Gesetzentwurf zum<br />
internationalen Privatrecht der Gesellschaften,<br />
Vereine und anderen juristischen Personen“ des<br />
Bundesjustizministeriums, der die Rechtsprechung<br />
des EuGH zur Niederlassungsfreiheit umsetzen<br />
soll. In konsequenter Weise soll mit dem<br />
Gesetz der Wechsel vom Sitzlandprinzip zum<br />
Gründungslandprinzip vorgenommen werden, für<br />
die Gründung einer Gesellschaft soll grundsätzlich<br />
das Recht des Gründungslandes maßgeblich sein,<br />
unabhängig davon, ob die Gesellschaft später ihren<br />
Sitz verlegt. Es ist rechtsdogmatisch richtig<br />
und zwingend, dass mit dem Gesetz keine materiellen<br />
Sonder- und Ausnahmeregelungen, z. B.<br />
für die Unternehmensmitbestimmung, geschaffen<br />
werden sollen. Nur so kann auch der Rechtsprechung<br />
des EuGH Rechnung getragen werden.<br />
Die BDA hat zu diesen Themen den kompakt<br />
„Unternehmensmitbestimmung“ und den kompakt<br />
„Betriebsverfassung“ veröffentlicht.<br />
Europäische Privatgesellschaft<br />
zügig realisieren<br />
Nach jahrelangen Forderungen der Wirtschaft hat<br />
die Europäische Kommission den Vorschlag für<br />
das Statut einer Europäischen Privatgesellschaft<br />
vorgelegt. Ziel der Verordnung ist, dass überall in<br />
Europa ohne großen Beratungsaufwand Gesellschaften<br />
nach denselben Regeln gegründet werden<br />
können, die das europäische Pendant z. B.<br />
zur deutschen GmbH darstellen. Das Instrument<br />
einer einheitlichen Europäischen Privatgesellschaft<br />
kann insbesondere bei der Gründung von<br />
Tochtergesellschaften in den unterschiedlichen<br />
europäischen Mitgliedsländern äußerst hilfreich<br />
sein.<br />
Im Bereich des Gesellschaftsrechts wird<br />
diese Einheitlichkeit der Rechtsform mit dem<br />
Verordnungsvorschlag weitestgehend erreicht.<br />
Umstritten sind aber noch die Regelungen zur<br />
Beteiligung der Arbeitnehmer. Der Vorschlag der<br />
Kommission sieht vor, dass bei der Gründung<br />
der Europäischen Privatgesellschaft die Mitbestimmungsrechte<br />
des Landes gelten, in dem die<br />
Europäische Privatgesellschaft eingetragen wird.<br />
Bei der Sitzverlegung soll verhandelt werden<br />
und beim Scheitern der Verhandlungen soll das<br />
Mitbestimmungssystem des Herkunftslandes<br />
mitgenommen werden. Auch dieses Modell ist im<br />
Hinblick auf die Einheitlichkeit nicht ideal. Die BDA<br />
favorisiert eine Verhandlungslösung mit einheitlicher<br />
Auffangregelung einer Fünftelbeteiligung<br />
der Arbeitnehmer, um europaweit gleiche Bedingungen<br />
für die Europäische Privatgesellschaft zu<br />
schaffen. Diesem Modell kommt der Vorschlag<br />
des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments<br />
nahe: Verhandlungsmodell, kombiniert mit<br />
Drittelbeteiligung als Auffanglösung.<br />
Wir setzen uns gegen eine Übertragung der<br />
Mitbestimmungsregelungen der Europäischen<br />
Aktiengesellschaft ein, wie sie z. B. das Bundesarbeitsministerium<br />
und der DGB fordern. Eine<br />
solche Übertragung der Auffangregelung des weitestgehenden<br />
Mitbestimmungssystems für den<br />
Fall des Scheiterns der Verhandlungen über die<br />
Mitbestimmung würde die Europäische Privatgesellschaft,<br />
die vor allem für kleine und mittelständische<br />
Unternehmen gedacht ist, vollkommen unattraktiv<br />
machen. Das Ziel der Einheitlichkeit der<br />
Rechtsform würde durch eine solche Übertragung<br />
nicht erreicht.<br />
Aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen<br />
scheint zurzeit der Vorschlag der Kommission<br />
die größten Realisierungschancen zu haben.<br />
Um diese Realisierung kurzfristig zu ermöglichen,<br />
ist die BDA bereit, ihre berechtigten Einwände<br />
hintanzustellen und das Modell der Kommission<br />
zu akzeptieren. Die französische Ratspräsidentschaft<br />
sollte darauf hinwirken, die Europäische<br />
Privatgesellschaft zu ermöglichen, und daher weiter<br />
gehende Änderungen an ihrer Struktur, vor<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht 61
allem auch an den vorgesehenen Regelungen zur<br />
Mitbestimmung, zurückweisen.<br />
Whistleblowing –<br />
gesetzliche Regelung verfehlt<br />
Die BDA hat erste Erfolge im Kampf gegen die<br />
Einführung gesetzlicher Anzeigerechte für Arbeitnehmer<br />
erzielt. Die Regelung des Informantenschutzes<br />
im Bürgerlichen Gesetzbuch scheint<br />
nach vielfältigen Initiativen der BDA nicht mehr auf<br />
der Tagesordnung zu stehen. Es gibt aber noch<br />
Anzeichen, dass das Anzeigerecht in das Lebensmittel-,<br />
Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch<br />
(LFGB) eingeführt werden soll. Trotz der<br />
Beschränkung auf das LFGB bestehen weiterhin<br />
erhebliche Einwände gegen die gesetzliche Fixierung<br />
von Anzeigerechten.<br />
Der Anwendungsbereich einer Regelung im<br />
LFGB wäre viel zu weit gefasst. Die Definitionen<br />
von Unternehmen und Unternehmern in Artikel 3<br />
der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sollen für die<br />
unter den Anwendungsbereich fallenden Betriebe<br />
maßgeblich sein. Daher ist faktisch jedes Unternehmen,<br />
das in irgendeiner Weise mit Lebensmitteln,<br />
Bedarfsgegenständen oder Futtermitteln in<br />
Berührung kommt, von den Anzeigerechten betroffen.<br />
Folglich würde z. B. auch einem Arbeitnehmer,<br />
der im Verkauf eines Supermarktes tätig ist,<br />
ein solches Anzeigerecht zustehen, da er durch<br />
die weite Auslegung des Begriffes der Bedarfsgegenstände<br />
mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer<br />
vom LFGB erfassten Ware in Kontakt kommen<br />
wird. Die vermeintliche Einschränkung, dass es<br />
sich um einen Verstoß aus dem Regelungsbereich<br />
des Gesetzes handeln muss, schafft kein Mehr an<br />
Rechtssicherheit. Es ist durchaus wahrscheinlich,<br />
dass eingeschaltete Behörden einmal ergangene<br />
Anzeigen an Stellen weiterreichen, die für andere<br />
Sachgebiete zuständig sind. Dies ist eine überhaupt<br />
nicht akzeptable faktische Ausdehnung der<br />
Anzeigerechte, die einer Regelung im Bürgerlichen<br />
Gesetzbuch sehr nahe käme. Sie muss<br />
daher vollständig unterbleiben.<br />
Weiterhin soll die Motivation des anzeigenden<br />
Arbeitnehmers in keiner Weise berücksichtigt werden.<br />
Dieses Kriterium wird von der Rechtsprechung<br />
jedoch stets als wesentliches Abwägungskriterium<br />
mit einbezogen. Daher besteht stets die<br />
Gefahr eines persönlich motivierten Missbrauchs<br />
des Anzeigerechts.<br />
Nach wie vor soll es der subjektiven Einschätzung<br />
des Arbeitnehmers obliegen, ob der Arbeitgeber<br />
seinem Verlangen nach Abhilfe (ausreichend)<br />
nachgekommen ist. Allein von dieser Einschätzung<br />
würde abhängen, ob sich der Arbeitnehmer<br />
an zuständige Behörden wenden kann oder nicht.<br />
Die Ausnahme vom Grundsatz der Vorrangigkeit<br />
eines innerbetrieblichen Klärungsversuches wird<br />
auch im neuen Vorschlag aufgeweicht. Die Vorschrift<br />
enthält keine abschließende Aufzählung<br />
der Ausnahmetatbestände, so dass die Gefahr<br />
besteht, dass diese Tatbestände ständig erweitert<br />
werden.<br />
Darüber hinaus verwendet auch dieser Vorschlag<br />
bei den Voraussetzungen zur Ausübung<br />
des Rechts unbestimmte Rechtsbegriffe, die zu<br />
neuen Rechtsunsicherheiten im Arbeitsrecht führen<br />
werden.<br />
Datenschutz am Arbeitsplatz<br />
bedarf keines Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes<br />
Die BDA lehnt von verschiedenen Seiten erhobene<br />
Forderungen ab, ein zusätzliches spezifisches<br />
Arbeitnehmerdatenschutzgesetz zu schaffen. Datenschutz<br />
im Arbeitsverhältnis bedarf keines Sonderrechts.<br />
Das Arbeitsverhältnis und die Parteien<br />
des Arbeitsvertrages unterliegen dem Anwendungsbereich<br />
sämtlicher datenschutzrechtlicher<br />
Vorschriften, insbesondere des Bundesdatenschutzgesetzes.<br />
Die datenschutzrechtlichen Fragestellungen<br />
innerhalb des Arbeitsverhältnisses<br />
sind dieselben wie innerhalb aller anderen Rechtsbeziehungen.<br />
Im Arbeitsrecht besteht daher kein<br />
spezifisch geringeres oder höheres Bedürfnis, die<br />
Ziele des Datenschutzes zu verwirklichen. Dort,<br />
wo Bedarf besteht, komplexe Vorschriften des<br />
Datenschutzes im Arbeitsverhältnis handhabbar<br />
zu machen, werden die unterschiedlichsten freiwilligen<br />
Regelungen und Leitlinien, z. B. für die<br />
Nutzung von Internet und E-Mail am Arbeitsplatz,<br />
getroffen. Solche betriebsnahen Lösungen sind<br />
besser geeignet, Datenschutzaspekte verständlich<br />
zu kommunizieren, als bürokratische Über-<br />
62 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht
egulierungen. Kollektivrechtlich wird dies zudem<br />
durch die Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts<br />
flankiert. Hier ist z. B. die ausgeprägte Mitbestimmung<br />
des Betriebsrates bei der Einführung<br />
und Anwendung technischer Einrichtungen geregelt,<br />
die dazu bestimmt sind, dass Verhalten und<br />
die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen.<br />
Es ist geplant, das Bundesdatenschutzgesetz<br />
dahingehend zu ändern, dass die verantwortliche<br />
Stelle dem Beauftragten für den Datenschutz<br />
ermöglichen muss, an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen<br />
teilzunehmen. Eine solche Änderung<br />
ist nicht erforderlich. Zumindest muss hier<br />
klargestellt werden, dass kein pauschaler Fortbildungsanspruch<br />
geschaffen wird, sondern dass es<br />
auf die Erforderlichkeit der Fortbildung ankommt.<br />
Das Maß der erforderlichen Fachkunde des Datenschutzbeauftragten<br />
muss sich insbesondere<br />
nach dem Umfang der Datenbearbeitung und dem<br />
Schutzbedarf der personenbezogenen Daten, die<br />
die verantwortliche Stelle erhebt oder verwendet,<br />
richten. Ein richtigerweise in den Entwurf zur<br />
Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes nicht<br />
aufgenommener Ausbau des Kündigungsschutzes<br />
des Datenschutzbeauftragten, der aber dennoch<br />
diskutiert wird, ist ebenfalls abzulehnen. Der Datenschutzbeauftragte<br />
genießt bereits einen Abberufungsschutz,<br />
der dazu führt, dass eine ordentliche<br />
Kündigung ausgeschlossen ist, die wegen der<br />
Tätigkeit des Arbeitnehmers als Datenschutzbeauftragter<br />
erfolgen soll.<br />
Vereinfachung des Arbeitnehmererfindungsrechts<br />
zügig umsetzen<br />
Das Bundeskabinett hat am 15. Oktober <strong>2008</strong> den<br />
Gesetzentwurf zur Vereinfachung und Modernisierung<br />
des Patentrechts beschlossen. Dieser<br />
Gesetzentwurf enthält auch Änderungen des<br />
Arbeitnehmererfindungsgesetzes. Die Wirtschaft<br />
fordert seit langem eine grundlegende Reform des<br />
komplizierten und bürokratischen Arbeitnehmererfindungsrechts,<br />
das oft Bremsklotz innerhalb<br />
internationaler Forschungskooperation ist.<br />
Die geplanten Änderungen bleiben zwar hinter<br />
der erforderlichen Gesamtreform zurück, greifen<br />
aber unsere Anregungen und Forderungen auf.<br />
Dies gilt insbesondere für die Einführung einer Inanspruchnahmefiktion<br />
der Arbeitnehmererfindung<br />
durch den Arbeitgeber, die eine spürbare verfahrensmäßige<br />
Erleichterung bedeutet. Gemeinsam<br />
mit dem BDI und VCI haben wir in unserer Stellungnahme<br />
deshalb den Gesetzentwurf begrüßt und<br />
setzen uns für eine zügige Verabschiedung ein.<br />
Kein Platz für neue<br />
Beweisvorschriften<br />
Im Rahmen einer Reform des Zivildienstes ist<br />
geplant, das Arbeitsplatzschutzgesetz, das die<br />
Arbeitsverhältnisse von Wehr- und Ersatzdienstleistenden<br />
während ihrer Dienstzeit regelt, zu verschärfen.<br />
Das Arbeitsplatzschutzgesetz soll dahingehend<br />
geändert werden, dass der Arbeitgeber<br />
die Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses<br />
oder die Übernahme in ein unbefristetes<br />
Arbeitsverhältnis nicht aus Anlass des Wehr- und<br />
Zivildienstes ablehnen darf. Dies liefe faktisch<br />
darauf hinaus, dass der Arbeitgeber beweisen<br />
muss, dass er eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses<br />
aus anderen Gründen abgelehnt<br />
hat. Die BDA verhinderte einen entsprechenden<br />
Vorstoß bereits, als eine solche Regelung in<br />
das Wehrrechtsänderungsgesetz aufgenommen<br />
werden sollte. Die BDA konnte bisher im neuen<br />
Gesetzgebungsvorhaben erreichen, dass in der<br />
Gesetzesbegründung klargestellt wurde, dass mit<br />
der Regelung keine Beweislastumkehr verbunden<br />
sein soll. Dies ist allerdings nicht ausreichend. Ein<br />
vollständiger Verzicht der Gesetzesergänzung<br />
bleibt daher notwendig.<br />
Weniger Bürokratie erhöht<br />
die Standortattraktivität<br />
Der Abbau von Bürokratie ist für die Unternehmen<br />
von großer Bedeutung. Er muss daher eine<br />
zentrale politische Aufgabe von Bundesregierung,<br />
Gesetzgebung und Politik auf nationaler und europäischer<br />
Ebene sein. In Deutschland werden<br />
zu viele Innovationen und Investitionen durch<br />
Überregulierungen gehemmt. Ein konsequenter<br />
Bürokratieabbau macht einen Standort attraktiv,<br />
beseitigt Wachstumshemmnisse und schafft die<br />
Grundlage für mehr Beschäftigung.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht 63
Das Programm der Bundesregierung zum<br />
Bürokratieabbau, auf dessen Grundlage bis 2011<br />
25 % der Bürokratiekosten für die Wirtschaft abgebaut<br />
werden sollen, wird von der BDA begrüßt.<br />
Ebenso ist die Einrichtung des Nationalen Normenkontrollrats<br />
(NKR) ein Schritt in die richtige<br />
Richtung. Der NKR kann als Bürokratie-TÜV<br />
wirken und Kostenbewusstsein in den Ressorts<br />
schärfen. Seine Einrichtung verdeutlicht noch einmal,<br />
was dem Grunde nach selbstverständlich<br />
sein sollte: Alle Gesetzgebungsvorhaben und jedes<br />
Gesetz sind generell auf überflüssige Kostenbelastung<br />
für die Wirtschaft und die Bevölkerung<br />
zu überdenken.<br />
Die Messung von Informationspflichten nach<br />
dem sog. Standardkostenmodell kann dabei nur<br />
ein erster Schritt sein. Regierung, Verwaltung und<br />
Gesetzgebung dürfen keinesfalls aus den Augen<br />
verlieren, das gesamte Rechts- und Regelwerk<br />
umfassend von Bürokratie zu bereinigen. Bei<br />
einer Beschränkung der Bürokratiemessung auf<br />
Informationspflichten müssen diese vollständig<br />
und korrekt erfasst werden. Es kann nicht sein,<br />
dass Ministerien sich weigern, die in ihren Bereich<br />
fallenden Informationspflichten zu messen.<br />
So werden im Arbeitsrecht wesentliche Teile von<br />
Informationspflichten schon im ersten Zugriff<br />
ausgeklammert. Die bisher angegebene Zahl von<br />
35 Mrd. € an Bürokratielasten der Wirtschaft<br />
unterschreitet daher das wirkliche Maß der Bürokratie<br />
erheblich, selbst wenn man sich auf den<br />
engen Bürokratiebegriff der Bundesregierung im<br />
Sinne von Informationspflichten beschränkt. Auch<br />
die drei Mittelstandsentlastungsgesetze haben<br />
beim Bürokratieabbau keinen durchgreifenden<br />
Fortschritt mit sich gebracht. Die Abschaffung<br />
einzelner – häufig gar nicht mehr angewendeter –<br />
Vorschriften reicht nicht aus, um das Problem bürokratischer<br />
Überregulierung für den Mittelstand<br />
zu beseitigen. Das gilt entsprechend für das Steuerbürokratieabbaugesetz.<br />
Es gibt zur Sorge Anlass, dass der notwendige<br />
Bürokratieabbau an vielen Stellen ins Stocken<br />
geraten ist. An anderen Stellen wird bereits<br />
wieder neue Bürokratie aufgebaut. Diese Entwicklung<br />
macht deutlich: Notwendig ist ein konkretes<br />
Gesamtkonzept für den Bürokratieabbau. Die<br />
Vereinfachungsvorschläge der Wirtschaft liegen<br />
schon lange auf dem Tisch. Sie betreffen das<br />
gesamte nationale und europäische Rechts- und<br />
Regelwerk. Regierung und Gesetzgebung sind<br />
am Zuge, jetzt zügig zu handeln.<br />
Die BDA hat jedoch auch erste wichtige Fortschritte<br />
erzielt:<br />
Beschluss des Bundeskabinetts vom 25. Juni<br />
<strong>2008</strong>, das von der BDA schon lange geforderte<br />
elektronische Entgeltnachweisverfahren<br />
(ELENA-Verfahren) einzuführen<br />
Einbeziehung der Sozialversicherungsträger<br />
in den Bürokratieabbau<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Bürokratieabbau“ veröffentlicht.<br />
Mediation – behutsame Ergänzung<br />
des deutschen Rechts anstelle<br />
systemwidriger Übererfüllung<br />
Im Mai dieses Jahres trat eine EU-Richtlinie zur<br />
Mediation bei grenzüberschreitenden Sachverhalten<br />
in Kraft, die von der Bundesregierung innerhalb<br />
der nächsten drei Jahre in deutsches Recht<br />
umzusetzen ist.<br />
Mediation als freiwilliges Verfahren zur Konfliktlösung<br />
ist zu begrüßen. Die Bedeutung der<br />
Mediation liegt insbesondere darin, dass durch<br />
die Freiwilligkeit und das gemeinsame Erarbeiten<br />
einer Konfliktlösung eine weitere positive Zusammenarbeit<br />
der Konfliktparteien möglich ist. Die<br />
Mediation als Verfahren ist deshalb bei bestimmten<br />
Streitigkeiten, wie familienrechtlichen Streitigkeiten,<br />
unverzichtbar. Eine Notwendigkeit, die<br />
Mediation im Arbeitsrecht besonders zu fördern,<br />
insbesondere durch eine gerichtsnahe Mediation<br />
bei den Arbeitsgerichten, besteht hingegen nicht.<br />
Die Mediation wird in den Betrieben bereits vielfach<br />
genutzt, zumal betriebliche Beschwerdestellen<br />
häufig auf der Mediation entlehnte Methoden der<br />
Konfliktlösung zurückgreifen, um innerbetriebliche<br />
Konflikte zu befrieden. Auch im arbeitsgerichtlichen<br />
Verfahren ist die Einführung einer (gerichtsnahen)<br />
Mediation nicht notwendig, sondern muss<br />
eher als kontraproduktiv bezeichnet werden. Das<br />
arbeitsgerichtliche Verfahren zeichnet sich bereits<br />
heute dadurch aus, dass die Streitbeilegung in den<br />
64 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht
Weniger Bürokratie erhöht die Standortattraktivität<br />
Bundesregierung<br />
▪ Gesetzentwürfe<br />
▪ bestehende Bundesgesetze<br />
Koordinatorin für<br />
Bürokratieabbau<br />
Staatssekretärsausschuss<br />
▪ Steuerung<br />
nicht öffentliche<br />
Stellungnahme<br />
Beratung<br />
unterstützt<br />
Normenkontrollrat<br />
(NKR)<br />
Gesetzentwurf<br />
+ NKR-Stellungnahme<br />
+ Regierungsstellungnahme<br />
Prüfung,<br />
Beratung<br />
Geschäftsstelle für<br />
Bürokratieabbau<br />
▪ Gesamtkoordination<br />
Statistisches Bundesamt<br />
▪ Messung bestehender<br />
Gesetze<br />
Erfolgscontrolling<br />
Bundestag<br />
Datenbank,<br />
Beratung<br />
Ansprechpartner Ministerien<br />
▪ Kostenabschätzung für<br />
Gesetzentwürfe<br />
▪ Identifizierung bestehender<br />
Informationspflichten<br />
Quelle: Bertelsmann Stiftung, „Von der Bürokratiekostenmessung zum Bürokratiekostenabbau“; Darstellung: BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht 65
weit überwiegenden Fällen konsensual – nämlich<br />
durch Vergleich – erfolgt. Von den Parteien, wie<br />
vom Gericht, werden hierbei die Möglichkeiten,<br />
die die Güteverhandlung bietet, voll ausgeschöpft.<br />
Die Einführung einer gerichtsnahen Mediation<br />
im Arbeitsrecht würde dazu führen, dass ein faktischer<br />
Zwang bestünde, ein Mediationsverfahren<br />
durchzuführen. Dies würde zu einer Verlängerung<br />
der arbeitsgerichtlichen Verfahren führen, obwohl<br />
es das erklärte Ziel ist, diese Verfahren so zügig<br />
wie möglich durchzuführen, um für beide Seiten<br />
schnell Rechtssicherheit zu erlangen.<br />
Im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie<br />
zur Mediation setzt sich die BDA deshalb dafür<br />
ein, dass die Richtlinie nicht überobligationsmäßig<br />
umgesetzt wird, sondern nur in den Bereichen, in<br />
denen die Notwendigkeit einer Formalisierung der<br />
Mediation besteht, eine behutsame Ergänzung<br />
des deutschen Rechts vorgenommen wird.<br />
Das neue Pflegezeitgesetz –<br />
bürokratisch und überflüssig<br />
Am 1. Juli <strong>2008</strong> ist das Pflegezeitgesetz in Kraft<br />
getreten, das im Rahmen des Gesetzes zur strukturellen<br />
Weiterentwicklung der Pflegeversicherung<br />
verabschiedet worden ist. Es sieht einen Anspruch<br />
auf vollständige oder teilweise Freistellung von<br />
der Arbeit für die Dauer von bis zu sechs Monaten<br />
für die Pflege eines nahen Angehörigen in häuslicher<br />
Umgebung vor. Die Pflegezeit ist unbezahlt.<br />
Der Arbeitnehmer hat einen Rückkehranspruch<br />
auf seinen Arbeitsplatz. Daneben besteht ein Anspruch<br />
auf Freistellung von der Arbeit für bis zu<br />
zehn Tage, um in einer akut aufgetretenen Pflegesituation<br />
eines nahen Angehörigen eine bedarfsgerechte<br />
Pflege zu organisieren oder kurzzeitig zu<br />
übernehmen. Das Gesetz verzichtet auf die Einführung<br />
der zunächst vorgesehenen Lohnersatzleistung<br />
für die Zeit der kurzzeitigen Freistellung.<br />
Die BDA konnte beim Pflegezeitgesetz Änderungen erreichen<br />
Der Anspruch auf Pflegezeit ist auf sechs Monate<br />
begrenzt. Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz<br />
der Länder hatte eine Freistellung von bis zu<br />
drei Jahren vorgeschlagen.<br />
Der Anspruch besteht nicht gegenüber Arbeitgebern<br />
mit 15 oder weniger Arbeitnehmern. Der Referentenentwurf<br />
sah zunächst einen Schwellenwert<br />
von nur zehn Arbeitnehmern vor.<br />
Das Gesetz verzichtet auf die Einführung der zunächst<br />
vorgesehenen Lohnersatzleistung für die<br />
Zeit der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung von bis<br />
zu zehn Tagen.<br />
Dennoch führt das Gesetz zu einer bürokratischen<br />
und finanziellen Belastung insbesondere kleiner<br />
und mittlerer Betriebe, die auf die Mitarbeit eines<br />
jeden Arbeitnehmers angewiesen sind. Das gilt<br />
hinsichtlich der kurzen Ankündigungsfrist für die<br />
Pflegezeit von nur zehn Arbeitstagen, die es kaum<br />
ermöglicht, adäquat auf den Ausfall eines Mitarbeiters<br />
zu reagieren, eine entsprechend ausgebildete<br />
Vertretung zu finden und die erforderliche Übergabe<br />
und Einarbeitung zu organisieren. Für mögliche<br />
Pflegende besteht ein Sonderkündigungsschutz,<br />
der systemwidrig auch für arbeitnehmerähnliche<br />
Personen gilt. An zahlreichen Stellen führt das<br />
Gesetz zu Rechtsunsicherheit. Es passt sich nicht<br />
in das geltende Recht ein und verstärkt die Zerstückelung<br />
der arbeitsrechtlichen Regelungen.<br />
66 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht
Immer Entwicklung mehr Pflegebedürftige der Anzahl Pflegebedürftiger (Prognose) von 2006 bis 2030<br />
Index (2006 = 100)<br />
150<br />
140<br />
130<br />
120<br />
110<br />
100<br />
2006 2009 2012 2015 2018 2021 2024 2027 2030<br />
Jahr<br />
Quelle: Robert Koch Institut / Statistisches Bundesamt, Schwerpunktbericht Pflege BMG, Zahlen und Fakten zur Pflegeversicherung<br />
Definition: Prognose bei konstanten alters- und geschlechtsspezifischen Prävalenzraten; Darstellung: BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht 67
Die BDA hat sich während des Gesetzgebungsverfahrens<br />
mehrfach an die Bundeskanzlerin,<br />
die Vorsitzenden der Fraktionen und Ausschüsse<br />
gewandt und Anpassungen des Anspruchs an betriebliche<br />
Notwendigkeiten gefordert.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema einen Leitfaden mit<br />
Hinweisen für die Praxis (Stand: Juli <strong>2008</strong>) erstellt<br />
und den kompakt „Beruf und Pflege“ veröffentlicht.<br />
Mutterschutz und Elternzeit<br />
Am 3. Oktober <strong>2008</strong> hat die EU-Kommission einen<br />
Vorschlag zur Revision der Mutterschutzrichtlinie<br />
vorgelegt. Dieser sieht im Kern eine Verlängerung<br />
der bestehenden Mutterschutzfrist um weitere<br />
vier Wochen vor. Parallel dazu stehen die europäischen<br />
Sozialpartner in Verhandlungen über<br />
eine Revision des Elternzeitabkommens. Von den<br />
Vorschlägen der Kommission und den Wünschen<br />
der Gewerkschaften können massive Auswirkungen<br />
für das deutsche Recht ausgehen, die mit<br />
erheblichen Kostenbelastungen für Arbeitgeber<br />
verbunden wären. Die BDA setzt sich daher auf<br />
europäischer Ebene für den Verzicht auf neue Regulierungen<br />
ein.<br />
Betriebsübergang muss<br />
rechtssicher werden<br />
Outsourcing, Umstrukturierung, Verkauf und Zukauf<br />
von Betrieben und Betriebsteilen gehören in<br />
einer hoch arbeitsteiligen, im globalen Wettbewerb<br />
stehenden Wirtschaft zur täglichen Praxis der Unternehmen.<br />
Solche Vorgänge bringen u. a. komplexe<br />
arbeitsrechtliche Fragestellungen mit sich.<br />
Die zentrale Vorschrift in diesem Zusammenhang<br />
ist § 613a BGB. Über die Jahre hat die Rechtsprechung<br />
Anforderungen an die arbeitsrechtliche<br />
Behandlung von Betriebsübergängen gestellt, die<br />
solche zu arbeitsrechtlichen „Drahtseilakten“ gemacht<br />
hat. Die gesetzliche Regelung bedarf daher<br />
dringend einer Überarbeitung, um in diesen Fällen<br />
Rechtssicherheit sowohl für den Arbeitgeber als<br />
auch für den Arbeitnehmer zu schaffen.<br />
Betrieblichen Umstrukturierungsentscheidungen<br />
werden mit den Regelungen des § 613a<br />
BGB zusätzliche und überflüssige arbeitsrechtliche<br />
Fesseln angelegt. Die arbeitsrechtliche Regelung<br />
des Betriebsübergangs – ein wichtiges<br />
Element flexibler Unternehmenspolitik – muss<br />
auf ein Maß zurückgeführt werden, das einerseits<br />
dem Arbeitnehmerschutz ausreichend Rechnung<br />
trägt, andererseits aber die unternehmerische<br />
Entscheidungsfreiheit für einen Betriebsübergang<br />
nicht unnötig behindert und Planungssicherheit<br />
gewährleistet.<br />
Die BDA fordert eine an den Bedürfnissen<br />
der betrieblichen Praxis orientierte gesetzliche<br />
Klarstellung, die nicht über die europäischen<br />
Vorgaben hinausgeht. Hierzu gehört eine Begrenzung<br />
der Frist für den Widerspruch des Arbeitnehmers<br />
gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses<br />
auf drei Wochen entsprechend der Frist<br />
im Kündigungsschutzgesetz. Nach Ablauf einer<br />
Ausschlussfrist von drei Monaten muss der Widerspruch<br />
endgültig abgegeben sein.<br />
Auch die im Zuge des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes<br />
erfolgte Änderung der Rechtsprechung<br />
zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln<br />
hat auf die Praxis nach wie vor enormen<br />
Einfluss. Will der Arbeitgeber, dass eine Bezugnahme<br />
des Tarifvertrages nach einem Betriebsübergang<br />
nicht dynamisch fortwirkt, muss in der<br />
Klausel hinreichend deutlich werden, dass lediglich<br />
eine Gleichstellung der nicht tarifgebundenen<br />
mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern beabsichtigt<br />
ist. Die im Zusammenhang mit der Änderung<br />
der Rechtsprechung stehende Versagung eines<br />
Vertrauensschutzes führt zu Schwierigkeiten in<br />
der Praxis. Die Bundesregierung ist daher aufgefordert,<br />
endlich zu handeln und die gesetzliche<br />
Regelung in diesem Sinne zu überarbeiten.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Betriebsübergang“ veröffentlicht.<br />
68 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht 69
Tarifjahr <strong>2008</strong> – differenzierte<br />
und vernüftige Abschlüsse<br />
Das Tarifjahr <strong>2008</strong> war geprägt durch hohe Lohnforderungen<br />
und eine spürbar gestiegene Streikbereitschaft<br />
der Gewerkschaften. Während das<br />
erste Halbjahr noch vom Aufschwung gezeichnet<br />
war, wurde die zweite Jahreshälfte von den Auswirkungen<br />
der weltweiten Finanzmarktkrise überschattet.<br />
Insofern ist es insgesamt ein positives<br />
Signal, dass die Tarifabschlüsse von Branche zu<br />
Branche ein beachtliches Maß an Differenzierung<br />
erkennen lassen. Damit ist es trotz entgegenstehender<br />
Vorzeichen gelungen, die vernünftige Tarifpolitik<br />
der vergangenen Jahre fortzusetzen.<br />
Die Tarifverhandlungen in der ersten Jahreshälfte<br />
standen noch ganz im Zeichen der guten<br />
wirtschaftlichen Entwicklung der beiden Vorjahre.<br />
Warnungen vor einer konjunkturellen Eintrübung<br />
blieben bei den Gewerkschaften ungehört. Vielmehr<br />
standen Forderungen nach 7 bis 8 % mehr<br />
Lohn auf der Tagesordnung. Grund für dieses<br />
tarifpolitisch aufgeheizte Klima lieferte das Gefühl<br />
auf der Arbeitnehmerseite, angeblich am<br />
Aufschwung nicht oder nur unzureichend beteiligt<br />
gewesen zu sein. Sogar von Teilen der Politik und<br />
der Regierung wurde für hohe Tarifabschlüsse<br />
geworben. Dabei hatte gerade die Lohnpolitik der<br />
Vorjahre dazu beigetragen, dass der Aufschwung<br />
möglich wurde und auch bei den Arbeitnehmern<br />
ankam – nicht nur in Form von deutlichen Lohnsteigerungen<br />
in den meisten Branchen, sondern<br />
vor allem auch durch rund 1,5 Mio. zusätzliche<br />
Arbeitsplätze. Infolge hoher Steuerbelastungen,<br />
z. B. durch die kalte Progression, und gleichzeitig<br />
steigender Sozialversicherungsbeiträge blieb<br />
allerdings den Arbeitnehmern netto nicht einmal<br />
mehr die Hälfte der Lohnerhöhungen.<br />
Trotz des allgemeinen Druckes nach höheren<br />
Abschlüssen sind die Ergebnisse der Tarifverhandlungen<br />
äußerst differenziert. Sie schwanken in<br />
einer Bandbreite von 2,1 % in der Papierindustrie<br />
bis 5,2 % in der Stahlindustrie. Durch ein hohes<br />
Maß an flexiblen Entgeltbestandteilen konnte die<br />
Kostenbelastung für die Unternehmen in einem<br />
vertretbaren Rahmen gehalten werden. Beispielhaft<br />
ist dabei insbesondere der Tarifabschluss in<br />
der chemischen Industrie, der ein hohes Maß an<br />
Differenzierung auf betrieblicher Ebene zulässt.<br />
Darüber hinaus haben aber auch Nullmonate und<br />
im Vergleich zu vorherigen Tarifrunden die deutlich<br />
längere Laufzeit von bis zu drei Jahren mit mehrstufigen<br />
Lohnerhöhungen zur Kostenentlastung<br />
beigetragen.<br />
Die zweite Hälfte des Tarifjahres <strong>2008</strong> war<br />
geprägt von der beginnenden globalen Konjunkturschwäche,<br />
die – beschleunigt durch die Finanzmarktkrise<br />
– in wachsender Intensität und Geschwindigkeit<br />
auch die deutsche Wirtschaft erfasst<br />
hat. Dies zeigt sich in einigen Branchen bereits in<br />
dramatischen Auftragseinbrüchen, allen voran in<br />
der Automobilindustrie und bei deren Zulieferern.<br />
Den Gewerkschaften fiel es vor dem Hintergrund<br />
der übersteigerten Erwartungshaltung aus dem<br />
ersten Halbjahr sehr schwer, sich den geänderten<br />
Rahmenbedingungen anzupassen.<br />
Vor diesem Hintergrund erweist sich insbesondere<br />
der Tarifabschluss in der Metall- und<br />
Elektroindustrie als ein Zeichen der Vernunft und<br />
beweist, dass die Tarifpartner auch in schwierigsten<br />
Situationen verantwortungsvoll handeln und<br />
sich den geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen<br />
anpassen können.<br />
Ausgewählte Tarifabschlüsse<br />
des Jahres <strong>2008</strong><br />
Der erste große und zugleich sehr hohe Abschluss<br />
der Tarifrunde <strong>2008</strong> wurde Ende Februar in der<br />
Stahlindustrie mit der IG Metall vereinbart. Nach<br />
einem Nullmonat, für den eine Einmalzahlung von<br />
200 € zu leisten ist, sieht der Tarifvertrag bei einer<br />
insgesamt 14-monatigen Laufzeit eine tabellarische<br />
Entgeltanhebung von 5,2 % vor. Dieses<br />
Ergebnis spiegelt in erster Linie die damalige konjunkturelle<br />
Sondersituation in der Branche wider.<br />
Mitte März hat die Bekleidungs- und Textilindustrie<br />
eine tabellenwirksame Entgelterhöhung<br />
von 3,6 % zuzüglich einer variabel ausgestalteten<br />
Einmalzahlung von 200 € bei drei Nullmonaten<br />
und einer Gesamtlaufzeit von zwölf Monaten vereinbart.<br />
74 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik
Deutlich oberhalb des gesamtwirtschaftlichen<br />
Produktivitätsfortschritts liegen die beschlossenen<br />
Entgeltanhebungen von insgesamt 6,9 %, die Ende<br />
März im öffentlichen Dienst zwischen dem Bund,<br />
der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände<br />
(VKA) sowie ver.di und der dbb-tarifunion<br />
vereinbart wurden. Der Tarifabschluss beinhaltet<br />
einen einheitlichen Sockelbetrag von 50 € je Monat<br />
und eine zusätzliche Anhebung der Entgelte um<br />
3,1 % in einer ersten Stufe sowie eine Einmalzahlung<br />
von 225 € und eine weitere Erhöhung um<br />
2,8 % ab 2009.<br />
Im April folgte der Tarifabschluss in der chemischen<br />
Industrie. Dieser enthält eine 4,4 % ige<br />
Entgeltanhebung im Jahr <strong>2008</strong>, verbunden mit einer<br />
variablen Einmalzahlung und anschließenden<br />
3,3 % Entgeltanhebung im Jahr 2009. Als Entlastungsmoment<br />
wirken jedoch auch hier die relativ<br />
lange Gesamtlaufzeit des Tarifvertrages von<br />
25 Monaten und die Möglichkeit, durch Betriebsvereinbarungen<br />
die Einmalzahlung aus wirtschaftlichen<br />
Gründen zu verschieben, zu verkürzen oder<br />
wegfallen zu lassen.<br />
Einen besonders hohen Preis zur Aufrechterhaltung<br />
ihres Tarifwerks musste die Deutsche<br />
Bahn AG zahlen. Zum einen hebt sich die Entgelterhöhung,<br />
die mit der Gewerkschaft Deutscher<br />
Lokomotivführer (GDL) vereinbart wurde, mit<br />
zunächst 8,0 % und anschließenden 3,0 % zuzüglich<br />
einer Einmalzahlung von 800 € bei einer<br />
Gesamtlaufzeit von nur 19 Monaten deutlich von<br />
den Ergebnissen anderer Branchen ab. Zum anderen<br />
war dieser Tarifkonflikt durch über elf Monate<br />
währende Streikmaßnahmen der GDL belastet.<br />
Hintergrund war die Forderung der GDL nach<br />
einem eigenständigen Tarifvertrag. Schließlich<br />
konnte aber ein Ergebnis erzielt werden, das sich<br />
konflikt- und widerspruchsfrei in das Tarifgefüge<br />
des Konzerns einfügt.<br />
Die Tarifvertragsparteien des Einzelhandels<br />
haben Mitte Juli in Baden-Württemberg nach insgesamt<br />
über 18-monatigen Verhandlungen eine<br />
Einigung mit Pilotcharakter erzielt. Sie sieht eine<br />
Erhöhung der Entgelte um 3,0 % ab April <strong>2008</strong><br />
vor, zuzüglich einer Einmalzahlung in Höhe von<br />
400 € für den Zeitraum April 2007 bis März <strong>2008</strong>.<br />
Weiterhin wurde für die Beschäftigten in den Verkaufsstellen<br />
des Einzelhandels für die Jahre 2009<br />
und 2010 eine Vorsorgeleistung in Höhe von je<br />
150 € vereinbart, die grundsätzlich wahlweise in<br />
Form einer Altersvorsorge oder als Guthaben für<br />
ein Langzeitkonto gewährt wird. Mit der regionalspezifischen<br />
Übernahme des Abschlusses durch<br />
weitere Tarifgebiete konnte so das drohende<br />
Ende der Flächentarifverträge im Einzelhandel<br />
abgewendet werden. Damit ist zugleich auch ein<br />
Signal an die Politik gegangen, dass die Tarifvertragsparteien<br />
selbst in schwierigen Situationen in<br />
der Lage sind, Lösungen zu finden, und dass die<br />
Festlegung von Mindestentgelten Aufgabe der<br />
Tarifvertragsparteien und nicht des Staates ist.<br />
Am 1. August <strong>2008</strong> haben sich die Tarifpartner<br />
ver.di und AVH/DLH für das Bodenpersonal<br />
im Lufthansa-Konzern auf einen Tarifabschluss<br />
verständigt, dessen Laufzeit insgesamt 21 Monate<br />
beträgt. Ab dem 1. Juli <strong>2008</strong> werden die Vergütungen<br />
für die Bodenmitarbeiter um 5,1 % und ab<br />
dem 1. Juli 2009 um weitere 2,3 % angehoben. Außerdem<br />
erhalten sie eine Einmalzahlung in Höhe<br />
von 1,5 % des jeweiligen Jahreseinkommens. Für<br />
die Kabinenmitarbeiter gelang ein Abschluss mit<br />
gleichem Volumen, aber kabinenspezifischer Ausgestaltung.<br />
Am 8. September <strong>2008</strong> wurde für die keramische<br />
Industrie ein Tarifergebnis erzielt. Für die<br />
einzelnen Tarifbereiche werden in allen Betrieben<br />
der technischen Keramik die Löhne, Gehälter<br />
und Ausbildungsvergütungen für die Dauer von<br />
18 Monaten um 4,0 % erhöht. Danach erfolgt für<br />
weitere zehn Monate eine Erhöhung um 2,45 %.<br />
Die Gesamtlaufzeit beträgt 28 Monate. Für die<br />
Tarifbereiche der feinkeramischen Industrie erfolgt<br />
die erste Tarifanhebung nach drei Nullmonaten für<br />
die Dauer von 15 Monaten und anschließend eine<br />
Erhöhung um 2,45 % für weitere zehn Monate.<br />
Die Empfehlungen der gemeinsamen Arbeitsgruppe<br />
AKI/IG BCE zur Anpassung der Manteltarifverträge<br />
an die Anforderungen des Allgemeinen<br />
Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sollen bis zum<br />
1. Januar 2009 umgesetzt werden.<br />
Anfang November <strong>2008</strong> einigten sich der Bundesverband<br />
Deutscher Zeitungsverleger (BDZV)<br />
und der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger<br />
(VDZ) mit den beiden Journalisten-Gewerkschaften<br />
Deutscher Journalisten-Verband (DJV)<br />
und Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik 75
Ausgewählte Tarifabschlüsse <strong>2008</strong><br />
Tarifbereich /<br />
Beschäftigte<br />
Tariferhöhung<br />
in %<br />
Laufzeiten<br />
(Gesamtlaufzeit)<br />
Weitere Vereinbarungen /<br />
Bemerkungen<br />
Stahlindustrie<br />
West + Ost (20.02.08)<br />
