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Lebenslust Gottingen - Ausgabe Sommer 2015

lebenslust:gö, das Magazin für Kunst & Kultur, Shopping, Genuss und mehr

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12 LEBEN IN DER REGION lebenslust:gö<br />

Für große Aufregung in der Göttinger Kulturszene<br />

hat der Vorschlag von Sozialdezernentin<br />

Dagmar Schlapeit-Beck gesorgt, die<br />

Zuschüsse für Städtisches Museum, Stadtarchiv<br />

und die Ausstellungen im Alten Rathaus<br />

zu kürzen, um die Mittel aufzubringen.<br />

Endgültig darüber entschieden ist bis heute<br />

noch nicht.<br />

Im Grass-Archiv, das Teil des Kunstquartiers<br />

ist, werden auch zahlreiche Grafiken aus der<br />

Feder des großen deutschen Schriftstellers<br />

eine Bleibe finden.<br />

die wiederum sein Schreiben inspiriert und<br />

vorangetrieben haben. Diese Zeugnisse machen<br />

somit einen wichtigen Teil der Entstehungsgeschichte<br />

des grassschen Werkes<br />

aus und sind für die Forschung von großem<br />

Interesse. Auch sämtliche Übersetzungen<br />

werden einen Platz finden. Allein der Jahrhundertroman<br />

„Die Blechtrommel“ wurde in<br />

mehr als 50 Sprachen übertragen. Wie sich<br />

die Grafik der deutschen Originalausgabe<br />

zum Beispiel von der chinesischen <strong>Ausgabe</strong><br />

unterscheidet, könnte ein weiteres Forschungsthema<br />

darstellen.<br />

Doch nicht nur für Wissenschaftler ist das<br />

Grass-Archiv gedacht. Für die breite Öffentlichkeit<br />

sind Sonderausstellungen geplant<br />

mit drei- bis viermal im Jahr wechselnden<br />

Themen. Die erste mit dem Titel „Vonne<br />

Endlichkait“ wird am 12. Juni eröffnet und<br />

ist dem gleichnamigen neuen und zugleich<br />

letzten Werk von Günter Grass gewidmet. Er<br />

hatte eigentlich vorgehabt, an diesem Tag<br />

sein neues Buch vorzustellen, das Lyrik,<br />

Prosa und Zeichnungen vereint. Nun wird<br />

dies jemand anderes übernehmen.<br />

Ursprünglich war eines der ältesten Häuser<br />

Göttingens als Domizil für das Grass-Archiv<br />

vorgesehen, ein Fachwerkhaus aus dem<br />

Jahr 1307. Seine umfassende Restaurierung<br />

hat mehrere Jahre in Anspruch genommen,<br />

da nicht mit schwerem Gerät in dem Gebäude<br />

gearbeitet werden konnte. Der Einsatz<br />

hat sich in jedem Fall gelohnt. Die<br />

ursprüngliche Bausubstanz ist nun erkennbar,<br />

700 Jahre Baugeschichte wurden sichtbar<br />

und nachvollziehbar gemacht. Unter<br />

Verleger Gerhard Steidl<br />

anderem konnte auch eine alte Feuerstelle<br />

erhalten werden. „Es gibt kein vergleichbares<br />

Haus in Deutschland“, sagt Steidl. Und so<br />

fiel die Entscheidung, die Wände dieses Juwels<br />

nicht zuzustellen, sondern das Gebäude<br />

als eine Art Baudokumentation zu<br />

betrachten. „Das Haus stellt sich selbst aus“,<br />

so der Verleger. Das Grass-Archiv erhielt kurzerhand<br />

in einem modernen Galerie-Anbau<br />

auf der Ostseite des Hauses eine Bleibe.<br />

Ein wichtiger Teil des Kunstquartiers ist<br />

damit fertig gestellt. Um das zweite Kernelement,<br />

die Kunsthalle, entspann sich in<br />

den vergangenen Wochen und Monaten<br />

eine teils hitzige Debatte. Schuld daran<br />

trägt in erster Linie das liebe Geld. Die Stadt<br />

Göttingen hatte sich mit dem Bauvorhaben<br />

beim Bundesprogramm „Nationale Projekte<br />

des Städtebaus“ beworben und neun Millionen<br />

Euro Fördergelder beantragt. Im November<br />

2014 kam tatsächlich ein positiver<br />

Bescheid aus Berlin: 4,5 Millionen Euro, also<br />

die Hälfte des Wunschbetrages, wurden bewilligt.<br />

Um den Fehlbetrag auszugleichen,<br />

sollen geplante Galerien in der Nikolaistraße<br />

vorerst nicht gebaut werden.<br />

Somit blicken alle auf die Kunsthalle, die<br />

eine Ausstellungsfläche von ca. 1000 Quadratmetern<br />

(3 Etagen à ca. 320 m 2 ) bieten<br />

soll. Am 12. Dezember 2014 sprach sich der<br />

Rat der Stadt mit den Stimmen von SPD,<br />

Grünen, Linken und Piraten dafür aus, die<br />

zweckgebundenen Fördergelder für ihren<br />

Bau abzurufen. CDU und FDP stimmten dagegen.<br />

Die Argumente der Kritiker liegen<br />

vor allen in den Folgekosten des Galeriegebäudes<br />

begründet. Die jährlichen Betriebskosten<br />

werden derzeit mit 360.000 Euro<br />

veranschlagt. 180.000 Euro sollen über Eintrittsgelder<br />

und Sponsoren in die Kasse<br />

kommen. Die verbleibenden 180.000 Euro<br />

muss die Stadt aus ihrem Etat finanzieren.<br />

Demgegenüber stehen die großen Chancen,<br />

die mit der neuen Ausstellungsfläche<br />

verbunden sind. Künstler könnten in Göttingen<br />

ausstellen, die sonst niemals in der Leinestadt<br />

zu sehen wären. Sie gehen bei<br />

Steidl ein und aus, und es ist für ihn ein<br />

leichtes, sie für ein Ausstellungsprojekt zu<br />

gewinnen. Allein in den vergangenen Jahren<br />

hätten 40 bis 50 Künstler zugesagt, informiert<br />

der Verleger. Darunter befinden<br />

sich Größen wie der Modezar Karl Lagerfeld,<br />

Richard Serra, einer der bedeutendsten zeitgenössischen<br />

Bildhauer und die international<br />

renommierten Fotografen Andreas<br />

Gursky und Nan Goldin.<br />

Konzipiert ist die Galerie für Flachware, das<br />

heißt, es sollen in erster Linie Grafiken,<br />

Zeichnungen, Malerei, Fotografie und Konzeptkunst<br />

gezeigt werden. Als Vorbild sieht<br />

Steidl den internationalen Kunstpreis<br />

„Goslarer Kaiserring“, der 1975 erstmals an<br />

Henri Moore vergeben wurde und sein Renommee<br />

den namhaften Künstlern verdankt,<br />

die ihn bereits erhalten haben.<br />

„Wir brauchen in Göttingen ein gut überlegtes<br />

Programm in den ersten drei bis fünf<br />

Jahren, dann wird es zum Selbstläufer“,<br />

ist Steidl überzeugt. „Wir können etwas<br />

entwickeln, das die Jahrzehnte überdauern<br />

wird.“ ■ tau<br />

Eröffnung des Grass-Archivs am<br />

12. Juni <strong>2015</strong> mit einer Buchvorstellung<br />

und einer Ausstellung und Lesung<br />

aus dem neuen Buch „Von Endlichkeit”

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