85.000<br />
5,2 03/08 – 03/09<br />
Nullmonat m. Einmalzahlung<br />
(14 Monate)<br />
Einmalzahlung von 200 €<br />
Deutsche Bahn AG<br />
Lokführer<br />
West + Ost (30.01./09.03.08)<br />
20.000<br />
8,0<br />
3,0*<br />
03/08 – 08/08<br />
09/08 – 01/09<br />
8 Nullmonate m. Einmalzahlung<br />
(19 Monate)<br />
Einmalzahlung von 800 €<br />
*) durchschnittliche Anhebung (bei unveränderter<br />
Anfangsstufe)<br />
Stufenweise Absenkung der Jahressollarbeitszeit<br />
Grundlagenvertrag zur Regelung der Beziehung von<br />
Bahngewerkschaften und Arbeitgeberverband<br />
Bekleidungsindustrie/<br />
Textilindustrie<br />
West (11.03.08)<br />
120.000<br />
3,6 06/08 – 02/09<br />
3 Nullmonate m. Einmalzahlung<br />
(12 Monate)<br />
Variabel gestaltete Einmalzahlung von 200 €<br />
Altersteilzeit-Verlängerung bis Ende 2009<br />
Empfehlung zur Förderung der Ausbildungsbereitschaft<br />
Öffentlicher Dienst<br />
Bund, Gemeinden<br />
West + Ost (31.03.08)<br />
2.000.000<br />
3,1 + 50 € Sockelbetrag<br />
2,8<br />
01/08* – 12/08<br />
01/09 – 12/09<br />
(24 Monate)<br />
*) Tarifanhebung Ost ab April <strong>2008</strong><br />
Zusätzliche Pauschale von 225 € im Januar 2009<br />
Arbeitszeitverlängerung für Gemeinden West auf<br />
39 Stunden<br />
Vereinbarung zur Ost-West-Angleichung der Entgelte<br />
Chemische Industrie<br />
West + Ost (16./27.04.08)<br />
580.000<br />
4,4<br />
3,3<br />
Laufzeitbeginn regional<br />
unterschiedlich<br />
03-05/08 – 03-05/09<br />
04-06/09 – 03-05/10<br />
(25 Monate)<br />
Zusätzliche, auf 1. Stufe der Laufzeit (13 Monate)<br />
bezogene und variabel gestaltete Einmalzahlung von<br />
0,5 % des Tarifentgelts<br />
Fortschreibung des TV „Zukunft durch Ausbildung“ mit<br />
insgesamt 18.200 Ausbildungsplätzen für 2009 und 2010<br />
TV „Lebensarbeitszeit und Demografie“ mit<br />
betrieblichen Fonds ab 2010<br />
Ost: 2-stufige Entgeltanpassung Berlin-West im<br />
Oktober <strong>2008</strong>/2009<br />
Papier, Pappe und<br />
Kunststoffverarbeitung<br />
West + Ost (08.05.08)<br />
95.000<br />
3,9<br />
2,9<br />
05/08 – 04/09<br />
05/09 – 04/10<br />
1 Nullmonat<br />
(25 Monate)<br />
Immobilienwirtschaft<br />
West + Ost (28.05.08)<br />
50.000<br />
3,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
07/08 – 06/09<br />
07/09 – 04/10<br />
05/10 – 11/10<br />
(29 Monate)<br />
West: 2 zusätzliche Einmalzahlungen für <strong>2008</strong> und 2009<br />
in Höhe von 1 % bezogen auf 12 Monatseinkommen<br />
Ost: Einmalzahlungen können ganz oder teilweise gewährt<br />
werden<br />
Entsorgungswirtschaft<br />
West + Ost (03.06.08)<br />
20.000<br />
2,8 + 50 € Sockelbetrag<br />
3,0<br />
05/08 – 04/09<br />
05/09 – 04/10<br />
4 Nullmonate m. Einmalzahlung<br />
(28 Monate)<br />
Einmalzahlung von 100 €<br />
Stufenweise Verlängerung der Wochenarbeitszeit West<br />
von 37 auf 38 Stunden<br />
Vereinbarung von Mindestlohnverhandlungen mit<br />
VKA und ver.di<br />
Einzelhandel<br />
Baden-Württemberg (10.07.08)<br />
220.000<br />
3,0 04/08 – 03/09<br />
12 Nullmonate m. Einmalzahlung<br />
(24 Monate)<br />
Pilotabschluss im Einzelhandel<br />
Einmalzahlung von 400 €<br />
Pauschale von 150 €/Jahr, alternativ für Altersvorsorge,<br />
Wertguthaben auf Langzeitkonto oder als Warengutschein<br />
Zuschlag für Samstagsarbeit ab 18 Uhr 30<br />
(bisher 14 Uhr 30)<br />
Regionalspezifische Übernahme des Tarifergebnisses<br />
Deutsche Lufthansa AG<br />
Boden/Kabine (01.08.08)<br />
50.000<br />
5,1<br />
2,3<br />
07/08 – 06/09<br />
07/09 – 02/10<br />
Nullmonat m. Einmalzahlung<br />
(21 Monate)<br />
Einmalzahlung von 1,5 % des Jahresentgelts<br />
Einmalige Anhebung der Ergebnisbeteiligung für 2007<br />
Vereinbarung Kabine steht unter Vorbehalt eines entsprechenden<br />
Verhandlungsergebnisses mit UFO (Unabhängige<br />
Flugbegleiter Organisation)<br />
Metall-/Elektroindustrie<br />
West + Ost (12.11.08*)<br />
3.600.000<br />
2,1<br />
2,1<br />
(auf Basis 06/08)<br />
02/09 – 04/09<br />
05/09 – 04/10<br />
3 Nullmonate m. Einmalzahlung<br />
(18 Monate)<br />
* Pilotabschluss in Baden-Württemberg<br />
Einmalzahlung von 510 €<br />
Zusätzl. Einmalzahlung von 122 € f. Mai – Dez. 2009<br />
Öffnungsklauseln ermöglichen Laufzeitbeginn der<br />
2. Anhebungsstufe (2,1 %) ab Dez. 2009 + Entfallen der<br />
Einmalzahlung (122 €), abhängig von der wirtschaftlichen<br />
Lage (durch freiwillige Betriebsvereinbarung)<br />
1,6 % (je 0,4 % f. Jan. – April 2010) als Arbeitnehmer-<br />
Finanzierungsanteil f. „Tarifvertrag zum flexiblen Übergang<br />
in die Rente“ (Abschluss in Baden-Württemberg, 03.09.08)<br />
Papierindustrie<br />
West (25.11.08)<br />
45.000<br />
2,1<br />
2,4<br />
12/08 – 12/09<br />
01/10 – 08/10<br />
2 Nullmonate m. Einmalzahlung<br />
(23 Monate)<br />
Einmalzahlung von 200 €<br />
Modifizierter Altersteilzeit-TV ab 2010<br />
Quelle: BDA Tarifarchiv
Union (dju) in ver.di auf neue Tarifvereinbarungen<br />
für die rund 23.000 Redakteure von Zeitungs- und<br />
Zeitschriftenverlagen. Beide Tarifverträge haben<br />
eine Laufzeit von zwei Jahren und sehen nach<br />
drei Monaten jeweils Tarifanhebungen von 2,4 %<br />
für elf Monate und 1,6 % für weitere zehn Monate<br />
vor. Zusätzlich erhalten die Redakteure bei<br />
den Zeitungsverlegern eine Pauschalzahlung von<br />
0,6 % des Jahresentgelts und die Zeitschriftenredakteure<br />
300 € pauschal. Die Mantel- und Altersvorsorge-Tarifverträge<br />
werden bis Ende 2010 unverändert<br />
beibehalten.<br />
Bereits am 23. September war die IG Metall<br />
mit einer 8 % - Forderung und damit mit der höchsten<br />
Lohnforderung seit 16 Jahren in die Tarifrunde<br />
für die Metall- und Elektroindustrie gestartet. Die<br />
Forderung der IG Metall war unverantwortlich und<br />
ging an der wirtschaftlichen Realität vorbei. Auch<br />
in den vergangenen Jahren wurden die Arbeitnehmer<br />
der Metall- und Elektroindustrie umfassend<br />
am Erfolg der Branche beteiligt, nicht nur durch<br />
ordentliche Reallohnzuwächse. Seit Mitte 2006<br />
wurden in der Branche sogar rund 250.000 neue<br />
Arbeitsplätze geschaffen. Befand sich die Metallund<br />
Elektroindustrie bereits schon vor der Finanzmarktkrise<br />
in einer Phase des konjunkturellen<br />
Umbruchs, hat diese zu neuen Unsicherheiten geführt.<br />
Vor diesem Hintergrund waren überzogene<br />
Lohnforderungen besonders gefährlich. Die Forderung<br />
der IG Metall stellte nicht nur die erreichten<br />
Erfolge in Frage, sondern bedrohte die gesamte<br />
wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland.<br />
Trotz dieser schwierigen Ausgangslage kam<br />
es schon in der vierten Verhandlungsrunde am<br />
12. November <strong>2008</strong> in Baden-Württemberg zu<br />
einem Ergebnis, das Pilotcharakter für die 3,6 Mio.<br />
Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie<br />
hatte. Der Abschluss sieht bei einer 18-monatigen<br />
Laufzeit für die Monate November, Dezember<br />
<strong>2008</strong> sowie Januar 2009 eine Einmalzahlung<br />
von 510 € vor. Ab Februar 2009 steigen die Tarifentgelte<br />
zunächst um 2,1 % und ab Mai 2009 um<br />
weitere 2,1 %, insgesamt also um 4,2 % auf Basis<br />
der Lohntabellen von Juni <strong>2008</strong>. Eine weitere Pauschalzahlung<br />
von 122 € wird im September 2009<br />
fällig. Als anteiliger Finanzierungsbeitrag für den<br />
Tarifvertrag zum flexiblen Übergang in die Rente<br />
wurde ein Volumen von 1,6 % für die Monate Januar<br />
bis April 2010 vereinbart. Der Tarifvertrag bietet<br />
umfangreiche Möglichkeiten zur betrieblichen<br />
Differenzierung: Unternehmen in wirtschaftlichen<br />
Schwierigkeiten können die zweite Stufe der vereinbarten<br />
Entgelterhöhung um bis zu sieben Monate<br />
verschieben. Im Verhältnis der Verschiebung<br />
verringert sich auch die Einmalzahlung von 122 €<br />
im September 2009. Zu begrüßen ist, dass die<br />
besondere Struktur des Abschlusses aus Einmalzahlungen<br />
sowie zwei Tabellenerhöhungen mit<br />
betrieblichen Differenzierungsmöglichkeiten der<br />
unterschiedlichen Situation in der Branche Rechnung<br />
trägt.<br />
Ende November <strong>2008</strong> hat die Vereinigung<br />
der Arbeitgeberverbände der Deutschen Papierindustrie<br />
(VAP) mit der IG BCE ein Tarifergebnis<br />
für die westdeutschen Mitgliedsverbände erzielt.<br />
Bei einer Laufzeit von insgesamt 23 Monaten und<br />
einer vorgeschalteten Einmalzahlung von 200 €<br />
für die ersten zwei Monate steigen die Entgelte ab<br />
Dezember <strong>2008</strong> um 2,1 % und ab Januar 2010 um<br />
weitere 2,4 %.<br />
Antworten der Tarifpartner<br />
auf den demografischen Wandel<br />
Eine innovative Lösung für den Umgang mit dem<br />
demografischen Wandel bietet der Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit<br />
und Demografie“ der chemischen<br />
Industrie vom 16. April <strong>2008</strong>. Mit diesem Tarifvertrag<br />
werden die Herausforderungen der alternden<br />
Gesellschaft aufgegriffen und Unterstützung im Interesse<br />
einer längeren Beschäftigung angeboten.<br />
Zentraler Baustein des Tarifvertrages sind<br />
betriebliche Demografiefonds. Die Betriebe stellen<br />
ab 2010 einen Betrag von zunächst jährlich 300 €<br />
je Tarifarbeitnehmer für Instrumente zur flexiblen<br />
Gestaltung der Lebensarbeitszeit zur Verfügung.<br />
Zur Wahl stehen Langzeitkonten, Teilrente, Berufsunfähigkeitszusatzversicherung<br />
Chemie, tarifliche<br />
Altersvorsorge und Altersteilzeit.<br />
Die Auswahl der konkreten Instrumente für<br />
die Verwendung des Demografiefonds erfolgt aufgrund<br />
freiwilliger Betriebsvereinbarungen. Falls<br />
auf betrieblicher Ebene keine Einigung erzielt<br />
wird, ist als Auffangregelung für Betriebe mit bis<br />
zu 200 Arbeitnehmern die tarifliche Altersvorsorge<br />
vorgesehen. Betriebe mit mehr als 200 Arbeit-<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik 77
Kündigungstermine ausgewählter Lohn- und Gehaltstarifverträge<br />
Branche Tarifgebiete Beschäftigte<br />
in Tsd.<br />
Kündigungstermine<br />
Gewerkschaften<br />
2009<br />
01/09 Deutsche Bahn AG West + Ost 140 Transnet, GDBA, GDL<br />
02/09 Textil-/Bekleidungsindustrie West 120 IGM<br />
03/09<br />
03 – 04/09<br />
03 – 06/09<br />
Bauwirtschaft<br />
Druckindustrie<br />
Stahlindustrie<br />
Textilindustrie<br />
Deutsche Lufthansa AG (Piloten)<br />
Groß- und Außenhandel<br />
Holz- und Kunststoffverarbeitende Industrie<br />
Einzelhandel<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
Ost<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
700<br />
180<br />
85<br />
17<br />
4<br />
1.100<br />
140<br />
2.700<br />
IG BAU<br />
ver.di<br />
IGM<br />
IGM<br />
VC (Cockpit)<br />
ver.di<br />
IGM<br />
ver.di<br />
06/09 Süßwarenindustrie<br />
Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau<br />
Maler- und Lackiererhandwerk<br />
West<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
50<br />
80<br />
140<br />
NGG<br />
IG BAU<br />
IG BAU<br />
07/09 Volkswagen AG West 100 IGM<br />
09/09 Versicherungswirtschaft<br />
Gebäudereinigerhandwerk<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
220<br />
850<br />
ver.di<br />
IG BAU<br />
11/09 Kautschukindustrie (ADK) West + Ost 43 IG BCE<br />
12/09 Öffentlicher Dienst (Bund, Gemeinden) West + Ost 1.300 ver.di<br />
2010<br />
02/10 Deutsche Lufthansa AG (Boden, Kabine) West + Ost 50 ver.di<br />
03/10<br />
03 – 05/10<br />
Landwirtschaft<br />
Chemische Industrie<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
40<br />
580<br />
IG BAU<br />
IG BCE<br />
04/10 Metall-/Elektroindustrie<br />
Papier-, Pappe- und Kunststoffverarbeitung<br />
Energieversorgung (EON-Bereich)<br />
Entsorgungswirtschaft<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
3.600<br />
95<br />
30<br />
20<br />
IGM<br />
ver.di<br />
ver.di<br />
ver.di<br />
06/10 Deutsche Post AG<br />
Energieversorgung (GWE-Bereich)<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
130<br />
15<br />
ver.di<br />
ver.di<br />
07/10 Zeitungs- /Zeitschriftenverleger (Redakteure) West + Ost 23 ver.di, DJV<br />
08/10 Papierindustrie<br />
Dachdeckerhandwerk<br />
West<br />
West + Ost<br />
45<br />
55<br />
IG BCE<br />
IG BAU<br />
09/10 Reisebürogewerbe<br />
Schuhindustrie<br />
Zigarettenindustrie<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
70<br />
14<br />
10<br />
ver.di<br />
IG BCE<br />
NGG<br />
10 – 11/10 Keramische Industrie West 25 IG BCE<br />
11/10 Wohnungs-/Immobilienwirtschaft West + Ost 50 IG BAU/ver.di<br />
12/10 Steinkohlenbergbau West 40 IG BCE<br />
Quelle: BDA Tarifarchiv<br />
78<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik
nehmern müssen die Wertguthaben aus dem<br />
Demografiefonds in ein Langzeitkonto einbringen.<br />
Wird keine Einigung über die Verwendung des<br />
Langzeitkontos erzielt, soll es zur Freistellung vor<br />
der Altersrente genutzt werden.<br />
Die Altersteilzeit dürfte künftig nur noch eine<br />
untergeordnete Rolle spielen. Es besteht ab<br />
2010 kein individueller Anspruch auf Altersteilzeit<br />
mehr. Die Aufstockungsbeträge sind aus den<br />
Mitteln des Demografiefonds zu finanzieren und<br />
damit begrenzt. Gleichzeitig entfällt die bisherige<br />
Abfindungsregelung, mit der Renteneinbußen<br />
ausgeglichen werden sollten. Außerdem darf der<br />
„Demografiebetrag“ im Rahmen der Altersteilzeit<br />
nicht zur Personalreduzierung verwendet werden.<br />
In der Metall- und Elektroindustrie wurde unter<br />
voller Berücksichtigung der Ende 2009 auslaufenden<br />
gesetzlichen Förderung der Altersteilzeit<br />
mit dem „Tarifvertrag zum flexiblen Übergang in die<br />
Rente“ am 3. September in Baden-Württemberg<br />
eine Nachfolgeregelung für die bestehenden Altersteilzeitvereinbarungen<br />
getroffen. Mit finanzieller<br />
Beteiligung der Arbeitnehmer wird zur Flankierung<br />
des demografischen Wandels der Weg sozialverträglicher<br />
Personalanpassungen ermöglicht.<br />
Der Tarifvertrag eröffnet den Unternehmen<br />
umfassende Gestaltungsspielräume, die neben<br />
der Umsetzung tariflicher Rahmenregelungen zur<br />
Altersteilzeit sowohl eine betriebsindividuelle Ausgestaltung<br />
als auch die vollständige Ablösung der<br />
Altersteilzeit durch andere betrieblich zu vereinbarende<br />
Zwecke demografiefester Personalpolitik<br />
erlauben. Der Tarifvertrag halbiert den generellen<br />
Anspruch auf Altersteilzeit auf 2,5 %, verkürzt die<br />
reguläre Altersteilzeit auf vier Jahre und koppelt<br />
sie unmittelbar an den abschlagsfreien Renteneintritt.<br />
Das senkt die Kostenbelastung für die Betriebe,<br />
fördert eine längere Lebensarbeitszeit und<br />
unterstützt so die „Rente mit 67“.<br />
Damit haben die Tarifparteien der Metall- und<br />
Elektroindustrie eine zukunftsfähige Lösung gefunden<br />
und gleichzeitig Tatkraft und Gestaltungswillen<br />
bewiesen. Qualifizierte Fachkräfte und Leistungsträger<br />
stehen den Betrieben künftig länger zur<br />
Verfügung; Arbeitnehmer, die nicht mehr arbeiten<br />
können, dürfen weiter vorzeitig zu attraktiven Konditionen<br />
aussteigen. Das beweist: Die Tarifautonomie<br />
funktioniert und bringt weitaus bessere Lösungen<br />
hervor als eine staatlich verordnete Sozialpolitik.<br />
Die Unternehmen erhalten künftig größtmögliche<br />
Freiheit: Sie können alte Betriebsvereinbarungen<br />
weiter nutzen, die Altersteilzeit zusammen<br />
mit dem Betriebsrat nach eigenen Vorstellungen<br />
neu gestalten oder die Mittel für andere Maßnahmen<br />
einer demografiefesten Personalpolitik verwenden.<br />
Dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer<br />
künftig die Kosten teilen und völlig auf öffentliche<br />
Subventionen verzichten, spiegelt den gesellschaftspolitisch<br />
notwendigen Mentalitätswandel<br />
wider.<br />
Schließlich konnten sich die Tarifvertragsparteien<br />
in der westdeutschen Papierindustrie im<br />
Rahmen des Tarifabschlusses vom November<br />
auf eine Nachfolgeregelung für den bis Ende<br />
2009 laufenden Altersteilzeit-Tarifvertrag einigen.<br />
Nach dem geänderten „Tarifvertrag zur Förderung<br />
der Altersteilzeit“ mit einer Laufzeit von 2010 bis<br />
2014 ist Altersteilzeit zukünftig erst nach Vollendung<br />
des 57. Lebensjahres (bisher 55. Lebensjahr)<br />
möglich. Der Beginn der Altersteilzeit kann vom<br />
Arbeitgeber aus dringenden betrieblichen Erfordernissen<br />
um zwölf Monate (bisher sechs Monate)<br />
hinausgeschoben werden. Der Tarifvertrag enthält<br />
zahlreiche Öffnungsklauseln, nach denen durch<br />
freiwillige Betriebsvereinbarung teils mit und teils<br />
ohne Zustimmung der Tarifvertragsparteien betriebsspezifische<br />
Regelungen getroffen werden<br />
können. Durch freiwillige Betriebsvereinbarung<br />
mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien kann<br />
z. B. die Überforderungsquote von 5 % auf bis zu<br />
3 % herabgesetzt werden. Abfindungszahlungen<br />
bei vorzeitigem Renteneintritt entfallen, können<br />
aber weiterhin durch freiwillige Betriebsvereinbarung<br />
vorgesehen werden. Ein Demografiefonds wie<br />
in der chemischen Industrie wird nicht eingeführt.<br />
Branchentarif nach wie vor<br />
prägend<br />
Der Tarifvertrag – insbesondere der Branchentarifvertrag<br />
– ist nach wie vor die prägende Ordnungsgröße<br />
der Arbeitsbeziehungen in Deutschland. Die<br />
aktuellen Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und<br />
Berufsforschung (IAB) zur Verbreitung von Branchen-<br />
und Firmentarifverträgen zeigen, dass die<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik 79
Tarifbindung 2002 – 2007<br />
Anteil der Beschäftigten<br />
Prozent<br />
100<br />
15 16 17 19 18 19<br />
90<br />
80<br />
8<br />
8<br />
8<br />
8<br />
9<br />
8<br />
70<br />
17 17<br />
17<br />
17 19 20<br />
60<br />
60 59<br />
58<br />
56<br />
50<br />
54 53<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
2002 2003 2004 2005 2006 2007<br />
Jahr<br />
kein Tarifvertrag<br />
Firmentarifvertrag<br />
Orientierung am Branchentarif<br />
Branchentarifvertrag<br />
Quelle: IAB-Betriebspanel; Darstellung: BDA<br />
80 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik
Tarifbindung nahezu unverändert hoch geblieben<br />
ist. Insgesamt arbeiteten im Jahre 2007 rund 73 %<br />
der Beschäftigten in Deutschland unmittelbar oder<br />
mittelbar auf der Basis von Branchentarifverträgen,<br />
8 % auf Basis von Firmentarifverträgen. Für<br />
die meisten Unternehmen sind damit die kollektiv<br />
ausgehandelten Arbeitsbedingungen nach wie vor<br />
die bevorzugte Form der Regelung der Arbeitsbeziehungen.<br />
Im Einzelnen galten 2007 in Deutschland in<br />
32 % aller Betriebe mit 53 % aller Beschäftigten<br />
Branchentarifverträge unmittelbar, während es im<br />
Vorjahr noch 54 % der Beschäftigten waren. Der<br />
Anteil der Betriebe, die sich an einem Branchentarifvertrag<br />
orientieren, lag bei 27 % aller Betriebe<br />
mit 20 % aller Beschäftigten, was einem Zuwachs<br />
bei den Beschäftigten um einen Prozentpunkt entspricht.<br />
Für 3 % aller Betriebe mit 8 % aller Beschäftigten<br />
galten Firmentarifverträge. Damit wurden<br />
62 % aller Betriebe mit 81 % aller Beschäftigten<br />
direkt oder indirekt durch Tarifverträge erfasst.<br />
Der leichte Rückgang der unmittelbaren Bindung<br />
an den Branchentarif bei den Beschäftigten<br />
wurde durch eine Zunahme bei der mittelbaren Tarifbindung<br />
kompensiert. Dadurch wird aber auch<br />
deutlich, dass die Bedeutung individueller betrieblicher<br />
Gestaltungsspielräume weiter zunimmt. Um<br />
langfristig die originäre Bindungskraft der Branchentarifverträge<br />
wieder zu stärken, muss deshalb<br />
der tarifpolitische Reformprozess hin zu einer<br />
neuen Balance zwischen tariflichen und betrieblichen<br />
Regelungen weiter konsequent fortgesetzt<br />
werden.<br />
Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung<br />
unbegründet<br />
Die Veröffentlichung aktueller Zahlen zur Wochenarbeitszeit<br />
der Beschäftigten in den EU-Mitgliedstaaten<br />
war für die Gewerkschaften ein Anlass für<br />
erneute Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung.<br />
Diese Forderung ist verfehlt. Im europäischen<br />
Vergleich gehört Deutschland nach wie vor zu<br />
den Ländern mit der kürzesten tariflichen Jahressollarbeitszeit<br />
(1.657 Stunden), der kürzesten<br />
tariflichen Wochenarbeitszeit (37,6 Stunden) und<br />
den meisten Urlaubstagen (30 Tage). Dieser Wettbewerbsnachteil<br />
wird durch die EU-Erweiterung<br />
verschärft. Die neuen Mitgliedstaaten der EU gehören<br />
fast alle zu den Ländern mit den längsten<br />
tariflichen Arbeitszeiten von bis zu 40 Stunden pro<br />
Woche. Die durchschnittlich tatsächlich geleistete<br />
Wochenarbeitszeit liegt mit etwa 41 Stunden zwar<br />
auch in Deutschland über der tariflichen Arbeitszeit.<br />
Hier muss aber berücksichtigt werden, dass<br />
es sich dabei regelmäßig um Überstunden handelt<br />
und für diese häufig Zuschläge anfallen, die<br />
an Sonn- und Feiertagen bis zu 150 % betragen<br />
können. Zudem ist ein Anstieg nicht erkennbar,<br />
vielmehr schwankte die Wochenarbeitszeit in den<br />
vergangenen zehn Jahren zwischen 41,0 und 41,8<br />
Stunden.<br />
Pläne der Koalition zur Einführung<br />
gesetzlicher Mindestlöhne über<br />
Entsendegesetz und Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />
Im Mittelpunkt der Diskussion über gesetzliche<br />
Mindestlöhne stand in diesem Jahr die Umsetzung<br />
des bereits völlig verfehlten Koalitionskompromisses<br />
vom Juni 2007. Die damit verbundenen<br />
Befürchtungen wurden von den Anfang Januar<br />
vom Bundesarbeitsminister vorgelegten Entwürfen<br />
zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz und zur<br />
Änderung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes<br />
bestätigt.<br />
Geschaffen werden sollte ein System flächendeckender,<br />
branchenbezogener Mindestlöhne<br />
verbunden mit der Ermächtigung, Tarifverträge<br />
außer Kraft zu setzen. Dies stellte einen brutalen<br />
Angriff auf die Tarifautonomie dar. Das Präsidium<br />
der BDA hat die Bundesregierung umgehend aufgefordert,<br />
die Gesetzentwürfe zurückzuziehen.<br />
Die beteiligten unionsgeführten Bundesministerien<br />
und das Bundeskanzleramt sind dem zumindest<br />
teilweise gefolgt. Sie sahen in den Entwürfen<br />
keine geeignete Diskussionsgrundlage und stoppten<br />
die Ressortabstimmung.<br />
Gesetzentwürfe ermächtigen zum<br />
Eingriff in die Tarifautonomie<br />
Die BDA hat gegenüber der Koalition deutlich gemacht,<br />
welcher Missbrauch aufgrund der Gesetze<br />
möglich ist und welche Gefahren davon für die<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik 81
Durchschnittliche tarifliche Wochenarbeitszeit 2007<br />
im europäischen Vergleich<br />
Stunden<br />
40,5<br />
40<br />
40 40<br />
39,5<br />
39<br />
39<br />
38,8<br />
38,6<br />
38,5<br />
38,2<br />
38<br />
38<br />
37,9<br />
37,5<br />
37,6<br />
37,5<br />
37,3<br />
37<br />
37<br />
36,5<br />
36<br />
35,5<br />
35<br />
35<br />
34,5<br />
PL GRE IRL A EU-27 POR ITA E D SWE GB DK F Land<br />
Quelle: EIRO <strong>2008</strong>; Darstellung: BDA<br />
82 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik
Tarifautonomie ausgehen. Mitte Juni wurden vom<br />
Bundesarbeitsminister neue Gesetzentwürfe vorgelegt,<br />
die in einigen Punkten Nachbesserungen<br />
enthielten.<br />
So soll z. B. die regionale Anwendung der<br />
Gesetze und damit die Möglichkeit der flächendeckenden<br />
Lohnfestsetzung in allen Branchen<br />
entfallen. Die Anwendung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes<br />
soll auf Mindestentgelte<br />
beschränkt werden und nicht mehr alle Arbeitsbedingungen<br />
umfassen. Unverändert enthielten<br />
beide Gesetzentwürfe allerdings die Ermächtigung,<br />
tarifvertragliche Regelungen auszuschalten.<br />
Sie ermöglichen damit weiterhin einen Eingriff<br />
in die Tarifautonomie. Dies konnte mittels zweier<br />
Rechtsgutachten verdeutlicht werden, die im<br />
Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit<br />
vorgestellt wurden.<br />
Die Bundesregierung verabschiedete schließlich<br />
am 16. Juli <strong>2008</strong> die Regierungsentwürfe zum<br />
Entsendegesetz und zur Änderung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes<br />
und leitete damit das<br />
parlamentarische Gesetzgebungsverfahren ein.<br />
Die Regierungsentwürfe enthalten noch weitere,<br />
kleine Verbesserungen, wie z. B. einen begrenzten<br />
Tarifvorbehalt beim Mindestarbeitsbedingungengesetz.<br />
Dieser soll zumindest für die Tarifverträge<br />
erhalten bleiben, die zum Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses<br />
am 16. Juli <strong>2008</strong> bereits in Kraft waren,<br />
sowie deren unmittelbare Folgetarifverträge.<br />
Nach dem geltenden Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />
haben Tarifverträge immer Vorrang<br />
vor einer staatlichen Lohnfestsetzung. Dies ist<br />
keine Wohltat des Gesetzgebers, sondern verfassungsrechtlich<br />
unverzichtbar zum Schutz der<br />
Tarifautonomie. Dieser Tarifvorrang soll nun durch<br />
die Ermächtigung begrenzt werden, Tarifverträge<br />
durch staatliche Eingriffe außer Kraft setzen<br />
zu können. Entsprechend der Übergangsregelung<br />
sollen lediglich Tarifverträge, die bereits am<br />
16. Juli <strong>2008</strong> – dem Tag des Kabinettsbeschlusses –<br />
in Kraft waren, bzw. unmittelbare Folgetarifverträge<br />
staatlich festgesetzten Mindestentgelten vorgehen.<br />
Wir setzen uns demgegenüber für einen<br />
klaren, uneingeschränkten Tarifvorrang ein.<br />
Unnötig und damit abzulehnen ist auch die<br />
Umgestaltung des bestehenden Entsendegesetzes<br />
zu einem Gesetz zur staatlichen Lohnfestsetzung.<br />
Mit dem Regierungsentwurf soll gerade<br />
jene Regelung im Entsendegesetz gestrichen werden,<br />
deretwegen das Berliner Verwaltungsgericht<br />
am 7. März <strong>2008</strong> die Post-Mindestlohnverordnung<br />
für rechtswidrig erklärt hat.<br />
So sieht der neue Entwurf die Ermächtigung<br />
zur Erstreckung auch auf anders Tarifgebundene<br />
vor. Dagegen beschränkt sich der Wortlaut<br />
des geltenden Gesetzes darauf, mit den Rechtsnormen<br />
eines Tarifvertrages nicht tarifgebundene<br />
Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erfassen. Mit<br />
der geplanten Änderung wird die Voraussetzung<br />
für eine Reparatur der Post-Mindestlohnverordnung<br />
geschaffen, durch welche bereits tausende<br />
Arbeitsplätze vernichtet wurden.<br />
Mit der geplanten Regelung zur Tarifkonkurrenz,<br />
wonach bei mehreren Tarifverträgen in einer<br />
Branche die Repräsentativität dafür ausschlaggebend<br />
sein soll, ob ein Tarifvertrag zwangsweise<br />
erstreckt wird, zielt der Gesetzentwurf klar auf die<br />
Schwächung kleiner Gewerkschaften. Die Erstreckung<br />
eines für repräsentativ erachteten Tarifvertrages<br />
auf die gesamte Branche hätte das Ende konkurrierender<br />
Tarifverträge zur Folge. Dies wäre eine<br />
verfassungsrechtlich höchst bedenkliche Ermächtigung<br />
zur staatlichen Zensur von Tarifverträgen.<br />
Voraussetzungen für die Aufnahme<br />
weiterer Branchen fehlen<br />
Gemäß dem Koalitionskompromiss hatten bis<br />
zum 31. März <strong>2008</strong> die Tarifvertragsparteien der<br />
Branchen die Möglichkeit, ihr Interesse an einer<br />
Aufnahme in das Entsendegesetz anzumelden.<br />
Es überraschte nicht, dass sich zu diesem Termin<br />
letztlich nur acht überwiegend kleinere Branchen<br />
bzw. Teilbranchen beim BMAS gemeldet hatten.<br />
Und von diesen acht Branchen, über deren Aufnahme<br />
parallel zum Gesetzgebungsverfahren in<br />
einer Arbeitsgruppe von CDU/CSU und SPD beraten<br />
wird, erfüllt derzeit keine die Voraussetzungen<br />
für die Aufnahme. Insbesondere die Aufnahme<br />
der Zeitarbeit scheidet wegen konkurrierender<br />
Tarifverträge in der Branche aus. Zudem finden<br />
fast flächendeckend Tarifverträge Anwendung, so<br />
dass nicht von sozialen Verwerfungen ausgegangen<br />
werden kann. Bei den meisten anderen Bran-<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik 83
Zeitarbeiter: Viele bleiben im Kundenbetrieb<br />
So viel Prozent der Zeitarbeitnehmer, die ihr ehemaliges<br />
Zeitarbeitsunternehmen verlassen haben, sind jetzt …<br />
Prozent<br />
30<br />
25<br />
24,3<br />
21,9<br />
20<br />
15<br />
15,1<br />
10<br />
6,4<br />
5<br />
3,1<br />
0<br />
beim letzten<br />
Kundenunternehmen<br />
bei einem<br />
anderen<br />
Arbeitgeber<br />
erwerbslos<br />
bei einem<br />
anderen<br />
Zeitarbeitsunternehmen<br />
in Rente,<br />
Mutterschutz,<br />
Studium etc.<br />
Befragung von 210 Zeitarbeitsunternehmen im Januar <strong>2008</strong>,<br />
Rest zu 100: keine Informationen<br />
Quelle: IW-Zeitarbeitsindex (BZA); Darstellung: BDA<br />
84 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik
chen ist, soweit sie überhaupt schon über einen<br />
Mindestlohntarifvertrag verfügen, das Erreichen<br />
des notwendigen 50 %-Quorums mehr als zweifelhaft.<br />
Ein Entsendeproblem besteht derzeit in<br />
keiner der Branchen.<br />
Die BDA hat zu dem Thema die kompakt „Mindestlohn“,<br />
„Gesetzentwurf zum Arbeitnehmer-<br />
Entsendegesetz“ und „Gesetzentwurf zum Mindestarbeitsbedingungengesetz“,<br />
die argumente<br />
„Tarifautonomie – Säule der Sozialen Marktwirtschaft“,<br />
„Arbeitsplätze statt Mindestlohn“ und<br />
„Mindestlohn – vom Ausland lernen“ sowie die<br />
Broschüre „Tarifautonomie statt Mindestlohn – 13<br />
gute Gründe gegen einen gesetzlichen Mindestlohn“<br />
veröffentlicht.<br />
Zeitarbeit als Jobmotor sichern<br />
Die Bedeutung der Zeitarbeit als Beschäftigungsmotor<br />
ist ungebrochen. Zum 31. Dezember 2007<br />
gab es nach den aktuellen Zahlen der BA insgesamt<br />
721.000 Zeitarbeitnehmer und damit ca. 14 %<br />
mehr Beschäftigte in der Branche als zum gleichen<br />
Zeitpunkt des Vorjahres. Von insgesamt 500.000<br />
neuen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen<br />
2007 sind allein 127.000 in<br />
der Zeitarbeit entstanden. Der Zuwachs hat allerdings<br />
im Vergleich zu den vergangenen Jahren<br />
etwas nachgelassen. Dieser Trend dürfte sich in<br />
den nächsten Monaten infolge der konjunkturellen<br />
Veränderungen verstärken, da Unternehmen bei<br />
nachlassendem Personalbedarf als Erstes den<br />
Einsatz von Zeitarbeitnehmern reduzieren. Gerade<br />
in wirtschaftlich unsicheren Zeiten wird allerdings<br />
die Zeitarbeit wieder an Bedeutung gewinnen. Sie<br />
gibt den Unternehmen die notwendige Flexibilität.<br />
Zeitarbeit hat große beschäftigungspolitische<br />
Bedeutung<br />
Arbeitnehmer erhalten durch Zeitarbeit die Chance<br />
zur Qualifizierung durch Beschäftigung. Dies<br />
gilt vor allem für gering Qualifizierte und Langzeitarbeitslose.<br />
Arbeitnehmer haben so – wie durch<br />
keine andere Branche – die Chance zum Einstieg<br />
in Arbeit. Zeitarbeit leistet damit einen wichtigen<br />
Beitrag zur Vermeidung und Überwindung von<br />
Arbeitslosigkeit. Nach den aktuellen Zahlen der<br />
BA waren am 31. Dezember 2007 rund 65 % der<br />
in Zeitarbeit Beschäftigten zuvor ohne Arbeit, 13 %<br />
sogar langzeitarbeitslos. Eine aktuelle Studie des<br />
IW-Zeitarbeitsindex zeigt zudem, dass fast ein Viertel<br />
der Zeitarbeitnehmer von Kundenunternehmen<br />
übernommen werden, wenn sie dort eine gewisse<br />
Zeit gearbeitet haben. Ein weiteres Fünftel kommt<br />
in einem anderen Betrieb außerhalb der Zeitarbeit<br />
unter. Vor dem Hintergrund des zunehmenden<br />
Fachkräftemangels wird das Thema „Ausbildung<br />
und Qualifizierung von Zeitarbeitsunternehmen“<br />
weiter an Bedeutung gewinnen. Nur so können<br />
Zeitarbeitsunternehmen ihren Kundenunternehmen<br />
das gewünschte Personal zur Verfügung stellen.<br />
Zugleich leisten sie so einen wichtigen Beitrag<br />
zur Überwindung des Fachkräftemangels, indem<br />
sie bestehende Beschäftigungspotenziale heben.<br />
Forderungen nach<br />
Einschränkung der Zeitarbeit<br />
sind beschäftigungsfeindlich<br />
Vor dem Hintergrund der großen beschäftigungspolitischen<br />
Bedeutung der Zeitarbeit sind Forderungen<br />
nach neuen Hürden kontraproduktiv. Die<br />
Entwicklung der letzten Jahre zeigt gerade, dass<br />
eine wirksame Deregulierung und ein Mehr an<br />
Flexibilität Arbeitsplätze schaffen können. Das<br />
Rad der Geschichte zurückzudrehen und alte Beschränkungen<br />
wieder einzuführen, würde vielen<br />
Menschen, vor allem Langzeitarbeitslosen, die<br />
Chance auf Rückkehr in den Arbeitsmarkt nehmen.<br />
Vor diesem Hintergrund hat das Präsidium<br />
der BDA am 28. Januar <strong>2008</strong> den Beschluss „Zeitarbeit:<br />
Flexibilität schafft Beschäftigung“ gefasst.<br />
Darüber hinaus versuchen die Gewerkschaften,<br />
allen voran die IG Metall, seit geraumer Zeit auf<br />
verschiedenen Wegen, ihre Forderung nach Beschränkungen<br />
der Zeitarbeit umzusetzen. In diesem<br />
Zusammenhang fordert die IG Metall sowohl von<br />
Zeitarbeitsunternehmen als auch von deren Kundenunternehmen<br />
den Abschluss sog. „Fairness-Abkommen“.<br />
Inzwischen hat der Bundesverband Zeitarbeit<br />
(BZA) mit der IG Metall ein entsprechendes Abkommen<br />
unterzeichnet, so dass sich weiter gehende<br />
Forderungen erübrigen. Die von der IG Metall in ihrer<br />
gegen die Zeitarbeit gerichteten Kampagne „Gleiche<br />
Arbeit – gleiches Geld“ aufgestellten Behauptungen<br />
entbehren jeder Grundlage.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik 85
Zeitarbeitsrichtlinie erkennt<br />
beschäftigungspolitische<br />
Bedeutung der Zeitarbeit an<br />
Auf europäischer Ebene hat das Europäische<br />
Parlament am 22. Oktober <strong>2008</strong> die Zeitarbeitsrichtlinie<br />
angenommen (vgl. im Einzelnen Kapitel<br />
„Europa und Internationales“). Nach Inkrafttreten<br />
der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten drei Jahre<br />
Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.<br />
Zentraler Punkt der Zeitarbeitsrichtlinie ist<br />
der Grundsatz der Nichtdiskriminierung bzw. der<br />
Gleichbehandlungsgrundsatz, wonach ein Zeitarbeitnehmer<br />
grundsätzlich entsprechend einem<br />
vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers behandelt<br />
werden muss. Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz<br />
ist in Deutschland bereits seit dem 1.<br />
Januar 2004 geltendes Recht. Das deutsche Zeitarbeitsrecht<br />
entspricht insofern bereits der Richtlinie.<br />
Die Möglichkeit, durch tarifvertragliche Vereinbarungen<br />
von diesem Grundsatz abzuweichen,<br />
sieht auch die Richtlinie unverändert vor. Einer<br />
Änderung des deutschen Rechts bedarf es daher<br />
insoweit nicht. Positiv ist hervorzuheben, dass die<br />
Zeitarbeitsrichtlinie die Bedeutung der Zeitarbeit<br />
im Interesse der Unternehmen und Arbeitnehmer<br />
anerkennt und Einschränkungen und Verbote nur<br />
noch unter engen Voraussetzungen zulässt. Aktuelle<br />
Forderungen nach einer Einschränkung der<br />
Zeitarbeit müssen damit vom Tisch.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Zeitarbeit“ sowie die argumente „Jobmotor<br />
Zeitarbeit“ veröffentlicht.<br />
Tarifautonomie braucht<br />
Tarifeinheit<br />
Zunehmend versuchen Sparten- und Berufsgewerkschaften,<br />
ihre Schlüsselposition auszunutzen<br />
und trotz eines alle Beschäftigten umfassenden<br />
Tarifvertrages einen zusätzlichen Spartentarifvertrag<br />
durchzusetzen. Dadurch wird der Grundsatz<br />
der Tarifeinheit, nach dem in einem Betrieb grundsätzlich<br />
nur ein Tarifvertrag angewendet wird, in<br />
Frage gestellt. Der Grundsatz der Tarifeinheit ist<br />
ein Garant für die tarifliche Friedenspflicht und damit<br />
eine tragende Säule unseres funktionierenden<br />
Tarifvertragssystems. Unternehmen müssen sich<br />
jedoch darauf verlassen können, während der<br />
Laufzeit eines Tarifvertrages keinen weiteren Tarifforderungen<br />
ausgesetzt zu werden.<br />
Die Entwicklungen bei der Deutsche Lufthansa<br />
AG und bei der Deutsche Bahn AG haben<br />
gezeigt, wohin die Zerfaserung der Tariflandschaft<br />
führt: Die Unternehmen sehen sich immer wieder<br />
mit neuen, sich gegenseitig hochschaukelnden<br />
Tarifforderungen und Streiks von Spartengewerkschaften<br />
konfrontiert. Die Bahn musste einen<br />
hohen Preis dafür zahlen, dass die im Konzern<br />
vertretenen Gewerkschaften zum Abschluss von<br />
Vereinbarungen bereit waren, in denen sie sich<br />
verpflichten, ihre jeweiligen Zuständigkeitsbereiche<br />
zu respektieren. Eine Kooperationsvereinbarung<br />
zwischen den Gewerkschaften ist bisher<br />
jedoch nicht zustande gekommen. Bei der Lufthansa<br />
zeichnen sich immer wieder Konflikte ab,<br />
die mit dem Aufbrechen der Tarifeinheit verbunden<br />
sind. So hat z. B. die Spartengewerkschaft<br />
für das Kabinenpersonal UFO angekündigt, in<br />
den Tarifverhandlungen eine über den ver.di-Abschluss<br />
hinausgehende Forderung nach mindestens<br />
15 % mehr Lohn aufstellen zu wollen. Eine<br />
entsprechende Entgelterhöhung hätte wegen der<br />
bestehenden Revisionsklausel zwangsläufig ein<br />
Nachverhandeln von ver.di zur Folge. Ein weiteres<br />
Hochschaukeln wäre vorprogrammiert.<br />
Der Flächentarifvertrag und mit ihm die Tarifautonomie<br />
sind akut gefährdet, wenn diese Entwicklung<br />
nicht gestoppt wird. Es darf in Deutschland<br />
nicht zu Verhältnissen kommen, wie es sie<br />
in England in den 1970er Jahren gab. Ohne Friedenspflicht<br />
besteht für die Unternehmen die Gefahr<br />
ständiger Tarifauseinandersetzungen oder<br />
gar Streiks. Eine Spartengewerkschaft mit hohem<br />
Erpressungspotenzial könnte jederzeit Arbeitskämpfe<br />
um tarifvertragliche Regelungen führen,<br />
die bereits in einem anderen Tarifvertrag geregelt<br />
sind. Dies hätte erhebliche Auswirkungen auf die<br />
Motivation, sich den Regeln eines Tarifvertrages<br />
für die ganze Branche oder für das gesamte Unternehmen<br />
zu unterwerfen. Trotz eines geltenden<br />
Tarifvertrages muss der Arbeitgeber immer wieder<br />
mit Arbeitskämpfen rechnen.<br />
Auch für die betriebliche Praxis besteht ein<br />
großes Bedürfnis nach Anwendung nur eines<br />
einheitlichen, für alle Beschäftigten geltenden<br />
86 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik
Anteil der Berufsgruppen in der Zeitarbeit<br />
5 %<br />
10 %<br />
11 %<br />
technische Berufe<br />
Verwaltung / Büro<br />
sonstige Berufe<br />
Dienstleistung<br />
Metall und Elektro<br />
Hilfspersonal<br />
18 %<br />
23 %<br />
33 %<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Stichtag 31. Dezember 2007; Darstellung: BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik 87
Tarifwerkes. Eine Aufgabe des Grundsatzes der<br />
Tarifeinheit würde zu zahlreichen nur schwer lösbaren<br />
Problemen führen: Der Arbeitgeber müsste<br />
z. B. die Gewerkschaftszugehörigkeit seiner Arbeitnehmer<br />
erfragen, um den richtigen Tarifvertrag<br />
anzuwenden. Auch inhaltliche Unterschiede<br />
zwischen den einzelnen Tarifverträgen würden zu<br />
erheblichen Schwierigkeiten führen. Bei den Arbeitsbedingungen<br />
wie z. B. der Arbeitszeit lassen<br />
sich unterschiedliche tarifvertragliche Regelungen<br />
in einem Betrieb praktisch nicht umsetzen.<br />
Das Bundesarbeitsgericht hält im Wesentlichen<br />
seit 1957 am Grundsatz der Tarifeinheit fest.<br />
Unterschiedliche Entscheidungen der Instanzgerichte<br />
zum Grundsatz der Tarifeinheit und zum<br />
Streikrecht von Spartengewerkschaften haben<br />
aber zu Rechtsunsicherheiten geführt. Zu deren<br />
Klärung können die Tarifvertragsparteien gemeinsam<br />
Lösungen für ein geordnetes Verfahren entwickeln.<br />
Sie können Tarifgemeinschaften bilden<br />
oder obligatorische Schlichtungsvereinbarungen<br />
treffen. Darüber hinaus sollte aber auch der Gesetzgeber<br />
handeln und durch die Bekräftigung des<br />
Grundsatzes der Tarifeinheit die Friedensfunktion<br />
des Flächentarifvertrages sichern.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Tarifrecht modernisieren“ veröffentlicht.<br />
Tariftreueregelungen rechtlich<br />
vor dem Aus<br />
Der EuGH hat den bestehenden Tariftreueregelungen<br />
in erfreulicher Klarheit eine Absage erteilt.<br />
So hat er in der Rechtssache „Rüffert“ am 3. April<br />
<strong>2008</strong> (C - 346 / 06) entschieden, dass die Abgabe<br />
einer Tariftreueerklärung, mit der sich der Auftragnehmer<br />
bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zur<br />
Einhaltung von Tarifverträgen verpflichtet und wie<br />
sie im Niedersächsischen Landesvergabegesetz<br />
vorgesehen ist, nicht mit der Entsenderichtlinie<br />
und der europäischen Dienstleistungsfreiheit vereinbar<br />
ist. In einer weiteren Entscheidung vom<br />
19. Juni <strong>2008</strong> in der Rechtssache „Kommission ./.<br />
Luxemburg“ (C - 319 / 06) hat der EuGH diese<br />
Rechtsprechung bestätigt und ausgeweitet. Artikel<br />
3 Abs. 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 96 / 71 / EG<br />
(Entsenderichtlinie) benenne abschließend die<br />
Rechtsinstrumente, mit denen die den entsandten<br />
Arbeitnehmern garantierten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen<br />
des Aufnahmemitgliedstaats<br />
festgelegt werden können.<br />
Als erste Reaktion auf die „Rüffert“-Entscheidung<br />
haben alle Bundesländer, deren Landesvergabegesetze<br />
Tariftreueregelungen enthalten<br />
(Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen,<br />
Saarland und Schleswig-Holstein),<br />
die verwaltungsinterne Anweisung gegeben, bis<br />
auf weiteres im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe<br />
keine Tariftreueerklärung mehr zu fordern.<br />
Darüber hinaus sind die Landesgesetzgeber<br />
nun gefordert, die Vergabevorschriften europarechtskonform<br />
zu gestalten.<br />
Folgen haben die Entscheidungen des Europäischen<br />
Gerichtshofs auch auf das laufende<br />
Gesetzgebungsverfahren zur Modernisierung<br />
des Vergaberechts des Bundes. Auch dort soll<br />
eine Regelung aufgenommen werden, auf deren<br />
Grundlage es zukünftig möglich sein soll, für die<br />
Auftragsausführung zusätzliche Anforderungen<br />
an Auftragnehmer zu stellen, die insbesondere<br />
soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte<br />
betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang<br />
mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus<br />
der Leistungsbeschreibung ergeben.<br />
Die BDA hat sich frühzeitig gegen die Einführung<br />
vergabefremder Aspekte in das Vergaberecht<br />
ausgesprochen. Die im Gesetzentwurf zur Modernisierung<br />
des Vergaberechts vorgeschlagene Ergänzung<br />
des § 97 Abs. 4 GWB um vergabefremde<br />
Kriterien wird dem Ziel, das Vergaberecht zu<br />
vereinfachen und dabei transparenter und mittelstandsfreundlicher<br />
zu gestalten, nicht gerecht. Mit<br />
jedem zusätzlichen Vergabekriterium wächst die<br />
Bürokratie bei der Ausschreibung sowohl für die<br />
Unternehmen als auch für die ausschreibende Verwaltung.<br />
Außerdem wird eine erhebliche Rechtsunsicherheit<br />
geschaffen. Unabhängig von den mit<br />
den vergabefremden Kriterien verfolgten konkreten<br />
politischen Zielen erweist sich das Vergaberecht<br />
nicht als probates Mittel zu deren Umsetzung. Die<br />
Berücksichtigung vergabefremder Aspekte, namentlich<br />
sozialer und umweltbezogener Aspekte,<br />
verfälscht den Wettbewerb um das wirtschaftlichste<br />
Angebot zu Lasten der öffentlichen Haushalte.<br />
Über allgemeinverbindliche Mindestlöhne nach<br />
dem Entsendegesetz hinaus besteht vor dem Hin-<br />
88 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik
tergrund der Entsenderichtlinie und der Dienstleistungsfreiheit<br />
keine Rechtfertigung für die Verpflichtung<br />
zur Einhaltung von Tariflöhnen.<br />
EuGH begrenzt die Ausübung<br />
kollektiver Rechte<br />
Der EuGH hat in zwei wichtigen Entscheidungen<br />
(EuGH vom 11. Dezember 2007, C-348 / 95, „Viking“,<br />
und vom 18. Dezember 2007, C-341/05<br />
„Laval“) zur Ausübung kollektiver Rechte bei<br />
grenzüberschreitenden Sachverhalten Stellung<br />
genommen. In beiden Fällen wurden zwar die<br />
kollektiven Rechte der Gewerkschaften als europäisches<br />
Grundrecht anerkannt. Zugleich hat der<br />
EuGH aber auch dessen Schranken aufgezeigt:<br />
Wird durch kollektive Maßnahmen in Grundfreiheiten<br />
eingegriffen – z. B. in die Niederlassungsund<br />
die Dienstleistungsfreiheit –, muss dieser Eingriff<br />
gerechtfertigt sein.<br />
In der Rechtssache „Viking“ wollte die finnische<br />
Fährgesellschaft Viking Line die zwischen<br />
Finnland und Estland verkehrende Fähre „Rosella“<br />
in Estland registrieren lassen, um eine estnische<br />
Besatzung beschäftigten zu können. Darauf reagierte<br />
die finnische Seemannsgewerkschaft mit einer<br />
kollektiven Maßnahme. Der EuGH entschied:<br />
Werde die kollektive Maßnahme gegenüber einem<br />
Unternehmen mit dem Zweck betrieben, dieses<br />
zum Abschluss eines Tarifvertrages zu veranlassen,<br />
dessen Inhalt geeignet ist, das Unternehmen<br />
davon abzuhalten, von seiner Niederlassungsfreiheit<br />
Gebrauch zu machen, unterfalle dies dem<br />
Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit.<br />
Damit erkennt der Gerichtshof zugleich an, dass<br />
die Niederlassungsfreiheit auch einem privaten<br />
Unternehmen Rechte verleiht, auf die es sich<br />
gegenüber einer Gewerkschaft berufen kann. In<br />
der Rechtssache „Laval“ hatte die schwedische<br />
Tochter einer lettischen Baufirma den Auftrag zu<br />
einem Schulausbau in Schweden erhalten und<br />
entsandte Arbeitnehmer aus Lettland. Laval hatte<br />
einen Tarifvertrag mit der lettischen Bauarbeitergewerkschaft<br />
abgeschlossen. Die schwedische Bauarbeitergewerkschaft<br />
ergriff hiergegen kollektive<br />
Maßnahmen in Form einer Baustellenblockade.<br />
Im Ergebnis stellte der EuGH einen Verstoß gegen<br />
die Entsenderichtlinie (Richtlinie 96/71/EG) und<br />
die Dienstleistungsfreiheit (Artikel 49 EG) fest. Den<br />
Baustellenboykott sah der EuGH als Beschränkung<br />
der Dienstleistungsfreiheit an, da eine solche<br />
Maßnahme geeignet sei, für ausländische Unternehmen<br />
die Durchführung von Bauarbeiten in<br />
Schweden weniger attraktiv zu machen oder gar<br />
zu erschweren. Ein Unternehmen könne allerdings<br />
nicht gezwungen werden, über das aus der Entsenderichtlinie<br />
folgende Maß hinaus Arbeits- und<br />
Beschäftigungsbedingungen zu gewährleisten, wie<br />
es im vorliegenden Fall aber die Forderung der Gewerkschaft<br />
war. Beide Entscheidungen haben keine<br />
unmittelbaren Auswirkungen auf das deutsche<br />
Recht, sie geben den Unternehmen aber mehr<br />
Sicherheit: Diese dürfen bei grenzüberschreitenden<br />
Aktivitäten auch von Gewerkschaften<br />
nicht zur Einhaltung nationaler Besonderheiten<br />
gezwungen werden, die über das sich aus der<br />
Entsenderichtlinie ergebende Maß hinausgehen.<br />
Allgemeinverbindlicherklärung als<br />
Ausnahmeinstrument erhalten<br />
Die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen,<br />
mit der auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer gesetzlich verpflichtet<br />
werden, einen Tarifvertrag anzuwenden, muss<br />
die Ausnahme in dem durch die Koalitionsfreiheit<br />
geprägten Tarifvertragssystem bleiben. Denn zur<br />
Koalitionsfreiheit gehört auch das Recht, Koalitionen<br />
fernzubleiben und auf die Anwendung von<br />
Tarifverträgen zu verzichten. Nur im Wettbewerb<br />
um die beste Tariflösung können notwendige Reformen<br />
der Tarifverträge vorangebracht werden.<br />
Durch die Koordinierung der Tarifausschüsse auf<br />
Landesebene konnte der Ausnahmecharakter der<br />
Allgemeinverbindlicherklärung, der zuletzt im Mindestlohnbeschluss<br />
des BDA-Präsidiums vom 20.<br />
April 2007 bestätigt wurde, gestärkt werden. Darin<br />
hatte die BDA nochmals die Voraussetzungen<br />
dargelegt, unter denen ein Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung<br />
von tariflichen Mindestlöhnen<br />
die Zustimmung der Arbeitgebervertreter im Tarifausschuss<br />
finden kann. Dazu gehört insbesondere,<br />
dass es sich grundsätzlich um die unterste<br />
Lohngruppe handelt und keine konkurrierenden<br />
Tarifverträge verdrängt werden.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen“<br />
veröffentlicht.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik 89
Allgemeinverbindlich erklärte Entgelt-Tarifverträge<br />
Stand: Dezember <strong>2008</strong><br />
Geltungsbereich<br />
Mindestentgelt<br />
Bauwirtschaft 10,70 €<br />
(Ost: 9,– €)<br />
Maler und Lackierer 8,05 €<br />
(Ost: 7,50 €)<br />
Dachdecker 10,20 €<br />
(West + Ost)<br />
Gebäudereiniger 8,15 €<br />
(Ost: 6,58 €)<br />
Elektrohandwerk 9,40 €<br />
(Ost: 7,90 €)<br />
Briefdienstleistungen 8,40 €<br />
(Ost: 8,– €)<br />
Friseurhandwerk<br />
Baden-Württemberg<br />
Bayern<br />
Hessen<br />
Niedersachsen<br />
NRW<br />
Pfalz<br />
Sachsen<br />
Thüringen<br />
6,38 €<br />
7,04 €<br />
5,34 €<br />
6,57 €<br />
7,60 €<br />
5,49 €<br />
3,06 €<br />
3,18 €<br />
Hotel- und Gaststättengewerbe<br />
NRW 6,30 €<br />
Wach- und Sicherheitsgewerbe<br />
Berlin<br />
Brandenburg<br />
Bremen<br />
Hessen<br />
NRW<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Saarland<br />
Sachsen<br />
Thüringen<br />
5,50 €<br />
5,00 €<br />
6,09 €<br />
6,03 €<br />
7,53 €<br />
5,35 €<br />
5,35 €<br />
5,01 €<br />
4,51 €<br />
Quellen: BDA, BMAS<br />
90 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Tarifpolitik 91
Deutschland muss Bildungsrepublik<br />
werden<br />
Bildung ist ein Schicksalsthema für Deutschland,<br />
von dem Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit<br />
sowie Wohlstand und soziale Sicherheit abhängen.<br />
Bildung muss daher im Rahmen gemeinsamer<br />
Anstrengungen überall auf Platz eins der<br />
politischen Agenda gesetzt werden. Um diese Prioritätensetzung<br />
zu unterstützen, hat das gemeinsame<br />
Präsidium von BDA und BDI am 15. September<br />
<strong>2008</strong> den Beschluss „Deutschland muss<br />
Bildungsrepublik werden“ gefasst.<br />
Der Beschluss enthält die Vorschläge der<br />
Wirtschaft für den Bildungsgipfel vom 22. Oktober<br />
<strong>2008</strong>. Gefordert wird eine Gesamtstrategie, die<br />
die Qualität von Bildung in allen Bereichen verbessert.<br />
Hierfür ist von besonderer Bedeutung,<br />
dass Deutschland sich gemeinsame Bildungsziele<br />
setzt, die in den jeweiligen Zuständigkeitsbereichen<br />
umgesetzt werden. Solche konkreten Ziele<br />
stellen sicher, dass der bildungspolitische Fortschritt<br />
sichtbar und damit messbar ist. Die Vorschläge<br />
von BDA und BDI sind verbunden mit der<br />
Zusage, Bund und Länder bei der Umsetzung zu<br />
unterstützen. Der Beschluss wurde am 1. Oktober<br />
<strong>2008</strong> von BDA-Vizepräsident Dr. Gerhard F. Braun<br />
im Rahmen einer Pressekonferenz, die ein breites<br />
Medienecho gefunden hat, vorgestellt.<br />
Bildungsgipfel: erster Schritt auf<br />
dem Weg zur Bildungsrepublik<br />
Am 22. Oktober <strong>2008</strong> haben Bund und Länder<br />
auf dem Bildungsgipfel in Dresden die Qualifizierungsinitiative<br />
für Deutschland „Aufstieg durch Bildung“<br />
vereinbart mit dem Ziel, bildungspolitische<br />
Reformen zu bündeln und zu intensivieren. Die<br />
jetzt von Bund und Ländern verabredeten Handlungsschritte<br />
weisen in die richtige Richtung. Sie<br />
müssen jedoch um weitere Themen und weitere<br />
konkrete Zielmarken ergänzt werden. BDA und<br />
BDI begrüßen, dass Bund und Länder wichtige<br />
Reformschwerpunkte, wie die Stärkung der frühkindlichen<br />
Bildung, die Verbesserung der Ausbildungsreife<br />
der Schulabgänger, die Stärkung der<br />
MINT-Bildung und der Berufsorientierung, mehr<br />
Durchlässigkeit im Bildungssystem und mehr Studienanfänger,<br />
in den Mittelpunkt ihrer Qualifizierungsinitiative<br />
gestellt haben. Zur Finanzierung<br />
erklären die Länder erfreulicherweise, dass sie<br />
den Ressourcenspielraum, der durch die demografische<br />
Entwicklung entsteht, insbesondere zur<br />
Verbesserung der Bildungsqualität nutzen. Auch<br />
ist sehr zu begrüßen, dass sich Bund und Länder<br />
einige wichtige Zielmarken gesetzt haben. So soll<br />
bis 2015 die Schulabbrecherquote auf 4 % und die<br />
Quote junger Menschen ohne Schulabschluss auf<br />
8,5 % halbiert werden; die Studienanfängerquote<br />
soll auf 40 % gesteigert werden. Allerdings bleiben<br />
wichtige Reformfelder komplett unberücksichtigt.<br />
Dazu gehören die Stärkung der ökonomischen<br />
Bildung in der Schule, eine Neuausrichtung der<br />
Lehrerbildung, das Thema „Ganztagsschule“ sowie<br />
mehr Selbstständigkeit für Schulen und Hochschulen.<br />
Nachlegen müssen Bund und Länder<br />
auch bei den konkreten Zielen: So muss z. B. das<br />
klare Ziel gesetzt werden, dass bis 2015 die Hälfte<br />
der Kindergartenleitungen über eine pädagogische<br />
Hochschulbildung oder vergleichbare Kompetenzen<br />
verfügt. Zur Stärkung der MINT-Bildung<br />
in der Schule müssen zwei naturwissenschaftlichtechnische<br />
Fächer bis zum Abitur Pflicht werden.<br />
Mit dem Bildungsgipfel haben sich Bund<br />
und Länder auf den Weg zur Bildungsrepublik<br />
gemacht. Weitere Konkretisierungs- und Umsetzungsschritte<br />
müssen nun zügig folgen, damit die<br />
Qualifizierungsinitiative positive Wirkungen zeigt.<br />
Dies werden BDA und BDI im Rahmen der Umsetzung<br />
der Initiative in den nächsten Monaten<br />
einfordern.<br />
„Bildungsagenda Schule <strong>2008</strong>“<br />
stellt Schulreformen auf den<br />
Prüfstand<br />
Die deutsche Wirtschaft hat in den letzten<br />
Jahren zu entscheidenden bildungspolitischen<br />
Fragen Stellung genommen und Impulse gegeben.<br />
Viele Reformen sind in Bund und Ländern,<br />
in Schulen und Hochschulen in Gang gekommen.<br />
Im Rahmen der „Bildungsagenda Schule <strong>2008</strong>“<br />
hat die Wirtschaft den Stand der Reformen in einigen<br />
wichtigen Handlungsfeldern analysiert, die<br />
Entwicklungen bewertet und noch fehlende Maßnahmen<br />
eingefordert. Im Mittelpunkt standen die<br />
Selbstständige Schule, die ökonomische Bildung<br />
und die Entwicklung der Lehrerbildung.<br />
96 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Schulpolitik“ veröffentlicht.<br />
Selbstständige Schule<br />
konsequent umsetzen<br />
Die Wirtschaft setzt auf einen Paradigmenwechsel<br />
im Schulsystem – weg von der administrativen<br />
Durchregulierung ohne Effizienzüberprüfung<br />
hin zu einem neuen System von selbstständigen<br />
Schulen und definierten, überprüften Zielen. Die<br />
Selbstständige Schule ist dabei Dreh- und Angelpunkt<br />
des Paradigmenwechsels im Schulsystem<br />
hin zu Wettbewerb und Profilbildung der einzelnen<br />
Schule.<br />
Zur Umsetzung der Selbstständigen Schule<br />
muss die Entwicklung in den Ländern über Modellversuche<br />
oder Teilselbstständigkeiten weit hinausgehen.<br />
Zu oft fehlt es noch an wirklichem Vertrauen<br />
in die Leistungsfähigkeit der Selbstständigen<br />
Schule. Die Schulen brauchen mehr Freiheiten,<br />
um einen individuellen Weg bei der Förderung<br />
ihrer Schüler einschlagen, eigene Schwerpunkte<br />
setzen, Lehrkräfte aussuchen, Verträge schließen<br />
und ein Budget verwalten zu können. Dabei muss<br />
der Schulleiter zum Chef des „Unternehmens“<br />
Schule werden. Für die Entwicklung der notwendigen<br />
Führungs- und Managementkompetenzen<br />
sind Erfahrungen der Unternehmen mit Leitung,<br />
Personalentwicklung und Verantwortung hilfreich.<br />
Dies machte BDA-Vizepräsident Dr. Braun im<br />
Rahmen der BDA/BDI-Tagung „Selbstständige<br />
Schule braucht Führung“ am 23. Juni <strong>2008</strong> in Berlin<br />
deutlich. Kultusminister Rau stellte den Entwicklungsstand<br />
der Selbstständigen Schule und<br />
die Rolle der Schulleitung in Baden-Württemberg<br />
vor und betonte die Notwendigkeit eines neues<br />
Führungsverständnisses in der Schule. Im Rahmen<br />
der Tagung wurde die neueste Publikation<br />
der von der BDA und dem Institut der deutschen<br />
Wirtschaft Köln getragenen Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
SCHULEWIRTSCHAFT vorgestellt:<br />
„Was Schulleiter als Führungskräfte brauchen“.<br />
Die Studie analysiert die Auswahl, die Qualifizierung<br />
und das Kompetenzprofil der Schulleiter in<br />
den Bundesländern und gibt Empfehlungen für die<br />
Aus- und Fortbildung von Schulleitern. Die Studienergebnisse<br />
fanden in Öffentlichkeit, Schulen,<br />
Politik und Presse ein breites Echo.<br />
Ökonomische Bildung: Schulfach<br />
Wirtschaft statt Häppchenwissen<br />
60 Jahre nach Einführung der Sozialen Marktwirtschaft<br />
fehlt in Deutschland immer noch eine<br />
umfassende ökonomische Bildung in der Schule<br />
als Kernbereich einer zielgerichteten Allgemeinbildung.<br />
BDA und BDI fordern deshalb ein Schulfach<br />
Wirtschaft an allen weiterführenden Schulen statt<br />
Häppchenwissen.<br />
Aktuelle Untersuchungen der Bertelsmann<br />
Stiftung und des Instituts der deutschen Wirtschaft<br />
Köln zeigen, dass Wirtschaft in Schulen immer<br />
noch ein Randthema ist. Die Verankerung wirtschaftlicher<br />
Grundkenntnisse in Schulbüchern und<br />
Lehrplänen ist absolut unzureichend. So wird häufig<br />
eine einseitig interessenorientierte Sichtweise<br />
vermittelt, während die Funktionsweisen von Unternehmen<br />
in sich ständig ändernden Märkten, die<br />
Leistungen von Unternehmern und auch die Motivation<br />
zur unternehmerischen Selbstständigkeit<br />
fehlen. Die Bertelsmann-Studie „Heute Schüler,<br />
morgen Unternehmer?“ hat mit beeindruckenden<br />
Zahlen belegt, dass sich sowohl Schüler als auch<br />
Lehrer eine breitere und fundierte Behandlung<br />
wirtschaftlicher Themen im Schulunterricht wünschen.<br />
Dabei haben die Jugendlichen durchweg<br />
großes Interesse an Wirtschaftsthemen, jeder<br />
Zweite schätzt sich selbst als Unternehmertyp ein.<br />
BDA und BDI haben sich intensiv mit diesem Thema<br />
befasst und ihre Forderung nach einer besseren<br />
ökonomischen Bildung in der Schule in einem<br />
6-Punkte-Katalog erneuert. Die Kultusminister<br />
und die Bundesbildungsministerin wurden aufgefordert,<br />
in einer umfassenden Initiative zusammen<br />
mit der Wirtschaft diese Punkte umzusetzen.<br />
Des Weiteren haben BDA, DIHK und ZDH,<br />
erste Gespräche mit Schulbuchverlagen geführt<br />
und gemeinsam Möglichkeiten diskutiert, wie Wirtschaftsthemen<br />
in Schulbüchern so aufbereitet<br />
werden können, dass sie Jugendlichen Lust und<br />
Mut machen, auch Selbstständigkeit und Unternehmertum<br />
für sich als interessante berufliche<br />
Perspektive auszuloten, und ihnen ein Verständnis<br />
davon vermitteln, wie Unternehmer in der modernen<br />
Wirtschaftswelt ihre Unternehmen führen<br />
müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung 97
9-Punkte-Plan der Wirtschaft für den Bund-Länder-Bildungsgipfel<br />
1. Frühkindliche Bildung zur ersten Stufe des Bildungssystems ausbauen<br />
Hier werden die entscheidenden Weichen für den Bildungserfolg gestellt. Es geht darum, unabhängig<br />
vom sozialen Hintergrund der Eltern frühzeitig die Potenziale aller Kinder zu entfalten und<br />
zur Einschulung eine deutsche Sprachfertigkeit sicherzustellen, die sie zur aktiven Teilnahme am<br />
Unterricht befähigt. Hierfür muss als erster Schritt ein obligatorisches beitragsfreies Vorschuljahr<br />
mit einem systematischen Vorschulcurriculum einschließlich obligatorischer Sprachstandstests eingeführt<br />
werden. Die Kindergartenleitung verfügt über eine pädagogische Hochschulausbildung oder<br />
vergleichbare Kompetenzen.<br />
2. Bedarfsgerechtes Ganztagsschulangebot und individuelle Förderung der Schüler sicherstellen<br />
Auf Basis regelmäßiger Kompetenzfeststellungen werden individuelle Förderpläne für Schüler erstellt<br />
und umgesetzt. Schwächen der Schüler können hierdurch abgebaut und gleichzeitig Stärken<br />
ausgebaut werden. Rhythmisierte Ganztagsschulen, die den Unterricht und das Lernen auf Vor- und<br />
Nachmittag verteilen, bieten hierfür besonders viel Raum und sollten daher bedarfsgerecht ausgebaut<br />
werden. Ziel muss die Sicherstellung der Ausbildungsreife der Schulabgänger sein.<br />
3. Unterricht und Lehre in Schule und Hochschule qualitativ verbessern<br />
Methodisch-didaktische Kompetenzen der Lehrenden sind Schlüssel zur Verbesserung der Lernergebnisse.<br />
Lehrer erfahren im Studium heute allerdings eher eine Prägung als Fachwissenschaftler.<br />
Für Hochschul-„Lehrer“ sind Drittmittel und Reputation ausschließlich an die Forschungsleistung<br />
gekoppelt. In Schule und Hochschule müssen daher stärkere Anreize zur Verbesserung der Lehre<br />
gesetzt werden, indem die Vergabe von Finanzmitteln an die Qualität des Unterrichts und der Lehre<br />
gekoppelt wird. Zudem muss die Aus- und Weiterbildung der Lehrenden praxisnäher gestaltet werden<br />
und verstärkt methodisch-didaktische Fertigkeiten vermitteln.<br />
4. Selbstständigkeit und Wettbewerb aller Bildungseinrichtungen stärken<br />
Schulen und Hochschulen müssen Autonomie in Finanz-, Verwaltungs- und Personalfragen erhalten.<br />
Im Gegenzug werden Unterstützungsangebote durch die Schulaufsicht und die zuständigen<br />
Länderministerien gestärkt. Die Bildungseinrichtungen können so ein eigenständiges Profil entwickeln<br />
und individuell auf besondere Herausforderungen reagieren. Dies ist Schlüssel für mehr<br />
Qualität.<br />
5. Demografische Rendite voll zur Finanzierung der Qualitätsverbesserungen<br />
im Bildungswesen einsetzen<br />
Durch die zurückgehenden Schülerzahlen entsteht ein wachsender finanzieller Spielraum, der allein<br />
im Schulbereich schon 2012 das Ausmaß von ca. 8 bis 10 Mrd. € p. a. annimmt. Diese Mittel müssen<br />
insbesondere für Investitionen in eine bessere Betreuung und individuelle Förderung der Schüler<br />
sowie für die Stärkung der frühkindlichen Bildung genutzt werden.<br />
98 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung
6. Impulse zur Sicherung des MINT-Nachwuchses setzen<br />
Schon heute fehlt es in viel zu vielen technischen und naturwissenschaftlichen Berufen an Nachwuchs.<br />
Daraus erwächst eine existenzielle Gefährdung des Industriestandortes Deutschland. Um<br />
dem entgegenzuwirken, müssen Unterricht und Lehre in Kindergarten, Schule und Hochschule bei<br />
MINT Prioritäten setzen. Eine verpflichtende Belegung von zwei naturwissenschaftlich-technischen<br />
Fächern bis zum Abitur und ein quantitativer wie qualitativer Ausbau der MINT-Studienkapazitäten<br />
sind zwingend.<br />
7. Ökonomische Bildung stärken<br />
Junge Menschen brauchen wirtschaftliche Grundkenntnisse und Kompetenzen, um mündige Wirtschafts-<br />
und Staatsbürger sein zu können. Die Vermittlung ökonomischer Inhalte sowie die Darstellung<br />
der Rolle und Verantwortung von Unternehmern im Wirtschafts- und Arbeitsprozess müssen<br />
fest in Lehrbüchern und im Unterricht verankert sein, um Mut zum Unternehmertum zu machen.<br />
Hierzu gehört insbesondere ein eigenständiges Unterrichtsfach Wirtschaft an allen allgemeinbildenden<br />
Schulen.<br />
8. Abschottung der verschiedenen Bildungswege überwinden und Durchlässigkeit<br />
zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung erhöhen<br />
Der Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte muss offen und transparent gestaltet werden; sie<br />
müssen ebenso wie Abiturienten Zugang zu den Auswahlverfahren der Hochschulen erhalten. Dies<br />
hilft, Abbrecherquoten zu senken, denn wer schon eine Berufsausbildung absolviert hat und vielleicht<br />
auch schon berufstätig ist, ist besonders motiviert, ein Studium zügig zu einem erfolgreichen<br />
Abschluss zu bringen. Und gerade in technischen Berufen Ausgebildete werden ein Studium in<br />
den auf dem Arbeitsmarkt besonders gefragten MINT-Fächern anstreben. Insgesamt ist berufliche<br />
Bildung mit der allgemeinen Bildung gleichzusetzen, denn neben dem allgemeinbildenden und dem<br />
hochschulischen Bildungssystem bietet die berufliche Aus- und Weiterbildung attraktive Qualifizierungswege.<br />
Dies muss sich in der Gestaltung des Deutschen Qualifikationsrahmens widerspiegeln.<br />
Durch tragfähige Modelle der Bildungsfinanzierung von Bund und Ländern kann eine Erhöhung der<br />
Weiterbildungsquote unterstützt werden.<br />
9. Hochschulfinanzierung investitionsorientiert ausrichten<br />
Das aktuelle Finanzierungssystem setzt für die Länder keine Anreize, das Angebot an Studienplätzen<br />
bedarfsgerecht und qualitätsorientiert auszubauen, sondern führt eher zu einem Abbau bestehender<br />
Kapazitäten. Die Finanzierung muss daher so umgestellt werden, dass die Qualität des<br />
Studiums verbessert und ein Ausbau von Studienplätzen zur Sicherung der Ersatzquoten für Fachkräfte<br />
erreicht wird. Eingerichtet werden muss insbesondere ein investitionsorientierter bundesweiter<br />
Finanzierungspool, in den die Länder einen Teil der Hochschulausgaben einbringen und der Aufwand<br />
und Ertrag verknüpft.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung 99
Ökonomische Bildung:<br />
das Jahresthema für<br />
SCHULEWIRTSCHAFT 2009 / 2010<br />
Dass jeder Jugendliche grundlegende Wirtschaftskenntnisse<br />
für seine berufliche und private Zukunft<br />
braucht, ist eine gemeinsame Grundüberzeugung<br />
von Lehrern und Unternehmensvertretern im<br />
SCHULEWIRTSCHAFT-Netzwerk.<br />
Die Schulen haben die Aufgabe, die Schüler<br />
an die Wirtschafts- und Arbeitswelt heranzuführen,<br />
ihnen Einblicke in wirtschaftliche Zusammenhänge<br />
und Abläufe zu vermitteln und sie mit<br />
den Grundlagen der Wirtschaftsordnung vertraut<br />
zu machen. Doch noch immer gelingt es vielen<br />
Schulen nicht, den Jugendlichen das notwendige<br />
Rüstzeug mit auf den Weg zu geben. Die Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
SCHULEWIRTSCHAFT<br />
hat sich deshalb für das Jahresthema 2009 / 2010<br />
„Ökonomische Bildung stärken. Schule und Wirtschaft<br />
in der Sozialen Marktwirtschaft“ entschieden.<br />
Ziel ist es, über Veranstaltungen, Workshops,<br />
Wirtschaftsplanspiele und Schülerfirmen das Interesse<br />
der Jugendlichen an wirtschaftlichen Zusammenhängen<br />
zu wecken und zu stärken sowie<br />
die ökonomische Bildung an Schulen zu verbessern.<br />
Eine Auftaktveranstaltung zum Thema ist im<br />
Frühjahr 2009 geplant.<br />
Praxistaugliche Lehrerbildung:<br />
noch nicht in Sicht<br />
Eine hochwertige und zielführende Aus- und Fortbildung<br />
der Lehrkräfte ist entscheidend für die<br />
Qualität von Unterricht, Bildung und Erziehung in<br />
unseren Schulen. Mit Blick auf die verhaltene Entwicklung<br />
der Reformen in diesem Bereich haben<br />
BDA und BDI aktuelle „Leitlinien für die Lehrerbildung“<br />
formuliert. In den letzten Jahren haben zwar<br />
in allen Bundesländern Reformen im Lehramtsstudium<br />
begonnen; es ist aber zu beobachten, dass<br />
die Kernprobleme – vor allem die Verbindung von<br />
Theorie und Praxis, erster und zweiter Phase,<br />
Berufsleben und Fortbildung – nicht gelöst sind.<br />
Die deutsche Wirtschaft hat 2003 das Konzept<br />
„Master of Education – Für eine neue Lehrerbildung“<br />
vorgelegt. An seinen Grundsätzen wurden<br />
nun die Reformen gespiegelt und daraus aktuelle<br />
Handlungsempfehlungen abgeleitet. Nach der Publikation<br />
für eine bessere ökonomische Bildung<br />
und der Tagung zur Selbstständigen Schule ist<br />
dies der dritte Baustein der Bildungsagenda der<br />
Wirtschaft für die Schule in diesem Jahr.<br />
Entscheidend für eine effektive Lehrerausbildung<br />
ist es:<br />
ein modernes Leitbild des Lehrers zugrunde<br />
zu legen, das die aktuellen Herausforderungen<br />
an der Schule aufgreift (heterogene<br />
Lernvoraussetzungen, Kompetenzorientierung<br />
des Unterrichts, Mitwirkung an der Schulentwicklung<br />
u. a. m.);<br />
die Studieninhalte konsequent am Berufsbild<br />
des Lehrers zu orientieren und von Anfang an<br />
konsequent Theorie und Praxis zu koppeln;<br />
Standards für die Lehrerbildung zu beschließen,<br />
umzusetzen und zu evaluieren;<br />
die Umstellung des Studiums auf Bachelor<br />
und Master konsequent umzusetzen;<br />
Zentren für Lehrerbildung an den Universitäten<br />
einzurichten;<br />
die Eignungsvoraussetzungen der Bewerber<br />
zu überprüfen und spätestens vor Aufnahme<br />
des Master-Studiums zum Entscheidungskriterium<br />
zu machen;<br />
eine eigene Exzellenzinitiative für die Lehrerbildung<br />
zu starten;<br />
eine systematische Berufseingangsphase für<br />
angehende Lehrkräfte zu konzipieren;<br />
Fort- und Weiterbildung als Teil der Schulund<br />
Personalentwicklung zu gestalten;<br />
die Wirksamkeit der Lehrerbildung empirisch<br />
zu erforschen.<br />
BDA und BDI wollen mit dieser Stellungnahme<br />
dazu beitragen, dass die aktuellen Reformen<br />
der Lehrerbildung in die richtige Richtung zielen<br />
und konsequent umgesetzt werden.<br />
100 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung
SCHULEWIRTSCHAFT-Studie<br />
„Was Schulleiter als Führungskräfte brauchen“<br />
Zentrale Ergebnisse und Empfehlungen: bundesweite Trends<br />
Die Verantwortung der Schulleitung für das Profil und die Organisationsentwicklung ihrer Schule ist<br />
weithin selbstverständlich.<br />
Die Verantwortungsübernahme der Schulleitung für die Personalrekrutierung und -entwicklung haben<br />
die Länder noch nicht konsequent durchdekliniert. Meist fehlen den Schulleitungen die dafür<br />
notwendigen Führungsmittel. Insbesondere das Führungsinstrument Zielvereinbarung wird noch zu<br />
wenig genutzt.<br />
Sachmittel- und Personalbudgets sind noch nicht konsequent auf die Einzelschule übertragen<br />
worden.<br />
Es gibt häufig Besetzungsprobleme von Schulleiterstellen. Sie sind Indiz für eine mangelnde Führungskräfteentwicklung<br />
der Länder und für nicht leistungsgerechte Bezahlung. Bei der Besetzung<br />
von Schulleiterstellen haben externe Führungskräfte kaum eine Chance.<br />
Die Führungskräfteentwicklung der Schulleitungen erfolgt erst in Ansätzen kontinuierlich und systematisch.<br />
Empfehlungen von SCHULEWIRTSCHAFT:<br />
Die Länder müssen den eingeschlagenen Weg zur Selbstständigen Schule konsequent weiterverfolgen.<br />
Die Personalverantwortung muss in die Eigenverantwortung der Schulleitungen gelegt werden.<br />
Für die Organisations- und Personalentwicklung benötigen Schulleitungen finanzielle Gestaltungsmöglichkeiten.<br />
Dafür müssen angemessene Ressourcen bereitgestellt und die bisher häufig noch<br />
zentral verwalteten Budgets konsequent auf die Einzelschule übertragen werden.<br />
Für die Besetzung von Schulleiterstellen soll ein qualifiziertes Einstellungsverfahren angewendet<br />
werden, das auch externen Bewerbern offensteht.<br />
Der Beamtenstatus soll zugunsten einer leistungsgerechten Personal- und Besoldungspolitik aufgegeben<br />
werden.<br />
Die Fortbildung soll konsequent auf eine nachfrageorientierte Fortbildung umgestellt werden und<br />
eine Öffnung zu freien Bildungsanbietern zulassen.<br />
Es müssen Ressourcen für eine systematische und professionelle Führungskräfteentwicklung,<br />
professionelle Begleitung der Schulleitung bei Veränderungsprozessen, Personalentwicklung und<br />
Personalausstattung sowie für die Schaffung leistungsgerechter finanzieller Anreizsysteme für Führungskräfte<br />
und Lehrer bereitgestellt werden.<br />
Die vollständige Studie ist unter www.schulewirtschaft.de abrufbar.<br />
Quelle: Studie der Bundesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT, Mai <strong>2008</strong>.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung<br />
101
Die Forderungen von BDA und BDI zur ökonomischen Bildung<br />
1. Wirtschaft muss ein eigenständiges Unterrichtsfach an allgemeinbildenden Schulen sein. Erst ein<br />
Fach Wirtschaft wird einen deutlichen Qualitätssprung in der Vermittlung ökonomischen Wissens<br />
und Könnens schaffen.<br />
2. Für die ökonomische Bildung sind wie für alle Fächer nationale Standards zu entwickeln, mit denen<br />
die zu erreichenden Kompetenzen definiert werden.<br />
3. Eine zielführende und hochwertige Aus- und Weiterbildung von Fachlehrern für die ökonomische<br />
Bildung ist notwendig, die wissenschaftlich fundiert und praxisnah ist.<br />
4. In Forschung und Lehre ist die Didaktik der Wirtschaftswissenschaften zu stärken und an Kapazitäten<br />
auszubauen.<br />
5. Schulbücher und Unterrichtsmaterialien spielen eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung ökonomischer<br />
Bildung an die Jugendlichen. Sie müssen um ausgewogene Darstellungen von Unternehmensabläufen<br />
und unternehmerischer Wertschöpfung ergänzt werden und auch Mut zum Unternehmertum<br />
machen.<br />
6. Ein anschaulicher, die Jugend ansprechender Unterricht Wirtschaft braucht die enge Zusammenarbeit<br />
mit der Wirtschaft, mit Unternehmen, Verbänden und Bildungswerken. Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaften<br />
SCHULEWIRTSCHAFT kooperieren bundesweit bereits Tausende von Schulen<br />
und Betrieben mit Schüler- und Lehrerpraktika, Berufs- und Betriebserkundungen, Planspielen und<br />
Schülerfirmen u. a. m.<br />
Quelle: Auszug aus der Resolution des BDA/BDI-Fachausschusses Bildung, Berufliche Bildung „Für eine<br />
bessere ökonomische Bildung in der Schule“, Mai <strong>2008</strong>.<br />
102 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung
Kooperationsprojekt mit der<br />
Bertelsmann Stiftung:<br />
Leitfaden zur Berufsorientierung<br />
Noch immer sind Vorgaben zur Berufsorientierung<br />
in den Bildungsplänen der Länder wenig konkret,<br />
wird Berufsorientierung an vielen Schulen<br />
noch nicht systematisch umgesetzt. Deshalb entwickeln<br />
die Bertelsmann Stiftung und SCHULE-<br />
WIRTSCHAFT in Zusammenarbeit mit der MTO<br />
Psychologische Forschung und Beratung GmbH<br />
zurzeit einen Leitfaden zur Berufsorientierung für<br />
allgemeinbildende Schulen.<br />
Der Leitfaden soll Schulen dabei unterstützen,<br />
auf der Basis von Qualitätsmanagement ein<br />
umfassendes systematisches Gesamtkonzept zur<br />
Berufsorientierung zu planen und umzusetzen.<br />
Zugleich soll er helfen, bereits vorhandene Berufsorientierungsaktivitäten<br />
an Schulen zu systematisieren<br />
und in ein Gesamtkonzept zu integrieren.<br />
Er soll praktische Anleitungen und Unterrichtsmaterialien<br />
zur Umsetzung einzelner Maßnahmen<br />
bieten und aufzeigen, wie gute Berufsorientierung<br />
an Schulen aussehen kann.<br />
Der Leitfaden wird aktuell in Modellregionen<br />
der Landesarbeitsgemeinschaften SCHULEWIRT-<br />
SCHAFT Baden-Württemberg und Nordrhein-<br />
Westfalen an je zehn Schulen erprobt und soll im<br />
Frühsommer 2009 veröffentlicht werden.<br />
Wettbewerb „Starke Schule“:<br />
bessere Berufsorientierung<br />
und Ausbildungsreife im Fokus<br />
Der Wettbewerb „Starke Schule. Deutschlands<br />
beste Schulen, die zur Ausbildungsreife führen“<br />
wird von der Hertie-Stiftung gemeinsam mit der<br />
BDA, der Bundesagentur für Arbeit und der Deutsche<br />
Bank Stiftung veranstaltet. Ausgezeichnet<br />
werden pädagogische Spitzenleistungen. Schulen<br />
werden bei der Qualifizierung ihrer Schüler für die<br />
Ausbildungsreife unterstützt.<br />
Der Wettbewerb ist die Fortentwicklung des<br />
bisherigen Hauptschulpreises, die sich deutlicher<br />
als bisher auf die Ausbildungsreife konzentriert<br />
und den unterschiedlichen Schulformen in den<br />
Bundesländern Rechnung trägt. Prämiert werden<br />
lernende und innovative Schulen, die auf Veränderungen<br />
in ihrem Umfeld aktiv und erfolgreich<br />
reagieren und den Schwerpunkt auf die Förderung<br />
der Berufsorientierung und Ausbildungsfähigkeit<br />
ihrer Schüler legen.<br />
Knapp 600 Schulen nehmen an dem Wettbewerb<br />
„Starke Schule“ teil. Zunächst werden bis zu<br />
drei Landespreise je Bundesland vergeben, anschließend<br />
unter den Landespreisträgern die drei<br />
Bundessieger ermittelt. Die Landesverleihungen<br />
werden von den jeweiligen Kultusministern vorgenommen,<br />
die Bundessieger werden am 5. Mai<br />
2009 von Bundespräsident Horst Köhler persönlich<br />
im Rahmen einer Feierstunde im Schloss<br />
Bellevue ausgezeichnet.<br />
Alle Preisträger werden zusätzlich in ein<br />
Netzwerk aufgenommen, das ihnen Fortbildungsveranstaltungen,<br />
Netzkonferenzen und Möglichkeiten<br />
zum Erfahrungsaustausch bietet. Immer<br />
bestätigt sich, dass die Preisträgerschulen auf<br />
andere Schulen ausstrahlen und die Wirkung der<br />
Auszeichnung innovativer Schulen weit über diese<br />
hinausreicht. So sind z. B. in Nordrhein-Westfalen<br />
Bausteine erfolgreicher Berufsorientierung des<br />
letzten Bundespreisträgers von der Landesregierung<br />
aufgegriffen und allen Schulen angeboten<br />
worden.<br />
Die BDA beteiligt sich aktiv in den Jurys und<br />
richtet die jährlichen Netzkonferenzen für die<br />
Preisträgerschulen aus. Der Wettbewerb wird außerdem<br />
von BDI, DIHK und ZDH sowie von allen<br />
Kultusministerien unterstützt.<br />
Startschuss für Initiative<br />
„Kooperation Schule-Wirtschaft<br />
in Ostdeutschland“ gefallen<br />
Der Beauftragte der Bundesregierung für die<br />
neuen Bundesländer, die BDA sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
SCHULEWIRTSCHAFT<br />
und die Landesarbeitsgemeinschaften SCHULE-<br />
WIRTSCHAFT in den neuen Ländern haben im<br />
November <strong>2008</strong> das Projekt „Kooperation Schule-<br />
Wirtschaft in Ostdeutschland” gestartet, mit dem<br />
in den nächsten zwei Jahren die Zusammenarbeit<br />
der lokalen Akteure unterstützt werden soll.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung 103
Die Initiative verfolgt das Ziel, erfolgreiche<br />
Modelle der örtlichen Zusammenarbeit von Schulen<br />
und regionaler Wirtschaft zu entwickeln und zu<br />
erproben, die die Übergangsphase von der Schule<br />
in die betriebliche oder hochschulische Ausbildung<br />
gestalten. Die Schüler sollen frühzeitig für ihre beruflichen<br />
Perspektiven interessiert, darüber informiert<br />
und auf die jeweiligen Anforderungen vorbereitet<br />
werden. Die Betriebe sollen ihrerseits durch<br />
Kooperationen mit den Schulen, durch verstärkte<br />
Ausbildung und durch spezifische Unterstützungsangebote<br />
den Schülern Ausbildungs- und Berufsperspektiven<br />
in der Region aufzeigen sowie die<br />
eigenen betrieblichen Abläufe näherbringen.<br />
Die Umsetzung soll durch eine zentrale Koordinierungsstelle<br />
in Thüringen unterstützt und entwickelte<br />
und erprobte Instrumente in die Fläche<br />
getragen werden. Eine Auftaktpressekonferenz<br />
wird im ersten Quartal 2009 stattfinden.<br />
Ausbildungsmarkt:<br />
mehr unbesetzte Ausbildungsplätze<br />
als unvermittelte Bewerber<br />
Ende September <strong>2008</strong> konnte für den Ausbildungsmarkt<br />
die beste Zwischenbilanz seit langem<br />
gezogen werden; das gute Vorjahresergebnis<br />
wurde zum Teil erneut übertroffen. In Industrie,<br />
Handel, Handwerk und freien Berufen wurden<br />
bis Ende September insgesamt 539.560 Ausbildungsverträge<br />
abgeschlossen, ein Plus von 1,7 %<br />
gegenüber dem Vorjahr.<br />
Auch die Daten der Bundesagentur für Arbeit<br />
zum 30. September zeigen eine deutliche Verbesserung<br />
der Ausbildungssituation: Die Zahl der<br />
unbesetzten Ausbildungsplätze war <strong>2008</strong> erstmals<br />
seit 2001 wieder höher als die der unversorgten<br />
Bewerber, und zwar um 5.000 Plätze. Zum Ende<br />
des Berufsberatungsjahres 2007/<strong>2008</strong> waren bei<br />
der Ausbildungsvermittlung 19.500 unbesetzte<br />
Ausbildungsplätze registriert. Ihnen standen noch<br />
14.500 unversorgte Bewerber gegenüber.<br />
Die Aussichten für die Nachvermittlung waren<br />
damit ausgezeichnet, denn neben den unbesetzten<br />
Ausbildungsplätzen standen den noch<br />
unvermittelten Bewerbern auch die Einstiegsqualifizierungen<br />
zur Verfügung. Dementsprechend<br />
konnte bereits im Oktober und November die Zahl<br />
der zum 30. September noch unvermittelt gemeldeten<br />
Bewerber um über 40 % auf 8.400 reduziert<br />
werden. Ihnen stehen noch über 20.000 Angebote<br />
(Ausbildungsplätze bzw. Einstiegsqualifizierungen)<br />
gegenüber.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Ausbildungsmarkt“ sowie die argumente<br />
„Wir bilden aus!“ veröffentlicht.<br />
Ausbildungspakt: erneut auf<br />
einem erfolgreichen Weg<br />
Bei der von BDA und BDI ausgerichteten Sitzung<br />
des Lenkungsausschusses Ausbildungspakt am<br />
13. Oktober unter Leitung von Arbeitgeberpräsident<br />
Dr. Dieter Hundt konnte für <strong>2008</strong> eine positive<br />
Zwischenbilanz gezogen werden. Die mit der<br />
Paktverlängerung im März 2007 erhöhten und sehr<br />
ehrgeizigen Zusagen der Wirtschaft sind <strong>2008</strong> umgesetzt<br />
und übertroffen worden.<br />
Bis Ende September wurden 68.300 neue<br />
Ausbildungsplätze (Zusage: 60.000) sowie 42.700<br />
neue Ausbildungsbetriebe (Zusage: 30.000) eingeworben.<br />
Darüber hinaus wurden 27.900 Plätze<br />
für Einstiegsqualifizierungen (Zusage: 40.000) zur<br />
Verfügung gestellt. Es ist zu erwarten, dass auch<br />
für dieses Instrument, das schwerpunktmäßig in<br />
der Nachvermittlung zum Einsatz kommt, in den<br />
nächsten Monaten das Ziel erreicht wird.<br />
Die Paktpartner sind sich trotz der positiven<br />
Zwischenbilanz aber auch bewusst, dass zahlreiche<br />
Jugendliche aufgrund mangelnder Ausbildungsreife<br />
noch Probleme an der Schwelle zwischen<br />
Schule und Ausbildung haben. Sie haben<br />
daher im Rahmen des Lenkungsausschusses die<br />
Themen vertiefte Berufsorientierung und Förderung<br />
insbesondere auch von Jugendlichen mit<br />
Migrationshintergrund aufgegriffen.<br />
Für den Übergang in Ausbildung ist eine fundierte<br />
und rechtzeitige Berufsorientierung in der<br />
Schule schon ab Klasse 7 entscheidend. Um Jugendliche<br />
gezielter und passgenauer bei der Berufswahl<br />
zu unterstützen, haben die Paktpartner<br />
zusammen mit der Kultusministerkonferenz (KMK)<br />
unter Federführung der BDA Eckpunkte eines ge-<br />
104 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung
<strong>2008</strong> erstmals seit sieben Jahren wieder mehr unbesetzte<br />
Ausbildungsstellen als unvermittelte Bewerber<br />
Nicht vermittelte /unversorgte Bewerber sowie unbesetzte Berufsausbildungsstellen<br />
am Ende des jeweiligen Berichtsjahres<br />
Bewerber<br />
60.000<br />
50.000<br />
40.000<br />
30.000<br />
20.000<br />
10.000<br />
0<br />
1997/98 1998/99 1999/2000 2000/01 2001/02 2002 /03 2003/04 2004/05 2005/06 2006/07 2007/08<br />
Jahr<br />
nicht vermittelte/unversorgte Bewerber<br />
unbesetzte Berufsausbildungsstellen<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit; Darstellung: BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung 105
meinsamen Konzepts „Berufswegeplanung ist Lebensplanung“<br />
vereinbart. Gemeinsames Ziel ist es,<br />
Berufsorientierung fest und kontinuierlich im Alltag<br />
jeder Schule zu verankern. Beitrag der Wirtschaft<br />
ist dafür insbesondere die verbindliche Zusage,<br />
jeder Schule einen Partner aus der Wirtschaft zu<br />
vermitteln. Die von Paktpartnern und KMK vereinbarten<br />
Eckpunkte werden in den kommenden<br />
Monaten bis zur nächsten Sitzung des Lenkungsausschusses<br />
gemeinsam weiterentwickelt.<br />
Zusammen mit der Integrationsbeauftragten<br />
der Bundesregierung haben die Paktpartner gezielt<br />
die Bildungs- und Ausbildungssituation von<br />
Jugendlichen mit Migrationshintergrund beraten.<br />
Es wurde verabredet, bis zur nächsten Sitzung<br />
des Lenkungsausschusses Maßnahmen und Ziele<br />
weiter zu konkretisieren. Gemeinsames Ziel ist<br />
die Verbesserung der Bildungsvoraussetzungen<br />
und Ausbildungschancen junger Migranten. Dabei<br />
muss auch – hierüber besteht im Ausbildungspakt<br />
Einigkeit – die statistische Kenntnis des Migrationshintergrundes<br />
insbesondere durch die Bundesagentur<br />
für Arbeit ermöglicht werden. Ziel ist<br />
eine bessere Erfassung der individuellen Voraussetzungen<br />
für eine bedarfsgerechtere und zielgenauere<br />
Förderung.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Ausbildungspakt“ veröffentlicht.<br />
Zusammenarbeit der Integrationsbeauftragten<br />
mit SCHULEWIRT-<br />
SCHAFT gestartet<br />
Jugendliche des Jugendintegrationsgipfels haben<br />
gegenüber der Bundeskanzlerin den Wunsch<br />
geäußert, frühzeitig mehr über die Arbeits- und<br />
Berufswelt zu erfahren und dafür den Kontakt<br />
zur Wirtschaft zu intensivieren. SCHULEWIRT-<br />
SCHAFT stellt deshalb diese Zielgruppe stärker<br />
in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. BDA-Vizepräsident<br />
Dr. Braun hat dementsprechend im Rahmen<br />
eines Gesprächs mit der Bundeskanzlerin,<br />
der Integrationsbeauftragten und den Vertretern<br />
des Jugendintegrationsgipfels SCHULE-<br />
WIRTSCHAFT als zentrales Netzwerk zur<br />
Verstärkung der Kooperation vorgestellt. Vereinbart<br />
wurde, dass die Jugendlichen des Integrationsgipfels<br />
die Arbeit und die Projekte von<br />
SCHULEWIRTSCHAFT zur Berufsorientierung<br />
und zur Verbesserung der ökonomischen Bildung<br />
kennen lernen und gemeinsam unter dem besonderen<br />
Fokus der Integration diskutieren. Des<br />
Weiteren soll die Zusammenarbeit mit dieser Zielgruppe<br />
intensiviert werden. Am 5. Dezember <strong>2008</strong><br />
fand die gemeinsame Veranstaltung „Mit besserer<br />
Berufsorientierung Integration fördern – Jugend<br />
und SCHULEWIRTSCHAFT im Dialog: Wer gut<br />
informiert ist, hat die Nase vorn!“ von SCHULE-<br />
WIRTSCHAFT mit der Integrationsbeauftragten<br />
statt. Die Schirmherrschaft für die Veranstaltung<br />
hat Bundeskanzlerin Merkel übernommen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Integration durch Bildung“ veröffentlicht.<br />
Ausbildungsbonus: untaugliches<br />
Instrument eingeführt<br />
Anfang September <strong>2008</strong> trat die grundsätzliche<br />
Regelung zum sog. Ausbildungsbonus in Kraft.<br />
Bundesregierung und Gesetzgeber haben sich<br />
damit über die fundamentalen und nachdrücklich<br />
vorgebrachten Bedenken von Wirtschaft und Gewerkschaften<br />
hinweggesetzt. Denn die Zielgruppe<br />
für diesen Bonus wurde viel zu weit gefasst. Nun<br />
drohen Mitnahmeeffekte und Fehlanreize auf dem<br />
Ausbildungsmarkt.<br />
Mit dem Bonus kann die Ausbildung praktisch<br />
aller Altbewerber – immerhin regelmäßig<br />
über 300.000 Jugendliche – gefördert werden,<br />
vorausgesetzt, ihr Ausbildungsplatz erfüllt das Kriterium<br />
der Zusätzlichkeit. Dabei werden Jahr für<br />
Jahr rund die Hälfte der Ausbildungsverträge mit<br />
Altbewerbern abgeschlossen – ganz ohne Bonus.<br />
Nicht zuletzt weil aktuell die Chancen für junge<br />
Menschen und insbesondere der Altbewerber auf<br />
Ausbildungsplätze gewachsen sind, ist eine solche<br />
Gießkannenförderung, die auch gute Schulabgänger<br />
einschließt und damit zu teuren Mitnahmeeffekten<br />
führt, abzulehnen. So hat sich <strong>2008</strong> der<br />
Anteil der Altbewerber an allen Ausbildungsbewerbern<br />
aufgrund gezielter Anstrengungen und<br />
Förderangebote in den Vorjahren auch ganz ohne<br />
Bonus bereits reduziert, absolut ist ihre Zahl um<br />
knapp ein Fünftel zurückgegangen. Kritisch ist bei<br />
der breiten Ausgestaltung der Zielgruppe insbesondere<br />
auch, dass gerade jene Unternehmen be-<br />
106 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung
nachteiligt werden, die in den vergangenen Jahren<br />
ohne Bonus und bei schwieriger wirtschaftlicher<br />
Lage zusätzlich ausgebildet haben und jetzt nicht<br />
noch einmal zulegen können. Dies demotiviert<br />
engagierte Ausbildungsbetriebe. Auch mittelfristig<br />
wirkt sich dieser Ausbildungsbonus negativ<br />
aus: Er torpediert die künftigen Anstrengungen, in<br />
wirtschaftlich schwierigen Zeiten und ohne Ausbildungsbonus<br />
Betriebe für zusätzliche Ausbildung<br />
zu gewinnen. Der Ausbildungsbonus stellt damit<br />
insgesamt eine schwere Hypothek für den Ausbildungsmarkt<br />
dar.<br />
Fachkräftenachwuchs durch<br />
moderne Berufe gewährleisten<br />
Die bedarfsgerechte Neuordnung und Modernisierung<br />
von Ausbildungsberufen gehört zu den<br />
Kernanliegen der BDA in der beruflichen Bildung.<br />
Neue Entwicklungen, sich ändernde Prozesse<br />
und Anforderungen müssen erkannt und kontinuierlich<br />
aufgegriffen werden, um bedarfsgerechte<br />
Qualifikationen zu gewährleisten. Gerade in den<br />
Bereichen, in denen moderne Technologien eine<br />
entscheidende Rolle spielen, hat der rasante technische<br />
Fortschritt unmittelbare Auswirkungen auch<br />
auf die Berufsausbildung. Die Fotobranche hat<br />
sich z. B. seit den Anfängen der digitalen Fotografie<br />
grundlegend verändert. Auch Hobbyfotografen<br />
nutzen zunehmend neue Technologien. Dem dadurch<br />
steigenden technischen Beratungsbedarf<br />
im Fotohandel wurde durch den neuen Beruf des<br />
Fotomedienfachmanns Rechnung getragen. Der<br />
technologische Wandel war auch Ausgangspunkt<br />
der Entwicklung der Ausbildung zum Produktionstechnologen<br />
sowie der Fortbildung zum Geprüften<br />
Prozessmanager Produktionstechnologie. Um<br />
auf geänderte Marktanforderungen reagieren zu<br />
können, benötigen die Unternehmen Fachkräfte,<br />
die nicht nur Produktionsveränderungen flexibel<br />
handhaben können, sondern dabei auch die gesamte<br />
Prozesskette überblicken. Mit dem neuen<br />
Aus- und Fortbildungsprofil in der Produktionstechnologie<br />
kann dieser Bedarf gedeckt werden.<br />
Berufe (Fachkraft für Automatenservice, Servicekraft<br />
für Schutz und Sicherheit sowie Speiseeishersteller/-in),<br />
die jeweils Anrechnungsmöglichkeit<br />
bei dreijährigen Berufen vorsehen. Damit wird<br />
nicht nur den unterschiedlichen Anforderungen der<br />
beruflichen Praxis Rechnung getragen, sondern<br />
auch dem unterschiedlichen Qualifikationsniveau<br />
der Ausbildungsbewerber. Die zweijährigen Berufe<br />
bieten in der Regel gerade leistungsschwächeren<br />
Jugendlichen einen erleichterten Einstieg in die<br />
duale Ausbildung. Bei erfolgreichem Abschluss<br />
besteht dann die Möglichkeit, die Ausbildung auf<br />
gemeinsamen Wunsch von Betrieb und Auszubildendem<br />
in einem dreijährigen Beruf fortzusetzen.<br />
Damit eröffnen sich für leistungsschwächere Jugendliche,<br />
die nicht über die erforderlichen Voraussetzungen<br />
für den direkten Einstieg in eine<br />
dreijährige Ausbildung verfügen, optimale weiterführende<br />
Qualifizierungswege.<br />
Auch in Zukunft wird sich die BDA dafür<br />
einsetzen, durch flexible Ausbildungsstrukturen<br />
sowohl auf die Anforderungen und Bedarfe der<br />
Wirtschaft als auch die unterschiedlichen Qualifikationsprofile<br />
der Jugendlichen einzugehen. Auch<br />
unter diesem Aspekt ist die vom Innovationskreis<br />
Berufliche Bildung (IKBB) empfohlene verstärkte<br />
Bildung von Berufsgruppen unterstützenswert:<br />
Gemeinsamkeiten erleichtern Übergänge bzw.<br />
die Anrechnung von erworbenen Kompetenzen.<br />
Voraussetzung für die Vernetzung mehrerer Ausbildungsberufe<br />
in einer Berufsgruppe muss aber<br />
immer das Vorliegen ausreichender Gemeinsamkeiten<br />
im Qualifikationsprofil sein, die sich z. B.<br />
auch in einer gemeinsamen Beschulung im ersten<br />
Ausbildungsjahr ausdrücken können. Sofern keine<br />
Schnittmengen mit bestehenden Berufen vorliegen,<br />
muss auch weiterhin die Verordnung von<br />
Einzelberufen möglich sein.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Moderne Strukturen in der dualen Ausbildung“<br />
veröffentlicht.<br />
Zum 1. August <strong>2008</strong> konnte die Ausbildung<br />
insgesamt in sieben neuen und in drei modernisierten<br />
Berufen starten (siehe Infokasten „Modernisierung<br />
der Ausbildungsordnungen konkret“). Unter<br />
den neuen Berufen befinden sich drei zweijährige<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung 107
Deutscher Qualifikationsrahmen:<br />
Erprobung muss Praxistauglichkeit<br />
und Mehrwert aufzeigen<br />
Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR), der<br />
Qualifikationen aller Bildungsbereiche in Zukunft<br />
transparent und damit vergleichbar machen soll,<br />
hat zum Jahresende <strong>2008</strong> konkrete Formen angenommen.<br />
Für die deutsche Wirtschaft sind die<br />
Kriterien der Praxistauglichkeit und des Mehrwerts<br />
entscheidend für den künftigen Erfolg des<br />
Instruments. Der Arbeitskreis DQR von Bundesministerium<br />
für Bildung und Forschung (BMBF)<br />
und KMK, in dem die BDA vertreten ist, will bis<br />
zum Frühjahr 2009 einen abschließenden Entwurf<br />
vorlegen. Dieser enge Zeitplan soll anschließend<br />
ausreichend Zeit für die praktische Erprobung des<br />
DQR-Entwurfs sicherstellen und der Empfehlung<br />
der Europäischen Kommission folgen, bis 2010<br />
die nationalen Bildungssysteme über ihre nationalen<br />
Qualifikationsrahmen an den Europäischen<br />
Qualifikationsrahmen (EQR) zu koppeln. Für die<br />
Wirtschaft wird diese Erprobungsphase entscheidend<br />
sein. Sie wird zeigen, ob der DQR praxistauglich<br />
ist und einen echten Mehrwert gerade<br />
auch für Personalverantwortliche in Unternehmen<br />
bietet. Dies ist nur der Fall, wenn der DQR leicht<br />
verständlich ist und die für seine Anwender relevanten<br />
Informationen enthält.<br />
Die Wirtschaft setzt sich weiterhin für eine<br />
Orientierung am Beschäftigungssystem und damit<br />
für eine konsequente Fokussierung auf Kompetenzen<br />
ein. Die Beschreibungen des DQR müssen<br />
zudem so offen formuliert sein, dass sich sowohl<br />
die hochschulische als auch die berufliche Bildung<br />
mit ihren jeweiligen Qualifikationen auf allen Stufen<br />
Modernisierung der Ausbildungsordnungen konkret<br />
Neue Berufe <strong>2008</strong>:<br />
Automatenfachmann/-frau, Fachkraft für Automatenservice<br />
(zweijähriger Beruf), Fotomedienfachmann/-frau,<br />
Personaldienstleistungskaufmann/-frau,<br />
Produktionstechnologe/-in, Servicekraft für Schutz<br />
und Sicherheit (zweijähriger Beruf), Speiseeishersteller/-in<br />
(zweijähriger Beruf)<br />
Neu geordnet wurden die Berufe:<br />
Fachkraft für Schutz und Sicherheit, Friseur/-in,<br />
Seiler/-in<br />
Im weiteren Erarbeitungsverfahren für die<br />
Neuordnung zum 1. August 2009 befinden<br />
sich die Berufe:<br />
Bergbautechnologe/-in (vormals: Bergmechaniker/-in),<br />
Fotograf/-in, Industrieelektriker/-in (neuer<br />
Beruf), Keramiker/-in, Musikfachhändler/-in, Pferdewirt/-in,<br />
Technische/-r Modellbauer/-in (vormals<br />
Modellbauer/-in; Modellbaumechaniker/-in), Werkfeuerwehrmann/-frau<br />
(neuer Beruf)<br />
In der beruflichen Fortbildung wurden im<br />
Berichtsjahr die folgenden Verordnungen<br />
erlassen (nach § 53 BBiG):<br />
Geprüfte/-r Fachwirt/-in für Versicherungen und<br />
Finanzen, Geprüfte/-r Industriemeister/-in Papierund<br />
Kunststoffverarbeitung, Geprüfte/-r Prozessmanager/-in<br />
Produktionstechnologie, Geprüfte/-r<br />
Immobilienfachwirt/-in, Geprüfte/-r Veranstaltungsfachwirt/-in,<br />
Wirtschaftsfachwirt/-in<br />
Im Neuordnungs- bzw. Erlassverfahren<br />
befinden sich die Fortbildungsverordnungen:<br />
Elektrotechniker/-in, Fachwirt/-in für Logistikdienstleistungen,<br />
Geprüfte/-r Industriemeister/-in Digital<br />
und Print, Geprüfte/-r Medienfachwirt/-in, Geprüfte/-<br />
r Meister/-in für Veranstaltungstechnik, Geprüfte/-r<br />
Polier/-in, Geprüfte/-r Sportfachwirt/-in, Geprüfte/-r<br />
Tourismusfachwirt/-in, Kraftverkehrsmeister/-in,<br />
Meister/-in für Lagerwirtschaft, Tierpflegemeister/-in<br />
108 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung
des Rahmens wiederfinden können. Nur so kann<br />
mehr Durchlässigkeit innerhalb des deutschen Bildungssystems<br />
erreicht werden. Entscheidend für<br />
den Erfolg des DQR wird die sachgerechte und<br />
einvernehmliche Zuordnung der Qualifikationen<br />
sein. Hierbei müssen alle relevanten Akteure beteiligt<br />
werden. Die deutsche Wirtschaft hat in ihrem<br />
Vorschlag für einen DQR vom März <strong>2008</strong> eine<br />
beispielhafte Zuordnung von Qualifikationen vorgenommen.<br />
Diese soll jedoch nur zur Orientierung<br />
dienen. Eine pauschale Einordnung bestimmter<br />
Abschlussarten entspricht nicht dem vereinbarten<br />
„Outcome“-Ansatz. Qualifikationen müssen<br />
individuell anhand der jeweils vermittelten Kompetenzen<br />
zugeordnet werden.<br />
Qualitätssicherung in<br />
der beruflichen Bildung:<br />
kein Einheitsrezept<br />
Die EU-Kommission hat im April <strong>2008</strong> einen Vorschlag<br />
für einen Europäischen Bezugsrahmen für<br />
die Qualitätssicherung in der beruflichen Aus- und<br />
Weiterbildung (EQARF) veröffentlicht. Damit sollen<br />
die EU-Mitgliedstaaten bei der Qualitätsverbesserung<br />
ihrer beruflichen Aus- und Weiterbildungssysteme<br />
unterstützt werden. Allerdings schießt<br />
der Vorschlag weit über die Ziele eines freiwilligen<br />
europäischen Qualitätssicherungsinstruments hinaus.<br />
Die europäischen Transparenzinstrumente<br />
wie der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR)<br />
oder das geplante Leistungspunktesystem für die<br />
berufliche Bildung (ECVET) beruhen auf dem Prinzip<br />
des gegenseitigen Vertrauens. Dieser Ansatz<br />
wird nur funktionieren, wenn die Mitgliedstaaten<br />
ihre Qualitätssicherungssysteme transparent gestalten<br />
und gegebenenfalls verbessern. Deshalb<br />
unterstützt die deutsche Wirtschaft das grundsätzliche<br />
Ziel der vorgeschlagenen Empfehlung, die<br />
Qualität der beruflichen Bildung in den EU-Ländern<br />
zu verbessern.<br />
In einer gemeinsamen Stellungnahme haben<br />
die Spitzenorganisationen der deutschen Wirtschaft<br />
jedoch die Detailliertheit des Vorschlages<br />
kritisiert, die eine freiwillige einheitliche Anwendung<br />
in den sehr heterogenen europäischen Berufsbildungssystemen<br />
gefährdet. Dies gilt insbesondere<br />
für die von der EU-Kommission vorgeschlagenen<br />
zehn Indikatoren, die Grundlage für die Qualitätssicherung<br />
sein sollen. Ein europäischer Bezugsrahmen<br />
kann aufgrund der Unterschiedlichkeit<br />
der Systeme keine einheitlichen Kriterien für die<br />
Qualitätssicherung vorschreiben, sondern nur Anregungen<br />
zur Verbesserung und zur Transparenz<br />
verschiedener Qualitätssicherungssysteme geben.<br />
Ein übergreifender europäischer Referenzrahmen<br />
muss so flexibel ausgestaltet sein, dass er<br />
den Mitgliedstaaten genügend Spielraum bietet,<br />
die Besonderheiten ihres jeweiligen Systems bei<br />
der Umsetzung zu berücksichtigen. Der EQARF<br />
kann daher nur eine Orientierungshilfe zur freiwilligen<br />
Nutzung in den Mitgliedstaaten sein, darf<br />
aber keine verbindlichen Vorgaben machen. Die<br />
Stellungnahme wurde sowohl auf nationaler als<br />
auch auf europäischer Ebene (EU-Kommission,<br />
EU-Parlament) breit gestreut.<br />
Durchlässigkeit erhöhen:<br />
Hochschulen für beruflich<br />
Qualifizierte öffnen<br />
Die mangelnde Durchlässigkeit zwischen beruflicher<br />
und hochschulischer Bildung stellt eine<br />
schwere Hypothek für den Bildungs- und Wirtschaftsstandort<br />
Deutschland dar. Noch immer<br />
müssen beruflich Qualifizierte, die studierfähig<br />
sind, hohe Hürden überwinden, um studieren zu<br />
können. Bundesweit liegt der Anteil der Studierenden,<br />
die auf Basis ihrer beruflichen Qualifikation<br />
ein Studium aufgenommen haben, bei unter 1 %.<br />
Bund und Länder haben auf dem Bildungsgipfel<br />
im Oktober <strong>2008</strong> entschieden, dass bundesweit<br />
einheitliche Rahmenbedingungen für beruflich<br />
qualifizierte Studieninteressenten geschaffen und<br />
Zugangswege zur Hochschule erweitert werden<br />
sollen. Diese Entscheidung ist ein Schritt in die<br />
richtige Richtung, greift jedoch deutlich zu kurz.<br />
BDA und BDI setzen sich daher weiterhin mit<br />
Nachdruck dafür ein, dass für den Hochschulzugang<br />
gilt: Wer studierfähig ist, muss auch studieren<br />
können. Die tatsächlich erworbenen Kompetenzen<br />
jedes einzelnen Studienbewerbers müssen<br />
den Ausschlag für die Zulassungsentscheidung<br />
geben. Angesichts des in den kommenden Jahren<br />
dramatisch steigenden Fachkräftebedarfs an<br />
Hochqualifizierten muss die Studienanfängerquote<br />
in Deutschland auf deutlich über 40 % gesteigert<br />
werden. Formale Ausschlussgründe vom Studium<br />
sind nicht akzeptabel und führen zu einer unnöti-<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung 109
gen und nicht hinnehmbaren Verschwendung von<br />
Potenzial. Die weitere Öffnung der Hochschulen<br />
bleibt eine wichtige Voraussetzung, um ein breites<br />
Spektrum an individuellen und vielfältigen Qualifizierungsmöglichkeiten<br />
zu schaffen.<br />
BDA, BDI und die Hochschulrektorenkonferenz<br />
(HRK) haben ihre Forderung nach einer<br />
bundesweit einheitlichen Neuregelung des Hochschulzugangs<br />
für beruflich Qualifizierte in einem<br />
gemeinsamen Memorandum formuliert. Alle Absolventen<br />
einer anerkannten Berufsausbildung sollen<br />
demnach das Recht haben, an den Zulassungsverfahren<br />
für ein Hochschulstudium teilzunehmen.<br />
Dieses Recht darf nicht an weitere formale Voraussetzungen<br />
gekoppelt werden, da solche Kriterien<br />
den Kreis der potenziellen Studierenden unnötig<br />
beschränken. Die Auswahl der Studierenden<br />
muss in der Autonomie der Hochschulen liegen,<br />
die hierfür transparente und leistungs- und profilorientierte<br />
Kriterien festlegen. Das Memorandum<br />
ist unter www.arbeitgeber.de abrufbar.<br />
Um die Durchlässigkeit zwischen beruflicher<br />
und hochschulischer Bildung weiter zu erhöhen,<br />
müssen Hochschulen darüber hinaus viel stärker<br />
von ihrem Recht Gebrauch machen, in Ausbildung<br />
und Beruf erworbene Kompetenzen auf das<br />
Hochschulstudium anzurechnen. Dies ermöglicht<br />
Studierenden einen zügigeren Studienverlauf und<br />
hilft, unnötige Doppelqualifikationen zu vermeiden.<br />
BDA, BDI und HRK planen zu diesem Thema im<br />
Jahr 2009 eine gemeinsame Empfehlung.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Hochschulpolitik“ sowie den kompakt „Quartäre<br />
Bildung“ veröffentlicht.<br />
Startschuss für „MINT Zukunft<br />
schaffen“ gefallen<br />
Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels im<br />
naturwissenschaftlich-technischen Bereich haben<br />
BDA und BDI am 5. Mai <strong>2008</strong> eine gemeinsame<br />
MINT-Strategie (Mathematik, Informatik,<br />
Naturwissenschaften, Technik) unter dem Vorsitz<br />
von Thomas Sattelberger, Personalvorstand<br />
Deutsche Telekom AG und Vorsitzender des<br />
BDA/BDI/HRK-Arbeitskreies Hochschule/Wirtschaft,<br />
gestartet. Als Schirmherrin von „MINT<br />
Zukunft schaffen“ konnte die BDA Bundeskanzlerin<br />
Merkel gewinnen. Ziel ist es, in den kommenden<br />
sechs Jahren insbesondere die Zahl der<br />
MINT-Studienanfänger und -absolventen sowie<br />
der qualifizierten Bewerber um Ausbildungsplätze<br />
in MINT-Berufen zu erhöhen. Durch das<br />
gemeinsame Auftreten und die Bündelung der<br />
vielfältigen MINT-Aktivitäten der Unternehmen<br />
und Verbände soll den bildungspolitischen Forderungen<br />
der Wirtschaft stärkerer Nachdruck<br />
verliehen werden.<br />
„MINT Zukunft schaffen“ vernetzt die vielfältigen<br />
und seit Jahren sehr erfolgreich arbeitenden<br />
regionalen und branchenbezogenen MINT-Initiativen<br />
der Unternehmen und Verbände stärker miteinander.<br />
Der MINT-Navigator, Herzstück des Internetportals<br />
der Initiative, bietet Informationen und<br />
Zugang zu mehr als 140 MINT-Einzelinitiativen.<br />
Die zwei wesentlichen Instrumente, die der Initiative<br />
Schlagkraft verleihen, sind das MINT-Barometer<br />
sowie die MINT-Botschafter. Im Rahmen<br />
des MINT-Barometers, das in Zusammenarbeit<br />
mit dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln<br />
erarbeitet wird, werden zukünftig jährlich komprimiert<br />
Zahlen und Fakten zu MINT veröffentlicht.<br />
Der Startschuss für die MINT-Botschafter-Aktivitäten<br />
fiel am 17. November <strong>2008</strong> im Rahmen der<br />
Botschafter-Auftaktkonferenz mit mehr als 200<br />
Gästen, insbesondere Schülern, Lehrern, Studierenden,<br />
Eltern und Vertretern aus Wissenschaft,<br />
Wirtschaft und Politik. MINT-Professionals stellten<br />
dar, warum sie sich für einen MINT-Beruf entschieden<br />
haben und welche Aspekte sie an den<br />
MINT-Disziplinen faszinieren. In einem Live-Chat<br />
diskutierten MINT-Botschafter deutschlandweit<br />
miteinander, wie bei Kindern und Jugendlichen<br />
Begeisterung für Naturwissenschaften und Technik<br />
geweckt werden kann. Die in das Internetportal<br />
eingebundene Botschafter-Plattform, die im<br />
Rahmen der Veranstaltung freigeschaltet wurde,<br />
vernetzt die Aktiven und bietet für interessierte<br />
Schulen und Hochschulen Informationen und<br />
Kontaktmöglichkeiten zu den MINT-Botschaftern.<br />
Mehrere tausend MINT-Botschafter werden in den<br />
kommenden Jahren in Informationsveranstaltungen,<br />
Betriebsbesichtigungen etc. bei Schülern<br />
und insbesondere Schülerinnen die Begeisterung<br />
für MINT wecken und Wissen über attraktive Berufseinstiege<br />
und Karrierewege für MINT-Professionals<br />
vermitteln.<br />
110 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung
Aktiv für MINT –<br />
die Handlungsschwerpunkte von „MINT Zukunft schaffen“<br />
MINT-Programmatik<br />
„MINT Zukunft schaffen“ definiert eindeutige Ziele<br />
für das Engagement von Wirtschaft, Bildungsträgern<br />
und Politik und kommuniziert den jeweiligen<br />
Stand auf dem Weg dorthin.<br />
MINT-Barometer<br />
Das MINT-Barometer überprüft kontinuierlich den<br />
Fortschritt der MINT-Ziele. Wir wollen Zahlen, Daten<br />
und Fakten zusammenstellen, um sichtbar zu<br />
machen, welche Erfolge in Deutschland auf dem<br />
Weg zu mehr MINT erreicht worden sind.<br />
MINT-Botschafter<br />
MINT wird von Menschen gemacht! Die MINT-<br />
Botschafter sind das menschliche Gesicht zur<br />
MINT-Idee, sie machen Mut und motivieren junge<br />
Menschen, sich an MINT heranzuwagen. MINT-<br />
Botschafter-Tätigkeiten sind sehr vielfältig.<br />
MINT-Portal<br />
Das MINT-Portal ist die digitale Multiplikationsplattform<br />
der MINT-Initiativen. Das Portal ist medialer<br />
Verstärker für den MINT-Gedanken und macht alle<br />
Informationen rund um die MINT-Projekte für Lernende,<br />
Lehrende und Eltern zugänglich.<br />
MINT-Konferenzen<br />
Regelmäßige Veranstaltungen vernetzen die MINT-<br />
Gemeinschaft, verbreitern die Wissensbasis und<br />
stoßen neue Initiativen an. Hier wird „MINT Zukunft<br />
schaffen“ vor- und mitgelebt.<br />
MINT-Öffentlichkeitsarbeit<br />
„MINT Zukunft schaffen“ will eine breite Öffentlichkeit<br />
für die MINT-Thematik gewinnen und noch<br />
mehr Engagement für MINT entfachen. Austausch<br />
in Netzwerken ist das Ziel.<br />
Ansprechpartnerin<br />
Dr. Ellen Walther-Klaus<br />
Geschäftsführerin der Initiative<br />
„MINT Zukunft schaffen“<br />
Spreeufer 5<br />
10178 Berlin<br />
T +49 30 21230-828<br />
F +49 30 21230-959<br />
www.mintzukunft.de<br />
MINT-Preise<br />
An deutschen Schulen und Hochschulen existiert<br />
vielfältiges Engagement für MINT-Bildung. Der<br />
Deutsche Arbeitgeberpreis für Bildung zeichnete<br />
im Jahr <strong>2008</strong> die nachhaltige Heranbildung von<br />
MINT-Kompetenzen aus.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung 111
112 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung
Forderungen und Zusagen der Personalvorstände in der<br />
Erklärung „Bachelor Welcome – MINT-Nachwuchs sichern!“<br />
Forderungen<br />
Hochschulen sollen die Umstellung auf Bachelor- und Master-Abschlüsse und die Weiterentwicklung<br />
der grundständigen und weiterbildenden Studiengänge zügig vorantreiben, angemessene<br />
Bildungsziele formulieren und die Lehrpläne erneuern.<br />
Hochschulen sollen insbesondere in den Bachelor-Studiengängen in MINT-Fächern die Bologna-<br />
Ziele der Vermittlung beschäftigungsbefähigender Basis- und Schlüsselqualifikationen erfüllen.<br />
Die Integration von Praxiseinsätzen in die Studienstruktur ist dazu ein wesentliches Element.<br />
Politik und Hochschulen sollen die Absolventenzahlen in den MINT-Studiengängen steigern, ohne<br />
die Qualität zu verwässern. Die hohen Abbrecherquoten müssen durch bessere Betreuung und<br />
frühzeitige Praxisorientierung gesenkt werden.<br />
Bund und Länder sollen die Finanzierung der MINT-Studienplätze durch einen Hochschulpakt auch<br />
für die Jahre 2010 bis 2020 sicherstellen. Es gilt, die Chance zu nutzen, auf der Basis der steigenden<br />
Anzahl an Studienberechtigten eine große Anzahl an qualifizierten Absolventen in den MINT-<br />
Fächern auszubilden.<br />
Länder und Hochschulen sollen sich für eine stärkere Durchlässigkeit zwischen beruflicher und<br />
hochschulischer Bildung öffnen und zielgruppengerechte Angebote für beruflich Qualifizierte entwickeln.<br />
Ebenso sollten weiterbildende berufsbegleitende Bachelor-Studiengänge insbesondere im<br />
MINT-Bereich entwickelt und angeboten werden.<br />
Die Länder sollen durch ein förderndes, chancengerechtes und durchlässiges Schulsystem möglichst<br />
viele Schüler zur Hochschulreife führen. Rund die Hälfte eines Altersjahrgangs sollte eine<br />
Studienberechtigung erwerben.<br />
Zusagen<br />
Die Unternehmen<br />
öffnen MINT-Bachelor-Absolventen attraktive Berufseinstiege und Karrierewege.<br />
wirken an der Entwicklung von Angeboten an wissenschaftlicher Weiterbildung aktiv mit und nutzen<br />
diese sowohl für akademisch als auch für beruflich qualifizierte Mitarbeiter aus dem MINT-Bereich<br />
bei der Personalentwicklung.<br />
fördern gemeinsam mit den Hochschulen den Ausbau von attraktiven dualen MINT-Studiengängen.<br />
unterstützen die Hochschulen dabei, den Praxisbezug ihrer Studiengänge zu steigern. Dazu werden<br />
sie z. B. mehr Fachkräfte aus dem MINT-Bereich als Dozenten zur Verfügung stellen, mehr MINT-<br />
Praktika anbieten oder MINT-Lehrende temporär in Unternehmen einbinden.<br />
führen ihre vielfältigen Initiativen und Projekte zur Förderung des MINT-Nachwuchses fort und<br />
erweitern diese.<br />
leisten in den Schulen einen Beitrag, das Interesse an MINT-Berufen und -Studiengängen deutlich<br />
zu erhöhen.<br />
machen gelungene Karrieren von Frauen als Ingenieurinnen und Naturwissenschaftlerinnen bekannt<br />
und gewinnen durch eine familiengerechte Personalpolitik mehr Schülerinnen für ein Studium<br />
in einem MINT-Fach.<br />
Die vollständige Erklärung ist unter www.arbeitgeber.de und www.stifterverband.de abrufbar.<br />
Quelle: Auszug aus der Erklärung „Bachelor Welcome – MINT-Nachwuchs sichern!“, 20. Juni <strong>2008</strong>.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung 113
Deutscher Arbeitgeberpreis für Bildung <strong>2008</strong><br />
„Zukunft = Bildung x MINT 2 “<br />
Gut ausgebildete Fachkräfte aus den Bereichen<br />
Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und<br />
Technik sind essenziell, um den Wirtschafts- und<br />
Technologiestandort Deutschland auch in Zukunft<br />
zu sichern. Mit neuen, innovativen Produkten und<br />
Dienstleistungen müssen sie die Marktchancen<br />
Deutschlands im globalen Wettbewerb behaupten.<br />
Um dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel<br />
entgegenzuwirken und den Bedarf an Fachkräften<br />
zu decken, besteht eine wesentliche Aufgabe darin,<br />
Kinder und Jugendliche so früh wie möglich für<br />
MINT-Themen zu begeistern.<br />
Prämiert wurden in den drei Kategorien Vorschulische<br />
Einrichtung, Schule und Hochschule<br />
die besten Bildungskonzepte zur Förderung und<br />
Vertiefung der MINT-Kompetenzen bei Kindern,<br />
Schülern und Studierenden. Erstmals wurden<br />
zwei Sonderpreise Diversity vergeben, mit denen<br />
die besondere Bedeutung der Vielfältigkeit von<br />
Lernkontexten sowie die Notwendigkeit einer individuellen<br />
Förderung von Lernenden hervorgehoben<br />
wurden. Die Preisträger zeichnet aus, dass<br />
ihre Konzepte auf andere Einrichtungen übertragbar<br />
sind.<br />
Preisträger sind<br />
in der Kategorie Vorschulische Einrichtung<br />
der Städtische Kindergarten Rindelbach,<br />
Ellwangen<br />
in der Kategorie Schule<br />
das Ratsgymnasium Wolfsburg,<br />
www.mathematik.uni-hildesheim.de/rgw<br />
in der Kategorie Hochschule<br />
die Universität Bremen,<br />
www.uni-bremen.de<br />
Preisträger des Sonderpreises Diversity sind<br />
die Waldhof-Kindertagesstätte Templin<br />
die Fachhochschule Brandenburg,<br />
www.fh-brandenburg.de<br />
Weitere Informationen zum Arbeitgeberpreis für<br />
Bildung unter www.arbeitgeber.de<br />
Mit Unterstützung der Deutsche Bahn AG erhielt<br />
jede ausgezeichnete Initiative ein Preisgeld von<br />
10.000 €. Die Preisverleihung fand im Rahmen<br />
des Deutschen Arbeitgebertages am 4. November<br />
<strong>2008</strong> statt.<br />
114 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung
Für mehr Ingenieure!<br />
Der Engpass an Fachkräften mit MINT-Qualifikationen<br />
ist in den Ingenieurwissenschaften besonders<br />
ausgeprägt. Aktuell besteht nach Erhebungen<br />
des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln allein<br />
in den Ingenieurberufen eine Fachkräftelücke<br />
von 70.000 Stellen. Gleichzeitig interessieren<br />
sich trotz hervorragender Arbeitsmarktchancen<br />
nach wie vor zu wenige junge Menschen für ein<br />
ingenieurwissenschaftliches Studium, und die Abbrecherquoten<br />
in diesen Studienfächern liegen<br />
überdurchschnittlich hoch. BDA, BDI, HRK und<br />
der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft<br />
haben daher im Dezember <strong>2008</strong> zur Tagung „Für<br />
mehr Ingenieure!“ eingeladen, um im Dialog zwischen<br />
Vertretern von Wissenschaft und Wirtschaft<br />
Perspektiven und Wege zu entwickeln, wie Studium<br />
und Weiterbildung in den Ingenieurwissenschaften<br />
attraktiver und effizienter gestaltet werden<br />
können. Im Mittelpunkt standen die Fragen, wie<br />
mehr Frauen für ein ingenieurwissenschaftliches<br />
Studium gewonnen, die hohen Abbrecherquoten<br />
gesenkt und die Aktivitäten der Hochschulen in<br />
der ingenieurwissenschaftlichen Weiterbildung<br />
gesteigert werden können. Die Tagung setzt die<br />
gemeinsame Veranstaltungsreihe „Bildungsmarkt<br />
und Arbeitsmarkt im Dialog“ im siebten Jahr fort.<br />
Bologna weiterentwickeln!<br />
Zum Wintersemester <strong>2008</strong>/2009 sind bereits 75 %<br />
aller Studiengänge auf die gestufte Studienstruktur<br />
umgestellt. Fast jeder dritte Studierende an<br />
deutschen Hochschulen ist mittlerweile in einem<br />
Bachelor- bzw. Master-Studiengang eingeschrieben.<br />
Die Zahl der Absolventen dieser neuen Studiengänge<br />
ist mit 14 % allerdings noch gering, da<br />
die Mehrzahl noch nicht den Studienabschluss erreicht<br />
hat. Mehr als 2.000 Studiengänge sind noch<br />
nicht umgestellt, rund 80 % dieser Programme<br />
führen zu staatlichen Abschlüssen (insbesondere<br />
Medizin, Rechtswissenschaft und Lehramt). Hier<br />
ist die Politik gefordert, die Umstellung zügig und<br />
sachgerecht voranzutreiben. Umwege oder Hinhaltetaktik<br />
sind in keiner Weise zielführend und<br />
beschädigen das Ansehen der Bologna-Reform.<br />
Ebenfalls nicht akzeptabel sind Äußerungen<br />
aus berufsständischen Organisationen im Hochschulbereich,<br />
die sich für ein Moratorium für noch<br />
nicht umgestellte Studiengänge und für den Master<br />
als Regelabschluss aussprechen. Die BDA ist<br />
gemeinsam mit dem BDI und dem Stifterverband<br />
für die Deutsche Wissenschaft solchen rückwärtsgewandten<br />
Forderungen öffentlichkeitswirksam<br />
massiv entgegengetreten und hat sich nachdrücklich<br />
für weitere Reformanstrengungen an den<br />
Hochschulen ausgesprochen.<br />
Auf der europäischen Ebene hat im Jahr <strong>2008</strong><br />
eine intensive Diskussion über die Frage der Weiterentwicklung<br />
des Bologna-Prozesses nach 2010<br />
(„Bologna beyond 2010“) begonnen. In den entsprechenden<br />
Gremien herrscht Einigkeit darüber,<br />
dass es nach wie vor Defizite bei der Implementierung<br />
der Bologna-Strukturen gibt, an denen weitergearbeitet<br />
werden muss. Daneben stellen die<br />
demografische Entwicklung und die Globalisierung<br />
Herausforderungen dar, denen sich die Bologna-<br />
Staaten bei der Gestaltung des europäischen<br />
Hochschulraumes stellen müssen. Besondere<br />
Bedeutung muss auch weiterhin den Aspekten<br />
Qualitätssicherung, Mobilität und Beschäftigungsfähigkeit<br />
zukommen. Diese Gesichtspunkte der<br />
Fortführung des Bologna-Prozesses auch über<br />
das Zieljahr 2010 hinaus werden Eingang in die<br />
Formulierungen des nächsten Kommuniqués finden,<br />
das im Rahmen des Ministertreffens im April<br />
2009 im belgischen Leuven unterzeichnet werden<br />
wird. BusinessEurope ist in den jeweiligen<br />
Gremien durch die BDA vertreten, die sich damit<br />
intensiv am Diskussionsprozess beteiligt.<br />
Bachelor Welcome –<br />
MINT-Nachwuchs sichern!<br />
Am 20. Juni <strong>2008</strong> wurde in Berlin von rund 40<br />
Personalvorständen bzw. Personalverantwortlichen<br />
führender deutscher Unternehmen die von<br />
der BDA und dem Stifterverband für die Deutsche<br />
Wissenschaft erarbeitete Erklärung „Bachelor Welcome<br />
– MINT-Nachwuchs sichern!“ unterzeichnet.<br />
Mit dieser konzertierten Aktion bekräftigt die Wirtschaft<br />
ihr Ja zum Bologna-Prozess und zur Umstellung<br />
auf die Studienabschlüsse Bachelor und<br />
Master.<br />
Sie richtet sich damit insbesondere gegen die<br />
an vielen Hochschulen immer noch bestehenden<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung 115
Vorbehalte, dass Bachelor-Absolventen ingenieurwissenschaftlicher<br />
Studiengänge keine Chancen<br />
auf dem Arbeitsmarkt hätten. Die diesjährige Erklärung<br />
knüpft an die Aktionen der Jahre 2004 und<br />
2006 an. Angesichts der auf Seiten der Lehrenden<br />
immer noch vorhandenen Skepsis und der damit<br />
verbundenen Verunsicherung der Studierenden<br />
hinsichtlich des erfolgreichen Einstiegs von Bachelor-Absolventen<br />
in den Arbeitsmarkt ist dieses<br />
deutliche Signal der Unternehmen pro Bachelor<br />
hochschulpolitisch überaus wichtig. Seit Juni <strong>2008</strong><br />
haben mehr als 40 weitere Unternehmen die Erklärung<br />
online unterzeichnet, die Zahl der Unterzeichner<br />
hat sich damit mehr als verdoppelt.<br />
Beschäftigungsfähigkeit von<br />
Hochschulabsolventen stärken<br />
Die Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit von<br />
Hochschulabsolventen ist ein zentrales Ziel eines<br />
Hochschulstudiums. Eine intensive Zusammenarbeit<br />
von Hochschulen und Unternehmen ist bei<br />
der Umsetzung dieses Ziels ein wichtiger Erfolgsfaktor.<br />
BDA, BDI und HRK haben daher im November<br />
<strong>2008</strong> ihr gemeinsames Verständnis von<br />
Beschäftigungsfähigkeit formuliert und wichtige<br />
Handlungsfelder zu ihrer Verankerung in den Studiengängen<br />
aufgezeigt. Ein Hochschulstudium<br />
dient der integrierten Vermittlung fachlicher, überfachlicher<br />
und Schlüsselkompetenzen. Die Hochschulen<br />
sind daher aufgefordert, ihre Studiengänge<br />
kompetenzorientiert zu gestalten und stärker<br />
an den Anforderungen des Arbeitsmarktes auszurichten,<br />
indem sie ihre Studierenden frühzeitig an<br />
die Berufspraxis heranführen. Die Wirtschaft berät<br />
und unterstützt sie hierbei und ermöglicht Studierenden<br />
qualifizierte Praxiseinblicke.<br />
Das vollständige Memorandum ist unter<br />
www.arbeitgeber.de abrufbar.<br />
Systemakkreditierung: letzter<br />
Schritt zur Einführung erfolgt<br />
Zu Beginn des Jahres hatte der Akkreditierungsrat<br />
die entscheidenden Beschlüsse zur Einführung<br />
der Systemakkreditierung als weiteren Instruments<br />
der akademischen Qualitätssicherung an<br />
den deutschen Hochschulen gefasst. Den Hochschulen<br />
stehen nun zwei Wege offen: die bisherige<br />
Akkreditierung einzelner Studienprogramme (Programmakkreditierung)<br />
oder die Akkreditierung des<br />
hochschulinternen Qualitätssicherungssystems für<br />
Studium und Lehre (Systemakkreditierung). Teil<br />
des Verfahrens im Rahmen der Systemakkreditierung<br />
werden aber auch Stichproben einzelner<br />
Studienprogramme sein. Die Forderung der Arbeitgebervertreter<br />
im Akkreditierungsrat nach kontinuierlichen<br />
Stichproben im Laufe des Akkreditierungszeitraumes<br />
konnte zumindest dahingehend<br />
durchgesetzt werden, dass die beschlossenen<br />
Verfahrensregeln zur Mitte des Zeitraumes nun<br />
auch eine Halbzeitstichprobe im Sinne einer Programmstichprobe<br />
vorsehen.<br />
Mit der Zulassung von sechs Agenturen zur<br />
Systemakkreditierung durch den Akkreditierungsrat<br />
im Oktober <strong>2008</strong> erfolgte der letzte Schritt zur<br />
Einführung dieses neuen Verfahrens. Der Akkreditierungsrat<br />
hat darüber hinaus Standards für die<br />
Gestaltung des Verhältnisses von Systemakkreditierung<br />
und Beratungsdienstleistungen beschlossen:<br />
Um mögliche Interessenkonflikte auszuschließen,<br />
dürfen Agenturen keine Systemakkreditierungen<br />
an Hochschulen durchführen, an denen sie bei der<br />
Einführung des Qualitätssicherungssystems beratend<br />
tätig waren.<br />
Hochschulfinanzierung<br />
investitionsorientiert und<br />
länderübergreifend gestalten<br />
Wettbewerb um Studierende, größere Investitionen<br />
in Hochschulbildung durch Bund und Länder,<br />
mehr Unterstützung für sozial Schwächere:<br />
Dies sind die Eckpunkte eines neuen Finanzierungsmodells<br />
für die Hochschulen, das BDA, BDI,<br />
Institut der deutschen Wirtschaft Köln und Stifterverband<br />
für die Deutsche Wissenschaft gemeinsam<br />
entwickelt haben, um den Fachkräftebedarf<br />
nachhaltig zu sichern. Das Papier ist unter<br />
www.arbeitgeber.de abrufbar.<br />
Mit dem Modell wird ein Ausweg aus der aktuellen<br />
systematischen Fehlsteuerung der Hochschulfinanzierung<br />
und der Unterfinanzierung der<br />
Hochschulen aufgezeigt. Kernelement des neuen<br />
116 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung
Modells ist ein von Bund und Ländern gemeinsam<br />
finanzierter Gutscheinpool von 5 Mrd. €, aus dem<br />
die Studierenden Gutscheine erhalten, die sie an<br />
ihrer Hochschule einlösen. Die gemeinsame Finanzierung<br />
verhindert, dass ein Land kostenneutral<br />
von den gut ausgebildeten Absolventen aus<br />
anderen Bundesländern profitiert.<br />
Durch Erhebung von Studienbeiträgen sollen<br />
alle Hochschulen zudem die Möglichkeit haben,<br />
ihre Lehrqualität weiter zu verbessern. Hinzu<br />
kommt ein bundesweites Studienfinanzierungssystem,<br />
das ein monatliches Bildungsbudget für<br />
jeden Studierenden, gezielte BAföG-Zuschüsse<br />
für sozial Schwächere sowie günstige Studienkredite<br />
für alle umfasst, um ein Studium ohne Nebenjobs<br />
und Elternunterstützung möglich zu machen.<br />
Das Papier „Eckpunkte einer investitionsorientierten<br />
Hochschulfinanzierung“ von BDA, BDI,<br />
Institut der deutschen Wirtschaft Köln und Stifterverband<br />
für die Deutsche Wissenschaft zur<br />
Hochschulfinanzierung wurde am 16. Juli <strong>2008</strong> im<br />
Rahmen einer gemeinsamen Tagung der beteiligten<br />
Organisationen sowie des Centrums für Hochschulentwicklung,<br />
der Friedrich-Ebert-Stiftung und<br />
der Heinrich-Böll-Stiftung der interessierten Öffentlichkeit<br />
vorgestellt und diskutiert. Deutlich wurde<br />
hierbei die große Übereinstimmung aller beteiligten<br />
Organisationen wie auch zahlreicher weiterer<br />
Akteure aus Wissenschaft und Politik bei der Analyse<br />
der Probleme des aktuellen Finanzierungssystems,<br />
der Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels<br />
sowie bei den Grundsätzen eines neuen<br />
Modells: mehr Effizienz, mehr Wettbewerb, mehr<br />
Nachfrageorientierung.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Hochschulfinanzierung“ sowie die argumente<br />
„Studiengebühren zeigen Wirkung“ veröffentlicht.<br />
Rahmenbedingungen für<br />
Stipendien verbessern<br />
Zur Förderung besonderer Talente sowie zur eigenen<br />
Nachwuchssicherung bieten bereits zahlreiche<br />
Unternehmen und Wirtschaftsorganisationen<br />
Stipendien an. Bei der Auswahl geeigneter<br />
Studierender wie auch bei der Gestaltung der<br />
Unterstützungsangebote für Stipendiaten arbeiten<br />
sie oft eng mit Hochschulen zusammen.<br />
Bund und Länder diskutieren derzeit, wie<br />
weitere Anreize für Hochschulen und Unternehmen<br />
geschaffen werden können, um die Zusammenarbeit<br />
bei Stipendienprogrammen zu fördern.<br />
Vorgeschlagen wird insbesondere die Einrichtung<br />
eines nationalen Stipendiensystems. Demnach<br />
sollen Gelder, die die Hochschulen in eigener Initiative<br />
von privaten Gebern einwerben, von der öffentlichen<br />
Hand in gleicher Höhe ergänzt werden.<br />
Die BDA setzt sich nachdrücklich für eine<br />
Verbesserung der Rahmenbedingungen für die<br />
Einrichtung von Stipendienprogrammen ein. Besonders<br />
zu begrüßen ist der dezentrale Ansatz<br />
des Modells: Die Einwerbung von Stipendiengeldern<br />
für Studierende wird als originäre Aufgabe<br />
der einzelnen Hochschulleitungen begriffen. Die<br />
einzelnen Hochschulen erhalten Anreize, ihre Kooperationen<br />
mit der Wirtschaft zu verstärken und<br />
Unternehmenspartner für Stipendienprogramme<br />
zu gewinnen. Die stiftenden Unternehmen behalten<br />
Möglichkeiten der individuellen Gestaltung der<br />
Programme sowie bestimmenden Einfluss auf die<br />
Förderentscheidung. Dabei ist sicherzustellen,<br />
dass die Stipendien in voller Höhe den geförderten<br />
Studierenden zugutekommen.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Bildung 117
„Jobs, jobs, jobs,<br />
skills, skills, skills”<br />
Die BDA hat sich beharrlich dafür starkgemacht,<br />
dass sich auch die europäische Sozialpolitik daranmacht,<br />
eine deutliche Verbesserung der Lebenschancen<br />
zu verwirklichen. Dies geht nur, indem<br />
den Menschen<br />
ein Einstieg in Arbeit (Jobs) und<br />
der Aufstieg durch Bildung (Skills)<br />
ermöglicht werden.<br />
Diese grundlegende Einsicht findet in der Europäischen<br />
Kommission erfreulicherweise zunehmend<br />
Resonanz. Das schlägt sich in der Förderung<br />
des Flexicurity-Konzepts nieder wie auch in einer<br />
generell offenen Haltung gegenüber Argumenten<br />
der Wirtschaft bei anderen sozialpolitischen Vorhaben.<br />
EU-Kommissar Špidla hat sogar eine von<br />
ihm geleitete europäische „Flexicurity-Mission“<br />
eingesetzt, mit dem Ziel, die konkrete Umsetzung<br />
der im Dezember 2007 vom Europäischen Rat<br />
verabschiedeten Flexicurity-Grundsätze in den<br />
Mitgliedstaaten zu fördern.<br />
Dies schlägt sich auch in der generellen Ausrichtung<br />
der Sozialagenda nieder, die die Kommission<br />
im Juli des Jahres vorgelegt hat. Darin hat sie<br />
richtigerweise festgestellt, dass es im Sinne von<br />
„Fordern und Fördern“ darum gehen muss, „den<br />
Bürgern die Möglichkeiten und Fähigkeiten an die<br />
Hand zu geben, um ihr Potenzial voll ausschöpfen<br />
zu können, und zugleich denjenigen, die hierzu<br />
nicht in der Lage sind, zu helfen“.<br />
Diese grundsätzlich positive Ausrichtung der<br />
Politik der EU-Kommission wird jedoch durch aktuelle<br />
Entwicklungen wieder konterkariert: <strong>2008</strong> –<br />
vor allem in der zweiten Jahreshälfte – ist deutlich<br />
zu spüren gewesen, dass das letzte Amtsjahr<br />
der jetzigen Kommission angebrochen ist. Damit<br />
wächst der Druck, insbesondere aus dem Europäischen<br />
Parlament, vor Ende der Amtszeit auf<br />
sozialpolitischem Gebiet noch Regulierungen zu<br />
erreichen und damit dem Dauervorwurf zu begegnen,<br />
die Kommission unter Barroso würde die<br />
Wirtschaftspolitik in der Lissabonner Reformagenda<br />
überbetonen und die soziale Dimension vernachlässigen.<br />
Erfolgsmaßstab in der Politik darf<br />
aber nicht die Quantität von Regulierungsakten<br />
sein. Dennoch schlägt die Kommission immer wieder<br />
problematische neue Richtlinien vor, die allen<br />
Flexicurity- und Better-Regulation-Bemühungen<br />
zuwiderlaufen. Gemeint sind hier insbesondere<br />
die Neufassung der Richtlinie über Europäische<br />
Betriebsräte (EBR-Richtlinie), eine zusätzliche<br />
Antidiskriminierungsrichtlinie und schließlich die<br />
geplante Revision der bestehenden Mutterschutzrichtlinie.<br />
Die BDA hat gemeinsam mit BUSINESS-<br />
EUROPE alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel<br />
und politischen Instrumente eingesetzt, um<br />
durch proaktive Politik im Rahmen des Sozialen<br />
Dialoges bzw. offensive Überzeugungsarbeit die<br />
Interessen der deutschen Arbeitgeber auf EU-Ebene<br />
durchzusetzen und den durch die Regulierung<br />
entstehenden Schaden zu begrenzen.<br />
Neufassung der EBR-Richtlinie:<br />
Sozialpartnervorschläge Grundlage<br />
für zügige Verabschiedung<br />
In der Diskussion über die Weiterentwicklung<br />
der Europäischen Betriebsräte sind die Arbeitgeber<br />
immer offen gewesen für praxistaugliche<br />
Verbesserungen. Dafür wäre eine Revision der<br />
EBR-Richtlinie nicht erforderlich. Nachdem die<br />
EU-Kommission dennoch entschieden hatte, die<br />
EBR-Richtlinie zu revidieren, hat BUSINESS-<br />
EUROPE dem Europäischen Gewerkschaftsbund<br />
(EGB) angeboten, die Inhalte der Revision im Sozialen<br />
Dialog zu verhandeln – so wie dies bereits<br />
mit anderen ursprünglich umstrittenen Themen,<br />
z. B. zu Gewalt am Arbeitsplatz, arbeitsbedingtem<br />
Stress oder Telearbeit, gelungen ist. Dabei haben<br />
die Arbeitgeber von Anfang an transparent und<br />
offen die Zielsetzung der Kommission unterstützt,<br />
die Probleme zu lösen, die sich wirklich und nachweislich<br />
aus der praktischen Erfahrung ergeben,<br />
und keine ideologischen Zwecke zu verfolgen,<br />
etwa externen Gewerkschaftsfunktionären größeren<br />
Einfluss gegenüber betriebszugehörigen Arbeitnehmervertretern<br />
einzuräumen. Der EGB hat<br />
sich jedoch diesem Verhandlungsangebot – trotz<br />
eindringlichen Appells auch der EU-Kommission –<br />
verweigert.<br />
122 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Europa und Internationales
Im Juli <strong>2008</strong> legte die Kommission ihren Vorschlag<br />
zur Neufassung der EBR-Richtlinie vor.<br />
Der Text hat viele schädliche Gewerkschaftsforderungen<br />
nicht aufgegriffen, nicht zuletzt wegen<br />
zahlreicher intensiver Vorgespräche zwischen<br />
Wirtschaft und Kommissionsexperten. Zentraler<br />
Kritikpunkt blieb jedoch, dass kein ausreichender<br />
Bestandsschutz für bestehende EBR-Vereinbarungen<br />
gewährleistet wird.<br />
Die Arbeitgeber haben während des ganzen<br />
Prozesses eine konstruktive Haltung bewahrt. So<br />
ist es BUSINESSEUROPE gelungen, den EGB<br />
von einem gemeinsamen Brief an die französische<br />
EU-Ratspräsidentschaft zu überzeugen, in dem<br />
der Kommissionsvorschlag von beiden Seiten<br />
als Grundlage für eine schnelle Verabschiedung<br />
akzeptiert wird, allerdings wichtige Änderungsvorschläge<br />
am Kommissionstext, auf die sich<br />
beide Sozialpartner verständigt hatten, formuliert<br />
werden. Wichtigster Punkt ist aus BDA-Sicht der<br />
gemeinsame Vorschlag für eine rechtssichere<br />
Formulierung des Bestandsschutzes für sog. Artikel-13-Vereinbarungen.<br />
Um die Arbeitgeberposition gegenüber den<br />
politisch Verantwortlichen und der Öffentlichkeit<br />
nachdrücklich zum Ausdruck zu bringen, hat die<br />
BDA am 9. September <strong>2008</strong> eine Konferenz zu<br />
Europäischen Betriebsräten in Brüssel veranstaltet,<br />
die auf große Resonanz stieß. Hauptredner<br />
und Gastgeber war für die BDA Dr. Siegfried<br />
Russwurm, Mitglied des Präsidiums der BDA und<br />
Personalvorstand der Siemens AG. EU-Kommissar<br />
Vladimir Špidla hielt den Einführungsvortrag.<br />
Zuvor hatten BDA-Präsidiumsmitglied Russwurm<br />
und EU-Kommissar Špidla eine Pressekonferenz<br />
gegeben. Hauptredner der Konferenz waren außerdem:<br />
der EP-Berichterstatter Philip Bushill-<br />
Matthews, der stellvertretende Generalsekretär<br />
des EGB, Reiner Hoffmann, die Kabinettschefin<br />
von EU-Kommissar Špidla, Kristin Schreiber, der<br />
Vorsitzende des Sozialausschusses von BUSI-<br />
NESSEUROPE, Jørgen Rønnest, der Vizepräsident<br />
Human Resources der Publicis Groupe<br />
und Vorsitzender des Ausschusses für Arbeitsbeziehungen<br />
von MEDEF, Benoît Roger-Vasselin.<br />
Außerdem legten Unternehmensvertreter ihre<br />
praktischen Erfahrungen mit den Europäischen<br />
Betriebsräten dar. Für die BDA unterstrich Präsidiumsmitglied<br />
Russwurm, dass der Vorrang für<br />
unternehmensspezifische Lösungen bei der weiteren<br />
Revision der Richtlinie unbedingt erhalten<br />
bleiben müsse, um die Erfolgsgeschichte der Europäischen<br />
Betriebsräte fortzusetzen. Vielfältigkeit<br />
als Ergebnis jeweils individueller, maßgeschneiderter<br />
Vereinbarungen sei zum Markenzeichen<br />
der Europäischen Betriebsräte geworden. Der<br />
vorgeschlagene Bestandsschutz für bestehende<br />
EBR-Vereinbarungen und ein neues zweijähriges<br />
Zeitfenster schüfen Spielraum für maßgeschneiderte<br />
Lösungen. BDA-Präsidiumsmitglied Russwurm<br />
begrüßte, dass der Grundgedanke des absoluten<br />
Vorrangs für betriebliche Vereinbarungen<br />
mit der gemeinsamen Stellungnahme der Sozialpartner<br />
zum Kommissionsvorschlag auch die Unterstützung<br />
der Gewerkschaften finde. Er appellierte<br />
an das Europäische Parlament und den Rat,<br />
die gemeinsam vorgetragenen Wünsche der europäischen<br />
Sozialpartner zu berücksichtigen, damit<br />
das Gesetzgebungsverfahren zügig abgeschlossen<br />
werden könne und die Unternehmen Rechtssicherheit<br />
erhielten. Unter dem Eindruck der auch<br />
in dieser Konferenz zum Ausdruck gebrachten<br />
Gemeinsamkeit des Ansatzes der europäischen<br />
Sozialpartner schwenkte der EP-Berichterstatter<br />
Bushill-Matthews auf die gemeinsame Linie der<br />
europäischen Sozialpartner ein und erklärte öffentlich,<br />
alles zu tun, um noch unter französischer<br />
EU-Ratspräsidentschaft die Richtlinie im Sinne<br />
der Sozialpartner zu verabschieden.<br />
Der EBR-Vorschlag wird derzeit im Europäischen<br />
Parlament und im Rat beraten. Der EP-<br />
Berichterstatter im Beschäftigungsausschuss,<br />
Philip Bushill-Matthews, hat Wort gehalten, inhaltlich<br />
die Sozialpartnervorschläge vertreten und<br />
für eine schnelle Verabschiedung der Richtlinie<br />
plädiert. Dagegen hat die sozialistische Fraktion<br />
trotz des klaren gemeinsamen Votums der europäischen<br />
Sozialpartner und des Berichterstatters<br />
weiter gehende und sehr problematische Änderungsanträge<br />
an dem Kommissionsvorschlag<br />
vorgelegt, die zu empfindlichen Verschärfungen<br />
in der Praxis der Information und Konsultation<br />
der Arbeitnehmer führen würden. Im Ergebnis<br />
hat der Beschäftigungsausschuss des EP einerseits<br />
die vom Berichterstatter eingebrachten Sozialpartnervorschläge<br />
angenommen und damit<br />
insbesondere den Bestandsschutz von Artikel-13-<br />
Vereinbarungen unangetastet gelassen. Gleichzeitig<br />
wurden aber aufgrund der besonderen<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Europa und Internationales 123
Mehrheitsverhältnisse in diesem Ausschuss auch<br />
die Änderungsanträge der sozialistischen Fraktion<br />
angenommen. Letztlich ist es aber in langwierigen<br />
Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und<br />
Parlament (Trilog) gelungen, die sozialistische<br />
Fraktion davon zu überzeugen, ihre Änderungsanträge<br />
zurückzuziehen. Die Sozialpartnervorschläge<br />
sollen nun lediglich um eine geringe Anzahl von<br />
Kompromissformulierungen ergänzt werden, die<br />
auch von Arbeitgeberseite akzeptiert werden können.<br />
Der im Trilog gefundene Kompromiss hat den<br />
Weg dafür eröffnet, dass der Richtlinienvorschlag<br />
der Kommission und die darauf basierenden Sozialpartnervorschläge<br />
im Kern erhalten bleiben und<br />
die Grundlage für eine Verabschiedung durch das<br />
Plenum des EP und den Rat noch im Dezember<br />
<strong>2008</strong> bilden. Damit würde sichergestellt, dass die<br />
Unternehmen und ihre Arbeitnehmervertreter über<br />
praxistaugliche und stabile rechtliche Rahmenbedingungen<br />
verfügen, die für eine vertrauensvolle<br />
Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen<br />
Betriebsräte notwendig sind.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Europäische Betriebsräte“ veröffentlicht.<br />
Neue Antidiskriminierungsrichtlinie<br />
schafft nur zusätzliche<br />
Bürokratie<br />
Immer wieder hat die BDA auf den „Perpetuummobile“-Effekt<br />
hingewiesen, der eintreten kann,<br />
wenn europäische Gesetzgebung bei der nationalen<br />
Umsetzung übererfüllt wird. Genau dies<br />
zeigt sich beim Antidiskriminierungsrecht leider<br />
exemplarisch, wie prognostiziert. Die große Koalition<br />
in Berlin hat mit dem AGG mehr getan, als<br />
das europäische Recht in bestehenden Richtlinien<br />
gegen Diskriminierung verlangt. In der Richtlinien-<br />
Umsetzungsgesetzgebung wurde die europäische<br />
Ebene instrumentalisiert, um gesetzgeberische<br />
Ziele, die sich politisch im rein nationalen Gesetzgebungsprozess<br />
nicht ohne weiteres hätten<br />
durchsetzen lassen können, unter dem Vorwand<br />
des Zwangs der Umsetzung europäischen Rechts<br />
quasi „durch die Hintertür“ durchzusetzen. Nun<br />
beruft sich die Kommission auf solche nationale<br />
Übererfüllung wie im AGG, um diese zum europäischen<br />
Standard zu erheben. Damit ist das „Perpetuum<br />
mobile“ kreiert – einmal in Gang gesetzt,<br />
bleibt es ewig in Bewegung. Denn nun folgt der<br />
nationalen Übererfüllung ein Vorschlag für einen<br />
neuen europäischen Mindeststandard im Bereich<br />
der Antidiskriminierung und so schaukelt sich die<br />
Regelungswut und Bürokratie immer weiter hoch.<br />
Deshalb muss die Forderung nach einer 1:1-Umsetzung<br />
europäischen Rechts und dem Verzicht<br />
auf Übererfüllung im Rahmen von Umsetzungsgesetzen<br />
nochmals deutlich unterstrichen werden.<br />
Am 2. Juli <strong>2008</strong> legte die EU-Kommission ihren<br />
Vorschlag für eine neue Antidiskriminierungsrichtlinie<br />
vor. Das Ziel dieser zusätzlichen Antidiskriminierungsrichtlinie<br />
ist die Anwendung des<br />
Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet<br />
der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung,<br />
des Alters oder der sexuellen Ausrichtung<br />
künftig auch außerhalb des Arbeitsrechtes,<br />
also im allgemeinen Zivilrecht.<br />
Diese Richtlinie hätte zur Folge, dass die Vertragsfreiheit<br />
im gesamten Zivilrecht beschränkt würde.<br />
Damit verbunden wären darüber hinaus neue<br />
Regulierung, hohe Kosten und schädliche zusätzliche<br />
Bürokratie anstatt besserer Rechtsetzung.<br />
Aufgrund der Beweislastumkehr wären Anbieter<br />
von Gütern und Dienstleistungen faktisch zu einer<br />
systematischen und umfassenden Dokumentation<br />
und Archivierung der eigenen Beweggründe für<br />
die Auswahl ihrer Vertragspartner gezwungen. Die<br />
Richtlinie würde erheblichen Änderungsbedarf im<br />
deutschen Recht auslösen. Die Aufrechterhaltung<br />
der Beschränkung des Benachteiligungsverbots<br />
auf Massengeschäfte wäre z. B. nicht mehr möglich.<br />
Auch müssten gänzlich neue „angemessene<br />
Vorkehrungen“ für Behinderte aufgenommen werden,<br />
damit diese besseren Zugang zu Waren oder<br />
Dienstleistungen erhalten. Wer wollte da entscheiden,<br />
wo der Aufwand vertretbar wäre für größere<br />
bauliche Veränderungen, etwa für Rollstuhlfahrer?<br />
Wäre Preisauszeichnungspflicht in Blindenschrift<br />
„angemessen“? Fragen über Fragen und große<br />
Unsicherheit darüber, was wirklich mehr verlangt<br />
wird, wären die Folge.<br />
Die BDA hatte im Vorfeld der Vorlage intensive<br />
Gespräche geführt und ihre Argumente gegen<br />
eine weitere Antidiskriminierungsrichtlinie bei<br />
zahlreichen Gelegenheiten öffentlich vorgetragen.<br />
124 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Europa und Internationales
Wie die Wirtschaft übt glücklicherweise auch<br />
die Bundesregierung substanzielle Kritik an dem<br />
Richtlinienvorschlag und stellt in Frage, ob weitere<br />
Rechtsvorschriften zur Antidiskriminierung auf<br />
europäischer Ebene überhaupt erforderlich sind.<br />
Da diese Richtlinie im Ministerrat dem Prinzip der<br />
Einstimmigkeit unterliegt, wäre es für Deutschland<br />
möglich, diesen Richtlinienvorschlag auch alleine<br />
zu blockieren. Jetzt ist aber zunächst die Kommission<br />
durch den Ministerrat aufgefordert, „noch offene<br />
Fragen“ zu klären.<br />
Ausweitung des Mutterschutzes<br />
bringt unnötige Mehrbelastung<br />
für deutsche Arbeitgeber<br />
Im Oktober <strong>2008</strong> hat die EU-Kommission einen<br />
Vorschlag zur Revision der Mutterschutzrichtlinie<br />
(92/85/EWG) vorgelegt. Der Kommissionsvorschlag<br />
ist Teil eines Pakets verschiedener Initiativen<br />
zur Vereinbarkeit von Berufs-, Privat- und<br />
Familienleben und sieht eine Aktualisierung und<br />
Ausweitung der bestehenden EU-Rechtsvorschriften<br />
vor.<br />
Das grundsätzliche Ziel der Kommission, die<br />
Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern,<br />
wird von den Arbeitgebern voll unterstützt.<br />
Der Weg dorthin ist allerdings falsch. Erstens hat<br />
die Kommission als Rechtsgrundlage für die Mutterschutzrichtlinie<br />
den Gesundheitsschutz und die<br />
Sicherheit bei der Arbeit gewählt: Aus rein gesundheitlichen<br />
Erwägungen jedoch ist eine Verlängerung<br />
der Mutterschutzfrist von 14 auf 18 Wochen<br />
nicht erforderlich. Zweitens liegen die Gründe für<br />
eine späte Rückkehr vieler Frauen in den Beruf<br />
ganz eindeutig in mangelnden Betreuungsmöglichkeiten<br />
für Kinder unter drei Jahren. Hier kann eine<br />
Mutterschutzrichtlinie nichts bewirken. Nur der<br />
Ausbau der Krippeninfrastruktur würde maßgeblich<br />
zum schnelleren beruflichen Wiedereinstieg<br />
von Müttern beitragen. Und schließlich würden die<br />
Vorschläge der Kommission besonders in Deutschland<br />
zu erheblichen zusätzlichen Kosten für die<br />
Unternehmen führen: Denn in Deutschland tragen,<br />
anders als in den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen<br />
Union, die Arbeitgeber die Hauptlast<br />
der Finanzierung der Mutter. Bereits heute entstehen<br />
den deutschen Betrieben jährlich Kosten in<br />
Höhe von 1,6 Mrd. €. Durch eine Verlängerung der<br />
Mutterschutzfrist von 14 auf 18 Wochen würden<br />
die Lohnzusatzkosten um weitere rund 500 Mio. €<br />
im Jahr steigen. Vor diesem Hintergrund plädiert<br />
die Wirtschaft dafür, von einer Revision der Richtlinie<br />
abzusehen. Die EU ist ohnehin verpflichtet,<br />
beim Gesundheitsschutz entsprechend den Bestimmungen<br />
des EG-Vertrages Mindeststandards<br />
festzusetzen, und dies ist mit der bestehenden<br />
Mutterschutzrichtlinie ausreichend gewährleistet.<br />
Zeitarbeit: kein Änderungsbedarf<br />
in Deutschland durch<br />
EU-Richtlinie<br />
Im „Paket“ mit der Arbeitszeitrichtlinie ist beim Sozialministerrat<br />
im Juni <strong>2008</strong> die Zeitarbeitsrichtlinie<br />
verhandelt worden, die ebenfalls jahrelang blockiert<br />
war. Insbesondere Großbritannien hatte den<br />
darin vorgesehenen Gleichbehandlungsgrundsatz<br />
abgelehnt. Erst nachdem die britische Regierung<br />
im Mai <strong>2008</strong> mit dem britischen Arbeitgeberverband<br />
CBI und dem britischen Gewerkschaftsbund<br />
TUC eine Vereinbarung zur Zeitarbeit abgeschlossen<br />
hatte, wonach der Gleichbehandlungsgrundsatz<br />
für Zeitarbeitnehmer in Großbritannien ab<br />
einer Beschäftigungsdauer von zwölf Wochen gelten<br />
soll, war Großbritannien auch auf europäischer<br />
Ebene zu Zugeständnissen bereit. Das Europäische<br />
Parlament hat das „Paket“ aus Zeitarbeitsrichtlinie<br />
und Arbeitszeitrichtlinie aufgeschnürt und<br />
im Oktober den Ratskompromiss zur Zeitarbeitsrichtlinie<br />
ohne Abänderungen gebilligt. Damit ist<br />
die Zeitarbeitsrichtlinie in der Fassung des Ratskompromisses<br />
verabschiedet. Nach Veröffentlichung<br />
im Amtsblatt haben die Mitgliedstaaten drei<br />
Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.<br />
Zentraler Punkt der Zeitarbeitsrichtlinie<br />
ist der Grundsatz, wonach ein Zeitarbeitnehmer<br />
grundsätzlich wie ein vergleichbarer Arbeitnehmer<br />
des Entleihbetriebs behandelt werden muss.<br />
Die Möglichkeit, durch tarifvertragliche Vereinbarungen<br />
von diesem Grundsatz abzuweichen, sieht<br />
auch die Richtlinie unverändert vor. Hiervon haben<br />
die Tarifvertragsparteien in Deutschland verantwortungsvoll<br />
Gebrauch gemacht. Die Zeitarbeitsrichtlinie<br />
führt damit zu keinem Änderungsbedarf<br />
im deutschen Recht. Mit diesem klaren Votum zur<br />
Zeitarbeit ist ein stabiler rechtlicher Rahmen für<br />
die Entfaltung des Jobmotors Zeitarbeit auch von<br />
europäischer Ebene erzielt worden.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Europa und Internationales 125
Zeitarbeit im internationalen Vergleich<br />
Prozent an allen Erwerbstätigen<br />
5<br />
4,5<br />
4,5<br />
4<br />
3,5<br />
3<br />
2,5<br />
2,4<br />
2,5<br />
2,6<br />
2<br />
1,8<br />
1,9<br />
2,0<br />
2,1<br />
1,5<br />
1,3<br />
1,4<br />
1,5 1,5 1,5<br />
1<br />
0,7<br />
0,8 0,8<br />
1,0<br />
0,5<br />
0<br />
ES DK SWE NO D HU CH A IRL EU * JP USA BE FR NL LU UK<br />
Land<br />
* Europäischer Durchschnitt<br />
Quelle: Eurociett, Stand 2006; Darstellung: BDA<br />
126 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Europa und Internationales
Arbeitszeitrichtlinie: vernünftiger<br />
Kompromiss durch EP gefährdet<br />
Nach jahrelangem Tauziehen, insbesondere um<br />
die Qualität von Bereitschaftsdiensten (Arbeitszeit<br />
oder nicht?), ist es dem Sozialministerrat im Juni<br />
<strong>2008</strong> gelungen, eine politische Einigung zur Arbeitszeitrichtlinie<br />
zu erzielen. Bei den Beratungen<br />
der Arbeits- und Sozialminister hat sich letztlich<br />
eine pragmatische Linie durchgesetzt, die die Notwendigkeit<br />
von mehr Flexibilität für Unternehmen<br />
bei der Gestaltung der Arbeitszeit anerkennt. Nur<br />
aktiver Einsatz während eines Bereitschaftsdienstes<br />
soll als Arbeitszeit gelten, nicht aber tatsächliche<br />
Ruhezeiten während der Bereitschaft. Sollte<br />
diese Lösung, auf die der Rat sich geeinigt hat,<br />
auch vom EP in zweiter Lesung bestätigt werden,<br />
so wäre das sehr positiv für die Beschäftigung in<br />
Deutschland und Europa.<br />
Die BDA hatte seit langem gefordert, den Weg<br />
für eine Revision der Arbeitszeitrichtlinie freizumachen,<br />
um die kostenträchtigen Auswirkungen der<br />
Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen<br />
„Simap“ und „Jaeger“ zu korrigieren. Mit dem im<br />
Rat verabschiedeten Kompromiss, wonach die inaktive<br />
Zeit des Bereitschaftsdienstes nicht mehr<br />
als Arbeitszeit zählt, ist diese Forderung endlich<br />
erfüllt worden. Wenn es dem Rat gelingt, auch das<br />
Europäische Parlament zu überzeugen – wozu<br />
es noch erheblicher Anstrengungen bedarf –,<br />
dann eröffnet sich für den deutschen Gesetzgeber<br />
die Chance für eine Regelung, nach der inaktive<br />
Zeiten während des Bereitschaftsdienstes<br />
nicht mehr als Arbeitszeit zählen. Dies wäre ein<br />
wichtiger Beitrag für mehr Arbeitszeitflexibilität,<br />
z. B. bei Feuerwehrleuten und in Krankenhäusern.<br />
Der Sozialministerrat hat zu Recht der Versuchung<br />
widerstanden, die Fortschritte bei der<br />
Korrektur des Bereitschaftsdienstes durch neue<br />
Beschränkungen bei der Arbeitszeitgestaltung zu<br />
konterkarieren. Die „Opt-out“-Regelung zur Abweichung<br />
von der wöchentlichen Höchstarbeitszeit<br />
wird unbefristet beibehalten. Diese Regelung<br />
hilft vor allem kleinen und mittleren Unternehmen,<br />
Auftragsschwankungen auszugleichen und Beschäftigung<br />
zu sichern, und entspricht einer Forderung<br />
der BDA. Deshalb darf die Anwendung des<br />
„Opt-out“ auch nicht durch zusätzliche Vorgaben<br />
unnötig verkompliziert werden. Die Einigung im<br />
Rat bei der Arbeitszeitrichtlinie ist auch eine Folge<br />
der Beharrlichkeit der Wirtschaft. Immer wieder<br />
hatte die BDA die Notwendigkeit der Korrekturen<br />
beim Bereitschaftsdienst und die Beibehaltung der<br />
„Opt-out“-Regelung angemahnt und davon auch<br />
die Bundesregierung überzeugt.<br />
Entwarnung kann jedoch noch nicht gegeben<br />
werden. Das Europäische Parlament kann<br />
den Kompromiss in zweiter Lesung wieder kippen.<br />
Die sehr heftigen Reaktionen aus den linken<br />
Fraktionen des Europäischen Parlaments und der<br />
Gewerkschaften lassen schwierige Auseinandersetzungen<br />
im weiteren Gesetzgebungsverfahren<br />
befürchten, entsprechend konfliktreich gestalten<br />
sich jetzt auch die laufenden Beratungen im<br />
Europäischen Parlament. Der Beschäftigungsausschuss<br />
im EP hat einen Empfehlungsentwurf<br />
für die zweite Lesung verabschiedet, der klar in<br />
Widerspruch zum gemeinsamen Standpunkt des<br />
Rates steht. Der gesamte Bereitschaftsdienst wird<br />
danach als Arbeitszeit angesehen. Die „Opt-out“-<br />
Regelung soll nach einem Übergangszeitraum<br />
von drei Jahren auslaufen. Wenn sich das Plenum<br />
des Europäischen Parlaments nicht eines Besseren<br />
besinnt, wird der mühsam errungene Ratskompromiss<br />
wieder komplett in Frage gestellt.<br />
Dabei sind nach der überfälligen Einigung im Rat<br />
alle EU-Institutionen aufgefordert, das Gesetzgebungsverfahren<br />
zügig abzuschließen. Die BDA ist<br />
in engem Kontakt mit deutschen Abgeordneten,<br />
um sie von der Angemessenheit des Ratskompromisses<br />
zu überzeugen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„EU-Arbeitszeitrichtlinie“ veröffentlicht.<br />
Bessere Rechtsetzung muss<br />
konsequent weiterverfolgt werden<br />
Die Verringerung der Verwaltungslasten in den<br />
Unternehmen ist ein wichtiges Ziel, das die EU-<br />
Kommission im Rahmen ihrer Strategie zur Schaffung<br />
einer besseren Rechtsetzung verfolgt. Die<br />
hierdurch entstehenden Kosten sollen bis 2012<br />
um 25 % verringert werden.<br />
Die EU-Kommission hat eine Onlinekonsultation<br />
gestartet, um die Unternehmen unmittelbar<br />
in den Abbauprozess einzubinden. Um die Forderungen<br />
der Wirtschaft hinsichtlich besserer Recht-<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Europa und Internationales 127
setzung auch gebündelt gegenüber der Kommission<br />
darzustellen, haben BDA und BDI einen<br />
gemeinsamen Forderungskatalog zusammengestellt.<br />
Darin ist ausführlich dargestellt, in welchen<br />
Bereichen und bei welchen europäischen Regelungen<br />
Verbesserungsbedarf besteht und wie dort<br />
für die Unternehmen Verbesserungen erzielt werden<br />
können.<br />
Neben den Bereichen „Arbeitsrecht“ und<br />
„Sozialrecht“ geht es z. B. um Forderungen zu<br />
den Themen „Umwelt und Technik“, „Verbraucherschutz“<br />
und „Zoll“. Konkret fordern BDA und<br />
BDI u. a., die EU-Richtlinie zur Bildschirmarbeit zu<br />
streichen oder zumindest auf wenige, zeitgemäße<br />
Inhalte zu reduzieren. Außerdem sind die Art und<br />
Weise sowie der Inhalt der Unterrichtungspflichten<br />
bei einem Betriebsübergang auf ein sinnvolles<br />
Maß zurückzuführen. Im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie<br />
ist die EU-Kommission aufgefordert,<br />
die Rechtssicherheit für Unternehmen zu erhöhen<br />
und damit die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung<br />
zu vereinfachen. Sie muss diese<br />
Aufgabe bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist<br />
(28. Dezember 2009) erfüllen. Es sollten nur diejenigen<br />
Regelungen bei einer grenzüberschreitenden<br />
Dienstleistung vom Unternehmen angewendet<br />
werden müssen, die der EU-Kommission<br />
zuvor von den Mitgliedstaaten gemeldet wurden.<br />
Die Vorschläge von BDA und BDI sind im Internet<br />
unter www.arbeitgeber.de zu finden. Die BDA hat<br />
zu diesem Thema zudem den kompakt „Bessere<br />
Rechtsetzung“ veröffentlicht. Auch BUSINESS-<br />
EUROPE hat einen Katalog vorgelegt, in dem<br />
zahlreiche konkrete Vorschläge für eine Vereinfachung<br />
der EU-Gesetzgebung aufgeführt werden,<br />
z. B. im Bereich der EU-Arbeitszeitrichtlinie.<br />
EuGH-Urteile „Laval“, „Viking“,<br />
„Rüffert“ und „Kommission ./.<br />
Luxemburg“: positive Weichenstellung<br />
für den Binnenmarkt<br />
nicht konterkarieren<br />
Mit den Entscheidungen in den Rechtssachen „Laval“,<br />
„Viking“, „Rüffert“ und „Kommission ./. Luxemburg“<br />
hat der EuGH in begrüßenswerter Klarheit zu<br />
den im EU-Vertrag garantierten Grundfreiheiten,<br />
insbesondere zur Dienstleistungsfreiheit und zur<br />
Niederlassungsfreiheit, Stellung genommen. Mit<br />
seinen Entscheidungen stellt der EuGH klar, dass<br />
die Ausübung sozialer Grundrechte, wie z. B. des<br />
Streikrechts, mit den Grundfreiheiten des Binnenmarktes,<br />
hier der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit,<br />
in einer vernünftigen Balance stehen<br />
muss. So wurde einerseits das Recht der Gewerkschaften<br />
auf Ausübung kollektiver Rechte anerkannt,<br />
zugleich aber mit den Grundfreiheiten deren<br />
Schranken aufgezeigt. Der EuGH stärkt damit die<br />
Entwicklung des europäischen Binnenmarktes –<br />
des Kernstücks der europäischen Integration.<br />
Nichtsdestotrotz bleibt es – für den Fall einer Fortentwicklung<br />
dieser Rechtsprechung – ein Grundsatz,<br />
dass die Europäische Union im Bereich des<br />
Arbeitskampfrechts keine Kompetenzen besitzt.<br />
Die Entscheidungen des EuGH sind Anlass<br />
für neue Forderungen aus dem Europäischen<br />
Parlament, unter dem Deckmantel des Arbeitnehmerschutzes<br />
faktisch eine Einschränkung der<br />
Freizügigkeit betreiben zu dürfen. Konkret wird<br />
die EU-Kommission in einem Entschließungsantrag<br />
des Vorsitzenden des Beschäftigungsausschusses,<br />
Jan Andersson, aufgefordert, Vorschläge<br />
auszuarbeiten, die widersprechenden<br />
Auslegungen des Europäischen Gerichtshofs zur<br />
Entsenderichtlinie künftig vorbeugen sollen. Dabei<br />
wird auch eine teilweise Überarbeitung der Entsenderichtlinie<br />
nicht ausgeschlossen. Im Ergebnis<br />
führen solche Forderungen zu Protektionismus<br />
und stehen somit der europäischen Integration<br />
entgegen.<br />
Ebenso verfehlt ist der Versuch des DGB, die<br />
Rechtsprechung des EuGH im Fall „Rüffert“ mit<br />
dem ILO-Übereinkommen Nr. 94 zu Löhnen bei<br />
öffentlicher Auftragsvergabe in Zusammenhang<br />
zu bringen. Die Vorschriften dieses Übereinkommens<br />
aus dem Jahr 1949 sind heute praxis- und<br />
realitätsferner denn je und führen in den wenigen<br />
Staaten der Europäischen Union, die es ratifiziert<br />
haben, zu erheblichen Anwendungsproblemen.<br />
Das Übereinkommen sollte daher aufgehoben<br />
werden, anstatt zum Gegenstand einer Ratifizierungskampagne<br />
auf internationaler Ebene gemacht<br />
zu werden!<br />
128 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Europa und Internationales
Freizügigkeit:<br />
Frankreich macht’s vor<br />
Im Frühjahr 2009 werden die Mitgliedstaaten von<br />
der Kommission aufgefordert mitzuteilen, ob sie<br />
in Bezug auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer<br />
aus den neuen Mitgliedstaaten weiterhin Übergangsfristen<br />
in Anspruch nehmen wollen. Spätestens<br />
sieben Jahre nach dem Beitritt, im Jahr 2011,<br />
müssen alle Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit<br />
und der Dienstleistungsfreiheit beseitigt<br />
sein.<br />
Derzeit haben elf der EU-15-Staaten ihre<br />
Arbeitsmärkte vollständig geöffnet: Das Vereinigte<br />
Königreich, Irland und Schweden hatten<br />
ihre Arbeitsmärkte bereits während der Phase 1<br />
geöffnet. Ihnen folgten am 1. Mai 2006 Spanien,<br />
Finnland, Griechenland und Portugal und am<br />
27. Juli 2006 Italien. In den Niederlanden wurden<br />
die Beschränkungen ab dem 1. Mai 2007 aufgehoben<br />
und in Luxemburg ab dem 1. November<br />
2007. Das Vereinigte Königreich behält sein obligatorisches<br />
Meldesystem bei und in Finnland<br />
muss die Beschäftigung nachträglich zu Überwachungszwecken<br />
registriert werden.<br />
Die meisten der EU-15-Staaten, die Beschränkungen<br />
beibehalten haben, haben ihre<br />
Verfahren vereinfacht oder die Beschränkungen<br />
in bestimmten Sektoren/Berufen reduziert (Belgien,<br />
Dänemark und seit dem 1. November 2007<br />
Deutschland). Ebenso wurde in Deutschland die<br />
Dienstleistungsfreiheit für die Branchen Baugewerbe,<br />
Gebäudereinigung und Innendekoration<br />
beschränkt.<br />
Pünktlich zu Beginn seiner EU-Ratspräsidentschaft<br />
am 1. Juli <strong>2008</strong> hat auch Frankreich<br />
seinen Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer aus den<br />
neuen Mitgliedstaaten geöffnet. Zu diesem Anlass<br />
hat sich Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt<br />
öffentlich geäußert:<br />
„Jetzt hat auch Frankreich erkannt, dass<br />
die Öffnung des Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer<br />
aus den neuen EU-Mitgliedstaaten mehr Chancen<br />
als Risiken birgt. Deutschland darf sich nicht<br />
weiter abschotten, sondern muss aktiv sein, um<br />
im grenzüberschreitenden Wettbewerb um gute<br />
und ausgebildete Arbeitskräfte nicht dauerhaft<br />
ins Hintertreffen zu geraten. Ich fordere die Bundesregierung<br />
auf, die bisher in Deutschland noch<br />
bestehende generelle Abschottung gegenüber<br />
Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten zu<br />
beenden.“<br />
Eine pauschale Verlängerung der Einschränkungen<br />
der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist schon<br />
angesichts der 2011 ohnehin eintretenden uneingeschränkten<br />
Freizügigkeit nicht sinnvoll. Vielmehr<br />
sollten die damit einhergehenden Chancen<br />
genutzt werden. Vor allem Großbritannien und<br />
Irland haben durch eine frühzeitige Öffnung ihrer<br />
Arbeitsmärkte erhebliche Vorteile in Form einer<br />
stärkeren wirtschaftlichen Dynamik und eines insgesamt<br />
gewachsenen Arbeitsplatzangebotes auch<br />
für Inländer profitiert. Allein 500.000 Arbeitnehmer<br />
aus Polen haben zwischen Mai 2004 und Dezember<br />
2007 in Großbritannien Arbeit gefunden.<br />
Deutschland ist in diesem Wettbewerb schon<br />
deutlich ins Hintertreffen geraten. Die Bundesregierung<br />
hat bereits 2007 den Arbeitsmarkt für Ingenieure<br />
aus den neuen EU-Mitgliedstaaten geöffnet.<br />
Dies ist ein wichtiger Schritt im internationalen<br />
Wettbewerb um die besten Köpfe. Bedauerlich ist<br />
aber, dass an der grundsätzlichen Beschränkung<br />
der Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für die dritte<br />
Phase festgehalten wird.<br />
Europäischer Sozialer Dialog steht<br />
für Praxisnähe und Verantwortung<br />
Der Soziale Dialog ist für zahlreiche sozialpolitische<br />
Initiativen das geeignete Instrument, um<br />
praxistaugliche Regelungen im Konsens der Sozialpartner<br />
zu finden, dies erkennt zunehmend auch<br />
die Europäische Kommission an.<br />
Deshalb ist es wichtig, dass auch die Gewerkschaften<br />
ihre Verantwortung voll übernehmen<br />
und selbst proaktiv und gestaltend wirken, anstatt<br />
die Kommission zur Vorlage gesetzlicher Regelungen<br />
aufzufordern, wie dies Anfang <strong>2008</strong> im Falle<br />
der Neufassung der Richtlinie zu Europäischen<br />
Betriebsräten (EBR) geschah, als der EGB Sozialpartnerverhandlungen<br />
ablehnte. Damit wurde<br />
eine wichtige Chance für eine an der betrieblichen<br />
Praxis orientierte Verbesserung der Funktionsweise<br />
von Europäischen Betriebsräten vertan. Auch<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Europa und Internationales 129
wenn der EGB anschließend zu gemeinsamen<br />
Vorschlägen zur schließlich von der EU-Kommission<br />
vorgelegten Neufassung bereit war, ändert<br />
dies nichts an der Tatsache, dass er mit dem Ablehnen<br />
von Verhandlungen zu EBR das Heft des<br />
Handelns aus der Hand der Sozialpartner gegeben<br />
hat. Dass mit dem Sozialen Dialog erfolgreich<br />
praxistaugliche Lösungen auf EU-Ebene zu wichtigen<br />
Themen gefunden werden können, zeigen<br />
die Beispiele der Vereinbarungen zur Telearbeit,<br />
zu arbeitsbedingtem Stress sowie zu Belästigung<br />
und Gewalt am Arbeitsplatz.<br />
Verhandlungen zu „inclusive<br />
labour markets“ gestartet<br />
Die Modernisierung der europäischen Arbeitsmärkte<br />
ist unabdingbare Grundlage für mehr<br />
Beschäftigung. Die europäischen Sozialpartner<br />
hatten in einer gemeinsamen Analyse der Arbeitsmärkte,<br />
die sie im letzten Herbst vorgelegt hatten,<br />
moderne Arbeitsmarktverfassungen nachdrücklich<br />
angemahnt. Wörtlich forderten sie:<br />
„Der steigende Druck auf Arbeitnehmer und<br />
Arbeitgeber durch die Globalisierung und andere<br />
wirtschaftliche und soziale Veränderungen verlangt,<br />
dass das Arbeitsrecht auf diese neuen Herausforderungen<br />
antwortet. Vorrang muss es haben<br />
zu prüfen, welche Rolle Bestimmungen zum<br />
Schutz des einzelnen Arbeitsverhältnisses bei<br />
erfolgreichen und sich lohnenden Übergängen in<br />
neue und bestehende Arbeitsplätze spielen, und<br />
diese gegebenenfalls anzupassen.“<br />
Aufbauend auf dieser richtigen gemeinsamen<br />
Analyse haben die europäischen Sozialpartner<br />
nun Verhandlungen zu einer autonomen<br />
Rahmenvereinbarung zum Thema „inclusive labour<br />
markets“ aufgenommen. Ziel ist eine autonome<br />
Rahmenvereinbarung, die von den nationalen<br />
Mitgliedern der europäischen Sozialpartner umgesetzt<br />
wird. Es soll darum gehen, praxisnah Wege<br />
aufzuzeigen, wie den benachteiligten Gruppen auf<br />
dem Arbeitsmarkt erfolgreich Brücken in Beschäftigung<br />
gebaut werden können.<br />
Umsetzung bestehender<br />
europäischer Sozialpartnervereinbarungen<br />
Zu zwei abgeschlossenen Rahmenvereinbarungen<br />
finden derzeit Umsetzungsinitiativen statt:<br />
Die Vereinbarung zur Bekämpfung von Belästigung<br />
und Gewalt am Arbeitsplatz wird derzeit<br />
von einigen Unternehmen in die betriebliche Praxis<br />
umgesetzt. Dem „Freiwilligen Aktionsrahmen<br />
zur Gleichstellung von Mann und Frau“ wurde am<br />
8./9. Juli eine zweitägige Konferenz in Berlin gewidmet.<br />
Diese gemeinsam von BDA und DGB initiierte<br />
und von der EU-Kommission unterstützte Tagung<br />
bot die Möglichkeit einer Zwischenbilanz des<br />
bisher Erreichten. Ausgehend von den vier Prioritäten<br />
des Aktionsrahmens der Sozialpartner –<br />
Rollenverständnis von Männern und Frauen,<br />
Frauen in Führungspositionen, Vereinbarkeit von<br />
Beruf und Familie, Lohnunterschiede zwischen<br />
Männern und Frauen – wurde anhand von Best-<br />
Practice-Beispielen aus verschiedenen Mitgliedstaaten<br />
die Vielfalt möglicher Maßnahmen in den<br />
Unternehmen präsentiert. Am Ende der Konferenz<br />
stand fest, dass die vier Prioritäten des Aktionsrahmens<br />
richtig gesetzt worden waren. In der betrieblichen<br />
Praxis sind die Prioritäten eng verzahnt.<br />
Eine Maßnahme zur besseren Vereinbarkeit von<br />
Beruf und Familie kann z. B. zur Veränderung des<br />
Rollenverständnisses von Männern und Frauen<br />
beitragen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Europäischer Sozialer Dialog“ veröffentlicht.<br />
„Blue-Card“-Richtlinie – Öffnung<br />
des Arbeitsmarktes für Hochqualifizierte<br />
richtig und wichtig<br />
Vor dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbs<br />
um die besten Köpfe, des anhaltend hohen<br />
Fachkräftemangels und des langfristig demografisch<br />
bedingten Rückgangs der inländischen Erwerbsbevölkerung<br />
ist es richtig und wichtig, den<br />
Arbeitsmarkt für Hochqualifizierte und qualifizierte<br />
Fachkräfte aus Drittstaaten gezielt zu öffnen. Die<br />
„Blue Card“ soll nach dem Vorschlag der Kommission<br />
eine zunächst auf zwei Jahre befristete<br />
Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für nicht europäische<br />
Fachkräfte nach dem Vorbild der US-ame-<br />
130 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Europa und Internationales
Europa ist Schlusslicht bei Integration in den Arbeitsmarkt<br />
Langzeitarbeitslose Bevölkerung (12 Monate und mehr)<br />
in Prozent der Erwerbsbevölkerung insgesamt, Jahr: 2007<br />
Prozent<br />
3,5<br />
3<br />
3,1<br />
3,2<br />
2,5<br />
2<br />
1,5<br />
1,2<br />
1<br />
0,5<br />
0,5<br />
0<br />
EU-27 Eurozone USA Japan Land<br />
Quelle: Eurostat; Darstellung: BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Europa und Internationales 131
ikanischen Green Card umfassen und EU-weite<br />
Standards für die Einreise und den Aufenthalt im<br />
Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und die Weiterwanderungsrechte<br />
der Drittstaatsangehörigen<br />
festlegen. Die Mitgliedstaaten sollen weiterhin<br />
das Recht haben, Zulassungsquoten festzulegen.<br />
Nach zwei Jahren stünde es den Zuwanderern<br />
unter bestimmten Bedingungen frei, in ein anderes<br />
EU-Land zu ziehen. Nach fünf Jahren Arbeitsaufenthalt<br />
in der EU würde ihnen eine langfristige<br />
Aufenthaltsgenehmigung zuteil.<br />
Die mit der Einführung einer „Blue Card“<br />
angestrebte gezielte Öffnung des Arbeitsmarktes<br />
für Hochqualifizierte und qualifizierte Fachkräfte<br />
ist aus Sicht der BDA grundsätzlich zu begrüßen,<br />
sofern die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert<br />
werden, ihre flexiblen und auf die Bedürfnisse<br />
des Arbeitsmarktes des jeweiligen Mitgliedstaates<br />
abgestimmten Zuwanderungsregelungen anzuwenden.<br />
Auch dem Einsatz der BDA ist es zu<br />
verdanken, dass nach dem bisherigen Stand der<br />
Beratungen die Koexistenz der nationalen Zuwanderungsregelungen<br />
neben der europäischen<br />
„Blue Card“ gesichert zu sein scheint und der<br />
Entscheidungsspielraum der Mitgliedstaaten zur<br />
Anwendung und Schaffung nationaler Zuwanderungsregelungen<br />
durch die „Blue-Card“-Richtlinie<br />
nicht begrenzt oder eingeschränkt wird.<br />
Sanktionsrichtlinie: Vorgeschlagene<br />
Sanktionen gehen zu weit<br />
Ziel des Richtlinienvorschlags ist die Bekämpfung<br />
der illegalen Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen.<br />
Diese Zielsetzung ist grundsätzlich richtig.<br />
Illegale Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen<br />
hat vielfache negative Folgen und schädigt<br />
insbesondere jene Unternehmen, die sich an<br />
Recht und Gesetz halten. Gleichwohl sind die von<br />
der Kommission vorgeschlagenen Sanktionen in<br />
dieser Form abzulehnen. Neben Geldbußen, der<br />
Verpflichtung zur Übernahme der Kosten für die<br />
Rückführung des Drittstaatsangehörigen in sein<br />
Herkunftsland sind als Maßnahmen u. a. auch die<br />
vorübergehende oder endgültige Schließung der<br />
Betriebsstätte und für schwere Fälle strafrechtliche<br />
Sanktionen vorgesehen. Zudem tritt die EU-Kommission<br />
für eine Generalunternehmerhaftung ein:<br />
Für den Fall, dass eine Geldbuße nicht von einem<br />
Unterauftragnehmer eingezogen werden kann,<br />
soll sie von anderen an der Subunternehmerkette<br />
beteiligten Auftragnehmern bis hin zum Hauptunternehmer<br />
eingezogen werden können.<br />
Die Ausgestaltung der angemessenen Sanktionen<br />
muss den Mitgliedstaaten überlassen bleiben.<br />
Insbesondere eine dauerhafte oder auch nur<br />
vorübergehende Betriebsschließung ist aus deutscher<br />
Sicht unverhältnismäßig und daher inakzeptabel.<br />
Gegen die geplante Generalunternehmerhaftung<br />
hat sich die BDA mehrfach nachdrücklich<br />
gegenüber Kommission, Rat und Parlament ausgesprochen.<br />
Es gilt grundsätzlich, dass Unternehmen<br />
nicht die ureigentlich staatliche Aufgabe – die<br />
Einhaltung von Recht und Gesetz zu kontrollieren –<br />
übernehmen können, auch nicht bei ihren Unterauftragnehmern,<br />
die selbst unabhängige Unternehmen<br />
sind.<br />
Die französische EU-Ratspräsidentschaft<br />
versucht mit allen Mitteln durchzusetzen, dass<br />
noch im Dezember eine Einigung zwischen<br />
Kommission, Rat und Parlament erzielt wird. Die<br />
Gefechtslage ist für die BDA sehr kritisch, denn<br />
aufgrund der für diese Richtlinie geltenden „Optout“-Regelungen<br />
von Großbritannien, Irland und<br />
Dänemark im Vertrag von Nizza dominiert bei den<br />
Beratungen des Sanktionsrichtlinienvorschlags in<br />
allen Institutionen die südeuropäische Rechtskultur.<br />
Die Positionen der BDA stoßen daher bei den<br />
übrigen Arbeitgeberverbänden und auch im EP<br />
und Rat sogar bei den konservativen Politikern auf<br />
wenig Resonanz. Vor diesem Hintergrund ist die<br />
kürzlich erzielte Abschwächung der Generalunternehmerhaftung<br />
(grundsätzliche Beschränkung auf<br />
das Verhältnis von Hauptauftragnehmer und direktem<br />
Unterauftragnehmer) als Erfolg der BDA-Arbeit<br />
zu werten.<br />
CSR-Strategie der Bundesregierung<br />
– dem richtigen Ansatz auf<br />
europäischer Ebene folgen<br />
Vielfältige Aktivitäten finden im Rahmen der Europäischen<br />
Allianz zu CSR statt, die die Wirtschaft<br />
zusammen mit der EU-Kommission im Frühjahr<br />
2006 ins Leben gerufen hat. Ziel der CSR-Allianz<br />
ist es, Netzwerke und Kooperationen der Akteure<br />
zu bilden und den Erfahrungsaustausch mit sog.<br />
132 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Europa und Internationales
„Laboratory Meetings“ zu stärken. Die ersten Laboratory<br />
Meetings haben bereits stattgefunden.<br />
Die BDA hat ein Laboratory Meeting auf europäischer<br />
Ebene mitinitiiert, das von BUSINESSEU-<br />
ROPE koordiniert wird und sich mit dem Thema<br />
„Förderung des Unternehmertums“ beschäftigt. In<br />
Deutschland haben die Deutsche Bank und die<br />
Ford Werke GmbH ein Laboratory Meeting zum<br />
Thema „Corporate Volunteering“ angestoßen und<br />
durchgeführt, welches bei den Unternehmen den<br />
Wunsch nach weiteren Aktivitäten dieser Art geweckt<br />
hat. Das CSR-Internetportal „CSR Germany“<br />
(www.csrgermany.de) ist als zentrales Kommunikationsinstrument<br />
für die Aktivitäten im Rahmen<br />
der CSR-Allianz auf deutscher Ebene etabliert.<br />
Durch einen neu eingerichteten geschützten internen<br />
Bereich ist es Unterstützern der CSR-Allianz<br />
möglich, sich gegenseitig über Aktivitäten zu<br />
informieren, auch wenn sich Projekte noch in der<br />
Konzeption befinden.<br />
Während die EU-Kommission mit der Allianz<br />
den richtigen Weg beschritten hat, um CSR zu unterstützen,<br />
drohte in Deutschland der Rückfall in<br />
überkommene Modelle: Auf der nationalen CSR-<br />
Konferenz der Bundesregierung Ende April <strong>2008</strong><br />
in Berlin kündigte Bundesarbeitsminister Scholz<br />
eine CSR-Positivliste für Unternehmen an. Als in<br />
der Folge immer mehr Eckpunkte der vom BMAS<br />
geplanten CSR-Strategie bekannt wurden, haben<br />
die vier Spitzenverbände der Wirtschaft auf Initiative<br />
und unter Federführung der BDA gegenüber<br />
Bundesarbeitsminister Scholz, Außenminister<br />
Steinmeier, Wirtschaftsminister Glos sowie Kanzleramtsminister<br />
de Maizière ihre fundamentalen<br />
Bedenken gegen die BMAS-Strategie in einem<br />
Brief erläutert. Besonders die Überlegungen zu<br />
einem dirigistisch gelenkten CSR-Forum, die Idee<br />
eines CSR-Labels und die Pläne für einen zusätzlichen<br />
Internetauftritt waren Anlass zu Kritik. In<br />
ihrer schriftlichen Antwort versicherte die Bundesregierung<br />
einen ergebnisoffenen Dialog. Einem<br />
staatlichen „Überwachungsverfahren zur Prüfung<br />
und Bewertung unternehmerischen CSR-Engagements“<br />
wurde von Seiten der Bundesregierung<br />
eine klare Absage erteilt. Für die BDA geht es nun<br />
darum, diese Zusagen einzufordern.<br />
„CSR: vielfältig und freiwillig“<br />
Corporate Social Responsibility (CSR) beschreibt<br />
die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen<br />
in den Bereichen Umwelt, Soziales und<br />
Wirtschaft. CSR-Initiativen sind Beiträge von Unternehmen,<br />
die über das gesetzliche Maß hinausgehen.<br />
Unternehmen setzen sich z. B. mit Betriebskindergärten<br />
und Gesundheitskampagnen<br />
für ihre Mitarbeiter ein, dämmen mit Ökoeffizienz-<br />
Analysen und Energieersparsystemen den Energieverbrauch<br />
ein und fördern Kunst, Kultur und<br />
Sport. Wesentliches Merkmal von CSR ist, dass<br />
es freiwillig ist und mehr ist als die Einhaltung gesetzlicher<br />
Vorschriften.<br />
Art und Ausprägung des gesellschaftlichen Engagements<br />
eines Unternehmens sind abhängig von<br />
der Unternehmensgröße sowie den Branchen und<br />
Märkten, in denen es operiert. Vielfältigkeit und<br />
Freiwilligkeit sind daher die zentralen Prinzipien<br />
von CSR. Die Verantwortung, die ein multinationales<br />
Unternehmen in Bangladesch hat, ist eine<br />
ganz andere als die eines Handwerkers in Europa.<br />
Die Herausforderungen, die eine IT-Firma im<br />
Bereich CSR hat, unterscheiden sich von denen<br />
eines Unternehmens der Erdölindustrie.<br />
Die Komplexität und Vielfältigkeit von CSR schließen<br />
daher Regulierung, Standardisierung und<br />
Zertifizierung aus. Unternehmen müssen uneingeschränkt<br />
Handlungsmöglichkeiten haben, die besten<br />
CSR-Ansätze zu entwickeln und umzusetzen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Corporate Social Responsibility“ veröffentlicht.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Europa und Internationales 133
ISO Social Responsibility:<br />
Praxisbezug fehlt<br />
Seit 2004 ist die ISO (International Organization<br />
for Standardization) dabei, einen ISO-Leitfaden zu<br />
„Social Responsibility“ zu erarbeiten. Dabei ist die<br />
Vorgabe für die dafür zuständige internationale,<br />
450-köpfige, aus sechs verschiedenen Stakeholderkategorien<br />
bestehende Arbeitsgruppe (WG),<br />
dass dieser Leitfaden nicht zertifizierbar sein und<br />
sich darüber hinaus nicht nur an Unternehmen,<br />
sondern an alle Organisationen richten soll.<br />
<strong>2008</strong> war für diesen komplexen Prozess eines<br />
internationalen Interessenausgleichs eine wichtige<br />
Etappe. Beim Treffen der internationalen Arbeitsgruppe<br />
in Santiago de Chile wurde im Konsens beschlossen,<br />
nun in die verbindlichere Phase eines<br />
„Committee Draft“ einzutreten. Mit dieser Entscheidung<br />
sind die Weichen gestellt, den aktuellen Zeitplan,<br />
d. h. die Fertigstellung des Projektes bis Mitte<br />
2010, einzuhalten. Für die Wirtschaft ist es wesentlich<br />
sicherzustellen, dass der „Einflussbereich“ einer<br />
Organisation nicht synonym mit der Zulieferkette<br />
verwendet wird (denn in der Regel erstreckt sich<br />
der Einflussbereich einer Organisation nicht auf ihre<br />
gesamte Zulieferkette) und dass der Leitfaden eine<br />
wirkliche Relevanz für alle Organisationen, gleich<br />
welcher Art und Größe, aufweist. Zudem ist in dem<br />
Dokument noch keine durchgehende Logik entwickelt,<br />
welche Rolle, Verantwortung und Aufgaben<br />
Staaten und Regierungen haben.<br />
ISWA-Seminar erörtert internationale<br />
Dimension von CSR<br />
Vom 2. bis zum 4. März <strong>2008</strong> fand in Berlin ein Seminar<br />
des Instituts für Sozial- und Wirtschaftspolitische<br />
Ausbildung (ISWA) zum Thema „Corporate<br />
Social Responsibility (CSR)“ statt. Das Seminar<br />
„Unternehmen und Gesellschaft: CSR im internationalen<br />
Kontext“ stellte die internationalen Aspekte<br />
von CSR in den Mittelpunkt der Diskussion. Auch<br />
wenn die Referenten die unterschiedlichsten Hintergründe<br />
hatten, so kam doch eine Kernbotschaft<br />
ganz deutlich heraus: Es gibt für Unternehmen<br />
keine Möglichkeit der standardisierten und somit<br />
rechtssicheren Handhabung von CSR im internationalen<br />
Kontext. Die Herausforderungen und<br />
Lösungen sind zu unterschiedlich und vielfältig,<br />
abhängig von der Branche, den Märkten und den<br />
nationalen Gegebenheiten, mit denen ein Unternehmen<br />
konfrontiert ist.<br />
International Organisation of<br />
Employers (IOE): Globale Interessenvertretung<br />
für die Wirtschaft<br />
wird immer wichtiger<br />
Die IOE ist die globale Stimme der Arbeitgeber. In<br />
dieser Eigenschaft wird sie immer wichtiger, denn<br />
die internationalen Branchengewerkschaftsbünde<br />
organisieren sich auf globaler Ebene immer strategischer.<br />
Dies zeigt sich z. B. durch den Zusammenschluss<br />
der internationalen Branchengewerkschaften<br />
zur Global Union Federation, die es sich<br />
zum Ziel erklärt hat, die industriellen Beziehungen<br />
global auszubauen. Hierbei geht es vor allem darum,<br />
eine stärkere Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen<br />
auf Weltebene zu erreichen. Mit den<br />
sog. „International Framework Agreements“, also<br />
Rahmenvereinbarungen, die zwischen einzelnen<br />
Unternehmen und den internationalen Branchengewerkschaften<br />
abgeschlossen werden, verschaffen<br />
sich die Gewerkschaften Zugang zu den<br />
Belegschaften der Unternehmen und versuchen<br />
diese national zu organisieren.<br />
Vor diesem Hintergrund kommt der IOE,<br />
neben ihrer Rolle als Arbeitgeberstimme in der<br />
ILO, eine strategische Bedeutung zu, um hier Arbeitgeberinteressen<br />
– gleichfalls global – entgegensetzen<br />
zu können. Zu diesem Zweck hat die<br />
IOE, u. a. auf Anregung der BDA, das „Global Industrial<br />
Relations Network“ (GIRN) gegründet, in<br />
dem multinationale Unternehmen Mitglieder werden<br />
können. Sie finden hier nicht nur eine Plattform<br />
für den spezifischen Erfahrungsaustausch<br />
zu internationaler Sozialpolitik und industriellen<br />
Beziehungen, sondern können bei konkreten Problemen,<br />
z. B. mit Framework Agreements, auch<br />
Beratung erhalten.<br />
Die BDA hat im Juni des Jahres die Koordinierung<br />
der Gruppe europäischer Länder innerhalb<br />
der IOE übernommen, der auch viele Nicht-<br />
EU-Mitglieder angehören. Sie ist die europäische<br />
Stimme in der internationalen Arbeitgebergemeinschaft<br />
und setzt sich für eine unternehmensrelevante<br />
Politik der ILO ein.<br />
134 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Europa und Internationales
Seit Mai <strong>2008</strong> hat die IOE einen neuen Präsidenten:<br />
Professor Wiseman Nkuhlu aus Südafrika<br />
hat dieses Amt übernommen. Neben seiner<br />
Professur ist er ein erfolgreicher Unternehmer.<br />
Er hat mit seiner Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />
Unternehmensgründungen gefördert und besonders<br />
kleine und mittlere Unternehmen dabei unterstützt,<br />
Zugang zu Krediten und Risikokapital zu<br />
erhalten.<br />
OECD – wachsendes Interesse an<br />
sozialpolitischen Fragestellungen<br />
Seit einiger Zeit lässt sich eine Entwicklung beobachten,<br />
die für die BDA ein erhöhtes Engagement<br />
gegenüber der OECD erfordert: Insbesondere der<br />
Internationale Währungsfonds und die Weltbank<br />
werden für ihre klassischen Aufgaben (Kredite an<br />
Entwicklungsländer) immer weniger benötigt, so<br />
dass sie zunehmend in Felder der allgemeinen<br />
globalen Wirtschaftspolitik vorstoßen und damit<br />
der OECD bei ihren Kernaufgaben Konkurrenz<br />
machen. Diese Institutionenkonkurrenz hat u. a.<br />
den Effekt, dass die OECD sich nun stärker in soziale<br />
Themen und Betrachtungen begibt.<br />
OECD-Raum in Entwicklungs- und Schwellenländern<br />
in den letzten 20 Jahren nicht nur erheblich<br />
gestiegen sind, sondern dabei zunehmend unternehmenseigene<br />
Verhaltenskodizes entwickelt<br />
wurden, um soziale und ökologische Ziele in den<br />
Fertigungsstellen der Unternehmen sowie in ihrer<br />
Zulieferkette sicherzustellen. Europäische Unternehmen<br />
haben im internationalen Vergleich die<br />
ausgeprägtesten Ansätze zur Implementierung<br />
von Arbeitsstandards. Insgesamt zieht der Bericht<br />
eine positive Bilanz und kommt zu dem Ergebnis,<br />
dass die positiven Effekte von Direktinvestitionen<br />
multinationaler Unternehmen Anlass dazu geben,<br />
regulative Hürden für Direktinvestitionen abzubauen<br />
und ein investitionsfreundliches Klima zu<br />
schaffen.<br />
Vor diesem Hintergrund ist es besonders<br />
erfreulich, dass BDA-Vizepräsident Randolf Rodenstock<br />
in den Verwaltungsrat von BIAC (The<br />
Business and Industry Advisory Committee to the<br />
OECD) gewählt wurde und so auch die sozialpolitische<br />
Interessenvertretung aus deutscher Sicht<br />
sichergestellt ist. BIAC ist das beratende Gremium<br />
der Wirtschaft bei der OECD. Damit die Interessen<br />
der deutschen Unternehmen innerhalb von BIAC<br />
zukünftig besser koordiniert und wahrgenommen<br />
werden können, hat die BDA zudem gemeinsam<br />
mit dem BDI ein deutsches Netzwerktreffen im<br />
Januar <strong>2008</strong> initiiert. Damit war erstmals eine Gelegenheit<br />
geboten, die deutschen Vertreter aller<br />
BIAC-Ausschüsse zu versammeln und sich über<br />
Forderungen und Erwartungen an BIAC auszutauschen.<br />
Inhaltlich ist für <strong>2008</strong> der „Employment Outlook“<br />
besonders erwähnenswert. Bezüglich der<br />
Frage „Schaffen multinationale Unternehmen<br />
bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen?“ fand<br />
die OECD eindeutige Belege, dass Direktinvestitionen<br />
multinationaler Unternehmen aus dem<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Europa und Internationales 135
Nachhaltig wirtschaften –<br />
Vertrauen zurückgewinnen<br />
Die Soziale Marktwirtschaft, deren 60-jähriges Bestehen<br />
wir in diesem Jahr gefeiert haben, hat uns<br />
einen in dieser Breite historisch einmaligen Wohlstand,<br />
eine gute soziale Sicherung und politische<br />
Stabilität beschert. Trotzdem muss uns alarmieren,<br />
dass sich der sichtbare und messbare Erfolg der<br />
Sozialen Marktwirtschaft nicht mehr im Vertrauen<br />
der Bürger in unsere freiheitliche und soziale Wirtschaftsordnung<br />
spiegelt: Nur noch jeder zweite<br />
Deutsche glaubt, dass sich die Soziale Marktwirtschaft<br />
bewährt hat. Vor vier Jahren waren es noch<br />
56 %, vor acht Jahren sogar 70 % der Deutschen,<br />
die der Aussage „Die Soziale Marktwirtschaft hat<br />
sich bewährt“ zustimmten (Bankenverband, <strong>2008</strong>).<br />
Die Gründe dafür sind vielfältig. Schon vor der Finanzmarktkrise<br />
haben wir beobachten müssen,<br />
dass die Akzeptanz der Sozialen Marktwirtschaft<br />
dramatisch gesunken ist. Die Globalisierung und<br />
die Diskussion über soziale Gerechtigkeit und<br />
Armut in Deutschland haben zu einer tiefen Verunsicherung<br />
der Menschen beigetragen. Eine der<br />
vorrangigen Aufgaben der BDA muss es deshalb<br />
künftig sein, langfristige und nachhaltige Strategien<br />
und Konzepte zu entwickeln und umzusetzen,<br />
um so der Vertrauenskrise entgegenzuwirken. Die<br />
Wirtschaft muss in der aktuellen Debatte über die<br />
Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft Vertrauen<br />
zurückgewinnen. Unsere freiheitliche, auf Wettbewerb,<br />
Eigenverantwortung und Solidarität fußende<br />
Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist darauf<br />
angewiesen.<br />
Eine Lehre aus der Finanzmarktkrise ist,<br />
dass ein kurzatmig an Gewinnen orientiertes<br />
Wirtschaften keinen Bestand hat. Für die BDA<br />
geht es deshalb jetzt noch stärker darum, für eine<br />
Wirtschaftskultur der Nachhaltigkeit im Sinne der<br />
Sozialen Marktwirtschaft einzutreten und auch für<br />
eine nachhaltige Politikgestaltung zu werben. Es<br />
gilt aber auch, die Glaubwürdigkeit der Wirtschaftseliten<br />
wiederherzustellen. Der Vertrauensverlust<br />
in die Führungskräfte der deutschen Wirtschaft ist<br />
ernst zu nehmen und in Teilen leider auch selbst<br />
verschuldet. Es ist jedoch der falsche Weg, Unternehmer<br />
und Manager unter Generalverdacht<br />
zu stellen und kollektiv auf die Anklagebank zu<br />
setzen. Die überwiegende Zahl von ihnen arbeitet<br />
verantwortungsvoll und erfolgreich. Auch innerhalb<br />
der Unternehmen spielt werteorientiertes Handeln<br />
eine wichtige Rolle. Viele Unternehmen haben sich<br />
freiwillig Leitlinien gegeben, die eine ethische Unternehmenskultur<br />
fördern und zu verantwortlichem<br />
und nachhaltigem Handeln ermutigen, viele haben<br />
die positiven Wirkungen von Diversity Management<br />
erkannt und setzen sich im Rahmen ihrer betrieblichen<br />
Personalpolitik für Chancengleichheit und<br />
Vielfalt ein. Eine überwältigende Mehrheit der Unternehmen<br />
in Deutschland engagiert sich darüber<br />
hinaus in vielfältiger Weise gesellschaftlich.<br />
Wer für die freiheitliche und soziale Wirtschaftsordnung<br />
wirbt, muss überzeugend darstellen,<br />
wie attraktiv und überzeugend sie ist, und die<br />
Menschen dafür gewinnen. Gerade junge Menschen<br />
müssen an den Schulen, in den Betrieben<br />
und an den Hochschulen für die Soziale Marktwirtschaft<br />
gewonnen und umfassend ökonomisch<br />
gebildet werden. Wir stehen in Deutschland, aber<br />
auch weltweit, vor neuen, großen Herausforderungen,<br />
auf die wir gemeinsam Antworten finden<br />
müssen: Die Wirtschaft muss sich den grundlegenden<br />
Orientierungsfragen der Menschen stellen<br />
und sich aktiv an der aktuellen Debatte über unser<br />
Wirtschafts- und Gesellschaftssystem beteiligen.<br />
Ihre Führungskräfte müssen Werte vorleben und<br />
im Sinne einer Ethik der Verantwortung als glaubwürdige<br />
Vorbilder handeln. Die Politik muss sich<br />
stärker an nachhaltigen Strategien und langfristigen<br />
Zielen orientieren und sich so den großen Herausforderungen<br />
der Zukunft gewachsen erweisen.<br />
Jeder Einzelne muss sich auf seinen Beitrag in<br />
einer Gesellschaftsordnung besinnen, die neben<br />
Solidarität auch Eigenverantwortung postuliert.<br />
Die BDA hat zu diesen Themen den kompakt „Wirtschaftsethik“<br />
sowie die argumente „Wirtschaft und<br />
Ethik – kein Widerspruch!“ veröffentlicht.<br />
Kirche und Wirtschaft im Dialog<br />
Die christlichen Kirchen sind wichtige Gesprächspartner<br />
für die Arbeitgeber. Sie tragen zur Werteorientierung<br />
unserer Gesellschaft und zur öffentlichen<br />
Meinungsbildung maßgeblich bei. Die Arbeitgeber<br />
wollen im Gespräch mit den Kirchen ihre Sichtweise<br />
auf aktuelle wirtschafts- und sozialpolitische Fragen<br />
verdeutlichen und ihrerseits die Perspektive der Kirchen<br />
auf diese Fragen aufnehmen. Nur über das gemeinsame<br />
Gespräch können wir unsere wirtschafts-<br />
140 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Gesellschaftspolitik
„Freiheit und Verantwortung gehören zusammen“<br />
Auszug aus der Rede von Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt<br />
auf dem Deutschen Arbeitgebertag <strong>2008</strong><br />
Die Soziale Marktwirtschaft setzt Vertrauen voraus.<br />
Sie ist zwingend auf Glaubwürdigkeit und<br />
Verlässlichkeit angewiesen, weil eine freiheitliche<br />
und soziale Wirtschaftsordnung eben nicht über<br />
Druck, Zwang und Fremdbestimmung funktioniert,<br />
sondern attraktiv und überzeugend sein muss, um<br />
die Menschen für sich zu gewinnen. Die Bürgerinnen<br />
und Bürger haben die Wahl – und machen<br />
von ihrem demokratischen Recht auch Gebrauch.<br />
Alle Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft<br />
sind aufgerufen, die Attraktivität unserer<br />
freiheitlichen und sozialen Wirtschaftsordnung zu<br />
verteidigen und zu erhalten.<br />
Ignoranz und Selbstherrlichkeit gegenüber den<br />
Unsicherheiten und Ängsten der Menschen sind<br />
absolut fehl am Platze! Denn es sind die Menschen<br />
in unserem Land, welche die Soziale Marktwirtschaft<br />
tragen, lebendig halten und für die Zukunft<br />
prägen.<br />
Wenn sich Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften<br />
jeweils für sich, aber auch in offener und partnerschaftlicher<br />
Auseinandersetzung miteinander<br />
redlich bemühen, muss uns auch angesichts der<br />
aufgezogenen Wolken nicht bange sein!<br />
Die Soziale Marktwirtschaft feiert in diesem Jahr<br />
ihren 60. Geburtstag. Ich habe keinen Zweifel: Sie<br />
wird sich einmal mehr als widerstandsfähige, zukunftsfeste<br />
und bestmögliche Wirtschaftsordnung<br />
in einer freiheitlichen Gesellschaft beweisen.<br />
Freiheit und Verantwortung gehören zusammen.<br />
Und jede Krise hat in einer stabilen Ordnung auch<br />
ihre reinigende Kraft.<br />
Arbeiten wir gemeinsam für die Zukunft der Sozialen<br />
Marktwirtschaft – für eine bessere Wettbewerbsfähigkeit,<br />
für stärkeres Wachstum und mehr<br />
Beschäftigung in unserem Land.<br />
Die deutschen Arbeitgeber werden sich mit allem<br />
Nachdruck dafür einsetzen, verloren gegangenes<br />
Vertrauen in unsere Wirtschaftsordnung wiederherzustellen.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Gesellschaftspolitik 141
Initiative Freiheit und Verantwortung –<br />
Engagement von Unternehmen fördern und verstärken<br />
Das gesellschaftliche Engagement der Unternehmen<br />
fördern – das ist das Ziel der Initiative Freiheit<br />
und Verantwortung. Getragen wird sie von<br />
den Spitzenverbänden BDA, BDI, DIHK und ZDH<br />
sowie der WirtschaftsWoche. Schirmherr ist Bundespräsident<br />
Horst Köhler. Die Initiative vergibt<br />
seit 2001 jährlich den Preis „Freiheit und Verantwortung“.<br />
Am 1. Dezember <strong>2008</strong> war es wieder so<br />
weit.<br />
Unter dem Motto „Beruf und Familie – Die Wirtschaft<br />
übernimmt Verantwortung“ fand am 1. Dezember<br />
<strong>2008</strong> im Meistersaal des Zentralverbands<br />
des Deutschen Handwerks (ZDH) das Symposium<br />
mit anschließender Preisverleihung in Berlin<br />
statt. Hauptredner waren der Ratsvorsitzende<br />
der Evangelischen Kirche in Deutschland Bischof<br />
Dr. Wolfgang Huber sowie Dr. Silvana Koch-<br />
Mehrin MdEP. Eine Gesprächsrunde zu dem Thema<br />
„Familienbewusste Unternehmensführung und<br />
Erwartungen an die Politik“ sowie musikalische<br />
Darbietungen rundeten die feierliche Preisverleihung<br />
ab. Für ihr besonderes gesellschaftliches<br />
Engagement wurden in diesem Jahr in den Kategorien<br />
kleine, mittlere und große Unternehmen<br />
die Voss AG, die TÜV Technische Überwachung<br />
Hessen GmbH und die ThyssenKrupp AG ausgezeichnet.<br />
Ingrid Hofmann, Mitglied des Präsidiums<br />
der BDA, würdigte in ihrer Laudatio das Projekt<br />
„TÜV Kids“: „Schon heute fehlt es der deutschen<br />
Wirtschaft an naturwissenschaftlich und technisch<br />
gebildetem Nachwuchs. Wir begrüßen deshalb,<br />
wenn Initiativen und Projekte wie ,TÜV Kids‘ schon<br />
bei Kindern im Grundschulalter ansetzen. Für den<br />
Standort Deutschland ist das von unschätzbarem<br />
Wert.“<br />
Weitere Informationen zur Initiative Freiheit<br />
und Verantwortung und zu den Preisträgern sind<br />
über www.freiheit-und-verantwortung.de abrufbar.<br />
142 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Gesellschaftspolitik
und sozialpolitischen Standpunkte annähern und<br />
zum besseren gegenseitigen Verständnis beitragen.<br />
Kirchen und Arbeitgeber sind deshalb auf den verschiedensten<br />
Ebenen – vom Betrieb bis zum Spitzengespräch<br />
– im Dialog. Auch in diesem Jahr hat<br />
sich die BDA bei zahlreichen Veranstaltungen der<br />
Kirchen, der Akademien und der konfessionellen Unternehmerverbände<br />
aktiv beteiligt und die Positionen<br />
der Arbeitgeber bei Kongressen und auf Tagungen<br />
dargestellt. Im Mittelpunkt der Vorträge und Diskussionen<br />
standen die Themen „Mindestlohn und Niedriglohnbereich“,<br />
„Bildung und Armutsbekämpfung“,<br />
„Globalisierung“ sowie die Vereinbarkeit von Familie,<br />
Ehrenamt und Beruf.<br />
Für einen „neuen Dialog zwischen Kirche und<br />
Wirtschaft“ wirbt auch die im Juli von der Evangelischen<br />
Kirche in Deutschland (EKD) veröffentlichte<br />
Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in evangelischer<br />
Perspektive“. Die EKD ermutigt darin<br />
zu unternehmerischem Handeln und würdigt die<br />
Leistung der Unternehmer für unsere Gesellschaft<br />
ausdrücklich. Dass sie das zu einem Zeitpunkt tut,<br />
zu dem Unternehmen und Unternehmer viel Kritik<br />
und Misstrauen ausgesetzt sind, ist bemerkenswert.<br />
Die EKD setzt damit ein deutliches Zeichen<br />
gegen die steigende Skepsis gegenüber der Wirtschaft<br />
und ihren Vertretern und leistet einen wichtigen<br />
Beitrag, das Vertrauen in unternehmerisches<br />
Handeln zu stärken. Der Text bildet eine gute<br />
Grundlage für den weiteren Gedankenaustausch<br />
zwischen EKD und Wirtschaft auf allen Ebenen.<br />
Zu diesen Themen hat die BDA den kompakt<br />
„Kirche und Wirtschaft“ und den kompakt „Die<br />
Unternehmerdenkschrift der EKD“ veröffentlicht.<br />
Chancen für Eltern und Frauen<br />
am Arbeitsmarkt weiter verbessern<br />
Nachdem Deutschland bereits im Jahr 2005 bei<br />
der Beschäftigungsquote von Frauen erstmals<br />
das Lissabon-Ziel der Europäischen Union erfüllt<br />
hat, das eine Frauenerwerbsbeteiligung von 60 %<br />
bis 2010 vorsieht, hat sich die Beschäftigungssituation<br />
von Frauen in den letzten Jahren erfreulicherweise<br />
weiter verbessert. Bis 2007 stieg die<br />
Frauenerwerbstätigenquote auf 64 %. EU-weit befindet<br />
sich Deutschland damit im oberen Mittelfeld.<br />
Angesichts der demografischen Entwicklung und<br />
struktureller Fachkräfteengpässe, die weitgehend<br />
konjunkturunabhängig sind, ist es unverzichtbar,<br />
gerade auch mehr weibliche Fach- und Führungskräfte<br />
für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. Die BDA<br />
setzt sich daher aktiv dafür ein, die Vereinbarkeit<br />
von Familie und Beruf und die Chancengleichheit<br />
von Frauen voranzubringen.<br />
Nach Beschluss durch den Deutschen Bundestag<br />
Ende September wurde das Kinderförderungsgesetz<br />
(KiföG) am 7. November <strong>2008</strong><br />
auch im Bundesrat verabschiedet. Damit hat der<br />
Gesetzgeber einen wichtigen Schritt hin zu einer<br />
weiteren Verbesserung der Vereinbarkeit von<br />
Beruf und Familie vollzogen. Vor allem der hiermit<br />
auf den Weg gebrachte deutliche Ausbau der<br />
Kinderbetreuungsinfrastruktur auf kommunaler<br />
Ebene war eine langjährige Forderung der BDA.<br />
Bis 2013 soll in den Kommunen ein bedarfsgerechtes<br />
Betreuungsangebot für Kinder unter drei<br />
Jahren geschaffen sein. Jetzt sind die Länder gefordert,<br />
die vom Bund dafür bereitgestellten Mittel<br />
zielgerichtet einzusetzen und für mehr qualitativ<br />
hochwertige Kinderbetreuungsplätze zu sorgen.<br />
Es wäre jedoch ein Fehler, Kinderbetreuung allein<br />
in staatlicher Verantwortung zu organisieren. Die<br />
Länder müssen beim Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten<br />
die Gleichbehandlung der privaten<br />
Träger gewährleisten, auch um einen Wettbewerb<br />
zugunsten von mehr Betreuungsqualität<br />
(z. B. elterngerechte Öffnungszeiten; Betreuungsschlüssel)<br />
zu fördern.<br />
Als betriebliche Ansatzpunkte zur weiteren<br />
Verbesserung der Arbeitsmarktbeteiligung von<br />
Frauen gewinnen Familienfreundlichkeit und<br />
Chancengleichheit als zentrale Elemente der betrieblichen<br />
Personalpolitik immer weiter an Bedeutung.<br />
Vor allem für kleine und mittlere Unternehmen<br />
können sich hieraus oft entscheidende Vorteile im<br />
Wettbewerb um dringend benötigte Fachkräfte<br />
ergeben. Viele Unternehmen haben dies bereits<br />
erkannt: Laut „Monitor Familienfreundlichkeit“ bieten<br />
inzwischen mehr als 95 % der Unternehmen<br />
in Deutschland Maßnahmen zur Vereinbarkeit<br />
von Beruf und Familie an. Auch Maßnahmen zur<br />
gezielten Aufstiegsförderung von Frauen sind in<br />
vielen Unternehmen bereits Bestandteil der Personalentwicklung.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Gesellschaftspolitik 143
Frauenerwerbstätigenquote in Deutschland steigt<br />
Entwicklung Frauenerwerbstätigenquote 1997 – 2007 (Lissabon-Ziel 2010 = 60 %)<br />
Prozent<br />
68<br />
66<br />
64<br />
64,0<br />
62<br />
60,6<br />
62,2<br />
60<br />
58<br />
57,4<br />
58,1<br />
58,7 58,9 58,9<br />
59,2<br />
57,0<br />
57,8<br />
58,8<br />
59,7<br />
58,3<br />
56<br />
55,3<br />
55,8<br />
55,0<br />
55,6<br />
56,2<br />
56,3<br />
57,3<br />
54<br />
52<br />
51,4<br />
52,0<br />
53,0<br />
53,0<br />
54,1<br />
53,7<br />
54,3<br />
54,4<br />
54,9<br />
55,5<br />
50<br />
50,8<br />
51,6<br />
48<br />
1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007<br />
Jahr<br />
EU-15 D EU-27<br />
Quellen: European Commission, Employment in Europe, 2005;<br />
Recent Trends and Prospects und Eurostat, 2007;<br />
Darstellung: BDA<br />
144 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Gesellschaftspolitik
Auf Grundlage der im Jahr 2001 zwischen<br />
der Bundesregierung und den Spitzenverbänden<br />
der deutschen Wirtschaft getroffenen Vereinbarung<br />
zur Förderung der Chancengleichheit wurden<br />
in diesem Jahr zum nunmehr dritten Mal die<br />
Fortschritte bilanziert. Besonders erfreulich ist der<br />
steigende Bildungsgrad von Mädchen und Frauen.<br />
Mittlerweile absolvieren sogar mehr Frauen als<br />
Männer das Abitur. Bei den Studienabschlüssen<br />
liegen Frauen und Männer gleichauf. Hier werden<br />
die Grundlagen für den beruflichen Erfolg gelegt.<br />
Auch das für den Erfolg am Arbeitsmarkt<br />
ebenfalls wichtige Berufswahlspektrum junger<br />
Frauen hat sich in den letzten Jahren erweitert –<br />
hierfür wirbt die BDA u. a. auch im Rahmen des<br />
jährlich durchgeführten „Girls Day“. So stieg der<br />
Anteil studierender Frauen um rund die Hälfte in<br />
den Fächern Elektrotechnik auf 8 % und bei Maschinenbau<br />
auf 17 %. Aber auch im Handwerk findet<br />
eine tief greifende Umwälzung statt. Nach den<br />
neuesten Zahlen gingen im Jahr 2006 fast 20 %<br />
der Meisterbriefe an Frauen; 1991 waren unter<br />
den Absolventen der Meisterschulen gerade einmal<br />
11 % Frauen. Der Frauenanteil bei den Selbstständigen<br />
ist in den letzten Jahren kontinuierlich<br />
und schneller als bei Männern gestiegen. Diese<br />
insgesamt erfreuliche Entwicklung muss weiter<br />
vorangebracht werden.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Chancengleichheit von Frauen und Männern“<br />
und den kompakt „Familienpolitik“ veröffentlicht.<br />
Debatte über Lohnunterschiede<br />
zwischen Frauen und Männern<br />
weiter versachlichen<br />
In der öffentlichen Diskussion werden Lohnunterschiede<br />
zwischen Männern und Frauen (Gender<br />
Pay Gap) oft vorschnell mit Diskriminierung von<br />
Frauen gleichgesetzt und dementsprechend<br />
unsachlich diskutiert. Tatsächlich aber wird der<br />
„Gender Pay Gap“ durch eine Vielzahl von strukturellen<br />
Faktoren verursacht. So wurde dies durch<br />
wissenschaftliche Untersuchungen für fast 90 %<br />
der „Lohnlücke“ nachgewiesen. Diese liegt in<br />
Deutschland, ohne Berücksichtigung der unterschiedlich<br />
ausgeübten Berufe und der jeweiligen<br />
Qualifikationserfordernisse, je nach Berechnungs-<br />
grundlage im Bundesdurchschnitt aller Einkommen<br />
von Frauen und Männern zwischen 22 %<br />
und 24 %, in den neuen Bundesländern bei 6 %.<br />
Insbesondere familienbedingte Erwerbsunterbrechungen,<br />
das noch zu limitierte Berufswahlverhalten<br />
junger Mädchen und Frauen, häufigere Teilzeittätigkeiten<br />
sowie die geringere Qualifikation<br />
älterer Frauen sind für die noch bestehenden Lohnunterschiede<br />
verantwortlich. Traditionelle Rollenbilder<br />
beeinflussen noch immer die Entscheidung<br />
für einen Beruf oder die Aufteilung von Erziehungsverantwortung<br />
zwischen Frauen und Männern und<br />
somit letztendlich auch die Karriereentwicklung<br />
und die Gehaltsstruktur.<br />
Um den Blick auf die tatsächlichen und für die<br />
Diskussion wesentlichen Fakten zu legen, hat die<br />
BDA gemeinsam mit dem Bundesministerium für<br />
Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)<br />
am 30. September <strong>2008</strong> eine Tagung zum Thema<br />
„Ursachen für Lohnunterschiede angehen“<br />
durchgeführt. Die Tagung war darüber hinaus ein<br />
deutliches Signal an die Öffentlichkeit, dass die<br />
Arbeitgeber sich aktiv mit der Lohnlücke auseinandersetzen.<br />
Diesem Zweck diente auch die Veröffentlichung<br />
des BDA - Positionspapiers „Ursachen<br />
für Lohnunterschiede angehen“ im Frühjahr <strong>2008</strong>,<br />
das eine positive Resonanz gefunden hat.<br />
Die BDA unterstützt Maßnahmen auf Grundlage<br />
der „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung<br />
und den Spitzenverbänden der deutschen<br />
Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit<br />
von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft“,<br />
die somit auch zur Verringerung der Lohnlücke beitragen.<br />
Insbesondere die Vereinbarkeit von Beruf<br />
und Familie ist aus Sicht der BDA die entscheidende<br />
Voraussetzung zur Verminderung noch bestehender<br />
Lohnunterschiede. Die BDA unterstützt<br />
dies mit einer Vielzahl von Initiativen und setzt sich<br />
z. B. dafür ein, dass junge Frauen vermehrt ihre<br />
beruflichen Karrierechancen auch in naturwissenschaftlichen<br />
und technischen Bereichen wahrnehmen<br />
und sich so bessere Verdienstmöglichkeiten<br />
erschließen.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Gesellschaftspolitik 145
46. Kolloquium der Walter-Raymond-Stiftung<br />
Die Walter-Raymond-Stiftung ist dem regen Gedankenaustausch<br />
zwischen Wirtschaft, Wissenschaft<br />
und Politik verpflichtet und steht allen gesellschaftlichen<br />
Themen offen gegenüber. Sie leistet einen<br />
Beitrag zu einer auf Freiheit, Eigenverantwortung<br />
und Solidarität beruhenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.<br />
Mehr als 100 hochkarätige<br />
Repräsentanten aus Wissenschaft, Wirtschaft und<br />
Politik diskutieren regelmäßig gesellschafts- wie<br />
wirtschaftspolitische Themen, denen eine hohe<br />
Bedeutung für Deutschlands Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung<br />
zukommt.<br />
<strong>2008</strong> stand das Kolloquium unter dem Leitmotiv<br />
„Perspektiven für eine moderne Arbeitsmarktordnung“.<br />
Den Einstieg gaben die Vorträge von Bundesverfassungsrichter<br />
Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio,<br />
Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt, dem Südwestmetall-Vorsitzenden<br />
Dr. Jan Stefan Roell,<br />
IG-BCE-Vorstandsmitglied Werner Bischoff, Allianz-Vorstandsmitglied<br />
Ulrich Schumacher, dem<br />
Hauptgeschäftsführer der Schweizerischen Arbeitgeberverbände<br />
Thomas Daum sowie dem Rechtswissenschaftler<br />
Prof. Dr. Manfred Weiss und dem<br />
RWI-Präsidenten Prof. Christoph M. Schmidt. Ausgangspunkt<br />
des Diskurses war die Feststellung,<br />
dass die Globalisierung durch den verschärften<br />
weltweiten Standortwettbewerb auch unweigerlich<br />
die nationalen Arbeitsmarktordnungen unter Wettbewerbsdruck<br />
stellt. Intensiv wurde darüber beraten,<br />
wie viel und welchen Arbeitnehmerschutz eine<br />
Volkswirtschaft benötigt, damit unternehmerische<br />
Freiheiten erhalten bleiben bzw. geschaffen werden<br />
und sich zugleich die Wirtschaft im Interesse<br />
eines hohen Beschäftigungsniveaus dynamisch<br />
entwickeln kann. Hierbei kommt es u. a. darauf an,<br />
die Regelungen des Arbeitsrechts so zu gestalten,<br />
dass letztlich die Beschäftigung nachhaltig wächst.<br />
Die Ergebnisse und Vorträge des Kolloquiums liegen<br />
im Band 48 der Großen Reihe der Walter-Raymond-Stiftung<br />
vor.<br />
Das nächste Kolloquium widmet sich im März<br />
2009 unter dem Titel „Solide Staatsfinanzen – die<br />
Finanzmarktkrise, ihre Folgen und ihre Lehren“<br />
u. a. den Auswirkungen der Finanzmarktkrise auf<br />
das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Staat und<br />
auf den in Deutschland eingeschlagenen Konsolidierungsweg.<br />
Zudem soll diskutiert werden, welche<br />
Möglichkeiten der Staat überhaupt in einer<br />
solchen Situation hat, in den Wirtschaftskreislauf<br />
Nutzen stiftend für das Gemeinwohl einzugreifen.<br />
Auch stellt sich die Frage, welche Grundlagen für<br />
eine neue Balance zwischen Staat und Wirtschaft<br />
herangezogen werden könnten. Während sich<br />
die einen auf Keynes berufen und einen größeren<br />
staatlichen Einfluss und staatliche Stützungsprogramme<br />
fordern, sprechen sich andere für die<br />
Rückbesinnung auf die Prinzipien der Sozialen<br />
Marktwirtschaft aus. Inwieweit möglicherweise ein<br />
neues Staatsversagen mit katastrophalen Folgen<br />
droht, ist zentraler Angelpunkt bei diesem Kolloquium.<br />
Weitere Informationen zur Arbeit der Walter-Raymond-Stiftung<br />
sind über www.wrst.de abrufbar.<br />
146 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Gesellschaftspolitik
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Gesellschaftspolitik 147
Finanzmarktkrise verstärkt<br />
Konjunkturabschwung<br />
Die letzten Monate des Jahres <strong>2008</strong> standen politisch<br />
und wirtschaftlich ganz im Zeichen der Finanzmarktkrise.<br />
Spätestens mit der Insolvenz der<br />
US-Investmentbank Lehman Brothers Mitte September<br />
schlug die Vertrauenskrise zwischen Banken<br />
in eine Systemkrise der Finanzmärkte um und<br />
hat die Regierungen in zahlreichen Ländern der<br />
Welt zum Handeln veranlasst.<br />
Die seitdem zugesagten Stützungsprogramme<br />
der Regierungen belaufen sich allein bei<br />
den bezifferten Garantien und Kapitalhilfen auf zusammen<br />
rund 2.500 Mrd. €. Die Bundesregierung<br />
hat in diesem Rahmen ein Maßnahmenbündel<br />
beschlossen, dessen Komponenten eine Staatsgarantie<br />
für Verbindlichkeiten zwischen Banken<br />
bis zu 400 Mrd. € und Hilfen zur Rekapitalisierung<br />
von Banken bis zu 80 Mrd. € vorsehen. Umgesetzt<br />
werden diese Maßnahmen von einem Finanzmarktstabilisierungsfonds,<br />
für dessen Ausstattung<br />
der Bundesfinanzminister zur Aufnahme von Krediten<br />
bis zu einem Volumen von 100 Mrd. € ermächtigt<br />
wird.<br />
Bis Ende September rechneten die Forschungsinstitute<br />
für Deutschland lediglich mit einer<br />
etwas verstärkten zyklischen Abschwächung<br />
des Wirtschaftswachstums im Jahr 2009 von<br />
rund 1 %. Doch bei einer Exportquote von zuletzt<br />
47 % des Bruttoinlandsproduktes kann sich die<br />
deutsche Wirtschaft den Nachfrageeinbrüchen in<br />
den wichtigsten Absatzmärkten nicht entziehen.<br />
Das Herbstgutachten der Forschungsinstitute sah<br />
Mitte Oktober die deutsche Wirtschaft 2009 mit<br />
einem Wachstum von nur 0,2 % schon am Rande<br />
der Rezession und die Bundesregierung setzte<br />
ihre Vorhersage unmittelbar danach auf ebenfalls<br />
0,2 % herunter. Die Prognose des Sachverständigenrates<br />
von Mitte November zeigte mit einem<br />
Nullwachstum weiter nach unten. Kurz zuvor hatte<br />
der Internationale Währungsfonds mit – 0,8 % sogar<br />
ein tiefes Abgleiten Deutschlands in die Rezession<br />
prognostiziert.<br />
In diesem Umfeld beschloss die Bundesregierung<br />
am 5. November <strong>2008</strong> das Maßnahmenpaket<br />
„Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“,<br />
dessen steuerliche Komponenten<br />
am 5. Dezember den Bundesrat passiert haben.<br />
Damit will die Bundesregierung in den Jahren<br />
2009 und 2010 Investitionen und Aufträge von Unternehmen,<br />
privaten Haushalten und Kommunen<br />
in einer Größenordnung von rund 50 Mrd. € anstoßen.<br />
Zudem sollen Maßnahmen zur Sicherung der<br />
Finanzierung und Liquidität bei Unternehmen die<br />
Finanzierung von Investitionen im Umfang von gut<br />
20 Mrd. € gewährleisten.<br />
Maßnahmenpaket der Bundesregierung<br />
mit Licht und Schatten<br />
Die Bundesregierung setzt damit einzelne Impulse,<br />
die für die Stabilisierung der Konjunktur hilfreich<br />
sein können. Insbesondere das Vorziehen<br />
von Infrastrukturinvestitionen ist konjunktur- und<br />
wachstumspolitisch sinnvoll. Die Wiedereinführung<br />
der degressiven Abschreibung stärkt die<br />
Selbstfinanzierungskraft der Unternehmen. Ihre<br />
Befristung auf zwei Jahre soll zu Vorzieheffekten<br />
bei Unternehmensinvestitionen führen und damit<br />
den Konjunkturverlauf glätten helfen. Doch der<br />
kurzfristige konjunkturelle Effekt dieser Maßnahme<br />
bleibt begrenzt. Unter wachstumspolitischen<br />
Gesichtspunkten sollte auf eine Befristung der<br />
degressiven Abschreibung verzichtet werden. Die<br />
anderen Maßnahmen des Wachstumsstärkungspakets<br />
dürften zwar auch einen Beitrag zur Konjunkturstabilisierung<br />
leisten, ihre Wirkung dürfte<br />
aber teilweise aufgrund von Mitnahmeeffekten<br />
oder in Anbetracht des vorgesehenen Fördervolumens<br />
nur gering sein.<br />
Konsolidierung bleibt wichtig<br />
Die Bundesregierung veranschlagt für das Maßnahmenbündel<br />
Gesamtkosten von 23 Mrd. € für<br />
den Zeitraum 2009 – 2012. Bei einer damit beabsichtigten<br />
zusätzlichen Bruttowertschöpfung von<br />
50 Mrd. € für diesen Vierjahreszeitraum ergibt eine<br />
gesamtwirtschaftliche „Kosten-Erlös-Rechnung“<br />
eine Nettobelastung für den Bundeshaushalt von<br />
insgesamt 8,5 Mrd. € oder etwa 0,7 % des jeweiligen<br />
Haushaltsvolumens 2009 – 2012. Das heißt<br />
die Bundesregierung unterstellt, dass durch das<br />
Maßnahmenpaket zusätzliche Steuereinnahmen<br />
erzeugt werden, die einen großen Teil der Gegenfinanzierung<br />
der Maßnahmen sicherstellen,<br />
152 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Volkswirtschaft
Wie sich die Finanzmarktkrise<br />
entwickelt hat<br />
Am Anfang der Finanzmarktkrise stand das Platzen<br />
der sog. Immobilienblase in den USA. Häuser<br />
von Schuldnern mit geringer Bonität (Subprime-<br />
Hypothekendarlehen), die zu 100 % von den Banken<br />
fremdfinanziert wurden, verloren erheblich an<br />
Wert. Der zuvor jahrelang funktionierende Mechanismus<br />
aus steigenden Häuserpreisen, steigenden<br />
Hypotheken, hoher Konsumfreude und<br />
kräftigem Wachstum kam zum Erliegen. Der immense<br />
Abschreibungsbedarf der Banken sprang<br />
wie in einem Schneeballsystem auf andere Bereiche<br />
über.<br />
2000: Banken beginnen Immobilienkredite zu<br />
Fonds (Verbriefung) zu bündeln und Anteile an<br />
diesen Fonds zu verkaufen. Ratingagenturen bewerten<br />
diese Fonds mit „sehr gut“ (Triple A). Hohe<br />
Renditen sorgen für Absatz. Banken, Versicherungen<br />
und Investmentfonds nehmen solche Papiere<br />
in ihre Bilanzen, reichen sie aber auch an<br />
Privatkunden weiter. Im Folgenden werden auch<br />
Fonds aus Fonds aufgelegt.<br />
2001 – 2004: Lockere Kreditvergaberichtlinien und<br />
die Niedrigzinspolitik der US-Notenbank Federal<br />
Reserve schaffen ein Überangebot an billigem<br />
Geld. Selbst Kleinstverdiener können Häuser erwerben.<br />
Erwartete Wertsteigerungen der Häuser<br />
lassen das Ausfallrisiko zunächst niedrig erscheinen.<br />
Ein weiteres Problem liegt bei den Zinsen.<br />
Anders als in Deutschland üblich, werden sie in<br />
den USA nur für kurze Zeit festgeschrieben. Die<br />
Substanz dieser sog. Derivate ist immer schwerer<br />
einzuschätzen. „Erstproduzenten“ von Derivaten<br />
reichen ihre Risiken zu 100 % – ohne Selbstbehalt –<br />
weiter. Jeder vertraut auf das Urteil der Ratingagenturen.<br />
2005 – 2006: Zur Eindämmung der Inflation erhöht<br />
die Federal Reserve kontinuierlich die Leitzinsen.<br />
Es baut sich eine Kettenreaktion auf: Wegen der<br />
variablen Zinssätze steigen auch die Hypothekenzinsen.<br />
Viele Hausbesitzer können die höhere<br />
Zinsbelastung nicht tragen. Die Zahl der Zwangsversteigerungen<br />
nimmt zu, der US-Immobilienmarkt<br />
bricht infolge des Überangebots ein.<br />
2007: Die Zahl Not leidender Kredite steigt rasant.<br />
Erste US-Baufinanzierer werden insolvent, die<br />
halbstaatlichen Hypothekenbanken Fannie Mae<br />
und Freddie Mac geraten in Schwierigkeiten. Banken,<br />
Versicherungen und Investmentfonds müssen<br />
hohe Beträge abschreiben. Mit der Notübernahme<br />
der britischen Bank Northern Rock durch<br />
den Staat erreicht die Krise Europa. In Deutschland<br />
gerät die IKB in eine Schieflage. Immer mehr<br />
Marktteilnehmern werden die Intransparenz der<br />
Papiere und das gestiegene Ausfallrisiko bewusst.<br />
Die Folge: Die Banken werden im Geschäft untereinander<br />
vorsichtiger; der Interbankenmarkt trocknet<br />
aus. Mit hohen Milliardenbeträgen halten die<br />
Notenbanken den Geldkreislauf aufrecht.<br />
<strong>2008</strong>: Die Verbriefungskaskade wird zur Abschreibungskaskade.<br />
Die US-Regierung übernimmt<br />
die Kontrolle von Fannie Mae und Freddie Mac.<br />
In Deutschland fällt die Sachsen LB an die Landesbank<br />
Baden-Württemberg; Regierungsbürgschaften<br />
können das unkalkulierbare Risiko in den<br />
Büchern nicht ausräumen. Die US-Regierung lässt<br />
aus ordnungspolitischen Gründen die Investmentbank<br />
Lehman Brothers insolvent werden. Diese<br />
Pleite erschüttert die Märkte weltweit. Die Finanzmarktkrise<br />
wird zur Vertrauens- und Systemkrise;<br />
der Interbankenmarkt kollabiert. Die US-Regierung<br />
verabschiedet ein Rettungspaket über 700 Mrd. $,<br />
um Not leidende Kredite aufzukaufen und Vertrauen<br />
zu schaffen. Die Bundesregierung richtet den<br />
Finanzmarktstabilisierungsfonds mit 480 Mrd. €<br />
ein. Großbritannien beginnt Banken zu verstaatlichen.<br />
Zusehends trifft die Finanzmarktkrise auch<br />
die Realwirtschaft. Die Wachstumsprognosen für<br />
2009 werden auf breiter Front reduziert.<br />
Mit der Errichtung des Finanzmarktstabilisierungsfonds<br />
hat die Bundesregierung im Verbund mit<br />
den Partnern der Eurozone schnell und insgesamt<br />
sachgerecht gehandelt, um dem Vertrauensverlust<br />
auf den Finanzmärkten zügig und effektiv<br />
entgegenzutreten. Inzwischen zeigen sich erste<br />
Zeichen für eine Stabilisierung.<br />
Weltwirtschaft auf dem Weg<br />
in die Rezession<br />
Die US-Wirtschaft ist von der Finanzmarktkrise in<br />
eine Rezession getrieben worden. Not leidet dort<br />
nicht nur der Bau- und Immobiliensektor. Auch<br />
die Dynamik des privaten Konsums droht durch<br />
steigende Arbeitslosigkeit und heraufgesetzte<br />
Kreditstandards – höhere Bonitätsanforderungen<br />
und Zinsen – abgewürgt zu werden. Nach der<br />
Hypothekenkrise droht nun eine Kreditkartenkrise.<br />
Zugleich kämpfen die US-Automobilhersteller<br />
ums Überleben. Ausgehend von den USA geraten<br />
auch wichtige andere Länder der OECD und der<br />
Welthandel insgesamt in eine Rezession.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Volkswirtschaft 153
Wachstumsprognosen für 2009 werden auf breiter Front zurückgenommen<br />
Prozent<br />
2,5<br />
2<br />
1,8<br />
2,0<br />
1,9<br />
1,5<br />
1,4<br />
1,5<br />
1,2<br />
1,6<br />
1,4<br />
1,2<br />
1,5<br />
1<br />
0,6<br />
1,0<br />
1,0<br />
0,7<br />
0,5<br />
0,2<br />
0,2 0,2<br />
0<br />
0,0<br />
0,0<br />
– 0,5<br />
– 1,0<br />
– 0,8<br />
– 0,8 – 0,5 – 0,2 – 1,1 – 1,4 – 1,2 – 1,0 – 1,5 – 2,8 – 1,9<br />
Differenz<br />
IW Köln ifo DIW RWI IfW Institute Bundesregierung<br />
EU IWF SVR Forschungseinrichtungen<br />
Prognosezeitpunkte: Frühjahr <strong>2008</strong><br />
Herbst <strong>2008</strong><br />
Quellen: Konjunkturprognose der Europäischen Union, veröffentlicht am 3. November <strong>2008</strong>;<br />
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten <strong>2008</strong>/09;<br />
IWF, World Economic Outlook, veröffentlicht am 6. November <strong>2008</strong>;<br />
Gemeinschaftsdiagnose der Institute Herbst <strong>2008</strong>, veröffentlicht am 14. Oktober <strong>2008</strong>;<br />
iwd – Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Nr. 40, veröffentlicht am 2. Oktober <strong>2008</strong>;<br />
Darstellung: BDA<br />
154 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Volkswirtschaft
Der Arbeitsmarkt folgt der Finanzmarktkrise mit Verzögerung<br />
Erwerbstätige in Tsd.<br />
40.400<br />
DAX<br />
8.000<br />
7.500<br />
40.300<br />
7.000<br />
6.500<br />
40.200<br />
6.000<br />
5.500<br />
40.100<br />
5.000<br />
4.500<br />
40.000<br />
Jan Feb März Apr Mai Juni Juli Aug Sep Okt Nov Dez<br />
Monat<br />
4.000<br />
Erwerbstätige (saisonbereinigt)<br />
DAX<br />
Quellen: Bundesagentur für Arbeit, Monatsbericht November <strong>2008</strong>, und Deutsche Börse: www.deutsche-boerse.com,<br />
Datenabruf 18. November <strong>2008</strong>; Darstellung: BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Volkswirtschaft 155
Der Schuldenberg wächst weiter<br />
Steuern in Mrd. €<br />
600<br />
Schulden in Mrd. €<br />
1.600<br />
1.500<br />
550<br />
1.400<br />
500<br />
1.300<br />
1.200<br />
450<br />
1.100<br />
400<br />
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 <strong>2008</strong><br />
Jahr<br />
1.000<br />
Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden<br />
gesamtstaatliche Schulden<br />
Quellen: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, lange Zeitreihen,<br />
Internetabruf, www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de, und Deutsche Bundesbank, statistische Zeitreihe BQ 1720;<br />
Darstellung: BDA<br />
156 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Volkswirtschaft
so dass unter dem Strich lediglich eine Belastung<br />
von 8,5 Mrd. € verbleibt. Wegen des Maßnahmenpaketes<br />
allein hätte daher das Konsolidierungsziel<br />
für 2011 nicht aufgegeben werden müssen. Allerdings<br />
ist die unterstellte Hebelwirkung von fast<br />
2,2 (mit dem 23 - Mrd. - € - Paket werden 50 Mrd. €<br />
Wertschöpfung bewirkt) wenig realistisch. Nach<br />
empirischen Untersuchungen des ifo-Instituts beträgt<br />
dieser Multiplikator lediglich 1,36.<br />
Es gehört zwar zu den anerkannten wirtschaftspolitischen<br />
Grundsätzen, im Abschwung<br />
die „automatischen Stabilisatoren“ wirken zu lassen,<br />
d. h. den sinkenden Einnahmen nicht noch<br />
hinterherzusparen. Genauso gilt aber auch, im<br />
Aufschwung die aufgenommenen Schulden aus<br />
Wachstumserträgen zu tilgen. Die Bundesregierung<br />
hat jedoch bislang versäumt, das nun für<br />
das Jahr 2013 in Aussicht gestellte Ziel eines<br />
ausgeglichenen Bundeshaushalts verbindlich mit<br />
konkreten Maßnahmen zu verbinden. Auch damit<br />
sät sie Zweifel an der Wirksamkeit des Maßnahmenpakets<br />
und nimmt ihm einen Teil der psychologischen<br />
Wirkung.<br />
Arbeitsmarkt zwischen<br />
Rezession und Demografie<br />
Der Arbeitsmarkt zeigt sich auch gegen Ende<br />
<strong>2008</strong> noch erstaunlich robust. Bis in den Herbst<br />
nahm die Beschäftigung sogar noch zu. Doch für<br />
das kommende Jahr ist eine anhaltende Abwärtsbewegung<br />
zu erwarten. So gehen die Prognosen<br />
im Herbstgutachten der Forschungsinstitute und<br />
des Sachverständigenrates von einer im Verlauf<br />
des Jahres 2009 merklich ansteigenden Arbeitslosigkeit<br />
aus.<br />
Erbschaftsteuerreform –<br />
mit Nachbesserungsbedarf<br />
Die am 27. November <strong>2008</strong> vom Deutschen<br />
Bundestag und am 5. Dezember vom Bundesrat<br />
beschlossene Erbschaftsteuerreform ist zwar gegenüber<br />
dem Regierungsentwurf vom Dezember<br />
2007 in vielen Punkten ein wirklicher Fortschritt –<br />
insbesondere weil unter bestimmten Bedingungen<br />
nach zehnjähriger Unternehmensfortführung die<br />
Erbschaftsteuer ganz entfallen kann.<br />
Allerdings werden bei Familienunternehmen<br />
gesellschaftliche Verfügungsbeschränkungen mit<br />
Abfindungsklauseln nach wie vor nur ungenügend<br />
berücksichtigt. Zwar wird dem tatsächlichen Abfindungswert<br />
für Übertragungen „unverzüglich nach<br />
deren Erwerb“ entsprochen; jedoch sollte der gesellschaftsvertraglich<br />
festgelegte Abfindungsanspruch<br />
auch bei der Übertragung von Mitgliedsrechten<br />
zu einem späteren Zeitpunkt Grundlage<br />
für die erbschaftsteuerliche Bewertung sein, was<br />
bislang nicht vorgesehen ist.<br />
Ohne Nachjustierung drohen sonst neue<br />
Steuerlasten beim Rückgrat der deutschen Wirtschaft,<br />
den Familienunternehmen – zumal bereits<br />
Schätzungen kursieren, wonach künftig mehr als<br />
die angestrebten 4 Mrd. € pro Jahr an Erbschaftsteuereinnahmen<br />
erzielt werden könnten. Neue<br />
steuerliche Lasten bei Unternehmenserben wären<br />
jedoch ein falsches Signal des Gesetzgebers. Vielmehr<br />
brauchen gerade die Familienunternehmen,<br />
die rund 95 % aller Unternehmen in Deutschland<br />
ausmachen und in denen 62 % aller Erwerbstätigen<br />
beschäftigt sind, ein verlässliches Fundament<br />
für die unternehmerische Tätigkeit.<br />
Trotz teilweise dramatischer Einbrüche bei<br />
den Aufträgen werden die Unternehmen alle personalpolitischen<br />
Instrumente einsetzen, um ihre<br />
qualifizierten Belegschaften zu halten. Einen fachlichen<br />
Aderlass werden sie vor dem Hintergrund<br />
der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels<br />
nicht leichtfertig riskieren. Dies wird<br />
allerdings nur möglich sein, wenn der Kurs einer<br />
moderaten Lohn- und Tarifpolitik fortgesetzt wird.<br />
Hierfür hat der jüngste Abschluss in der Metallund<br />
Elektroindustrie eine gute Grundlage gelegt.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Volkswirtschaft 157
Zentrale Elemente der Erbschaftsteuerreform<br />
Private Erbschaftsteuer<br />
Anhebung der persönlichen Freibeträge für Ehegatten auf 500.000 €, für Kinder auf 400.000 €, für<br />
Enkel auf 200.000 €<br />
Beibehaltung der Steuersätze in der Steuerklasse I (mit Sätzen von 7 bis 30 %), Anhebung der Steuersätze<br />
in den Steuerklassen II und III (auf 30 % bei einem Vermögen ab 75.000 € bis einschließlich<br />
6 Mio. € und auf 50 % für darüberliegendes Vermögen)<br />
Steuerbefreiung des selbst genutzten Wohneigentums unter der Voraussetzung der zehnjährigen<br />
Nutzung, bei Kindern zudem Beschränkung der Wohnfläche auf maximal 200 qm<br />
Verschonungsregelungen beim Betriebsvermögen<br />
Einführung einer Wahlmöglichkeit – beide Varianten sehen keine Fallbeilregelung beim Verstoß<br />
gegen die Behaltensfrist, sondern eine ratierliche Abschmelzung vor, zudem ist die Lohnsummenregelung<br />
nicht indexiert<br />
a) Regelverschonung mit einer Behaltensfrist von sieben Jahren und einem Verschonungsabschlag<br />
von 85 % unter den Voraussetzungen eines Verwaltungsvermögens von maximal 50 % und der Erzielung<br />
einer Lohnsumme über sieben Jahre von 650 %<br />
b) Verschonungsoption mit einer Behaltensfrist von zehn Jahren und einem Verschonungsabschlag<br />
von 100 % unter den Voraussetzungen von maximal 10 % Verwaltungsvermögen und der Erzielung<br />
einer Lohnsumme über zehn Jahre von 1.000 %<br />
Das Verwaltungsvermögen umfasst u. a. Wertpapiere und vergleichbare Forderungen, Kunstgegenstände,<br />
Sammlungen, Anteile an Kapitalgesellschaften mit unmittelbarer Beteiligung von bis zu 25 %<br />
sowie Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke (vermietete, verpachtete Grundstücke) mit<br />
Ausnahme u. a. der gewerblichen Vermietung von Wohnimmobilien oder der Betriebsverpachtung<br />
im Ganzen<br />
Bewertung des Betriebsvermögens und des Grundvermögens mit dem gemeinen Wert, d. h. dem<br />
Verkehrswert; sämtliche Regelungen des Bewertungsrechts sind im Gesetz und nicht wie ursprünglich<br />
vorgesehen in einer Rechtsverordnung des Bundesfinanzministeriums geregelt<br />
Vermeidung einer Doppelbelastung – durch Anrechnung der auf die Einkünfte entfallenden Erbschaftsteuer<br />
bei der Einkommensteuer, wenn die Einkünfte in den vier vorangegangenen Veranlagungszeiträumen<br />
der Erbschaftsteuer unterlegen haben<br />
158 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Volkswirtschaft
Forderungen der Wirtschaft<br />
übernommen<br />
Erfreulich ist, dass die große Koalition zumindest<br />
einige der zentralen Forderungen der deutschen<br />
Wirtschaft an eine wirtschaftsfreundliche Erbschaftsteuerreform<br />
nunmehr übernommen hat.<br />
Die Fristen für die Lohnsummenregelung und<br />
die Behaltensfrist liegen nicht mehr bei 10<br />
bzw. 15 Jahren, sondern bei maximal zehn<br />
Jahren. Anstelle einer Fallbeilregelung bei<br />
der Behaltensfrist für das Betriebsvermögen<br />
greift nunmehr eine zeitanteilige Abschmelzung.<br />
Bei der Lohnsummenklausel wurden der<br />
zeitliche Gleichlauf mit der Behaltensfrist<br />
sowie der Wegfall der Indexierung erreicht;<br />
allerdings wird bei der Lohnsumme nach<br />
wie vor das Gehalt des Erblassers bzw. des<br />
Erwerbers berücksichtigt. Die Einhaltung der<br />
Lohnsummenregel muss jedoch erst nach<br />
dem Ende der Frist überprüft werden. Damit<br />
entfällt für den Erben die jährliche Erklärung<br />
beim Finanzamt.<br />
Die Einzelheiten zur Bewertung von Grundbesitz,<br />
nicht notierten Anteilen an Kapitalgesellschaften<br />
und Betriebsvermögen werden<br />
nunmehr nicht mehr lediglich in Rechtsverordnungen,<br />
sondern unmittelbar im Bewertungsgesetz<br />
geregelt. Änderungen des<br />
Bewertungsrechts unterliegen damit der parlamentarischen<br />
Kontrolle.<br />
Durch Anrechnung der Erbschaftsteuer bei<br />
der Einkommensteuer wird die drohende Doppelbelastung<br />
mit Erbschaftsteuer und Einkommensteuer<br />
berücksichtigt.<br />
Erhebliche Hürden für Wegfall<br />
der Erbschaftsteuerschuld<br />
Zudem haben die Koalitionsspitzen die Einführung<br />
eines Optionsmodells zur Abschmelzung der Erbschaftsteuerschuld<br />
mit zwei unterschiedlichen Varianten<br />
vereinbart:<br />
Bei der Option A (Regelverschonung) kann<br />
ein Abschlag von der Erbschaftsteuerschuld<br />
von 85 % erreicht werden. Voraussetzungen<br />
hierfür sind die Einhaltung einer Behaltensfrist<br />
von sieben Jahren sowie die Erzielung<br />
einer Lohnsumme von 650 % über den Zeitraum<br />
von sieben Jahren. Zudem darf das sog.<br />
Verwaltungsvermögen höchstens 50 % des<br />
gesamte Betriebsvermögens ausmachen.<br />
Bei der Option B (Verschonungsoption) kann<br />
entsprechend der Vereinbarung des Koalitionsvertrags<br />
die Erbschaftsteuerschuld ganz<br />
abgeschmolzen werden. Dies setzt jedoch<br />
die Einhaltung einer Behaltensfrist von zehn<br />
Jahren sowie die Erzielung einer Lohnsumme<br />
über die zehn Jahre von 1.000 % voraus.<br />
Jedoch darf in diesem Fall der Anteil des Verwaltungsvermögens<br />
am Betriebsvermögen<br />
höchstens 10 % betragen. Diese sehr restriktive<br />
Regel kann ebenso wie die im Vergleich<br />
zum ursprünglichen Regierungsentwurf erhöhte<br />
Anforderung an die Lohnsumme dazu<br />
führen, dass im Ergebnis die Rückführung der<br />
Erbschaftsteuerschuld auf null nur in Einzelfällen<br />
erreicht werden kann.<br />
Verwaltungsvermögen in die<br />
Begünstigung einbeziehen<br />
Unbefriedigend an der Erbschaftsteuerreform ist<br />
auch, dass sog. Verwaltungsvermögen nicht uneingeschränkt<br />
in die steuerliche Begünstigung<br />
einbezogen wird. Übersehen wird dabei, dass<br />
dieses Vermögen Kreditwürdigkeit und Liquidität<br />
des Unternehmens sichert. So schließt die geplante<br />
Regelung Unternehmen der gewerblichen<br />
Immobilienwirtschaft, die überwiegend Verwaltungsvermögen<br />
besitzen, von der steuerlichen Begünstigung<br />
aus, während nunmehr Wohnungsunternehmen<br />
in die Verschonung einbezogen sind.<br />
Problematisch erscheint auch die prozentuale<br />
Ausschlussregelung beim Verwaltungsvermögen –<br />
und zwar in beiden Optionen. Generell zu restriktiv<br />
sind in den Optionen A und B die Vorgaben bezüglich<br />
der Höhe des Verwaltungsvermögens, welches<br />
zulässig ist, damit im Erbfall die steuerliche<br />
Begünstigung greift. Die scharfe Abgrenzung,<br />
wonach ein Unternehmen mit 10 % Verwaltungs-<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Volkswirtschaft 159
vermögen von der Vergünstigung profitiert und ein<br />
Unternehmen mit 10,5 % nicht, provoziert Verfassungsklagen.<br />
Hier muss unbedingt noch nachgebessert<br />
werden und das Verwaltungsvermögen<br />
mit in die steuerliche Begünstigung einbezogen<br />
werden.<br />
Europäische Entwicklung<br />
beachten<br />
2009. Die Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag<br />
ist für Januar 2009 vorgesehen. Die BDA<br />
wird sich weiter dafür einsetzen, dass die Modifizierungsvorschläge<br />
der deutschen Wirtschaft im<br />
noch verbleibenden Gesetzgebungsverfahren Berücksichtigung<br />
finden.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt<br />
„Mitarbeiterkapitalbeteiligung“ veröffentlicht.<br />
Erste Schätzungen gehen davon aus, dass die<br />
Steuerverwaltungen zur Bewältigung der zusätzlichen<br />
bürokratischen Regelung Steuerbeamte in<br />
dreistelliger Zahl neu einstellen müssen. Nach Berechnungen<br />
des Instituts der deutschen Wirtschaft<br />
Köln zehren bereits unter den derzeitigen Regelungen<br />
die Bürokratiekosten bis zu ein Drittel der<br />
Einnahmen aus der Erbschaftsteuer auf. Daher<br />
sollte über die Abschaffung dieser Steuer sicherlich<br />
noch nicht das letzte Wort gesprochen sein,<br />
zumal in anderen europäischen Ländern wie z. B.<br />
in Österreich die Erbschaftsteuer längst auf dem<br />
Rückzug ist. Dies könnte eine herausragende Aufgabe<br />
in der nächsten Legislaturperiode sein, wenn<br />
es um den Neuzuschnitt der Einkommensteuer<br />
geht und die neue Erbschaftsteuer in der Unternehmensrealität<br />
angekommen ist.<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung:<br />
Forderungen der Wirtschaft<br />
bleiben nicht ungehört<br />
Die BDA hat den Gesetzgebungsprozess von<br />
Anfang an begleitet und gemeinsam mit sieben<br />
anderen Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft<br />
– neben grundsätzlicher Kritik – auch detailliert<br />
Stellung bezogen.<br />
Erfreulich ist, dass der Bundesrat am<br />
10. Oktober <strong>2008</strong> in seiner Stellungnahme zum<br />
Entwurf eines Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetzes<br />
einige der von Seiten der Wirtschaftsverbände<br />
formulierten Korrekturforderungen aufgenommen<br />
und unterstützt hat. Dies betrifft sowohl<br />
die Forderung nach Öffnung der steuerlichen<br />
Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung für<br />
einzelne Beschäftigtengruppen als auch nach Vorziehen<br />
des Inkrafttretens des Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetzes<br />
vom 1. April auf den 1. Januar<br />
160 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Volkswirtschaft
Deutsche Wirtschaft fordert Nachbesserungen beim Entwurf<br />
eines Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetzes<br />
Zusammenfassung der Stellungnahme der acht Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft zum<br />
Regierungsentwurf für ein Gesetz zur steuerlichen Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />
(Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetz)<br />
Aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist der gewählte<br />
Ansatz weder zielorientiert noch widerspruchsfrei,<br />
weil damit von der sinnvollen Konzentration<br />
der Vermögensbildung auf den Ausbau der Altersvorsorge<br />
abgegangen und darüber hinaus die<br />
wesentlich praktikablere Mitarbeitererfolgsbeteiligung<br />
benachteiligt wird. Trotz der grundsätzlich<br />
ablehnenden Bewertung haben die Spitzenverbände<br />
der deutschen Wirtschaft konkrete Korrekturforderungen<br />
formuliert.<br />
Die Steuerfreiheit von Mitarbeiterkapitalbeteiligungsmodellen<br />
sollte auch dann greifen, wenn die<br />
Beteiligung nicht allen Arbeitnehmern, die in einem<br />
gegenwärtigen Dienstverhältnis zum Unternehmen<br />
stehen, offensteht. Mitarbeiterkapitalbeteiligungsmodelle<br />
werden häufig aufgrund sachlicher<br />
Differenzierung nur einzelnen Mitarbeitergruppen<br />
gewährt. So kann es sachgerecht sein, bestimmte<br />
Gruppen von Beschäftigten, die sich z. B. noch in<br />
der Probezeit befinden, von der Beteiligungsmöglichkeit<br />
auszunehmen oder aber für Führungskräfte<br />
und sonstige Beschäftigte unterschiedliche<br />
Beteiligungsmodelle anzubieten. Die Förderung<br />
nach § 3 Nr. 39 EStG-E darf derartig sinnvolle Differenzierungen<br />
nicht behindern.<br />
des Fonds in Betracht kommenden Unternehmen<br />
darauf, dass auch tatsächlich in sie investiert wird.<br />
Zudem wird das Ziel der Mitarbeiterkapitalbeteiligung,<br />
die Bindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber<br />
zu stärken, mit einer überbetrieblichen<br />
Beteiligungsform verfehlt.<br />
Die neuen gesetzlichen Regelungen sollen am<br />
1. April 2009 in Kraft treten. Bei vielen Unternehmen<br />
werden Belegschaftsaktien im ersten Quartal<br />
überlassen. In diesen Fällen müsste die Überlassung<br />
zunächst nach § 19a EStG behandelt werden<br />
und nach dem 1. April 2009 gemäß § 41c Abs. 1<br />
Nr. 2 EStG geändert werden. Ändert der Arbeitgeber<br />
den Lohnsteuerabzug nicht, kann der Arbeitnehmer<br />
beim Finanzamt eine Erstattung beantragen.<br />
Eine solche doppelte Abrechnung verursacht<br />
einen nicht vertretbaren Verwaltungsaufwand. Aus<br />
Vereinfachungsgründen sollte das Inkrafttreten –<br />
wie auch vom Bundesrat vorgeschlagen – auf den<br />
1. Januar 2009 vorgezogen werden.<br />
Die geplanten „Mitarbeiterbeteiligungs-Sondervermögen“<br />
sind mit den Zielen der Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />
nicht vereinbar. Zum einen ist<br />
ein derartiger Fonds insbesondere für kleine und<br />
mittelständische Unternehmen kaum attraktiv, weil<br />
es kaum Sinn macht, 100 % Eigenmittel selbst aufzubringen,<br />
um anschließend über den Fonds bestenfalls<br />
75 % wiederzuerhalten. Zum anderen besteht<br />
kein Anspruch der potenziell für eine Anlage<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Volkswirtschaft 161
166 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
„Kurzum, der BDA-Chef hat Recht.“<br />
(Süddeutsche Zeitung, 20.11.<strong>2008</strong>)<br />
„Arbeitgeber schlagen Alarm –<br />
Hundt ermahnt Regierung und Tarifparteien“<br />
(Handelsblatt, 28.07.<strong>2008</strong>)<br />
Sachlich, deutlich und ohne<br />
Umschweife<br />
Tarifpolitik und Tarifeinheit, gesetzliche Mindestlöhne<br />
und die Entwicklung der Sozialversicherungsabgaben,<br />
die Vertrauenskrise der Sozialen<br />
Marktwirtschaft und die Finanzmarktkrise sowie<br />
die Bildungspolitik – das waren im Jahr <strong>2008</strong> die<br />
beherrschenden Themen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
der BDA. Die BDA hat dabei<br />
regelmäßig die Positionen, Interessen und Forderungen<br />
der deutschen Wirtschaft deutlich gemacht<br />
und eine hohe Medienpräsenz erreicht.<br />
Dies geschah nicht nur durch rund 100 Pressemitteilungen;<br />
große Resonanz fanden vor allem auch<br />
zahlreiche Exklusivinterviews mit Arbeitgeberpräsident<br />
Dr. Dieter Hundt sowie die Pressekonferenzen<br />
und Pressegespräche.<br />
Mindestlohn macht arbeitslos<br />
Vor dem Hintergrund der Diskussion über gesetzliche<br />
Mindestlöhne hat die BDA im Januar <strong>2008</strong> die<br />
Kampagne „Mindestlohn macht arbeitslos“ gestartet.<br />
Ziel dieser Kampagne ist es, auf die Folgen gesetzlicher<br />
Mindestlöhne aufmerksam zu machen.<br />
Zentrale Botschaft ist: „Gesetzliche Mindestlöhne<br />
verhindern den Einstieg in Arbeit vor allem von gering<br />
Qualifizierten und schaden dem Arbeitsmarkt.“<br />
Im Verlauf des Jahres ist es der BDA gelungen,<br />
die drohenden Folgen gesetzlicher Mindestlöhne<br />
wirkungsvoll in die Öffentlichkeit zu transportieren,<br />
aber auch auf Entscheidungsträger einzuwirken.<br />
In zahlreichen Reden, Namensbeiträgen und Interviews<br />
sowie weiteren Pressekonferenzen mit<br />
Rechtsgutachtern und Ländervertretern hat die<br />
BDA nachdrücklich vor den schädlichen Folgen<br />
staatlicher Lohnfestsetzungen gewarnt und in der<br />
Öffentlichkeit regelmäßig eine große Resonanz<br />
erzielt. So konnten wichtige Zugeständnisse bei<br />
den Plänen zur Einführung gesetzlicher Mindestlöhne<br />
über das Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />
und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz erreicht<br />
werden.<br />
Unter www.mindestlohn-macht-arbeitslos.de<br />
unterrichtet die Kampagnenhomepage aktuell über<br />
den Stand der Dinge und verzeichnet täglich bis<br />
zu 13.000 Klicks. Sie wird von allen Seiten als die<br />
zentrale Plattform der Mindestlohnkritiker angesehen.<br />
Eine breite Palette an Informationsmaterialien<br />
wurde zur Aufklärung über die Gefahren gesetzlicher<br />
Mindestlöhne für Politik, Medien und Öffentlichkeit<br />
sowie die Mitgliedsverbände produziert.<br />
Die ersten beiden Auflagen der Broschüre „Tarifautonomie<br />
statt Mindestlohn“ waren bereits innerhalb<br />
weniger Tage vergriffen. Mehrere laufend aktualisierte<br />
Ausgaben der BDA-Informationsdienste<br />
argumente und kompakt liefern wertvolle Hintergrundinformationen.<br />
Das unter der Sonderrufnummer<br />
2033-1919 erreichbare Kampagnenbüro der<br />
BDA beantwortet Fragen, gibt weiter gehende<br />
Auskünfte und unterstützt die Mitgliedsverbände<br />
bei ihren Aktivitäten rund um den Mindestlohn.<br />
Sozialabgaben senken<br />
Auch die Debatte über die Sozialabgaben war im<br />
gesamten Jahresverlauf ein Dauerbrenner für die<br />
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Senkung<br />
des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung<br />
spielte dabei ebenso eine herausragende<br />
Rolle wie die geplante Anhebung des Krankenkassenbeitrags.<br />
Die BDA hat diese Debatte mit<br />
zahlreichen Stellungnahmen, Interviews, Pressemitteilungen<br />
und Hintergrundinformationen forciert<br />
und immer wieder die deutliche Entlastung<br />
von Unternehmen und Bürgern angemahnt – nicht<br />
zuletzt auch vor dem Hintergrund der sich abschwächenden<br />
Konjunktur. Die fortgesetzte öffentliche<br />
Mahnung der BDA blieb nicht ohne<br />
Wirkung: In den Medien stand und steht die Senkung<br />
der Steuer- und Abgabenlast ganz oben auf<br />
der politischen Agenda.<br />
Bildung – die soziale Frage<br />
des 21. Jahrhunderts<br />
Bildung ist längst zu einer der zentralen Herausforderungen<br />
für Deutschland geworden. Die BDA<br />
hat in ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit einen<br />
deutlichen Schwerpunkt bei diesem Thema gesetzt.<br />
Dies geschah auch vor dem Hintergrund,<br />
dass BDA und BDI seit gut einem Jahr ihre bildungspolitischen<br />
Positionen und Initiativen in<br />
einem gemeinsamen Fachausschuss unter Federführung<br />
der BDA entwickeln.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Presse- und Öffentlichkeitsarbeit 167
168 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Dabei standen im Jahresverlauf gleich mehrere<br />
wichtige Themen im Fokus der Öffentlichkeit.<br />
So gelang es BDA und BDI, mit ihren Initiativen<br />
„MINT Zukunft schaffen“ und „Bachelor Welcome“<br />
viel beachtete bildungspolitische Akzente zu setzen.<br />
Auch die öffentliche Diskussion über den<br />
Ausbildungsbonus bis hin zur Situation auf dem<br />
Lehrstellenmarkt und den damit verbundenen<br />
Ausbildungspakt wurde intensiv vorangetrieben.<br />
Im Kern ging es dabei darum, deutlich zu<br />
machen, dass Bildung die zentrale Investition in<br />
unsere Zukunft ist. Von der Rendite dieser Investition<br />
profitieren alle – die Menschen, die Wirtschaft<br />
und das Land als Ganzes. Deutschland braucht<br />
daher – so die Botschaft – eine Bildungsoffensive,<br />
die die Qualität von Bildung in allen Bereichen verbessert.<br />
Deutscher Arbeitgebertag <strong>2008</strong><br />
im Zeichen der Bankenkrise<br />
Mit hochrangigen Gästen aus Wirtschaft und Politik<br />
war der Deutsche Arbeitgebertag <strong>2008</strong> erneut<br />
ein besonderes Medienereignis in der Hauptstadt.<br />
Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt nahm in<br />
seiner Rede deutlich Stellung zur Banken- und<br />
Finanzmarktkrise. Er begrüßte das Maßnahmenpaket<br />
der Bundesregierung als einen wichtigen<br />
Beitrag, um die Vertrauenskrise an den Finanzmärkten<br />
entschlossen zu beenden.<br />
Allerdings ließ Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter<br />
Hundt auch keinen Zweifel daran, dass die aktuelle<br />
Finanzmarktkrise keine Rechtfertigung für Ausgabenprogramme<br />
und erst recht keine Ermächtigung<br />
für beliebiges Schuldenmachen ist. Um eine derartige<br />
Krise in Zukunft zu verhindern, forderte er eine<br />
wirkungsvollere Aufsicht des Finanzsektors.<br />
Fazit – sachlich und seriös<br />
Wie in den Jahren zuvor auch, hat sich die Pressearbeit<br />
der BDA an einer sachlich fundierten Kritik<br />
mit konkreten Änderungs- und Verbesserungsvorschlägen<br />
orientiert. Die BDA wird bei Journalisten<br />
als seriöser Ansprechpartner geschätzt. Dies belegen<br />
nicht zuletzt auch die zahlreichen Anfragen,<br />
die breite Resonanz bei Hintergrundgesprächen,<br />
bei denen den Journalisten aktuelle, zuverlässige<br />
und seriöse Informationen sowie die Positionen<br />
der Arbeitgeber vermittelt werden. Auch im Jahr<br />
<strong>2008</strong> war die BDA mit ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
eine zentrale Stimme im politischen<br />
Konzert.<br />
BDA mit neuem Internetauftritt<br />
Pünktlich zum Deutschen Arbeitgebertag <strong>2008</strong><br />
startete die BDA am 4. November ihren neuen Internetauftritt.<br />
Unter www.arbeitgeber.de bietet die<br />
BDA nun noch mehr Informationen, noch mehr Service<br />
sowie eine deutlich verbesserte Funktionalität.<br />
Bereits auf der Startseite findet der Nutzer durch<br />
eine klare und auch farbliche Gliederung den Einstieg<br />
in die vielfältigen Themengebiete der BDA.<br />
Die zahlreichen Fachbeiträge orientieren sich dabei<br />
an einer ganz einfachen Philosophie: Aktuell<br />
und politisch, prägnant und verlässlich werden die<br />
Positionen der deutschen Arbeitgeber dargestellt.<br />
Darüber hinaus gibt es zahllose Zusatzinformationen<br />
und Verlinkungen zu weiterführenden Webseiten.<br />
Erstmals hat der Nutzer die Möglichkeit, Videos<br />
zu aktuellen Themen anzuschauen. Diese Funktionalität<br />
wird auch zukünftig weiter ausgebaut, so<br />
dass nach und nach ein Archiv an interessanten<br />
Filmbeiträgen entsteht.<br />
Bewährtes bleibt selbstverständlich bestehen: So<br />
wird dem Nutzer auch in Zukunft ein schneller Zugriff<br />
auf die Info-Angebote kompakt und argumente<br />
ermöglicht. Kurzum: Mit dem neuen Auftritt ist ein<br />
Informationsangebot entstanden, das sowohl den<br />
Anforderungen der Allgemeinheit gerecht wird als<br />
auch auf die Bedürfnisse der Experten zugeschnitten<br />
ist.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Presse- und Öffentlichkeitsarbeit 169
BDA-Mitgliedsverbände<br />
56 Bundesfachverbände<br />
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Arbeitgeberverband der Cigarettenindustrie<br />
Arbeitgeberverband der Deutschen Glasindustrie e. V.<br />
Arbeitgeberverband der Deutschen Immobilienwirtschaft e. V.<br />
Arbeitgeberverband der Deutschen Kautschukindustrie (ADK) e. V.<br />
Arbeitgeberverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e. V. (Agv MoVe)<br />
Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland<br />
Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes e. V.<br />
Arbeitgeberverband Deutscher Eisenbahnen e. V. – Eisenbahnen, Berg- und Seilbahnen, Kraftverkehrsbetriebe –<br />
Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e. V. (AMP)<br />
Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste e. V.<br />
Arbeitgeberverband Postdienste e. V.<br />
Arbeitgeberverband Stahl e. V.<br />
Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuß e. V. (ANG)<br />
Arbeitsgemeinschaft Keramische Industrie e. V.<br />
Arbeitsgemeinschaft Schuhe/Leder<br />
BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft e. V.<br />
BdKEP Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste e. V.<br />
Bundesarbeitgeberverband Chemie e. V.<br />
Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels e. V.<br />
Bundesverband der Systemgastronomie BdS e. V.<br />
Bundesverband der Zigarrenindustrie e. V. (BdZ)<br />
Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels e. V.<br />
Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e. V.<br />
Bundesverband Druck und Medien e. V.<br />
Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e. V.<br />
Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e. V. (BZA)<br />
Bundesvereinigung Deutscher Dienstleistungsunternehmen e. V.<br />
Deutscher Braunkohlen-Industrie-Verein e. V.<br />
Deutscher Bühnenverein Bundesverband der Theater und Orchester<br />
Deutscher Hotel- und Gaststättenverband e. V. (DEHOGA)<br />
DSSV e. V. Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen<br />
GESAMTMETALL Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie e. V.<br />
Gesamtverband der Deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände e. V.<br />
Gesamtverband der Deutschen Textil- und Modeindustrie e. V. – Arbeitgeberverbund –<br />
Gesamtverband Steinkohle (GVSt)<br />
Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V.<br />
Hauptverband der Deutschen Holz und Kunststoffe verarbeitenden Industrie und verwandter Industriezweige e. V.<br />
Hauptverband des Deutschen Einzelhandels e. V.<br />
Hauptverband Papier- und Kunststoffverarbeitung (HPV) e. V. – Sozialpolitischer Hauptausschuss –<br />
Sozialpolitische Arbeitsgemeinschaft Steine und Erden<br />
Sozialpolitische Arbeitsgemeinschaft Telekommunikation (ArgeTel)<br />
Sozialpolitische Arbeitsgemeinschaft Verkehr (SAV)<br />
Unternehmerverband Deutsches Handwerk (UDH)<br />
USB Unternehmerverband Soziale Dienstleistungen + Bildung e. V.<br />
Verband der Deutschen Säge- und Holzindustrie e. V.<br />
Verband Deutscher Reeder e. V.<br />
Verband Deutscher Zeitschriftenverleger e. V. (VDZ)<br />
Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland e. V. (VdDD)<br />
Verein der Zuckerindustrie<br />
Vereinigung der Arbeitgeberverbände der Deutschen Papierindustrie e. V.<br />
Vereinigung der Arbeitgeberverbände energie- und versorgungswirtschaftlicher Unternehmungen (VAEU)<br />
Vereinigung Rohstoffe und Bergbau<br />
VKS – Verband der Kali- und Salzindustrie e. V.<br />
WEG Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung e. V.<br />
Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e. V.<br />
ZGV – Zentralverband Gewerblicher Verbundgruppen e. V.<br />
174 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Organisation
14 Landesvereinigungen<br />
UV Nord-Vereinigung<br />
der Unternehmensverbände<br />
in Hamburg<br />
und Schleswig-Holstein<br />
e. V. Vereinigung der<br />
Unternehmensverbände für<br />
Mecklenburg-Vorpommern e. V.<br />
Unternehmerverbände<br />
Niedersachsen e. V.<br />
Die Unternehmensverbände<br />
im Lande Bremen e. V.<br />
Landesvereinigung der<br />
Arbeitgeberverbände<br />
Nordrhein-Westfalen e. V.<br />
Vereinigung der<br />
Unternehmensverbände<br />
in Berlin und Brandenburg e. V.<br />
Arbeitgeber- und<br />
Wirtschaftsverbände<br />
Sachsen-Anhalt e. V.<br />
Vereinigung der Sächsischen<br />
Wirtschaft e. V. (VSW)<br />
Vereinigung der<br />
hessischen<br />
Unternehmerverbände<br />
e. V.<br />
Verband der Wirtschaft<br />
Thüringens e. V. (VWT)<br />
Landesvereinigung<br />
Unternehmerverbände<br />
Rheinland-Pfalz (LVU)<br />
Vereinigung der<br />
Saarländischen<br />
Unternehmensverbände<br />
e. V.<br />
Vereinigung der<br />
Bayerischen Wirtschaft e. V.<br />
Landesvereinigung<br />
Baden-Württembergischer<br />
Arbeitgeberverbände e. V.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Organisation 175
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BDA-Präsidium<br />
Präsident<br />
Dr. Dieter Hundt<br />
Ehrenpräsident<br />
Prof. Dr. Klaus Murmann<br />
Vizepräsidenten<br />
Dr. h. c. Josef Beutelmann<br />
Dr. Gerhard F. Braun<br />
Günther Fleig<br />
Martin Kannegiesser<br />
Otto Kentzler<br />
Dr. Walter Koch (Schatzmeister)<br />
Randolf Rodenstock<br />
Dr. h. c. Eggert Voscherau<br />
Weitere Mitglieder des Präsidiums<br />
Dr. Frank Appel<br />
Peter Barz<br />
Ernst Baumann<br />
Anton F. Börner<br />
Walter Botschatzki<br />
Hans-Dieter Bremer<br />
Wolfgang Brinkmann<br />
Dr. Eckhard Cordes<br />
Dr. Jürgen Deilmann<br />
Prof. Dr. Hans Heinrich Driftmann<br />
Goetz von Engelbrechten<br />
Bodo Finger<br />
Ulrich Grillo<br />
Helmut Heinen<br />
Klaus Hering<br />
Ingrid Hofmann<br />
Burkhard Ischler<br />
Dr. Eckart John von Freyend<br />
Arndt G. Kirchhoff<br />
Helmut F. Koch<br />
Ingo Kramer<br />
Heinz Laber<br />
Stefan H. Lauer<br />
Horst-Werner Maier-Hunke<br />
Hartmut Mehdorn<br />
Prof. Dr. Helmut Merkel<br />
René Obermann<br />
Dr. Arend Oetker<br />
Dr. Wolfgang Pütz<br />
Dr. Jan Stefan Roell<br />
Dr. Siegfried Russwurm<br />
Josef Sanktjohanser<br />
Ulrich Schumacher<br />
Gerd Sonnleitner<br />
Dr. Theo Spettmann<br />
Bernd Tönjes<br />
Prof. Dieter Weidemann<br />
Dr. Reinhard Göhner<br />
Dr. Fritz-Heinz Himmelreich<br />
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BDA-Vorstand<br />
Neben den gewählten<br />
Mitgliedern des Präsidiums<br />
gehören folgende Damen<br />
und Herren dem Vorstand an:<br />
Prof. Thomas Bauer<br />
Michael Behrendt<br />
Dr. Rolf Bender<br />
Roland Brohm<br />
Ulrich Alfred Büchner<br />
Prof. Dr. Hubert Burda<br />
Dr. Hans Ulrich Dorau<br />
Dr. Rainer V. Dulger<br />
Frank Dupré<br />
Volker Enkerts<br />
Ernst Fischer<br />
Hartmut Geldmacher<br />
Peter Gerber<br />
Florian Gerster<br />
Wolfgang Goebel<br />
Rainer Göhner<br />
Klemens Gutmann<br />
Jörg Hagmaier<br />
Siegfried Hanke<br />
Matthias Hartung<br />
Dr. Gernot Kalkoffen<br />
Dr. Uwe Kasimier<br />
Franz Bernd Köster<br />
Thomas Kretschmann<br />
Peter Kurth<br />
Lothar Lampe<br />
Rainer J. Marschaus<br />
Dr. Uwe Mehrtens<br />
Reinhard Müller-Gei<br />
Rudolf Pfeiffer<br />
Eberhard Potempa<br />
Hanns-Jürgen Redeker<br />
Ralph Rieker<br />
Prof. Dr. Markus Rückert<br />
Manfred Rycken<br />
Jürgen Schitthelm<br />
Dirk Schlüter<br />
Hans-Jörg Schuster<br />
Birgit Schwarze<br />
Johannes Schwörer<br />
Norbert Steiner<br />
Margret Suckale<br />
Dr. Sven Vogt<br />
Georg Weisweiler<br />
Dietmar Welslau<br />
Prof. Dr. Franz-Josef Wodopia<br />
Wolfgang Zahn<br />
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Gemeinsames Präsidium<br />
von BDA und BDI<br />
Alternierende Vorsitzende<br />
Dr. Dieter Hundt<br />
Jürgen R. Thumann<br />
Weitere Mitglieder des Präsidiums<br />
Dr. h. c. Josef Beutelmann<br />
Dr. Gerhard F. Braun<br />
Dr. Dieter Brucklacher<br />
Günther Fleig<br />
Martin Kannegiesser<br />
Prof. Dr. Hans-Peter Keitel<br />
Otto Kentzler<br />
Dr. Walter Koch<br />
Prof. Dr. Ulrich Lehner<br />
Friedhelm Loh<br />
Dr. Arend Oetker<br />
Randolf Rodenstock<br />
Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer<br />
Prof. Dr. Ekkehard Schulz<br />
Dr. h. c. Eggert Voscherau<br />
Matthias Wissmann<br />
176 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Organisation
In memoriam<br />
Sie waren der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
in langjähriger Mitarbeit verbunden und<br />
hatten wesentlichen Anteil an der Gestaltung unternehmerischer<br />
Sozialpolitik.<br />
Wir gedenken ihrer.<br />
Dr. oec. Wolfram Thiele<br />
Ehem. Vizepräsident und Vorstandsmitglied der<br />
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
17. Februar <strong>2008</strong><br />
Dr. Ernst August Wrede<br />
Ehem. Mitglied des Präsidiums und des Vorstandes der<br />
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
25. Februar <strong>2008</strong><br />
Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Manfred Lennings<br />
Ehem. Mitglied des Präsidiums und des Vorstandes der<br />
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
1. März <strong>2008</strong><br />
Uwe Uphaus<br />
Ehem. Geschäftsführer der Vereinigung der<br />
Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie<br />
Westfalens e. V.<br />
28. Oktober <strong>2008</strong><br />
178 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | In memoriam
Bundesvereinigung der<br />
Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
Haus der Deutschen Wirtschaft<br />
Breite Straße 29<br />
10178 Berlin<br />
Briefadresse:<br />
11054 Berlin<br />
bda@arbeitgeber.de<br />
www.arbeitgeber.de<br />
T +49 30 2033-1070<br />
F +49 30 2033-1075<br />
Stand: 15. Dezember <strong>2008</strong><br />
Fotografie:<br />
Christian Kruppa | www.christiankruppa.de<br />
Thomas Köhler | www.photothek.net<br />
adisa, Aeolos, olly, moonrun, Petr Nad,<br />
RRF, Marcel Mooij, U.P.images, Phoenixpix,<br />
Nikada | www.istockphoto.com<br />
svlumagraphica | www.fotolia.de<br />
misterQM, micjan | www.photocase.de<br />
Konzeption und Gestaltung:<br />
CB.e Clausecker | Bingel. Ereignisse AG<br />
Agentur für Kommunikation
Präsident<br />
Dr. Dieter Hundt<br />
Sekretariat<br />
Ulrike Kümpel-Moderau<br />
T -1004<br />
F -1005<br />
Hauptgeschäftsführer<br />
Mitglied der Hauptgeschäftsführung<br />
Dr. Reinhard Göhner<br />
Alexander Gunkel **<br />
Sekretariat<br />
Anne-Katrin Biereigel *<br />
T -1008<br />
F -1015<br />
hgf.mail@arbeitgeber.de<br />
Sekretariat<br />
Ulrike Kümpel-Moderau<br />
Marina Reikowski<br />
T -1007/1006<br />
F -1005<br />
hgf.mail@arbeitgeber.de<br />
Verwaltung und<br />
Verbandsorganisation<br />
Soziale Sicherung<br />
Volkswirtschaft,<br />
Finanzen, Steuern,<br />
Walter-Raymond-<br />
Stiftung<br />
Arbeitsrecht<br />
Lohn- und<br />
Tarifpolitik<br />
Ulrich Hüttenbach **<br />
Martin Pulm<br />
Finanzen<br />
Martin Pulm<br />
Gudrun Häntsch<br />
Sirpa Ohm<br />
Viola Rieche<br />
finanzen.mail@arbeitgeber.de<br />
Informations- und<br />
Kommunikationstechnik<br />
Martin Brüning<br />
Thomas Hyrbaczek<br />
Christian Seipp<br />
Hans-Jürgen Tunze<br />
ink.mail.@arbeitgeber.de<br />
Dr. Volker Hansen<br />
Gert Nachtigal<br />
Stefan Haussmann<br />
Dr. Martin Kröger<br />
Susanne Lexa<br />
Saskia Osing *<br />
Florian Swyter<br />
Ottheinrich<br />
Freiherr von Weitershausen *<br />
Dr. Oliver Perschau<br />
Alexander Haase<br />
Dr. Hans-Jürgen Völz<br />
Sekretariat<br />
Cornelia Hentschel<br />
T -1950<br />
F -1955<br />
abt_11@arbeitgeber.de<br />
Roland Wolf<br />
Thomas Prinz *<br />
Manja Barth<br />
Nora Braun<br />
Kerstin Plack<br />
Karsten Scherret<br />
Rainer Huke *<br />
Denis Henkel<br />
Paul Noll<br />
Natalia Stolz<br />
Personal<br />
Astrid Zippel<br />
Katrin Anton<br />
personal.mail@arbeitgeber.de<br />
Arbeitswissenschaft<br />
Norbert Breutmann<br />
Institut für Sozial- und<br />
Wirtschaftspolitische<br />
Ausbildung<br />
Redaktion SAE<br />
Barbara Braun<br />
Tarifarchiv<br />
Freimut Wolny<br />
Astrid Bohn<br />
Verwaltung<br />
Sven Kochanowski<br />
verwaltung.mail@arbeitgeber.de<br />
Ottheinrich<br />
Freiherr von Weitershausen<br />
Adressverwaltung<br />
Thomas Bieche<br />
Manuel Schiller<br />
Organisation<br />
Kornelia Wendt<br />
Bibliothek<br />
Anke Beyer-Stamm<br />
Service<br />
Frank Halup<br />
Astrid Leu<br />
Sekretariat<br />
Janet Wiecker<br />
Stephanie Schmidt<br />
T -1100<br />
F -1105<br />
Sekretariat<br />
Ingrid Schramm<br />
Heike Bozan<br />
Carola Wünsche<br />
T -1600<br />
F -1605<br />
Sekretariat<br />
Ellen Dumschat<br />
T -1954<br />
F -1955<br />
Sekretariat<br />
Simone Scharf<br />
Manuela Hahn<br />
T -1200<br />
F -1205<br />
Sekretariat<br />
Marina Fahrentholtz<br />
Sabrina Paul<br />
T -1300<br />
F -1305<br />
abt_01@arbeitgeber.de<br />
abt_06@arbeitgeber.de<br />
info@iswa-online.de<br />
abt_02@arbeitgeber.de<br />
abt_03@arbeitgeber.de
T +49 30 2033-0<br />
F +49 30 2033-1055<br />
bda@arbeitgeber.de<br />
www.arbeitgeber.de<br />
Stand: 1. Januar 2009<br />
** Qualitätsmanagementkoordinator<br />
* Qualitätsmanagementbeaufragte<br />
Mitglied der Hauptgeschäftsführung<br />
Peter Clever<br />
Sekretariat<br />
Anja Hoffmann<br />
T -1009<br />
F -1015<br />
hgf.mail@arbeitgeber.de<br />
Presse- und<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
Planung,<br />
Koordination,<br />
Grundsatzfragen<br />
Arbeitsmarkt<br />
Bildung /<br />
Berufliche Bildung<br />
Europäische Union<br />
und Internationale<br />
Sozialpolitik<br />
Dr. Uwe Mazura *<br />
Jörg Swane<br />
Karoline Lerche<br />
Dr. Viktor Otto<br />
Dr. Heinz Schmitz<br />
Andreas Timm<br />
Christina Uhl **<br />
Kristian Schalter<br />
Tabea Kölbel<br />
Dr. Jürgen Wuttke<br />
Alexander Wilhelm<br />
Erwin Blasum<br />
Benjamin Koller<br />
Torsten Petrak<br />
Dr. Anna Robra<br />
Dr. Barbara Dorn<br />
Dr. Donate Kluxen-Pyta<br />
Tanja Nackmayr<br />
Henning Dettleff<br />
Yvonne Kohlmann<br />
Susanne Müller *<br />
Dr. Irene Seling<br />
Renate Hornung-Draus<br />
Antje Gerstein *<br />
Alexandra-F. Prinzessin zu<br />
Schoenaich-Carolath<br />
Angela Schneider-Bodien<br />
Stefan Sträßer<br />
Matthias Thorns<br />
Sekretariat<br />
Susan Peronne<br />
Marion Blumauer<br />
T -1400<br />
F -1405<br />
abt_04@arbeitgeber.de<br />
Sekretariat<br />
Bianca Voyé *<br />
Marion Hirte<br />
Janine Spolaczyk<br />
T -1900<br />
F -1905<br />
abt_09@arbeitgeber.de<br />
Leiter der<br />
Pressestelle<br />
Dr. Heinz Schmitz<br />
Büro des<br />
Präsidenten<br />
und des Hauptgeschäftführers<br />
Kristian Schalter<br />
Eva Strube<br />
Betriebliche<br />
Personalpolitik<br />
Dr. Alexander Böhne *<br />
Jana Schimke<br />
BDI / BDA<br />
The German Business<br />
Representation<br />
Alexandra-F. Prinzessin zu<br />
Schoenaich-Carolath<br />
Stellv. Geschäftsführerin<br />
Leiterin Sozialpolitik<br />
Brigitte de Vita<br />
Sekretariat<br />
Claudia Jungkowski<br />
Michaela Grebasch<br />
Stephanie Merkel<br />
T -1800<br />
F -1805<br />
Sekretariat<br />
Una Ellenrieder<br />
Kristin Holzendorf<br />
T -1020<br />
F -1025<br />
Sekretariat<br />
Doreen Mertens<br />
T -1410<br />
F -1405<br />
Sekretariat<br />
Katja Rasch<br />
Allmuth Rudolf<br />
Sevim Ünal<br />
T -1500<br />
F -1505<br />
Sekretariat<br />
Astrid Schwarz<br />
T 0032-2-79 21 050<br />
F 0032-2-79 21 055<br />
abt_08@arbeitgeber.de<br />
abt_10@arbeitgeber.de<br />
abt_04@arbeitgeber.de<br />
abt_05@arbeitgeber.de<br />
bruessel@arbeitgeber.de
www.arbeitgeber.de